Während ich dieses Blog geschrieben habe, habe ich eine Faszination für
Pannen in Live-Medien entwickelt, und vor allem für die mehr oder minder
coolen, eleganten oder auch weniger eleganten Reaktionen der jeweils am
Mikrofon Befindlichen. Dieser Tag versammelt meine Fundstücke.
Als weiteres Beispiel in meiner Sammlung live gesendeter Versprecher
und des souveränen Umgangs mit ihnen habe ich hier ein schönes Exponat,
das die Augen-zu-und-durch-Strategie illustiert. Sie empfielt sich
besonders, wenn Korrekturen absehbar nichts besser machen werden.
Das war nach meiner Einschätzung der Fall in der 16:30-Ausgabe der
Deutschlandfunk-Nachrichten am 18.9.2024, als der anonyme Sprecher (seit
wann sagen die eigentlich am Schluss nicht mehr „gelesen von XY“?) die
Unicef zum Hilfskinderwerk gemacht hat:
Ein Hilfskinderwerk? Ist das eine Fabrik mit mehrheitlich minderjährigen
„ArbeitnehmerInnen“? Ein Betrieb zur Bereitstellung von KindersoldatInnen?
Ein temporärer Ersatz für solche Unternehmungen, solange deren normale
Gebäude renoviert werden? Nun: Da ist auch mit „Verzeihung:
Kinderhilfswerk“ nichts mehr einzufangen. Wer immer die Sendung hört,
hat sich das – oder Schlimmeres – schon selbst überlegt. Also: Einfach
weitermachen.
So oder ähnlich stelle ich mir die fieberhaften Überlegungen des
Nachrichtensprechers während der hier rötlich markierten Pause von
ungefähr einer Sekunde vor:
Profi ist, wer nach all dem einfach weiterredet, als wäre nichts
gewesen. Na gut, fast: zwei Wörter weiter gab es schon nochmal ein Echo
der Pause, aber das zählt nicht.
Unterdessen würde mich interessieren, ob es für den kleinen Kicks am
Anfang der Gedankenpause eine psycholinguistische Bezeichnung gibt und
ob bekannt ist, ob das eher der Anfang der schon vorbereiteten
nächsten Laute ist, die nicht rechtzeitig gebremst wurden, oder doch
eine Art Bremslaut im weiteren Bereich des Äh. Sachdienliche
Hinweise nehme ich gerne entgegen.
Ich habe mich hier schon des Öfteren als Fan von Live-Medien und dem
mehr oder minder professionellen Umgang mit ihren Pannen geoutet –
natürlich immer mit besonderer <hust> Mühe, jeden Anschein von
Schadenfreude zu vermeiden.
Vor diesem Hintergrund fand ich den Umgang des anonymen Sprechers[1] mit einer offensichtlichen Panne bei den 16:30-Nachrichen am
23.1.2024 im Deutschlandfunk (ja, ich bin ein wenig hinterher bei meinem
asynchronen Radio-Konsum) nachgerade unfassbar professionell. Hört euch
das hier mal an:
Als ich das hörte, war ich hingerissen, wie der Sprecher völlig ungerührt
weiterliest, obwohl ihm spätestens nach wenigen Sekunden aufgefallen
sein muss, dass er sich gerade wiederholt. Gut – ich hätte jetzt ein
„Verzeihung, diese Nachricht hatten wir gerade schon“ eigentlich
sympathischer gefunden. Die größere Kunst jedoch ist, so glaube ich,
überzeugend so zu tun, als sei gar nichts.
Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass für den
Sprecher tatsächlich gar nichts war. Folgt mir kurz auf meinem Weg zu
dieser Entdeckung.
Wer im Audio genau hinhört, hört ganz am Anfang ein Blättern; dass da
(noch) geblättert wird, hat mich zunächst nicht verunsichert, denn die
Werkzeuge von Profis ändern sich langsam. Es ist aus meiner Sicht gut
möglich, dass die Leute im DLF noch nicht vom Computer weglesen. Dass
vor der Wiederholung nochmal ein Blättern zu hören ist, hat mich auch
noch nicht verblüfft. Im Gegenteil ist es höchst plausibel, dass es zur
Wiederholung kam, weil zwei Kopien des gleichen Blattes im
Nachrichtenstapel lagen.
