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  • Eine neue Nexus-Nabe und ihr Fußabdruck

    Nahaufnahme einer Fahrrad-Schaltnabe mit einem Sonnenreflex auf einer Speiche.

    Weil ich wartungsarme Technik schätze, war in allen meinen Fahrrädern eine Schaltnabe verbaut, zunächst ein Sachs-Dreigang, dann über einige Jahrzehnte hinweg die Zweizug-Fünfgang-Nabe des gleichen Herstellers (dämlicherweise „Pentasport“ genannt), zumal bei denen mit damals noch reichlich verfügbaren Ersatzteilen aus Torpedo-Naben (das war der auch nicht allzu erfreuliche Handelsname der Dreigang-Teile) oft noch einiges zu retten war.

    Vor sechs Jahren, im November 2017, bin ich dann auf eine Acht-Gang-Nabe von Shimano („Nexus“) umgestiegen, insbesondere, weil die Ersatzteilversorgung für die Sachs-Naben kritisch wurde und ich das Elend mit SRAM nicht mehr ansehen wollte – SRAM hatte zwischenzeitlich die Sachs-Nabenfertigung übernommen und nach einhelliger Meinung hingerichtet. Ich hatte dabei die naive Hoffnung, mit einer fabrikneuen Nabe könnte das werden wie bei meinem SON-Nabendynamo: Montieren und vergessen; beim SON hat das seit 2007 gut geklappt, das Teil ist wirklich beeindruckend wartungsfrei.

    Der Fußabdruck von YOLO

    Meine Nexus hingegen hat während der letzten paar Monate immer unangenehmere Geräusche – ich möchte fast von distress signals sprechen – von sich gegeben. Ich war hin- und hergerissen zwischen „Nachschauen und dann ärgern, weil du keine Ersatzteile kriegst“ und YOLO. YOLO hat gewonnen, wodurch das Knacken und Gangverlieren immer schlimmer wurde. Letzte Woche war es dann endgültig nicht mehr tragbar, weshalb ich gestern ein neues Laufrad montiert habe. Der Wechsel des ganzen Laufrads statt nur der Nabe lag nahe, weil auch die Felge schon ziemlich runter war[1] – aber klar: ich war durchaus auch dankbar, dass ich mir die Umspeicherei sparen konnte.

    Ich verspreche, vom Postmortem der alten Nabe zu berichten, wenn es soweit ist. Jetzt hingegen ist das eine gute Gelegenheit, meine größte Kritik am hier schon oft zitierten Fußabdruck-Standardwerk How Bad Are Bananas von Mike Berners-Lee loszuwerden. Zum Thema des CO₂-Fußabdrucks einer Fahrradmeile heißt es in der US-Ausgabe nämlich:

    Cycling a mile

    65 g CO2e powered by bananas

    90 g CO2e powered by cereals with milk

    200 g CO2e powered by bacon

    260 g CO2e powered by cheeseburgers

    2,800 g CO2e powered by air-freighted asparagus

    > If your cycling calories come from cheeseburgers, the emissions per mile are about the same as two people driving an efficient car.

    Auch wenn ich nichts einzuwenden habe gegen die Demo, wie CO₂-relevant vernünftiges (also pflanzliches, saisonales und eher regionales) Essen ist, gehört die ganze Abschätzung deutlich zu den zweifelhafteren des Buches. Zunächst rechnet Berners-Lee schon mal „50 calories per mile“[2]. Gemeint sind natürlich Kilokalorien, so dass das (mit ungefähr 4 Kilojoule auf die kcal und 1.6 Kilometern auf die Meile) in ordentlichen Einheiten 125 kJ auf den Kilometer sind.

    Gegenrechnung: AlltagsradlerInnen leisten, wenn sie sich anstrengen, etwa 100 Watt und fahren dabei einen Kilometer in, sagen wir, 150 Sekunden. Die mechanische Arbeit, die sie über diesen Kilometer leisten, beläuft sich also auf rund 15 kJ (ich würde auch alles zwischen 5 und 30 glauben). Um auf die Fußabdruck-relevante Eingangsenergie zu kommen, muss das noch durch den Wirkungsgrad geteilt werden. Es ist nicht ganz einfach, das für den menschlichen Organismus anzugeben oder auch nur sinnvoll zu definieren[3], aber viel weniger als ein Drittel sollte bei keiner sinnvollen Methodik rauskommen. Damit würde ich gegen Berners-Lees 125 kJ/km eher 50 kJ/km setzen.

    „Equipment“ fürs Radfahren?

    Natürlich hängt diese Größe stark von Wind und Steigung ab und ein wenig von Reifendruck, Getriebe und so fort. Außerdem streite ich in solchen Fragen nie über einen Faktor zwei. Dennoch würde ich die Emissionen aus dem Essen bei Berners-Lee wegen „braucht weniger“ gleich mal mindestens halbieren[4].

    Aber das ist ohnehin nicht mein wirkliches Problem mit seinen Abschätzungen. Das nämlich ist das hier:

    All my figures include 50 g per mile to take into account the emissions that are embedded in the bike itself and all the equipment that is required to ride it safely.

    Im Klartext: bis zu 70% der veranschlagten Emissionen beim vegetarischen Betrieb sind bei Berners-Lee Fahrradherstellung und „Equipment“. Das „safely“ lässt schon Böses ahnen, und in der Tat ist in einer Fußnote zu „safely“ zu lesen:

    In our input–output model of the greenhouse gas footprint of U.K. industries (for the chapter entitled “Under 10 grams”), sports goods typically have a carbon intensity of around 250 g per pound’s worth of goods at retail prices. If we make the very broad assumption that cycling goods are typical of this, and if we say that Her Majesty’s Revenue and Customs (HMRC) is being roughly fair to reimburse you at 20p (31 cents) per mile for business travel on a bike, then we would need to add about 50 g CO2e per mile to take account of the wear and tear on your bike, your waterproof gear, lights, helmet, and so on.

    Zum Thema „safely“ und „helmet“ verweise ich auf meine Ausführungen von vor einem Jahr, und das Licht gehört nun wirklich zu einem vernünftigen Fahrrad und braucht daher keine separate Betrachtung. Aber entscheidender: Berners-Lee will hier etwas wie einen Euro alle vier Kilometer für Fahrrad und Ausrüstung ausgeben (zur Frage, was das mit CO₂ zu tun hat, vgl. diese Fußnote von neulich). Wenn ich konservativ annehme, dass ich 4000 Kilometer im Jahr fahre, müsste ich demnach rund 1000 Euro im Jahr für Fahrradkram ausgeben.

    Das ist rund eine Größenordnung daneben; mit dem neuen Hinterrad werden es in diesem Jahr zwar fast 300 Euro werden, aber die letzte Nabe hat doch immerhin sechs Jahre gehalten. Und vielleicht lerne ich aus dem Postmortem der alten Nabe genug, um die neue etwas länger am Laufen zu halten. Klar, wenn ihr regelmäßig neue Räder, Wurstpellen-Klamotten und Spezialschuhe kauft, wird Berners-Lees Rechnung gleich viel plausibler – aber das hat mit Fahrradfahren nicht mehr viel zu tun; das ist dann Sport.

    Für vernünftige AlltagsradlerInnen, die logischerweise Alltagsklamotten tragen und ihre Räder überschaubar warten (meines habe ich jetzt schon 22 Jahre unterm Hintern), würde ich die 30 g CO₂e auf den Kilometer von Berners-Lee aus Produktion und Zubehör eher so auf 5 g korrigieren wollen. Mit ebenfalls entsprechend korrigierten 10 g aus dem Essen wären wir dann bei 15 g/km – wobei ich keine Sekunde bestreite, dass Radeln als Sport eher bei den 100 g/km liegen könnte, die Berners-Lee veranschlagt.

