Tag Fotos

  • Ein Brief an die Zukunft aus dem Jahr eins nach 1.5 K

    Liebe Zukunft,

    Schön, dass es dich gibt. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich nach all den Dummheiten, die wir gerade anstellen. Gleich zu Anfang: dieser Brief ist eine Bitte um Entschuldigung für diese Dummheiten. Und für vieles weitere, denn unsere Dummheiten sind vielfältig und verworren, zugleich lächerlich und beängstigend.

    Lass mich gestehen, dass ich aus dem Jahr eins nach dem ersten Reißen des 1.5-Grad-Ziels schreibe: Anderthalb Grad, so haben wir geglaubt, könnten wir das Klima wärmer werden lassen, ohne dass du, liebe Zukunft, schlimme Hungersnöte wirst auszustehen haben.

    2024, im letzten Jahr, lagen wir zum ersten Mal darüber. Niemand hat mehr Zweifel, dass das Normalzustand werden wird, dass wir auch die zwei Grad reißen werden.

    Ich will mich entschuldigen, keine Ausreden bringen: wir wissen, was wir tun. Schau dir mit deinen Zukunftsaugen das folgende Plakat an, das in meiner Gegenwart die Leute aufgehängt haben, die dich am entschlossensten und aus den albernsten Gründen vergiften und verbrühen möchten:

    Ein Seitenportrait eines fülligen Menschen mit Brille und Seitenscheitel vor einer Klinkerwand, davor schwarz auf gelb: "Die Zukunft ist, was wir daraus machen".

    Deine Menschen, werte Zukunft, die zwischen den letzten Knochen längst gestorbener Automobile und zerfallendem Beton versuchen, ihre karge Hirse vorm durchfegenden Wüstenwind zu schützen, sie haben diese Zukunft. Wir sind eifrig dabei, sie aus dem zu machen, was jetzt gerade eigentlich noch ganz angenehm ist.

    Verzeihung.

    Während ich diesen Brief schreibe, haben wir „Wahlkampf“, einen Ritus, in dem die Menschen HäuptlingsanwärterInnen huldigen; wer am meisten Huldigung erfährt, wird für die nächste Zeit Häuptling. Die verschiedenen AnwärterInnen buhlen mit bunten Papptafeln an unseren Wegen um die Gunst ihrer prospektiven oder auch gegenwärtigen Untertanen (letzteres hieße „Wiederwahl“).

    Dieser Ritus wäre, das muss ich dir als Zukunft wohl nicht erklären, eigentlich eine gute Gelegenheit, von weniger Arbeit und weniger Dreck zu reden, gerade vor dem Hintergrund unseres rasanten Schwungs in den Abgrund. Aber nein, stattdessen hängen die Straßen voll Unsinn, den du, liebe Zukunft, wohl längst vergessen hast:

    Wahlplakat "Deutschland kann es besser" auf blauem Grund, schwarzrotgelbe Silhouette, daneben "wieder nach vorne"

    Was ist das, wovon die reden, fragst du? Oh je. „Deutschland“ ist zu meiner Zeit ein „Land“, also ein Gebiet, das ein bestimmter Häuptling kontrolliert; wer auf diesem Gebiet wohnt, muss zumindest über ein paar Ecken diesem (selten auch mal dieser) Häuptling gehorchen.

    Es gibt auch viele andere Häuptlinge, die jeweils ihre eigenen Gebiete haben. Jeder Häuptling feuert seine Untertanen an, ihn „wieder nach vorne“ zu bringen, wie auf dem türkisen Plakat in der rechten oberen Ecke. Tatsächlich finden es viele Untertanen total toll, wenn ihr Häuptling im Wettbewerb mit den anderen Häuptlingen gut aussieht.

