Von der größten Demo in Heidelberg seit Jahrzehnten und der autoritären Versuchung
Eigentlich meide ich Demonstrationen, die sich recht offen an die Seite aktueller oder historischer Obrigkeiten stellen. Das gilt um so mehr, wenn die fragliche Obrigkeit praktisch gleichzeitig zu den Demos de facto faschistoide Gesetze (das Grundrechtekomitee dazu) verabschiedet. Allzu schnell kommt mensch dabei in die Grauzone zur Huldigung oder gar zum Aufmarsch.
Gestern aber habe ich trotz dieser Bauchschmerzen an der wirklich beeindruckend großen Anti-AfD-Demo in Heidelberg teilgenommen. Solange es glaubhaft auch gegen „Remigration“ – besser bekannt unter dem konventionellen Namen Abschiebungen – geht, kann ich unter dem imaginierten Blick der Nachwelt nicht daheimbleiben.
Und es ist ja wirklich großartig, dass da geschätzt 18'000 Menschen auf der Straße waren. Die letzte Demo zu dem Thema – genauer zum entsetzlichen Gemeinsamen Europäischen Abschiebesystem[1] GEAS – in Heidelberg im November war ja leider eher weniger gut besucht:
Außerdem stellt sich in aller Regel auch bei regierungsfreundlichen Demonstrationen heraus, dass sich dort erstaunlich viele Menschen guten Willens sammeln. So war das auch gestern. Es gab viel Zuspruch für meine eingestandenermaßen möglicherweise leicht spalterische Botschaft. Allerdings war von den Regierungsparteien in Baden-Wüttemberg in der Demo auch nicht viel zu sehen.
Verbote fürs Gute?
Auch der gute Wille ändert aber nichts daran, dass ausgerechnet auf einer (letzlich) Antifa-Demo die autoritäre Versuchung breit zu spüren war. Manches „Nazis raus“ mag augenzwinkernd gerufen worden sein und im Bewusstsein, dass es wirklich fies wäre, wem anders die deutschen FaschistInnen überzuhelfen, zumal ja die meisten „anderen“ inzwischen schon genug eigene FaschistInnen haben.
Mein Eindruck war aber, dass doch eine breite Mehrheit der Demonstrierenden ein Verbot der AfD befürwortete. Die Frage vorerst beiseite, ob das irgendeine positive Wirkung hätte: Es ist eben selbst schon autoritär, wenn rechte Gesinnung ausgerechnet über Verbote, Strafen, Zwang, und klar, durch die Obrigkeit geheilt werden soll. Ich habe versucht, das auf der Rückseite meiner Pappe auszudrücken:
Ich will keinesfalls ausschließen, dass der Zweck im Einzelfall mal Mittel heiligen mag. Insofern ist es schon statthaft, darüber nachzudenken, ob mensch nicht doch etwas verbieten möchte, wenn die Machtverhältnisse das zulassen. In diesem Fall mag es sogar (aber nur kurz) erlaubt sein, im Hinblick auf den Zweck voll aufzudrehen und in gefährliche Nähe einer Shoah-Relativierung zu gehen. Aber hätte ein Parteiverbot der NSDAP die Shoah verhindert?
Nation, Volk, Konkurrenz, Hierarchie, Militär: Problem
Ich bin so gut wie sicher, dass das nicht der Fall gewesen wäre, um so weniger, als zwischen 1922 und 1925 die NSDAP (in leicht wechselnden Varianten) verboten war. Anfang der 1930er jedenfalls hätten Hindenburg, Schleicher und Co gewiss alternative Wege zur Machtübergabe gefunden – oder es hätte halt einen Putsch gegeben.