Allerdings sahen beim Beschneiden im Audio-Editor die Wellenformen von
Blättern und Lossprechen schon ganz verblüffend ähnlich aus. So ähnlich,
dass ich mir die Mühe gemacht habe, die Wiederholung unter das Original
zu legen und (etwas improvisiert) mithilfe meines pyscreenruler als
Hilfslinie aneineinander auszurichten:
Nein: Auch der professionellste Sprecher kann nicht so exakt parallele
Signalverläufe hervorbringen.
Nachtrag (2024-03-02)
Weil Proteste kamen: Ja, in ganz feinen Details unterscheiden sich die
Kurven. Das kommt einerseits vielleicht ein wenig aus der
unterschiedlichen Vorgeschichte der beiden Signale, die in die
Kompression eingegangen ist. Yor allem ist das etwas, das grob unter
dem Begriff unter „Aliasing“ läuft: Wenn ihr einen etwa ein Pixel
breiten Gipfel durch zwei Pixel durchschiebt, ist manchmal nur in
einem richtig Signal und manchmal in beiden. Hier ist die Lage der
beiden Signale bezüglich des jeweils ersten Samples (Audio-Pixel, wenn
ihr so wollt) leicht verschieden, und drum „wackelt“ es auf Pixelebene
manchmal ein wenig.
Das ist entweder digital erzeugt oder
digital wiederholt worden. Eine Roboterstimme mit dieser Qualität und
dann noch beim Deutschlandfunk ist wohl auszuschließen (schon, weil es
dort einen Personalrat gibt). Da die Doppelung genau an
Satzgrenzen beginnt und aufhört, scheint auch eine natürliche Ursache
für die Dopplung – sagen wir, ein Puffer, dessen Fortsetzung nicht
rechtzeitig fertig ist und der dann einfach wiederholt wird – jedenfalls
sehr unwahrscheinlich (mal abgesehen davon, dass kein plausibler Puffer
20 Sekunden lang wäre).
Bliebe noch, dass da jemand bewusst geschnitten bzw. geloopt hat. Aber
wie geht das? Soweit ich weiß, werden die Nachrichten im DLF live
gesprochen, was heißt, dass der Loop mehr oder weniger in Echtzeit
produziert worden sein muss. Geht sowas überhaupt? Vor allem aber: Wer
sollte das tun wollen? Und warum?
Fazit im Hinblick auf Live: Leider ist hier kein Nachrichtensprecher
ohne Nerven zugange. Wer immer da redet, hatte seinen Job schon getan,
als irgendwer anders diesen Loop in seine Sprache einbaute.
Ich glaubte mich zu erinnern, dass die
DLF-NachrichtensprecherInnen früher ihre Namen gesagt haben. Haben
sie nicht, jedenfalls nicht 2001. Ich habe extra in meinem Archiv
nachgehört. Dabei bin ich allerdings über Verkehrsmeldungen
gestolpert, die sie damals noch gebracht haben, und darüber bin ich
(etwas perverserweise) nostalgisch geworden („Seewetteramt Hamburg“).
Für andere DLF-DauerhörerInnen hätte ich hier eine
Flashback-Gelegenheit, nämlich die Verkehrsmeldungen vom 24. August
2001, 16:34:
Am Samstag hat Rainer Brandes in den DLF-Informationen am Morgen Daniel
Möllenbeck[1]zur Frage der Bundesjugendspiele interviewt.
Das Gespräch bot viele Belege für meine Behauptung, Sport sei rechts,
etwa, wenn Möllenbeck diesem den Begriff „Spaß an Bewegung“
gegenüberstellt (ca. 2:35), oder wenn Brandes gleich danach von
„verweichlicht“ redet und Möllenbeck das offensichtlich als Vorwurf
auffasst.
Aber das ist nicht der Grund, warum ich diesen Post schreibe. Nein, der
Grund ist ein ganz eigenartiger Live-Moment. In der Regel wird ja bei
einem Interview vorher vereinbart, was so an Fragen kommt, natürlich mit
dem Verständnis, dass das Gespräch auch mal einige Schlenker nehmen
kann. Im Pressebereich ist es vor allem die Sorge vor solchen
Schlenkern, die zu im Nachhinein „autorisierten“ Plastikinterviews
führt. Insofern großes Lob an den DLF und die dort Interviewten, dass
die Gespräche zum Großteil live geführt werden. Presseerklärungen gibt
es schon genug.
