Ein, wie ich finde, schlagendes Beispiel dafür findet sich im höchst
hörenswerten DLF-Hintergrund Politik vom 30.5.2023, wo berichtet
wird, die Tarifbindung liege im Bereich der Sklav^WLeiharbeit
bei nachgerade unglaublichen 98%. Ich darf das kurz mit Tabelle
62361-0501 vom Statistischen Bundesamt für 2018 kombinieren:
Selbst ich als radikaler Metrikskeptiker hätte, bevor ich die Sendung
gehört habe, die Tarifbindung ziemlich blind als einen brauchbaren
Indikator für die mittlere Erträglichkeit der Arbeit in einer Branche
akzeptiert.
Da der Deutschlandfunk leider nur noch selten Transkripte
veröffentlicht (ich vermute den VZBV dahinter) und Lesen schneller ist
als Hören, habe ich die Radiosendung mal durch whisper gejagt. Ich
behaupte jetzt einfach mal, dass ich für den DLF (und die Leute, die zu
faul zum Hören sind) handele, wenn ich ein ungefähres und weitgehend
unkorrigiertes Transkript ihrer Sendung hier anhänge. Die Rechte
liegen jedenfalls beim DLF bzw. vielleicht bei der Autorin; das
folgende Zitat verteile ich nicht unter CC0 (aber es wäre schön, wenn
der DLF endlich CC-BY machen würde…).
Deutschlandfunk Hintergrund: „Gleiche Arbeit, weniger Lohn –
Das System Leiharbeit vor Gericht“
von Ann-Kathrin Jeske
Ich habe damit angefangen Ende 2015, ich war die meiste Zeit in
Logistik betrieben, in der Lagerwirtschaft, damals ein völlig neues
Fach für mich.
Thomas B. erinnert sich daran, wie sie anfing, seine Zeit als
Leiharbeiter. Er praktikisten, das, was Kunden online bestellten,
sortierte er in einem Lager in Pakete, machte die Waren für den
Transport fertig, die am Ende bunt aufgereit in den regalen großer
Kaufhäuser standen.
Und es waren alles Angelehrte Tätigkeit nicht vermeistens als Hilfe
eingesetzt und damit in der untersten Entgeltgruppe.
B. erzählt, dass während er auf einer Parkbank in Köln sitzt. Thomas
B. ist allerdings nicht sein echter Name, er muss aufpassen, welche
Informationen er über sich preisgibt. Denn B. ist aktuell auf
Jobsuche, mit Anfang sechzig ohnehin nicht so leicht und das, was er
über seine Zeit als Leiharbeiter erzählt, könnte bei Arbeitgebern
schlecht ankommen.
Anfangs fand es ganz interessant, ständig neue Sachen kennenzulernen,
aber irgendwann stresst es einen Schuhen, dass man sich ständig ein
neues Umfeld gewinnen muss und vor allem merkt man halt immer wieder,
ich verdiene deutlich weniger als die Stammkollegen.
Insgesamt fünf und einhalb Jahre arbeitete Thomas B. als Leiharbeiter,
davon gibt es in Deutschland derzeit mehr als achthunderttausend. Je
länger er das machte, desto mehr störte ihn eine Sache, obwohl er Hand
in Hand mit der Stammbelekschaft arbeitete und die gleiche Arbeit
machte, landete auf seinem Konto am Ende des Monats weniger Geld.
Ein Problem, das sich in Zahlen fassen lässt, neunzehn Prozent weniger
als die Stammbelekschaft, bekommen Leihbeschäftigte laut der
Bundesagentur für Arbeit in der Regel für die gleiche Arbeit. Bei
Thomas B. waren es mal zwei- bis drei Euro die Stunde weniger, in dem
Metallbetrieb, für den er zum Schluss arbeitete, ging er mit zehn Euro
pro Stunde nach Hause, die Stammbeschäftigten mit sechzehn. Diesen
Lohnunterschied klagt er nun vor dem Arbeitsgericht in Köln ein.
Das wollte ich mir nicht gefallen lassen, obwohl ich einfach gedacht
habe, das ist ungerechtes Stinkt, und Vorteil von den Leiharbeitern
hat der Einsatzbetrieb, der die Leute schnell wieder loswerden kann,
der die als Rückmittel einsetzen kann, den Vorteil hat die Leihfirma,
die daran verdient und der einzige, der in dem Spiel verliert, ist der
Leiharbeiter. Und der muss auch zu den Gewinnern gehören.
So kann man auch ein Richtungsweisen des Urteil des Europäischen
Gerichtshofs zusammenfassen, zumindest zu den Verlierern sollen
Leiharbeiter nicht mehr gehören. Werden Leiharbeiter im Vergleich zur
Stammbelekschaft schlechter bezahlt, müssen sie dafür einen
gleichwertigen Ausgleich bekommen, etwa durch deutlich mehr Urlaub
oder Ähnliches.
Dem Urteil liegt ein ganz ähnlicher Fall wie der von Thomas B. Eine
Leiharbeiterin aus Bayern hatte sich bis zum Bundesarbeitsgericht
hochgeklagt. Sie prangerte an, dass sie, als Leiharbeiterin nur gut
neun Euro die Stunde verdient habe, während ihre stammbeschäftigten
Kolleginnen und Kollegen mehr als dreizehn Euro fünfzig bekommen
hätten.
Und das, obwohl eine EU-Richtlinie den Grundsatz Equipay in der
Leiharbeit schon lange vorschreibt, also gleicher Lohn für gleiche
Arbeit. Doch die entsprechende EU-Richtlinie bietet den
Mitgliedstaaten ein Schlupfloch, das man sich in Deutschland zu Nutze
macht.
