Mag „Chancengleichheit“ auch der Klassiker der Antisprache sein: „Innovation“ verdient jedenfalls einen Großpreis fürs Lebenswerk. Der Grundtrick dabei ist, menschenfeindlichen Quatsch gegen Kritik zu immunisieren, indem er als neu und schon von daher nützlich und gut – das ist der antisprachliche Subtext der „Innovation“ – hingeredet wird. Kritisiert dennoch jemand, kann im Wesentlichen jeder Mumpitz verteidigt werden mit dem Argument, ewig Gestrige hätten ja schon das Rad oder das Buch oder Antibiotika verdammt.
Das ist Antisprache, denn natürlich ist es vernünftig, bei irgendwelchen Plänen oder Techniken erstmal zu überlegen, ob sie überhaupt einem nachvollziehbarem Zweck dienen könnten und dann, ob dieser Zweck in einem irgendwie erträglichen Verhältnis zum Dreck steht, den das Zeug macht. Dass es gelegentlich wirklich nützliche Erfindungen gibt (Rad, Buch, Antibiotika, LED-Scheinwerfer am Fahrrad), bedeutet nicht, dass solche Überlegungen irgendwie rückwärtsgewandt sind. Im Gegenteil. Ohne sie bekommen wir noch regelmäßiger Mist wie, sagen wir, Stuttgart 21 oder gar die Autogesellschaft. Ich gebe zu, dass „Technikfolgenabschätzung“ klingt wie ein sonnengebleichter Bürokratenfurz. Aber es ist trotzdem keine schlechte Idee.
Demgegenüber kann „Innovation” auf eine etwas befremdliche Weise durchaus unterhaltsam werden, etwa wenn mit ernstem Gesicht so offensichtlich absurdes Zeug vorgetragen wird, dass ich den Verdacht von Kommunikationsguerilla kaum vermeiden kann. Ein gutes Beispiel für diese Kategorie (vielleicht unfreiwillig) kenntlicher Antisprache war Teil der CES-Berichterstattung in Forschung aktuell vom 8. Januar.
Darin versucht Mary Barra, Vorstand von General Motors, ab Minute 4:20 ihr „softwaredefiniertes“ Auto mit folgenden Beispielen schmackhaft zu machen (Übersetzung DLF):
Das macht es Kunden möglich, die Software ihres Fahrzeuges zu aktualisieren und neue Inhalte drahtlos herunterzuladen. [...] Die Technik ermöglicht es beispielsweise, eine Softwareoption herunterzuladen, um die Beschleunigung des Fahrzeugs zu erhöhen.
Wow. Die Updateritis muss, wenn mein weiteres soziales Umfeld nicht komplett exotisch ist, so in etwa der unpopulärste Aspekt der „Digitalisierung“ überhaupt sein. Das zu ermöglichen (und damit: zu verlangen, denn was ins Netz kann, muss für rasche Bugfixe geplant werden) soll jetzt ein Argument sein, sich eine „Innovation“ einzutreten?
Der zweite Teil von Barras Sales Pitch ist eigentlich noch wilder: GM hat ja meine Sympathie, wenn es seine Fahrzeuge per Computer runterregelt. Aber so offen zugeben, dass sie planen, künstlich verschlechterten Kram zu verkaufen – denn mal ehrlich: solange mensch keinen neuen Motor runterladen kann, sind die Extra-PS, die ein Download liefern kann, in einem bereits ab Werk ordentlich designten System eher dürftig –, um obendrauf den KundInnen Freischaltungen für Krempel anzudrehen, den sie eigentlich schon bezahlt haben: das ist schon stark.
Hätte Frau Barra das in einem Beichtstuhl gesagt, hätte ihr nach so offenen Bekenntnissen Absolution erteilt. Wenn sie hinreichend viel Reue gezeigt hätte.
Zitiert in: Technoseum: Innovationen für den Umweltschutz von 1910 Antisprache: Arbeitsplätze Konferenzplattformen-Shaming Ach Bahn, Teil 3: Ade, du schöne Lounge