Darf mensch Königinnen aufeinander hetzen?

Nicht in meiner DLF-Lieblingssendung Forschung aktuell, sondern im Freistil vom 5.6.2022 bin ich auf den nächsten Fall meiner kleinen Sammlung von Fragen an die Ethikkommission bei Tierversuchen gestoßen. Im Groben: Ist es ok, Tiere bewusst und absichtlich gegeneinander kämpfen zu lassen? Und gibt es im Hinblick auf diese Frage Unterschiede zwischen Stieren und Regenwürmern?

Aus meiner Sicht nicht weit von der Mitte der Wurm-Rind-Skala entfernt befinden sich die Papierwespen, für die die deutsche Wikipedia enttäuschenderweise auf die ordinäre Wespenseite weiterleitet. Speziell für die Stars dieses Posts, Polistes fuscatus – die biologische Normenklatur könnte mich der Physik abspenstig machen – gibt es immerhin einen Link auf der Feldwespen-Seite, doch hat sich noch niemand gefunden, der/die die zugehörige Seite angefangen hätte.

Portraits von vier Wespen

Fast noch spannender als die Frage, ob Wespen die Gesichtszeichnungen von Individuen auseinanderhalten können, finde ich ja die Frage, ob sie auch mal gut gelaunt aussehen können. Bildrechte: doi:10.1016/j.cub.2008.07.032 (bearbeitet).

Bei Freistil klang es nun so, als habe jemand jeweils zwei Königinnen dieser Wespen miteinander bekannt gemacht; dass sie sich erkennen können, und zwar ziemlich sicher am Gesicht, ist offenbar spätestens seit den Arbeiten von Michael Sheehan und Elizabeth Tibbetts wohlbekannt. Unter den einschlägigen Artikeln, die ab den 2000er Jahren an der Uni von Michigan in Ann Arbor entstanden sind, ist viel zitiert „Specialized Face Learning Is Associated with Individual Recognition in Paper Wasps“ (viel zitiert vermutlich weil: Science 334 (2011), 1272, doi:10.1126/science.1211334). Das darin beschriebene Experiment ist erkennbar nicht das, von dem im Freistil die Rede war, wirft aber selbst eine ethische Frage auf:

Darf mensch Königinnen elektroschocken?

Sheehan und Tibbet gaben den Wespen nämlich eine T-förmige Flugzone, die überall Elektroschocks verabreichte, bis auf eine Stelle, die dann mit einem von einem paar von Bildern markiert war. Mithin war der Reiz, den die Leute zum Training der Wespen nutzten, die Abwesenheit von Elektroschocks, wenn es die Wespen richtig machten. Hm. Hrrmmmmmmmm! Wäre das nicht auch etwas freundlicher gegangen?

Ausgangspunkt der Arbeit war die Vermutung, dass fuscatus-Wespen, die staatenbildend sind und deren Königinnen sich vor Gründung ihres Staates mit einem ganzen Haufen anderer Wespen raufen, zwei verschiedene Wespengesichter besser auseinanderhalten können („habe ich gegen die schon mal verloren?“) als metricus-Wespen, die meist allein leben und sich wenig prügeln. Um ein wenig sicherer zu sein bei der Frage, was da eigentlich beobachtet wird, haben Sheehan und Tibbetts auch Versuchstiere („healthy wild-caught adult female[s]“) auf Raupen (die die Wespen gerne essen), geometrische Zeichen (Kreuze, Dreiecke und sowas) und Wespenköpfe ohne Antennen trainiert.

Das Ergebnis: Wespengesichter mit Antennen haben ausgelernte fuscatus-Wespen in 80% der Fälle vorm Elektroschock bewahrt (wobei der Nulleffekt 50% wäre), und sie haben die Gesichter schneller gelernt als die an sich viel einfacheren Zeichen. Waren die Antennen rausretuschiert, hat das Lernen länger gedauert, und bei 70% richtiger Wahl war Schluss.

Wie viel Ausdauer braucht es für 10'000 Versuchsläufe?

Und von wegen „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“: Wenn der Hinweis aus verschiedenen Raupensorten bestand, haben die Wespen nur in 60% der Fälle die trainierte Raupe gefunden, also fast nicht häufiger als durch Zufall zu erwarten. Und etwa genauso gut wie die einsiedlerischen metricus-Wespen, die mit den Gesichtern ihrer Artgenossinnen gar nichts anfangen konnten.

Fleißbienchen am Rande: grob überschlagen müssen Sheehan und Tebitt die Wespen gegen 10'000 Mal haben fliegen lassen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie viel Ausdauer es dafür gebraucht haben mag. Auf beiden Seiten. Aufgrund vorheriger Interaktionen mit Wespen vermute ich jedoch fast, dass für diese der repetetive Charakter der Unternehmung weniger problematisch gewesen sein dürfte. Ach ja, und ich würde gerne wissen, wie viele Stiche sich die beiden Menschen während der Arbeiten eingefangen haben.

Wie ist es mit Kämpfen?