Aber hypothetisch die Eignung von Verboten zur Abwendung faschistischer Verhältnisse unterstellt, würde es im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit an der Notwendigkeit fehlen. Für die Verhinderung der Shoah hätte dann bereits gereicht, dass der ganz „normale“ Reichspräsident Hindenburg die NS-Regierung nicht ernannt hätte („milderes Mittel“); er hätte reichlich alternative Wege gehabt. Es hätte vermutlich immer noch gereicht, wenn die Vorgängerorganisationen von CDU, FDP und AfD (letztere wäre im Augenblick bei mir noch die DNVP) Gewaltenteilung und Rechtsstaat nicht mit voller Absicht abgewickelt hätten. Es sind Einsichten wie diese, die die autoritäre Rede von der „wehrhaften Demokratie“ bei ihrer Erfindung verhindern sollte.
Natürlich wussten Hindenburg und die ihn unterstützende informelle Koalition recht genau, was sie da taten. Sie waren nur selbst von der Verehrung für Nation, Volk, Konkurrenz, Hierarchie, Militär und nicht zu vergessen Antikommunismus durchdrungen. Inhaltlich lagen sie auf einer Linie mit der NSDAP, auch wenn ich gerne glaube, dass viele von ihnen die Methoden des NS-Apparats (also damals vor allem der SA) nicht schätzten. Ich gebe ihnen sogar, dass nennenswert viele von ihnen jedenfalls anfangs weder mit den Verhältnissen in den frühen Konzentrationslagern einverstanden waren noch mit dem Massenmord in Auschwitz, Treblinka und Co oder seinem Vorgänger etwa in Grafeneck oder Hadamar (Beleg).
Von Nazi-Gewehren und Antifa-Pfefferspray
Auch Menschen, die meine Einschützung teilen, ein Verbot bewirke allenfalls ein tieferes Einsinken in den autoritären Morast, mögen einwenden: „Aber irgendwas muss man doch machen!“ Ich würde dem „irgendwas“ darin heftig widersprechen. Wenn dieses „irgendwas“ nämlich autoritärer Grundrechtsabbau ist, ist es allemal besser, nichts zu tun. Grundrechte, die weg sind, sind sehr schwer wiederzubekommen, ganz zu schweigen davon, dass Maßnahmen „gegen rechts“ erfahrungsgemäß wenig später mit zehnfacher Wucht nach links durchschlagen.
Ein schönes Beispiel dazu ist, dass die Behörden in den letzten zwei Jahren jede Menge kleiner Waffenscheine von Menschen aberkannt haben, die sie für Antifas hielten. In den mir bekannten Fällen ging es dabei darum, legal Pfefferspray zur Abwehr von Naziübergriffen mitnehmen zu können. Die ganze Aktion lief in direktem Fallout der rechten Schießerei von Georgensgemünd und der folgenden Verschärfung des Waffenrechts unter der Flagge einer klaren Kante gegen Rechts.
Dabei würde ich noch nicht mal dem (letztlich ohnehin eher zwecklosen) Pfefferspray nachweinen, aber im Nebeneffekt entstanden zumindest gelegentlich, vielleicht sogar grundsätzlich, Einträge in der PIAV-Tabelle zu Waffen- und Sprengstoffkriminalität. Wenn die vielleicht bei einem Grenzübertritt oder im Rahmen der ja für die fremde Polizei häufig überhaupt nicht kontextualisierbaren Prüm-Transfers auftauchen, kann das bei einem Polizeikontakt den Unterschied machen zwischen einem „Guten Tag, der Herr“ und einem „das SEK knallt dich auf die nächstbeste Motorhaube“.
Wie baue ich mir Untertanen?
So versuchend der autoritäre Weg des Verbots sein mag: Nach solchen Überlegungen scheint es mir aussichtsreicher, zunächst so tiefschürfend wie möglich die Frage zu beackern, was eigentlich die Ursachen sind für den fast globalen Trend zur autoritären bis durchgeknallten Zivilreligion von Nation, Volk, Konkurrenz, Hierarchie, Militär – bei hinreichend konsequenter Umsetzung also zum Faschismus.
