Tag Geschichte

  • Ausflugstipp: Das Haus Stammberg bei Schriesheim

    Ein paar Gartenstühle stehen unter überhängenden Rhododendren und anderen zur Not als Gartenpflanzen durchgehende Pflanzen.  Im rechten Bildbereich ist nicht allzu gepflegter, aber erkennbarer Rasen mit Wegen dazwischen zu sehen.

    Was hier die Atmosphäre eines Kurparks[1] ausstrahlt, war tatsächlich mal einer. Vorneweg: Das hier beschriebene Gelände ist problemlos öffentlich zugänglich.

    Im Kanzelbachtal, das sich vom Weißen Stein in die Rheinebene bei Schriesheim zieht, steht das Haus Stammberg, heute ein Altenheim der Diakonie und nicht zu verwechseln mit dem nebenan ebenfalls von der Diakonie betriebenen Wiedereingliederungsprojekt Talhof[2]. Zwar haben ein paar der Gebäude des Komplexes durchaus etwas Patina, aber ich hatte für die Gebäude nie mehr als ein halbes Auge, wenn ich bergan Richtung Willhelmsfeld daran vorbeigeradelt bin – und bergab sicher nicht mal ein Zehntelauge.

    Der diesjährige Tag des offenen Denkmals hat dieser Gedankenlosigkeit ein Ende bereitet. Die Geschichte des Hauses Stammberg hat sogar etwas mit dem Jahr 2024 zu tun. Na ja, indirekt. Denn gerade vor 100 Jahren veröffentlichte Thomas Mann seinen Zauberberg, zugleich Roman einer präantibiotischen Tuberkuloseklinik und der Verschrobenheiten der europäischen Vorkriegs(un-)ordnung. Wobei hier vom ersten Weltkrieg die Rede ist.

    Das Haus Stammberg, eröffnet im Jahr 1903, war neu in den Jahren, in denen sich das entfaltet, was im Zauberberg als Handlung durchgeht. Wer sich vor dem Haupteingang des Haupthauses nach rechts wendet und dem Verlauf des Kanzelbaches vielleicht 100 Meter folgt, kann fast eine Zeitreise dorthin unternehmen, wenn sich folgendes Bild zeigt:

    Eine leicht gerundete, vielleicht fünf Meter tiefe und hundert Meter breite, aus Holz errichtete Halle.

    Zur literarischen Verankerung darf ich ein wenig aus der Fantasie von Thomas Mann zitieren:

    Aber Joachim [der Indexpatient im Zauberberg] konnte nur noch behindert und undeutlich antworten. Er hatte aus einem rotledernen, mit Samt gefütterten Etui, das auf seinem Tische lag, ein kleines Thermometer genommen und das untere, mit Quecksilber gefüllte Ende in den Mund gesteckt. Links unter der Zunge hielt er es, so, daß ihm das gläserne Instrument schräg aufwärts aus dem Munde hervorragte. Dann machte er Haustoilette, zog Schuhe und eine litewkaartige Joppe an, nahm eine gedruckte Tabelle nebst Bleistift vom Tisch, ferner ein Buch, eine russische Grammatik – denn er trieb Russisch, weil er, wie er sagte, dienstlichen Vorteil davon erhoffte –, und so ausgerüstet nahm er draußen auf dem Balkon im Liegestuhl Platz, indem er eine Kamelhaardecke nur leicht über die Füße warf.

    [... Hans Castorp, der Besucher, der dem Zauber des Berghofs erliegt] wollte das Ergebnis der Messung abwarten und sah unterdessen zu, wie alles gemacht wurde, betrachtete auch den Pelzsack, der in einem Winkel der Loggia lehnte (Joachim bediente sich seiner an kalten Tagen) und blickte, die Ellenbogen auf der Brüstung, in den Garten hinab, wo die allgemeine Liegehalle nun von lesend, schreibend und plaudernd ausgestreckten Patienten bevölkert war.

    Das Foto oben zeigt die allgemeine Liegehalle des Schriesheimer Stammbergs, die erstaunlich gut erhalten ist. Denn ja: der Stammberg, wie der Berghof im Zauberberg, war eine Tuberkuloseklinik, wenn auch – ich glaube mich zu erinnern, dass im geschichtlichen Überblick von der Bismarck'schen Krankenversicherung als zumindest Beteiligte die Rede war – mit einer deutlich weniger exklusiven Zielgruppe als die der Haute Volée-Spielwiese des Romans. Und auch wenn der Weiße Stein mit seinen gut 500 Metern nicht ganz mithalten kann mit den Dreitausendern rund um Davos, wenigstens ein bisschen in den Bergen befinden sich auch diese Gebäude.

    Tatsächlich war der Berghang am Rand der Kanzelbach-Talaue Teil des damaligen Kurparks. Während sich der Wald die Gartenanlagen am Hang weitgehend wieder geholt hat, sind einige der Flanierwege noch erhalten:

    Durch einen lichten, nach links hin ansteigenden Wald führt ein als naturnahe Treppe ausgeführter Weg.  An dessen Rand steht ein Warnschild: „Vorsicht Stechgefahr Bienen!“.

    Zu diesem Foto ist zu fantasieren, dass 1903 der Pfad vielleicht durch ein paar Rosenstöcke und Rhododendren führte, um die Mobilisierungsübungen der Patientinnen etwas zu verschönern. Ein klein wenig lässt sich das noch am Fuß des Hanges erahnen, wo das Eröffnungsbild dieses Artikels entstanden ist.

    Jedoch: Patientinnen ohne hohes I oder sonstige grammatische Berücksichtung von Männern? Ja, denn im Gegensatz zum Berghof des Zauberbergs, in dem es ja durchaus viel um Techtel aller Arten geht, war das Stammberg ein Frauensanatorium. Davon wiederum war zu hören während eines Vortrags einer Mitarbeiterin des Deutschen Tuberkulosearchivs (DTA) im Denkmalstag-Programm.

    Das DTA ist eine Einrichtung, die zwar schon seit einiger Zeit in Heidelberg – genauer bei der Thoraxklinik in Rohrbach – residiert, von deren Existenz ich aber bis zu dem Vortrag nichts ahnte. Was regelrecht schade ist, denn im Haus befindet sich auch eine Ausstellung, die mir sehr lohnend zu sein scheint. Leider ist diese nur nach Vereinbarung zugänglich. Aber ich plane schon die meine. Also: Vereinbarung.

    Auch über Liegehalle und Park hinaus bietet das Haus Stammberg eine Menge Bau- und Technikgeschichte. Am Tag des offenen Denkmals hat der Leiter des Hauses die BesucherInnen herumgeführt, und zwar bis hin zur Kläranlage am Westende des Geländes. Ja: das hat es 1903 schon gegeben, wenn auch eher ausnahmsweise. Das Stammberg etwa hat sie offenbar bauen lassen, um Bedenken der Schriesheimer Bevölkerung, der Kanzelbach könnte durch das Sanatorium in einen Tuberkelpfuhl verwandelt werden, entgegenzuwirken.

    Wenn das, was heute noch übrig ist, allerdings repräsentativ ist für das, was damals gebaut wurde, dann ist erstaunlich, dass die Bürgerschaft bachabwärts sich hat beruhigen hat lassen:

    Ein grün bewachsenes, vielleicht 10 × 10 m großes Becken mit einem Geländer drumrum.  Dahinter ein recht moderne aussehnder kleiner, einstückiger Klinkerbau mit zwei Fenstern.

    All das ist (jedenfalls mit den ganzen Zauberberg-Geschichten im Hinterkopf) so bezaubernd, dass ich AutorInnen von Heidelberg-Reiseführern (sowie natürlich neugierigen BewohnerInnen von Stadt und Umgebung) das Haus Stammberg ans Herz legen möchte. Mensch muss den Mann-Roman nicht mögen, um dem Charme des Ortes zu erliegen, einschließlich des vielleicht zunächst etwas morbid wirkenden Verfallsthemas, das Buch und Schriesheimer Realität (jedenfalls vorläufig; es gibt schon Pläne, die Liegehalle besser zu konservieren) durchaus gemeinsam haben.

    [1]…und vielleicht Corona-Distanzregeln; das Bild ist aber aktuell.
    [2]Dessen Name übrigens in einer eigenartigen, wenn auch vermutlich nicht geplanten Antiparallelität zum Berghof, dem Sanatorium aus dem Zauberberg, steht.
  • Rick würde heute Wattebäuschchen werfen

    Schwarzweiß-Screenshot: Humphrey Bogart schaut sardonisch und hat den Mund halb geöffnet.

    Humphrey Bogart in Casablanca: „Es gibt ein paar Teile von New York, die ich nicht erobern wollen würde, wenn ich Sie wäre“. Was das mit Wattebäuschchenwerfen zu tun hat? Lest weiter.

    Da die allwöchentliche Heidelberger Kundgebung gegen den zweiten Krimkrieg und vor allem die deutsche Beteiligung daran (Montag 18 Uhr am Theaterplatz) gerade Sommerpause macht, bietet sich ein kurzer Rückblick an auf einen Passanten, der uns „ja, wollt ihr den Putin mit Wattebäuschchen bewerfen?“ entgegenfauchte.

    Leider stand der Fauchende selbst nicht für weitere Erörterungen zur Verfügung, aber den Gedanken finde ich tatsächlich wertvoll: Die Wattebäuschchenwürfe wären zur Erhaltung von Frieden und zumindest rudimentärer persönlicher Selbstbestimmung („Freiheit“) in der Ukraine ganz bestimmt mindestens so wirksam wie die Stahlhelme und Haubitzen, die tatsächlich zum Einsatz kommen (und offensichtlich im Hinblick auf diese Ziele gar keinen Nutzen haben), aber sie würden entschieden weniger Schaden zwischen Kriegsdienstpflichten, Zermetzelten, kaputten Häusern, Zensur, Kriegsrecht, Minimalgruppenhass und Propaganda anrichten.

    Die kontrafaktische Gewissheit über die Wirksamkeit des Tötens

    Tatsächlich verblüfft mich immer wieder, wie der autoritären Versuchung erlegene Menschen entgegen aller Erfahrung und Logik ganz selbstverständlich voraussetzen, dass das Rumballern irgendwas hilft oder jedenfalls Schlimmeres verhindert. Für diese Prämisse gibt es jedoch nicht den Hauch eines Belegs.

    Als besonders deutliche Episode rufe ich auf, dass das Massaker von Srebrenica in unmittelbarer Nachbarschaft einer Kaserne der niederländischen Armee stattfand – und vermutlich ohne die militärische Spezialoperation aus dem aufgeklärten Westen auf „den Balkan“ zumindest so nicht passiert wäre, zumal es das improvisierte Lager von Srebrenica ohne diese in der Form schon gar nicht gegeben hätte. Und nein, auch die humanitäre Operation im Kosovo hat nicht etwa ein Massaker unterbrochen.

    Gänzlich kontrafaktisch werden diese Erzählungen, wenn es mit „Freiheit verteidigen“ weitergeht. „Freiheit“ ist, wenn dieses geschundene Wort überhaupt noch irgendwie mit sinnvollem Inhalt zu füllen ist, ein Attribut im Verhältnis zwischen Obrigkeit (sowie deren HandlangerInnen) und Untertanen. Als solches sind seine Belegungen weitgehend invariant gegen die konkrete Obrigkeit[1]; der ganz entscheidende Faktor hingegen ist, was sich die Untertanen bieten lassen[2].

    Militär verteidigt nie Freiheit(en)

    Im Antagonismus Obrigkeit-Untertanen nun ist das Mittel der nationalen „Verteidigung“, das Militär, aber im Wesentlichen immer[3] auf der Seite der Obrigkeit und mithin gewiss nicht auf der nachvollziehbarer Bedeutungen von „Freiheit“.

    „Freiheit verteidigen“ bedeutet demnach (jaja: im Wesentlichen) immer, Militär zu bekämpfen und nie, sich an die Seite irgendeines Militärs zu stellen. Diese Erkenntnis ist fast so fundamental wie ihre weise Schwester: „Wenn bei einer ethischen Erwägung rauskommt, dass du Leute töten sollst, dann hast du dich komplett verrannt.“

    Das Thema Unterwerfung und Eroberung wird sehr beeindruckend im wahrscheinlich großartigsten Propagandafilm aller Zeiten, Casablanca von 1942, aufgearbeitet. Die Situation: Rick, der als Nationalität „Säufer“ („drunkard“) angegeben hat, also (in dieser Phase des Films) allen möglichen Patriotismen abgeschworen hat, sitzt so etwa 1941 mit Major Strasser an einem Tisch. Strasser, ein Emissär der deutschen Wehrmacht, will Rick überzeugen, einem aus dem deutschen Machtbereich ins Niemandsland von Casablanca – weitgehend loyal zum französischen Marionettenregime in Vichy, aber halt auch nicht so ganz – entkommenen Antifaschisten nicht zur weiteren Flucht zu verhelfen. Er sondiert Ricks Loyalitäten und fragt diesen, ob Rick sich die Wehrmacht in Paris oder London vorstellen könnte. Rick gibt jeweils geistreiche und sehr unpatriotische Antworten.

    Ziel: Keine Lust, uns zu regieren

    Schließlich stellt Strasser die Königsfrage zu Ricks Heimatstadt im Versuch, ihn bei Resten von Patriotismus zu packen: „What about New York?“ Rick pariert mit dem wirklich brillianten Satz:

    There are certain sections of New York that I wouldn't advise you to try to invade.

    Ich finde, das ist ein ausgesprochen erstrebenswertes Ziel für eine Gesellschaft: So zu werden, dass wohlmeinende Menschen Obrigkeiten abraten, sie beherrschen zu wollen.

    Ich will dabei gerne zugestehen, dass Casablanca durchaus auch als Geschichte einer antifaschistischen, vielleicht gar patriotischen Läuterung von Rick gelesen werden kann – einer Läuterung übrigens, die interessanterweise im Namen sexuellen Begehrens beziehungsweise Entsagens erfolgt. Die Läuterung geht so weit, dass Rick Strasser am Schluss umpufft (selbstverständlich in Notwehr, aber das ist für diese Überlegung eher zweitranging).

    Ist diese Sorte Läuterung erstrebenswert? Nun ja, heute wissen wir einiges, das die Epstein-Zwillinge – die das Drehbuch für den Film geschrieben haben – damals noch nicht wissen konnten: Nazis (und anderen Obrigkeiten) massenhaft nicht gehorchen hat erheblich weniger unerwünschte Nebenwirkungen als Nazis umpuffen. Wichtiger noch: es wirkt besser.

    [1]Und selbstverständlich unabhängig von Nationalität oder „Ethnizität“ (was immer das nun schon wieder sein mag) des obrigkeitlichen Personals.
    [2]Ganz besonders wichtig in dem Zusammenhang: warum sind die Untertanen vielerorts eigentlich so gefügig? Womit wir beim Nationalismus als einem wesentlichen Ideologem wären, das Untertanen zum Mitspielen bei den imperialen Ambitionen ihrer jeweiligen Obrigkeit motiviert – und damit zum Verzicht auf so gut wie alles, was „Freiheit“ vernünftigerweise bedeuten könnte. Von Einsichten dieser Art ist es nicht mehr weit zur gerade in Olympiazeiten wertvollen Frage, wie und wann Menschen die Anwendung dieses Ideologems einüben. Aber das gehört hier nicht mal mehr in eine Fußnote.
    [3]In der deutschen Geschichte gab es im Wesentlichen einen Moment, in dem das anders war (die Novemberrevolution). Aber auch da fanden die Soldaten schnell wieder zurück in ihre gewohnte Rolle: die Obrigkeit gegen verschiedene Gruppierungen der Untertanen zu verteidigen (Beweisstück A, Beweisstück B, Beweisstück C, Beweisstück D).
  • Frankenstein und Frankenstein: Eine Geschichte von Touristinformation

    Eine offensichtlich modern restaurierte Burg mit einem behaubten Turm.

    So wüst gefälscht wie die Hardenburg: Burg Frankenstein oberhalb von Darmstadt-Eberstadt.

    Ich sitze gerade auf der Burg Frankenstein, und zwar der hessischen Fassung, mit etwas baumbehinderten Ausblick auf die Oberrheinebene. Abgesehen von Burgherren mit dem bemerkenswerten Vornamen Arbogast weckte dabei vor allem eine Beobachtung meine Bloglust: Quellenkritik ist wichtig. Es stellt sich nämlich angesichts des popkulturell belegten Nachnamens der Arbogasts die zentrale Frage: Hat hier wer künstliche Menschen gemacht?

    Mir fiel auf, dass darüber in der von mir mitgebrachten und der vor Ort installierten Literatur wenig Einigkeit besteht.

    Fangen wir mit der Fassung des ziemlich seriös daherkommenden Rother-Wanderführers „Rund um Frankfurt“ von Gerard Heimler und Thorsten Lensing (2021) an:

    Obwohl es zu Mary Shelleys Roman „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ keine über den Namen hinausegehende Verbindung gibt, finden sich auf der erstmals 1252 urkundlich erwähnten Wehranlage Halloweenpartys und Gruseldinner statt.

    Das mit den Dinners dürfte im Augenblick Fake News sein, weil die bemerkenswert hässlich hingeklotzte Gastronomie derzeit offenbar pächterlos ist. Macht bis auf Weiteres nicht meinen Fehler und hofft auf Sättigung hier oben – immerhin gibts aber Wasser auf der Toilette.

    Demgegenüber weiß das buntere, großformatigere „52 kleine & große Eskapaden in der Region Rhein-Main“ von Sarah Waltinger (Dumont 2020, also immerhin vom Verlag her auch nicht ganz ohne Reputation) zu erzählen:

    Man munkelte, der Alchimist Johann Konrad Dippel, 1673 auf der Burg Frankenstein geboren, habe aus Leichenteilen und dem Blut von Jungfrauen einen neuen Menschen erschaffen. In einem Brief soll Jacob Grimm von den unheimlichen Vorfällen einer gewissen Mary Jane Clairmont berichtet haben, die keine Geringere als die Stiefmutter von Mary Shelley war. Ob die Autorin auf diesem Wege zu ihrem Weltbesteseller „Frankenstein“ inspiriert wurde und Johann Konrad Dippel als reale Vorlage für den verrückten Professor diente? Darüber streiten sich die Experten.

    Viele reale Namen, Jahreszahlen und alles: Die Geschichte klingt doch sehr plausibel. Wussten die Rother-Autoren nichts davon? Oder halten sie es für frei erfunden? Gibt es einen Briefwechsel der Grimms mit den englischen Gothics?

    Nun, vor Ort bekommt mensch auf einer Tafel das hier angeboten:

    Abfotografierter Text auf einer Informationstafel: „In der Nacht des 2.Septembers 1814 machte die englische Autorin Mary Shelley während einer Rheinreise ein paar Stunden Rast in Gernsheim (15 km westlich der Burg).  Dabei soll sie auf die Burg Frankenstein aufmerksam geworden sein.  Von Germsheim ist die Burg jedoch – selbst bei Tage – kaum zu erkennen.  Es ist daher unwahrscheinlich, dass es einen direkten Bezug zwischen der Burg und dem Schauerroman gibt.“

    Das steht zwar nicht in direktem Widerspruch zu den beiden anderen Fassungen (je nach dem, wie mensch „direkt“ interpretieren möchte), so richtig passen will es aber auch nicht.

    Der etwa auch wegen der großartigen Geschichte vom Goldrausch auf der Burg durchaus lesenwerte Wikipedia-Artikel zur Burg erklärt, mit einigen Ergänzungen der letzten Jahre:

    Berühmtheit verdankt die Burg Frankenstein der Tatsache, dass sie als Namensgeber für Mary Shelleys bekanntes Buch „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ dargestellt wird, das auch mehrfach verfilmt wurde. Eine Verbindung Mary Shelleys mit der Burg wird von verschiedenen Autoren aus Gründen der beschriebenen Lokalitäten angezweifelt – zudem wird in dem Roman keine Burg erwähnt. Da das Ehepaar Shelley auf der Reise nach Genf aber durch das Rheintal kam, wird vermutet, dass die Schriftstellerin den Namen der Burg bzw. des Adelsgeschlechtes übernahm (der Held im Buch, Viktor Frankenstein, wird als Patriziersohn beschrieben, der aber aus der Schweiz stammt). […]

    Verbreitung fanden diese „neuen“ Legenden über Dippel durch ein 1999 erschienenes Buch des Autors und selbsternannten Burgschreibers der Burg Frankenstein, Walter Scheele, in dem auch behauptet wurde, dass Dippel das historische Vorbild für Mary Shelleys Buch Frankenstein oder der moderne Prometheus sei, eine These, die aufgrund fehlender Belege und Hinweise von Historikern des Geschichtsvereins Eberstadt-Frankenstein abgelehnt wird.

    Ich habe die Belege aus dem Wikipedia-Zitat entfernt (guckt bei Bedarf selbst), bis auf einen. Die Abhandlung des Geschichtsvereins macht einen ernsthaften Eindruck, und sie würde ich als Autorität akzeptieren, bis einE VertreterIn der „Grimmforschung“ widerspricht. Und so: Shame on you, Dumont: Es sind nicht etwa „Experten“, die da streiten.

  • Zur Erinnerung an Erich Mühsam, ermordet vor 90 Jahren

    Kopf eines in Fraktur geschriebenen Artikels „Strafvollzug an politischen Gefangenen in Bayern“ von Erich Mühsam

    Gestern fand in Heidelberg ein Erinnerungsabend an Erich Mühsam unter dem Titel Sich fügen heißt lügen statt. Der Anlass war nicht im eigentlichen Sinn erfreulich: Auf den Tag genau 90 Jahre zuvor hatten SS-Männer den „Dichter für Freiheit und Menschlichkeit” (und anarchistischen Aktivisten) im frühen KZ Oranienburg – zu diesen Einrichtungen siehe auch Auftakt des Terrors – ermordet.

    Ich finde (eingestandenermaßen unbescheiden), es war trotzdem ein schöner und informativer Abend mit Texten, Gedichten und Liedern von Mühsam, der ihm wahrscheinlich selbst gut gefallen hätte. Mir hat er auch deshalb gefallen, weil mir Mühsams Denken und Handeln in vielerlei Hinsicht sehr modern erscheint – ebenso in der Ablehnung autoritärer Verwirrung in der Linken wie in der entschlossenen Bereitschaft, trotz solcher Grundhaltungen mit Menschen guten Willens an guten Zwecken – wozu insbesondere der Kampf gegen grosso modo Militär und Polizei gehört – zu arbeiten, ganz im Sinne der „ökumenischen Linken“, für die ich David Rovics vor drei Jahren gelobt habe.

    Ich selbst habe vor allem beigetragen durch Lesungen von Extrakten aus zwei Gebrauchstexten von Mühsam. Und nachdem ich die schon mal produziert habe, dachte ich mir, ich könnte sie ja auch hier veröffentlichen, zumal mir scheint, dass zumindest im offenen Netz nirgends brauchbar ocrte Volltexte von ihnen stehen.

    Strafvollzug in Bayern

    Der erste Text war eine Rede, die Mühsam 1925 vor der ersten Reichstagung der „Roten Hilfe Deutschlands“ gehalten hat. Der Text passte auch, weil die Veranstaltung gestern von der modernen Roten Hilfe veranstaltet wurde, und zwar im Rahmen von deren Hundertjahrfeiern, die hier schon zuvor Thema waren.

    Mühsam war gerade kurz zuvor aus einem bayrischen Knast rausgekommen, in den ihn die Behörden von Weimar wegen seiner Unterstützung der bayrischen Räterepublik von 1919 hatten stecken lassen. Der Volltext der Rede (als PDF ohne Text) ist in Fraktur gesetzt; was an daraus resultierenden OCR-Fehlern noch übrig ist, bitte ich großzügig zu überlesen. Kursiv ist im Folgenden meine Moderation.

    Erich Mühsam hat 1925 auf der ersten Reichstagung der Roten Hilfe ein Referat gehalten, das zumindest im Inhalt sehr aktuell klingt, jedenfalls für Menschen, die mal in Bayern demonstrieren waren.

    Genossen und Freunde! Die Tagesordnung der gegenwärtigen Versammlung, die uns zugestellt worden ist, enthält in Punkt 4, wahrscheinlich ohne Absicht der Einberufer, aber doch mit einem tiefen Grund, eine merkwürdige Unterscheidung, die sagt:

    1. der Strafvollzug in Theorie und Praxis,
    2. in Bayern.

    Vieles von dem, was Mühsam im Folgenden berichtet, ist aus heutiger Sicht ein bitterer Kommentar zu all den bürgerlichen Theorien [im Blog: Exhibit 1, Exhibit 2] wie es dazu kommen konnte, dass die Deutschen praktisch ihn ihrer Gesamtheit zu FaschistInnen wurden. Wer Mühsam liest, wird sich noch mehr als ohnehin schon fragen, woher wohl das Gerede von den "Extremisten von Links und Rechts" kommt, die den blühenden Rechtsstaat Weimar demontiert hätten.

    Nein, es ist eher ein Wunder, warum ein derart von rechtsradikalen Autoritären durchsetzter Apparat so lange gebraucht hat, um auch formal die Macht an eine Partei wied ie NSDAP übergehen zu lassen. Hören wir weiter Mühsam:

    Ich muß mich darauf beschränken, vom Festungsstrafvollzug zu sprechen, weil ich hier aus persönlicher trüber Erfahrung sprechen kann. Was über den Strafvollzug in Zuchthäusern und Gefängnissen bekannt geworden ist aus Berichten, die mir zugingen von Leuten, die ihn selbst erlebt haben, die entweder auf die Festung zurückkamen oder mich später aufgesucht haben, das erweckt den Eindruck, als ob im Zuchthaus Straubing und in den Zuchthäusern Bayerns überhaupt gegen die politischen Gefangenen eine wahre Hölle etabliert ist und ein Verfahren, wonach die politischen Gefangenen schlimmer behandelt werden als die kriminellen, und zwar grundsätzlich.

