Vom Verlust des schlanken, effizienten Beamtenapparats

Verwitterte Pfosten, ein verwittertes Sportfeld, ein verwitterter Unterstand mit einem alten Autoreifen davor, alles überzogen von rotem Staub.

Bahnprivatisierung nicht als Symbolbild: So sah es 2015 in Cook, Southern Australia aus. Verfallen ist das Nest in der Nullarborebene, weil der Staat die Eisenbahn aufgegeben hat. Gut: vielleicht wäre es auch verfallen, wenn noch was anderes als Tourizüge fahren würde, weil die wartungsaufwändigeren Dampfloks verschwunden sind. Das Bild ist trotzdem eine gute Illustration des Konzepts „Privatisierung“.

Heute stand in einem (offenbar noch nicht anderweitig veröffentlichen) Mailing des Bündnisses Bahn für Alle folgende bedenkenswerte Passage:

Bundesbahn und Reichsbahn hatten von 30 Jahren zusammen 6.000 Bahndirektoren, bei insgesamt fast doppelt so vielen Beschäftigten wie heute. Aktuell haben wir 20.000 Bahnmanager, die im Durchschnitt geschätzt pro Kopf 100.000 Euro im Jahr kosten. […] Macht zusammen allein zwei Milliarden Euro jedes Jahr.

Ich würde auch in diesem Fall nicht viel auf die konkreten Zahlen geben; die Flügel'sche Regel: „Wenn du genug weißt, um Metriken richtig zu interpretieren, brauchst du die Metriken nicht mehr“ gilt sicher auch hier, wo schon mal unklar ist, ob „Direktor“ bei der Bundesbahn irgendwas mit einem modernen „Manager“ zu tun hatte.

Weiter wäre zu prüfen, ob nicht auch die alten DirektorInnen wie ihre modernen NachfolgerInnen in der Mehrheit für den Bahnbetrieb eher schädlich als nützlich gewesen sein werden. Und kommen zu den 20'000 hier berichteten ManagerInnen noch welche von all den anderen Unternehmen, die die öffentliche Hand für den Betrieb des ÖPNV bezahlt? Oder sind die schon drin?

Auf all das kommt es jedoch gar nicht so sehr an, denn qualitativ ist sicher, dass durch Maßnahmen im weiteren Privatisierungsbereich eigentlich immer eine im Vergleich schlanke und billige öffentliche Verwaltung ersetzt wird durch einen Apparat von GeschäftsführerInnen, JustiziarInnen und ihren Stäben, die sich mit komplizierten Firmengeflechten beschäftigen („S-Bahn Rhein-Neckar“ vs. „DB Regio Oberbayern“ vs. „DB Station und Service“), deren Zweck wiederum selten übers Steuersparen, Lohndrücken und Aushebeln von Betriebsratsrechten hinausgeht. Reporting, Compliance und Investor Relationships beschäftigen weitere Menschen, die sich durch die höhere Handelsschule (Mikro und Makro) gekämpft haben. Na gut: immerhin die Investor Relationships haben sie bei der Deutschen Bahn inzwischen hoffentlich wieder rückgebaut.

Nachtrag (2023-10-17)

Als ich letztes Wochenende in Bad Friedrichshall aus einem überfüllten Zug in einen etwa genauso überfüllten anderen Zug umgestiegen bin, ist mir zum Thema bizarre Sub-Subunternehmen der Deutschen Bahn noch das hier untergekommen:

Eine rostfarbene Strebe eines Güterwagens mit aufgesprühten weißen Buchstaben „DB Schenker Rail Automotive GmbH [...] Mail: dispo@dbschenker-atg.com“

Der Twist an der Sache:

$ dig +short dbschenker-atg.com
$

Mit anderen Worten: die merkwürdige „Automotive“ GmbH, die da irgendwer mit viel juristischer Beratung hat gründen lassen, ist schon so lange tot, dass nicht mal mehr wer die Domain anmeldet, auf die das längst für irgendeine andere Briefkastenfirma rollende Material noch verweist.

Da wundert mich eigentlich auch nicht mehr, dass die Wayback-Maschine für eine hypothetisch zum Unternehmen gehörende Webseite nur einmal ein Signal hatte. Im Juni 2019 war da: „Hier entsteht in Kürze eine neue Internetpräsenz.“ Mergers and Aquisitions im Endstadium.

