Tag Raumfahrt

  • Asteroideneinschläge sind schlecht fürs Bankgeschäft

    Ein rundlicher Stein mit vielleicht 10 cm Durchmesser und einer Delle in der Mitte, darunter eine Museumsbeschriftung: Cheliabynsk 2013

    2013 in Tscheljabinsk war es nur ein recht kleiner Brocken, der vom Himmel fiel und ordentlich Rumms machte[1]. Im Bild ist ein winziges Bruchstück des Brockens, das es ins Naturkundemuseum in Wien geschafft hat. Die Frage der Marktwirtschaft an sowas ist: Was sind die Kosten? Meine Frage ist: Ab welcher Grenze wird diese Frage fragwürdig?

    Zu den fürs Verständnis der Menschenwelt nützlicheren Konzepten, die durch MarxistInnen in den politischen Diskurs kamen, gehört ziemlich fraglos die Entfremdung. Es gibt ganze Bücher darüber, wie genauer zu fassen sei, was Marx in seinen Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten in den 1840er Jahren so beschrieben hat:

    Jedes Produkt ist ein Köder, womit man das Wesen des andern, sein Geld, an sich locken will, jedes wirkliche oder mögliche Bedürfnis ist eine Schwachheit, die die Fliege an die Leimstange heranführen wird.

    Mir gefiel eigentlich immer die knappe Definition: „Entfremdung ist, wenn Menschen nicht mehr als soziale Wesen in Beziehung zueinander treten, sondern als Handelnde auf einem Markt, also durch Austausch von Geld – und am Ende auch nur zu diesem Zweck.“

    Ich will dabei nicht von der Hand weisen, dass diese Sorte Interaktion häufig recht bequem ist. Klar macht es auch mein Leben leichter, wenn ich beim Bäcker einfach einen Schein rüberreichen kann und mit einem Brot rausgehe, ohne argumentieren zu müssen, warum es nötig und richtig ist, mich zu füttern.

    Wenn es allerdings um die Zerstörung von Landstrichen oder Kontinenten durch Einschläge großer Asteroiden geht, wird die entfremdete Denke von Markt und Profit zum Agitprop-Stück über den Irrsinn des Kapitalismus und der Art, wie er die ihn tragende Gesellschaft organisiert. Könnte mensch meinen. Aber hört euch mal diesen Beitrag aus DLF Forschung aktuell vom 24. Januar an. Ich warte hier solange.

    Wer das Stück nicht gehört hat: Untersucht wird ein (überhaupt nicht unplausibles) Szenario, in dem AstronomInnen einen größeren erdkreuzenden Asteroiden entdecken. Schnell wird klar, dass er innerhalb von etwa 10 Jahren die Erde treffen wird. Eifrig wird beobachtet, und mit wachsender Genauigkeit des Orbits wird immer klarer, wo genau er einschlagen und was er dabei zerstören wird.

    Ich hätte bei Simulationen eines solchen Szenarios naiv Überlegungen erwartet, wie mensch die Leute, die im Zielgebiet wohnen, dort rauskriegt, wo sie dann leben sollen, auf wie viel Landfläche mensch verzichten kann, ohne dass es viel Hunger gibt, wie mensch sich vielleicht auf für ein paar Jahre sinkende globale Durchschnittstemperaturen einstellt, sowas halt.

    Im Interview hingegen klingt es, als sehe der Interviewte – Rudolf Albrecht, Mitarbeiter der ESO im Ruhestand – das zentrale Interesse des Artikels so:

    Wenn man [im Zerstörungsgebiet] zum Beispiel ein Haus hat, was wird mit dem Grundstückspreis passieren? Das Haus wird nicht mehr zu verkaufen sein. Was passiert, wenn die Hauspreise gegen Null gehen? Dann zahlen die Leute ihre Hypothekraten nicht mehr. Was passiert, wenn die Leute ihre Hypothekraten nicht mehr bezahlen? Die Banken bekommen Schwierigkeiten.

    Hu? „Ich könnte ja mit dem Weltuntergang an sich gut leben, aber wo kommt dann mein Champagner her?“ „Was für ein Mist, dass ich mich in meinem SUV gerade totgefahren habe; ich hatte ja fünf Cupholder mitbestellt, und den links hinten hatte ich noch gar nicht ausprobiert!“ Ach: diese ganze Überlegung ist so obszön, dass mir gar nicht einfällt, wie ich sie noch persiflieren kann.