Beim Möllenbeck-Interview von gestern gab es nun einen ziemlich großen
und sprechenden Schlenker, und ich frage mich, ob Brandes ihn nicht
angekündigt oder Möllenbeck bei der Vorbesprechung geschlafen hat.
Unabhängig von der Genese halte ich den Austausch für eine wunderbare
Illustration des Werts live gesendeter Gespräche, und ich will hier
explizit nicht Möllenbeck anpissen, der, für einen Sportfunktionär
jedenfalls, eigentlich ganz nett wirkt.
Wer das im Kontext hören will, sollte bei 5:45 anfangen. Ich steige im
Audio hier gleich beim Schulterwurf ein (ab 6:30):
Wenn die Frage nicht abgesprochen war, dann darf es wohl schon als
etwas, haha, unsportlich gelten, einen heutigen Sportfunktionär mit dem
Kaiserreich-und-Danach-Kollegen Carl Diem zu konfrontieren. Das
schwierige Verhältnis der hiesigen Sportorga zu ihrem Doyen mag ein von
der Deutschen Sporthochschule angestrengtes Gerichtsverfahren
dokumentieren: der Laden wollte Diems Namen dringend in seiner Adresse
behalten, als die Stadt Köln ihre Straßennamen entnazifiziert hat.
Wer solche KollegInnen hat, hat sich vermutlich schon mit „kann man
drüber nachdenken“ in den Ruch des – von sowas wird leider nicht nur in
diesen Kreisen immer noch geredet – Verrats gebracht. Was immer jedoch
„Verrat“ sein mag, jedenfalls im vorliegenden Fall ist er eine prima
Sache.
Insofern: Sympathie für Daniel Möllenbeck und alle, die sich trotz des
Risikos erhellender Blicke hinter die Kulissen live interviewen lassen.
Wie viel besser ist dieses Stück Audio als das, was wir bei einem
„autorisierten“ Interview („Der DSLV steht zu seiner historischen
Verantwortung und wird zeitnah und in aller Ruhe beraten, wie eine
zukunftsfeste Lösung unter Beteiligung aller Stakeholder aussehen kann“)
gelesen hätten?
Der Mann ist Vizepräsident eines Ladens namens „Deutscher
Sportlehrerververband“, der entgegen meiner Erwartung keine
Untergruppierung des Beamtenbundes ist, aber dank einer (technisch)
furchtbaren Webseite (ja, ohne Javascript ist das ein
Totalschaden) und der Verwicklung in die „Führungsakademie des DOSB“
dennoch bei mir keine Sympathiepunkte sammelt.
Heute morgen durfte im Deutschlandfunk der schwäbische
CDU-Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei eine Viertelstunde lang
weitgehend unwidersprochen „Ausländer raus“ durchdeklinieren, was
vermutlich wieder niemand skadalisieren wird. Normalität im
Afrikamanagement halt.
Vielleicht zum Trost ist dem Interviewenden Philipp May ein Lapsus
unterlaufen. Ich hoffe ja, er ist dem Stress zuzuschreiben, dem
Interviewten nicht ins Gesicht zu sagen, dass er da in einem Fort
ziemlichen Faschokram erzählt rechte
Narrative bedient:
Wenn das ganze Interview nicht so ein fieser Mist wäre, bei dem Menschen
mit Bürokratensprache wie „Nichteinreisefiktion“ in Volk und Nicht-Volk
sortiert werden, wäre das eigentlich eine schöne Variation des Themas
Live.
Am 22. Januar 2023, kurz nach 20 Uhr, passierte im Deutschlandfunk
– zumindest im Livestream, aber es klingt alles, als sei das auch per
Funk so gewesen – eine der längsten Pannen, die ich im Programm
je gehört habe. Die reiche Textur der Fast-Stille ruft, soweit es mich
betrifft, laut nach der Aufnahme in meine Live-Sammlung. Hört selbst
(aber Vorsicht: ganz am Ende ist normale Lautstärke):
Schon allein, weil das in (oder vor?) der – gerne mal etwas
experimentelleren – Freistil-Schiene lief, bin ich mir bis jetzt nicht
sicher, ob das ein Fall für TechnikerInnen oder KulturkritikerInnen ist.
