Ameisen-Ambulanz in der Pandemie

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Da helfen nicht mal mehr Ameisenarmeen: Ein Faultier in einem Cecropia-Baum. Von hier unter GFDL.

In den Wissenschaftsmeldungen der Forschung aktuell-Sendung am Deutschlandfunk vom 4.1.22 gab es ab Minute 2:50 eine Geschichte einer doch sehr überraschenden Symbiose: Ameisen, so heißt es da, verbinden verletzte Bäume. Nun würde mich so ein Verhalten nicht völlig vom Hocker hauen – ich bin ja ein Feind der Soziobiologie und halte das „egoistische Gen“ für einen methodischen Fehler –, aber Krankenpflege ist schon innerhalb einer Spezies bemerkenswert (gibts bei Ameisen). Geht sie gar über Speziesgrenzen hinaus, weckt das schon meine Neugier. Darum habe ich mir das zugrundeliegende Paper rausgesucht: „Azteca ants repair damage to their Cecropia host plants“ aus dem Journal of Hymenoptera Research, Band 88, doi:10.3897/jhr.88.75855.

Das erste, was auffällt, ist die Autorenliste: geschrieben haben das Ding Alex Wcislo, Xavier Graham, Stan Stevens, Johannes Ehoulé Toppe, Lucas Wcislo, und William T. Wcislo. Das sind einen Haufen Wcislos, und die Erklärung findet mensch in den Affiliations. William T. ist vom Tropeninstitut der Smithsonian Institution, alle anderen Autoren kommen von der International School of Panama – wo ein Forscher-Expat seine Kinder wohl hinschicken wird – beziehungsweise von der Metropolitan School in Panama.

In diesem Licht bekommt die Eröffnung des Artikels einen ganz eigenen Charme, der in dem DLF-Kurzbeitrag ganz und gar fehlt (da war nur die übliche Rede von „den Forschenden“):

One of us (AW) used a sling shot to shoot a clay ball (9 mm diameter) at high velocity through an upper internode of a large Cecropia tree, making clean entry and exit wounds. Within 24 hours both holes were nearly sealed. This anecdotal observation...

Also: Da hat der kleine Nick^W^W der Sohn des Smithsonian-Biologen mit einer Zwille oder Steinschleuder rumgeballert und hat es geschafft, ein Loch durch ein Internodium, also so eine Art Zweig, zu schlagen; nun, tropische Bäume sind oft relativ weich. Der Lausejunge war aber Professorenkind genug, um genauer hinzuschauen und festzustellen, dass Ameisen am Loch rumlaufen und es offenbar zunähen.

Daraufhin haben er, seine Freunde und sein Vater ein richtiges Programm aufgelegt, um aus der Anekdote etwas wie Wissenschaft zu machen. Sie haben dazu systematisch Löcher in rund zwanzig Ameisenbäume im Stadtwald („opportunistically selected“ schreiben sie) gebohrt, in denen Aztekenameisen Azteca alfari wohnten. Über deren Symbiose war bisher vor allem bekannt, dass die Bäume Ameisen schicken, wenn andere Tiere an ihren Blättern knabbern. Die Ameisen dürfen dafür in den erwähnten Internodien wohnen (die sind hohl und haben dünne Wände, damit die Ameisen leicht reinkommen) und bekommen darin sogar lecker Futter (na ja, im Zweifel Futter für ihre Blattläuse).

Und dann haben die Schülis dokumentiert, was passiert. Das war nicht immer einfach, wie sie ehrlich berichten:

But ants [also die Ameisen, die an einem Loch arbeiteten] were not marked so the total size of the repair force is unknown. […]

We greatly thank the Cárdenas police patrols for allowing us to work safely outdoors during the early days of a pandemic, and tolerating our activity during severe restrictions on movement.

Sie mussten sich auch auf junge Bäume beschränken, denn die Ameisen wohnen gerne so weit oben wie möglich und merken dann nicht mehr, was unten vor sich geht, während die Schülis nicht höher als zwei Meter kamen: „we selected internodes as high up as we could reach“.

Die resultierende Beobachtung mochte dann schon wieder Material für die Ethikkommission sein, denn sooo viel anders als bei den ganz klassischen Begegnungen von Lausbuben und Ameisenhaufen ging es auch nicht ab, jedenfalls aus Sicht der Ameisen: Diese retteten erstmal ihre Brut, bevor sie tatsächlich recht oft und überzeugend die Bohrungen verschlossen. Dieses Gesamtbild aber lässt schon ahnen, dass sie eher ihren Bau reparierten als ihrem Baum medizinische Hilfe angedeihen ließen. Dafür spricht auch, dass der Baum im Anschluss ein eigenes Heilprogramm anwarf und die Wunde komplett mit eigenem Gewebe auffüllte.

Andererseits: Vielleicht sehen wir hier gerade der Evolution zu, denn es könnte ja sein, dass Bäume, die Ameisen zu besserer medizinischer Versorgung anhalten – und das übliche survival of the fittest[1] würde jetzt dafür sorgen – auch deutlich besser leben als welche, die einfach nur ganz normale Baumheilung machen?

Was es auch sei: ich war sehr angetan davon, mal ein paar Seiten aus dem Journal of Hymenoptera Research zu lesen. Dafür, dass es solche Publikationen gibt, liebe ich die Wissenschaft.

[1]Nur zur Sicherheit: nicht des „strongest“ oder sowas.

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