    (Kaum) mehr als ein Epsilon

    Einzuräumen bleibt, dass die ganze Betrachtung ziemlich irrelevant ist für den CO₂-Fußabdruck eines Durchschnittsmenschen in der BRD: In Wahrheit habe ich mich vor allem über Berners-Lees Präsupposition geärgert, mensch brauche „Ausrüstung“ zum Fahrradfahren (mal vom Fahrrad abgesehen). Jedenfalls: Wer 4000 km fährt, wird mit meiner Schätzung in einem Jahr 60 kg CO₂e verursachen, mit Berners-Lee dann halt 400 kg. Beides verschwindet praktisch vollständig in den 8 Tonnen pro Jahr, die wir in der BRD gegenwärtig pro Kopf so zu bieten haben.

    Ob das ein starkes Argument ist, sich nicht um den Fußabdruck des Fahrrads zu kümmern, ist wieder eine andere Frage, denn für BewohnerInnen der Zentralafrikanischen Republik wäre selbst meine niedrige Schätzung mehr als eine Verdoppelung ihres Fußabdrucks, wenn die im Menschenstoffwechsel-Post zitierten Daten von Our World in Data irgendwie hinkommen sollten.

    Und deshalb: Liebt euer Fahrrad! Repariert es und recycelt dabei alte Bauteile. Schande über meine Faulheit bei der neuen Nexus, ihren Speichen und ihrer Felge.

    [1]Wenn sich wer über runtergefahrene Felgen bei einer Rücktrittnabe wundert: Da ich doch ziemlich viel in den Bergen (also, na ja, im Odenwald halt, will sagen eher so zwischen 100 und 600 Metern) unterwegs bin, habe ich auch ans Hinterrad eine Felgenbremse gebastelt, damit mir die Rücktrittbremse bei längeren Abfahrten nicht abraucht.
    [2]Ich verleihe hiermit feierlich den König Æþelbyrht-Preis für grässliche Alltags-Einheiten an „Kalorien pro Meile“.
    [3]Vgl. dazu diese Fußnote.
    [4]Warum das im Rahmen des menschlichen Stoffwechsels emittierte CO₂ nicht zählt, habe ich im November 2022 diskutiert. Es geht also wirklich nur um den Fußabdruck bei der Produktion der Nahrungsmittel, aus denen die 50 kJ kommen.
  • Deutscher Wetterdienst: Nachricht schlecht, Technik gut

    Die schlechte Nachricht zuerst:

    Europakarte mit Regenmengen für Juni 2023, braun ist zu trocken, und u.a. im Oberrheingraben und im türkisch-syrischen Erdbebengebiet ist es ziemlich braun.

    Rechte: DWD (vgl. Text)

    Ja, es ist trocken hier im Oberrheingraben, und noch mehr ausgerechnet im türkisch-syrischen Erdbebengebiet. Aber nein, für einen einzelnen Monat ist das einfach nur die übliche Gemeinheit der Natur und kein Signal des Klimawandels. Aber von denen haben auch wirklich genug andere.

    Ich verblogge das hier jedoch aus einem ganz anderen Grund: Ich will dem Deutschen Wetterdienst ein großes Lob aussprechen, denn der Dienst, der diese Bilder macht, funktioniert einwandfrei[1] ohne Javascript: Schnell, unproblematisch, mit verschwindender CPU-Belastung am Client, geht auch im netsurf, insgesamt weniger Daten übertragen als andere für ihr doofes Javascript-Framework brauchen.

    So sollte das Netz sein. Genau so. Und so könnte es auch sein, ohne dass es irgendwem außer der Belästigungs-„Industrie” weh täte. Danke, DWD!

    Und ihr anderen mit euren Krapizität-300-Webseiten, bei denen ohne Javascript local storage noch nicht mal statischer Text kommt: Schämt euch.

    [1]Na gut, fast einwandfrei: Die Auswahl der anderen Parameter haben sie im Augenblick ohne Javascript vermurkst.
  • „Seit bald acht Jahrzehnten nicht mehr“?

    Plot einer Badewannenkurve; die Ränder sind Mai 2022 und Februar 2022

    Der Olivindex mal als Linie geplottet (oh: das ist mit einem Acht-Tage-Gauß geglättet).

    Ich lese immer noch flächendeckend die Presseschau im Deutschlandfunk, um meinen Olivindex fortzuführen. Gedacht als grobes Maß für die bedenkliche Mischung aus Kriegsbegeisterung und Patriotismus ist der Olivindex in Wirklichkeit der Anteil der in der Presseschau vertretenen Kommentare, die ersichtlich voraussetzen, dass an deutschem Militär und deutschen Waffen die Welt genesen könnte oder gar müsste.

    Seit dem letzten Mai habe ich am Fuß jeder Blog-Seite unter „Kriegsfieber aktuell“ jeweils eine Visualisierung dieser Scores als olive Farbbalken. Oben hingegen zeige ich das Ganze mal als klassischeren Plot, unter Wiederverwendung der Gauß-Glättung aus der Untersuchung der CO₂-Zeitreihe[1].

    Es wäre wahrscheinlich interessant, das allmähliche Absinken des journalistischen Kriegsfiebers zwischen Mai und Juli mit den Ereignissen zu korrelieren, das kurzfristige Wiederaufflackern im Laufe des Septembers – ich glaube, im Wesentlichen im Gefolge der russischen Teilmobilmachung –, die kühleren Herzen im November und Dezember und das Wiederanschwellen des Bocksgesangs hin zu den weiter wachsenden Waffenlieferungen der letzten Zeit. Aber das ist wahrscheinlich eine Arbeit, die mit mehr historischer Distanz besser von der Hand gehen wird.

    Ich erzähle das jetzt gerade alles nur, um zu motivieren, wie ich auf den Preisträgertext gekommen bin für den

    Horst-Köhler-Preis für beunruhigend ernst gemeinte Worte.

    Der aktuelle Preisträger ist die Pforzheimer Zeitung, die ausweislich der gestrigen DLF-Presseschau (wenn der Link kaputt ist: sorry, der DLF depubliziert den Kram immer noch rasend schnell) ausgerechnet die doch eher zahme Frage der Faeser-Kandidatur mit folgendem ziemlich unprovozierten Ausfall kommentiert:

    Bundesinnenministerin will die 52-Jährige bis zur Hessen-Wahl bleiben – also ‚nebenher‘ auch noch Wahlkampf machen. In einer Phase, in der die nationale Sicherheit Deutschlands so wichtig ist wie seit bald acht Jahrzehnten nicht mehr.

    Ummmm. Acht Jahrzehnte sind achtzig Jahre, 2023-80 gibt 1943. Damals war nach Ansicht des Pforzheimer Kommentators die „nationale Sicherheit“, zumal von „Deutschland“ ganz besonders „wichtig“? Uiuiuiui… Nun. Pforzheim. Die Stadt, in der bei den Landtagswahlen 2016 24.2% der Abstimmenden die AfD gewählt haben – damit waren die damals stärkste Kraft im Wahlkreis.

    Eine gewisse Logik liegt da schon drin. Unterdessen herzlichen Glückwünsch an den/die PreisträgerIn.