    Soweit wir erfahren konnten, wird z.B. Alois Lindner, der Erhard Auer verwundet hat, nachdem Arco Eisner ermordet hatte — und Lindners Tat war bekanntlich ehrlos, während Arcos Tat als die eines Ehrenmannes gefeiert wurde — so malträtiert, daß er zeitweilig seinen Aufenthalt in der Irrenabteilung des Zuchthauses nehmen mußte. Dagegen wird der Gefangene Makowski in einer Art behandelt, die ungefähr der Behandlung eines Hilfsbeamten gleichkommt.

    Zur Einordnung: Eisner war Regierungsschef der Räterepublik, und Graf Arco hat diesen aus antikommunistischem Hass erschossen. Makowski wiederum hat als Teil der protofaschistischen Freikorps bei der Niederschlagung der Räterepublik 21 Männer niedergemetzelt, die noch nicht mal Kommunisten waren, sondern „katholische Gesellen“. Und so (wieder Mühsam) kam es,

    daß das Gericht seine erste Aufgabe darin sah, festzustellen, ob die Mörder glauben konnten, Spartakisten vor sich zu haben, oder ob sie wußten, daß es sich tatsächlich um Katholiken handelte. Da man bei Makowski und Müller unbedingt zu dem Schluß kommen mußte, daß sie wußten, wer die Leute waren, bekamen sie hohe Zuchthausstrafen. Sie werden jetzt aber besonders bevorzugt behandelt. […]

    Umgekehrt haben sich die Regierungen in Berlin und München besondere Mühe bei den Schikanen gegen die anderen Gefangenen, zumal solche mit linkem Hintergrund, gegeben:

    Es ist in diesen Anstalten Grundsatz — ich bemerke, daß das allgemeiner Grundsatz in Bayern ist — daß die Bestimmungen, die den Verkehr mit den Angehörigen regeln, keine Gültigkeit haben auf Bräute. Die Bräute werden in Bayern nicht anerkannt, sie sind keine Verwandten, und selbst Bräute, die bereits Kinder von ihren Männern haben, und die nur aus irgendwelchen Gründen die Eheschließung nicht vollzogen haben, werden als Bräute nicht anerkannt.

    Auf der anderen Seite haben wir, wenn wirklich mal von der anderen Seite einer ins Zuchthaus kommt, den Fall Zwengauer. Zwengauer ist eines Fehmemordes überführt worden. Er wurde zum Tode verurteilt und dann zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt. Er konnte aber nach ganz kurzer Zeit, nach wenigen Wochen aus der Krankenabteilung des Zuchthauses flüchten. In der bayerischen Presse hieß es: „Es hat den Anschein, als ob er mit Hilfe von Strafvollzugsorganen geflüchtet sei.“ Den Anschein hatte es für uns allerdings auch.

    Von Links her ist in Bayern einem politischen Gefangenen die Flucht noch nie gelungen. Selbst die Flucht aus Festungen ist seit Januar 1921, wo es einem meiner Freunde auf dem Transport zum Zahnarzt gelang, aus dem Zuge zu springen, nicht mehr gelungen. Es wurde keiner mehr zum Zahnarzt befördert.

    Mühsam kommt jetzt genauer auf seine „Festungshaft“ zu sprechen. Festungshaft war im Kaiserreich eine Art Hausarrest für Ehrenmänner – etwa welche, die sich duelliert hatten – unter einem weit großzügigerem Regime als in Gefängnis oder gar Zuchthaus. Für die linken politischen Gefangenen der Weimarer Republik änderte sich das recht schnell:

    Als wir verurteilt wurden vom Stand- oder Volksgericht, da waren die Urteile, die mehr durch Glücksfall auf Festung lauteten, selbstverständlich ausgesprochen worden in der Voraussetzung, daß nunmehr auch Festungshaft vollstreckt werden würde. Bei denjenigen, gegen die man Zuchthaus wollte, wurde ausdrücklich gesagt, daß man keine Festung haben wolle, und das Strafmaß für uns andere wurde außerordentlich hoch angelegt mit Rücksicht darauf, daß die Strafe leicht zu ertragen sei. Unter dieser Voraussetzung wurden bis 15 Jahre Festung verhängt.

    Da kam der Justizminister Dr. Müller (Meiningen), Demokrat in der sozialdemokratischen Regierung Hoffmann, und brachte, nachdem wir schon von Anfang an nicht in die eigentliche Festung, die dafür gedient hatte, gelegt wurden, sondern in eine Abteilung des Zuchthauses Ebracht, also in andere Räume, und nachdem uns schon von Anfang an Ausgang nicht bewilligt wurde, obwohl er zur Festungshaft gehört, nachdem uns sonst aber ein Festungsstrafvollzug, wie er üblich war, zuteil geworden war — war im August 1919 einen Erlaß heraus, den er Ausführungsbeftimmungen zur Hausordnung für Festungsgefangene nannte. Diese Ausführungsbestimmungen hoben aber die Verordnung, deren Ausführung sie auslegen sollte, absolut auf. […]

    [Die bayrische Regierung kann danach] jeden Raum, der [ihnen] gefällt, dazu bestimmen. Klar ist, daß das Gesetz für die Festungsgefangenen bestimmt, daß sie in eigens dazu bestimmten, baulich dafür in Frage kommenden Räumen unterzubringen sind und nicht in Räumen, die zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen eingerichtet sind.

    Das kennen wir auch heute noch, von Sicherungsverwahrung – neulich war Thomas Mayer-Falk hier in Heidelberg – und auch von Abschiebehaft und ähnlichen Übergriffen.

    Ich bin darauf eingegangen, weil von hier aus die ganzen Schikanen, die ganzen Ruchlosigkeiten ihren Ausgang nahmen. Denn nicht nur, daß wir in Gefängnissen und Zuchthäusern untergebracht waren, wir wurden auch bewacht von ausgebildetem Gefängnis- und Zuchthauspersonal, die den Unterschied zwischen der Festungshaft und der Gefängnis- und Zuchthaushaft nicht machten. So geschah es und so war es auch die Absicht.

    […]

    Es ist ein uraltes Prinzip des Strafvollzugs, daß bei Beginn der Strafe die Strafe schwer ist, daß die Gefangenen zuerst fest an die Kandare genommen werden und daß allmählich ein Nachlassen dieser Härten vor sich geht. Das ist ein Prinzip, wie es bisher überall im Strafvollzug festgelegt ist. In Bayern wurde das umgekehrte Prinzip gehandhabt. Es hat sich in einem Prozeß durch den Eid eines Beamten der Festung St. Georgen herausgestellt, daß ein Erlaß bestand, wonach Müller (Meiningen) verfügt hat: Die Festungshaft ist sukzessive zu verschärfen. Und die Verschärfung hat fünf Jahre angedauert.

    Franz Kafkas „Prozess“, geschrieben ca. 1914, erschien gerade in den Tagen, als Mühsam seine Rede hielt. Es war Zeitgeist:

    Die Verschärfungen wurden zur Kenntnis gebracht häufig einfach durch Disziplinierungen. Man wurde in Einzelhaft genommen und wußte dann, daß man das und das nicht tun darf. Fünf Jahre wurden wir so gemartert. Das war schlimmer, als alles das, was ich später nur streifen kann, da ich wenig Zeit habe. Ueberhaupt diese geheimen …

  • Horröses Heidelberg 2: Die Lenard-Säule

    Heidelberg war selten eine sonderlich progressive Stadt. Gerade die zahlreichen Studentenverbindungen – Buschenschaften, Corps, Turnerschaften und was sich da sonst noch so im patriotischen Sumpf suhlt(e) – sorg(t)en für einen reichen Nährboden für jede Sorte rechten Wahnsinns. Von militaristischen Aspekten davon war im ersten Teil von Horröses Heidelberg schon die Rede. Dieses Mal habe ich rabiaten Antisemitismus im Angebot:

    Rechts eine fast geschlossene Zimmertür, daneben ein etwa ein Meter hoher, weiß getünchter Betonblock mit einem Querschnitt von vielleicht 30×30 cm, wieder daneben ein Regal mit ein paar Packen Kopierpapier.

    Die mutmaßliche Lenard-Säule.

    Diese eher langweilig aussehende Installation findet sich im alten Physikgebäude im Philosophenweg 12, hinter einer Tür gegenüber dem unteren Ausgang des großen Hörsaals. Wenn die Geschichte, die ich jetzt gleich erzählen werde, ungefähr wahr ist, dann ist sie ein bizarres Denkmal antisemitischer Verblendung.

    Vorneweg: Ich weiß offen gestanden nicht, wie wahr die Geschichte des Klotzes ist. Sie ist etwas, das sich Physikstudis von Generation zu Generation erzählt haben und das sehr plausibel klingt. Bevor ich sie in einer seriösen Publikation erzählen würde, würde ich vermutlich lieber erstmal die Bau-Unterlagen im Uni-Archiv einsehen wollen.

    Philipp Lenard sucht den Äther...

    Aber jetzt die Geschichte: Anfang des 20. Jahrhunderts ärgerte sich ein gewisser Philipp Lenard – bereits im Besitz eines Physik-Nobelpreises – über die damals aufkommende „neue“ Physik zwischen Quantenmechanik und Relativitätstheorie. Seit 1907 leitete er das Institut für Physik und Radiologie der Uni Heidelberg, und je länger er dort Geistesgenossen um sich sammelte, desto durchgeknallter wurde der ganze Laden. Schließlich publizierte er ein Machwerk unter dem Titel „Deutsche Physik“, das noch in den 1930er Jahren versuchte, die Welt ohne die Physik des 20. Jahrhunderts – aus Sicht der Deutschen Physiker: die „jüdischen Beiträge“ – zu erklären.

    Das scheiterte natürlich, und noch nicht mal besonders grandios. In meiner Studienzeit gab es aber in der Bibliothek der angewandten Mathematik noch abgegriffene Exemplare der Deutschen Physik, deren Mischung aus normaler Standard-Physik und patriotischer Verwirrung wirkt, als habe sich ein normaler Studienrat eine Anfallskrankheit eingefangen, die ihn dann und wann in Erich von Däniken verwandelt (Literarische Referenz).

    Lenard arbeitete sich vor allem an der speziellen Relativitätstheorie ab. Diese entstand ja in Teilen, weil das Michelson-Morley-Experiment mit der voreinsteinschen Licht-Theorie (Licht war danach wie Schall in der Luft, nur wäre die Luft fürs Licht ein Zeug namens Äther gewesen) echte Schwierigkeiten hatte: Mit jeder nicht ganz abseitigen Äthertheorie hatte mensch in diesem Experiment zumindest den „Fahrtwind“ der Bewegung der Erde um die Sonne sehen müssen[1].

    Und hier kommt der Klotz auf dem Bild oben ins Spiel: In der Studi-Überlieferung nämlich hat ihn Lenard, für den das hässliche Physik-Gebäude am Philosophenweg gebaut wurde, einbauen lassen, um auf ihm Michelson-Morley-Versuche zu machen. Eine wesentliche Schwierigkeit bei diesen war nämlich das Wackeln des Untergrunds und das davon ausgelöste Rumzittern der Interferenzstreifen. Die Wikipedia schreibt zum Originalexperiment von 1881 derzeit, um „die Erschütterungen zu minimieren, wurde der Verkehr [beim Originalexperiment] weiträumig abgesperrt“. Diese Möglichkeit bestand am Rande des dicht besiedelten Neuenheim natürlich nicht.

    Viel Stein, Treppe, düsteres Haus und so.

    Hier spielt diese Folge des horrösen Heidelbergs: Der Lenardbunker im Philweg 12.

    ...und kommt zu nichts

    Der Lenard'sche Klotz nun soll fest mit dem Grundgebirge verbunden sein und auf dieses Weise eine erschütterungsarme Umgebung bieten. Ich persönlich glaube nicht, dass das funktioniert hätte, denn vermutlich schwingt das Grundgebirge nicht viel weniger als alles andere, und ohne Entkopplung vom Rest des Gebäudes – von der nichts zu erkennen ist – wäre auch eine größere Ruhe des Grundgebirges nicht sehr hilfreich. Ich weiß darüber hinaus nicht, ob Lenard wirklich jemals Zeit fand, nach seinem arischen Äther zu suchen.

    Vermutlich nicht, denn er kämpfte an vielen Fronten. Ein Beispiel: Nachdem Freikorpsleute am 28. Juni 1922 den selbst eher konservativen Außenminister Walther Rathenau erschossen hatten, hatte die Reichsregierung eine allgemeine Arbeitsruhe angeordnet. Lenard und seine protofaschistischen Mitarbeiter konnten sich das schon wegen Rathenaus jüdischer Herkunft nicht vorstellen und werkten weiter. Das blieb auch wegen keineswegs auf Halbmast gezogener Fahnen nicht unbemerkt, und fortschrittliche AktivistInnen versammelten sich vor dem Institut. Dieses befand sich bereits seit 1913 am Philosophenweg; wer heute dort steht, steht also auf dem historischen Grund der Kundgebung.

    Zunächst hinderte Polizei die DemonstrantInnen an einer Institutsbesetzung, aber die Situation eskalierte, als die Männer im Institut die Kundgebung mit Wasser aus Feuerwehrschläuchen unter Beschuss nahmen. Schließlich stürmten die DemonstrantInnen doch das Physikgebäude, und die Polizei musste Lenard in „Schutzhaft“ nehmen. Für Leute seines Schlages bedeutete das allerdings nicht, wie wenig später für allerlei den NS-Behörden verhasste Menschen, Darben im KZ, sondern eine komfortable Hotelübernachtung.

    Vom Weitermachen und Einfahren

    Immerhin sah sich der damalige badische Unterrichtsminister – wie Rathenau ein DDP-Mann und darüber hinaus selbst ehemals an der Heidelberger Uniklinik beschäftigt – nach Lenards Provokation bemüßigt, ihn zu suspendieren. Lenard antwortete nach außen mit einem Entlassungsgesuch, zu seinen reaktionären Freunden hin aber offenbar mit Unterstützungsappellen. Jedenfalls liefen nicht ganz ein Jahr später, am 1. Juni 1923, etliche konservative Studis beim engeren Senat der Uni auf und überreichten über 1000 Unterschriften, die Lenards bedingungslose Weiterbeschäftigung forderten. Tatsächlich blieb Lenard unangefochten bis zu seiner Emiritierung 1932 Leiter des Instituts für Physik und Radiologie.

    Das ging Carlo Mierendorff anders; er war 1922 schon ein stadtbekannter Linker, und so stürzte sich der Staatsschutz begeistert auf ihn, als er in der Menge vor der Lenard'schen Festung auffiel. Am 10. April 1923 eröffnete ein längst vergessener Richter ein Gerichtsverfahren gegen ihn wegen eines in den heutigen Analoga immer noch nur zu vertrauten Delikts: Landfriedensbruch. Das ist auch aktuell der gefühlt drittpopulärste Vorwurf, wenn die Polizei eher willkürlich DemonstrantInnen bestrafen will (nach Vermummung und dem entsetzlichen tätlichen Angriff nach dem 2017 neu erfundenen §114 StGB).

    Der Staatsschutz hatte Mierendorff eine Handvoll Mitangeklagte an die Seite gestellt, deren Demographie ich mit meinen heutigen Augen faszinierend finde. Abgesehen von ihm (zu dem Zeitpunkt wohl promovierender Studi) waren das nämlich durchweg Nichtstudis: der Tagelöhner Jakob Black, der Bauarbeiter Martin Kratzert, der Metzger Martin Erle, die Schlosser Franz Josef Mohr, Wilhelm Heilmann und Friedrich Zobeley, der Kaufmann Karl Hopp und der Kanzleiassistent Franz Joseph Bolz. Ob das wohl charakteristisch war für die TeilnehmerInnen der Anti-Lenard-Demo im Juni 1922? Das ist schwer zu sagen, aber fraglos waren die Studis damals weit überwiegend reaktionär und damit gewiss kaum an Kritik an Lenard interessiert.

    Mierendorff übrigens fuhr am Schluss als „Rädelsführer“ für vier Monate ein.

    Vergiftete Atmosphäre

    Die Atmosphäre in Lenards Institut blieb auch nach dessen Emeritierung kurz vor der Machtübergabe an die NSDAP vergiftet. Sein Nachfolger, der deutlich liberalere Walter Bothe, schmiss nach zwei Jahren entnervt hin und wechselte an das ebenfalls in Heidelberg befindliche Institut, das heute das MPI für medizinische Forschung ist. Dass der Lenard-Schuler Ludwig Wesch mit seinen SS-Kadern stundenlang über Bothes Büro exerziert hat, war vermutlich nur der handfesteste Teil des Terrors, der noch am 23. Dezember 1933 sogar den Fakultätsrat der naturwissenschaftlichen Fakultät beschäftigt hat, wie es aussieht, wiederum auf externen Druck hin, denn Vorsprache hielt damals Uni-Kanzler Stein persönlich.

    Nur, um nicht falsch verstanden zu werden: Bothe war selbst auch überhaupt kein netter Mensch. Als die Wehrmacht im Sommer 1940 Paris überrannt hatte, lief Bothe zum Beispiel im Windschatten der Soldaten im Pariser Labor von Frédéric Joliot-Curie auf und untersuchte den Stand von dessen Arbeiten an einem Teilchenbeschleuniger (drei Jahre später gab es dann auch in Heidelberg ein Zyklotron). Und das ist noch so etwa das Netteste, was in seinem Institut passierte; die MPG gesteht selbst, an Bohes Institut sei „noch 1944 die Synthetisierung des hochtoxischen Nervengases Soman“, na ja, „gelungen“.

    Ob es wirklich der Betonblock im alten physikalischen Institut ist, der all diese Geschichten erzählt, will ich wie gesagt nicht versprechen. Die Geschichten selbst allerdings haben sich so zugetragen und sind Teil des horrösen Erbes von Heidelberg.

    [1]Und dazu die, wie wir heute wissen, noch weit größeren Beiträge aus der Bewegung der Sonne um das Zentrum der Milchstraße, die Eigenbewegung der Milchstraße in der lokalen Gruppe und, ganz dramatisch, den Sturz der lokalen Gruppe Richtung Coma-Haufen. Aber von fast allem davon wusste mensch noch nichts in den Zeiten von Michelson und Morley Ende des 19. Jahrhunderts. Selbst die eher randständige Lage des Sonnensystems in der Milchstraße, die für die Bahnbewegung von rund 200 km/s sorgt (Bahngeschwindigkeit der Erde 30 km/s oder ein bisschen mehr als ein Zehntel, und wo wir schon dabei sind: Die Fluchtgeschwindigkeit der Erde ist ein bisschen mehr als 10 km/s), hat erst in den 1910er Jahren Harlow Shapley durch die Untersuchung der Verteilung der galaktischen Kugelsternhaufen wirklich überzeugend nachgewiesen.
  • Zum Tag der politischen Gefangenen: Weimar und die wehrhafte Demokratie

    Ein Mensch hält eine Pappe mit der Aufschrift „Faschist:innen verbieten ist wie Schnaps gegen Suff“.

    Ich recyle zum 18. März meine Pappe von neulich, um das Diktum des Hamburger Verfassungsrechtlers Horst Meier etwas auf den Punkt zu bringen: „Das Parteiverbot ist eine einzigartige Schöpfung westdeutschen Verfassungsgeistes, in der Kalter Krieg und hilfloser Antifaschismus eine vordemokratische Symbiose eingangengen sind.“

    Als ich mich anlässlich der großen Anti-AfD-Demos im Januar skeptisch zur autoritären Versuchung im Umgang speziell mit der AfD geäußert habe, habe ich munter behauptet, es hätte reichlich mildere (von geeigneter mal ganz zu schweigen) Mittel als ein Verbot der NSDAP gegeben, um ein Ende von Weimar im Faschismus zu verhindern:

    Es hätte vermutlich immer noch gereicht, wenn die Vorgängerorganisationen von CDU, FDP und AfD (letztere wäre im Augenblick bei mir noch die DNVP) Gewaltenteilung und Rechtsstaat nicht mit voller Absicht abgewickelt hätten. Es sind Einsichten wie diese, die die autoritäre Rede von der „wehrhaften Demokratie“ bei ihrer Erfindung verhindern sollte.

    Dazu würde ich gerne einen weiteren Datenpunkt liefern. Derzeit feiert nämlich die Rote Hilfe ihren 100. Geburtstag, unter anderem mit einem Film (den ich warm empfehlen kann, sollte er mal in einem Kino in eurer Nähe laufen) sowie einer Ausstellung zur wechselvollen Geschichte der Organisation. Letztere kommt mit einem aufschlussreichen Katalog, in dem Folgendes zu lesen ist:

    Nachdem die RHD [Rote Hilfe Deutschlands] mehrere Teilamnestien erwirkt hatte und die Zahl der inhaftierten Genoss*innen Anfang 1931 auf 1.300 gesunken war, füllten die hohen Urteile gegen fortschrittliche Kräfte die Gefängnisse schnell aufs Neue: Ende 1931 saßen 6.500 Aktivist*innen in Haft, und im Sommer 1932 zählte die RHD sogar 9.000 politische Gefangene, die ebenso wie ihre Familien Unterstützung brauchten

    Es stellt sich also heraus: Die Weimarer Republik war ausgesprochen „wehrhaft“. Sie sperrte innerhalb von einem guten Jahr mal eben deutlich über 5'000 „Linksextremisten“ ein, etwas, das die „wehrhafte“ BRD in diesem Ausmaß nie hinbekommen hat[1]. Ich behaupte, notabene, nicht, dass diese Massenverhaftungen die Machtübergabe an die NSDAP beschleunigt haben. Aber sie haben sie offensichtlich auch nicht behindert.

    Anlässlich des morgigen Tags der politischen Gefangenen (18. März) möchte ich das kurz in Relation setzen zu den 19 politischen Gefangenen, die die Rote Hilfe in ihrer aktuellen Zeitung zum 18.3. für die BRD zählt (S. 15). Oder den 1000 politischen Gefangenen, die Memorial für Russland zwischen 2009 und 2022 insgesamt rechnet.

    Es bleibt, dass auch der Mythos von der mangelnden „Wehrhaftigkeit“ der Weimarer Demokratie als Ursache von Weltkrieg und antisemitischem, rassistischem und ablistischem Massenmord einer Prüfung nicht standhält, ebensowenig wenig wie die Mythen von der fehlenden 5%-Hürde oder der hohen Inflation. Die platte Wahrheit ist und bleibt: Es waren die „bürgerlichen“ Parteien, ihr Präsident und ihre ParlamentarierInnen, die die NSDAP-Regierung sehenden Auges installiert haben. Obendrauf war der NS-Apparat, ganz besonders in Polizei und Justiz, von wenigen Ausnahmen abgesehen, genau der Apparat der Weimarer Republik, und übrigens im Wesentlichen auch der Apparat der frühen BRD.

    Das ist keine schöne Wahrheit, vor allem nicht für die beteiligten Parteien und Institutionen. Aber wer aus der Geschichte lernen will, wird nicht um ein Mindestmaß an Entmystifizierung rumkommen. Und daraus zumindest eine Konsequenz ziehen: Faschismus bekämpft mensch nicht durch autoritäre Formierung der Gesellschaft.

    [1]

    Allerdings: Zwischen 1956 und 1964 haben deutsche Gerichte rund 10'000 Menschen im Zuge des Verbots der KPD verurteilt. Zwar saß nur eine überschaubare Minderheit der Betroffenen auch wirklich im Knast, aber es gab durchaus unfassbare Urteile. Rolf Gössner berichtet in „Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges“ (Aufbau Verlag 1998) etwa:

    [Die Niedersächsische Gemeinschaft zur Wahrung demokratischer Rechte] NG war im Jahre 1958 verboten und aufgelöst worden, die verwaltungsgerichtliche Entscheidung stand noch aus. Dennoch wurden zwei ihrer Mitglieder, der Landrat a.D. Richard Brenning und der Journalist Heinz Hilke, vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg angeklagt und auch wegen „Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung in Tateinheit mit Geheimbündelei“ zu je vierzehn Monaten Gefängnis verurteilt – anschließende Polizeiaufsicht und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf drei Jahre inklusive.
  • 75 Jahre ohne Militär: Costa Rica

    Rechts im Bild ein Bahnsteig, links ein endloser Güterzug.  Auf jedem Wagen stehen zwei Panzer.

    Was ist der Unterschied zwischen der badischen Stadt Bruchsal und San José, der Hauptstadt von Costa Rica? Nun: Im Bahnhof von San José würde nicht plötzlich – wie hier im Juni 2013 – ein Güterzug voller Panzer stehen.

    Bevor deren 75. Jubiläumsjahr vorbei ist, möchte ich an eine der ganz großen zivilisatorischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts erinnern: 1948 löste der damalige Präsident José Figueres Ferrer das Militär in Costa Rica auf, und es hat kein Rezidiv gegeben, obwohl die Nachbarstaaten diesen, ach ja, Fort-Schritt nicht hinbekommen haben – vom Rest der Welt ganz zu schweigen.