Das „Hallo“ am Ende meines Ausschnitts hier gehört übrigens zu der
zumindest für fachfremdere Menschen durchaus hörenswerten
Freistil-Sendung übers Reden mit Außerirdischen. Auch das, so finde
ich, passt wunderbar zu diesem Kurzhörspiel mit viel Horchen in
verschiedene Sorten von Stille, bei der mensch nie sicher sein kann,
dass da wirklich niemand ist.
Ich bin ein so großer Fan von Live-Programmen und vor allem Nachweisen
ihrer Authentizität, dass ich hier einen eigenen Tag für diese habe:
Live. Deshalb war ich auch begeistert, als ich in der Forschung
aktuell-Sendung vom 5.12.2022[1] folgende, wie ich finde,
professionell gemanagte Panne verfolgen durfte:
Ich verstehe nicht ganz, wie es zu dieser Panne gekommen ist, aber
erstens finde ich großartig, dass die SprecherInnen im DLF hörbar noch
von Papier ablesen.
Das ist auch nicht nur Nostalgie eines Menschen, der in seiner Jugend
viel Tagesschau angeschaut hat. Tatsächlich ist das wahrscheinlich auch
von einer CO₂-Perpektive nicht schlecht. Mike Berners-Lee[2]
schätzt für ein Blatt Papier 10 g CO₂-Äquivalent. Na gut, bei ihm ist
ein Papierhandtuch, also relativ mieses Papier und recyclet, aber
andererseits schätzt er 400 g für ein Paperback, was gut zu 10 g pro
A4-Seite passt. Für einen „einfachen“ Computer – also ein Tablet –
schätzt er 200 kg CO₂e.
Damit entspräche die Herstellung eines Tablets, das die SprecherInnen
statt des Papiers verwenden würden, 200/0.01 = 20'000 Seiten Papier.
Wenn pro Sendung 10 Seiten draufgehen, sind das 2000 Tage oder fünf
Jahre. Wahrscheinlich hält kein täglich für eine Sendung verwendetes
Tablet so lange.
Zugegeben: das ist Unfug, denn die Seiten müssen ja auch bedruckt
werden, und dazu braucht es Drucker und Toner (zusätzlich zu den
Rechnern, auf denen die zu druckenden Texte geschrieben werden, aber die
würde es beim Tablet auch brauchen), und die machen wahrscheinlich
bereits einen größeren CO₂-Fußabdruck als Strom und Netzwerk, der beim
Betrieb von so einem Tablet. Und dann sind 200 Kilo CO₂e über fünf
Jahre für so eine Sendung ohnehin praktisch vernachlässigbar; so grob
entspricht das (wiederum mit Berners-Lee) einer Recherche-Reise vom
DLF-Standort Köln zum Wendelstein und zurück im ICE.
Aber kurz zurück zur Frage, warum ich das Stück für erhaltenswert
halte: ich finde, dass sich die Sprecherin Britta Fecke hier eigentlich
recht elegant aus der Affäre gezogen hat. Deshalb verstehe ich nicht
ganz, warum der DLF das in der Online-Version rausgeschnitten hat (wo
das bei Minute 9:38 sein müsste; solche Schnitte machen sie nicht
immer). Und ich finde es schade, denn zumindest mein Herz wärmt es,
wenn da Papier raschelt und zu hören, ist, wie Leute Probleme lösen.
Ich habe das erst jetzt „live“ gehört, weil ich die
Mitschnitte der Sendungen höre, wie ich Zeit habe. Wie schon
seit Jahrzehnten kommt mein Material vom Livestrom, nicht aus dem RSS
des DLF oder so.
Berners-Lee, M. (2011): How Bad Are Bananas, Vancouver:
Greystone, ISBN 978-1-55365-832-0; nicht, dass ich nicht Berners-Lees
Mahnung teilen würde, nicht jede Schätzung da drin auf die Goldwaage
zu legen, aber für so schnelle Betrachtungen wie diese hier taugt das
Buch bestimmt.
