Kurz nachdem das Web seine akademische Unschuld verloren hat, Ende der 1990er, habe ich den UNiMUT Schwobifying Proxy geschrieben, ein kleines Skript, das das ganze Web in Schwäbisch, hust, erlebbar machte. Tatsächlich hat mir das gegen 2002 meine 15 Minuten des Ruhms verschafft, inklusive 200'000 Zugriffen pro Tag (fürs damalige Netz rasend viel), Besprechungen auf heise.de, spiegel.de und, für mich offen gestanden am schmeichelndsten, in Forschung aktuell (also gut: Computer und Kommunikation) im Deutschlandfunk.
Ein heimlich verwandtes Web-Experiment war dass Dummschwätzranking von 1998, das – nicht völlig albern – die Dichte von (damals gerade modernen) Heißdampfworten in Webseiten beurteilt hat – dafür interessieren[1] sich bis heute Leute.
Beide Spielereien sind praktisch abgestellt, teils, weil das kommerzielle Internet und SEO solche Sachen rechtlich oder praktisch sprengen. Teils aber auch, weil sie darauf bauen, dass das, was Leute im Browser sehen, auch in etwa das ist, was im HTML drinsteht, das so ein Programm von den Webservern bekommt. Das aber ist leider im Zuge der Javascriptisierung des Web immer weniger der Fall.
Nun ist sicherlich die Habituierung der Menschen an „lass einfach mal alle Leute, von denen du was lesen willst, Code auf deiner Maschine ausführen“ die deutlich giftigere Folge des Post-Web-1-Megatrends. Aber schade ist es trotzdem, dass zumindest im kommerziellen Web kein Mensch mehr in die Seiten schreibt, was nachher in den dicken Javascript-Browsern angezeigt werden wird.
Und weil das schade ist, habe ich einen postmodernen Nachfolger des Dummschwätzrankings geschrieben: Die Crapicity-Maschine (sorry, nicht lokalisiert, aber sprachlich sowieso eher arm). Ihre Metrik, namentlich die Crapicity oder kurz c7y: das Verhältnis der Länge lesbaren Textes (das, was ohne Javascript an Zeichen auf den Bildschirm zu lesen ist) zur Gesamtlänge der Seite mit allem eingebetteten Markup, Javascript und CSS (also: externes Javascript, CSS usf nicht gerechnet). In Python mit dem wunderbaren BeautifulSoup-Modul ist das schnell berechnet:
def compute_crapicity(doc): """returns the crapicity of html in doc. doc really should be a str -- but if len() and BeautifulSoup() return something sensible with it, you can get away with something else, too. """ parsed = BeautifulSoup(doc, "html.parser") content_length = max(len(parsed.text), 1) return len(doc)/content_length
Um diese knappe Funktion herum habe fast 700 Zeilen herumgeklöppelt, die Ergebnisse in einer SQLite-Datenbank festhalten und ein Webinterface bereitstellen. Als Debian-und-eine-Datei-Programm sollte das recht einfach an vielen Stellen laufen können – wer mag, bekommt die Software bei codeberg.
Die Web-Schnittstelle bei https://blog.tfiu.de/c7y hat aber den Vorteil, dass sich die Scores sammeln. Spielt gerne damit rum und empfiehlt es weiter – ich fände es putzig, da vielleicht 10'000 Seiten vertreten zu haben. Ich habe selbst schon knapp 200 Web-Ressourcen durchgepfiffen, meistenteils Links aus dem Blog hier.
Im Groben kommt raus, was wohl jedeR erwartet hat: Das kommerzielle Netz stinkt, alter Kram und Techno-Seiten sind meist ganz ok. Allerdings habe ich den aktuellen Spitzenreiter, eine Reddit-Seite mit einem c7y von über 17'000, noch nicht ganz debuggt: Erstaunlicherweise ist die Seite auch im netsurf und ohne Javascript lesbar. Wie sie das macht: nun, das habe ich in 800 kB Wirrnis noch nicht rausgefunden, und der Quellcode der Seite sieht so schrecklich aus, dass der Score sicherlich verdient ist.
Ich nehme mal an, dass derzeit alle youtube-Seiten bei c7y=8222 liegen; dort ist ja durchweg ohne Javascript nichts zu sehen, und so haut auch dieser Score prima hin. Bei taz.de (gerade 892) geht es vielleicht nicht so gerecht zu, denn die Seite funktioniert in der Tat auch ohne Javascript ganz gut. Eventuell ist hier BeautifulSoup schuld. Hochverdient hingegen sind die 682 von nina.no – das ist ohne Javascript leer. Eine Twitter-Seite liegt bei 413, Bandcamp bei 247.
Vernüftige Seiten liegen dagegen zwischen etwas über eins (minimales Markup) und zehn (z.B. wenig Text mit viel CSS). Dishonorable Mention: uni-heidelberg.de liegt trotz Akademia bei 177. Tatsächlich ist die Seite auch in normalen Browsern[2] halbwegs lesbar. Der schlechte Score liegt vor allem an eingebetten SVGs, ist also schon ein ganz klein wenig unfair. Aber ehrlich: wer für ein bisschen Glitz ein paar hundert Zeichen Text auf satte 680k aufbläht, hat eine große crapicity verdient, auch wenn die Seite selbst nicht richtig kaputt ist. Wer unbedingt so viel Glitz haben will, soll externe Bilder verwenden – die muss ich nicht runterladen, wenn ich nicht will.
Wer interessante Krapizitäten findet: Die Kommentarbox wartet auf euch.
[1] | Na gut, viel von dem Interesse kam aus erkennbar aus SEO-Kreisen; das war dann auch einer der Gründe, warum ich das eintragen von Links beim Dummschwätzranking abgestellt habe. |
[2] | Definiert als: Alles außer den Monstren Firefox, Chrome, Webkit und ihren Derivaten. |