    Ich brauchte auch erst eine Erinnerung daran und bekam die im Deutschlandfunk-Kalenderblatt am 1.12.2023. Der 1. Dezember ist der Jahrestag von Ferrers Inititative und ist seit 2020 in Costa Rica ein Feiertag („abolió el ejército“ – take that, „Volkstrauertag“). Peter B. Schumann erwähnte in seinem kleinen Beitrag gute Gründe zum Feiern:

    Die Kaserne wurde zum Nationalmuseum und der Wehretat zum Entwicklungsbudget. Damit konnten das Bildungssystem, das Gesundheitswesen und die Infrastruktur ausgebaut […] werden. […] Costa Rica hat es auch nie bereut. Während die hochgerüsteten Nachbarländer von einem autoritären Regime ins andere und von einer Krise in die nächste taumelten, konnte das kleine Land sich jahrzehntelang zu einer stabilen, prosperierenden Demokratie entwickeln.

    Sehr bemerkenswert fand ich auch die Analyse des Autors zu den Bedingungen für den Erfolg der Abrüstung in Mittelamerika:

    [Costa Rica] war viel kleiner [als seine Nachbarn], weniger kapitalkräftig, die Elite relativ arm […] Die Regierungen hatten [die Armee] allerdings oft vernachlässigt, so dass sie schlecht ausgebildet und schlecht bewaffnet war, eine schwache Institution.

    Also: geringe soziale Stratifikation, wenig physische Basis der Regierung, anderen Regierungen etwas aufzwingen zu können und eine schlecht finanzierte Armee haben in dieser (m.E. glaubwürdigen) Erzählung geholfen, das Militär loszuwerden. Praktischerweise sind das Politiklinien, die wenigstens mir auch unabhängig von Friedenspolitik im engeren Sinn attraktiv erscheinen – angefangen vom Ende der Kriegskredite (Verzeihung, „Sondervermögen“; soll keineR sagen, es habe sich gar nichts getan in Berlin über die letzten 110 Jahre hinweg).

    Kopfportrait eines etwa 60-jährigen Mannes im Anzug mit hoher Stirn, dunklen Haaren und einem ernsten Blick.

    Der Held der Auflösung des Militärs in Costa Rica: José Figueres Ferrer, hier im September 1973 (Bildquelle).

    Nun will ich gerne eingestehen, dass mein traditionell zuversichtlicher Blick in eine militärfreie Zukunft ohne Strammstehen, Tschingdarassabum, bunte Kappen und Orden in nur wenigen Momenten meines Lebens nicht bei vielen ZeitgenossInnenen auf ungläubige bis schnappatmende Einwände gestoßen wäre: anfangs „aber… die Russen?!“, dann rasch „aber… die Moslems?!“ und jetzt wieder (meist) „aber… die Russen?!“

    Ganz unabhängig davon, ob Tschingdarassabum und Menschentotschießen geeignet, notwendig und angemessen sind, um Konflikte zwischen den Entietäten zu lösen, denen sich die verschiedenen ZeitgenossInnen zugehörig fühlten: Costa Rica ist tatsächlich gut ohne ausgekommen, und das, obwohl sich recht schnell ein deutliches Wohlstandsgefälle zu den militärbesetzten Nachbarstaaten einstellte[1].

    Zu den qualitativen Effekten der Auflösung des Militärs lohnt ein Blick in die (vermutlich für Mittelamerika stark unvollständige) Liste der Putschversuche in der englischen Wikipedia[2]. Wie der DLF-Autor Schumann schon andeutet, fanden in den Nachbarstaaten – wenn nicht wie in Nicaragua ohnehin über Jahrzehnte das Militär faktisch an der Macht war – alle paar Jahre mal Militärputsche statt (für Honduras verzeichnet: 1956, 1963, 1972, 1975, 1978 und 2009).

    Für Costa Rica hingegen ist nach dem 1.12.1948 nur ein Putschversuch notiert, und der ist gescheitert. De facto war das sieben Jahre nach der Auflösung der Armee ein Versuch der alten Garde, sich wieder die Lizenz zum Schießen und Töten sowie die Alimentierung für dieses Treiben zu verschaffen. Es handelte sich nämlich um eine vom Somoza-Regime in Nicaragua gestützte Rebellion, in der „Calderonistas“, Ex-Soldaten aus der Zeit des vorherigen Potentaten Rafael Calderón, versuchten, wieder einen „normalen“ Staat zu bekommen. Das ist durchaus auch eine Erinnerung daran, dass, wer jetzt Militär macht, eben auch ein schweres Erbe für später schafft.

    Los gings Anfang Januar 1955, als diese Truppen mit Ölgeld aus dem damals ebenfalls erzreaktionär regierten Venezuela vom Herrschaftsgebiet des später in der sandinistischen Revolution untergegangenen Somoza-Clans aus in die costaricanische Kleinstadt Ciudad Quesada einfielen; venezuelanische Militärflugzeuge beschossen derweil verschiedene Städte in Costa Rica. SpielerInnen des Klassikers Junta kennen das Szenario.

    Die Regierung in San José rief daraufhin die OAS an, die (eingestandenermaßen überraschenderweise) Druck auf Nicaragua ausübte; dazu mobilisierte die Regierung in San José ihre Polizei, stellte Milizen auf und widmete vorübergehend Zivilflugzeuge um, was angesichts hinreichender Popularität der Regierung genug war, um die Invasion zusammenbrechen zu lassen.

    Klar wärs schöner gewesen, wenn der versuchte Putsch etwa durch einen zünftigen Generalstreik beendet worden wäre statt durch doch ziemlich paramilitärisches Gedöns. Klar ist aber auch, dass erstens Militärquatsch deutlich weniger Schaden anrichtet, wenn es insgesamt weniger davon gibt, und zweitens, dass auch ohne Militär Grobiane von außen nicht einfach tun und lassen können, was sie wollen.

    Es wird nur für die Grobiane von innen schwieriger, sich richtig grob zu benehmen und bei ihren Streitigkeiten mit den Grobianen von außen halbe Regionen zu verwüsten. Und vielleicht ist entsprechend radikale Abrüstung ja auch mal von unten statt wie in Costa Rica von oben zu bewerkstelligen? Das wäre besser, denn auf eine Figur wie Ferrer werden wir im Land von Clausewitz wahrscheinlich noch lang warten müssen.

    [1]Wie immer ist es schwierig, „Wohlstand” zu definieren und noch mehr zu quantifizieren. Wer an Metriken wie den HDI glaubt, wird Costa Rica 2018 bei 0.78 finden, gegenüber Nachbarstaaten wie El Salvador bei 0.68 oder Honduras bei 0.62 (zum Vergleich sieht das UNDP die BRD bei 0.94); aber dass der Billigflaggen-Staat Panama bei 0.79 und damit gleichauf mit Costa Rica steht, sagt wohl mehr über die Metrik als über reale Verhältnisse im Hinblick auf gutes Leben aus.
    [2]In der Liste der Putsche in der deutschen Wikipedia hat sich noch niemand den beängstigend großen Schuh angezogen, solche Aktivitäten in Mittelamerika zu sammeln.
  • War Gavrilo Princip ein radikaler Tierschützer?

    Ein treuer Leser dieser Seiten hat mich neulich auf ein paar der bizarreren Faktoide aus der Wikipdia hingewiesen. Zunächst: Im Artikel zu Franz Ferdinand von Österreich-Este – dessen Tod unmittelbarer Auslöser des ersten Weltkriegs war –, heißt es:

    Wie aus den vollständig erhaltenen Schusslisten hervorgeht, erlegte Franz Ferdinand im Laufe seines Lebens 274.889 Stück Wild. Darunter bei Großwildjagden auf seinen langen Weltreisen viele exotische Tiere wie Tiger, Löwen und Elefanten. Allein im Jahr 1911 erlegte er 18.799 Stück Wild, „Tagesrekord“ waren an einem Junitag 1908 2763 Lachmöwen.
    Ausschnitt eines gemalten Bildes: Hirsche fliehen einen Berg runter und springen in Panik in ein abgesperrtes Becken.  Dort schwimmen sie dann.  An der Seite stehen Menschen in einem Pavillion und schießen die Hirsche ab.

    Wer sich fragt, wie wer wie Franz Ferdinand 25 Tiere am Tag abknallen konnte: Nun, es hängt davon ab, wie viel Mühe sich andere geben. Hier ist ein Ausschnitt aus einem Bild eines unbekannten Künstlers von 1758, das illustriert, wie es auch ein eher unbeweglicher Mann wie Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz hinbekam, bei Dilsberg (das Wasser ist der Neckar) in großer Zahl Hirsche zu erschießen. Das ganze Bild könnt ihr im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg sehen.

    Blutrünstige Blaublüter vs. moderne Wirtschaft 0:1

    Um solche Zahlen in Perspektive zu bringen: Franz Ferdinand soll 1872 zum ersten Mal Tiere umgebracht haben und hatte bis 1914 Zeit dafür, also gut 40 Jahre. Zwecks rundem Ergebnis nehmen wir an, dass er sonntags nicht schoss; dann hat er im Schnitt an jedem Tag seines Jägerlebens 300'000/40/300 = 25 Tiere niedergemäht oder etwas wie zwei pro Stunde, wenn wir annehmen, dass auch er schlafen und essen musste.

    Das ist ein kleiner Schlachthof. Beim Versuch, eine Ahnung zu bekommen, wie sich das wohl mit einem professionellen Schlächter der Moderne vergleicht, habe ich über diesen Thread auf fleischbranche.de den Begriff „Kopfschlachter“ kennengelernt (Bedeutung: Schlächter im Akkord) und dann das hier gelesen:

    bei den schweinen haut ihr ja ganz gut rein mit 1000 stück. bei uns läuft schweineschlachtung nur nebenher 2x die woche, da haben wir dann um die 250 stück, in 2,5 std. sind wir damit durch. Bei rinderschlachtung haben wir meist so zwischen 200 bis 350 stück, jetzt zur kälteren jahreszeit wirds wieder mehr, momentan um die 300 an dem einen schlachthof. an dem kleinen schlachthof wo ich auch arbeite sind es nur um die 70 stück, meist große bullen, in etwa 6 std. da hier das band langsamer läuft muss jeder einzelne hier mehr machen. ich muss hier die tiere reintreiben, schießen, aufhängen, abstechen, kopf abschneiden, vorderfüße abschneiden und brust und vorderoberschenkel vorenthäuten. ich benutze den Dick Stahl mit dem grauen griff und arbeite meist mit swibo messern. ausrüstung und klamotten muss bei uns jeder selbst kaufen, sogar das dreckszeug waschen muss jeder in eigen regie machen.

    In einem modernen Schlachthof töten die ArbeiterInnen (aber klarerweise auch im Team) also etwas wie 100 Schweine pro Stunde; bei Rindern geht es etwas langsamer. Damit wirkt Franz Ferdinands Mittel von zwei Tieren pro Stunde nicht mehr so sensationell.

    Dennoch muss mensch sich fragen: Was macht einen Menschen so blutrünstig? In diesem Fall kann mensch den Standardmechanismus der Selektion von SchurkInnen im Wettbewerb schon mal ausschließen, der Erzherzog war ja bereits in seine „hohe“ Position reingeboren.

    Eine Fayence-Gruppe: Grün gekleidete Menschen mit Dreispitz fummeln die eingeweide eines erschlagenen Hirsches aus ihm raus.

    Auch das Original dieser Fayence ist im Kurpfälzischen Museum zu sehen, und auch das kommt aus der Zeit von Karl Theodor – nur für den Fall, dass wer Zweifel hatte, dass diese Leute die blutigen Aspekte ihrer Ballerei nicht im Auge hatten.

    Ein Attentat als Posse

    Es ist vielleicht nicht wichtig, ihn zu kennen, aber der Gavrilo Princip aus der Überschrift war der Mensch, der Franz Ferdindand (und versehentlich auch seine Frau) am Veitstag 1914 in Sarajevo erschossen hat. Es wäre ein schöner Twist in der Weltgeschichte, wenn er das in Wirklichkeit getan hätte, um dem Franz Ferdinand'schen Gemetzel eine Ende zu setzen.

    Aber nein, die Wikipedia-Seite zum Sarajevo-Anschlag lässt leider keinen Hauch von Zweifel zu: Princip war doch nur einer von all den anderen Patrioten, die aus objektiv unerfindlichen Gründen ständig aufeinander schießen müssen. Immerhin war sein Club (im Gegensatz zu Genscher und Co) noch hinter einem Gesamt-Jugoslawien her und hatte zusätzlich einen Namen, wie ihn der kleine Nick nicht besser hätte wählen können: „Die Schwarze Hand“.

    Überhaupt sind es zunächst Namen und Titel, die die Lektüre des Wikipedia-Artikels lohnend machen. Ich wähle mal ein paar aus:

    • Marschall Oberst Graf Rumerskirch
    • Kriegsminister Alexander Ritter von Krobatin
    • Oberst Dragutin Dimitrijević als Chef der Verschöwrung, der, logisch, bestimmt mit dem russischen Militärattaché in Belgrad, General Wiktor Artamonow, unter einer Decke steckte (Eat the Rich!)
    • Ottokar Graf Czernin
    • Franz Conrad von Hötzendorf als „Vertreter der Kriegspartei“ („seit 1907“)

    Auch der Verlauf der Verschwörung wirkt absolut wie eine Groteske aus Wiener Vorstadttheatern:

    Gegen zehn Uhr fuhr die Kolonne an Mehmedbašić vorbei, der eine Bombe werfen sollte, aber nichts unternahm. Er erklärte seine Untätigkeit später damit, dass er von Ilić die Anweisung bekommen habe, die Bombe nur dann zu werfen, wenn er den Wagen des Thronfolgers erkenne. Dies sei ihm aber nicht gelungen.

    Die Identifikation des Ziels scheint für die Verschwörer tatsächlich ziemlich schwierig gewesen zu sein, denn wenig später „erkundigte sich [ein weiterer Attentäter] bei einem Polizisten, in welchem Fahrzeug der Erzherzog säße“. Der Polizist gab eine zutreffende Antwort, und so traf die Bombe, die der Attentäter daraufhin warf, Franz Ferdindand sogar. Sie prallte aber ab und explodierte woanders. Der Attentäter versuchte nach dem Wurf, sich heldenhaft-romantisch mit Zyankali umzubringen, aber das Zeug war zu alt, und außerdem hat er jede Menge davon vor Aufregung verschüttet.

    Mit Stil gescheitert

    Angesichts dieser Szene ging Princip – er hätte weiter hinten auf Franz Ferdinand schießen sollen – erstmal ins Kaffeehaus. Wie kann jemand mit solchen Reflexen eigentlich aus dem k.u.k.-Reich austreten wollen? In der Stil-Wertung ist das jedenfalls ganz oben dabei, gleich zusammen mit „Let's go bowling“[1].

    Franz Ferdindand machte derweil auf dicke Hose und ließ im Wesentlichen einfach weiterfahren, obwohl es dieses eine Mal wirklich weitere Attentäter gab:

    Vaso Čubrilović sagte später aus, dass er nicht geschossen habe, weil ihm die Herzogin leid getan hätte, Cvetko Popović sagte aus, dass er Angst gehabt habe und in diesem Augenblick nicht gewusst habe, was mit ihm geschehe.

    Sagt, was ihr wollt: Wenn alle PatriotInnen den ethischen Kompass hätten, nichts zu machen, wenn (mehr oder minder) Unbeteiligte darunter leiden würden – oder ersatzweise hinreichend viel Angst –, dann wäre das hier eine viel bessere Welt. Der mit dem Mitleid ist übrigens in der späteren Volksrepublik Jugoslawien Minister für Forstwirtschaft geworden. Mein erster Gedanke, als ich das gelesen habe: In dieser Position wird er vermutlich mit den deutsch-jugoslawischen Karl May-Verfilmungen der 1960er beschäftigt gewesen sein. Trotzdem ist er in dieser ganzen Geschichte klar mein Lieblingscharakter.

    Princip schließlich – und auch das wusste ich nicht – kam zu seinem tödlichen Schuss nicht etwa in einer Kennedy-fährt-durch-Dallas-Situation mit großem Aufzug, sondern weil sich der erzherzögliche Chauffeur verfahren hatte und ausgerechnet vor dem Starbucks^W Delikatessengeschäft Moritz Schiller anhielt, in dem Princip sich mit einem Käffchen über die fehlexplodierte Bombe hinwegtröstete.

    Übrigens waren wohl nicht nur die Waldtiere wenigstens teilweise ganz zufrieden mit Princips Schuss. EinE Wikipedia-AutorIn verrät:

    Der Tod des Thronfolgers löste in Österreich-Ungarn keine allgemeine Trauer aus. Der Gesandte in Bukarest und spätere Außenminister Ottokar Graf Czernin erinnerte sich später, in Wien und Budapest habe es mehr Erfreute als Trauernde gegeben.

    Irre Twists Galore

    Die ganze Franz Ferdinand-Geschichte ist voll von irren Twists. So wusste ich zum Beispiel bis zu meinem jüngsten Wikipedia-Binge auch nicht, dass Princip im Jahr 1918 in Theresienstadt sein Leben verloren hat.

    Theresienstadt? Ja. Es stellt sich heraus, dass das Konzentrationslager in der deutsch besetzten Tschechoslowakei entfernte Vorgänger in k.u.k.-Zeiten hatte, nämlich ein Gefängnis für verschärfte Haftbedingungen in der „Kleinen Festung“. Es war später tatsächlich der Keim, aus dem die deutsche Besatzungsmacht und ihre Gestapo Anfang der 1940 ihr „Vorzeige-KZ“ schuf.

    Mein „sein Leben verloren“ von oben ist sicher die freundlichste mit der Wirklichkeit verträgliche Formulierung. Der k.u.k.-Apparat – der Princip nur dehalb nicht direkt justiziell umbrachte, weil er zum Tatzeitpunkt nach damaligem Recht minderjährig gewesen war – hielt Princip bis 1916 durchweg in Ketten, und auch danach noch in feuchtkalten, dunklen Zellen vollständig isoliert. Irgendein Wärter muss ihn dennoch mit Tuberkulose infiziert haben, denn daran ist er am 28. April 1918 mit nicht mal 25 Jahren gestorben, ein paar Monate, bevor die Donaumonarchie ebenfalls das Zeitliche segnete.

    Wie üblich bei PatriotInnen ist Princip eine zutiefst tragische Figur, denn die Staaten, die Österreich-Ungarn folgten, waren ziemlich durchweg nochmal fürchterlicher als dieses (was sicherlich auf Dollfus-Österreich zutrifft; über das Zwischenkriegs-Jugoslawien weiß ich zu wenig).

    Princips geritzte letzten Worte allerdings machen schon etwas her, zumal er da offenbar eingesehen hatte, dass die Mängel der Donaumonarchie bestimmt nicht ein auf einen Mangel an Grenzen zwischen den „Völkern“ zurückgingen, sondern dass es eigentlich auch damals schon um oben und unten hätte gehen sollen:

    Unsere Geister schleichen durch Wien und raunen durch die Paläste und lassen die Herren erzittern.
    [1]Wer dieses Zitat nicht kennt, sollte ganz schnell das Coen-Meisterwerk Big Lebowski angucken. Der Film ist im vorliegenden Zusammenhang auch befriedigend, weil …
  • Noch bis 7.12. in Heidelberg: „Auftakt des Terrors“ über die ersten NS-Konzentrationslager

    Ein stattlicher Bau in klassizistischem Stil, umgeben von einer Betonmauer mit zahlreichen Lampen darauf.

    Wer gelegentlich mit dem Zug zwischen Heidelberg und Karlsruhe unterwegs ist, kennt diesen Anblick: Das ummauerte Schloss Kislau. Von 1824 bis heute war das Gebäude mit kurzen Unterbrechungen fast durchweg eine Art Gefängnis – und von 1933 bis 1939 eines der frühen Konzentrationslager der NSDAP-Regierung. Um eine Ausstellung zu diesen dreht sich dieser Post. Foto: CC-BY-SA Grossbildjaeger.

    So sehr die Erinnerung an die Shoah wachzuhalten ist: Fürs heutige politische Handeln erheblich relevanter ist die Betrachtung der Anfänge der Nazibarbarei. Das folgt schon aus den Mahnungen von Habermas et al, die Shoah nicht durch aktuelle politische Relativierungen zu trivialisieren und – schlimmer noch – zu instrumentalisieren[1]. Die größere Relevanz folgt aber bereits daraus, dass Faschismus auch ohne Shoah eine schreckliche Sache ist.

    Dies ist eine der Lehren, mit denen mensch ziemlich sicher aus der Ausstellung „Auftakt des Terrors“ herauskommen wird, in der die Anfänge des Systems der Konzentrationslager beleuchtet werden. Die Ausstellung – 10 Stationen und etwas lokales Material – ist noch bis zum 7.12. (ja, es gibt eine Verlängerung) beim Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland in der Heidelberger Bremeneckgasse zu sehen (lokale Ankündigung) und wird dann weiter in den Salmen in Offenburg ziehen (weitere Ausstellungsorte).

    Von Beginn an Folter und Mord

    Es ist besonders passend, die Ausstellung in Heidelberg zu zeigen, gab es doch im Umkreis von 50 km um die Stadt gleich drei der in der zuständigen Arbeitsgemeinschaft des Gedenkstättenforums bearbeiteten frühen NS-Konzentrationslager: Osthofen bei Worms im Nordwesten (übrigens Schauplatz von Anna Seghers Klassiker Das siebte Kreuz), Neustadt/Haardt im Westen[2] und schließlich Kislau im Süden, das im Gegensatz zu den anderen beiden langfristig, nämlich bis 1939, bestand. Etwas pikanterweise ist bei letzterem auch das Gedenken erschwert, weil das Land das Gebäude bis heute als Gefängnis nutzt.

    Wie sehr Faschismus – oder generell auf Polizei und Militär ausgerichtete Regierungsführung – schon lange vor industriellem Massenmord fürchterlich ist, illustriert die Ausstellung beispielsweise auf der Station 7 durch eine Hafterfahrung des SPD-Aktivisten Fritz Solmitz, der sie am 13. September 1933 auf Zigarettenpapier festhielt. Zunächst ist ein Foto einer Taschenuhr zu sehen, in der seine Aufzeichnungen nach draußen kamen, nachdem das NS-Personal Solmitz wenige Tage später totgefoltert hatte:

    Eine aufgeklappte, goldschimmernde Taschenuhr liegt aufgeklappt auf winzig beschriebenen Zettelchen.

    Die Uhr ist ein Original, die Zettel Nachbildungen (nicht das Ausstellungs-Foto; Quelle).

    Nur auf diese Weise konnte Solmitz der Nachwelt dieses Kassiber hinterlassen:

    Ich wurde in den Keller getrieben. Kommando: „Bück dich“. Ich blieb aufrecht stehen, erhielt sofort furchtbare Schläge mit Hundepeitsche und Ochsenziemer. Ich taumelte, fiel. „Das Schwein markiert nur: Hoch, Aufstehen. Bück dich“. Dreimal wurde ich so niedergeschlagen. Nach dem 3. Mal hatte ich noch die Kraft zu schreien „Ich bücke mich nicht“. Ich glaube aber, zuallerletzt in halb bewußtlosem Zustand hab ichs doch getan.

    Kontinuitäten im Hass nach außen und unten

    Gut herausgearbeitet ist in der Ausstellung (Station 5) auch, wie die NSDAP reaktionäre Phantasmen bespielt hat, mit Formen, die auch heute noch Menschen zuverlässig nach rechts treiben. Zitiert wird etwa aus der Frankfurter Zeitung vom 29. August 1933:

    Die Meldungen mehren sich, dass in zahlreichen Plätzen in Hessen die Juden beginnen, die gebotene Zurückhaltung außer Acht zu lassen. […] Versuche sich deutschen Mädchen zu nähern und dergleichen verursachen berechtigte Erregung in der deutschen Bevölkerung. Die Politische Polizei ist hierdurch genötigt, die Schuldigen oder solche bekannten Juden, gegen die sich die Erregung richten könnte, in Polizeihaft zu nehmen. Am 26. August wurde durch die Staatspolizeistelle in Worms eine größere Anzahl Juden in Polizeihaft genommen und dem Konzentrationslager Osthofen zugeführt.

    Gar nicht weit vom damaligen KZ Osthofen entfernt, im südpfälzischen Kandel, gab es 2017 und folgende ganz vergleichbare „Erregungen“, die ohne das Stereotyp Ausländer-und-deutsche-Frauen ganz gewiss nicht dieses Ausmaß und diese Dauer gehabt hätten (eingestanden: im Zweifel tun es auch mal Männer als Opfer).

    Wer weiter die „Erregung“ um Florida-Rolf in Erinnerung hat (oder eigentlich beliebige Beiträge von Rechts zur Frage sozialer Grundsicherung), wird dann auch im ebenfalls auf Station 5 dokumentierten Artikel aus dem Ulmer Tagblatt vom 9. Februar 1935 bekannte Figuren wiedererkennen:

    Der verheiratete G. hat in letzter Zeit die ihm und seiner Familie gewährten Unterstützungsgelder in zweifelhafter Gesellschaft durchgebracht. Wegen dieses schändlichen Verhaltens ist G. in Schutzhaft genommen und in das Schutzhaftlager Oberer Kuhberg eingeliefert worden. Diese Maßnahme sollen sich andere zur ernsthaften Warnung dienen lassen, denn es ist ein Verbrechen an Familie und Volksgemeinschaft, Unterstützungsgelder und Gaben des Winterhilfswerks zu vergeuden.

