Biologie wie in Borodino
Unter dem Tag Ethikkommission sammele ich hier wissenschaftliche Grobheiten gegen Tiere: Fledermäuse, die wegen Unterdrucks abstürzen, Libellen, die mit dem Rücken nach unten fallen gelassen werden (und schlimmer: deren Augen zugepappt wurden), Wespenköniginnen, die zu, na ja, Hahnenkämpfen proviziert werden. In der Deutschlandfunk-Reihe Forschung aktuell gab es am 3.7.2024 einen weiteren Beitrag zu dieser Liste: Da haben Leute um den Würzburger[1] Biologen Erik Frank Ameisen Teile ihrer Beine abgeschnitten[2].
Ich vermute, Grundlage des Berichts ist seine Arbeit „Wound Dependent Leg Amputations to Combat Infections in an Ant Society“, erschienen leider im Elsevier-Blatt Current Biology (doi:10.2139/ssrn.4612970 und leider bisher nicht bei libgen verfügbar, um so leidererer, als Elsevier selbst Menschen aus abonnierenden Netzen mit Cookie-Bannern und Registrierung belästigt und die AutorInnen den Kram leider auch nicht auf ordentliche Preprint-Server gelegt haben).[3]
Wenn mensch sich durch Elseviers Dark Patterns durchmanövriert hat, gehts auch schon im Abstract zur Sache:
Experimentelle Amputation führte zu höhren Überlebensraten bei Ameisen, deren infizierte Wunden am Oberschenkel lagen, aber nicht, wenn sie am Unterschenkel lagen.
„Experimentelle Amputation“? „Infizierte Wunden“? Bilder von Schlachtfeldern der napoleonischen Kriege drängen sich in mein Bewusstsein. Das geht bis hin zum Wundfieber, an dem damals Pseudomonaden bestimmt auch regelmäßig beteiligt waren:
Das Aufbringen von Pseudomonas aeruginosa auf Oberschenkelwunden [der untersuchten Ameisen] resultierte in einer Sterblichkeit von 85% innerhalb von 72 Stunden (N=48), ein Wert, der sehr ähnlich dem war, der für M. analis beobachtet wurde.
Mensch kann auch sagen: Die Leute haben (in diesem Fall, für die ganze Arbeit waren es viel mehr) 48 Ameisen ein Bein abgeschnitten und dann so fiesen Schmodder auf die Wunde geschmiert, dass fast alle Tiere innerhalb von drei Tagen tot waren.
Ich sage mal: mit „richtigen“ Tieren (so, mit Pelz und Linsenaugen) hätte das wohl keine Ethikkommission dieses Planeten durchgelassen. Aber ich kann nicht mit Steinen werfen; ich habe ja schon vor zwei Jahren öffentlich gestanden, dass es auch mir gerne mal an Empathie fehlt, selbst bei so offensichtlich sympathischen Geschöpfen wie Fruchtfliegen; und dabei habe ich noch gar nicht mit Mücken und Nacktschnecken angefangen.
Dennoch hätte ich gerne in dem DFG-Ausschuss mitgehört, der Erik Frank eine Emmy Noether-Gruppenförderung[4] gegeben hat. Ich habe halb im Ohr, wie wer sagt: „Sagt mal, ist das nicht ein wenig wie Käfern die Beine ausreißen? Was ist, wenn TierrechtlerInnen das mal genauer ansehen?“ Wenn das so ähnlich war, hat dann wer anders etwas gesagt wie: „Hör zu, das sind die Ameisen, die wir ohne Not in großer Zahl vergiften, nur damit auf den polierten Terrassensteinen nichts krabbelt“?
Dabei gestehe ich gerne, dass Franks Ergebnisse beeindruckend sind; dass Ameisen gezielt, also nur bei geeigneten Verletzungen, Chirurgie praktizieren und damit auf recht durchschlagenden Erfolg haben – siehe Abbildung 3 A aus dem Paper:
– dagegen wäre ich ziemlich hohe Wetten eingegangen, weil ich mir kaum vorstellen kann, wie so komplexes Verhalten in der DNS der Ameisen kodiert sein könnte. Jaja, ein bisschen neugierig bin ich vielleicht auch, was für Antibiosen die dabei einsetzen, aber die Sorte Fragestellung kann mensch wohl getrost der DFG überlassen.
Einen Einwand muss ich aber doch noch loswerden: Ganz überzeugt bin ich nicht, dass die dramatisch höhere Überlebensrate im Nest tatsächlich auf die Amputation zurückzuführen ist nicht (auch) auf irgendwelche Sorten Nestschutz oder vielleicht wegen Isolation und damit wegen Stress heruntergefahrenem Immunsystem bei den isolierten Tieren – das Stresshormon Cortisol ist zwar nicht ganz so anti-inflammatorisch wie Cortison, aber durchaus auch ein wenig. Da bräuchte es, behaupte ich, schon noch ein paar weitere Experimente.
Oh nein! Arme Ameisen.
[1] | Na gut: Die Arbeit zum Paper hat er den Affiliations der Ko-Autoren nach zu schließen gemacht, als er in Lausanne (und einem Nationalpark in der Elfenbeinküste) noch auf einen Ruf nach Würzburg hoffte. Das „Würzburger“ ist also ein wenig zu relativieren. |
[2] | Der DLF-Journalist Joachim Budde nennt diese Amputation in seinem Beitrag „Simulation“, was, wenn ich mich recht entsinne, noch am ehesten meine Emörungsschwelle überschritten hat. |
[3] | Ich kann mich eines tangentialen Kommentars im Kontext meines heiligen Krieges gegen quatschige Metriken nicht enthalten: Der Artikel wurde, als ich ihn während der Suche nach ethisch akzeptablen Preprintquellen gesehen habe, im Netz hoch und runter diskutiert. Dagegen war ich laut Elseviers Downloadzähler erst die dreiundzwanzigste Person, die den Volltext runtergeladen haben soll. Nun glaube ich tatsächlich nicht, dass viele JournalistInnen das ganze Paper gezogen haben, aber zumindest viele KollegInnen werden das getan haben. Was immer die 23, die Elsevier da anzeigt, bedeutet: ich kann mir keine nützliche Größe vorstellen, die sie messen würde. Ich jedenfalls würde gerne mal einen wissenschaftlichen Artikel schreiben, der ein vergleichbares öffentliches Echo hat – während ich 23 Downloads von einem Preprint in nicht völlig exotischen Fächern für ganz normal halte. |
[4] | Unglaublich, aber wahr: Die DFG-Webseiten sind ohne Javascript kaputt und, noch krasser, auch mit Javascript, aber ohne Javascript Local Storage. Was für Leute machen solche Webseiten? Und wer nimmt die ab? |