    [1]Nun: weil mir hier die Ränder wichtig waren, habe ich etwas mehr „Sorgfalt“ (mensch könnte auch von „Großzügigkeit” reden) auf das Padding am Anfang und Ende der Zeitreihe verwendet, also die Stellen, an denen der Glättungskern über die Daten rausreicht. Ich mache das jetzt gerade durch Fortschreibung der jeweiligen Randelemente; das gibt diesen an den Rändern viel zu viel Gewicht, aber es ist immer noch besser als einfach mit Nullen fortzuschreiben. Wer mag, kann mein Tricksen in der smooth_gauss-Funktion in olivin ansehen.
  • Rekursives 419: Ein brillianter Betrugsversuch

    Screenshot: Mail mit 'I am a banker'

    Ich glaube, jedeR hat irgendwelche dunklen Marotten, die normalen Menschen eigentlich peinlich sind. Ich zum Beispiel bin ein großer Fan der Nigeria-Connection, etwas korrekter Vorschussbetrug oder ähnlich inkorrekt (weil auch auf Nigeria bezogen) 419er-Mails genannt. Ich verfüge, ich gestehe es, ohne rot zu werden, über eine 12 Megabyte umfassende Sammlung handverlesener einschlägiger Mails aus den letzten 20 Jahren, die ich bei Interesse gerne für wissenschaftliche oder andere Untersuchungen zur Verfügung stelle.

    Heute kam nun eine besondere Perle: Ein 419er-Scam, der Opfern anderer 419er-Scams Hilfe anempfiehlt, natürlich gegen eine kleine Gebühr. Fantastisch. Wer könnte ein dankbareres Opfer für diese Sorte von Betrug sein als jemand, der/die schon mal auf sowas reingefallen ist? In meiner Begeisterung über die selbstbezügliche Genialität dieses Kozepts missachte ich eventuelle Urheberrechte und reproduziere hier die ganze Mail:

    Date: Tue, 18 Oct 2022 10:32:57 +0100
    From: William Christian <williamsgeorge00051@gmail.com>
    To: undisclosed-recipients:
    Subject: I HAVE GOOD NEWS FOR YOU

    Hi my friend,

    I must apologize for this spontaneous email to you. I am aware of this is certainly not a conservative way of approaching you, but you will understand the need for my action thought It’s true we don’t know each other, but “I” think you need to hear this truth to protect yourself from being defrauded.

    I am Williams Christian, from , I was one of the Victims in Africa by some individuals whom I contacted to help me get my Inheritance Funds, but they all took advantage of me and left me a Bankrupt, I have tried in different ways to get my payment but all to know avail, I lost my life savings to different FAKE groups that claimed to be working in Banks like CBN Bank, Zenith bank, UBA, First bank etc. and many others thinking they were helping me, but rather, they were busy defrauding my hard earned money, I am very sorry telling my past, but I think there are many innocent people out there too that need this message.

    Honestly I wouldn't want anybody to experience what I went through in the hands of those crooks scammers, I lost all my friends because I refused to listen to their advice, simply because I thought I was on the right part without knowing I was dealing with scammers,

    But the good news today is that God has finally remembered me, few weeks ago I received a mail from a unknown person, a man in the state of Arizona advising me to contact one senior and professional attorney Mr Femi Falana, He is a Nigerian international lawyer and human rights activist whose law firm is made up of UK/Nigerian qualified solicitor and renders commercial legal services in due diligence, corporate investigation and trade secrets, immigration, intellectual property etc.

    He actually helped me in Nigeria in other west African countries to claim my lost funds and if I have not gotten mine I wouldn’t have bothered to advice another person, although at the beginning ,I thought it was another trick to scam me, but two weeks I decided to give it a try by contacting the attorney using email address provided, and to my greatest surprise it happened to be 100% real and I got my lost funds.

    Of course, I promised myself never to share my testimony/news until I receive my fund and then be convinced enough before letting people know, and Today I am now writing with joy to advise us all to STOP feeding scammers out there and contact this attorney on the email below if you haven’t claimed your lost money yet,

    Although, you may be wondering how I got my funds without paying a cent, yes I paid little money to the attorney which is normal to secure a some documents including permit certificate in my name of which I have the copy on file, but my advice to you is to STOP dealing with those scammers and contact this senior attorney to claim all your lost funds, his email address ID and phone number are(sexkepy@gmail.com) (+2348145880372)

    I encourage you to contact him for your own money and he will help you get it because I am a living testimony.

    Yours Sincerely
    William Christian

    Gut: Stilistisch reicht es jetzt nicht ganz zum Literaturnobelpreis. Aber William Christian sollte, finde ich, zumindest den Münchhausen-Preis der Stadt Bordenwerder erhalten, denn der soll „Personen mit besonderer Begabung in Darstellungs- und Redekunst, Fantasie und Satire“ auszeichnen. All of the above.

  • Ach Bahn, Teil 10: Textbausteine machen schlechte Laune

    Zu den universellen Erfahrungen des dritten Jahrtausends gehört ganz gewiss die Frustration nach Kontakt mit kommerziellem Kundendienst jeder Art. Das ist besonders bitter, wenn mensch das Niveau im Free Software-Bereich gewohnt ist: Bei fast allen Problemen und Wünschen, die ich zu Freier Software hatte, kam zumindest eine sinnvolle Reaktion, häufig auch rasch eine Lösung.

    Ganz anders im kommerziellen Bereich. Als neulich mein Rezept für Internet via Telefon nicht mehr funktionierte (im o2-Netz wiederverkauft von WinSIM), kamen auf zwei schriftliche Supportanfragen jeweils zwei zusammengeklickte Antworten, die offensichtlich nicht auf meine Anfragen eingingen und folglich auch komplett nutzlos waren. Ich wollte eigentlich schon an dieser Stelle empört darüber ranten, als nach einer verzweifelten telefonischen Anfrage tatsächlich eine nützliche Antwort mit einer vernünftigen Erklärung kam – gut genug, dass ich gelegentlich mal separat darüber bloggen will. Danach war ich zu versöhnt für einen Rant.

    Nun aber wieder die Bahn. Im September bekam ich nach einer Captcha-und-too-many-requests-Zumutung (Rant am Fediverse) auch noch zwei seltsame Mails von der Bahn, die in etwa so aussahen:

    Date: Wed, 21 Sep 2022 19:13:43 +0000 (GMT)
    From: DB <noreply@deutschebahn.com>
    To: msdemlei@fsfe.org
    Subject: Verify email
    
    Someone has created a Deutsche Bahn account with this email address.
    If this was you, click the link below to verify your email address
    
    https://accounts.bahn.de/auth/realms/db/login-actions/action-token?key=eyJhbGciO<ungefähr-1k-base64>-<vielleicht-eine-checksumme>&client_id=fe_esuite&tab_id=cY2rW_Q_7wc
    
    This link will expire within 15 minutes.
    
    If you didn't create this account, just ignore this message.
    

    Eine sehr nach fishing aussehende Mail mit genug Binärsoße, um ein halbes Betriebssystem drin unterzubringen? Auf Englisch von der deutschen Bahn? Und dann noch ohne CSS-Müll im Text? Das schien mir extrem verdächtig, aber auch genauere Untersuchung brachte keine Anzeichen für eine Fälschung zutage. Andererseits war der Bahn-Server ja vorher offensichtlich kaputt gewesen. Vielleicht war er ja insgesamt von Parteien übernommen, die mir noch übler wollen als die Bahn?

    Von solchen Fragen bewegt habe ich es mal wieder mit dem Bahn-„Kundendienst“ versucht. Folgendes habe ich noch am 21. September geschrieben:

    Liebe Mitarbeiter/in der Bahn,

    Kontext:

    Ich hatte heute schon wieder ganz großartige "User Experience" beim versuchten Fahrkartenkauf -- nicht nur musste ich mal wieder ein Captcha lösen (was ich offen gestanden für die Ursünde der UX halte), ich kam nach der Lösung unmittelbar auf eine nginx-Fehlerseite mit einem schlichten "too many connections". Der Back-Button führte auf noch ein Captcha.

