Ich bin gerade über einen Artikel in Spektrum der Wissenschaft 11/17 (leider Paywall) an das Paper „Hunter-Gatherer Energetics and Human Obesity” von Herman Pontzer und KollegInnen geraten (DOI 10.1371/journal.pone.0040503, open access). Darin geht es grob darum, dass JägerInnen, SammlerInnen und BäuerInnen ungefähr genauso viel Kohlenstoff verstoffwechseln wie StadtbewohnerInnen, und das, obwohl sich letztere natürlich deutlich weniger bewegen als die anderen. Diese Erkenntnis hätte mich jetzt noch nicht sehr begeistert, doch die folgende Grafik verdient jede Aufmerksamkeit:
Dieser Plot nimmt – nicht ganz absichtlich – meine Frage zur thermischen Leistung von Menschen auf. Damals war ich ja aufgrund der Messungen meines CO₂-Messgeräts im Büro darauf gekommen, dass ich für ungefähr 16 Watt CO₂ ausatme – das stellt sich, wie erwartet, als kräftige Unterschätzung heraus. Ich sollte das wirklich mal neu ausrechen, zumal ich die wirkliche Stoffwechselrate inzwischen auch besser einschätzen kann, weil mir der CO₂-Verlust durch Fenster, Türen und Blumen dank vieler Daten für den leeren Raum inzwischen gut zugänglich sein sollte.
Aber das ist für einen anderen Tag. Heute lese ich aus der Grafik von Pontzer et al ab, dass ein Mensch wie ich (70 Kilo alles zusammen, davon vielleicht 20% Fett, also in der Grafik bei log(56) ≈ 1.75 zu suchen) so zwischen 3.3 und 3.6 auf der y-Achse liegt. Nach Delogarithmierung (also: Zehn hoch) würde ich demnach zwischen 2000 und 4000 Kilokalorien am Tag umsetzen. Mensch ahnt erstens, dass Fehlerbalken unter Logarithmierung zusammenschrumpfen – dass „3.3 bis 3.6“ in Wahrheit „innerhalb eines Faktors 2“ heißt, mag für logarithmenferne Bevölkerungsschichten überraschend sein – und zweitens, dass große Teile der Wissenschaft immer noch Einheiten aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts verwenden. Seit dessen zweiter Hälfte nämlich kommen Arbeit und Energie bei anständigen Leuten in Joule (einer Kalorie entsprechen 4.2 davon).
Das führt auf meine Kopfzahlen für heute: Ein Mensch wie ich leistet etwas zwischen 8000 und 16000 Kilojoule am Tag. Hier will sich mensch übrigens die Spannbreite ganz definitiv mitmerken, und zwar als Gegengift zum „Tagesbedarf“, der auf jeder Lebensmittelverpackung aufgedruckt ist[1].
Unter vielen guten Gründen für die Verwendung des Joule (statt der Kalorie) steht weit oben die Tatsache, dass mensch gleich auf Leistungen in Watt kommt (das ist nämlich ein Joule pro Sekunde). Wer im Kopf hat, dass ein Tag 86400 Sekunden lang ist, erhält meine Leistung in üblichen Einheiten zwischen den 100 und 200 Watt, zwischen denen ich im November-Post bedingt durch DuckDuckGo und meine grobe Erinnerung schwankte.
Bemerkenswert an der Pontzer-Grafik finde ich noch die beiden Ausgleichsgeraden für westliche Männer (durchgezogen) und Frauen (gestrichelt). Ich habe ja schon immer große Zweifel an Gender-Unterschieden in vielen „Normalbereichen“ gehabt, die es für Tagesbedarfe und allerlei Laborwerte gibt; so war z.B. in meiner Zivildienstzeit der Normalbereich des Kreatininspiegels für Frauen eine ganze Ecke höher als für Männer, und ich bin immer noch fest überzeugt, dass das einen rein sozialen (Frauen trinken im Schnitt weniger, weil sie es meist deutlich schwerer haben, unbelästigt zu pinkeln) und keinen vertretbar als biologisch zu bezeichnenden Grund hat.
Warum nun der Energieumsatz von Frauen steiler mit ihrer Masse wachsen sollte als bei Männern, warum sie ab einer Masse von vielleicht 75 Kilo (da würde ich die Mit-Fett-Masse des Schnittpunkts der Geraden sehen) dann sogar mehr leisten sollten als gleichschwere Männer, das leuchtet mir nicht ein – wie mir auch nicht einleuchtet, warum leichtere Frauen praktisch einen Faktor zwei weniger leisten sollten als gleichschwere Männer. Aber wer die Punktwolken mal qualitativ auf sich wirken lässt, wird ohnehin Zweifel an den Ausgleichsgeraden entwickeln.
Tja: Mal sehen, wie sich das entwickelt, wenn die Systematiken von Pontzers Methode zur Bestimmung des Energieumsatzes (Leute trinken einen Haufen D₂-18O-Wasser, und mensch verfolgt, wie über die nächsten Tage Deuterium und der 18er-Sauerstoff im Urin runtergehen) etwas besser verstanden sind.
Pontzer scheint jedenfalls bereit zu sein, irrtümliche Dogmen über Bord zu werfen. So ist er Mitautor einer Arbeit von Anna Warrener et al (DOI 10.1371/journal.pone.0118903), die seinerzeit (2015) auch breit durch die Presse ging. Das Paper zerstörte (nach meinem Eindruck als Laie in dem Feld) die lange quasi konkurrenzlose These, der doch sehr grenzwertig enge Geburtskanal menschlicher Frauen sei ein physiologischer Kompromiss, denn ein breiteres Becken würde sie beim aufrechten Gang behindern. So ein „lass uns das mal nachrechnen, auch wenn es ganz plausibel klingt“ ist für mich ein recht gutes Zeichen für ordentliche Wissenschaft besonders dann, wenn die plausible Vermutung nachher nicht rauskommt.
[1] | Wobei der „Tagesbedarf“ bei den „Kalorien“ nochmal besonderer Mumpitz ist: der „Brennwert“, der dort angegeben ist, ist genau das, ein Brennwert. Das Futter wird getrocknet und verbrannt, um auf „die Kalorien“ zu kommen. Am Beispiel von Holz oder Rohöl ist, glaube ich, gut einsichtig, dass das nur in Ausnahmefällen viel zu tun hat mit dem, was der menschliche Körper daraus an Bewegung oder Fett machen könnte. Sprich: Kalorienzählen ist schon von der Datenbasis her Quatsch. |
Zitiert in: Eine neue Nexus-Nabe und ihr Fußabdruck Machen Straßen auch nach 2000 Jahren noch Dreck? Kohlenstoff-Stoffwechsel des Menschen: Nur über Bande schlimm