Technoseum: Innovationen für den Umweltschutz von 1910

Verschiedene kleine Geräte mit Walzen und Kurbeln in einer Vitrine arrangiert.

Ratet, was das ist. Dann lest weiter.

Erfreulicherweise verschafft mir mein Museumspass auch im Landesmuseum für Arbeit und Technik in Mannheim – Verzeihung, „Technoseum”, inzwischen – freien Eintritt.

Da. Ich habe gleich damit aufgemacht: ich konnte das leicht bräsige „Arbeit und Technik“ gut leiden, schon, weil es den historischen Kompromiss der späten 1970er Jahre atmet. Ich stelle mir immer vor, dass Alt-Ministerpräsident Späth damals eine Art Propagandaabteilung für seine Daimler-Bosch-Spätzlesconnection bauen wollte, im seinerzeit noch viel gewerkschaftsgeprägteren Mannheim dabei aber viele Zugeständnisse machen musste. Wie viel Realität auch immer in dieser Fantasie stecken mag: mensch kann noch heute die Internationale hören im Museum, bekommt Einblick in die Elendsviertel der Gründerzeit und findet zwischen all den Wunderwerken dann und wann auch Einsprengsel von Technikfolgenabschätzung.

Vor diesem Hintergrund war ich bei meinem Museumspass-Besuch neulich hocherfreut, dass ein paar der bunten „Zeitreise“-Klötze weiter an die Gründerjahre des Landesmuseums erinnern. Auf ihnen leitet immer noch ein Botschafter der späten achtziger Jahre in herzigen Videos in noch fernere Zeiten:

Vier Klötze in kräftigen Farben, Sitzklötze in Blau, ein Monitorklotz in rot.  Auf dem Monitor eine Anzeige „Zeitreisen/Bitte nähertreten“.

Museumspädagogik der späten 1980er: Ich oute mich hier als Fan.

Ihr habt geraten, was am Anfang des Texts zu sehen ist?

Aber eigentlich will ich ja verraten, was die Dinger im Foto oben sind. Nämlich: Das sind verschiedene Maschinen, die erlaubten, Wechselklingen für Nassrasierer zu schärfen und so deren Lebensdauer zu vervielfachen. Das war erkennbar ein nenenswerter Markt, so zwischen 1900 und 1920.

Ich fand das bemerkenswert, weil zwar Rasierausrüstung aktuell vermutlich bei fast niemandem nennenswert ökologischen Fußabdruck ausmacht, das aber nur daran liegt, dass wir ansonsten so viel Dreck machen. All die Sprays, Geräte, Wässerchen und Einweg-Klingenhalter, die die breite Mehrheit der Menschen beiderlei Geschlechts mittlerweile auf die Entfernung von Haaren verwendet, dürfte schon einige zehn Kilo CO₂-Äquivalent im Jahr ausmachen[1] – pro Nase. Das wäre vermutlich schon im Prozentbereich des gesamten Fußabdrucks eines Menschen von 1910 gewesen, wenn es sich nicht gerade um Fürstinnen oder Soldaten handelte.

So gesehen betrachtet ihr oben eine der berühmten technischen Lösungen, die uns bei der Bewältungung der Klimakrise helfen sollen, nur, dass die Rede von der Innovation bei Kram aus dem Kaiserreich wirklich nicht mehr passt [Pflichtmitteilung: Ich bleibe überzeugt, dass es für die Klimakrise keine technische Lösung gibt; sie ist ein fundamental wirtschaftliches, also soziales Problem und braucht daher auch soziale Lösungen; im vorliegenden Fall schlage ich Großentspannung in Sachen Körperbehaarung vor.]

Ich hoffe, mit diesen Blech- und Messingwundern aus der ausgehenden Gaslichtzeit alle Steampunk-Fans des Internets hierher gelockt zu haben. Herzlich willkommen, und wo ihr schon da seid, habe ich ein weiteres Schmankerl aus dem Landesmuseum für euch:

Ein in Kiloampere geeichter Strommesser und ein Voltmeter, rund, auf Marmorgrund, darüber en Blechschind in Sans-Serif: Turbodynamo II.

„Turbodynamo II“ klingt wie albernes Technobabble aus Star Trek, ist aber echt. Wenn ich das Arrangement richtig interpretiere, gehörte das gute Stück zum Kleinkraftwerk, das die Waggonfabrik Fuchs – in einem Produkt der Firma könnt ihr im Technoseum Dampfzug fahren – Ende des 19. Jahrhunderts in Heidelberg hat errichten lassen. Die dazugehörige Dampfmaschine wird im Landesmuseum normalerweise ein paar Mal am Tag in Aktion vorgeführt, wenn auch mit anderswo erzeugtem Dampf, so dass niemand Kohle schaufeln muss. Dennoch: Steampunks, kommt nach Mannheim.