    Bei der Wahl, für die die Leute diese Plakate aufgehängt haben, ging es um den Häuptling von diesem „Deutschland“. In der Zeit, in der ich das schreibe, während es also eigentlich darum hätte gehen sollen, wie wir fein leben könnten, ohne alles (und obendrein uns) kaputt zu machen, ist der aktuelle Häuptling so aufgetreten:

    Ein Kopf mit wenig Haaren von einem schwarz-rot-gelben Hintergrund, darüber in weiß: "Mehr für dich. Besser für Deutschland"

    „Besser für Deutschland“ meint diesen Unsinn mit dem Häuptlingswettbewerb. Liebe Zukunft, du siehst, das war wirklich so ein Thema, wie ich das behauptet habe. Das „Mehr für dich“ soll bedeuten, dass die Leute mehr oder größer essen oder Auto (frage nicht, was das ist; du würdest es doch nicht glauben) fahren können, wenn sie diesen Häuptling wählen.

    Das ist auch das implizite und völlig leere Versprechen bei dem komischen Wort „Wirtschaftswachstum“ auf dieser Pappe:

    Wahlplakat "Hier ist mehr Wirtschaftswachstum drin" auf rotem Grund

    Tatsächlich setzen heute die Untertanen das „Wirtschaftswachstum“ und das „Mehr für dich“ mehr oder weniger gleich, obwohl es da empririsch überhaupt keinen Zusammenhang gibt. Es ist aber auch nicht einfach zu erklären, was es damit wirklich auf sich hat oder haben soll.

    Ich probiers trotzdem mal: Zu meiner Zeit organisieren wir die gesellschaftliche Arbeitsteilung über so eine Art Gutscheine auf die Arbeit anderer Leute. „Geld“ nennen wir das hier, und es ist enorm wichtig, weil auch wir ohne die Früchte der Arbeit anderer Menschen nicht überleben können, mensch aber derzeit fast nur über diese Gutscheine Zugang zu ihnen bekommt.

    Beim „Wirtschaftswachstum“ wiederum versuchen mehr oder minder kluge Menschen zu zählen, wie viele solche Gutscheine wohl alle zusammen ausgetauscht haben. Ja, klar, da ist viel Schätzung dabei, aber trotzdem: Wenn die Schätzung in einem Jahr unter der des Vorjahres liegt, ist das kurz vorm Weltuntergang. Liegt sie darüber, heißt es eben „Wirtschaftswachstum“. Dabei gilt mehr als besser, selbst wenn viele Menschen Gutscheine bekommen, weil sie schädlichen Quatsch machen wie z.B. diese „Autos“ zusammendengeln oder andere Leute mit buntem Leuchtquatsch belästigen.

    Die Gutscheine für die Arbeit anderer Leute bekommen heute die meisten Menschen durch etwas, das wir meist „Job” nennen und das eigentlich niemand leiden kann, außer Häuptlinge und die, die es gerne werden wollen. „Job“ meint so in etwa: die Leute arbeiten nicht aus Einsicht in die Notwendigkeit oder gar Freude am Zweck oder Tun, sondern um an Gutscheine ranzukommen. Dies bedenkend verwundert das folgende Plakat sehr:

    Plakat: Schwarzweißfoto eines ziemlich aufgedonnerten Mannes mit Schwarz auf Gelb: "Alles geben. Auch für deinen Job"

    Warum dieser Mann den Eindruck erwecken will, alles für diesen „Job“ „geben“ zu wollen, wenn er doch Häuptling werden will und fast alle, die ihm potenziell huldigen könnten, ihren „Job“ regelmäßig aus ziemlich guten Gründen hassen? Keine Ahnung.

    Vielleicht ist es, weil die meisten Menschen furchtbar Angst haben, diesen „Job” zu verlieren, weil sie dann ohne Gutscheine jämmerlich verenden müssten? Aber nein, liebe Zukunft, keine Sorge: Ganz so schlimm ist es nicht mehr in meiner Zeit. Zumindest hier, am Westrand des großen Nordkontinents, bekommen die Leute auch ohne Job ein paar Gutscheine und müssen nicht verhungern. Darüber haben sich übrigens etliche der Häuptlings-Bewerber verärgert gezeigt. Auf ihre Plakate hat das so deutlich allerdings niemand schreiben wollen. Oh, fast niemand. Ein Plakat hat schon einen schlimmen Subtext von „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen”:

    Weiß auf schwarz auf türkisem Hintergrund: "Fleiß muss sich wieder lohnen."

