Das DLF-Kalenderblatt vom 27. Januar erinnerte an Luise Zietz, die 100 Jahre zuvor gestorben war. Zietz war die erste Frau im Vorstand einer deutschen Partei – der SPD, ab 1908. Der DLF-Beitrag berichtete auch:
Während des Ersten Weltkriegs sprach sich Luise Zietz als Pazifistin gegen die Bewilligung von Kriegskrediten aus und wurde aus dem SPD-Parteivorstand geworfen.
Gerade dieser Punkt hat mir imporiert, zumal ich, bevor diese Sendung in meinem aynchronen Radio kam, den großen patriotischen Taumel in den Informationen am Morgen vom Dienstag miterleben musste. In diesem kamen, soweit ich ihn verfolgt habe, nur Leute zu Wort wie Jürgen Hardt (der immerhin nur die blinde Gewissheit des Patrioten an den Tag legte, „wir“ seien die Guten) oder wie Michael Gahler (der sich zu „totaler Kriegserklärung“ und „völkisch-faschistischem Verständnis“ verstieg – wo sind die Mahner gegen kreischkrumme Vergleiche, wenn mensch sie braucht?) – jedoch niemand, der_die mal über die Symmetrie der Situation geredet hat, dass „wir“ nämlich nicht nur aus russischer Sicht in etwa ebenso schurkig sind wie „sie“, und dass wirklich niemand die doofen Turf Wars zwischen verschiedenen Schurkengangs haben will. Dass die Moderatorin penetrant Bekenntnisse ausgerechnet zu Waffenlieferungen einforderte, tat ein Übriges: Ich sehnte mich intensiv nach aufrechten Pazifistinnen.
Wie schön wäre es da gewesen, wenn es im SPD-Parteivorstand von 1914 wirklich eine gegeben hätte, die Liebknechts einsame Ablehnung der Kriegskredite – und es wird heute wohl niemand mehr bestreiten, dass er im ganzen weiten Reichstag der einzige war, der sich in dieser Sache vor der Geschichte nicht verstecken muss – unterstützte und dafür noch mit ihrem Amt bezahlt hat.
Nun, wie die oben zitierte Kurzbiografie zeigt, war das leider nicht so:
Zwar hatte Luise Zietz 1912 in ihrem Buch Die Frauen und der politische Kampf dazu aufgerufen, sich gegen den drohenden Krieg zu stellen, doch an der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1915 in Bern, die vom Parteivorstand nicht gebilligt worden war, nahm sie nicht teil. Im Laufe der ersten beiden Kriegsjahre scheint sich ihre Einstellung jedoch geändert zu haben. Sie äußerte sich seither deutlich kritischer zur Burgfriedenspolitik der SPD und stellte ihre Mitarbeit im Nationalen Frauendienst ein.
Zietz war 1914 mit dem ganzen Parteivorstand im patriotischen Taumel und ist mit der SPD in den Krieg gezogen. Ich fühle mich fast versucht, ihre Wikipedia-Seite, die derzeit das verkürzte Narrativ des DLF übernommen hat, diesbezüglich zu verbessern. Aber immerhin hatte sie Augen im Kopf und ein Mindestmaß an Mitgefühl, und so hat sie schließlich ihren Fehler eingesehen. 1917 hat sie die USPD mitgegründet, was durchaus als erfolgreicher Beitrag zur Dämpfung von Patriotismus und mithin zur Verkürzung des Gemetzels gelten darf. Zudem hat sie später als USPD-Abgeordnete erfreulichen Klartext geredet, etwa als die Ebert-SPD von Mutterschutz und elementaren Beschäftigtenrechten bei Krankheit nichts mehr wissen wollte: „Kapitalsinteressen wurden höher bewertet als warmes Menschenleben“.
Luise Zietzs anfängliche Unterstützung des ersten Weltkriegs ist schon ein wenig erschütternd, zumal sie vor der nationalen Erregung von 1914 offenbar recht vernünftige Ansichten zur Nation und dem Töten für diese geäußert hat. Aber die Demonstration, dass mensch sich von Kriegspolitik abwenden kann, dass mensch bereit ist, für die Einsicht in die eigene patriotische Verblendung auch einen Posten im Parteivorstand aufzugeben: Davon bräuchte es heute erneut viel mehr, hier bei „uns“ wie auch bei all den „sie“-s rund um den Globus. Weil Zietz diese Großtat 1917 hinbekommen hat, ist sie durchaus eine echte Heldin; vielleicht etwas gebrochen, aber doch Heldin.
Zitiert in: Nicht schon wieder!