    Nicht weit von Ulm und dem ehemaligen „Schutzhaft“-Lager Kuhberg entfernt schrieb am 15.9.2022 die Augsburger Allgemeine:

    Ja, die Hartz-Gesetze waren nicht perfekt. […] Nötig waren die Reformen gleichwohl. Wo ein Staat viel fördert und wenig fordert, zementiert er nur die bestehenden Verhältnisse und schafft fast zwangsläufig auch noch Anreize für Missbrauch.

    Patrioten, Polizisten und Militärs

    Ziemlich unzweifelhaft sind jedoch noch vor plattem Hass auf Menschen mit anderer Obrigkeit bzw. weniger Geld Patriotismus und Militärbegeisterung die Hintergründe, vor denen sich breite Mehrheiten der Bevölkerung – die Ausstellung belegt vielfach, dass das KZ-Wesen in voller Öffentlichkeit stattfand (Station 8), wenn auch anfangs vielleicht nicht in seiner ganzen Brutalität – dem Faschismus zuwandten. So ist zu loben, dass die Ausstellung bei der Betrachtung des Wegs in die Diktatur (Station 1) das klassische Plakat zur Dolchstoßlegende – von der DNVP aus dem Jahr 1924 – reproduziert:

    Faksimile eines Plakats mit einer roten Figur, die einen stahlbehelmten Soldaten von hinten erdolcht.  Dazu ein Text, der Aktivitäten zur Beendigung des ersten Weltkriegs als irgendwie schlecht denunziert.

    Vielleicht hätte noch etwas genauer diskutiert werden können, weshalb genau dieses Plakat so fürchterlich ist: Es stellt die Beendigung der Schlächterei – wozu natürlich auch die Abrüstung des Patriotismus gehört – als eine Art Verbrechen dar und sorgt sich um „Volk und Vaterland“ statt um all die Menschen, die, um die metzelnden Soldaten zu füttern und auszurüsten, hungerten und schufteten. Wer sich von diesem Plakat auch nur irgendwie angesprochen fühlt, möge sich klar machen, dass die primäre Verwirrung darin besteht, die Desertion und nicht die Kriegsführung als Verbrechen anzusehen.

    Planer und Akteure

    Ein Halbseitenportrat eines Mannes in seinen 60ern in einer Nazi-Uniform.  Er scheint in die Ferne zu blicken.

    Als Anstoß für einen Wikipedia-Artikel zu Franz Mohr hier schon mal ein Foto von ihm aus dem Jahr 1936 (gescannt aus dem Ausstellungskatalog). Quelle: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, 505, Nr. 109-2. Urheberrechte an diesem Foto sind fast sicher längst erloschen.

    Erfreulich ist auch die Betrachtung der Akteure und ihrer Biographien (Stationen 4 und 9). So etwas geht für den Nachfolgestaat des Deutschen Reichs meist ungut aus und war daher über Jahrzehnte ziemlich unpopulär. Dass etwa der langjährige (1933-1939) Leiter des KZ Kislau, ein gewisser Franz Mohr (noch keine Wikipedia-Seite), 1947 als „entlastet“ aus der Entnazifizierung herauskam, wirft ein wenig schmeichelhaftes Licht auf die damaligen Prioriäten. Eingestanden: Mohr hatte eine erhebliche Immunität aus seiner Tätigkeit als Polizeioffizier bereits in der Weimarer Republik. Dass er extra für den Job als KZ-Kommandant aus der Pension in den Beruf zurückgekehrt ist, spielte für seine Spruchkammer offenbar keine große Rolle.

    Ich will dabei gerne einräumen, dass das KZ Kislau offenbar auch aus Sicht der Berliner oder Karlsruher Regierung eher zweitrangig war. Mensch mag Mohr das als Verdienst anrechnen. Jedenfalls deportierten die Behörden die jüdischen Männer aus Heidelberg im Gefolge der Pogromnacht vom 9.11.1938 nicht ins nahegelegene Kislau, sondern ins relativ ferne KZ Dachau.

    Während Mohr – trotz seiner Funktion als einziger badischer KZ-Kommandant in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre – bis zu seinem natürlichen Tod im Jahr 1950 bequem in die westdeusche Gesellschaft zurückkehren konnte, blieb der frühen BRD eine vergleichbare Peinlichkeit bei seinem zeitweisen Kollegen in Weimarer Polizei und NS-KZ-Leitung Theodor Eicke erspart. Allerdings wäre es bei ihm ohnehin nicht so einfach gewesen, denn offenbar war er selbst nach Maßstäben der Polizei der Weimarer Republik zu mundverschäumt. Die Wikipedia schreibt jedenfalls:

    In späteren, in der Zeit des Nationalsozialismus entstandenen Lebensläufen führte Eicke seine mehrfachen Entlassungen aus dem Polizeidienst auf seine „aktive Bekämpfung der Novemberrepublik“ zurück oder sah sich „durch roten Terror hinausgedrängt“. Angesichts der Verhältnisse bei der Polizei in den Anfangsjahren der Weimarer Republik ist dies nicht sehr plausibel; „Eickes persönliches Verhalten muß immer mit ein ausschlaggebender Grund gewesen sein“, so der Politikwissenschaftler Johannes Tuchel.

    Kennen sollte mensch Eicke jedoch, weil er 1933 und 1934 das KZ Dachau kommandierte und es in dieser Zeit zu einer Art Modell-Lager ausbaute, nach dem die späteren großen KZs gestaltet wurden; in gewisser Weise kann er so als Erfinder des eigentlichen Nazi-KZs gelten. Die Nachkriegs-Justiz musste sich mit ihm nicht auseinandersetzen, weil er einen Flug für die Waffen-SS über der Sowjetunion nicht überlebte.

    Nicht aus Weimarer Polizeizusammenhängen hingegen kam der in der Ausstellung als Architekt des panoptisch angelegten KZ Sachsenhausen eingeführte Bernhard Kuiper: er war in der ersten Republik als Tischler und Architekt tätig. 1934 schaffte er es in die SS und arbeitete in der Folge (neben zahlreichen anderen Nazi-Schurkereien) direkt an und in den Lagern Esterwegen, Columbia (Berlin) und Sachsenhausen. Dennoch kam auch er 1948 als unbelastet aus dem Spruchkammerverfahren. Was er in den folgenden 40 Jahren bis zu seinem Tod getrieben hat, sagen leider weder die Ausstellung noch die Wikipedia.

    Extras des Lernorts: Motion Comics

    In Heidelberg zusätzlich zu sehen ist ein Exponat des Lernorts Kislau, einer Initiative, die neben dem heutigen Knast im ehemaligen KZ Kislau eine Gedenkstätte errichten will. An diesem Exponat sind die von der Initiative produzierten Motion …

  • Vom Verlust des schlanken, effizienten Beamtenapparats

    Verwitterte Pfosten, ein verwittertes Sportfeld, ein verwitterter Unterstand mit einem alten Autoreifen davor, alles überzogen von rotem Staub.

    Bahnprivatisierung nicht als Symbolbild: So sah es 2015 in Cook, Southern Australia aus. Verfallen ist das Nest in der Nullarborebene, weil der Staat die Eisenbahn aufgegeben hat. Gut: vielleicht wäre es auch verfallen, wenn noch was anderes als Tourizüge fahren würde, weil die wartungsaufwändigeren Dampfloks verschwunden sind. Das Bild ist trotzdem eine gute Illustration des Konzepts „Privatisierung“.

    Heute stand in einem (offenbar noch nicht anderweitig veröffentlichen) Mailing des Bündnisses Bahn für Alle folgende bedenkenswerte Passage:

    Bundesbahn und Reichsbahn hatten von 30 Jahren zusammen 6.000 Bahndirektoren, bei insgesamt fast doppelt so vielen Beschäftigten wie heute. Aktuell haben wir 20.000 Bahnmanager, die im Durchschnitt geschätzt pro Kopf 100.000 Euro im Jahr kosten. […] Macht zusammen allein zwei Milliarden Euro jedes Jahr.

    Ich würde auch in diesem Fall nicht viel auf die konkreten Zahlen geben; die Flügel'sche Regel: „Wenn du genug weißt, um Metriken richtig zu interpretieren, brauchst du die Metriken nicht mehr“ gilt sicher auch hier, wo schon mal unklar ist, ob „Direktor“ bei der Bundesbahn irgendwas mit einem modernen „Manager“ zu tun hatte.

    Weiter wäre zu prüfen, ob nicht auch die alten DirektorInnen wie ihre modernen NachfolgerInnen in der Mehrheit für den Bahnbetrieb eher schädlich als nützlich gewesen sein werden. Und kommen zu den 20'000 hier berichteten ManagerInnen noch welche von all den anderen Unternehmen, die die öffentliche Hand für den Betrieb des ÖPNV bezahlt? Oder sind die schon drin?

    Auf all das kommt es jedoch gar nicht so sehr an, denn qualitativ ist sicher, dass durch Maßnahmen im weiteren Privatisierungsbereich eigentlich immer eine im Vergleich schlanke und billige öffentliche Verwaltung ersetzt wird durch einen Apparat von GeschäftsführerInnen, JustiziarInnen und ihren Stäben, die sich mit komplizierten Firmengeflechten beschäftigen („S-Bahn Rhein-Neckar“ vs. „DB Regio Oberbayern“ vs. „DB Station und Service“), deren Zweck wiederum selten übers Steuersparen, Lohndrücken und Aushebeln von Betriebsratsrechten hinausgeht. Reporting, Compliance und Investor Relationships beschäftigen weitere Menschen, die sich durch die höhere Handelsschule (Mikro und Makro) gekämpft haben. Na gut: immerhin die Investor Relationships haben sie bei der Deutschen Bahn inzwischen hoffentlich wieder rückgebaut.

    Nachtrag (2023-10-17)

    Als ich letztes Wochenende in Bad Friedrichshall aus einem überfüllten Zug in einen etwa genauso überfüllten anderen Zug umgestiegen bin, ist mir zum Thema bizarre Sub-Subunternehmen der Deutschen Bahn noch das hier untergekommen:

    Eine rostfarbene Strebe eines Güterwagens mit aufgesprühten weißen Buchstaben „DB Schenker Rail Automotive GmbH [...] Mail: dispo@dbschenker-atg.com“

    Der Twist an der Sache:

    $ dig +short dbschenker-atg.com
    $
    

    Mit anderen Worten: die merkwürdige „Automotive“ GmbH, die da irgendwer mit viel juristischer Beratung hat gründen lassen, ist schon so lange tot, dass nicht mal mehr wer die Domain anmeldet, auf die das längst für irgendeine andere Briefkastenfirma rollende Material noch verweist.

    Da wundert mich eigentlich auch nicht mehr, dass die Wayback-Maschine für eine hypothetisch zum Unternehmen gehörende Webseite nur einmal ein Signal hatte. Im Juni 2019 war da: „Hier entsteht in Kürze eine neue Internetpräsenz.“ Mergers and Aquisitions im Endstadium.

    Nachtrag (2023-10-22)

    Und gleich noch ein DB-Subunternehmen, für dessen Existenz ich mir keine gutartige Erklärung vorstellen kann: DB Training („Ihr Anbieter im Bereich Corporate Learning & Development“). Allerdings: Das Impressum der Webseite redet nur von der Deutschen Bahn AG. Vielleicht tut das Ding ja nur so, als sei es ein eigenes Unternehmen und ist in Wahrheit „nur“ eine Abteilung (wie es ja auch nur vernünftig wäre)? Potjomkinsche Unternehmen als Verneigung vor dem immer noch herrschenden Zeitgeist?

    Wer weiß? Gehört habe ich von der… nun, Entietät jedenfalls in einem mich ebenfalls zum intensiven Kopfschütteln anregenden Hintergrund Politik im Deutschlandfunk, nämlich dem vom 9.10.2023, „Wie die Schiene gemeinwohlorientiert werden soll“. Hauptgrund des Kopfschüttelns: Zwar zählt der Beitrag durchaus zutreffend ein paar der Kritikpunkte an der Bahnprivatisierung seit den 1990ern (jenseits der mutwilligen Zerstörung eines vergleichsweise effizienten BeamtInnenapparats) auf – aber er fragt weder, warum diese Kritik nur für die Schienen und nicht auch für den Verkehr darauf gelten soll, noch fragt er, wozu mensch wohl den ganzen Unternehmensfirlefanz braucht, wenn das doch ohnehin „gemeinwohlorientiert“ sein soll.

    Vor allem aber stellt er nicht all den Dampfplauderern, die im Beitrag streiten, ob die „Infrastrukturgesellschaft“ der DB gehören soll oder sonstwem anders, die an sich naheliegende Frage: „Wir hatten doch schon mal eine doch ganz gut funktionierende Bahn. Sollten wir für den Anfang nicht erstmal dahin zurückgehen, wo wir offensichtlich falsch abgebogen sind und dann von dort sehen, wo ein besserer Weg langführt?“

    Mithin ist praktisch unvermeidlich, dass bei einer Privatisierung das Verhältnis von denen, die nützliche Arbeit tun (Züge warten, Verspätungsdurchsagen machen) zu denen, die diese nützliche Arbeit verwalten („Management”) schrumpfen wird. Das Ergebnis ist vielerorts sichtbar: die kaputte Bahn, die teueren, verrottenden ex-Sozialwohnungen, ein Geschäftsgebaren von Telefonunternehmen, das von offenem Betrug nur mit Mühe zu unterscheiden ist – und Systemlotto dort, wo einst ein Postamt war. Oh, na gut; manche Orte (hier: Dossenheim) haben im Vergleich auch Glück gehabt:

    An einer Arkade eines 70er-Jahre-Baus hängt ein Schild „Postfiliale und Restpostenshop“, davor ein Gelber Postkasten.

    Unverständlich bei all dem ist nur: Wie kommt das Major Consensus Narrative[1] eigentlich mit der Vorannahme durch, mit Privatisierungen und Wettbewerb gingen „Effizienzgewinne“ einher? Klar, Privatisierung führt in der Regel zu zum Teil drastischer Lohndrückerei, aber selbst wenn mensch die sozialen Kosten dieser Lohndrückerei externalisiert, dürfte das Reibungsverluste in der eingangs zitierten Größenordnung kaum ausgleichen können.

    Leider sorgen all die Management-Jobs umgekehrt für eine weitgehende Unumkehrbarkeit der Privatisierungen außerhalb von katastrophalen Ereignissen: Zu viele gut bezahlte Jobs als Frühstücksdirektor oder Chief Information Officer der Privatbahn Hintertupfing AG würden verschwinden. Die Leute, die jetzt darauf sitzen, haben ein fast schon existenzielles Interesse daran, dass eine Rückkehr zu einer schlanken, tarifgebundenen öffentlichen Verwaltung nicht passiert.

    Nun: Ein Grund mehr fürs bedingungslose und nicht ehrenrührige Grundeinkommen.

    [1]Das ist schöne postmoderne Diktion für die weitgehend unhinterfragten Vorannahmen, von denen aus alles argumentiert, was, na ja, sagen wir Regierungsfähigkeit behauptet oder ernsthaft Auflage haben will.
  • Antimonarchistische Aktion: In Zukunft „Baiern“ sagen

    Nach Maßstäben eines entschiedenen Antimonarchisten konnte ich bisher relativ viel anfangen mit König Ludwig I von Bayern – immerhin hat er dem Land eine (wenn auch ziemlich lausige) Verfassung gegeben.

    Vor allem jedoch hat er in meiner bisherigen Erzählung im Jahr 1848 für eine leidenschaftliche Affäre mit einer recht resoluten Tänzerin („Lola Montez“, die „Ohrfeigen verteilte und eine Pistole zog“) seine Krone weggeworfen. Das hat selbstverständlich der Freiheit seiner Untertanen nicht viel geholfen – keine Überraschung: „Es rettet uns kein höhres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun“ –, aber in diesem Film war es eine wirklich große und stilvolle Geste.

    Ernüchterung in der Ausstellung

    Meine Ludwig-Toleranz hat etwas abgenommen, seit ich vorgestern mit meinem Museumspass die Ausstellung über Ludwig I im historischen Museum der Pfalz[1] in Speier angesehen habe. Ein Minuspunkt dabei war die Kiste, nach der Baiern (und auch Speier) mit y zu schreiben sei. In den Worten Ludwigs:

    Faksimile einer in einer etwas krakeligen und unleserlichen Schrift verfassten Note.

    Der Grund fürs y in Baiern: „Ich will ferner, daß wo der Name Bayern vorzukommen hat, er wie es eben von mir geschah geschrieben werde, nämlich mit einem y statt i – 20. Oktober 1825 Ludwig.”

    Nicht, dass ich etwas gegen kreativen Umgang mit Sprache hätte oder gegen radikale Eingriffe in die Orthografie, im Gegenteil: Würde Ludwig das heute schreiben, wäre ich der erste, der ihn wegen seines „daß“ reaktionärer Tendenzen verdächtigen würde.

    Politische Rechtschreibung

    Die Konfusionierung der Orthografie durch willkürliche Abweichungen vom Lautprinzip jedoch ist schon für sich blöd. So richtig blöd wird sie dann, wenn sie aus kreuzdummen Gründen passiert. Und das ist nicht nur beim „Thron“ der Fall, sondern unzweifelhaft auch hier: Ludwig I begeisterte sich damals nämlich für das sinnlose Gemetzel des griechischen „Freiheitskriegs“, den ich am Ende meines Chios-Posts wie folgt eingeordnet habe:

    Aus heutiger Sicht wird wahrscheinlich niemand bestreiten, dass das alles Quatsch war. Für die Griechen bestand ihre „Freiheit“ aus einem bayrischen König, der „Griechenland“ zwar exzessiv „liebte“, 1862 aber von einem britischen Schiff evakuiert werden musste, weil seine Machtbasis komplett erodiert war und schon wieder Aufstand herrschte. Sein letzter Nachfolger schließlich ging 1968 unter, als er selbst einen Militärputsch plante, ihm andere Militärs aber zuvorkamen.

    Die sinnlosen Ypsilons des ersten Ludwig Wittelsbach nun sollten eine Art „stand with Greece“ ausdrücken, ein wenig wie Lord Byrons Märtyrertod in gleicher Sache, nur etwas weniger tödlich und vielleicht einen Hauch weniger albern. Letzteres ist einzuräumen, war doch des Königs Begeisterung für diese Sorte Freiheit aus seiner Sicht sogar verständlich. Dies jedenfalls in der Rückschau, denn Ludwig konnte im Endspiel um die Macht in Griechenland einen seiner Söhne als griechischen König installieren (wenn auch vor allem, weil sich die Großmächte erster Klasse beim Aufteilen des osmanischen Kadavers gegenseitig blockiert haben).

    Um welche Sorte Freiheit es dabei ging, mag auch hervorgehen aus der Tatsache, dass Ludwig wenige Jahre nach seinem y-Stunt die 1832 in Hambach (sein Territorium, und er hat seinen Altersruhesitz auch gleich in der Nachbarschaft errichten lassen) feiernden NationalistInnen mit Feuer und Schwert verfolgen ließ und bei der daraufhin etablierten Zentralbehörde für politische Untersuchungen fleißig mitspielte.

    Klar: in Zeiten des zweiten Krimkriegs können wir kaum mit Steinen werfen, wenn Freiheitsgetöse aus HerrrscherInnenmund zusammengeht mit Waffenhandel, Patriotismus, Heldenkult, unfähigen Statthaltern, und natürlich Aufrüstung sowie Grundrechtsabbau im eigenen Land. Aber deswegen müssen wir noch lange nicht patriotisch-pathetischen, romantisch-verlogenen Unfug in alle Ewigkeit weitermachen.

    Lasst uns deshalb einen kleinen Teil der nächsten Rechtschreibreform vorwegnehmen und „Speier“ und „Baiern“ schreiben. Zwei Fallen weniger in der verrückten deutschen Orthografie!

    Ludwig liebt Lyrik

    Was habe ich noch gelernt über den ersten Ludwig Wittelsbach? Nun, vor allem, dass sich seine Lyrik zumindest von der der Vogonen positiv abhebt. Die Ausstellung illustriert das nicht ohne etwas feine Ironie so:

    Spot-erleuchtete Buchstaben an der Wand: „Die Nonne in Himmelsforten“ von Ludwig I: „Ach! Die Zelle/Wird zu Hölle/Wenn das Herz erglüht/Wer in Mauern muss vertrauern/Wenn die Liebe blüht“

    Heinrich Heine, treffsicher wie immer, konterte das mit:

    Herr Ludwig ist ein großer Poet,
    Und singt er, so stürzt Apollo
    Vor ihm auf die Kniee und bittet und fleht:
    Halt ein, ich werde sonst toll, o!

    Außerdem verliert meine Version des Mit-Lola-Montez-Durchbrennens etwas an Überzeugungskraft, wenn die Ausstellung seinen Rücktritt eher darstellt als beleidigten Rückzug, weil ihm der revolutionäre Pöbel von 1848 schlicht immer mehr konstitutionelle Fesseln anlegen wollte. Ich muss den KuratorInnen zugestehen, dass ihre Version glaubhafter ist als meine, die irgendwo zwischen Roman Holiday und Robin Hood zu liegen kommt. Aber natürlich ist sie wirklich nicht dazu angetan, mein antiautoritäres Herz zu bewegen.

    Nicht ganz erwartet hatte ich die Dichte von Bezügen auf Heidelberg im Leben von Ludwig I; so verbrachte er Teile seiner Jugend im heutigen Heidelberger Stadtteil Rohrbach. Wie viele biographische Details führt die Ausstellung das durch recht nett zusammenfingierte königliche Tagebücher zum Selbstblättern ein. Der Band zu Kindheit und Jugend Ludwigs legt ihm neben Träumen von Rohrbach auch revanchistische Gefühle im Hinblick auf die rechtsrheinische Pfalz – ein ehemals bairisches Territorium, mit dem Napoleon in Ludwigs Jugend den Markgraf von Baden entlohnt hatte – in den Mund („an Baden verloren“). Irgendwann muss ich mal mehr recherchieren über alte Feindschaften zwischen (den Herrschern von) Altbayern und Baden.

    Auch kaufte Ludwig W. 1827 die Kunstsammlung der Gebrüder Boisserée, die diese in der späteren Heidelberger Gestapo-Zentrale (und dem heutigen germanistischen Seminar) zusammengetragen hatten, und schuf so den Grundstock der alten Pinakothek in München.

    In einem Schritt ins 20. Jahrhundert

    Weiter hat er das „Ludwig“ zum Namen „Ludwigshafen“ von Heidelbergs schmutziger – größtes Chemiewerk Europas – Schwester im Rhein-Neckar-Raum beigesteuert; vorher hieß der Ort „Rheinschanze“ und war eine Art Mannheimer Brückenkopf am Westufer des Rheins. Allerdings gehörten zu der Zeit beide Ufer auch noch dem gleichen Herrn, eben dem Pfalzgraf bei Rhein, als dessen Erbe Ludwig sich verstand.

    Und, etwas entfernter von sowohl von Ludwig I als auch von Heidelberg: Das historische Museum der Pfalz in Speier selbst verdankt seine Existenz einem Sohn Ludwigs, nämlich dem „Prinzregenten“ Luitpold, der regierte, weil nach dem spektakulären Abgang von Ludwigs Enkel Ludwig II (der mit Neuschwanstein und dem fatalen Bad im Chiemsee) in der Thronfolge ein weiterer Otto Wittelsbach (nicht der, den die Royal Navy aus Griechenland evakuiert hat) dran gewesen wäre. Otto W. allerdings war aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 geistig ziemlich derangiert zurückgekommen (was ihn ehrt) und konnte daher zwar König sein, aber dennoch nicht regieren.

    Tatsächlich wird der Initiative des Ludwig-Sohns seit jeher auf dem Haus gedacht; es ist mir nur vorgestern zum ersten Mal richtig aufgefallen:

    Teil-Außenansicht des historischen Museums; auf einer Sandsteinmauer hängt eine Werbefahne für die Ludwig-Ausstellung, links daneben in Gold in die Wand eingelegt: „Regnante Luitpoldo Princ Reg Bav Exstructum AºMDCDVIII”

    Die Jahreszahl 1908 auf der Bauinschrift ist übrigens kein Scherz. Ludwigs Gattin Therese von Sachsen-Hildburghausen (die von der Oktoberfestwiese) hat Luitpold zwar schon 1821 zur Welt gebracht, dieser konnte aber tatsächlich 1908 noch Richtfest in Speier feiern. Er starb erst 1912 – eigentlich erstaunlich für ein Kind des Königs, der gerade so nicht mit Lola Montez durchgebrannt ist.

  • Den fehlenden SchleuserInnen

    Blick auf einen Park mit einer in Luma etwas hervorgehobenen Büste in der Mitte, abgeschlossen von einem Haus mit Fensterläden. Im Vordergrund eine Tafel „Johann Georg Elser“ mit etwas biographischem Text und eine Streugutkiste, auf der ein improvisierter, herausgezoomter Aufkleber angebracht ist: „Georg Elser Gedenken“.

    So sieht die Stelle, an der Georg Elser in die Schweiz hatte fliehen wollen, heute aus: eine Büste in einer Art Park und eine kurze, etwas biedermeierisch wirkende Tafel. Das für mich ergreifendste Stück Erinnerungskultur allerdings war der mit Klebeband an der Streugutkiste fixierte Zettel.

    Für Menschen, die – wie ich gestern – in Konstanz sind und beispielsweise beim Umsteigen zwischen Zug und Katamaran eine halbe Stunde Zeit haben, habe ich einen Besichtigungstipp: Ein paar hundert Meter vom Hafen entfernt, im Garten der Schwedenschanze 10 befindet sich ein Denkmal für Georg Elser, den Antifaschisten, der mehr oder minder im Alleingang das Attentat im Bürgerbräukeller ausgeführt hat.