Ist der schlechtere Lohn in einem Tarifvertrag geregelt, darf in der
Leiharbeit doch schlechter bezahlt werden als in den Stammbetrieben.
So einfach geht das nicht mehr, urteilte im Dezember zw.z.z. der
EUGH.
Der EUGH hat gesagt, die Leiharbeitsrichtlinie lässt es zwar zu,
dass man durch Tarifvertrag, besondere Regelung schafft, es muss aber
der sogenannte Gesamtschutz des Leiharbeitnehmers erhalten bleiben und
diesen Gesamtschutz haben sie in der Weise definiert, dass sie gesagt
haben, es muss, wenn man vom Lohn nach unten abweicht, auf der anderen
Seite eine Kompensation geben, zum Beispiel längeren Urlaub oder
ähnliches.
Also das Schutzniveau muss gleichwertig sein und das ist etwas Neues.
Wolfgang Deupler ist emeritierter Professor für Deutsches und
Europäisches Arbeitsrecht der Universität Bremen. Gesamtschutz, das
heißt für den EUGH, wenn Leihbeschäftigte schlechter bezahlt werden
als Stammbeschäftigte, müssen sie dafür einen wesentlichen Ausgleich
bekommen, da genügt nicht ein Werbe geschenktes
Leiharbeitsunternehmens wie der Generalanwalt des EUGH anmerkt.
Sondern für deutlich weniger Lohn muss es beispielsweise deutlich mehr
Urlaub geben. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in der Sache
nicht das letzte Wort. Das liegt an der Arbeitsteilung der Gerichte.
Der EUGH ist für die Auslegung des EU-Rechts zuständig, was genau
die Entscheidung aber für das deutsche Rechtssystem bedeutet, muss das
Bundesarbeitsgericht entscheiden, das den Fall nun wieder auf dem
Tisch hat.
Ich kann mir das eigentlich nicht anders vorstellen, als dass das
Bundesarbeitsgericht sagen wird, Tarifverträge ohne Kompensation
können den Equal Pay-Grundsatz nicht verdrängen, also gilt der
gesetzliche Grundsatz von Equal Pay. Und das ist eine Aussage, die
muss eigentlich in dieser Deutlichkeit kommen, dann können sich ja
andere Leute darauf berufen und dann kann man daraus konsequenzen sie.
Für den Fall der Leiharbeiterin aus Bayern würde das bedeuten, wenn
sie beweisen kann, dass sie tatsächlich rund drei Euro fünfzig die
Stunde weniger verdient hat, müsste das Leiharbeitsunternehmen ihr den
Unterschied zahlen, denn im Tarifvertrag der Fürsigalt war ein
Ausgleich für den schlechteren Lohn nicht vorgesehen.
Genauso ist es auch beim ehemaligen Leiharbeiter Thomas B. Auch sein
Fall ist bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ausgesetzt.
Nicht nur Leihbeschäftigte, auch Gewerkschaften,
Leiharbeitsunternehmen und die Bundespolitik schauen deshalb nun nach
Erfurt zum Bundesarbeitsgericht, weil es die weitreichende
Grundsatzfrage gleicher Lohn für gleicher Arbeit geht.
Egal wie das Bundesarbeitsgericht entscheidet, es dürfte eine
Entscheidung darüber werden, ob das System der Zweiklassenbezahlung
von Leiharbeitern und Stammbeschäftigten ein Ende findet oder
weitergeht. Mehr als achthunderttausend Beschäftigte arbeiten in
Deutschland in der Leiharbeit.
In wohl keinem anderen Bereich ist die Tarifbindung so hoch, nämlich
achtundneunzig Prozent. Das klingt gut, aber wie gesagt, erst die
Tarifverträge ermöglichen die schlechtere Bezahlung, sie sind das
Schlupfloch der europäischen Richtlinie, das in Deutschland genutzt
wird.
Diese Tarifverträge könnten neu verhandelt werden müssen, wenn das
Bundesarbeitsgericht die Rechte von Leiharbeitern stärken sollte. Beim
Interessenverband der deutschen Zeitarbeitsunternehmen EGZ mag man
sich dieses Szenario noch nicht ausmalen und schätzt auch die
juristische Ausgangslage anders ein.
Unseresachtens war das deutsche Recht den Gesamtschutz der
Zeitarbeitskräfte, wir bieten gute Arbeitsbedingungen in unseren
Tarifverträgen, wir haben jetzt im Januar noch einmal ein
Tarifabschluss gemacht mit Lohnsteigerung von bis zu dreizehn Prozent
in einer Laufzeit von einem Jahr, also da müssen wir uns nicht
verstecken, wenn man das vergleicht mit den Abschlüssen in anderen
Branchen.
So Martin Dreyer vom Arbeitgeberverband EGZ, er argumentiert, dass
Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in Deutschland gleich doppelt
geschützt seien. Erstens durch die Tarifverträge und zweitens durch
das sogenannte Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz, das Gesetz also, das
in Deutschland die EU-Richtlinie zur Leiharbeit umsetzt. Darin steht,
wenn ein leihbeschäftigter Unbefristet angestellt ist, muss das
Leiharbeitsunternehmen ihn auch in der Zeit zwischen zwei Einsätzen
bezahlen.
Ein Einsatz bei einem Einsatzunternehmen ist zu Ende gegangen, man hat
keinen unmittelbaren Anschluss-Einsatz und dann ist der Mitarbeiter im
Gründe genommen, er kann zu Hause sein, er muss nicht arbeiten und …