    Andere Häuptlingswahlvereine haben die komischen Gutscheine ausgerechnet in einen Zusammenhang mit dir, liebe Zukunft, gestellt, so etwa dieser hier:

    Plakat: "Holen wir uns die Zukunft zurück mit Lösungen für bezahlbares Leben" auf blauem Grund.

    „Bezahlbar“ heißt in etwa, dass du für deine Zeit im Schnitt Gutscheine für mehr Stunden von anderen Leuten bekommst als du selbst gearbeitet hast. Jaja, das ist irre kompliziert. Jaja, klar kannst du nicht allen Leuten gleichzeitig versprechen, dass ihre Zeit mehr wert ist als die der anderen; aber niemand erwartet in meiner Zeit, dass das, was auf den Wahlplakaten steht, schlüssig ist.

    Es war auch überhaupt nicht schlimm, wenn verschiedene Menschen, die jeweils Häuptling werden wollten, die gleichen Dinge versprachen. Zum Beispiel wirkt das hier:

    Plakat: "Leben: Bezahlbar machen. Ein Bündnis. Ein Wort" in weiß und gelb auf grünem Grund.

    nicht so viel anders als das hier:

    Plakat: "Wir sorgen für bezahlbare Mieten"

    Oha: Was dieses „Mieten”-Ding schon wieder ist? Nun, liebe Zukunft, das war, wenn du Menschen, die schon viele Arbeitsgutscheine hatten, noch mehr davon gegeben hast, damit sie dich nicht aus deiner Wohnung rauswerfen lassen. Klingt etwas wirr, war aber so; es hatte etwas damit zu tun, dass die Arbeitsgutscheine sich irgendwann ziemlich verselbstständigt haben. Es gibt hinter diesem „Immobilienwesen“ (so heißt das mit dem Aus-der-Wohnung werfen zu meiner Zeit) durchaus ein paar plausible Geschichten. Die sind allerdings zu lang für diesen Brief.

    Mieten und noch mehr das Entfliehen aus Drohung mit dem Rausschmiss waren jedoch, das ist wichtig für dich, ein ganz großer Grund für die Beton- und Asphaltorgien, wegen der du jetzt die großen Wüsten hast. Verzeihung. Vielleicht wissen wir doch nicht immer ganz genau, was wir eigentlich tun.

    Trotz dieser Orgien jedenfalls haben die Menschen wie gesagt große Sorge, dass sie irgendwann nicht genug Gutscheine haben würden und sie der Mensch mit den vielen Arbeitsgutscheinen („Vermieter“ heißen die in meiner Zeit) doch aus ihrer Wohnung werfen lassen würde. Nicht ganz zu unrecht: Solche Dinge passieren recht regelmäßig. Es gibt Menschen, die Arbeitsgutscheine erhalten dafür, dass sie andere Menschen aus ihren Wohnungen werfen. Kein Witz.

    Obsessiv ist die Sorge der Menschen, was passieren wird, wenn sie altern und dann keinen „Job“ mehr bekommen für die Gutscheine, die sie zum Beispiel für ihre „Miete“ brauchen. Um das etwas abzumildern, haben Leute, die sich „Sozialdemokraten“ nannten (die aber mit denen mit den roten Plakaten nicht mehr viel zu tun haben) schon vor über 150 Jahren etwas erkämpft, das wir „Rente“ nennen. Das ist so eine Art Gutscheinabo, das wir unseren Alten gönnen, auch wenn diese zu klapprig sind, um noch für irgendwen einen „Job“ machen zu können.

