Antisprache: Geistiges Eigentum

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Der taz-Titel von gestern hat einen guten Teil der aktuellen Diskussion um „geistiges Eigentum“ nicht schlecht subsumiert.

Ich mag ja hartherzig sein, aber mein größter Schmerz an der derzeit laufenden Diskussion um eine Aussetzung des Patentschutzes für SARS-2-Impfstoffe ist, dass mal wieder alle über „geistiges Eigentum“ (GE) reden. Das ist bitter, weil das Antisprache – also Sprache, die Bedeutung verschluckt statt trägt – ist, die selbst nach Maßstäben von Antisprache großflächig Schaden anrichtet, beginnend bei der Exklusion von Rechnerplattformen via DRM oder der Strom- und Bandbreitenverschwendung durch Streaming. Weit relevanter: ohne die durch den GE-Begriff angerichtete Verwirrung wäre das Massaker kaum vorstellbar, das unsere private Medikamentenproduktion vor allem außerhalb von Pandemiezeiten (ich erinnere nur kurz an den endlosen Skandal Tuberkulosetherapie) anrichtet.

GE ist Antisprache, weil es so in etwa drei Rechtssysteme, die aus ganz unterschiedlichen Gründen geschaffen wurden, unter einem allgemein bekannten, aber unpassenden Begriff („Eigentum“) zusammenfasst und so zum Verschwinden bringt, wozu die drei Konzepte jeweils geschaffen wurden. Das wiederum ruiniert diese ursprünglich zumindest nachvollziehbaren Zwecke, bis praktisch nur noch „na ja, einer muss halt reich werden dabei“ übrig bleibt.

Die drei Rechtsbegriffe sind Urheberrecht, Patentschutz und Markenschutz. Zumindest bei zwei davon fällt sofort auf, dass das mit dem „Eigentum“ nicht hinkommen kann, denn sie sind zeitlich befristet, während BGB-konformes Eigentum nur unter recht extremen Umständen verlorengeht, sondern per Erbrecht in gewissem Sinn perpetuiert wird (wozu auch einiges zu sagen wäre – aber es geht hier ja nicht um Eigentum). Beim Markenschutz sieht das anders aus – aber den können sie meinetwegen auch behalten, jedenfalls solange culture jamming nicht gleich ins Gefängnis führt.

Urheberrecht

Das Urheberrecht hat seine Wurzeln im 18. Jahrhundert, als sich Gesellschaften allmählich darüber verständigten, dass Kunst auch mal unabhängig von kirchlichen oder adligen MäzenInnen entstehen können soll. Dazu musste die Arbeit der KünstlerInnen in den damaligen (ja, na ja, leider auch den heutigen) Gesellschaften irgendwie entlohnt werden, was letztlich heißt: sie muss handelbare Waren hervorbringen. Bei Kultur, die in aller Regel mit relativ wenig Aufwand vervielfältigt werden kann, ist der übliche Weg zur Warenform die enge Kontrolle öffentlichen Zugangs. Das Urheberrecht ist nichts anderes als die staatliche Garantie auf die Durchsetzbarkeit so einer Kontrolle obwohl es einfach wäre, den Kram breiter verfügbar zu machen.

Weil im 18. Jahrhunder noch keine Antisprache des Typs GE verwirrte, kam niemand auf die Idee, diese Garantie mit dem Eigentumsbegriff zu belasten. Im Gegenteil: Eben weil das Urheberrecht die Verfügbarkeit von Literatur, Musik und anderen Kulturgütern ohne physischen Grund beschränkt, war seine Befristung ganz zentral. Wenn der Zweck des Urheberrechts – die KünstlerInnen zu füttern – glaubhaft erfüllt war, wurden die Werke in die Gemeinfreiheit entlassen.

Relativ klar sagt das die wohl älteste Urheberrechtsregelung, die noch in Kraft ist, nämlich Artikel 1, Abschnitt 8, Satz 8 der US-Verfassung. Danach hat das Parlament die Macht,

To promote the Progress of Science and useful Arts, by securing for limited Times to Authors and Inventors the exclusive Right to their respective Writings and Discoveries.

Die Antisprache GE versteckt, dass der Sinn des Urheberrechts einzig und allein war, den, na ja, „Fortschritt von Wissenschaft und nützlichen Künsten“ zu fördern, und dass sich die Zeit der Zugangsbeschränktung genau an der Erfüllung dieses Zwecks zu messen hatte.

Dieser Gedanke ändert viel: Glaubt wirklich jemand, relevante Literatur würde geschrieben, hörbare Musik gemacht, weil jemand auf Gewinn in, sagen wir, fünf Jahren hofft? Hat Ray Davies das schöne Lied von der Village Green Preservation Society (das mir seit Tagen im Kopf herumspukt) aufgenommen, weil seine Töchter (und vor allem spotify) noch 70 Jahre nach seinem Tod die Einnahmen aus Zugangsbeschränkungen erhalten werden?