    Gäbe es eine Alternative für den Online-Kauf von Fahrkarten, ich wäre jetzt dort. So, wie es ist, bin ich dankbar für Fahrkarten-Automaten.

    Das eigentliche Problem:

    Kurz nach diesem Erlebnis kamen zwei Mails wie die im Anhang. Die sieht nach allen Kriterien bis hin zu den Received-Headern aus wie eine legitime Mail von Ihnen. So, wie das gemacht ist, habe ich aber keine Ahnung, was das tut, und der endlose Binär-String löst jetzt auch wirklich kein Vertrauen aus. Ich habe das jetzt mal nicht geklickt -- es könnte ja sein, dass da jemand meinen Account übernehmen will.

    Was ist das? Habe ich das ausgelöst? Wäre es nicht gut, das etwas weniger spammisch aussehen zu lassen?

    Als der Bahn-Webserver wieder ging, hat sich herausgestellt, dass das tatsächlich Verifikationsmails der Bahn waren und das Web-Interface die Mails so angekündigt hätte (wenn auch ohne Begründung, warum überhaupt und gerade jetzt) – hätte ich am 21.9. nicht Captchas und „too many requests“ statt der Bahn-Webseiten bekommen.

    Der Bahn-Kundendienst hätte das jetzt erklären und sich entschuldigen können. Stattdessen kam fast drei Wochen später, am 11.10., eine profund nutzlose Antwort, die ich hier öffentlich kommentieren will, zunächst, weil ich meine Kommentare geistreich finde.

    Vor allem habe ich aber den Verdacht, dass jemand mit Technikkompetenz bei der Bahn dann und wann wahrnimmt, was ich hier schreibe. Warum ich das glaube? Nun, die Kundendienst-Antwort hatte endlich keinen CSS-Müll mehr an der text/plain-Alternative. Ich hatte das vor Jahren mal per Mail bemängelt, ohne dass sich etwas geändert hätte. Nun, nach meinem Post vom Juni, kommt die Mail endlich vernünftig und lesbar, sogar mit Absätzen und allem. Kann Zufall sein. Kann aber auch ein gutes Zeichen sein.

    Und drum hier die Bahn-Antwort mit meinen Kommentaren:

    vielen Dank für Ihre E-Mail. Bitte entschuldigen Sie die späte Antwort.

    Wir haben Ihr Anliegen geprüft.

    Die Authentifizierungsmail wird von uns versendet und ist für die Zurücksetzung Ihres Passwortes notwendig. Nach Klick auf den Link zur

    Meine Frage, wozu das Verfahren überhaupt eingerichtet wurde, bleibt leider unbeantwortet. Außerdem ging es nicht um ein Passwort, und es wurde auch nichts zurückgesetzt. Wie die ursprüngliche Mail selbst schon sagte, ging es um die Bestätigung einer Mailadresse. Mit einer sowohl falschen als auch nutzlosen Information aufzumachen, verdient für mich den Winston-Churchill-Preis für Erwartungsmanagement („Blut, Schweiß und Tränen“).

    Kontoaktualisierung, öffnet sich eine Seite auf bahn.de. Hier muss die E-Mail-Adresse mit Klick auf >> Klicken Sie hier, um fortzufahren bestätigt werden. Anschließend erscheint die Meldung, dass das Konto aktualisiert wird und Sie können sich wieder in Ihrem Kundenkonto anmelden.

    Achten Sie darüber hinaus bitte darauf, unsere DB Navigator App auf dem neuesten Stand zu halten und über einer sicheren und stabilen Internetverbindung zu buchen.

    Kundendienst-Tipp #1: Anfragen lesen und dann keine unpassenden Formtexte in die Antworten pasten -- ich habe keine Hardware, auf der die App laufen würde, und so dementsprechend hatte meine Anfrage auch nichts mit der App zu tun.

    Bei instabilen Internetverbindungen verzeichnen wir ein hohes Aufkommen von Buchungsabbrüchen.

    Kundendienst-Tipp #2: Fehler eingestehen. Da war keine instabile Internet-Verbindung. Was da kam, war eine Meldung vom Reverse Proxy der Bahn, weil offenbar der Dienst dahinter überlastet oder kaputt war.

    Die richtige Reaktion wäre gewesen: „Ja, sorry, wir haben es verkackt. Und weil das im Zusammenhang mit dem Captcha eingestandenermaßen nochmal blöder war, werden wir uns jetzt wirklich mal überlegen, den Captcha-Quatsch zu lassen. Ansonsten Entschuldigung.“

    Empfehlenswert wäre ebenfalls, beim Log-in via Browser die Cookies und den Verlauf zu löschen und zudem auf dem neuesten Stand zu halten und ggf. den Adblocker zu deaktivieren.

    Kundendienst-Tipp #3: Keine Voodoo-Tipps geben. Wie soll bitte das Löschen „des Verlaufs“ ein 500 (oder 504, ich weiß nicht mehr) des Reverse Proxy der Bahn reparieren? Und wenn Leute wirklich der Empfehlung folgen und „die Cookies löschen“, werden sie unter Umständen böse Überraschungen erleben. Wenn die Bahn meint, in Einzelfällen (wenn auch offensichtlich nicht diesem) könne ein Zurücksetzen Ihrer Cookies nötig sein: das kann mensch von der Server-Seite aus viel zielgenauer tun, etwa mit einer Webseite, die entsprechende Set-Cookie-Header ausliefert (und ggf. zu weiteren Seiten weiterleitet, die das für weitere Domains tun). Damit geht dann ein „gehen Sie zu <dieser URL>, um die Bahn-Cookies zu löschen“.

    Wenn die Bahn schließlich wirklich findet, dass aktivierte Adblocker die Nutzung ihrer Dienste behindern: Wäre das nicht ein Anlass, darüber nachzudenken, all den Tracking- und Marketing-Quatsch von der Seite runterzunehmen? Aber wie gesagt: das war vorliegend gar nicht das Problem.

    Wir hoffen, dass wir Ihre Fragen beantworten konnten und wir Sie bald in unseren Zügen begrüßen zu dürfen.

    Helfen Sie uns unser Angebot und unseren Service weiter zu verbessern. Beantworten Sie dazu bitte nachfolgende Fragen unter Umfrage bahn.de. Vielen Dank.

    Ganz perfekt sind die text/plain-Alternativen immer noch nicht, denn die URL der Umfrage geht dabei verloren. Aber weil Umfragen an sich und schon gar im Web ein Fluch sind, würde ich das in diesem Fall eher als Feature als als Bug klassifizieren.

  • Bahnauskuft auf antiken Geräten – und auf Codeberg

    Foto: Altes Mobiltelefon mit Terminal, das eine etwas kryptische Bahnauskunft zeigt

    Bahnauskunft von 2022 auf einem Nokia N900 von 2009: Es braucht inzwischen etwas Mühe, um das gebastelt zu kriegen.

    Als die Bahn-Webseite nicht mehr ordentlich auf kompakten Browsern wie dillo funktionierte und auch nicht per WAP– also Mitte der 2010er Jahre –, habe ich mir ein ein kleines Skript geschrieben, das die wesentlichen Infos zur Zugauskunft aus dem HTML herausklaubte und dann in einem einfachen Kommandozeilen-Interface darstellte. Das war, worum es im letzten Sommer bei meinem Rant gegen Zwangs-Redirects umittelbar ging. Der weitere Hintergrund: Ich will Zugauskünfte von meinem alten Nokia N900 aus bekommen (und im Übrigen seit der Abschaltung von UMTS auch über eine 2G-Funkverbindung, also etwas wie 10 kB/s)[1].