    Es gibt aber ein Wort, um die Menschen trotz „Rente“ in Sorge zu halten: „Lebensstandard“. Das ist ist auch zu widersinnig, um es dir, liebe Zukunft, in nicht zu vielen Worten erklären zu können. Aber es dürfte die geistige Landschaft sein, auf der Plakate wie dieses entstehen:

    Plakat: ein Frauenportrait mit dem Schriftzug "Unser Land verdient mehr Rente"

    Wo auf diesem Plakat auf einmal das „Land“ herkommt, willst du wissen, liebe Zukunft, wo doch die „Rente“ irgendwas für alte Menschen ist und nicht für die Sprengel der Häuptlinge? Ich weiß es auch nicht. Wie gesagt, eigentlich hat niemand erwartet, dass auf diesen Plakaten etwas tatsächlich Durchdachtes oder Überzeugendes zu lesen ist.

    Hier ist ein weiteres Wort, das du vergessen haben wirst: „Investition“:

    Plakat mit dem Portrait einer Frau vor einer Holzvertäfelung: Bildung ist die beste Investition in die Zukunft.

    Der Hintergrund: Ein paar Menschen haben Arbeitsgutscheine in großem Umfang gesammelt (sie heißen dann „reich“; jaja, das deckt sich recht weitgehend mit den „Vermietern“ von oben) und können sich gleich richtig viel Arbeit auf einmal kaufen.

    Das nutzen sie gelegentlich, um andere Menschen Sachen herstellen zu lassen, für die der_die Reiche mehr Gutscheine bekommen kann als er_sie den anderen Menschen gegeben hat. Das alles zusammengenommen heißt bei uns „Investition“. Den Gedanken, Gutscheine einzulösen, um mit der erhaltenen Arbeit mehr Gutscheine zurückzubekommen, finden die Menschen …

  • Ausflugstipp: Das Haus Stammberg bei Schriesheim

    Ein paar Gartenstühle stehen unter überhängenden Rhododendren und anderen zur Not als Gartenpflanzen durchgehende Pflanzen.  Im rechten Bildbereich ist nicht allzu gepflegter, aber erkennbarer Rasen mit Wegen dazwischen zu sehen.

    Was hier die Atmosphäre eines Kurparks[1] ausstrahlt, war tatsächlich mal einer. Vorneweg: Das hier beschriebene Gelände ist problemlos öffentlich zugänglich.

    Im Kanzelbachtal, das sich vom Weißen Stein in die Rheinebene bei Schriesheim zieht, steht das Haus Stammberg, heute ein Altenheim der Diakonie und nicht zu verwechseln mit dem nebenan ebenfalls von der Diakonie betriebenen Wiedereingliederungsprojekt Talhof[2]. Zwar haben ein paar der Gebäude des Komplexes durchaus etwas Patina, aber ich hatte für die Gebäude nie mehr als ein halbes Auge, wenn ich bergan Richtung Willhelmsfeld daran vorbeigeradelt bin – und bergab sicher nicht mal ein Zehntelauge.

    Der diesjährige Tag des offenen Denkmals hat dieser Gedankenlosigkeit ein Ende bereitet. Die Geschichte des Hauses Stammberg hat sogar etwas mit dem Jahr 2024 zu tun. Na ja, indirekt. Denn gerade vor 100 Jahren veröffentlichte Thomas Mann seinen Zauberberg, zugleich Roman einer präantibiotischen Tuberkuloseklinik und der Verschrobenheiten der europäischen Vorkriegs(un-)ordnung. Wobei hier vom ersten Weltkrieg die Rede ist.

    Das Haus Stammberg, eröffnet im Jahr 1903, war neu in den Jahren, in denen sich das entfaltet, was im Zauberberg als Handlung durchgeht. Wer sich vor dem Haupteingang des Haupthauses nach rechts wendet und dem Verlauf des Kanzelbaches vielleicht 100 Meter folgt, kann fast eine Zeitreise dorthin unternehmen, wenn sich folgendes Bild zeigt:

    Eine leicht gerundete, vielleicht fünf Meter tiefe und hundert Meter breite, aus Holz errichtete Halle.