Sheehan, der inzwischen an die Cornell-Universität in New York gewechselt ist, hatte schon zuvor (und hat noch weiter) mit den Wespen gearbeitet und berichtet darüber zum Beispiel in Current Biology 18 (2008), Nr. 18, R851 (doi:10.1016/j.cub.2008.07.032), „Robust long-term social memories in a paper wasp“. Für diese Studie haben die Leute ebenfalls einen Haufen fuscatus-Papierwespen gefangen, dieses Mal aber gezielt Begegnungen herbeigeführt. Dabei haben sie an Tag 0, 6 und 8 jeweils Wespen zusammengeführt, die sich nicht kannten, am siebten Tag dagegen nochmal die von Tag 0 vorbeigeschickt. Das fand ich schon mal ein recht cleveres Design: Wenn sich die Rauflustigkeit der Wespen generell geändert hätte, wäre das durch die Kontrollen an den Tagen sechs und acht aufgefallen.

Aber das führt auf die Eingangsfrage: Ist diese Sorte Experiment nicht ziemlich eng verwandt mit Hahnenkämpfen, bei denen zwei Tiere, die, wären sie nicht in menschlicher Gefangenschaft, vermutlich friedlich vor sich hingelebt hätten, künstlich dazu gebracht werden, aufeinander einzuhacken? Wäre ich in einer Ethikkommission, müsste ich zumindest mal etwas nachdenken, ob ich Königinnenkämpfe eigentlich absegnen möchte, auch wenn es hier nicht um das Gaudium einer blutrünstigen Menge, sondern um die Förderung der Wissenschaft geht.

Unter Bekannten doppelt so viele Begegnungen ohne Gewalt

Immerhin scheinen die Kämpfe der Wespen relativ zivilisiert abzulaufen. Zumindest berichten Sheehan et al nicht davon, dass die Begegnungen an Tag 7 mal hätten ausfallen müssen, weil die Besucherinnen von Tag 0 inzwischen vielleicht totgestochen worden wären (Disclaimer: ich habe die Zusatzdaten nicht auf solche Vorkommnisse hin durchgesehen, denn ich war ja eigentlich auf der Suche nach etwas anderem).

Das Ergebnis ist wieder recht beeindruckend; kannte sich ein Wespenpaar, gingen offenbar doppelt so viele Begegnungen ohne Gewalt aus wie andernfalls.

Meine eingestandenermaßen oberflächliche Literaturrecherche hat aber leider kein Paper geliefert, bei dem jemand Wespen geschminkt hätte; ich hatte ich die Geschichte aus dem Freistil nämlich so verstanden, dass jemand zwei Wespen bekannt gemacht hat und dann das Gesicht einer der beiden verändert, um zu prüfen, ob es wirklich das ist, an das sich die Wespen erinnern und nicht etwa, sagen wir, der Geruch oder die Melodie des Summens. Auch wenn das Elektroschockexperiment das sehr nahelegt: Ich finde es völlig plausibel, so ein Schminkexperiment zu machen. Wer die dazugehörige Studie findet: das Antwortfomular gehört völlig euch.

Empathietraining

Wer die ganze Sendung hört, dürfte auf ein anderes ethisches Problem stoßen, eines, das mir, der ich nicht in einer Ethikkommission sitze, deutlich mehr Sorgen macht: Im O-Ton wird eingespielt, wie jemand eine Drosophile erst mit Wachs festklebt und dann immer weiter fesselt. „Drosophile“: Ihr merkt, ich habe rein emotional ein spezielles Verhaltnis zu Fruchtfliegen, weil ich in ihnen, die wie ich Obst nicht widerstehen können – je süßer, je besser – ganz entfernt Geistesverwandte sehe.

Andererseits: Wenn ich den Kompostmüll leere, nehme ich, ehrlich gesagt, keine Rücksicht darauf, wie viele von ihnen ich dabei wohl zerquetsche. Die insgesamt vergleichbar menschenähnlichen Mücken und Zecken töte ich sogar gezielt, wenn ich kann. Und nun habe ich diesen Bericht gehört und musste mich sehr beherrschen, um mich nicht zu empören. Das mag ein wenig zu tun haben mit dem völlig überflüssigen Gag, Enrico Caruso durch das Drosophilenohr aufzunehmen, denn Folter[1] ist nochmal schlimmer, wenn irgendeine Sorte, ach ja, „Humor“ mitschwingt.

Aber auch ohne das: Ist es verlogen, wenn ich mich über die Misshandlung von Lebewesen empöre, die ich andererseits ohne große Reue und ganz nebenbei – oder gar gezielt – töte?. Auf der anderen Seite will mensch, so glaube ich, diese Anflüge von Empathie auch nicht wirklich bekämpfen. Die Charakterisierung der Feinde als Ratten und Schmeißfliegen (der Namenspate des Münchner Flughafens, Franz Josef Strauß, war Meister dieses Genres), als Tiere also, mit denen Empathie zu haben wirklich schwerfällt, wenn sie sich erstmal ordentlich vermehrt haben, ist ein recht konstantes Feature so gut wie aller Kriege und anderer Massenmorde der Geschichte.

Mit diesem Gedanken bin ich nach der Freistil-Sendung auf folgendes Fazit gekommen: Selbst wenn es nicht der Tiere selbst wegen geboten sein sollte, schon ganz speziezistische Humanität gebietet es, diese Sorte von Mitleid mit jeder Kreatur zu hegen und nicht zu kritisieren. Und vor den Feldzügen gegen die Nacktschnecken wenigstens noch ein wenig mit sich zu ringen.

[1]Ja, ich behaupte, es ist Folter, wenn mensch so ein Lebewesen bei lebendigem Leibe immer weiter eingießt, bis es (nehme ich an) erstickt, weil die Tracheen alle dicht sind.

Zitiert in: Biologie wie in Borodino Libellen aufs Kreuz gelegt

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