Den fehlenden SchleuserInnen

Blick auf einen Park mit einer in Luma etwas hervorgehobenen Büste in der Mitte, abgeschlossen von einem Haus mit Fensterläden. Im Vordergrund eine Tafel „Johann Georg Elser“ mit etwas biographischem Text und eine Streugutkiste, auf der ein improvisierter, herausgezoomter Aufkleber angebracht ist: „Georg Elser Gedenken“.

So sieht die Stelle, an der Georg Elser in die Schweiz hatte fliehen wollen, heute aus: eine Büste in einer Art Park und eine kurze, etwas biedermeierisch wirkende Tafel. Das für mich ergreifendste Stück Erinnerungskultur allerdings war der mit Klebeband an der Streugutkiste fixierte Zettel.

Für Menschen, die – wie ich gestern – in Konstanz sind und beispielsweise beim Umsteigen zwischen Zug und Katamaran eine halbe Stunde Zeit haben, habe ich einen Besichtigungstipp: Ein paar hundert Meter vom Hafen entfernt, im Garten der Schwedenschanze 10 befindet sich ein Denkmal für Georg Elser, den Antifaschisten, der mehr oder minder im Alleingang das Attentat im Bürgerbräukeller ausgeführt hat.

Ich finde, die Stelle ist aus mehreren Gründen einen Besuch wert. Erstens hat sie mir klar gemacht, dass Elser nicht nur ein ziemlich begnadeter und politisch engagierter Bastler war. Nein, er hatte auch einen ziemlich plausiblen Plan sowohl für den Tyrannenmord als auch fürs eigene Überleben. Weil ich glaube, dass der Tyrannenmord angesichts der generellen Durchgeknalltheit der damaligen deutschen Bevölkerung wahrscheinlich eh nichts gebracht hätte, ist mir letzteres in seiner unheldischen, überhaupt nicht eschatologisch verblendeten („<Zweck> oder Tod“) Art eigentlich wichtiger.

Das Denkmal steht nämlich an der Stelle, an der Elser, noch bevor die Bombe im Bürgerbräukeller hochging, in die Schweiz fliehen wollte, und zwar auch heute noch praktisch genau auf der Grenze: Er hatte es schon fast geschafft! Und mehr: Das war nicht einfach ein blinder Fluchtinstinkt. Elser kannte die Stadt Konstanz und ihre Grenzlage, denn er hat in den zwanziger Jahren eine zeitlang dort gewohnt.

Gerade heute, da „Schleuser“ der Autorilla[1] und ihren TrittbrettfahrerInnen im Wortsinne als Totschlagargument dient, ist der Georg-Elser-Park darüber hinaus ein ein guter Ort, um ein wenig darüber nachzudenken, was Elser erspart geblieben wäre, hätte er damals an dieser Stelle etwas Hilfe gehabt.

So, wie es war, stand er am 8. November 1939 um 20:45 wenige Meter vor der Schweizer Grenze, als ihn zwei Zöllner erwischten – hätte die nicht irgendwer („Schleuser“) strategisch ablenken können? Es spricht jedenfalls für Elsers planerische Kompetenz, dass weitere 45 Minuten („Kontingenzpuffer“) später die Bombe im Bürgerbräukeller explodierte.

Ein Steinblock mit einer gavierten Inschrift „Ich habe den Krieg verhindern wollen“ und einer Büste von Elser oben drauf.

Jetzt gerade ist der Elser-Park nicht zugänglich: Das Tor im Vordergrund ist „wegen Sanierungsarbeiten“ abgeschlossen und soll das wohl bis in einem Jahr auch bleiben. Das macht aber nichts: die wesentlichen Dinge sind zu sehen.

Sein Leidensweg war mit dem Zugriff der beiden programmiert: Gestapofolter im „Hotel Silber“ in Stuttgart, dann KZ Sachsenhausen, dann KZ Dachau (wobei ihn die NS-Schergen offenbar für einen späteren Schauprozess in relativ guter Form hielten). Fast so knapp wie seine Flucht scheiterte auch seine Befreiung: Ein SS-Mann erschoss ihn am 9. April 1945 im Lager Dachau, keine drei Wochen, bevor US-Truppen dort eintrafen.

Gerade weil er ganz unheldisch nicht sterben wollte und dafür sorgfältig geplant hat: Auf meiner persönlichen Liste großer BastlerInnen der Weltgeschichte hat Georg Elser seit gestern einen erheblich prominenteren Platz.

[1]Vgl. dazu diese Fußnote.

Zitiert in: Noch bis 7.12. in Heidelberg: „Auftakt des Terrors“ über die ersten NS-Konzentrationslager

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