    Zur literarischen Verankerung darf ich ein wenig aus der Fantasie von Thomas Mann zitieren:

    Aber Joachim [der Indexpatient im Zauberberg] konnte nur noch behindert und undeutlich antworten. Er hatte aus einem rotledernen, mit Samt gefütterten Etui, das auf seinem Tische lag, ein kleines Thermometer genommen und das untere, mit Quecksilber gefüllte Ende in den Mund gesteckt. Links unter der Zunge hielt er es, so, daß ihm das gläserne Instrument schräg aufwärts aus dem Munde hervorragte. Dann machte er Haustoilette, zog Schuhe und eine litewkaartige Joppe an, nahm eine gedruckte Tabelle nebst Bleistift vom Tisch, ferner ein Buch, eine russische Grammatik – denn er trieb Russisch, weil er, wie er sagte, dienstlichen Vorteil davon erhoffte –, und so ausgerüstet nahm er draußen auf dem Balkon im Liegestuhl Platz, indem er eine Kamelhaardecke nur leicht über die Füße warf.

    [... Hans Castorp, der Besucher, der dem Zauber des Berghofs erliegt] wollte das Ergebnis der Messung abwarten und sah unterdessen zu, wie alles gemacht wurde, betrachtete auch den Pelzsack, der in einem Winkel der Loggia lehnte (Joachim bediente sich seiner an kalten Tagen) und blickte, die Ellenbogen auf der Brüstung, in den Garten hinab, wo die allgemeine Liegehalle nun von lesend, schreibend und plaudernd ausgestreckten Patienten bevölkert war.

    Das Foto oben zeigt die allgemeine Liegehalle des Schriesheimer Stammbergs, die erstaunlich gut erhalten ist. Denn ja: der Stammberg, wie der Berghof im Zauberberg, war eine Tuberkuloseklinik, wenn auch – ich glaube mich zu erinnern, dass im geschichtlichen Überblick von der Bismarck'schen Krankenversicherung als zumindest Beteiligte die Rede war – mit einer deutlich weniger exklusiven Zielgruppe als die der Haute Volée-Spielwiese des Romans. Und auch wenn der Weiße Stein mit seinen gut 500 Metern nicht ganz mithalten kann mit den Dreitausendern rund um Davos, wenigstens ein bisschen in den Bergen befinden sich auch diese Gebäude.

    Tatsächlich war der Berghang am Rand der Kanzelbach-Talaue Teil des damaligen Kurparks. Während sich der Wald die Gartenanlagen am Hang weitgehend wieder geholt hat, sind einige der Flanierwege noch erhalten:

    Durch einen lichten, nach links hin ansteigenden Wald führt ein als naturnahe Treppe ausgeführter Weg.  An dessen Rand steht ein Warnschild: „Vorsicht Stechgefahr Bienen!“.

    Zu diesem Foto ist zu fantasieren, dass 1903 der Pfad vielleicht durch ein paar Rosenstöcke und Rhododendren führte, um die Mobilisierungsübungen der Patientinnen etwas zu verschönern. Ein klein wenig lässt sich das noch am Fuß des Hanges erahnen, wo das Eröffnungsbild dieses Artikels entstanden ist.

    Jedoch: Patientinnen ohne hohes I oder sonstige grammatische Berücksichtung von Männern? Ja, denn im Gegensatz zum Berghof des Zauberbergs, in dem es ja durchaus viel um Techtel aller Arten geht, war das Stammberg ein Frauensanatorium. Davon wiederum war zu hören während eines Vortrags einer Mitarbeiterin des Deutschen Tuberkulosearchivs (DTA) im Denkmalstag-Programm.