Ein letztes Exponat habe ich noch zu bieten, und zwar eins aus der aktuellen Sonderausstellung zur Geschichte des Rundfunks:

Auf eine Holzplatte montierte elektrische Bauteile, vor diesen ein großer Drehregler.

Das ist ein frühes Radio (ein Audion), das eine unbekannte Person im Deutschland der 1920er Jahre gebaut hat.

Aus diesem Exponat habe ich Hoffnung geschöpft, denn es stellt sich heraus, dass in dieser Zeit der Selbstbau von Radios bei Strafe verboten war; der Grund war wahrscheinlich ein wenig, dass die Erhebung der Rundfunkgebühr durch die Kontrolle des Gerätehandels erleichtert werden sollte.

Doch versichert die Ausstellung, die Regierung habe sich vielmehr um ausländische Spione besorgt, die durch Radiobasteln leichter mit ihren Auftraggebern hätten kommunizieren können. Die Sorge war auch ganz sicher berechtigt. Der Irrsinn aber, dass eine Obrigkeit aus Angst um ihre Herrschaft ihren Untertanen das Basteln verbietet, der hatte hier keinen Bestand, zumal größere Teile der Bevölkerung eben doch Radios bastelten.

Der derzeit als Einbahnstraße erscheinende Weg zu immer mehr „Sicherheitsgesetzen“ ist nicht unumkehrbar, schon gar nicht, wenn hinreichend viele Menschen die unerfreulichen Vorstellungen der Obrigkeit von „Sicherheit“ nicht teilen.

An der Stelle muss ich meine Prinzipien der Trennung von Arbeit und Blog verletzen und eine Anekdote aus den späten neunziger Jahren erzählen. Ich habe damals am ADS gearbeitet, einer großen Datenbank mit fast allem, was in der Astronomie jemals wissenschaftlich publiziert wurde. Weil damals die Leitungen über den Atlantik insgesamt in etwa die Kapazität eines heutigen Haushaltsanschlusses hatten, unterhielten wir Spiegel in etlichen Ländern, darunter auch in Frankreich.

Die französische Regierung jedoch – ich kratze die Kurve zurück zum Thema – hatte damals ihrer Bevölkerung nennenswerte Kryptographie verboten (kein Witz!), und so durfte das Institut, das den Spiegel betrieb, auch keinen sshd laufen lassen (ich erfinde das nicht). Und deshalb hatten wir für den französischen Spiegel extra irgendeinen haarsträubenden Hack, um trotzdem irgendwie rsyncen zu können. Auch dieser Unsinn ist ein paar Jahre später – längst hatte natürlich praktisch jedeR Netzwerkende in Frankreich ssh, und überall unterstützten auch Browser in Frankreich https – stillschweigend zu Grabe getragen worden.

Erstaunlicherweise hat das Staatswesen die nicht mehr durch Kryptoverbote gehemmten Umtriebe der Spione seitdem überlebt – und wenn die Freie Kryptographie der Gesellschaft überhaupt einen Schaden zugefügt hat, war der jedenfalls ungleich kleiner als, ich sag mal, die Verheerungen durch Sarkozy, Hollande oder gar Macron.

Ihr seht: Obrigkeitlicher Zugriff auf die Technologiewahl ihrer Untertanen ist kein Privileg von Kaisern oder mit Freikorps paktierenden Reichspräsidenten. Das machen auch ganz regulär unsere – <hust> demokratisch legitimierten – Regierungen. Aber Menschen, die in Zeiten von Chatkontrolle und Hackertoolparagraphen leben, erzähle ich damit wohl nichts Neues.

[1]In dem hier schon öfter zitierten Standardwerk „How Bad Are Bananas“ schätzt Mike Berners-Lee (inflationsbereinigt) 500 g CO₂-Äquivalent pro für Supermarkt-Essen oder ein Auto ausgegebenem Dollar – übrigens gegenüber 6 kg, wenn ihr für den Dollar US-amerikanisches Benzin zu 2010er Preisen gekauft habt. Ganz grob dürftet ihr also auch für einen für plausible Konsumgüter ausgegeben Euro innerhalb eines Faktors drei ein halbes Kilo CO₂ rechnen müssen. Wer dann 100 Euro fürs Enthaaren (ist das realistisch? Ich mach dabei ja nicht mit…) ausgibt, darf dafür zwischen dreißig Kilo und dreihundert Kilo CO₂e veranschlagen (um in die Nähe der höheren Schätzung zu kommen, müsstet ihr jedoch ganz schön viele Schaumdosen mit interessanten Treibmitteln kaufen).

Zitiert in: Eine neue Nexus-Nabe und ihr Fußabdruck Wenn die Barbarei im Wortsinn vor der Haustür liegt Warum CRISPR im Elfenbeinturm bleiben sollte: Entholzte Pappeln

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