Wer solche Fragen stellt, wird vermutlich auf vernünftige Schutzzeiten von fünf oder zehn Jahren kommen, aber ganz gewiss nicht auf die 70 Jahre nach dem Tod des/der SchöpferIn aus dem Micky-Maus-Schutzgesetz. Es ist dieser Diskurs, gegen den sich die Rechteverwerter und ihre ApologetInnen mit der Rede von GE immunisieren wollen.

Patente

Während Urheberrechte das Bruttosozialprodukt im Groben steigern (weil Leute Geld ausgeben müssen für Kram, den sie zumindest in Zeiten des Internet praktisch umsonst haben könnten), sind Patente in der Regel schlecht für die Möglichkeiten des individuellen Reichwerdens: wenn einE PatentinhaberIn auf den Rechten sitzt, wird irgendwas im Zweifel nur sehr eingeschränkt hergestellt und nur eine Person wird reich. Das mag diese Person beim Erfindungsprozess motivieren, aber langfristig geht das böse auf die Produktions- und damit Akkumulationsmöglichkeiten.

Bei komplexen Produkten und Produktionsverfahren wären außerdem bei Schutzzeiten wie beim Urheberrecht so viele Patente zu berücksichtigen (heute noch etwa ein guter Teil dessen, was während des zweiten Weltkriegs erfunden worden ist – die ErfinderInnen sind ja oft noch keine 70 Jahre tot), dass der Kapitalismus zu einem knirschenden Halt kommen würde.

Und so überrascht es nicht, dass Patente nur für 20 Jahre ab Anmeldung gelten. Warum das Copyright-„Eigentum“ viel heiliger sein soll als das Patent-„Eigentum“, ist nur durch Rekurs darauf erklärbar, dass es sich in keinem Fall um „Eigentum“ handelt, und ihre Grundlage ist genau nicht – wie beim Eigentum – ein staatlicher Schutz für die private Verfügungsgewalt über Gegenstände, die nicht einfach vermehrt werden können. Geht es beim Urheberrecht ums Füttern der AutorInnen, gehts es beim Patentschutz in erster Linie um die Veröffentlichung von Erfindungen, deren breiterer Einsatz sinnvoll sein könnte.

Während aber viele (beileibe aber nicht alle) InhaberInnen von Urheberrechten diese befürworten, ist das bei Patenten ganz anders: Eigentlich alle, die mit Technik herumfuhrwerken und Dinge basteln, sind von Patenten schwer genervt. Und während das Urheberrecht mit dem Einkommen einiger der SchöpferInnen immer noch zumindest entfernt etwas zu tun hat, sind Patente jedenfalls in meinem Bereich heute klar schädlich für den „Progress of Science“ (oder meinetwegen „Technology“). Das mag im Kernbereichs des Maschinenbaus vielleicht etwas anders sein, aber generell wäre ohne die Antisprache über GE doch recht schnell die Frage nach einer massiven Einschränkung des Patentunwesens auf dem Tisch.

So danke ich allen verfügbaren GöttInnen, dass meine Universität darauf verzichtet, „Erfindungen“ von mir patentieren zu wollen – das wäre nämlich ihr Recht, und gemessen an dem, was im Software- und Rechnerbereich patentiert wird, gäbe es da ganz gewiss auch genug (na gut: wenn nicht schon wer anders die naheliegende Idee des Tages mit einem breiten Patent erschlagen hätte). Diese Patentverfahren würden Unmengen an Zeit und Energie binden, ohne dass das irgendeinen (gesellschaftlichen) Nutzen hätte, ganz zu schweigen von der Mühe, die ich eigentlich auf die Prüfung verwenden müsste, ob irgendwas, das ich gerade schreibe, von irgendwem patentgeschützt ist; wenn Fortschrittsbalken und One-Click-Shopping patentfähig sind, könnte ich keine nichttriviale Funktion schreiben, ohne eine solche Prüfung durchzuführen.

Was ich natürlich nicht tue, und daher kommt dann auch mein Dank an höhere Wesen sowie mein weites Umfeld für ihr Desinteresse an Patenten, ganz speziell den Leuten, die in den Ministerien über meine Projektförderung entscheiden. Die Zeitersparnis, den Patentquatsch komplett ignorieren zu können, wäre sicher allen Software-Menschen zu wünschen, und entsprechend ist mir keineE ProgrammierIn bekannt, der/die nicht z.B. die Kampagne gegen Softwarepatente der FSFE wenigstens wohlwollend zur Kenntnis nehmen würde.

Im Pharmabereich ist der Schaden durch Patente vielleicht nicht ganz so gut erkennbar, wenn auch das Missverhältnis zwischen hunderten von Statinzubereitungen, die westliche KundInnen mit aller Gewalt übergeholfen bekommen, und dem oben erwähnten Massensterben an Tuberkulose ohne nennenswerte private Anstrengungen zu dessen Milderung nicht nur mich zornig macht.