    Ich finde, die Stelle ist aus mehreren Gründen einen Besuch wert. Erstens hat sie mir klar gemacht, dass Elser nicht nur ein ziemlich begnadeter und politisch engagierter Bastler war. Nein, er hatte auch einen ziemlich plausiblen Plan sowohl für den Tyrannenmord als auch fürs eigene Überleben. Weil ich glaube, dass der Tyrannenmord angesichts der generellen Durchgeknalltheit der damaligen deutschen Bevölkerung wahrscheinlich eh nichts gebracht hätte, ist mir letzteres in seiner unheldischen, überhaupt nicht eschatologisch verblendeten („<Zweck> oder Tod“) Art eigentlich wichtiger.

    Das Denkmal steht nämlich an der Stelle, an der Elser, noch bevor die Bombe im Bürgerbräukeller hochging, in die Schweiz fliehen wollte, und zwar auch heute noch praktisch genau auf der Grenze: Er hatte es schon fast geschafft! Und mehr: Das war nicht einfach ein blinder Fluchtinstinkt. Elser kannte die Stadt Konstanz und ihre Grenzlage, denn er hat in den zwanziger Jahren eine zeitlang dort gewohnt.

    Gerade heute, da „Schleuser“ der Autorilla[1] und ihren TrittbrettfahrerInnen im Wortsinne als Totschlagargument dient, ist der Georg-Elser-Park darüber hinaus ein ein guter Ort, um ein wenig darüber nachzudenken, was Elser erspart geblieben wäre, hätte er damals an dieser Stelle etwas Hilfe gehabt.

    So, wie es war, stand er am 8. November 1939 um 20:45 wenige Meter vor der Schweizer Grenze, als ihn zwei Zöllner erwischten – hätte die nicht irgendwer („Schleuser“) strategisch ablenken können? Es spricht jedenfalls für Elsers planerische Kompetenz, dass weitere 45 Minuten („Kontingenzpuffer“) später die Bombe im Bürgerbräukeller explodierte.

    Ein Steinblock mit einer gavierten Inschrift „Ich habe den Krieg verhindern wollen“ und einer Büste von Elser oben drauf.

    Jetzt gerade ist der Elser-Park nicht zugänglich: Das Tor im Vordergrund ist „wegen Sanierungsarbeiten“ abgeschlossen und soll das wohl bis in einem Jahr auch bleiben. Das macht aber nichts: die wesentlichen Dinge sind zu sehen.

    Sein Leidensweg war mit dem Zugriff der beiden programmiert: Gestapofolter im „Hotel Silber“ in Stuttgart, dann KZ Sachsenhausen, dann KZ Dachau (wobei ihn die NS-Schergen offenbar für einen späteren Schauprozess in relativ guter Form hielten). Fast so knapp wie seine Flucht scheiterte auch seine Befreiung: Ein SS-Mann erschoss ihn am 9. April 1945 im Lager Dachau, keine drei Wochen, bevor US-Truppen dort eintrafen.

    Gerade weil er ganz unheldisch nicht sterben wollte und dafür sorgfältig geplant hat: Auf meiner persönlichen Liste großer BastlerInnen der Weltgeschichte hat Georg Elser seit gestern einen erheblich prominenteren Platz.

    [1]Vgl. dazu diese Fußnote.
  • Zu schön, um echt zu sein, Teil 3: Die „Reichsburg“ Cochem

    Anlässlich in Speyer ausgestellter Kronen habe ich im März die These gewagt: „Wenn es ganz besonders echt aussieht, ist es wahrscheinlich ein Fake“. Im April fand ich bei der Dürkheimer Hardenburg weitere Belege für diese, nun, ich gehe gleich zu „Einsicht“ über. Mir scheint, speziell bei Burgen gilt meine, ach ja: „Regel“ ganz besonders, nicht zuletzt, weil ich gestern die „Reichsburg Cochem“ (vorsorglich: das ist ein kurzes o im Ortsnamen) aus der Nähe sah. Gerade in den Nebeln vom Moseltal sieht die stark nach Avalon aus:

    Eine Burg mit vielen Türmchen auf einem mit Wein und Gestrüpp bewachsenen Hügeln vor im Hintergrund blasseren Hügeln.

    Tatsächlich war an der Stelle einst durchaus eine echte Burg, von der aus diverse Grobiane Zölle auf der unter dem Gebäude dahinfließenden Mosel erpresst haben. Aber von dieser Burg ist nach dem pfälzischen Erbfolgekrieg – dem auch das Heidelberger Schloss viel von seiner Romantik verdankt – nicht viel übrig geblieben. Französisches Militär pustete das Ding im Jahr 1698 bis auf zwei Turmreste weg.

    Ich denke, auf diesem Berg wäre heute von unten nichts mehr zu sehen, wenn nicht ein durch Eisenhandel reich gewordener hugenottischer Preuße namens Louis Fréderic Jacques Ravené – heute in Cochem durch Straßen- und Hotelnamen innbrünstig verehrt – das Areal 1868 gekauft hätte, um dort kräftig Burgenromantik zu betreiben.

    Ich glaube, er hat noch nicht, wie etwa zur gleichen Zeit Ludwig II in Neuschwanstein, fleißig mit Beton bauen lassen – aber auch ohne ganz moderne Baustoffe ist die dekorative Türmchenorgie in etwa so echt wie die Krone von Rudolf IV von Österreich.

    Vielleicht darf mensch das trotzdem hübsch finden. Aber dazu vergisst mensch besser, das dieses Sentiment vom Justizminister der NS-Regierung geteilt wurde, der in dem Gebäude 1943 eine Art, hust, Führungsakademie für seinen Apparat faschistischer Volks- und anderer Richter betreiben ließ. Was in den verbleibenden zwei Jahren seiner Amtszeit darin „gelehrt“ worden sein mag, wird wohl bitter genug gewesen sein, um den süßen Mittelalterkitsch ein wenig zu vergällen.

  • Technoseum: Innovationen für den Umweltschutz von 1910

    Verschiedene kleine Geräte mit Walzen und Kurbeln in einer Vitrine arrangiert.

    Ratet, was das ist. Dann lest weiter.

    Erfreulicherweise verschafft mir mein Museumspass auch im Landesmuseum für Arbeit und Technik in Mannheim – Verzeihung, „Technoseum”, inzwischen – freien Eintritt.

    Da. Ich habe gleich damit aufgemacht: ich konnte das leicht bräsige „Arbeit und Technik“ gut leiden, schon, weil es den historischen Kompromiss der späten 1970er Jahre atmet. Ich stelle mir immer vor, dass Alt-Ministerpräsident Späth damals eine Art Propagandaabteilung für seine Daimler-Bosch-Spätzlesconnection bauen wollte, im seinerzeit noch viel gewerkschaftsgeprägteren Mannheim dabei aber viele Zugeständnisse machen musste. Wie viel Realität auch immer in dieser Fantasie stecken mag: mensch kann noch heute die Internationale hören im Museum, bekommt Einblick in die Elendsviertel der Gründerzeit und findet zwischen all den Wunderwerken dann und wann auch Einsprengsel von Technikfolgenabschätzung.

    Vor diesem Hintergrund war ich bei meinem Museumspass-Besuch neulich hocherfreut, dass ein paar der bunten „Zeitreise“-Klötze weiter an die Gründerjahre des Landesmuseums erinnern. Auf ihnen leitet immer noch ein Botschafter der späten achtziger Jahre in herzigen Videos in noch fernere Zeiten:

    Vier Klötze in kräftigen Farben, Sitzklötze in Blau, ein Monitorklotz in rot.  Auf dem Monitor eine Anzeige „Zeitreisen/Bitte nähertreten“.

    Museumspädagogik der späten 1980er: Ich oute mich hier als Fan.

    Ihr habt geraten, was am Anfang des Texts zu sehen ist?

    Aber eigentlich will ich ja verraten, was die Dinger im Foto oben sind. Nämlich: Das sind verschiedene Maschinen, die erlaubten, Wechselklingen für Nassrasierer zu schärfen und so deren Lebensdauer zu vervielfachen. Das war erkennbar ein nenenswerter Markt, so zwischen 1900 und 1920.

    Ich fand das bemerkenswert, weil zwar Rasierausrüstung aktuell vermutlich bei fast niemandem nennenswert ökologischen Fußabdruck ausmacht, das aber nur daran liegt, dass wir ansonsten so viel Dreck machen. All die Sprays, Geräte, Wässerchen und Einweg-Klingenhalter, die die breite Mehrheit der Menschen beiderlei Geschlechts mittlerweile auf die Entfernung von Haaren verwendet, dürfte schon einige zehn Kilo CO₂-Äquivalent im Jahr ausmachen[1] – pro Nase. Das wäre vermutlich schon im Prozentbereich des gesamten Fußabdrucks eines Menschen von 1910 gewesen, wenn es sich nicht gerade um Fürstinnen oder Soldaten handelte.

    So gesehen betrachtet ihr oben eine der berühmten technischen Lösungen, die uns bei der Bewältungung der Klimakrise helfen sollen, nur, dass die Rede von der Innovation bei Kram aus dem Kaiserreich wirklich nicht mehr passt [Pflichtmitteilung: Ich bleibe überzeugt, dass es für die Klimakrise keine technische Lösung gibt; sie ist ein fundamental wirtschaftliches, also soziales Problem und braucht daher auch soziale Lösungen; im vorliegenden Fall schlage ich Großentspannung in Sachen Körperbehaarung vor.]

    Ich hoffe, mit diesen Blech- und Messingwundern aus der ausgehenden Gaslichtzeit alle Steampunk-Fans des Internets hierher gelockt zu haben. Herzlich willkommen, und wo ihr schon da seid, habe ich ein weiteres Schmankerl aus dem Landesmuseum für euch:

    Ein in Kiloampere geeichter Strommesser und ein Voltmeter, rund, auf Marmorgrund, darüber en Blechschind in Sans-Serif: Turbodynamo II.

    „Turbodynamo II“ klingt wie albernes Technobabble aus Star Trek, ist aber echt. Wenn ich das Arrangement richtig interpretiere, gehörte das gute Stück zum Kleinkraftwerk, das die Waggonfabrik Fuchs – in einem Produkt der Firma könnt ihr im Technoseum Dampfzug fahren – Ende des 19. Jahrhunderts in Heidelberg hat errichten lassen. Die dazugehörige Dampfmaschine wird im Landesmuseum normalerweise ein paar Mal am Tag in Aktion vorgeführt, wenn auch mit anderswo erzeugtem Dampf, so dass niemand Kohle schaufeln muss. Dennoch: Steampunks, kommt nach Mannheim.

    Ein letztes Exponat habe ich noch zu bieten, und zwar eins aus der aktuellen Sonderausstellung zur Geschichte des Rundfunks:

    Auf eine Holzplatte montierte elektrische Bauteile, vor diesen ein großer Drehregler.

    Das ist ein frühes Radio (ein Audion), das eine unbekannte Person im Deutschland der 1920er Jahre gebaut hat.

    Aus diesem Exponat habe ich Hoffnung geschöpft, denn es stellt sich heraus, dass in dieser Zeit der Selbstbau von Radios bei Strafe verboten war; der Grund war wahrscheinlich ein wenig, dass die Erhebung der Rundfunkgebühr durch die Kontrolle des Gerätehandels erleichtert werden sollte.

    Doch versichert die Ausstellung, die Regierung habe sich vielmehr um ausländische Spione besorgt, die durch Radiobasteln leichter mit ihren Auftraggebern hätten kommunizieren können. Die Sorge war auch ganz sicher berechtigt. Der Irrsinn aber, dass eine Obrigkeit aus Angst um ihre Herrschaft ihren Untertanen das Basteln verbietet, der hatte hier keinen Bestand, zumal größere Teile der Bevölkerung eben doch Radios bastelten.

    Der derzeit als Einbahnstraße erscheinende Weg zu immer mehr „Sicherheitsgesetzen“ ist nicht unumkehrbar, schon gar nicht, wenn hinreichend viele Menschen die unerfreulichen Vorstellungen der Obrigkeit von „Sicherheit“ nicht teilen.

    An der Stelle muss ich meine Prinzipien der Trennung von Arbeit und Blog verletzen und eine Anekdote aus den späten neunziger Jahren erzählen. Ich habe damals am ADS gearbeitet, einer großen Datenbank mit fast allem, was in der Astronomie jemals wissenschaftlich publiziert wurde. Weil damals die Leitungen über den Atlantik insgesamt in etwa die Kapazität eines heutigen Haushaltsanschlusses hatten, unterhielten wir Spiegel in etlichen Ländern, darunter auch in Frankreich.

    Die französische Regierung jedoch – ich kratze die Kurve zurück zum Thema – hatte damals ihrer Bevölkerung nennenswerte Kryptographie verboten (kein Witz!), und so durfte das Institut, das den Spiegel betrieb, auch keinen sshd laufen lassen (ich erfinde das nicht). Und deshalb hatten wir für den französischen Spiegel extra irgendeinen haarsträubenden Hack, um trotzdem irgendwie rsyncen zu können. Auch dieser Unsinn ist ein paar Jahre später – längst hatte natürlich praktisch jedeR Netzwerkende in Frankreich ssh, und überall unterstützten auch Browser in Frankreich https – stillschweigend zu Grabe getragen worden.

    Erstaunlicherweise hat das Staatswesen die nicht mehr durch Kryptoverbote gehemmten Umtriebe der Spione seitdem überlebt – und wenn die Freie Kryptographie der Gesellschaft überhaupt einen Schaden zugefügt hat, war der jedenfalls ungleich kleiner als, ich sag mal, die Verheerungen durch Sarkozy, Hollande oder gar Macron.

    Ihr seht: Obrigkeitlicher Zugriff auf die Technologiewahl ihrer Untertanen ist kein Privileg von Kaisern oder mit Freikorps paktierenden Reichspräsidenten. Das machen auch ganz regulär unsere – <hust> demokratisch legitimierten – Regierungen. Aber Menschen, die in Zeiten von Chatkontrolle und Hackertoolparagraphen leben, erzähle ich damit wohl nichts Neues.

    [1]In dem hier schon öfter zitierten Standardwerk „How Bad Are Bananas“ schätzt Mike Berners-Lee (inflationsbereinigt) 500 g CO₂-Äquivalent pro für Supermarkt-Essen oder ein Auto ausgegebenem Dollar – übrigens gegenüber 6 kg, wenn ihr für den Dollar US-amerikanisches Benzin zu 2010er Preisen gekauft habt. Ganz grob dürftet ihr also auch für einen für plausible Konsumgüter ausgegeben Euro innerhalb eines Faktors drei ein halbes Kilo CO₂ rechnen müssen. Wer dann 100 Euro fürs Enthaaren (ist das realistisch? Ich mach dabei ja nicht mit…) ausgibt, darf dafür zwischen dreißig Kilo und dreihundert Kilo CO₂e veranschlagen (um in die Nähe der höheren Schätzung zu kommen, müsstet ihr jedoch ganz schön viele Schaumdosen mit interessanten Treibmitteln kaufen).
  • Die Heilige Ursula, ein großes Gemetzel und das Musée de l'Œuvre Notre-Dame in Straßburg

    Als ich neulich mit meinem Museumspass in Straßburg war (zuvor: zum Musée Historique) habe ich mir auch im Musée de l'Œuvre Notre-Dame allerlei Sehenswertes rund um das Straßburger Münster zu Gemüte geführt. In Analogie zum Speyrer Domschatz und zur entsprechenden Einrichtung in Basel erlaube ich mir, das Haus für diesen Post „Münsterschatz“ zu nennen, weil ich zu faul bin, dem Œ eine angemessen beqeueme Tastenkombination zu geben.

    Ich will vorneweg den meist tatsächlich sinnvollen Technik-Einsatz in diesem Museum loben: VR-Brillen, die schwindelerregende Blicke in den Turm erlauben, AR-Tablets, die einen Eindruck von der ursprünglich bunten Erscheinung einiger Statuen geben, kleine 3D-Monitore mit Hologrammen rekonstruierter Kunstwerke und – ganz Messing und Glas – ein Teleskop mit Blick aufs echte Münster.

    Besser erzählen lassen sich aber andere Geschichten, so etwa die der heiligen Ursula und ihrer 11'000 „Jungfrauen“, die, so jedenfalls eine Fassung der Legende, beim Versuch, die auf Köln anstürmenden Hunnen zu befrieden im 4. Jahrhundert den Märtyrertod gefunden haben sollen. Im Münsterschatz sieht das in Mittelalter-typisch fragwürdiger Perspektive so aus:

    Bild in mittelalterlichem Stil: Männer tragen ziemlich steif liegende, jeweils mit einer Speer- oder Pfeilspitze durchbohrte Frauen weg.  Alle Frauen haben einen Heiligenschein.

    Natürlich ist die morbide Prämisse von massenhaftem Opfertod unerfreulich, und ich habe zumindest starke Zweifel, ob die Schlachtfelder im vierten (oder fünfzehnten) Jahrhundert tatsächlich nur oder auch nur wesentlich von Männern aufgeräumt wurden.

    Andererseits stellt das Bild eine theologische und keine historische Szene dar, und so ist vorliegend die Frage viel spannender, ob Heiligenscheine wirklich nach dem Tod weiterschimmern, ob diese also an den Körper oder nicht doch eher die „Seele“ – wir befinden uns ja tief in nichtmaterialistischem Terrain – gebunden sind. Wer dazu Lehrmeinungen kennt, möge sie einsenden.

    Der kommerzielle Wert eskalierender Opferzahlen

    In Wirklichkeit hat mich das Bild aber aus einem ganz anderen Grund hingerissen. Es hat mich nämlich daran erinnert, dass die auch nach Maßstäben von frommen Legenden exorbitante Märtyerinnenzahl bei der Ursulageschichte plausiblerweise einen profund materiellen Hintergrund hat.

    Jetzt gerade erklärt die Wikipedia dazu:

    Die Zahl 11.000 geht möglicherweise auf einen Lesefehler zurück. In den frühen Quellen ist gelegentlich von nur elf Jungfrauen die Rede. Deshalb wurde vermutet, dass die Angabe „XI.M.V.“ statt als „11 martyres virgines“ fälschlich als „11 milia virgines“ gelesen wurde. Allerdings berichtet Wandalbert von Prüm bereits 848 über Tausende (millia) von getöteten Heiligen.

    Ich möchte eine andere Version der Geschichte anbieten, die ich vor Jahren in einem längst vergessenen Köln-Reiseführer gelesen habe und die zu gut ist, um nicht erzählt zu werden, auch wenn sie aus Gründen bis dahin unzureichender wirtschaftlicher Erholung ziemlich klar nicht vor Wandalberts Berichten aus dem Jahr 848 stattgefunden haben kann – aber wer weiß schon, ob wir heute wirklich lesen, was Wandalbert geschrieben hat?

    Wichtig dabei ist, dass St. Ursula in Köln etwas außerhalb der römischen Stadt CCAA[1] liegt, deren Nordmauer sich weiter südlich etwa beim heutigen Dom befand. Gleich um die Ecke der Kirche verläuft die heutige Straße Eigelstein, die auf der Trasse der Römerstraße von der CCAA Richtung der Colonia Ulpia Traiana (also, Stadt-Land-Fluss-SpielerInnen aufgepasst: Xanten) verläuft. Menschen mit Römerfimmel mögen ahnen, was jetzt kommt, denn entlang ihrer Ausfallstraßen haben die Römer ihre Toten[2] begraben. Tatsächlich war der eponymische Eigelstein ein bis in die Neuzeit auffälliges römisches Monumentalgrab. Der Boden unter St. Ursula ist also voll von römischen Knochen.

    Soweit die Fakten. Die Geschichte des Reiseführers war nun, dass die Originallegende der Ursula elf Gefährtinnen mitgab – die Wikipedia erwähnt ja auch diese Möglichkeit. Irgendwann hätten dann geschäftstüchtige ReliquienherstellerInnen versucht, die Knochen der zwölf Frauen bei St. Ursula zu finden, was ihnen dank der römischen Bestattungspraktiken leicht gelang.

    Nachdem das Geschäft mit den mutmaßlichen Überresten der Heiligen gut ging, gruben die Leute weiter. Da die CCAA eine große Stadt war, hatte es auch viele Tote gegeben und mithin auch viel Leichenbrand oder – aus der vergleichsweise kurzen christlichen Zeit der CCAA, als die Brandbestattungen außer Mode kamen – auch komplette Skelette. So fanden sich in der Umgebung von St. Ursula zu viele Knochen für zwölf Menschen, so viele gar, dass es ein Jammer gewesen wäre, das Geschäft aufzugeben. Und so sorgten die ReliquienherstellerInnen kurzerhand dafür, dass die Zahl der Jungfrauen in der offiziellen Legende verzehnfacht wurde.

    Das Spiel der Expansion der Metzelerzählung wiederholte sich, während das Geschäft exponentiell wuchs, bis es irgendwem bei 11'000 heiligen Märtyrerinnen offenbar zu dumm wurde oder der Preis für Duodezreliquien unter die Profitabilitätsschwelle gefallen war. Am Schluss jedenfalls landeten wirklich absurde Mengen menschlicher Überreste in der „goldenen Kammer“ von St. Ursula, in der die Wände mit Schädeln und Knochen tapeziert sind:

    Aus allerlei verschiedenen wohl meist menschlichen Knochen gestaltete Muster an einer Wand; ein paar Kunstköpfe stehen auf einem Fries.

    Eine Wand der goldenen Kammer von St. Ursula in Köln; CC-BY-SA 3.0 Hans Peter Schäfer

    Zumindest als ich vor ein paar Jahren mal in Köln war, war die leicht gruselige Installation noch öffentlich zugänglich. Für Menschen, die sich gerne von der katholischen Kirche entfremden wollen, ist das ein lohnender Besuch. Ob hingegen die Geschichte vom Großmassaker wirklich einen ökonomischen Hintergrund hat: Wer weiß?

    Wo Wikipedia-AutorInnen fehlgehen

    Widersprechen möchte ich – auch wenn es weit vom Münsterschatz wegfürt – der Passage

    Eine weitere Grabung [nach noch mehr Reliquien von Ursula und ihrer Schar] wurde zwischen 1155 und 1164 durch die Deutzer Benediktiner im Auftrag von Erzbischof Arnold II. durchgeführt. Dabei fanden sich neben Frauen natürlich auch Männer und Kinder-Gebeine.

    aus dem aktuellen Wikipedia-Artikel zur heiligen Ursula. Ich würde noch zugestehen, dass Knochen von Kindern mit den Mitteln des zwölften Jahrhunderts von denen Erwachsener unterscheidbar waren. Eine Geschlechtsbestimmung hingegen war aussichtslos. Die klappt notorisch nicht mal mit Methoden modernerer Archäologie, wie sich regelmäßig zeigt, wenn irgendwo genetische Analysen einziehen – und selbst dann bleibt es schwierig, wie etwa die Debatte um den_die „Krieger(in) von Birka“ zeigt (vgl. z.B. doi:10.1002/ajpa.23308).

    Es bleibt, aus einem Beitrag über ein spanisches Kupferzeit-Grab in DLF-Forschung aktuell vom 7. Juli diesen Jahres zu zitieren, in dem Christiane Westerhaus lapidar feststellt:

    Zu oft projizierten Forscher ihr eigenes Rollenbild auf die Wissenschaft.

    Da das für mittelalterliche Benediktinermönche sicher nochmal verschärft gilt, wäre ich versucht, die Stelle in der Wikipedia zu

    Etliche der dabei auftauchenden Knochen klassifizierten die Mönche auch als die Überreste von Männern.

    zu korrigieren. Mal sehen, ob ich dieses Fass aufmachen möchte.

    Hunde am Münster

    Der Straßburger Münsterschatz hat nicht nur meine Erinnerung an die wilde Ursula-Geschichte aus Köln aufgefrischt, sondern auch den etwas piefigen Goethe- bzw. Dumont-Claim „Man sieht nur, was man weiß“ dick unterstrichen. Ich war nämlich ziemlich überrascht, als im Museum immer wieder Hunde-Plastiken zu sehen waren, darunter einige, denen ich durchaus ein gewisses Viralitätspotenzial zusprechen würde:

    Eine Sandsteinfigur eines Hundes mit Schlappohren und extrem großen Augen.

    Der Begleittext erläutert, dass diese Figuren viele der zahlreichen Dachspitzen des in glorioser Zuckerbäckergotik erbauten Münsters zieren. Das war mir nie vorher aufgefallen, auch nicht, als ich vor Jahren mal hochgestiegen bin.

    Als ich aber wieder vor der Tür des Münsterschatzes und mithin vor dem Münster selbst stand, fiel mir sofort das hier ins Auge:

    Eine Sandsteinfigur eines Hundes auf einer Turmspitze vor dem Hintergrund einer gotischen Fassade.

    – und gleich danach bemerkte ich viele weitere Hunde oder hundeartige Wesen auf allen möglichen Spitzen. Wo sie mir mal aufgefallen waren, konnte ich nicht mehr verstehen, wie mir diese Merkwürdigkeit vorher hatte entgehen können. Gruselige Wasserspeier, klar, das ist ja praktisch die Definition von Gotik – wer guckt da noch hin? Aber Hunde auf allen Türmen? Wer hat sich das ausgedacht? Und warum?