    Nachdem das – jedenfalls nach Maßstäben von Programmen, die HTML auf Webseiten zerpflücken – überraschend lang gut ging, ist das im Rahmen der derzeitigen Verschlimmbesserung der Bahn-Seite neulich kaputt gegangen. Obendrauf ist die Javascript-Soße auf bahn.de damit so undurchsichtig geworden, dass mich die Lust, das Skript zu pflegen, sehr nachhaltig verlassen hat. In dieser Lage kam ein Vortrag über die Bahn-APIs, den jemand bei der Gulasch-Programmiernacht 2019 gehalten hat, gerade recht. Also: Das Video davon.

    In diesem Video habe ich gelernt, dass mein „unpromising“ im Rant vor einem Jahr,

    I know bahn.de has a proper API, too, and I'm sure it would be a lot faster if I used it, but alas, my experiments with it were unpromising [...],

    einen tiefen Hintergrund hat. Die Bahn hat nämlich keine API für die Fahrplanauskunft.

    Was es aber stattdessen gibt: die HaFAS-API, auf die die Reiseplanung der Bahn-App selbst aufsetzt. Und es stellt sich heraus, dass Leute schon mit viel Fleiß ausbaldowert haben, wie die so funktioniert, etwa in pyhafas.

    Mit pyhafas kann ich all das schreckliche HTML-parsing aus dem alten bahnconn.py durch ein paar Aufrufe in pyhafas rein ersetzen. Aber leider: pyhafas ist echt modernes Python, und weil es viel mehr kann als es für bahnconn.py bräuchte, wäre das Rückportieren davon nach Python 2.5 ein ernsthaftes Projekt; mehr habe ich aber auf meinem N900 nicht. Außerdem bin ich bekennender Fan von ein-Modul-und-stdlib-Programmen: die brauchen keine Installation und laufen zudem mit allem, das irgendwie Python verdauen kann, also etwa auch jython oder sowas, was spätestens dann in Frage steht, wenn Abhängigkeiten C-Code enthalten.

    Deshalb habe ich aus pyhafas die Dinge, die bahnconn dringend braucht, abgeschaut und eine minimale, Python-2.5-verträgliche Implementation gebastelt. Das Ergebnis: ein neues bahnconn. Holt es euch, wenn ihr Bahnauskunft auf älteren Geräten haben wollt. Ich habe es jetzt nicht auf Atari TTs probiert, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es selbst da noch benutzbar ist.

    Codeberg

    Gerade, als ich den Code einfach wieder hier auf dem Blog abwerfen wollte, habe ich beschlossen, das könne ein guter Anlass sein, endlich mal einen zweiten Blick auf Codeberg zu werfen.

    Bisher habe ich nämlich für allen etwas langlebigeren oder größeren Code (also: nicht einfach nur am Blog abgeworfenen Kram), ganz DIY, ein eigenes Subversion-Repository betrieben. Was in den letzten Jahren neu dazukam, habe ich in git+ssh+cgit gesteckt.

    Natürlich hat das niemand mehr gesehen; nicht mal Suchmaschinen gucken mehr auf sowas, seit aller Code der Welt bei github landet. Deshalb, und auch, weil ich Monstren wie gitea und gitlab wirklich nicht auf meiner Maschine haben will (allerdings: cgit ist ok und würde für Publikation auf subversion-Niveau reichen), habe ich mich mit dem Gedanken, dass mein Kram auf einer öffentlichen Plattform besser aufgehoben sein mag, mehr oder minder abgefunden.

    Auf Github bin ich beruflich schon so viel zu viel unterwegs, und der Laden ist deutlich zu nah am Surveillance Capitalism. Zwar kenne ich hinreichend Projekte und Firmen, die ihnen Geld geben, so dass sie gewiss ein konventionell-kapitalistisches Geschäftsmodell fahren könnten; aber schon da fehlt mir der Glaube. Obendrauf hat mir Microsoft in meinem Leben schon so viel Kummer bereitet, dass ich ihnen (bzw. ihrem Tochterunternehmen) nicht noch mehr KundInnen zutreiben will.

    Codeberg, auf der anderen Seite, wird von einem Verein betrieben und macht generell vieles richtig, bis hin zu Einblendungen von Javascript-Exceptions (warum machen das eigentlich nicht alle?), so dass die Seite nicht einfach heimlich kaputt ist, wenn ich Local Storage verbiete (gitea, die Software, auf der Codeberg soweit ich sehe aufsetzt, kann leider immer noch nicht ohne).

    Von dem gitea-Krampf abgesehen hat gestern alles schön funktioniert, nichts an der Anmeldeprozedur war fies oder unzumutbar. Codeberg hat hiermit erstmal das Anselm Flügel Seal of Approval. Ich denke, da werde ich noch mehr Code hinschaffen. Und mal ernsthaft über Spenden nachdenken.

    [1]Janaja, und natürlich nervte mich die fette Bahn-Webseite mit all dem Unsinn darauf auch auf dem Desktop und auch schon vor der gegenwärtigen Verschlimmbesserung.
  • Der Markov-Preis für die ungewöhnlichste Wortfolge

    Ich bin kein besonderer Freund der Triggerwarnung an sich, aber hier warne ich mal: Es geht um Rassismus, schreckliche Gewalt (wenn das für euch einen Unterschied macht: obendrein gegen Kinder) und Religion. Eigentlich ist das alles viel zu ernst für einen Spaßpreis.

    Aber es hilft nichts: Der Markov-Preis für die ungewöhnlichste Wortfolge[1] geht heute an den Deutschlandfunk für den Hintergrund Politik vom 2. Juli, dessen Thema der Sender wie folgt umschreibt:

    Tausende indigene Kinder wurden zwischen 1870 und 1996 in Kanada von ihren Familien getrennt und in Internaten untergebracht. Oft wurden sie dort sexuell missbraucht, viele starben. Die Aufarbeitung dieses Kapitels der kanadischen Geschichte hat erst begonnen – und wird die Gesellschaft noch lange beschäftigen.

    Darin heißt es bei Minute 12:00: „Die Nonnen hatten alle Lederpeitschen.“ Nennt mich naiv im Hinblick auf die Realität des Christentums, aber: jedenfalls außerhalb der engeren BDSM-Szene ist das schon ein Satz, dem eine durchschnittliche künstliche Intelligenz eine eher geringe Wahrscheinlichkeit zuordnen würde. Der Neugier halber habe ich kurz meinen Müllbrowser angeworfen (in dem darf liberal Javascript laufen), um zu sehen, was Google dazu einfällt:

    Google-Suchfeld mit "Die Nonnen hatten alle" und vorgeschlagener Ergänzung "folgen"

    Bei näherer Überlegung muss ich die Preisvergabe allerdings relativieren, denn wenn ich (erneut) an Edgar Allen Poes Kurzgeschichte Die Grube und das Pendel denke, erscheint die prämierte Wortfolge und auch ihre BDSM-Konnotation gar nicht mehr so abwegig.

    Eine weitere Verbindung zu jüngeren Themen aus diesem Blog fand ich bei Minute 10:20. In der Übersetzung des Deutschlandfunks:

    Sie kamen mit diesen Lastwagen, mit denen sonst Vieh transportiert wird. Damit haben sie uns abgeholt…

    …nämlich in die besagten residential schools.

    Ich glaube, es ist kein Zufall, dass da Fahrzeuge eingesetzt wurden, die normalerweise Schlachttiere bewegen. Gegen Ende meiner Überlegungen zu Königinnenkämpfen neulich hatte ich schon darauf hingewiesen, dass die Charakterisierung von Menschen als lästige (oder im vorliegenden Fall zu tötende) Tiere ein „konstantes Feature so gut wie aller Kriege und anderer Massenmorde der Geschichte“ ist.