Nachdem ich hier schon zwei andere Patzer in Live-Übertragungen
diskutiert habe, wird es klar Zeit für ein neues Tag: Live. Ich habe
nämlich noch eine schöne und motivierende Reaktion auf technische
Probleme in einer Live-Sendung [kommt es nur mir vor, als würde deren
Rate zunehmen? Das wäre dann wohl Beleg für Digitalisierung…].
Wieder sind es vor allem Erinnerungen an eigene Telecons, die mir
Volkart Wildermuths Ausbruch in der Forschung aktuell-Sendung vom
19.11.2021 (Kudos an den DLF, dass sie die Panne nicht aus der
Archiv-Sendung rausgeschnitten haben) so sympathisch machen:
—Rechte beim Deutschlandfunk
Der Seufzer bei Sekunde 27! Ich erkenne mich so wieder. Genau mein
Geräusch, wenn der doofe Chromium (wer ist eigentlich auf die
hirnrissige Idee gekommen, ausgerechnet in Webbrowsern Telecons zu
halten?) wieder genau das Alsa-Audiodevice nicht findet, über das ich
sprechen will.
„Mann! Dann ruft mich an.“ Absolut ich. Bis in den Tonfall.
„Das glaub ich jetzt nicht.“ Wie oft habe ich das schon gesagt speziell
seit Corona, etwa, wenn der fiese closed-source zoom-Client (immerhin
kein Web-Browser!) genau das xephyr-Fenster nicht zum Screenshare
anbietet, in dem ich den Kram zeigen wollte (stattdessen aber alle
Fenster von Dockapps, die er jetzt wirklich anhand ihrer Properties
hätte rausfiltern können)? Das ganze Elend mistiger und unfixbarer
proprietärer Software, der Horror von Javascript-Salat, zu deren Nutzung
mich die Technikfeindlichkeit (im Sinne von: ich nehme halt das
Bequemste und Vorgekochteste, was es nur gibt) meiner doch angeblich so
digitalisierungslustigen Umwelt so nötigt: „Ach, Mann, das glaub ich
jetzt nicht.“
Abgesehen von der Panne fand ich in der Sendung übrigens speziell das
das Segment über Flussblindheit wirklich hörenswert: Ich muss
gestehen, dass ich diese komplett vermeidbare Dauerkatastrophe
zwischenzeitlich verdrängt hatte. Noch so ein Ding, bei dem in hundert
Jahren zurückblickende Menschen den Kopf schütteln werden: Wie konnten
die eine so einfach behandelbare Krankheit so viele Opfer fordern
lassen? Während sie, um nur ein besonders bizarres Beispiel zu nennen,
gleichzeitig mit unfassbarem Aufwand High Frequency Trading gespielt
haben?
Wenn ich „was mit Medien“ machen müsste, würde ich versuchen, irgendwas
ohne Video zu erwischen. Und das nicht, weil ich nicht eitel wäre.
Nein, die Überlegung ist eher verwandt mit meinen Ausführungen zum
Panopticon Videokonferenz und werden, wie ich finde, schön
illustriert durch einen Vergleich zwischen dem ruhigen, eleganten,
fast schon heiteren Stolpern um Mitternacht des 3.7. im
Deutschlandfunk und diesem Ausschnitt aus der Tagesschau von gestern;
mein Rat wäre, das Video erst mit geschlossenen Augen laufen zu lassen:
Wie üblich: Wenn euer Browser das nicht abspielt, beschwert euch bei
dessen Hersteller. Wer schon überhaupt Videos im Browserfenster
anzeigen will, kann zumindest auch webm unterstützen. Die Rechte
liegen bei der ARD (also: Das Video ist nicht CC0).
Gut: Ich habe das natürlich gleich mit all dem Gefummel mit Telefon
und Brille wahrgenommen. Ich bin dennoch ziemlich sicher, dass Annette
Dittert hier ohne Bild deutlich souveräner rübergekommen wäre.