    Was nicht mehr im Münsterschatz ist

    Gerade im Vergleich mit dem Domschatz in Speyer fällt auf, dass im Straßburger Münsterschatz praktisch nichts Goldenes ausgestellt wird. Es gibt demgegenüber haufenweise Steine, ein wenig Plunder aus verarbeitetem Elfenbein und noch ein paar Objekte, bei denen sich viele wünschen werden, sie hätten sie nicht gesehen. Ich führe mal dieses, nun, „Objekt“ aus dem Besitz eines der Fürstbischöfe als Beispiel an:

    Eine Plastik eines silberfarbenen Stiefels mit einer Spore und einem relativ hohen Absatz

    Der Grund für die Abwesenheit allzu prunkvoller Albernheiten ist einfach: in Straßburg hatten die Leute 1789ff eine zünftige Revolution – ich hatte dazu ja neulich schon philosophiert. Bei der Gelegenheit haben die dritten und vierten Stände dem fürstbischoflichen Hof einen Besuch abgestattet und den Kram, der wertvoll oder nützlich erschien, rausgetragen und vergesellschaftet.

    Besonders beeindruckend fand ich, dass sie die Bücher aus dem Palais Rohan, dem Amtssitz des Fürstbischofs, in die bürgerliche Stadtbücherei integriert haben. Schade allein, dass sie dort verbrannt sind, wenn ich mich recht entsinne, aufgrund des Wütens der deutschen Truppen von 1870 (auch dazu vgl. neulich) – aber das ist den RevolutionärInnen nun wirklich nicht vorzuwerfen.

    Wer mehr über diese Geschichte wissen will, sollte ins Straßburger Kunstgewerbemuseum (Musée des Arts décoratifs) gehen, in dem der Raum der damals sozialisierten Bibliothek heute (für 7.50 oder halt einen Museumspass) zugänglich ist Vielleicht habe ich dazu demnächst noch etwas mehr zu sagen.

    [1]Also Colonia Claudia Ara Agrippinensium, der volle Name des antiken Kölns. Der war schon deren Bewohnern zu lang, weshalb die Abkürzung CCAA tatsächlich auf etlichen Weihesteinen und Bauinschriften überliefert ist.
    [2]Respektive das, was von ihnen, also den Toten, nach der in heidnischen Zeiten obligatorischen Brandbestattung übrig geblieben ist.
  • Musée Historique de Strasbourg: „Von der Pfaffen Grittigkeit“

    Sandsteintafel mit Frakturschrift vor schwarzem Hintergrund; Text: Gottes Barmherzigkeit ⋅ Der Pfaffen Grittigkeit ⋅ Und der Bauern Bosheit ⋅ Durchgründt niemand bei meinem Eid

    Aus dem Musée Historique de Strasbourg: Diese Tafel war seit 1418 am Weißturmtor von Straßburg angebracht. Je nun: was wollte uns der Autor damit sagen?

    Dank meines Museumspasses hat es mich neulich in das Musée Historique de Strasbourg verschlagen, und neben vielem anderen mehr oder minder wildem Kram ist dort die oben gezeigte Steinplatte ausgestellt. Mit etwas Mühe lässt sich die Frakturschrift auch von modernen Menschen entziffern als:

    Gottes Barmherzigkeit ⋅
    Der Pfaffen Grittigkeit ⋅
    Und der Bauern Bosheit ⋅
    Durchgründt niemand bei meinem Eid

    Ich habe kein Wort verstanden, und leider erklärt auch die Beschreibung des Exponats nicht, was dieser Spruch den durch das Tor tretenden Menschen wohl hat mitteilen wollen. Bei mir fing es ja schon bei „Grittigkeit“ an. Was ist das wohl?

    Duckduckgo führt (neben – leider! – haufenweise falsch Positiven wie Wörterbucheinträgen zu „Griffigkeit“) immerhin auf das Lemma „grittig“ im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm. Dort werden als Bedeutungen „zänkisch“ und „habgierig“ angeboten, letzteres mit einem Beleg „das die pfaffen ungerecht werent mit hoffart, mit grittikeit und unkúscheit“. Das wirds also sein: die Habgier der Pfaffen.

    Aber was ist jetzt das „durchgründt“? Auch hier helfen die Grimms, die das zu „völlig ergründen […] bis auf den grund durchdringen“ auflösen. Damit wäre die letzte Zeile in modernem Deutsch etwas wie „Wallah, das versteht keine Sau“; ein unmittelbarer Zusammenhang mit irgendwelchen konkreten Bürgereiden (sowas gab es natürlich auch in Straßburg, und auch dort war zeitweise heftig umkämpft, ob „Pfaffen“ oder auch Adlige ihn leisten müssten) scheint mir nicht plausibel.

    Nicht nur Lexik

    Nach Beilegung der lexikalischen Schwierigkeiten verstand ich aber immer noch nicht, warum wer so einen Spruch über dem Stadttor angebracht haben könnte. Ich hatte jedoch zwischendurch auch Google nach der Grittigkeit befragt, und dort kamen einige Matches in deren gescannten Büchern. Oh, was für eine Schande, dass all unsere öffentlichen Bibliotheken nicht ein vergleichbares Scan-Programm haben auflegen können, dessen Früchte ordentlich public domain wären und nicht hinter der Verwertungsmaschinerie von Google lägen!

    Aber noch leben wir in einer anderen Welt, und so habe ich die Zähne gefletscht und meine DNS-Blockade für googleusercontent.com überschrieben[1]. So kam ich an ein PDF der „Neuen Vaterländischen Geschichte der Stadt Straßburg“ von Johannes Friese[2] aus dem Jahr 1792 – sie erschien also, da Straßburg damals schon zu Frankreich gehörte, mitten in der Revolution oder „im vierten Jahr der Freiheit“, wie es auf dem Titelblatt heißt.

    In dem Werk findet sich das Grittigkeits-Verslein auf PDF-Seite 374[3], interessanterweise aber gleich mit „ergründet“ statt „durchgründet”. Da die Platte damals wohl noch am Tor gehangen haben wird: Hat Frieses Erinnerung auf dem Weg vom Turm zur Schreibstube schon eine Modernisierung der Sprache vorgenommen? Oder war die Änderung Absicht? Hing gar eine andere Tafel am Turm?

    Wie auch immer – das Buch stellt die Platte in folgenden Kontext:

    Die Stiftsherren bey St. Thomas hatten den Zehnten im Königshofer Bann. Nun war es zwar kein Recht, aber doch eine alte Gewohnheit, daß man den Bauern in der Aerndte eine gemeine Zeche von Brod und Wein reichte; dieses wollten aber die gestitlichen Herren diesmal nicht thun, obgleich die Aerndte sehr ergiebig war. Die Bosheit der Bauern, durch den Geiz der Priester gereizt, verursachte darauf, daß der Zehnte, der noch auf dem Felde lag, durch böse Buben verbrannt wurde. Diese Geschichte soll Anlaß gegeben haben, daß der Stein am Weissenthurnthor [sic!] mit der bekannten Inschrift gesetzt wurde.

    Dann wäre „Bosheit“ also wohl eher als „Wut“ zu aktualisieren, und das Ganze wäre ein Kopfschütteln über die Sinnlosigkeit sowohl des klerikalen Übergriffs wie auch der vielleicht etwas sehr schlechtgelaunten bäuerlichen Reaktion auf ihn.

    Vaterland?

    Das „Vaterland“ im Titel des des Friese-Buchs ist übrigens auch nicht ganz leicht zu interpretieren, denn wie gesagt: „Vaterland“ war in Straßburg 1792 bereits seit rund hundert Jahren – wenn überhaupt etwas – Frankreich, nachdem Louis XIV 1681 die türkische Belagerung von Wien zur eigenen („l'état c'est moi”) Arrondierung genutzt hatte. Was Friese tatsächlich unter „Vaterland“ verstanden hat, habe ich nicht zu „durchgründen“ versucht. Dass er auf Deutsch veröffentlicht hat, ist jedenfalls kein klares Signal, denn das wurde zu seiner Zeit erst langsam unüblich im französischen Straßburg. Davon kann mensch sich im Musée Historique verschiedentlich überzeugen. So wird beispielsweise eine Polizeiverordnung von 1708 ausgestellt, die – sehr passend! – auf Deutsch überflüssiges Essen und Trinken verbot.

    Aus Frieses Zeit kommt dieses Exponat, das das gewaltsame Ende von Robespierre am 28. Juli 1794 den BürgerInnen von Straßburg bekannt machte:

    Papier mit einer Guillotine-Zeichnung in der Mitte und darum in an Fraktur angelehnter Handschrift: „Roberts Piere ist nun tod/schönck den frieden uns O Gott/dieses winscht die ganze welt [...]

    Spätestens zu diesem Zeitpunkt jedoch war Deutsch massiv auf dem Rückzug aus Straßburg, und zwar – gewiss neben Aufwallungen von Nationalismus und Zorn über von deutschsprachigen Potentaten nach Frankreich getragenem Krieg – wohl aus einem recht nachvollziehbaren Grund: Das Regierungssystem in Frankreich war trotz Durchknallereien wie im Fall Robespierre einfach viel überzeugender als irgendwas, das aus Wien, Berlin oder meinethalben auch Baden-Baden, Durlach oder Mannheim hätte kommen können, und so orientierten sich immer weitere Teile der Bevölkerung eben an Paris.

    Insbesondere gehörte dazu auch das metrische System, das aus meiner Sicht alleine hinreichend Grund gewesen wäre, mit Haut und Haaren Richtung Paris zu blicken. Im Musée Historique sind dazu zeitgenössische Maße für Volumen zu bewundern:

    Drei Kannen aus Blech in einer Vitrine arrangiert.

    Die auch darüber hinaus deutlich erkennbar zunehmende Gallisierung der Straßburger Bevölkerung in dieser Zeit illustriert, finde ich, ganz gut, wie patriotisch-verdreht (oder, wie ich neulich fand, bizarr) die Rede von „Befreiungskriegen“ für die Feldzüge der deutschen Reaktion von 1812 bis 1815 war und ist.

    Die Katastrophe von 1870

    Dementsprechend wenig angetan dürfte die lokale Bevölkerung auch über den Einfall deutscher Truppen 1870 gewesen sein, selbst wenn dieser keine so furchtbar schlimme Katastrophe für Straßburg gewesen wäre wie er es in Wirklichkeit war.

    Hier muss ich wieder meinen Geschichtsunterricht anklagen. Die Geschichte, die dort vom 1870/71-Krieg erzählt wurde, war in etwa: Bismarck, der alte Fuchs, hat mit der Emser Depesche die Franzosen dazu gebracht, „uns“ anzugreifen, so dass sich alle hinter Preußen versammelten und es tolle Einheit gab – ach, wie sich irrationale Reflexe doch bis heute gehalten haben –, und dann gab es ein wenig Geballer, das „wir“ grandios gewonnen haben, weil „unsere“ Gewehre beim Schießen keinen Qualm mehr gemacht haben, und dann war Reichsgründung im Spiegelsaal von Versailles, hurra.

    Das war natürlich Quatsch, und zwar schon lange, bevor die unrühmliche Rolle der Deutschen beim Dahinmetzeln der KommunardInnen nicht erwähnt wurde. Der Krieg damals war mies und blutig, ganz vornedran in Straßburg. Im Musée Historique ist dazu das hier zu sehen:

    Ein Bild, auf dem ein Mann durch eine zerstörte Stadt geht, vor einem großen Foto-Hintergrund mit einer zerstörten Stadt.

    Das Bild zeigt den Straßburger Bürgermeister Küss bei der Besichtigung der Schäden durch deutsche Artillerie (gemalt 1873 von Jules-Theophile Schuler nach seiner Erinnerung; Küss floh nach der Machtübernahme durch die Deutschen). Dahinter ist ein Foto der Zerstörungen in Straßburg nach der deutschen Belagerung von 1870 gelegt. Das Museum ordnet diese Belagerung als das „blutigste und opferreichste Ereignis der Stadtgeschichte“ ein, nach dem „ein Drittel der Stadt in Schutt und Asche“ gelegen sei.

    Das Bild des Gentleman-Krieges, das in bayrischen Gymnasien der 1980er Jahre gezeichnet wurde, passt da jedenfalls mal gar nicht. Was sagt eigentlich der moderne deutsche Geschichtsunterricht?

    Zu allem entschlossene Wissenschftler

    Was es 1871 noch nicht gab: empfindliche Seismographen. Das war bei den alliierten Bomben im zweiten Weltkrieg anders. Eine Aufzeichnung eines solchen Angriffs findet sich (zum Glück, denn das Seismologische Muesum in Straßburg ist leider auf unbestimmte Zeit geschlossen) im Musée Historique:

    Viele weiße hoizontale Striche auf schwarzem Grund mit gelegentlichen größeren Wellen.  Ungefähr in der Mitte des Bildes ein Gekrakel als Kreissegment, an dem die weißen Striche aufhören, um im unteren Drittel wieder anzufangen.

    Auf dem Seismogramm verläuft die Zeit schnell von links nach rechts und langsam von oben nach unten. Als größere Zitterer zu erkennen sind einige Bombeneinschläge in größerer Entfernung. Schließlich explodiert etwas in ziemlicher Nachbarschaft: Das ist der große Krakel links der Mitte, nach dem das Seismogramm erstmal aufhört, vermutlich, weil die Kratzspitze abgefallen oder abgebrochen ist. Ich habe keinen sicheren Zeitmaßstab und kann daher nicht sicher sagen, wie lang der Ausfall gedauert haben wird. Angesichts der Länge der Erschütterungen durch die Bomben (Größenordnung Sekunden) sind das aber allenfalls Stunden. Irgendein entschlossener Wissenschaftler hat demnach das Gerät vermutlich recht unmittelbar nach dem Ende des Luftalarms in Ordnung gebracht.

    Schade, dass dieser Held der Wissenschaft einer von der „Reichsuniversität“ Straßburg war. Denn der Laden war speziell während der deutschen Besatzung in den 1940ern eine fürchterliche Hochburg schlimmer Reaktionäre und Faschisten, wovon im Musée Historique nur ein wenig berichtet wird. Das Übrige erzählt das (aus den Zeiten der ersten deutschen Besatzung stammende) Hauptgebäude der Uni –

    Panorama eines hässlichen Gründerzeit-Klotzes

    – und die Ausstellung im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof, wo die Herren Wissenschaftler aus Straßburg (und auch aus Heidelberg; es war ja das Stammlager für das Lagersystem hier in der Region) eifrig experimentierten.

    Aber davon ein andermal mehr.

    [1]

    Wenn ihr meine dnsmasq-Zeilen verwendet: Zumindest zur Zeit könnt ihr gezielt die Bücher freigeben durch:

    address=/books.googleusercontent.com/172.217.16.193
    

    – dnsmasq merkt, dass die Adresse spezieller ist als das allgemeine:

    address=/googleusercontent.com/127.0.0.1
    
    [2]Soweit ich erkennen kann, verbietet Google nicht die Weiterverbreitung; aber ich nehme das PDF dennoch aus dem allgemeinen CC0 auf diesen Seiten heraus.
    [3]Das ist S. 33 von Band Zwei des Werkes. Ich vermute mal, dass das ursprünglich wirklich zwei Bücher waren, die aber die Bibliothek der University of Wisconsin – von der Google hat das Original bekommen – oder …
  • Wenn Gewalt doch mal hätte helfen können

    Als vor ein paar Tagen der französische Fußballspieler Kylian Mbappé angesichts der jüngsten Riots in Frankreich forderte, die „Zeit der Gewalt muss enden“ – und schon gleich, als Jakob Augstein bereits 2014 etwas Ahnliches zum großmächtigen Ringen über die Kontrolle der Ukraine sagte –, konnte ich dem zustimmen. Es ist, in meinen Worten, nicht immer einfach, aber immer weise, der autoritären Versuchung zu widerstehen, auch und gerade, wenn mensch wie die Leute aus der Banlieue eigentlich gar nicht die Machtmittel hat, ihr nachzugeben.

    Allein: Manchmal könnte ich doch schwach werden und mich auf eine Erwägung einlassen, wie es so wäre mit einem verhältnismäßigen Einsatz von Gewalt. So etwa gestern, als ich das Deutschlandfunk-Kalenderblatt vom 4.6.2023 hörte. Es erinnerte an eine strenge Regulierung von Hutnadeln im Jahr 1913, in diesem Fall in Seattle. Die Bewegung hatte aber wohl die halbe Welt erfasst:

    In Zürich werden an einem Tag Geldstrafen gegen hundertzehn eigensinnige Hutnadelträgerinnen verhängt, in Sidney gehen sechzig Frauen ins Gefängnis.

    Hutnadeln? Hutnadeln.

    Eine Fayencefigur einer Frau mit Dreispitz und Jagdgewehr

    Lange vor 1913 und den Hutnadeln gab es bewaffnete Frauen, jedenfalls ausweislich dieser Jägerin aus der Frankenthaler Fayenceproduktion des 18. Jahrhunderts, die im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg zu sehen ist.

    Die Geschichte, die die DLF-Autorin Ulrike Rückert erzählt, klingt zunächst nicht unplausibel:

    Mit drakonischen Strafen will die westliche Männerwelt die langen Nadeln unschädlich machen, mit denen die Frauen ihre Wagenradhüte in der Frisur feststecken, die aber auch zur Waffe geworden sind.

    Vor allem dort, wo sich Frauen um 1900 immer mehr auch allein zeigen, auf der Straße, in Geschäften und Fabriken, in Konzerten und bei politischen Versammlungen. Und wo sie Männer erleben, die sich an sie heran machen, Grapscher und Glotzer, die Frauen ohne männliche Begleitung als Freiwild behandeln.

    Fraglos reagieren die Hutnadel-Verordnungen auf einen profunden gesellschaftlichen Wandel, den in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum mehr jemand im Blick hatte. Die erste (bürgerliche) Frauenbewegung nämlich, die etwas verkürzend unter dem Schlagwort Suffragetten diskutiert wird und von der vielleicht noch die despektierliche Rede von den „Blaustrümpfen“ in Erinnerung war, schickte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts an, die Lage von Frauen in westlichen Gesellschaften erheblich zu verbessern.

    Dabei ging es beileibe nicht nur ums Wahlrecht („Suffrage”). In Heidelberg etwa betrieb wenig später Camilla Jellinek eine Rechtsschutzpraxis für Frauen, in der es vom damals schon skandalösen 218er bis zu den gleichfalls in unsere Zeit weisenden Lohnfragen um das ganze Spektrum von sexistischer Diskriminierung ging. Gleich in ihrer Neuenheimer Nachbarschaft publizierte Elise Dosenheimer derweil zu Sexualethik, Koedukation und ferministischem Pazifismus.

    Es versteht sich fast von selbst, dass die Herrschaft des Faschismus in weiten Teilen Europas dem allen ein Ende machte, und dass im Rest der Welt Gemetzel und Patriotismus um den zweiten Weltkrieg herum der ersten Frauenbewegung schwer zusetzten. In meinem Geschichtsunterricht, nochmal 40 Jahre später, hatte sie allenfalls mal kurz beim Thema Wahlrecht einen Statistenauftritt. Kein Wort von militanten Protesten oder auch arg danebengegangenen Blockadeaktionen.

    Ich hatte auf diese Weise schon viele Sitzblockaden hinter mir, als ich zum ersten Mal von Emily Wilding Davison hörte. Genau an dem Tag, an dem die Männer im Stadtrat von Seattle Hutnadeln regulierten, versuchte sie, das gruselige Galopprennen in Epsom zur Bühne ihres Protests zu machen. Ausgerechnet das Pferd des Königs hat sie totgetrampelt. Vom Hutnadel-Kampf wiederum habe ich in der Tat zum ersten Mal gestern gehört.

    Vor diesem Hintergrund vermute ich, dass die Hutnadelgesetze weniger ein konkretes Problem mit einer spezifischen Waffe adressierten als vielmehr ein Versuch waren, einen autoritären Hebel gegen die sich viel breiter äußernde Frauenbewegung zu finden. Eine naheliegende Parallele wäre das Geraune von „Clankriminalität“, mit dem Polizeien und Innenministerien zur Zeit einen autoritären Umgang mit dem Alltagsrassismus in der Republik exerzieren. Das schließe ich aus folgender Passage aus der DLF-Sendung, die etwas Atmo von 1913 schafft:

    Ein Mann wird mit vorgehaltenen Hutnadeln ausgeraubt, und in Chicago duellieren sich zwei Frauen auf offener Straße. Um 1910 herrscht Hutnadel-Alarm. Die Zeitungen sind plötzlich voll von Meldungen [über wüste Verletzungen durch Hutnadeln].

    Wahrscheinlich hatten die meisten Berichte dieser Art schon irgendeine Sorte von Verankerung in der Realität, wie ja auch einige der „Clankriminalität“-Schoten nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Aber genauso wie diese riechen jene stark nach Kampagnenjournalismus und -politik, nach einem kraftvollen Aufblasen knallbunter, aber völlig nebensächlicher Randprobleme.

    Ob heute mehr Frauen beim nächtlichen Radeln weniger mulmige Gefühle hätten, wenn damals die Hutnadeln nicht reguliert worden wären? Wahrscheinlich nicht, siehe oben zur autoritären Versuchung. Es könnte aber auch sein, dass der Hutnadel-Kampf doch ein Beispiel liefert, in der Gewalt vielleicht wirklich etwas zum ein wenig Besseren hätte wenden können.

  • Horröses Heidelberg 1: Das Kriegerdenkmal im Hexenturm

    Wer mal in der Heidelberger Altstadt studiert oder gelehrt hat, mag hunderte Male vorbeigelaufen sein am letzten Rest der mittelalterlichen Heidelberger Stadtbefestigung, dem „Hexenturm“, der seit den frühen 1930er Jahren Teil des etwas irreführend immer noch „Neue Universität” genannten Hörsaalkomplexes ist. Ich jedenfalls habe das Ding nie genauer betrachtet. Und ich habe nie das ominöse „1914 1918“ wahrgenommen, das in einer Art Loggia im ersten Stock an die Wand gepinnt ist:

    Ausschnitt aus einen grob gemauerten Turm.  Es öffnet sich eine Art Loggia, an deren weiß verputzer Rückwand die Zahlen 1914 und 1918 rechts und links von einem Kreuz zu erkennen sind.

    Wo diese Zahlen stehen, befindet sich in Deutschland gerne eines der furchtbaren Denkmäler für Soldaten der diversen deutschen Kriege seit 1870; das Kreuz und die zwei Kranzaufhängeringe liefern im vorliegenden Fall weitere Indizien. Im Rahmen einer Hexenturm-Führung anlässlich des Mittelalter-Tags der Uni war ich gestern (leider ohne Kamera) dort oben, und es stellte sich heraus: Ja, das ist Kriegergedenken, und zwar Hardcore.

    Laut Rhein-Neckar-Wiki wurde diese gruselige Stätte ab Herbst 1932 (also beginnend noch vor der Machtübergabe an die NSDAP auf Reichebene[1]) errichtet. Sie zählt bis heute die Angehörigen der Uni Heidelberg auf, die sich im ersten Weltkrieg für Kaiser und Vaterland haben massakrieren lassen – aufgeteilt nach Lehrern (wenige) und Studenten (viele) versteht sich. Darüber hat damals ein Steinmetz in den Sandstein gehämmert: „Deutschland soll leben, und wenn wir sterben müssen”.

    Das steht bis heute da. Angesichts aktueller Ausbrüche von Patriotismus bin ich mir gar nicht so sicher, wie viele Menschen es im Augenblick eigentlich noch abstoßend finden, Nationen – was immer das nun sein mag – über Menschenleben zu stellen.

    Schon deshalb würde ich das Zeug auch nicht wegmeißeln, zumal weil (oder obwohl?) die Gruselstätte, soweit ich weiß, nicht öffentlich zugänglich ist. Eine Einordnung vor Ort, dass der Schöpfer dieser Zeile, Heinrich Lersch, im ersten Weltkrieg ziemlich kaputtging und später trotzdem treu der NSDAP diente, wäre aber eigentlich schon angezeigt. Dazu könnte etwa erwähnt werden, dass es die NSDAP-Funktionäre eilig hatten, Lerschs hohl schepperndes Nationalpathos zu belohnen: Schon im Mai 1933 beriefen sie ihn in die Preußische Akademie der Künste. Er selbst brauchte noch ein wenig für den Beitritt – seine NSDAP-Mitgliedsnummer ist 3701750 (das entspricht einem Beitritt im Jahr 1935).

    Ein teuer Gefolgsmann der faschistischen Regierung von 1933ff war er dennoch von Anfang an, etwa durch Werbung für die Einsetzung von Hitler als Reichspräsident 1934. Vor noch schlimmeren Fehltritten hat ihn vermutlich der erste Weltkrieg bewahrt, denn ohne seine Kriegsschäden hätte ihn eine Lungenentzündung wahrscheinlich nicht schon im Alter von 46 Jahren (im Jahr 1936) umgebracht.

    Zumindest so viel könnte im Hexenturm doch wirklich zu lesen sein, etwa analog zur Tafel, die am Turmeingang den auch nicht sehr geschmackvollen Namen des Bauwerks[2] kommentiert. Oder wir warten ein paar Jahre und widmen in reflektierteren Zeiten das Gruselkabinett zu irgendwas hinreichend Pazifistischem um.