    Ganz gewiss hat es der Transport der Kinder in Schlachtvieh-Wagen den im Apparat beschäftigten Menschen erheblich leichter gemacht, so unmenschlich zu handeln. Und ja, das ist sowohl ein Argument für die Erhaltung der Empathie mit Schlachtvieh als auch ein Argument gegen den Transport von Menschen in Viehtranportern[2].

    [1]Benannt ist der Preis nach Andrei Andrejewitsch Markow in seiner in Fachkreisen üblicheren englischen Umschreibung (sich selbst wird er wohl vor allem Марков geschrieben haben). Markov-Ketten waren bis zum Durchmarsch der neuronalen Netze das Mittel der Wahl zur statistischen Modellierung sprachlicher Äußerungen, also letztlich zur Beantwortung der Frage, wie wahrscheinlich es ist, kurz nach dem Token „Nonne“ ein Token wie „Hostie“, „Backschaufel“, „Gesangbuch“, „Rohrstock“ oder eben „Lederpeitsche“ zu finden.
    [2]Auch wenn ich irgendwelche Nazigeschichten hier lieber raushalten würde (denn da ist nochmal was ganz anderes passiert), muss ich, wo ich schon grob das Thema habe, noch anmerken: Ich bin überzeugt, dass Adolf Eichmann nicht nur aus Sachzwang Viehwaggons gewählt hat, um all die Menschen in die NS-Vernichtungslager verschleppen zu lassen.
  • Konferenzplattformen-Shaming

    In meinem Job hatte ich über die letzten Jahre reichlich Gelegenheit, mich über verschiedene Konferenzplattformen zu ärgern – und dabei gibt es weit Schlimmeres als indico, das dank CERN die meisten Konferenzen in meiner fachlichen Umgebung organisiert und auch schon reichlich Gelegenheit zum Kopfschütteln gibt. Jetzt gerade muss ich mich mit einer „Plattform“ auseinandersetzen, die mühelos den Klick-mich-weg-Preis für die grottigste Software ihrer Klasse abräumt: whova.com

    Das fängt dort an, wo die Tagesordnungs-Links nicht etwa auf das Programm der jeweiligen Session führen, sondern blind zu einem eingebetteten Zoom-Widget und hört noch lange nicht auf, wo die ProgrammiererInnen viel Mühe darauf verwenden, dass NutzerInnen die Zoom-Raumkennung nicht rauskriegen und so sowohl den proprietären Zoom-Scheiß und die murksigen Browser-Medien (im Gegensatz zum immerhin halbwegs ordentlich funktionierenden nativen Client) haben. Das Schlechteste aus allen Welten.

    Aber über sowas kann ich mich normalerweise nicht mehr aufregen[1]. Zur Tastatur greifen musste ich erst, als ich unvorsichtigerweise dem „Leaderboard“-Link in der Sidebar der Plattform folgte. Dabei zeigte sich folgendes:

    Screenshot eines Browserfensters: Eine Rangliste mit 308900, 211900 und 23400 Punkten an den ersten drei Plätzen.

    Ich habe ein wenig anonymisierend eingegriffen, weil ich Konferenzplattformen, aber keine Konferenzen oder Personen shamen will.

    Ich wollte meinen Augen nicht trauen: Diese Plattform will die TeilnehmerInnen mit albernen „Challenges“ und künstlichen Wettbewerben steuern? Nur der Klarheit halber: Das ist eine Konferenz mit lauter MoverInnen und ShakerInnen aus dem Wissenschaftsbetrieb, die endlos „Strategien“, „Nachhaltigkeit“ und, görks, „Innovation“ durchquirlen können. Solche Leute sollen wegen Fleißbienchen ihr Verhalten ändern? Tun die das am Ende gar?

    Wenn ich das richtig verstanden habe, werden folgende Dinge belohnt:

    • Add a topic or social group (20000 Punkte)
    • Suggest meet-ups (20000 Punkte)
    • Post a question in Session Q&A (10000 Punkte)
    • Recommend a conference (6000 Punkte)
    • Post a reply (500+ Punkte – wer entscheidet über das „+“?)
    • Share an article (500+ – und was ist, wenn die Urherberrechtspolizei kommt?)
    • Join a meet-up or share a ride (? Punkte)
    • Add 3 sessions to personal agenda (300 Punkte)
    • Beef up your profile (300 Punkte)
    • Say hi to someone in the attendee list (300 Punkte)
    • Post an Ice Breaker in the community board (? Punkte)

    „Hallo sagen“? Und das wird dann belohnt? Ich will mal hoffen, dass diese whova.com-Leute weit außerhalb der DSGVO-Jurisdiktion sitzen, denn mit welchem Buchstaben von Artikel 6 (1) sich so eine Datenverarbeitung begründen ließe, könnte ich mir auch mit starken bewusstseinserweiternden Substanzen nicht vorstellen. Und: Hat wirklich eine reale Person auf die „Congratulate“-Links geklickt? Wenn ja: Was ging derweil in deren Gehirnen vor? „Es könnte ja auch meine zweijährige Tochter sein, und mit meinem Lob verbessere ich ihren Wettbewerbswillen“?

    So entsetzt ich insgesamt über diesen Großangriff auf Menschenwürde und Vernunft bin, eine Frage drängt sich mir schon auf: Wenn die beiden „Leader“ jeweils zehn Mal mehr Punkte haben als die Person auf Platz drei: Sind das Beschäftigte, deren Job es ist, auf dieser Zumutung aus dem Webbrowser rumzuklicken? Oder sind es Leute, die ihren Computern beigebracht haben, Fleißbienchen für sie zu erklicken? Wenn Letzteres: Ist das stummer Protest oder demonstrative Selbstaufgabe?

    [1]Wobei: Ich habe ja nicht viel mit Jira zu tun, aber doch genug, um die Testimonials auf https://ifuckinghatejira.com/ mit grimmer Befriedigung zu lesen. Ganz so entspannt im Hinblick auf nervige proprietäre Software wie ich gerne wäre bin ich also doch nicht.
  • Patriotische Raison

    Die heutige Presseschau im Deutschlandfunk war mal wieder niederschmetternd.

    Zum Afghanistan-„Zapfenstreich“ gestern fällt der taz gerade noch ein, es sei „eher“ ein „Kuriosum“, während die anderen Blätter sich noch fester hinter ihrer Armee versammeln:

    • Es wäre in Afghanistan ja sonst noch viel schlimmer gewesen (Volksstimme); angesichts der tatsächlichen Verhältnisse ist das nur schwer vorstellbar: Geringer als in Afghanistan, 51.3 Jahre laut CIA World Factbook von 2016, ist die Lebenserwartung derzeit nur noch in zwei Staaten.
    • Soldaten – und nicht etwa ihre Opfer – seien „traumatisiert und physisch verletzt“ (Mitteldeutsche; den naheliegenden Schluss, die Bundeswehr, die dafür ja verantwortlich ist, aufzulösen, zieht sie natürlich nicht).
    • „gut gemeint“ (Nürnberger Nachrichten).
    • „Außen- und Sicherheitspolitik den nötigen Raum“ geben (Märkische Oderzeitung).
    Strammstehende und taktstockschwingene Soldaten

    Screenshots vom Zapfenstreich, Rechte fürs Rohmaterial hat die ARD.

    Au weia. Niemand möchte sich durch Stellen der offensichtlichen Frage als vaterlandsloser Geselle outen: „Was war denn das für ein bizarres Spektakel?“

    Strammstehen, Tschingdarassabum, bunte Kappen, Orden? Für Leute, die für die Regierung töten? Leute, es ist 2021. Es hat zwischendurch ein 20. Jahrhundert gegeben. Erinnert ihr euch?