    Nun bezieht sich das Interview auf einen Artikel, den Laura Jamschon Mac Garry, Albrecht selbst und Sergio Camacho-Lara unter dem Titel Diplomatic, geopolitical and economic consequences of an impending asteroid threat in den Acta Astronautica 214 (2024) veröffentlicht haben[2]. Dieser Artikel enthält durchaus auch die weit naheliegenderen Überlegungen zu einem rationaleren Umgang mit so einer Krise. Albrechts Überlegungen finden sich dort aber doc, und zwar als Nachteile einer frühen Entdeckung eines gefährlichen Asteroiden:

    On the other hand, there was also a disadvantage associated with the extensive lead time: the economy in the impact corridor would become severely affected, as investments would probably decrease, real estate values would plummet, banks could become insolvent as the population would try to leave the area. The extensive lead time would be a period of considerable political and economic uncertainty, during which time events would take unpredictable turns. Merchant shipping and other trade routes near the risk corridor would be likely to be discontinued around the time of a possible impact. Delivery chains would be interrupted.

    Glauben wirklich nennenswert viele Menschen, dass wir im Angesicht einer solchen Katastrophe nicht überlegen, wie wir in einer geplanten und überlegten Anstrengung dafür sorgen, dass das kein Riesengemetzel wird, sondern weiter über Grundstückspreise reden?

    Nun gut… Ich gebe zu, dass wir gerade eine ähnliche Situation haben, denn die Klimaänderungen, die wir uns gerade eintreten, werden absehbar zu einem Riesengemetzel führen, und da reden in der Tat immer noch erstaunlich viele von Arbeitsplätzen, Emissionshandel und grünem Wachstum, statt zu planen, wie wir einfach und angenehm den ganzen Mist stoppen und dabei weniger Arbeit, Krach und Stress haben. Die Entfremdung ist zumindest im Hinblick aufs Klima offenbar tatsächlich so weit, dass ganze Gesellschaften ihre schiere Existenz nur übers Geld verhandeln und dabei rauskriegen, dass es wichtiger ist, jetzt in Blechkäfigen zu öden Jobs zu rasen als den Menschen in fünfzig Jahren ein schönes Leben zu ermöglichen.

    Ach weh: Jamschon Mac Garry et al haben vielleicht mehr Weisheit, als ich ihnen aus dem Bauch heraus zugesprochen habe.

    [1]Quantifiziert wäre der Rumms 500 Kilotonnen TNT-Äquivalent oder ein gutes Dutzend Hiroshimabomben, so heißt es. Aber natürlich war die Explosionsdynamik ganz anders, und so waren die Schäden auch viel geringer.
    [2]Nebenbei ein Appell an die Verlage: eine Landing Page fürs DOI-System ist potenziell für die Ewigkeit und garantiert kein guter Platz für technische Spielereien. Dort ganz besonders sollte es keinen Javascript-Zwang geben (so wie bei Acta Astronautica). Wenigstens bei dem Journal treibt Elsevier es jetzt gerade gleich noch wüster: Ohne Übertragung der Referrer-Header geht da nichts Nützliches. Au Weia.
  • Nerd des Monats: Friedrich Schmiedel

    Titel: Der einzige Artikel von Schmiedel im Internet

    Als großer Fan von der Deutschlandfunk-Sendung Forschung aktuell höre ich natürlich auch (wenn auch mit Verzögerung) jeden Tag die sehr empfehlenswerte Sternzeit.

    In der vom 2. Februar hat (denke ich mal) Dirk Lorenzen daran erinnert, dass vor 90 Jahren, am 2.2.1931, Friedrich Schmiedl die erste Postrakete hat fliegen lassen, und die Geschichte klang so irre, dass ich das mal genauer wissen wollte:

    Die erste Postrakete brachte rund hundert Briefe vom Schöckel, einem Berg bei Graz, ins nur wenige Kilometer entfernte Sankt Radegund. Die Raketen waren ferngesteuert und landeten sanft am Fallschirm – eine Meisterleistung des Ingenieurs.

    [...] Nach dem erfolgreichen Erstflug begann ein regelmäßiger Postraketendienst in der Umgebung von Graz.

    und vor allem:

    Nach dem Raketen-Aus vernichtete Friedrich Schmiedl seine Unterlagen, damit sie nicht für Rüstungszwecke genutzt werden konnten – und er lehnte etliche Stellenangebote von Militärs aus verschiedenen Ländern ab.
    Eingang des Instituts für Weltraumwissenschaften

    Das Grazer Institut für Weltraumwissenschaften ist leider nicht nach Schmiedel, sondern nach dem Entdecker der kosmischen Strahlung, Victor Hess, benannt. Immerhin hat auch er nicht mit den Nazis kollaboriert, ist nach dem Übergang vom Austrofaschismus zur Naziherrschaft in Österreich in die USA geflohen – und er war Lehrer von Schmiedel.