    [1]In Heidelberg regierte bereits seit 1928 Carl Neinhaus; da er am 1.5.1933 völlig entspannt und zwanglos in die NSDAP eintrat und erst die Alliierten seine Herrschaft vorläufig beendeten, ist es nicht sehr weit hergeholt, die Stadtregierung von 1932 bereits unter „faschistisch“ zu rubrizieren. Die Uni war spätestens seit dem Fall Gumbel ohnehin fast flächendeckend stramm rechtsautoritär. Wie weit so eine Qualifizierung auch für Neinhaus' weitere Regierungszeit auf einem CDU-Ticket (1952-1958) zu vertreten ist, mag ich nicht entscheiden.
    [2]Der Name Hexenturm ist übrigens zutiefst neuzeitlich. Kein Zusammenhang mit irgendeiner Sorte klerikal inspirierter Verfolgung ist historisch nachgewiesen, und der Name ist, soweit rekonstruierbar, auch eine Schöpfung des romantisch bewegten 19. Jahrhunderts.
  • Friedensforschung als Beruf

    Zu den verheerenderen Publikationen des 20. Jahrhunderts gehört Max Webers Politik als Beruf. Das Werk inspriert bis jetzt all die Rädchen vor allem deutscher Machtapparate – und nochmal ganz besonders die, die am Anfang ihrer Karriere mal menschenfreundlichere Positionen eingenommen haben –, allen möglichen fiesen Quatsch zu rechtfertigen durch „Verantwortungsethik“, während sie Kritik ihrer ehemaligen MitstreiterInnen als (sc. verantwortungslose) „Gesinnungsethik“ abschmettern können, ohne sich mit Argumenten herummühen zu müssen.

    Vor diesem Hintergrund scheinen die laut taz-Autor Pascal Beuker „führenden deutschen Friedensforschungsinstitute“[1] auch eher auf Beruf und weniger auf Forschung setzen. Beuker berichtete nämlich im Artikel Langer Abnutzungskrieg (taz vom 12.6.; in der Papierausgabe war glaube ich keine Helden-Illustration dabei):

    Zum einen müsse die Ukraine militärisch, ökonomisch und politisch weiter nach Kräften unterstützt werden. Das werde wohl „auf sehr lange Zeit“ notwendig sein, „vermutlich sogar über Jahrzehnte“, sagte [die Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung] Deitelhoff. […]

    „Die sich [aus einer einseitigen Einstellung des Gemetzels] ergebende militärische Niederlage der Ukraine würde voraussichtlich deren Zerschlagung nach sich ziehen, einhergehend mit einer Besatzungspraxis von Folter, Verschleppung, sexueller Gewalt und gezielten Tötungen, die wir bereits jetzt in den von Russland besetzten Gebieten beobachten“, sagte Deitelhoff.

    Gut: „Friedens- und Konfliktforschung“ ist im Profibereich („als Beruf“) eher ein Chiffre für „geopolitische Beratung von Außen- und Militärministerium“ (oder, mit etwas mehr Klartext: „Tipps fürs Fertigmachen der Feinde“), so dass ich mich über diese friedenspolitische Bankrotterklärung nicht wirklich gewundert habe. Vielleicht ist der LeserInnenbriefredaktion der taz diese kleine Unehrlichkeit aufgefallen, denn sie hat den folgenden Leserbrief nicht publiziert.

    Aber weil ich nicht oft genug auf die offensichtlichen Parallelen zwischen der derzeitigen Öffentlichkeit und der im ersten Weltkrieg hinweisen kann, kommt er dann hier:

    Liebe Redaktion,

    Wenn einem Forschungsinstitut zur Konfliktbewältigung nur Krieg „über Jahrzehnte“ einfällt, wird es wohl kein Friedensforschungsinstitut sein, schon gar kein „führendes“, wie Pascal Beuker meint. Und tatsächlich: Selbst wer (soweit es mich betrifft irrigerweise) meint, ein guter Krieg sei einem schlechten Frieden vorzuziehen, sollte jedenfalls nicht mit den Durchhalteparolen von Verdun kommen. Auch damals hieß es unter großzügiger Nutzung rassistischer Stereotype (die Kolonialtruppen!), „die Franzosen“ würden, wenn „wir“ nicht mehr schießen würden, vergewaltigend und mordend durch die Lande ziehen. Faktencheck bei der Ruhrbesetzung 1923-1925: Nichts davon. Die französische Besatzung war besser als das Wüten der deutschen Wehrmacht im Ruhrgebiet im Gefolge des Kapp-Putsches 1920, und besser als die Heimatfront während des ersten Weltkriegs sowieso.

    -- Anselm Flügel

    Nachtrag (2023-07-01)

    Zum Thema Phantasmen im Hinblick auf Kolonialtruppen bin ich jüngst bei einer Museumspass-Tour nach Mainz im dortigen Naturkundemuseum auf folgendes Zitat des immer noch von vielen als Lichtfigur der Weimarer Republik verehrten ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert (SPD) gestoßen:

    Foto eines weißen Textes auf schwarzem Grund: „Die Verwendung farbiger Truppen niederster Kultur als Aufseher über eine Bevölkerung von der hohen geistigen und wirtschaftlichen Bedeutung der Rheinländer [ist] eine herausfordernde Verletzung der Gesetze europäischer Zivilisation“ (Friedrich Ebert, 13.2.1923)

    Aber nun gut: Das ist der Ebert, der sich mit den protofaschistischen Freikorps verbündete gegen SpartakistInnen, die Müncher Räterepublik oder die im Leserbrief erwähnten ArbeiterInnen an der Ruhr. Ein weiteres Beispiel dafür, dass es wirklich keine Inflation braucht, um das Ende der Weimarer Republik zu erklären.

    Und wo ich schon in die Geschichte blicke: In gewisser Weise noch mehr Parallelen bestehen zum Krimkrieg der 1850er Jahre, und zwar nicht nur im Hinblick auf den Ort des Gemetzels oder die erstmalige breite Anwendung jeweils neuer Techniken in der Berichterstattung. Das ist mir neulich aufgefallen, als ich im schönen Geschichtswerk „The Age of Capital 1848-1875“ des 2012 verstorbenen britischen Großhistorikers Eric Hobsbawm folgende Passagen las:

    Im Zeitalter der Revolutionen [laut Hobsbawm 1789-1848; das ist auch der Titel des Vorgängerbuchs], oder jedenfalls nach der Niederwerfung Napoleons […] waren die Regierungen der Großmächte extrem darauf bedacht, größere Konflikte untereinander zu vermeiden. Ihre Erfahrungen schienen nahezulegen, dass größere Kriege und Revolutionen gerne miteinander einhergehen. […] Nach der Niederwerfung Napolons 1815 hatten die Großmächte für über dreißig Jahre ihre Waffen nicht gegeneinander eingesetzt und ihre Militäroperationen [sic!] beschränkt auf die Unterdrückung von nationalem oder internationalem Umstürzlertum, auf diverse lokale Unruheherde und auf die Expansion in zurückgebliebene Teile der Welt.

    [Hobsbawm erzählt im Folgenden von weniger besorgten europäischen Regierungen, die, nach dem harmlosen Ausfizzeln der 1848er-Revolutionen entspannter im Hinblick auf aufmüpfige Untertanen, sich wieder mehr ums gegenseitige Abjagen von Filetstückchen kümmerten.]

    Das erste größere Ergebnis dieser Störung war der Krimkrieg (1854–1856). Von allen Kriegen der Zeit zwischen 1815 und 1914 kam dieser einem allgemeinen europäischen Krieg am nächsten. Die Ausgangssituation war in keiner Weise neu oder unerwartet. Dennoch entwickelte sich eine große, bemerkenswert inkomptetent geführte, internationale Schlächterei zwischen Russland auf der einen und Großbritannien, Frankreich und der Türkei auf der anderen Seite. Es wird geschätzt, dass dieser Krieg über 600'000 Männern das Leben kostete, fast eine halbe Million davon durch Krankheit. Dabei handelte es sich um 22% der britischen, 30% der französischen und ungefähr die Hälfte der russischen Truppen.

    Leider kann ich nicht sagen: „Ein Glück, dass wir heute kompetente Friedensforschung haben, die herausgefunden hat, wie weise StaatslenkerInnen so einen Unsinn verhindern können“.

    [1]Wobei ich persönlich finde, dass sich schon disqualifiziert hat, wer in der BRD über Friedensforschung redet und das nicht relativ zur Tübinger Informationsstelle Militarisierung einordnet.
  • Bologna: Die universell gescheiterte Verschwörung

    Foto eines Plakats mit dem Claim: „Tschüss Notengrenze Hallo Master!  Bei den meisten Masterstudiengängen an der Hochschule Coburg gibt es keine Notengrenze mehr!”

    Dieses Plakat ist mir am 2. April in Fürth aufgefallen, und es ist eine schöne Illustration der Tatsache, dass der Bologna-Prozess sogar für die Ministerien komplett in die Hose gegangen ist.

    Meine längere Diatribe über Verschwörungstheorien neulich war inspiriert von dem Plakat auf dem Eingangsbild zu diesem Post, denn es illustriert eine von vielen Weisen, in denen der Bologna-Prozess – Arbeitsdefinition: ungefähre Verfünffachung der Prüfungslast an Hochschulen, mehr dazu gleich – krachend gescheitert ist. In diesem Scheitern ist er wiederum eine besonders schlagende Illustrationen für meine Behauptung gegen Ende des Verschwörungsposts: Verschwörungen – im Sinne von „verabredete Differenzen zwischen öffentlichen und privaten Äußerungen“ – sind zwar tatsächlich allgegenwärtig im politischen Prozess. Paranoid und unzutreffend ist aber die Annahme, diese Verschwörungen würden auch funktionieren, den Verschworenen also die Vorteile bringen, die sie sich erwartet haben.

    Beim Bologna-Prozess und seinen Vorläufern war ich als kleines Rädchen live dabei und hatte sogar eine eigene kleine Seiten-Verschwörung am Laufen: Ich habe nämlich bei der Einführung eines der ersten Bachelor-Studiengänge an der Uni hier mitgewirkt und habe allerlei positive Äußerungen zu Bologna durch meine Mitverschworenen wider besseren Wissens nicht korrigiert. Weil: wir wollten Studis eine Gelegenheit geben, ohne Latinum einen Abschluss zu bekommen, was mit dem alten Magister aussichtslos, mit dem neuen Bachelor jedoch leicht schien. Zu meiner Verteidigung: Ich bin nie so tief gesunken, dass ich den Bologna-Quatsch selbst gelobt hätte.

    Die große Bolognaverschwörung

    Das, was später „Bologna-Prozess“ genannt wurde, muss irgendwann Anfang der 1990er in Gütersloh seinen Ausgangspunkt genommen haben. Eingestandenermaßen war ich da nicht dabei. Ich habe aber genug der sonstigen erzreaktionären („neoliberalen“) Diskurse, die damals in den Mainstream drängten, mitbekommen, um mit großer Zuversicht behaupten zu können, dass sich die in der ostwestfälischen Provinz residierenden Bertelsmann-Manager ungefähr zu dieser Zeit Geschichten dieser Art erzählten:

    Der Bildungsmarkt ist tausend Milliarden Dollar im Jahr [inzwischen viel mehr] schwer. Als moderner Medien- und Dienstleistungskonzern müssen wir einen größeren Anteil davon erobern. Schulbücher sind lukrativ, aber guckt nach Harvard. 25'000 Dollar [inzwischen viel mehr] für ein paar Kurse und Gelegenheiten zum Netzwerken! Zwei Mal im Jahr! Das ist Geschäft![1]

    Der sehnsüchtige Blick nach Harvard war damals eher noch üblicher als er es heute ist. Und so haben sich die Bertelsmänner ans Werk gemacht und überlegt, was es für die Eroberung des Bildungsmarktes wohl bräuchte. Ich paraphrasiere weiter:

    Was die deutschen Universitäten machen, verhindert alle sinnvollen Business-Modelle: Erstmal verschenken sie den Kram, sogar ihre Abschlüsse und Zertifikate! Und dann macht jede ein bisschen andere Kurse mit jeweils ein bisschen anderen Kriterien. Dafür Produkte [dass dieses Wort auf Briefzustellung oder Investment-Glücksspiele oder Vorlesungen anwendbar wurde, ist auch der damaligen Zeit zu… na ja: verdanken] zu entwickeln, ist ökonomisch nicht darstellbar [na gut: das Geschwätz von „darstellbar“ ging glaube ich erst etwas später los].

    Für Bertelsmanns künftiges Geschäft mit „Courseware“ war es also erstens wichtig, das „Produkt“ Studium kostenpflichtig zu machen, zweitens, das „Produkt“ Vorlesungsschein (heutzutage: ECTS-Punkte) zu standardisieren und zu kommodifizieren (meint: zu einer massenproduzierbaren, marktfähigen Ware zu machen). So klar sagten sie das natürlich nicht öffentlich. Zu sehr verbrämten sie es aber auch nicht, was die GEW in einem post-mortem von 2014 schön herausgearbeitet hat:

    Denn [ungefähr im Jahr 2000] forderte Müller-Böling [ein Bertelsmann, vgl. in einem Moment] von der Hochschule als „Dienstleistungsunternehmen“ eben dies: Dienstleistungen in Forschung und Lehre zu produzieren, diese in „Konkurrenz zu anderen Hochschulen“ anzubieten, „auf die Anforderungen des ‚Marktes‘“ möglichst rasch zu reagieren, wobei der Staat sich in diesen Markt nicht einmischen dürfe (so viel zum neoliberalen Theorierahmen des Modells), Leistungen werden aufgrund von Input-Output-Rechnungen beurteilt usw.

    „Marktentwicklung“ umschreibt ganz ausgezeichnet die Mission des Zentrums für Hochschulentwicklung (CHE), das Bertelsmann 1994 aus der Taufe hob. Mit dem Urheber des Zitats im GEW-Zitat, Detlef Müller-Böling, (dessen private Seite mit einer Crapicity von 161 ordentlich vorlegt) fanden sie auch gleich einen hyperaktiven Chef, der die Klaviatur der Medien – egal ob von Bertelsmann selbst (z.B. RTL und Gruner & Jahr) oder von der Konkurrenz – meisterhaft spielte.

    Dass die Bertelsmänner ihren Bildungs-„Thinktank“ ausgerechnet einem Diplom-Kaufmann unterstellten, ist aus verschwörungstheoretischer Warte bemerkenswert ehrlich.

    Wer war mit dabei? Die HRK!

    Mit von der Partie beim CHE war die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), was nicht nur rückblickend als suizidal auf Lemmingniveau zu werten ist. Das schon, weil die Rankings, die das CHE wenig später rauszupumpen begann, die RektorInnen unter heftigen Druck setzten, dem jeweils neuesten Bullshit (häufig geliefert vom CHE selbst) hinterherzurennen.

    Rankings oder nicht: Die verheerenden Auswirkungen des vom CHE geschaffenen „Wettbewerbs“ hätten die (damals fast ausschließlich) Herren Rektoren auch so unschwer vorhersehen können, denn in jedem Wettbewerb zwischen N KonkurrentInnen gibt es (maximal) eineN GewinnerIn – und mithin N − 1 VerliererInnen.

    Zumindest die Figuren jedoch, die die HRK damals dominierten, glaubten, genau sie würden gewinnen, oder (bei realistischer veranlagten Charakteren) es würde wenigstens so viele Titel zu gewinnen geben, dass einer davon schon für sie abfallen würde. Ich glaube, sie glaubten das, weil sie sich eingeredet hatten, sie würden auch mindestens Harvard, wenn sie nur erst Studiengebühren nehmen und gemäß ihrer brillianten „Strategien“ ausgeben könnten. Ein Vertreter der Spezies Rektor, der sich sehr erkennbar mit solchen Gedanken trug, war der Heidelberger Amtsträger Peter Ulmer (zuvor Juraprof), gegen dessen Gebührenpläne schon 1993 zu protestieren war.

    Mit der Gründung des CHE ein paar Jahre später wuchs sich dann der vorher nur sehr allmählich anschwellende Bocksgesang um „Langzeitstudis“ zum ohrenbetäubenden Getöse aus. Er heulte über Menschen, die mehrere Fächer hintereinander studierten – zumeist nur gelegentlich mit Abschlüssen – oder im dreißigsten Fachsemester noch darüber nachdachten, ob sie sich allmählich zur Prüfung anmelden sollten.

    So unsinnig das Getöse war – die „Langzeitstudis“ haben damals niemandem weh getan, und jene von ihnen, die sich irgendwie in die heutige Zeit rübergetrickst haben, tun es immer noch nicht –, es sorgte für haufenweise Akzeptanz für das, was einige Jahre später in Baden-Württemberg Trotha-Tausi hieß, nämlich Strafgebühren von zunächst 1000 Mark, später dann 500 Euro im Semester für Studis ab dem vierzehnten Fach- oder auch mal Hochschulsemester.

    Damit konnten der damalige baden-württembergische Wissenschaftsminister Klaus Trotha (blaublütig und CDU) und sein das Ganze parallel betreibender niedersächsischer Kollege Thomas Oppermann (SPD) einen Einstieg in die Studiengebühren (ihre erinnert euch: Voraussetzung von Teil eins der Bertelmann-Verschwörung) hinbekommen, zumal nennenswerte Teile der Studischaft den Unsinn von den die Unis schädigenden Langzeitstudis selbst zu glauben glaubten.

    Obendrauf gewann die Erzählung von den die Unis im Umkehrschluss „verbessernden“ Studiengebühren spätestens nach dem furchtbaren Ende des 97/98er-Streiks, dessen Agenda rasch vom CHE-Sprachrohr Zeit diktiert wurde, erschreckende Popularität in einer ganzen Generation von Studis. Es dauerte mindestens bis zum Bildungsstreik 2009, bis sich dieses Gift so halbwegs aus den Studihirnen rausgewaschen hatte.

    Eine Versammlung in Bologna

    Dass die Studiengebühren, statt allmählich auf harvardeske Höhen zu steigen, wieder sterben würden, war ziemlich sicher jenseits der Vorstellungswelt der Bertelsmänner, die sich auf der Zielgeraden zur Erschließung des Bildungsmarkts (ihr erinnert euch: Eine Billion Dollar!) wähnten. So begannen sie munter mit dem zweiten Teil ihres Programms: der Kommodifizierung von Hochschulbildung, also der möglichst einheitlichen Strukturierung von Studiengängen in separat handelbare Pakete („Module”).

    Der CHE-Chefideologe Müller-Böling war sich völlig bewusst, dass er mit seinem Gesamtprogramm gegen die Interessen aller Beteiligten handelte:

    Im CHE standen dreißig Leute 36 000 Professoren und zwei Millionen Studenten an achtzig bis hundert Universitäten und rund 260 Fachhochschulen gegenüber, außerdem 16 Landesministerien mit jeweils 300 Mitarbeitern

    – nun, dreißig Leute sowie das Kapital, die Pressemacht und die Netzwerke von Bertelsmann, wenn mensch ganz ehrlich ist; dass sich gerade die willfährigsten Claqueure der Reichen und Mächtigen damals so ein offensichtlich quatschiges Rebellenimage ankleben wollten, fasziniert mich bis heute.

    Angesichts des hinter ihm stehenden ganz großen Bruders Bertelsmann jedenfalls ist Müller-Bölings Jubel von „Ich habe nie gedacht, dass man mit dreißig Leuten Dinge direkt durchsetzen kann” schon zu relativieren. Dennoch ist ihm zu bescheinigen, dass sein Laden die klassische Machttaktik des divide et impera schon sehr geschickt eingesetzt hat. Das allerdings – verschiedenen Gruppen verschiedene Dinge zu versprechen und sie so am Aufbau einer gemeinsamen Gegenwehr zu hindern – hat am Schluss das ganze Projekt ruiniert. Womit ich endlich zum Kern der Verschwörungsgeschichte komme.

    Nachdem nämlich das CHE das Bologna-Programm schon zwei Jahre vor der Erklärung formuliert hatte, haben sie sich zunächst keine Mühe mit Parlamenten oder ProfessorInnen gemacht, sondern sind gleich zu den BildungsministerInnen gegangen. Wie genau es dazu kam, dass diese am 19. Juni 1999 im Rahmen eines Treffens von RektorInnen sich für wichtig haltender europäischer Universitäten in Bologna versammelt waren, weiß ich nicht. Tatsache ist: Sie unterschrieben dort eine allenfalls notdürftig getarnte Fassung des Bertelsmann-Programms (also: Studiengänge sollen aus frei handelbaren Modulen aufgebaut werden).

    Ein Raum mit unfassbar dichten Wandmalerreien, davor moderne Bestuhlung.

    Eine der zwei Aulae Magnae im Archiginnasio in Bologna. Ich glaube, dass in dieser wirren Kulisse die MinisterInnen die Bertelsmann'sche Erklärung unterschrieben haben.

    Dieses Papier geisterte in den folgenden Jahren als Bologna-Erklärung durch die Hochschullandschaft, ganz besonders durch die deutsche, die sich in der Folge von 68 im Vergleich zu vielen anderen recht liberal und wenig gängelig zeigte und deshalb aus Bertelsmann-Sicht besonders viel „Reformbedarf“ hatte.

    Zu vielen zu viel versprochen

    Dass die BildungsministerInnen-Versammlung, die die Forderung damals abgenickt hat, keinerlei politische Funktion hatte – einen „Rat der für Hochschulen zuständigen MinisterInnen“ auf EU-Ebene gab es damals nicht –, war …

  • Hasadeure und Schlitzohren: Die Habsburger im Mittelalter in Speyer

    Fotos zweier Rümpfe steinerner Statuen.  Beide sind auffällig stark tailliert.

    Gender troubles anno 1300 bzw. 1400: diese beiden Rümpfe, die mit ihren schmalen Taillen nach heutigen Sehgewohnheiten wohl generell weiblich gelesen würden, gehören zu sorgfältigen Inszenierungen von Männlichkeit mittelalterlicher Herrscher: Links der Großfälscher Rudolf dem Stifter, rechts der erste Habsburger-König Rudolf I (mit Schwert).

    Ich war am letzten Wochenende im historischen Museum der Pfalz (seufz: Google-Tracking, aber Crapicity nur mäßige 10.76) in Speyer, und zwar vor allem für deren aktuelle Sonderausstellung „Die Habsburger im Mittelalter“.

    Der erste Eindruck ist der eines geradezu rührenden Anachronismus, denn es geht ein wenig im Stil des 19. Jahrhunderts um die Mächtigen, ihre Querelen und Kriege, ihre Hochzeiten und Intrigen – nichts anderes hatte ja der Ausstellungstitel versprochen. An jeder Ecke hängt ein Stammbaum, alles ist voll mit mindestens zweifach gesiegelten Urkunden in Plakatgröße, und natürlich gibts viel Blech in Form von Rüstung, Helm und Schwert. Es ist fast, als hätte die Besinnung auf Alltags-, Sozial-, Technik- und Wirtschaftsgeschichte (die ich schon in meinem Bericht aus dem Bonner Landesmuseum angesprochen habe) seit den 1960er Jahren nicht stattgefunden.

    Aber ganz so ist es auch nicht, denn einerseits gibt es immer wieder entsprechende Ausblicke – so zum Beipiel wird ein Hauch Technikgeschichte anhand zweier sehr erschreckend aussehender Helme aufgemacht –, zum anderen erscheinen die ProtagonistInnen (mit originellen Namen wie Dietrich III von Mömpelgard) nicht wie in der klassischen Geschichtsschreibung als heroische Agenten des Weltgeistes, sondern eher als die Glücksritter, Schurken, Hasadeure und Schlümpfe, die sie ja tatsächlich waren.

    Nehmen wir die Geschichte der verfeindeten Doppelkönige Ludwig der Bayer (Wittelsbach) und Friedrich der Schöne (Habsburg). Da sie ihre Macht nicht brav teilen wollten, hatten sie 1322 ihre jeweiligen Gefolgsleute in der Schlacht bei Mühldorf einander abschlachten lassen. Aber wie es so ist, 1325 mussten sie sich dann vertragen, was zu einem, haha, Vertrag führte, der in der Ausstellung zu bewundern ist als eine der Urkunden mit viel Gesiegele.

    Von allem, was aus der Urkunde an weltgeschichtlichem Brimborium hätte zitiert werden können, entschieden sich die KuratorInnen der Ausstellung für die Kuriosität, dass die beiden Grobiane versprachen, sich künftig als „Bruder“ anzureden. Ich bin überzeugt, dass sie, also die KuratorInnen, das durchaus in den Kontext heutiger Nutzungspraktiken der „Bruder“-Anrede stellen wollten.

    Ein Prototyp einer Krone, mit viel Gold, Zacken und allem drum und dran.

    Mit einigem Recht als Fälschung zu bezeichnen, aber die glaubhafteste Krone, die ich je gesehen habe: Die Krone von Rudolf „Stifter“ IV von Österreich.

    Zwischen mir und meiner Begleitung der klar populärste Habsburger war demgegenüber Rudolf IV von Österreich, den ich bisher nur beiläufig als Gründer der Uni Wien („Rudolphina“) auf dem Schirm hatte. Lobenswerterweise macht die Speyrer Ausstellung weder davon noch von seinen Aktivitäten im Hinblick auf den Bau des Stephansdoms viel Aufhebens (gebaut und betrieben haben die Dinger ja eh andere Leute), während sie genüsslich den Umstand ausbreitet, dass Rudolf IV eifrig Urkunden hat fälschen lassen, um seine Stellung im Reich zu verbessern. Ganz vorne dabei ist das Privilegium Maius, das mich hinriss mit der völlig bizarren Berufung auf Julius Caesar und Nero Claudius als Quellen von Privilegien und Autorität.

    Tatsächlich hat mich das ein wenig ins Grübeln gebracht: War Nero zu dieser Zeit, also um 1350 herum, noch nicht der durchgeknallte Großschurke, für den wir alle ihn spätestens seit Peter Ustinovs Schauspiel in Quo Vadis – während meiner Schulzeit Standardstoff für Vertretungsstunden – halten? Da damals sicher weniger Quellen der besonders nerofeindlichen senatorischen Geschichtsschreibung bekannt waren als heute, wäre das zumindest denkbar. Ob das mal wer untersucht hat?