Nachtrag (2023-10-22)

Und gleich noch ein DB-Subunternehmen, für dessen Existenz ich mir keine gutartige Erklärung vorstellen kann: DB Training („Ihr Anbieter im Bereich Corporate Learning & Development“). Allerdings: Das Impressum der Webseite redet nur von der Deutschen Bahn AG. Vielleicht tut das Ding ja nur so, als sei es ein eigenes Unternehmen und ist in Wahrheit „nur“ eine Abteilung (wie es ja auch nur vernünftig wäre)? Potjomkinsche Unternehmen als Verneigung vor dem immer noch herrschenden Zeitgeist?

Wer weiß? Gehört habe ich von der… nun, Entietät jedenfalls in einem mich ebenfalls zum intensiven Kopfschütteln anregenden Hintergrund Politik im Deutschlandfunk, nämlich dem vom 9.10.2023, „Wie die Schiene gemeinwohlorientiert werden soll“. Hauptgrund des Kopfschüttelns: Zwar zählt der Beitrag durchaus zutreffend ein paar der Kritikpunkte an der Bahnprivatisierung seit den 1990ern (jenseits der mutwilligen Zerstörung eines vergleichsweise effizienten BeamtInnenapparats) auf – aber er fragt weder, warum diese Kritik nur für die Schienen und nicht auch für den Verkehr darauf gelten soll, noch fragt er, wozu mensch wohl den ganzen Unternehmensfirlefanz braucht, wenn das doch ohnehin „gemeinwohlorientiert“ sein soll.

Vor allem aber stellt er nicht all den Dampfplauderern, die im Beitrag streiten, ob die „Infrastrukturgesellschaft“ der DB gehören soll oder sonstwem anders, die an sich naheliegende Frage: „Wir hatten doch schon mal eine doch ganz gut funktionierende Bahn. Sollten wir für den Anfang nicht erstmal dahin zurückgehen, wo wir offensichtlich falsch abgebogen sind und dann von dort sehen, wo ein besserer Weg langführt?“

Mithin ist praktisch unvermeidlich, dass bei einer Privatisierung das Verhältnis von denen, die nützliche Arbeit tun (Züge warten, Verspätungsdurchsagen machen) zu denen, die diese nützliche Arbeit verwalten („Management”) schrumpfen wird. Das Ergebnis ist vielerorts sichtbar: die kaputte Bahn, die teueren, verrottenden ex-Sozialwohnungen, ein Geschäftsgebaren von Telefonunternehmen, das von offenem Betrug nur mit Mühe zu unterscheiden ist – und Systemlotto dort, wo einst ein Postamt war. Oh, na gut; manche Orte (hier: Dossenheim) haben im Vergleich auch Glück gehabt:

An einer Arkade eines 70er-Jahre-Baus hängt ein Schild „Postfiliale und Restpostenshop“, davor ein Gelber Postkasten.

Unverständlich bei all dem ist nur: Wie kommt das Major Consensus Narrative[1] eigentlich mit der Vorannahme durch, mit Privatisierungen und Wettbewerb gingen „Effizienzgewinne“ einher? Klar, Privatisierung führt in der Regel zu zum Teil drastischer Lohndrückerei, aber selbst wenn mensch die sozialen Kosten dieser Lohndrückerei externalisiert, dürfte das Reibungsverluste in der eingangs zitierten Größenordnung kaum ausgleichen können.

Leider sorgen all die Management-Jobs umgekehrt für eine weitgehende Unumkehrbarkeit der Privatisierungen außerhalb von katastrophalen Ereignissen: Zu viele gut bezahlte Jobs als Frühstücksdirektor oder Chief Information Officer der Privatbahn Hintertupfing AG würden verschwinden. Die Leute, die jetzt darauf sitzen, haben ein fast schon existenzielles Interesse daran, dass eine Rückkehr zu einer schlanken, tarifgebundenen öffentlichen Verwaltung nicht passiert.

Nun: Ein Grund mehr fürs bedingungslose und nicht ehrenrührige Grundeinkommen.

[1]Das ist schöne postmoderne Diktion für die weitgehend unhinterfragten Vorannahmen, von denen aus alles argumentiert, was, na ja, sagen wir Regierungsfähigkeit behauptet oder ernsthaft Auflage haben will.

Zitiert in: Ach, Bahn, Teil 15: Privatsphäre ist teuer Boston-Tucson on Amtrak: Day 2

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