Ich bin ja eigentlich niemand, der „Handarbeit“ als Qualitätsprädikat
sonderlich schätzt, aber es ist gerade bei Radio schön, wenn sich zeigt,
dass der Kram zwar aus dem Computer kommt, aber doch noch Menschen vor
dem Computer sitzen.
So ging das am letzten Samstag (3.7.), kurz nach Mitternacht. Mein
Rechner schneidet da immer den Mitternachtskrimi aus dem Live-Programm
des Deutschlandfunks mit und hat dabei dieses großartige Stolpern
aufgenommen:
(um die Bediengeräusche besser herauszubringen, habe ich das Audio etwas
komprimiert). Ich muss sagen, dieses kurze Selbstgespräch fand ich sehr
beeindruckend – und ich habe mich wiedererkannt, denn in dieser Sorte
experimentellen Diskurses mit der Maschine versuche auch ich mich dann
und wann.
Zu diesem schönen Ausschnitt habe ich zwei Einwürfe zu bieten.
Erstens war die dann doch noch folgende Sendung eine leicht
expressionistische Hörspielfassung des Kleist-Klassikers Das Erdbeben
in Chili, die ich hier liebend gerne verteilen würde, weil sie schön
zeigt, was für ein garstiges Gift reaktionäre Hetzerei ist; ich kann mir
nur schwer vorstellen, dass, wer das gehört hat, noch auf das Gift von,
sagen wir, Innenminister Seehofer hereinfallen könnte.
Aber nun, das Urheberrecht hindert mich daran, was mein Argument von
neulich gegen das „geistige Eigentum“ schön illustriert: Das Hörspiel,
vermutlich eine öffentlich-rechtliche Produktion, gäbe es natürlich
auch, wenn ich es jetzt verteilen dürfte, und die Leute, die das damals
gemacht haben, sind hoffentlich schon dabei ordentlich bezahlt worden
und werden kaum auf ein paar Cent für einen Download durch euch
angewiesen sein. Die Existenz des Textes hat offensichtlich nichts mit
Urheberrecht zu tun, denn zu Kleists Zeiten gab es gar keins. Hier
wirken die heutigen („Post-Micky-Maus“) Regelungen diametral gegen den
ursprünglichen Zweck des Urheberrechts, nämlich, der Gesellschaft eine
möglichst reichhaltige Kultur zur Verfügung zu stellen.
Der zweite Einwurf: Über die vergangenen 20 Jahre hatte ich
verschiedene Hacks, um Radio-Streams mitzuschneiden – ich schaudere,
wenn ich an die schlimmen Tage von RealAudio und das Rausfummeln des
Signals über preloaded libraries zurückdenke, die das write der libc
überschrieben haben. Nun, der proprietäre Client wollte kein Speichern
der Streams zulassen (schon wieder das Copyright-Gift!).
Inzwischen ist das Mitschneiden dank ffmpeg und offener Standards auf
der Seite der Radiostationen nur noch ein schlichtes Shellscript. Ich
verwende seit ein paar Jahren das hier:
(wahrscheinlich ist die dradio-Regel kaputt, aber das ist sicher leicht
repariert). Das lege ich an eine passende Stelle, und cron sorgt für
den Rest. Die crontab-Zeile, die mir schon viele Mitternachtskrimis
und eben auch die Perle von oben mitgeschnitten hat, sieht so aus:
05 00 * * sat /path/to/oggsnarf 1:00:00 dlf ~/media/incoming/mitternachtskrimi`date +\%Y\%m\%d`.ogg
Nachtrag (2021-11-01)
Nach ein paar Monaten fällt mir auf, dass nur ganz kurz nach diesem
Post und meiner zustimmenden Erwähnung der Mitternachtskrimis (die
allerdings schon damals zu „blue crime“ geworden waren) der
Deutschlandfunk den seit mindestens meiner späten Kindheit den Krimis
gehörenden Programmplatz am Samstag um 0:05 auf aktuelle
Kulturberichterstattung („Fazit“) umgewidmet hat. Die Crontab-Zeile
hat also nicht mehr viel Wert (und ist längst aus meiner crontab
verschwunden). Ich glaube, die Idee der ProgrammplanerInnen wird
gewesen sein, den Krimi Hörspiel-Podcast als Ersatz anzubieten.