    Noch bedenkenswerter bei der Geschichte finde ich aber, dass die Krone, die sich Rudolf IV zur Beglaubigung seiner (erfälschten) Erzherzogs-Ansprüche hat anfertigen lassen, viel echter aussieht als echte Kronen – notabene: Der Stifter-Rudolf hat es trotz seiner Fälschreien nie zum echten König gebracht.

    Vielleicht ist das ja eine gute Faustregel: Wenn es ganz besonders echt aussieht, ist es wahrscheinlich ein Fake. Wie im Vergleich eine tatsächliche Krone (schön: gut 300 Jahre früher) aussieht, lässt sich ebenfalls im historischen Museum der Pfalz bewundern, nur einen Stock tiefer im Domschatz:

    Foto eines einfachen Blechbandes mit vier angenieteten, nach oben ausspreizenden Blechen

    Garantiert echte Krone: Die Grabkrone von Kaiser Heinrich III, gezeigt im Domschatz von Speyer.

    Nun mag mensch ein wenig die Nase rümpfen über einen Potentaten, der dreist Urkunden fälscht, um sein Territorium oder – im Fall des Privilegium Majus im Vordergrund – seinen Einfluss zu erweitern. Aber: Andere – ich erwähne mal die deutsche Regierung, die den Angriff auf Rumpf-Jugoslawien 1999 mit einem frei erfundenen „Hufeisenplan“ der Gegenseite rechtfertigte – fälschen und führen danach Kriege, und das kann mensch Rudolf IV jedenfalls nach Maßstäben der damaligen Zeit nicht vorwerfen. Insofern mag er als Vorläufer der Felix Austria-Politik gelten. Meine Chance für ein wenig Latein:

    Bella gerant alii, tu felix Austria nube.
    Nam quae Mars aliis, dat tibi diva Venus.

    Frei übersetzt: andere führen im Geiste von Mars Kriege, du, glückliches Österreich, heiratest im Geiste der Venus. Auch wenn es im Fall von Rudolf IV vielleicht mehr Mercurius (in seinem Aspekt als Gott der Diebe) war als Venus: Ich wäre meiner Regierung wohlgesonnener, wenn sie es ähnlich halten würde.

    Leider (aus Sicht seiner Untertanen) war das mit Merkur und Mars anders beim letzten Habsburger, um den es in der Ausstellung geht, nämlich Maximilian I. Da die Ausstellung ja die Habsburger im Mittelalter behandeln sollte, hätte mensch den erkennbar frühhumanistisch beeinflussten Maximilian auch rauslassen können. Aber das wäre schade gewesen, denn er passt wunderbar in die Reihe eher halbseidener Gestalten, die die Ausstellung präsentiert.

    So geht es dann auch nicht allzusehr um die dynastischen und kriegerischen Bemühungen des Potentaten. Stattdessen wird er eher als erster Träumer einer Ritterromantik dargestellt denn als – wie konventionell und auch in der Wikipedia – „letzter Ritter“. Genüßlich wird etwa eine frühe Fassung seines (?) Ritterromans Theuerdank mit kitschigen Bildern gezeigt, und eben auch seine zu seiner Regierungszeit bereits klar anachronistischen Turnierrüstungen.

    Mir allerdings fiel besonders ein Exponat auf, das es wahrscheinlich nur wegen seiner Relevanz für Speyer in die Ausstellung geschafft hat:

    Foto eines großen, vergilbten Bogens Papier oder Pergament mit relativ wenig Text drauf.

    Dies ist ein Brief von Maximilian I an seine Untertanen in Speyer, dessen Inhalt letztlich wurst ist. Relevant ist die Form: Angesichts des damaligen Preises von Papier (oder Pergament – ich habe nicht geschaut, auf was da geschrieben wurde) ist der riesige leere Raum auf dem Schreiben das Äquivalent zum SUV von heute. Dieser Brief ist die Ansage, es komme nicht drauf an – was allerdings für Maximilian, der finanziell am Tropf der Fugger hing, ebenso eine Lüge war wie es das heute im Hinblick auf Lärm, Platz und CO₂-Budget für SUVs oder Autos im Allgemeinen ist.

    Wer will, kann die Ausstellung noch bis zum 16. April ansehen, wenn auch für erstaunlich viel Geld (ich glaube, ich habe etwas wie 18 Euro gesehen; wenn das wirklich so ist, amortisiert sich mein Museumspass mit atemberaubender Geschwindigkeit). Menschen, die das tun, sei zu einer Aftershow geraten. Sehr beeindruckend in Speyer ist jedenfalls die alte Mikwe gleich um die Ecke vom historischen Museum. Zusätzlich lohnt ein Besuch der Reliquienkammer im Dom rechts hinten. Die Mischung aus Befremden und Gruseln angesichts gefasster und im Goldrahmen aufgehängter Oberschenkelknochen (vielleicht von Heiligen anderer Zeiten, vielleicht auch nicht) ist unbezahlbar und dank katholischem Sponsoring auch umsonst.

    Nachtrag (2023-03-31)

    Wegen Eintrittspreisen hätte ich natürlich auch einfach auf der Webseite nachsehen können. Da steht nämlich, dass die 18 Euro die „Generationenkarte“ sind, die für bis zu fünf Menschen in passenden Altergruppen gilt. Der normale Eintritt sind neun Euro.

  • Die 5-Prozent-Hürde illustriert

    Geteiltes Bild: Links ein gammeliger, zwischen zwei Autobahn-Fahrspuren eingeklemmter Weg mit Fahrradfreigabe, rechts ein großzügiger, zweispuriger Fahrradweg, der in gebührendem Abstand von lärmenden Autos geführt wird.

    Hilft die 5%-Hürde beim guten Regieren? Fahrradwege entlang von Autobahnen als Test: Links die BRD mit 5%-Hürde, rechts die Niederlande ohne. Sucht euch aus, was ihr lieber hättet.

    Auch wenn ich beispielsweise die 5%-Hürde schon rein informationtheoretisch wirklich bitter finde, glaube ich eigentlich, dass das Wahlrecht etwa im Vergleich mit dem aktuell viel stärker bedrohten Versammlungsrecht für eine partizipative Gesellschaft relativ nebensächlich ist.

    Doch da bei Wahlrechtsdiskussionen hierzulande regelmäßig eher gefährlicher Unsinn vorgebracht wird wie etwa in Ramaz' Einwurf auf der taz-LeserInnenbriefseite vom 22.3.2023,

    Aus der Weimarer Zeit hat die BRD gelernt, das eine 5-Prozent-Hürde gesund für ein ordentliches Arbeiten ist,

    kann ich schon wieder nicht an mich halten.

    Nein, die Weimarer Republik scheiterte genausowenig an einem „zersplitterten“ Parlament wie an der Inflation. Ich darf mich aus dem verlinkten Post selbst zitieren, weil der Punkt so zentral ist in Zeiten, in denen reaktionäre und autoritäre Versatzstücke weit über das AfD-Milleu hinaus hegemonial sind:

    Die NS-Herrschaft war kein Unfall, keine Folge von „wachsender Zerrissenheit der Gesellschaft“ oder gar der bolschewistischen Sowjetregierung. Nein, sie war offensichtlich Folge der Tatsache, dass die Eliten der Weimarer Republik in Justiz, Polizei, Militär, Wirtschaft und zu guten Stücken auch Politik (nicht jedoch in der Kultur) in ihrer überwältigenden Mehrheit völkisch, nationalistisch, autoritär und jedenfalls rabiat antikommunistisch dachten. Sie teilten das NS-Programm – eingestandenermaßen fast durchweg mit weniger eliminatorischem Antisemitismus – von Anfang an. Das war und ist eine unbequeme Wahrheit für die Befreiten von 1945 und danach, die sich ja sehr häufig in der Tradition dieser Eliten sahen.

    Wer das illustriert sehen möchte, kann ein wenig über Alfred Hugenberg – nebenbei: Alumnus der Uni Heidelberg – nachlesen oder die Entscheidung des ersten Reichspräsidenten, Friedrich Eberts – nebenbei: Sohn der Stadt Heidelberg – erwägen, schon ganz am Anfang der Repulik lieber die protofaschistischen Freikorps die Spartakusaufständischen niedermetzeln zu lassen als mit letzteren zu versuchen, die Schaltstellen der Macht in der Weimarer Republik den Kaiserreich-und-danach-Fans zu entwinden[1].

    Oh, und alles rund um Emil Julius Gumbel herum – nebenbei: rausgeworfen von der Uni Heidelberg – ist ebenfalls sehr aufschlussreich im Hinblick auf die tatsächliche Genese der Herrschaft des NS-Faschismus.

    Nein: die 5%-Hürde ist keine „Lehre aus Weimar“. Sie ist schlicht Ausdruck einer autoritären Sehnsucht nach einer starken Regierung. Die kann mensch schon haben, ohne gleich Faschist zu sein. Nicht statthaft ist aber, eine Abneigung gegen die antipartizipative Regelung als „irgendwie Richtung Nazis“ zu diffamieren. Ausweislich des Aufmacherfotos gilt, wenn schon: Ohne 5%-Hürde macht Radfahren mehr Spaß. Also… vielleicht. Jaja, das ist schon ein kleines Sample, aber es ist immerhin schon größer als das, das die Geschichte von „mit 5%-Hürde wäre nichts aus der NSDAP geworden“ stützen könnte.

    Ich jedenfalls bleibe bei meiner Anti-5%-Parole von hier: Weniger und besser regieren ohne die 5%-Hürde.

    [1]Eine grundsätzliche Reduzierung von Machtausübung wäre natürlich noch besser gewesen, aber das ist von SozialdemokratInnen eingestandenermaßen nicht zu verlangen.
  • Radikale Opportunität: Die BRD klagt gegen italienische Naziopfer

    Herbstliches Foto: halbuniformierierte Männer mit Verbindungskäppis stehen auf einem Parkplatz

    Oberhalb von Heidelberg befindet sich auf dem Ameisenbuckel ein Friedhof, auf dem Soldaten des Kaisers und der NSDAP-Regierung „geehrt“ werden. Hier also liegen die, um deren Opfer es in diesem Post gehen sollte. Bis vor ein paar Jahren (hier: 2007) trafen sich zum „Volkstrauertag“ dort oben aktuelle Militärs, reaktionäre Verbindungsstudis und Leute von der Stadt, um… Ja, wozu eigentlich?

    So wertvoll es ist, wenn gerade Staaten sich an Recht gebunden fühlen – und so doof es ist, wenn sie das mutwillig nicht tun –, mensch sollte gerade in Zeiten, in denen (jedenfalls verlautbart) „für das Völkerrecht“ getötet wird, nicht vergessen, dass Recht von denen gesetzt wird, die die Gewaltmittel dazu haben, und dass Rechtsetzung zwischen Staaten eine in der Regel recht unappetitliche Angelegenheit ist.

    Eine bedrückende Demonstration irritierender Rechtspraxis fand im April 2022 statt. Damals hat das wohl nicht viel Presseecho gegeben; ich jedenfalls bin erst durch späte Lektüre der Ausgabe 3/22 der Zeitung der Roten Hilfe (S. 44ff) darauf aufmerksam geworden. Dies hier ist ein Versuch, der Geschichte – die noch nicht vorbei ist – noch etwas mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

    Schon im April fantasierten ja große Teile der deutschen Regierung öffentlich darüber, wie Putin und seine Truppe vor diversen internationalen Gerichten stehen würden[1]. Gleichzeitig jedoch, nämlich am 29.4., reichte genau diese Regierung eine Klage gegen Italien beim Internationalen Gerichtshof ein, um sich Immunität bei der Verfolgung von wirklich erschreckenden Kriegsverbrechen zu verschaffen (Einordnung bei der LTO).[2]

    Warnung an PatriotInnen: Der gesamte Großraum dieser Klage[3] ist ein dichtes Minenfeld für Überzeugungen, „Deutschland“ (also: seine diversen Regierungen) sei irgendwie für die Verteidigung von Freiheit und Menschenrechten qualifiziert.

    Grundsätzlich geht es darum, dass die paar verbliebenen Menschen, die sowohl Massaker deutschen Militärs im zweiten Weltkriegs als auch die Zeit seitdem überlebt haben, vor Gerichten in Italien (und übrigens auch Griechenland) Entschädigungsansprüche durchgeklagt haben. Tatsächlich wurden sogar schon verschiedentlich deutsche Vermögenswerte beschlagnahmt (Beispiel im Gefolge des Massakers im griechischen Distomo: Das Goethe-Institut in Athen).

    Nur haben deutsche Regierungen immer so heftigen Druck auf die Regierungen in Rom und Athen ausgeübt, dass diese, Gewaltenteilung hin, Gewaltenteilung her, ihrer Justiz regelmäßig in die Parade gefahren sind. Auf Zeit spielen lohnt hier, denn das Problem der Überlebenden wird sich ja in ein paar Jahren von selbst „gelöst” haben.

    Das Verfahren vom letzten April nun versucht, ein paar weitere Schlupflöcher zu stopfen, die vorherige Verfahren in Den Haag nationalen Gerichten gelassen haben, um die Doktrin staatlicher Immunität im Krieg (und auch sonst) zu umgehen. Den Haag hat schon 2012 für die BRD entschieden; es ist kaum davon auszugehen, dass die italienische Regierung eine starke Verteidigung aufbauen wird, nachdem sie in all den Jahren deutschem Druck nicht viel entgegengesetzt hat.

    Diese Sorte Umgang mit Recht („Bomben auf die Infrastruktur sind zwar pfui, gehen aber bei uns und unseren Freunden schon in Ordnung“) läuft unter dem Label „Opportunität“. Sie steht ganz wie in Rom oder Athen angewandt auch in unserer Strafprozessordnung. Schaut zum Beispiel mal auf §153d StPO:

    § 153d Absehen von der Verfolgung bei Staatsschutzdelikten wegen überwiegender öffentlicher Interessen

    (1) Der Generalbundesanwalt kann von der Verfolgung von Straftaten der in § 74a Abs. 1 Nr. 2 bis 6 und in § 120 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Art [das ist eine Sammlung politisch aufgeladener Normen aus dem Strafgesetzbuch] absehen, wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.

    (2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann der Generalbundesanwalt unter den in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen die Klage in jeder Lage des Verfahrens zurücknehmen und das Verfahren einstellen.

    Ich muss bei solchem Text ja an Andreas Temme denken. Aber soweit ich weiß, hat gegen ihn noch nicht mal wer ein Verfahren eröffnet, das des 153d bedurft hätte.

    [1]So berichtet der DLF am 9.4., ausgerechnet „Bundespräsident Steinmeier hat sich für einen Prozess gegen Russlands Präsidenten Putin und Außenminister Lawrow vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgesprochen.“ Ich habe „ausgerechnet“ geschrieben, weil Steinmeier als Chef des Bundeskanzleramts (nicht nur) zur Zeit des deutschen Angriffs auf Restjugoslawien 1999 selbst an offener Aggression beteiligt war, als oberster Geheimdienstchef obendrein in Verwantwortung für die BND-Operationen Richtung UCK, zu denen er spätestens jetzt für Aufklärung sorgen könnte. Und dann: er hat sich bis heute nicht bei Murat Kurnaz entschuldigt.
    [2]Whoa, ruft ihr, deine Überschrift ist Clickbait, weil die Regierung ja gegen Italien klagt und gar nicht gegen Naziopfer? Na ja, vielleicht ist es ein ganz klein wenig Clickbait, aber mal ehrlich: Wenn ihr nur knapp den Mordorgien deutscher Truppen entgangen wärt, und die Rechtsnachfolger von deren Befehlshabern würden jetzt solche Verfahren einleiten: Würdet ihr nicht finden, dass diese Klagen gegen euch gehen?
    [3]Angefangen von der Weigerung der Staatsanwaltschaft Stuttgart, ein Verfahren wegen des Massakers von Sant'Anna di Stazzema zu führen, nachdem die BRD schon abgelehnt hatte, 2005 in Italien verurteilte SS-Männer auszuliefern (vgl. Berichterstattung in der taz vom 23.3.2013).
  • Seuchen, Christen und das Ende des Imperiums

    Fotos antiker Inschriften: eine schön in regelmäßig, die andere völlig krakelig.

    Mein Sinnbild für den Zusammenbruch der antiken Kultur: Zwei Inschriften aus dem Kölner Römisch-Germanischen Museum, die eine schon christlich-apokalyptisch (mit Flammenvisionen), aber noch erkennbar von Profis mit Anschluss an die mediterrane Kultur gefertigt, die andere, vielleicht 100 Jahre später, nur noch freihändiges Gekrakel fränkischer Amateure.

    Ich habe mich schon im März eines gewissen Römerfimmels bezichtigt. Dieser Schwäche nachgebend lese ich gerade „The Fate of Rome – Climate, Disease & the End of an Empire“ von Kyle Harper (Princeton University Press, 2017, entleihbar bei libgen; gibts auch auf Deutsch bei C.H. Beck als „Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reichs“, aber das habe ich nicht).

    Der Untertitel verrät es: Harper analysiert hier den Untergang des römischen Reichs als Folge von Klimaveränderung und Seuchen. Das klingt nicht nur wie ein Film am Discovery Channel, es ist auch ein wenig so geschrieben. Gut, der eingebettete Arztroman über Galen ist immerhin noch motiviert, weil dieser eine wichtige Quelle zur Antoninischen Pest (nach Harpers Einschätzung eine Pockenepedemie) ist, aber dennoch wirken Spannungsbögen in so einem Buch schnell albern oder ranschmeißerisch. Und Harpers Tendenz, das Gleiche mehrfach hintereinander leicht variiert zu sagen, verbunden mit einer oft ziemlich atemlosen Sprache, nervt doch etwas. Eine Kostprobe:

    But it was not yet a crisis: [...] The fruits of Severan success were abundant. A bloom of cultural efflorescence, more inclusive than ever before, unfolded. The influx of provincial talent was a jolt to Severan culture. The ancient capital remained the focal point of imperial patronage.

    Allzu oft wirkt es, als hätte Harper Zeilen geschunden. Das Buch könnte bei gleichem Informationsgehalt auch halb so lang sein und wäre dabei jedenfalls für Menschen wie mich lesbarer.

    Dabei sind viele der Gedanken sehr wertvoll und verdienen überhaupt nicht, im Stil einer Fernsehreportage über spontane Selbstentzündung serviert zu werden. So hatte ich zwar schon lange die Ausbreitung des apokalyptischen Christentums mit dem weitgehenden Zusammenbruch der antiken Kultur in Verbindung gebracht. Über die Ursache dieser Ausbreitung hatte ich mir jedoch nie wirklich Gedanken gemacht – es war in meiner Vorstellung, wahrscheinlich unter dem übermächtigen Einfluss von Bertrand Russell, eben so, dass die Leute plötzlich auf orientalische Kulte Lust hatten, ob nun Isis und Osiris, Mithras, Jupiter Dolichenus[1] oder halt Jesus Christus.

    Nun bietet Harper eine historisch-materialistisch befriedigendere Geschichte an:

    Bis 200 ndcE[2] sind Christen in der Überlieferung praktisch unsichtbar. Die Christen der ersten zwei Jahrhunderte wären kaum eine Fußnote der Geschichte, wären da nicht die späteren Ereignisse. Es wird geschätzt, dass es in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts größenordnungsmäßig 100'000 ChristInnen gegeben hat [wie gesagt, Harper sagt die Dinge gerne drei Mal]. Im Jahr 300 ndcE hatte sich ein atemberaubender Wandel ergeben. Das deutlichste Zeichen ist die plötzliche Verbreitung christlicher Vornamen. Eine aktuelle Arbeit schätzt, dass zu diesem Zeitpunkt erstaunliche 15-20 Prozent der ägyptischen Bevölkerung ChristInnen waren.

    Dazwischen fand – neben dramatischen Missernten infolge von mit einer Abkühlung des Weltklimas verbundenen Dürren im Mittelmeerraum[3] – die nach Harpers Darstellung verheerende Cyprianische Pest statt, für die er einen Ebola-ähnlichen Erreger vorschlägt. Es ist höchst plausibel, dass ein Massensterben an hämorrhagischem Fieber – also: Leute bluten aus jeder Pore ihres Körpers – größte Zweifel an den herrschenen Weltbildern auslösen kann. Harper schreibt dazu:

    Die Verbindung von Pest und Verfolgung scheint die Verbreitung des Christentums beschleunigt zu haben. So jedenfalls sah die Erinnerung einer bestimmten Christengemeinde aus, der von Neocaesarea in Pontus. In den Volkserzälungen rund um den Ortsheiligen, Gregor den Wundertäter, war die Pest ein Wendepunkt in der Christianisierung der Gemeinde. Das Massensterben zeigt die Machtlosigkeit der Götter der Alten und stellte die Tugenden des christlichen Glaubens heraus. Mag die Geschichte auch stark schablonenhaft sein, sie konserviert einen Kern historischer Erinnerung über die Rolle der Pest in der religösen Bekehrung der Gemeinde.

    Der klarste Vorteil des Christentums war seine unerschöpfliche Kapazität, mittels einer Ethik aufopfernder Liebe familienähnliche Netzwerke zwischen völlig Fremden zu knüpfen.

    Ohne, dass das viel an Harpers Darstellung ändern würde, würde ich persönlich ja in der erwähnten Tradition von Bertrand Russell eher spekulieren, dass das zumindest in etlichen Ausprägungen heitere antike Pantheon – ich verweise auf das leicht skandalöse, aber den römischen Geschmack m.E. gut treffende Riesendia im Römermuseum Osterburken:

    Foto: Ein farbenprächtig-sinnliches modernes Gemälde eines runden Dutzends antiker Götter

    – in einer Zeit von Hunger- und Pestkatastrophen viel weniger attraktiv wirkte als die Endzeitreligion, die das damalige Christentum ganz sicher war. Die zeitgenössichen Missionierenden dürften mindestens ebenso alarmistisch unterwegs gewesen sein wie die „das Ende ist nah“-Zeugen, die sich heute auch nicht davon beirren lassen, dass sich ihre Vorhersagen der Weltuntergänge 1914, 1925 und 1975 allesamt als nicht ganz zutreffend erwiesen haben[4].

    Und damit landen wir in der Gegenwart. Gewiss ist die SARS-2-Pandemie verglichen mit einem Krankheitsgeschehen mit einer Gesamtsterblichkeit im einige-zehn-Prozent-Bereich nicht zu vergleichen – aber dann ist unsere Gesellschaft in mancherlei Hinsicht etwas menschlicher geworden (auch wenn Blicke etwa in Fußballstadien oder Boxhallen anderes vermuten lassen). Und so mögen auch die insgesamt weniger dramatischen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit zusammen mit der Erfahrung von Lockdown, Aussperrung und Heimarbeit sowie dem Doomscrolling auf Twitter durchaus zu vergleichbaren Aufwühlungen geführt haben. Müssen wir jetzt also mit religiösen Erweckungsbewegungen der Größenordnung der Christianisierung Roms rechnen?

    Ich sage mal mutig: eher nicht. Ohne tiefere Recherche scheint mir, dass grob vergleichbare Ereignisse in der Moderne auch keine solchen Konsequenzen hatten. Weder die spanische Grippe, die noch dazu vor der Horrorfolie des gerade zu Ende gegangenen ersten Weltkriegs ablief und fast überall deutlich dramatischer war als SARS-2, noch die vermutlich letzte Coronapandemie vor SARS-2 mit einer Sterblichkeit, die damals wahrscheinlich mit der in heutigen Lassen-Wirs-Laufen-Ländern vergleichbar gewesen sein wird, hatten offenbar nennenswerten Einfluss auf den Missionserfolg von Adventisten, Zeugen oder vergleichbaren Endzeitkulten.

    Schauen wir mal. Wer Anzeichen von Post-Corona-FlagellantInnen sieht: Ich bin für Hinweise dankbar.

    [1]Der ist übrigens mein Lieblingskult in dieser Liga, weil er eine der wenigen Religionen in der Geschichte der Menschheit sein dürfte, die an Kollisionen mit der Realität scheiterten. Der Hauptgott war eine milde angepasste Interpretatio Romana des mesopotamischen Superhelden Hadad, der vor allem mal alles zerschmettern konnte. Zitat Wikipedia: „Nach der Zerstörung des Hauptheiligtums in Doliche durch den Sassaniden-König Schapur I. Mitte des 3. Jahrhunderts ging der Kult unter.“ Sagt, was ihr wollt: Ein Kult, der einen solchen Gegenbeweis der Glaubensinhalte zum Anlass zur Auflösung – statt, wie in dem Geschäft sonst üblich, zu Zelotentum und verdrehten Ausflüchten – nimmt, kann so verkehrt nicht gewesen sein.
    [2]„nach der der christlichen Epoche“; vgl. dazu diese Fußnote.
    [3]Aus Heidelberger Sicht vergleichbar relevant: In der fraglichen Zeit, also zwischen 240 und 260, löste sich auch das Grenzregime am Limes auf, und die römischen Truppen zogen sich an Rhein und Donau zurück (von ein paar Brückenköpfen wie Ladenburg oder Köln-Deutz mal abgesehen).
    [4]Nur, damit ich nicht falsch verstanden werde: Verglichen mit zahlreichen anderen Kulten kann ich Jehovas Zeugen trotzdem total gut leiden. Einerseits natürlich wegen der Steinigungsszene im Life of Brian, vor allem aber, weil eine Lehre, aus der konsequente und radikale Kriegsdienstverweigerung (lokales Beispiel) folgt, extrem viel Nachsicht erwarten kann.

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