Dazu haben, ja, schon viele Menschen sehr viel geschrieben, zumeist mit Betrachtungen über erodierende Mittelschichten, Männer (bzw. moderner Baby-Boomer) mit Bedeutungsverlust, dem Abendland an und für sich (in schlechtester Tradition), imaginierten Identitätsverlusten usf. Das ist jedenfalls teilweise bestimmt nicht falsch. Als unbelehrbarer Antiautoritärer (und zumal Klaus Theweleit leider Fußballfan geworden ist) möchte ich aber dafür werben, etwas allgemeiner über Herrschaft nachzudenken, also darüber, wie Obrigkeiten es eigentlich schaffen, ihre Untertanen zur Unterordnung zu bringen.
Die halbe Politologie stellt diese Frage, wenn auch häufig mit aus meiner Sicht ethisch fragwürdiger Betonung: „wie schaffen wir das?“ statt „wie schaffen die das?“. Auch zur Einordnung solcher Arbeiten fand ich meine Variante der Klassifikationen von Herrschaftstechniken eigentlich immer recht nützlich. Danach kann eine Obrigkeit setzen auf:
- göttliche Bestimmung oder eventuell besondere Brillianz („du gehorchst, weil du dazu bestimmt bist“)
- Angst vor der Obrigkeit („du gehorchst, weil ich dir sonst wehtue“)
- Wohlstandsversprechen („du gehorchst, weil es dann dir oder spätestens deinen Kindern dann besser geht“)
- Angst vor der Nicht-Obrigkeit („du gehorchst, weil ansonsten [Wölfe | Japaner | Chinesen | Russen | Griechen | Clans | Arme | Kinderschänder] kommen und dich [fressen | ausnehmen | beherrschen]”).
In realen Machtverhältnissen mischen sich natürlich die einzelnen Techniken in verschiedenen Verhältnissen, die zudem durchweg stark abhängen davon, welche Untergruppe der Untertanen gerade adressiert wird: Höheren Klassen wird mensch als guter Herrscher eher etwas versprechen, niedrigen Klassen oder leicht rassifizierbaren Gruppen eher mit Schmerz und Pein drohen. Welche Mixtur dominiert und wie sehr sie gleichmäßig über die Untertanenschaft ausgebracht wird, bestimmt ganz wesentlich, wie so eine Gesellschaft funktioniert und wie angenehm Menschen in ihr leben können.
Lasst mich deshalb die vier Szenarien etwas ausführlicher betrachten, bevor ich wieder auf den Zusammenhang mit der AfD komme.
Göttliche Bestimmung
Ich fand die These, Religion sei als Mittel erfunden worden, Machtausübung zu legitimieren, schon immer attraktiv. Empirisch hat das augenscheinlich prima funktioniert, etwa bei all den FürstInnen „von Gottes Gnaden“, dem göttlichen Kaiserhaus (das ist das IHDD auf allen möglichen römischen Inschriften) oder auch bei den (fast) frühesten schriftlichen Überlieferungen von Herrschaft überhaupt, dem Codex Hammurapi, dessen einschlägigen Inhalt einE Wikipedia-AutorIn so wiedergibt:
[Es] wird zunächst erklärt, dass der babylonische Stadtgott Marduk durch Anu und Enlil, die höchsten Götter des sumerisch-akkadischen Pantheons, zur Herrschaft über die Menschheit berufen worden sei. Dementsprechend sei Babylon als seine Stadt auch zum Zentrum der Welt bestimmt worden. Damit eine gerechte Ordnung im Land bestehe, Übeltäter und Unterdrückung von Schwachen ein Ende fänden und es den Menschen gut gehe, sei dann Hammurapi zur Königsherrschaft über die Menschen erwählt worden.
Bemerkenswert daran ist bereits, dass schon in dieser ganz frühen Fassung der Claim göttlicher Bestimmung wohl doch nicht als ausreichend empfunden wurde, denn sonst hätte Hammurapi kaum noch verweisen lassen auf „Menschen gut gehe“ (Wohlstandsversprechen) und die „Übeltäter“ (Angst vor der Nicht-Obrigkeit).
Andererseits lässt die moderne Verehrung für <hust> Führungsfiguren zwischen (aktuell) Franz Beckenbauer, (etwa genauso aktuell) Elon Musk oder (seit gefühlt schon immer) Lady Di …