    Das DTA ist eine Einrichtung, die zwar schon seit einiger Zeit in Heidelberg – genauer bei der Thoraxklinik in Rohrbach – residiert, von deren Existenz ich aber bis zu dem Vortrag nichts ahnte. Was regelrecht schade ist, denn im Haus befindet sich auch eine Ausstellung, die mir sehr lohnend zu sein scheint. Leider ist diese nur nach Vereinbarung zugänglich. Aber ich plane schon die meine. Also: Vereinbarung.

    Auch über Liegehalle und Park hinaus bietet das Haus Stammberg eine Menge Bau- und Technikgeschichte. Am Tag des offenen Denkmals hat der Leiter des Hauses die BesucherInnen herumgeführt, und zwar bis hin zur Kläranlage am Westende des Geländes. Ja: das hat es 1903 schon gegeben, wenn auch eher ausnahmsweise. Das Stammberg etwa hat sie offenbar bauen lassen, um Bedenken der Schriesheimer Bevölkerung, der Kanzelbach könnte durch das Sanatorium in einen Tuberkelpfuhl verwandelt werden, entgegenzuwirken.

    Wenn das, was heute noch übrig ist, allerdings repräsentativ ist für das, was damals gebaut wurde, dann ist erstaunlich, dass die Bürgerschaft bachabwärts sich hat beruhigen hat lassen:

    Ein grün bewachsenes, vielleicht 10 × 10 m großes Becken mit einem Geländer drumrum.  Dahinter ein recht moderne aussehnder kleiner, einstückiger Klinkerbau mit zwei Fenstern.

    All das ist (jedenfalls mit den ganzen Zauberberg-Geschichten im Hinterkopf) so bezaubernd, dass ich AutorInnen von Heidelberg-Reiseführern (sowie natürlich neugierigen BewohnerInnen von Stadt und Umgebung) das Haus Stammberg ans Herz legen möchte. Mensch muss den Mann-Roman nicht mögen, um dem Charme des Ortes zu erliegen, einschließlich des vielleicht zunächst etwas morbid wirkenden Verfallsthemas, das Buch und Schriesheimer Realität (jedenfalls vorläufig; es gibt schon Pläne, die Liegehalle besser zu konservieren) durchaus gemeinsam haben.

    [1]…und vielleicht Corona-Distanzregeln; das Bild ist aber aktuell.
    [2]Dessen Name übrigens in einer eigenartigen, wenn auch vermutlich nicht geplanten Antiparallelität zum Berghof, dem Sanatorium aus dem Zauberberg, steht.
  • Eingeschneite Mandelblüten

    Foto einer geöffneten Mandelblüte vor einer Schneelandschaft.

    Heute bei Dossenheim: Ob aus dieser Blüte mal eine Mandel wird, darf trefflich bezweifelt werden.

    Zu den großartigeren Projekten in und um Dossenheim gehören die Mandelbäume am Mantelbach, die unter der Ägide des Freundeskreises der Gemeindebücherei im Laufe der letzten zehn Jahre (oder so) gepflanzt wurden. Wer Ende Februar, Anfang März im Norden von Heidelberg unterwegs ist: Ich finde, die rosa Blütenpracht mit dem Duft von Omaseife ist jedenfalls einen kleinen Ausflug wert. Trotz Klimawandel dürften Mandelbäume, die zudem noch ganz ordentlich tragen, noch für eine Weile als spezielle Sehenswürdigkeit von Bergstraße und Südpfalz durchgehen.

    In diesem Jahr nun war es aber in der ersten Januarhälfte schon so warm, dass einige der mutigeren Bäumchen schon mal losgelegt haben. Und dann hat gestern Nacht ein Nordostwind für hiesige Verhältnisse beachtliche Mengen Schnee mitgebracht. Bei einem Spaziergang heute morgen taten mir die frühen Blüten (und noch mehr die Knospen) schon ein wenig leid.