    Den Auweia-Preis für den fürchterlichsten Kommentar räumt aber erneut die FAZ ab, wenn sie fordert:

    Nie wieder darf die ‚Parlamentsarmee‘ in eine Mission geschickt werden, in der sie mit ihrem Blut für die Unschärfe des Mandats und die Inkonsequenz, um nicht zu sagen: Feigheit der politischen Entscheider büßen muss.

    Das ist nur noch ein paar Millimeter von „im Felde ungeschlagen“ und dem Narrativ hinter der Dolchstoßlegende („die tapferen Jungs hätten den Feind schon platt gemacht, aber die Politiker...!“) entfernt. Wenn in dieser Umgebung dann noch Testosteron-Vokabeln wie „feige“ und „Entscheider“ auftauchen, schlägt mein persönliches Jetzt-Flucht-planen-o-Meter schon ziemlich deutlich aus.

  • Lieblingsgesetze

    Ich bin in den letzten Tagen unabhängig voneinander zwei Mal auf Gesetze gestoßen, die nach Titel oder Inhalt großartig sind, so großartig, dass ich bestimmt mal irgendwann auf sie werde zurückgreifen wollen, um etwas wie „…geregelt in, sagen wir, §42 Käseverordnung“ zu sagen. Das waren:

    • Käseverordnung: Laut Wikipedia hat es so eine schon 1934 gegeben; und nur so lässt sich wohl erklären, dass sie Marketroids anbietet, mit Wörtern wie „Vollfettstufe“ (§5 Käseverordnung) zu werben für ihre „frische[n] oder in verschiedenen Graden der Reife befindliche[n] Erzeugnisse, die aus dickgelegter Käsereimilch hergestellt sind“ (aus §1 Käseverordnung). Großartig ist das übrigens nicht nur wegen der Parallelbildung zu Käseblatt, sondern auch, weil in Jasper Ffordes großartigen Thursday Next-Romanen Käseschmuggel aus Wales eine große Rolle spielt und §30 Käseverordnung manchmal schon nach der Bookworld dieser epochalen Werke klingt.
    • Bundeskleingartengesetz: Das geht immerhin bis §22, wobei allerdings ein Paragraph weggefallen ist und §19 lediglich aus „Die Freie und Hansestadt Hamburg gilt für die Anwendung des Gesetzes auch als Gemeinde“ besteht, es dafür aber allen Ernstes zwei Buchstabenparagraphen gibt (§20a, „Überleitungsregelungen aus Anlaß der Herstellung der Einheit Deutschlands“, passt schon vom Titel her großartig zum bierernsten Ton der Gartenregeln). Eingestanden: So albern, wie Gesetze für KleingärtnerInnen zunächst wirken, wird das wohl am Ende nicht sein. Oder doch? Ich kann mich einfach nicht entscheiden, auch nicht, nachdem ich den DLF-Hintergrund vom 18.8. gehört habe (full disclosure: ich weiß nur aufgrund dieser Sendung überhaupt von der Existenz des BKleingG).
  • Foltern oder töten?

    Als ich neulich meine Weisheit loswurde, nach der Radikalität wichtig, aber Freundlichkeit wichtiger ist, habe als eine der wichtigen Ausnahmen von „in gesellschaftlichen Fragen bitte nicht zu konsequent“ das Folterverbot genannt – und ich glaube wirklich, dass das unbedingt gelten muss. Aktuelle Illustration: der Taser.

    Elektroschocks sind eine extrem populäre Foltermethode, und Taser sind schlicht Maschinen, um diese kompakt und schnell verabreichen zu können. Punkt. Klar kann es sein, dass mensch als Polizist_in in Situationen kommen mag, in denen Gewalt legitim erscheinen mag. Aber das ist keine hinreichende Rechtfertigung für Folter, genauso wie es, sagen wir, entführte Kinder nicht sind. Rechtfertige Folter in einem Fall, und du bist auf dem klassischen slippery slope: Es wird sich immer noch eine weiterer Fall finden, in dem Folter auch ok, am Schluss gar moralisch geboten ist. Es gibt wirklich genug andere Sorten von Gewalt, die mensch als Polizist_in anwenden kann.

    Die faktische Verletzung des Folterverbots ist der eigentliche Grund, warum mich die grausamen und tödlichen „Pilotversuche“ zu Tasern überall in der Republik so entsetzen.

    Ein weniger dramatischer Grund wird illustriert in der aktuellen Geschichte, nach der eine Polizistin in Minneapolis mal wieder einen Menschen aus Versehen umgepufft haben will: sie hätte sozusagen danebengegriffen, hätte ihr Opfer nur foltern und nicht gleich töten wollen (ok, das mit der Folter hat sie so nicht gesagt, sie bzw. der Polizeichef hat wohl eher von „tasern“ geredet).

    Mal abgesehen davon, dass ich hier guten Gewissens den Preis für die dümmste Ausrede des Monats verleihen kann – wenn Taser wirklich bedienungsgleich mit Polizeipistolen sind, dann müssen sich Hersteller, Beschaffer_innen und Einsetzende Vulkanladungen von Asche aufs Haupt streuen: Das ist genau das Problem. Die Polizistin fand ganz offenbar, sie könne Tasern, weil das „nicht so schlimm” wie Schusswaffen sei und so mit niedriger Schwelle angewandt werden kann. Also: sie fand das nicht nur, sie hat einfach so gehandelt.

    Genau diese Senkung der Hemmschwelle ist, weshalb Taser nicht gebaut werden dürfen und sie schon gar nichts in den Händen von Polizist_innen verloren haben. Sie ersetzen, jedenfalls gemäß der polizeilichen Logik der Minneapolis-Rechtfertigung (und auch der Erfahrung von Amnesty), keine Schusswaffen, sondern sie schaffen eine neue Klasse von scheinbar weniger einschneidender gewaltförmiger Problembehandlung durch die Polizei, und zu allem Überfluss noch eine, die anständige Menschen von Folter nicht unterscheiden können.

  • Fortschritt des Monats: Neu-Eichenberg

    Bestimmt nur wegen durch Corona-Beratungen und Terrorgedenken in Brüssel anderweitig gefesselter Aufmerksamkeit lief die Nachricht des Tages nicht in der Tagesschau, sondern nur in der taz.

    Dort wird über die weise Wahl im hessischen Dorf Neu-Eichenberg berichtet, das sich nicht hat beirren lassen von der großen Verwirrung, dass zwar alle das Wochenende nicht erwarten können, aber „Arbeitsplätze“ im allgemeinen Bewusstsein das überragende Ziel privaten wie öffentlichen Handelns zu sein scheinen,

    In Neu-Eichenberg nämlich wollte eine Firma namens Dietz AG groß investieren und damit einem Haufen Menschen viel Arbeit machen. Und zwar wollte sie ein „Logistikzentrum“ bauen, in dem, so die taz, „Onlinefirmen und Paketzusteller“ wirken sollten. Die bisherigen Mehrheitsparteien SPD und CDU (bis vorhin gemeinsam 12 von 15 Sitzen) hatten das bejubelt. Sie verloren deshalb bei den Gemeinderatswahlen am vorletzten Wochenende je 17 und 20 Prozentpunkte. Damit ist die Mehrheit für das „Logistikzentrum“ weg. Weniger Lärm, weniger Arbeit, weniger hässliche Gewerbegebiete: die Bewohner_innen von Neu-Eichenberg bekommen den Engelszüngeln-Preis für den Fortschritt des Monats.