    Der Wikipedia-Artikel zur Raketenpost ist zwar bezüglich des „regelmäßigen Postraketendiestes“ doch etwas skeptischer, und klar ist das aus heutiger Sicht eine ziemlich irre Idee. Aber wahrscheinlich war sie in ihrer Zeit nicht viel irrer als die Idee eines globalen paketvermittelten Computer-Netzwerks in den Anfängen des ARPANet.

    Nach etwas Schmökern im Netz kann ich jedenfalls bestätigen: Schmiedl war ganz klar ein großer Bastler; allein die Raketen so zu starten bzw. zu steuern, dass sie die Briefe tatsächlich so grob dorthin brachten, wo sie hinsollten, ist mit der damaligen Technologie ein halbes Wunder. Und er war bewegt von Interesse an der Sache und natürlich dem Plan, irgendwann mal in den Weltraum zu kommen. Ein Nerd, kein Zweifel.

    Dass er jede Verwicklung in staatliches Töten („Militär“) konsequent und unter erheblichen zumindest materiellen Einbußen abgelehnt hat, macht ihn, so finde ich, noch dazu zu einem Vorbild. Und drum verleihe ich Schmiedl hiermit feierlich den Titel Nerd des Monats.

    Während ich im Netz rumgestöbert habe, um etwas etwas mehr über Schmiedel rauszukriegen (und viel scheint nicht online zu sein), ist mir irgendwann klar geworden, dass ich eine großartige Gelegenheit verpasst habe, Schmiedl näher zu kommen: Ich war nämlich vor ein paar Jahren mal Referent bei einer Konferenz im Institut für Weltraumwissenschaften der österreichischen Akademie der Wissenschaften, das bestimmt nicht ganz zufällig in Graz ist. Leider wusste ich nichts von der Geschichte und habe deshalb nicht im Institut nach Erinnerungen geforscht – er ist ja erst 1994 gestorben, es könnten also durchaus noch Leute dort arbeiten, die ihn gekannt haben – und auch sein Grab nicht besucht. Schade.

    Was mich beim Stöbern noch überrascht hat: Der Wikipedia-Artikel zur Raketenpost schreibt, erst nach einem Unfall, bei dem 1964 zwei Menschen gestorben waren, seien in der Bundesrepublik Experimente mit ernsthafteren Raketen für Privatpersonen verboten worden. So ein Verbot hätte ich genau angesichts der militärischen Interessen, die Schmiedel aus dem Gebiet gedrängt haben, viel früher erwartet.

    Schmiedels Geschichte finde ich jedenfalls inspirierend. Und siehe da: das ADS weist immerhin einen Artikel von ihm nach: Early postal rockets in Austria. Und siehe noch weiter: Das Web Archive hat einen Scan des Artikels (ganzer Band von archive.org; original kommt das vom NASA NRTS, aber deren Interface ist Mist), der vielleicht, wenn du das liest, schon am ADS verlinkt ist.

    Der Artikel ist alles, was ich von Schmiedel selbst have finden können. Daher hier noch ein paar Ausschnitte, die, finde ich, seine Art, visionären Ideenreichtum mit konkreten technischen Lösungen zu verbinden, ganz gut illustrieren:

    [Die hübsche und gar nicht tödliche Passage von P1/Halley im Jahr 1910] marked a new phase in human thought after it became evident that space was not that hostile; one could dare to explore it. [...]

    In the 1920s I started some preliminary rocket experiments towards space flight. But first of all I had to convince my professors, who considered my ideas on space flight as a scientific illusion because of my youthful eagerness to assume that space flight was possible. [...] under the hood of a vaccum pump I fired tiny rockets and tested their efficiency while the air was evacuated.

    [...Mein Stratosphärenballon] was furnished with magnetized steel wires to hold it in a predetermined east-west position [...] Furthermore, the steel wires had to hold an aluminum flag (300 cm x 7 cm) in a certain position relative to the Sun so that it could reflect the Sun's rays to an observation post on Earth. Thus one could pursue the position of the balloon despite its height.

    [...] my stratoballoon carried some silveracide which would explode at a high altitude [...so that] dispersed matter could be moved out of the Earth's gravitational field by solar light pressure.

    [Meine Test-Postrakete] V-5 carried letters where I stated “...it is theoretically possible to deliver mail from Europe to America via rockets within 40 minutes” [...]