    Während die Mandelblüten den Frost, glaube ich, nicht gut mitmachen werden, bin ich für den Winterjasmin ein Stück weiter oben in den Weinbergen eigentlich ganz guter Dinge, auch wenn er fast verschwunden ist im Schnee:

    Ein Schneehaufen mit Löchern, durch die gelbe Blüten sichtbar sind.
  • Gefrorener Nebel

    Foto: Ein Berg, unten wie von Schnee weiß überpudert, oben eher braun.

    Der Ölberg bei Dossenheim heute: Sieht zwar aus wie Inversionswetterlage, war aber überall kalt.

    Zu den großen Vorteilen des Lebens mit Bergblick[1] gehört, dass es immer wieder interessante Physik zu bestaunen gibt. Heute etwa zeigte sich der Ölberg – ein Teil des Aufstiegs zum Odenwald am östlichen Rand des Oberrheingrabens, das Foto entstand also von etwa 100 Metern über NN – wie im Foto oben. Berge, die oben braun und unten weiß sind, sind zunächst eher erstaunlich, denn „normal“ wirds nach oben hin kälter, und damit bleibt Schnee auf Bergen meistens viel länger liegen als im Tal, so wie etwa hier (Mai 2017):

    Foto: Viel Grün im Vordergrund, dahinter Schneeberge

    Eine wichtige Ausnahme von dieser Regel ergibt sich bei einer Inversionswetterlage, wenn sich warme Luft über kalte schiebt; der verlinkte Wikipedia-Artikel enthält in der Tat ein Bild ganz ähnlich wie das Eingangsfoto, also ein Berg mit weißem Fuß und braunem Kopf.

    Inversionswetterlagen sind von Dossenheim aus gut zu erkennen, wenn das Kraftwerk in Mannheim-Rheinau läuft, denn die Dampf-Fahne sieht dann etwas seltsam aus (Foto vom Dezember 2021):

    Foto: Himmel mit „Abgasfahne“, die auf halber Höhe abknickt und sich flach weiter ausbreitet.

    Wie das ohne Inversion aussieht, könnt ihr im kleinen GKM-Video im Kohlendioxid am Balkon-Post begutachten.

    Aber der Befund oben ist allenfalls indirekt auf eine Inversionswetterlage zurückzuführen. Es war gestern in der ganzen Luftsäule arschkalt – -8° Celsius ist für diese Gegend hier schon bitter – und dazu im Tal neblig. Bei diesen Tempraturen ist der Nebel ausgefroren, wie das heute morgen im Tal an vielen Stellen zu bewundern war, etwa an dieser Pflanze – also gut: an diesem Pflanzenrest:

    Foto: Myriaden von Eiskristallen an einem Pflanzentrieb in der Sonne

    Ich würde nennenswerte Summen verwetten, dass der Nebel gestern am Ölberg nur bis vielleicht 300 m über NN reichte und darüber strahlender Sonnenschein herrschte (diese obere Nebelgrenze mag an einer milden Inversion gelegen haben; ich bin nach den hiesigen Wetterverhältnissen der letzten Tage jedoch überzeugt, dass es auch bei Sonne nicht viel wärmer war dort oben).

    Es wäre bestimmt hinreißend gewesen, über die Nebel im Rheingraben zu blicken. Wenn mensch das nur immer so genau wüsste unten im Nebel… Andererseits: Es wäre mir wahrscheinlich so oder so zu kalt gewesen, und mein RSV (oder Influenza oder Parainfluenza oder Metapneumo oder hCoV oder was auch immer, also: meine blöde Erkältung gerade) hätte mich wohl eh drin gehalten.

    [1]Nein, ich will nichts darüber hören, dass Erhebungen von 350 Metern über die Umgebung – das ist die Größenordnung beim Ölberg – nicht als Berge, sondern allenfalls als Hügel zählen. Fahrt einfach mal mit dem Fahrrad rauf. Danach höre ich mir das Wort „Hügel“ auch aus eurem Mund an.

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