    Das um so mehr, als es ja wirklich ein Segen rundrum wäre, wenn die ganze Paketverschickerei wieder auf, sagen wir, 1% ihres aktuellen Umfangs einschrumpfen würde, denn selbst nach Maßstäben eines Landes, das irgendwas wie ein Siebtel seiner Arbeitskraft ausgerechnet auf die Produktion und den Betrieb von Autos verschwendet, ist die Paketfahrerei eine besonders sinnlose Art, menschliche Lebenskraft zu verschleudern: Erstmal, weil im Netz nach meiner anekdotischen Erfahrung noch mehr nutzloser Plunder vertickt wird als in echten Geschäften, und dann, weil bei der Einzelverschickung ein Haufen echt übler Jobs mitkommen.

    Klar ist jetzt auch der stationäre Handel nichts, wo ich eben mal Traumjobs vermuten würde, aber verglichen mit den Beschäftigungsverhältnissen in allen Kettengliedern der „Logistik“ ist das wirklich Gold (und das nicht nur im Hinblick auf den Tarif). Fast im Ernst: Eine Existenz als Buch- oder Wolle-und-Tee-Händler könnte möglicherweise selbst mir nicht ganz unattraktiv scheinen.

    Go Neu-Eichenberg.

  • Nerd des Monats: Friedrich Schmiedel

    Titel: Der einzige Artikel von Schmiedel im Internet

    Als großer Fan von der Deutschlandfunk-Sendung Forschung aktuell höre ich natürlich auch (wenn auch mit Verzögerung) jeden Tag die sehr empfehlenswerte Sternzeit.

    In der vom 2. Februar hat (denke ich mal) Dirk Lorenzen daran erinnert, dass vor 90 Jahren, am 2.2.1931, Friedrich Schmiedl die erste Postrakete hat fliegen lassen, und die Geschichte klang so irre, dass ich das mal genauer wissen wollte:

    Die erste Postrakete brachte rund hundert Briefe vom Schöckel, einem Berg bei Graz, ins nur wenige Kilometer entfernte Sankt Radegund. Die Raketen waren ferngesteuert und landeten sanft am Fallschirm – eine Meisterleistung des Ingenieurs.

    [...] Nach dem erfolgreichen Erstflug begann ein regelmäßiger Postraketendienst in der Umgebung von Graz.

    und vor allem:

    Nach dem Raketen-Aus vernichtete Friedrich Schmiedl seine Unterlagen, damit sie nicht für Rüstungszwecke genutzt werden konnten – und er lehnte etliche Stellenangebote von Militärs aus verschiedenen Ländern ab.
    Eingang des Instituts für Weltraumwissenschaften

    Das Grazer Institut für Weltraumwissenschaften ist leider nicht nach Schmiedel, sondern nach dem Entdecker der kosmischen Strahlung, Victor Hess, benannt. Immerhin hat auch er nicht mit den Nazis kollaboriert, ist nach dem Übergang vom Austrofaschismus zur Naziherrschaft in Österreich in die USA geflohen – und er war Lehrer von Schmiedel.

    Der Wikipedia-Artikel zur Raketenpost ist zwar bezüglich des „regelmäßigen Postraketendiestes“ doch etwas skeptischer, und klar ist das aus heutiger Sicht eine ziemlich irre Idee. Aber wahrscheinlich war sie in ihrer Zeit nicht viel irrer als die Idee eines globalen paketvermittelten Computer-Netzwerks in den Anfängen des ARPANet.

    Nach etwas Schmökern im Netz kann ich jedenfalls bestätigen: Schmiedl war ganz klar ein großer Bastler; allein die Raketen so zu starten bzw. zu steuern, dass sie die Briefe tatsächlich so grob dorthin brachten, wo sie hinsollten, ist mit der damaligen Technologie ein halbes Wunder. Und er war bewegt von Interesse an der Sache und natürlich dem Plan, irgendwann mal in den Weltraum zu kommen. Ein Nerd, kein Zweifel.

    Dass er jede Verwicklung in staatliches Töten („Militär“) konsequent und unter erheblichen zumindest materiellen Einbußen abgelehnt hat, macht ihn, so finde ich, noch dazu zu einem Vorbild. Und drum verleihe ich Schmiedl hiermit feierlich den Titel Nerd des Monats.

    Während ich im Netz rumgestöbert habe, um etwas etwas mehr über Schmiedel rauszukriegen (und viel scheint nicht online zu sein), ist mir irgendwann klar geworden, dass ich eine großartige Gelegenheit verpasst habe, Schmiedl näher zu kommen: Ich war nämlich vor ein paar Jahren mal Referent bei einer Konferenz im Institut für Weltraumwissenschaften der österreichischen Akademie der Wissenschaften, das bestimmt nicht ganz zufällig in Graz ist. Leider wusste ich nichts von der Geschichte und habe deshalb nicht im Institut nach Erinnerungen geforscht – er ist ja erst 1994 gestorben, es könnten also durchaus noch Leute dort arbeiten, die ihn gekannt haben – und auch sein Grab nicht besucht. Schade.

    Was mich beim Stöbern noch überrascht hat: Der Wikipedia-Artikel zur Raketenpost schreibt, erst nach einem Unfall, bei dem 1964 zwei Menschen gestorben waren, seien in der Bundesrepublik Experimente mit ernsthafteren Raketen für Privatpersonen verboten worden. So ein Verbot hätte ich genau angesichts der militärischen Interessen, die Schmiedel aus dem Gebiet gedrängt haben, viel früher erwartet.

    Schmiedels Geschichte finde ich jedenfalls inspirierend. Und siehe da: das ADS weist immerhin einen Artikel von ihm nach: Early postal rockets in Austria. Und siehe noch weiter: Das Web Archive hat einen Scan des Artikels (ganzer Band von archive.org; original kommt das vom NASA NRTS, aber deren Interface ist Mist), der vielleicht, wenn du das liest, schon am ADS verlinkt ist.

    Der Artikel ist alles, was ich von Schmiedel selbst have finden können. Daher hier noch ein paar Ausschnitte, die, finde ich, seine Art, visionären Ideenreichtum mit konkreten technischen Lösungen zu verbinden, ganz gut illustrieren:

    [Die hübsche und gar nicht tödliche Passage von P1/Halley im Jahr 1910] marked a new phase in human thought after it became evident that space was not that hostile; one could dare to explore it. [...]

    In the 1920s I started some preliminary rocket experiments towards space flight. But first of all I had to convince my professors, who considered my ideas on space flight as a scientific illusion because of my youthful eagerness to assume that space flight was possible. [...] under the hood of a vaccum pump I fired tiny rockets and tested their efficiency while the air was evacuated.

    [...Mein Stratosphärenballon] was furnished with magnetized steel wires to hold it in a predetermined east-west position [...] Furthermore, the steel wires had to hold an aluminum flag (300 cm x 7 cm) in a certain position relative to the Sun so that it could reflect the Sun's rays to an observation post on Earth. Thus one could pursue the position of the balloon despite its height.

    [...] my stratoballoon carried some silveracide which would explode at a high altitude [...so that] dispersed matter could be moved out of the Earth's gravitational field by solar light pressure.

    [Meine Test-Postrakete] V-5 carried letters where I stated “...it is theoretically possible to deliver mail from Europe to America via rockets within 40 minutes” [...]

    In April 1931 I launched three sounding rockets with home-made recording equipment: a spectrograph with Zeiss prisms, and instruments to record the pressure, height, and vibrations [...] One rocket was constructed like a Greek column with parallel grooves along the longitudinal axis that had been worked into the aluminum casing to prevent rotation during the flight [...] The second rocket, on the other hand, I provided with diagonal grooves in its casing for fast rotation. My purpose was to improve guiding accuracy [...]

    I launched the [V-8] rocket with a selen cell as an optical control which should have set its course toward a lighted balloon [...]

    Later, I destroyed nearly all of my research notes and photographs of rocket launches and proceedings, for fear they might be used by the military.

    Nee, wirklich: der Krieg ist mal ganz definitiv nicht der Vater aller Dinge.

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