    In April 1931 I launched three sounding rockets with home-made recording equipment: a spectrograph with Zeiss prisms, and instruments to record the pressure, height, and vibrations [...] One rocket was constructed like a Greek column with parallel grooves along the longitudinal axis that had been worked into the aluminum casing to prevent rotation during the flight [...] The second rocket, on the other hand, I provided with diagonal grooves in its casing for fast rotation. My purpose was to improve guiding accuracy [...]

    I launched the [V-8] rocket with a selen cell as an optical control which should have set its course toward a lighted balloon [...]

    Later, I destroyed nearly all of my research notes and photographs of rocket launches and proceedings, for fear they might be used by the military.

    Nee, wirklich: der Krieg ist mal ganz definitiv nicht der Vater aller Dinge.

  • Das letzte Bild

    Pale Blue Dot, hochgezoomt

    Das Pale Blue Dot-Bild, mit Gimps Lens Distortion ordentlich verhackstückt, damit es auch wirklich blassblau wird.

    In meinem asynchronen Radio habe ich heute Voyager 3 gehört, ein Feature über... na ja, alles mögliche, insbesondere aber die kulturellen Implikationen der Golden Records an Bord der Voyagers. Streckenweise wars großartig; manchmal sind diese freistil-Features ja offensiv langweilig, aber dann lassen mich solche Highlights doch immer an meiner (na ja, der meines Computers) Mitschneideroutine am Sonntagabend festhalten.

    In dieser Sendung gab es erstmal ein paar Genau-mein-Humor-Witze zu den Platten, etwa:

    Warum ist da nicht mehr Bach drauf? – Wir wollten nicht so angeben.

    Gefakte Durchsage der (vielleicht der NASA): Es ist nicht viel, aber es ist die erste Nachricht einer fremden Zivilisation. Vier Worte: Send more Chuck Berry.

    Natürlich sind die Golden Records selbst schon zutiefst anrührend und romatisch. Aber dann kam gegen Ende der Sendung noch etwas, das ich, nennt mich einen irren Nerd, besonders anrührend fand. Sie haben nämlich die Geschichte vom Pale Blue Dot (PBD) erzählt, nach dem Voyager 1, bevor die Kamera endgültig abgeschaltet wurde, umgedreht wurde und aus gut 40 Astronmischen Einheiten Entfernung die Erde portraitiert hat.

    Diese Geschichte kannte ich als Carl-Sagan-Fan natürlich schon, aber in dieser Darstellung klang es so, als sei der PBD das letzte Bild der Kamera gewesen, und dabei kam mir der ergreifende Gedanke: oh wow, da haben sie das Bild der Erde sozusagen in die Netzhaut der sterbenden Kamera (ihr Band) eingebrannt, und wenn dann dermaleinst Aliens die Sonde bergen, würden sie das eben diese Erinnerung an die Ursprungswelt dort noch finden.

    Leider ist das natürlich alles Quatsch. Erstens war das PBD-Bild gar nicht das letzte, das die Kamera geschossen hat, schon, weil die Kamera (wie eigentlich immer noch alle wissenschaftlichen Kameras in der Astronomie) monochrom war und es drum schon mal drei Aufnahmen gewesen wäre, aber auch, weil Voyager als Teil der Rückschau einen ganzen Haufen anderer Aufnahmen machte und so zuletzt vielleicht die Sonne oder Neptun angeschaut hat, aber nicht die Erde.

    Aber selbst wenn die Erd-Bilder die letzten gewesen wären, wären sie wahrscheinlich nicht auf dem Bandlaufwerk geblieben, denn die Voyagers nehmen ja immer noch Daten, und ich habe bis eben angenommen, dass die immer noch auf dem Bandlaufwerk zwischengespeichert werden. Allerdings berichtet hackaday, dass zumindest Voyager 1 inzwischen offenbar kein übers RAM funktioniert (beeindruckend, denn alle drei Rechner an Bord kommen zusammen gerade so über 64kB).

    Leider würde es auch nichts helfen, wenn es das PBD-Bild irgendwie geschafft hätte, trotz der weiteren Aktivitäen von Voyager 1 auf dem Band zu bleiben: Selbst bei den tiefen Temperaturen dort draußen wird die Magnetisierung des Bandes allein schon wegen der kosmischen Strahlung bald verschwunden sein. Die Aliens werden eben leider doch nicht die Erde als letztes Bild der sterbenden Kamera verewigt sehen. Schade.

    Ach übrigens: Voyager 1 steht übrigens gerade im Schlangenträger. Ganz einsam. Was auch eine gewisse Romantik hat, denn im Schlangenträger steht auch der einsamste Stern am Himmel.

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