Da hilft die Gebetsmühle des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller, der Patentschutz sei notwendig zur Entwicklung neuer Medikamente, wirklich nicht. Zunächst lehrt ein kurzer Blick in PubMed – was zweifellos die Forschung im medizinischen Bereich besser abbildet als irgendetwas anderes –, dass publikationswürdige Forschung zu Krankheiten und ihrer Heilung fast ausschließlich mit öffentlichem Geld stattfindet. Sucht nach irgendeiner Krankheit und schaut euch die Affiliations der ersten paar Arbeiten an: Wenn da überhaupt irgendwo privates Geld vorkommt, sind es gemeinnützige Stifungen wie der Wellcome Trust, die die Forschungen ganz sicher nicht wegen der Aussicht auf künftige Patenteinnahmen finanzieren – oder vielleicht noch Leute, die aus der Privatindustrie über ihre letzten Forschungen an Unis und Instituten berichten.

Erst bei den klinischen Studien kommen die Unternehmen ins Spiel, und auch dann wird in aller Regel noch reichlich öffentliches Geld zugeschossen, etwa über die Kliniken, die die Studien mittragen. Aber gerade dieses System ist besonders kaputt, da trotz öffentlich finanzierter Beteiligung (die dann nicht selten durch Schweigeabkommen – Non-Disclosure Agreements – gebunden ist) fast nur positive Studien veröffentlicht wurden (und eigentlich immer noch werden), was wiederum die Grundlagen der Testtheorie aushebelt und so selbst die gut gemachten Studien entwertet.

Innerhalb des gegenwürtigen Systems versprechen Studienregister ein wenig Abhilfe. Viel besser wäre jedoch eine staatlich finanzierte Zentralstelle, die solche Studien mit gleichbleibender Abdeckung, Sorgfalt und Publikationsdichte durchführt. Und das gilt selbst dann, wenn diese Zentralstelle am Ende nach dem Vorbild von RKI oder PEI eher nur so halb funktionieren würde. Dann würde natürlich auch noch das letzte irgendwie glaubhafte Argument für die Alimentation der Pharma-Unternehmen durch Patente wegfallen.

Die Antisprache vom GE ist eine Immunisierung der Industrie gegen solche wirklich nicht fernliegenden Ideen. Was für ein historischen Unglück, dass die Piratenpartei weiland mit dem Thema „geistiges Eigentum ist ein ekliger Kampfbegriff“ überhaupt nicht in die Öffentlichkeit gekommen ist. Das könnte natürlich durchaus mit dem Geschäftsmodell großer Teile der wahrgenommenen Öffentlichkeit zu tun haben, die sich ja, siehe beispielsweise „Leistungsschutzrecht“, der Rede von GE auch gerne bedient, um destillierten Unsinn gesellschaftlich akzeptabel zu machen.

Zum Abschluss will ich noch eine Anekdote aus meiner Zivildienst loswerden, die ganz gut illustriert, was aus den Lizenzeinnahmen aus den Pharmapatenten wirklich wird. Ich habe damals auf einer Intensivstation gearbeitet, wo es, unabhängig von allen Primärdiagnosen, ständig um Infektionen ging. Ein Standard-Antibiotikum war dabei Gentamycin, das es Ende der 80er Jahre schon als Generikum gab, aber auch in einer „Marken“-Zubereitung von Eli Lilly mit dem Namen Gernebcin. Als nun die Vertreterin von Eli Lilly eines Tages mit Brezen vorbeikam und diese altbacken waren, verkündete der Stationsarzt (immerhin erst nach Abkunft der Vertreterin): „Also, Gernebcin bestellen wir jetzt nicht mehr. Die Brezeln von der Eli Lilly-Tante waren lätschert“.

Das war Spaß. Aber anekdotisch würde ich sagen, dass die Nutzung des generischen Gentamycins im Anschluss doch stieg.

Nachtrag (2021-08-11)

Gerade die Corona-Geschichte – bei der es im Vergleich zu den üblichen Statin-Neuverpackungen ja wirklich um etwas geht – illustriert meinen Punkt über die Nutzlosigkeit großer Teile des gegenwärtigen Patentsystems ganz wunderbar. Jens Berger hat in den Nachdenkseiten mach nachgerechnet und herausgefunden, dass der Staat die Entwicklung der Impfstoffe mehr als komplett finanziert hat. Er hat BioNTech 375 M€ gegeben, diese haben wollen aber lediglich 359.9 M€ in die Corona-Forschung gesteckt haben (und das drüfte schon gestreckt sein). Es zeigt sich: eine Sozialisierung der Medikamentenentwicklung und in der Folge eine Abschaffung von Patenten im engeren Gesundheitswesen würde allen nutzen (na ja, bis auf ein paar ganz wenige; AnlegerInnen wohl vor allem).

Zitiert in: Escher in der ODEG: Ein Bahnfenster mit merkwürdiger Parkettierung Warum CRISPR im Elfenbeinturm bleiben sollte: Entholzte Pappeln Besuch bei Schurken: Im Reiss-Engelhorn-Museum Demächst frei: Ein wilder Auto-Rant Zu Fuß im Zug ins Netz Geistesgegenwart um Mitternacht: Tut sie aber nicht

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