Ach, Bahn, Teil 15: Privatsphäre ist teuer

Dass „Digitalisierung“ Antisprache ist, also etwas, das mit ordentlicher Sprache zusammen zu Quatsch zerstrahlt, habe ich schon vor geraumer Zeit behauptet. Ein schöner Beleg dazu war neulich im Bahn-Reisezentrum in Hamburg-Altona zu bewundern:

Ein Plakataufsteller auf einem gefliesten Boden: „Jetzt wird's digital! Für die Buchung Ihres Digitalen Tickets benötigen wir Ihren Vor- und Zunamen sowie Ihre E-Mail-Adresse“.

Die Bahn verlangt jetzt also Name und gar noch eine Mail-Adresse von Menschen, die vergünstigte Tickets kaufen wollen. Was mit Menschen passiert, die keine Mailadresse haben: Wer weiß?

So oder so ist das ein ziemlich dreister Übergriff auf die Privatsphäre der weniger betuchten KundInnen der Bahn. Es macht den Buchungsprozess komplizierter und hat für die Betroffenen ganz offensichtlich nicht den Hauch eines Vorteils. Die Bahn will hier vermutlich irgendwelche windigen Geschäfte mit ihren fiesen Spezialtickets[1] verhindern (oder was könnten sie sonst für einen Grund für diese Masche haben?), will aber aus nicht ganz einsichtigen Gründen nicht zugeben, dass sie damit allen das Leben schwer macht.

Stattdessen versucht die Bahn, das Offensichtliche durch Antisprache wegzuquatschen: „Optimal weil digital“. Was für ein platter Versuch, die KundInnen für dumm zu verkaufen. Zum Fremdschämen. Wer, frage ich mich, soll auf diese Fadenscheinigkeit hereinfallen?

Update: Definiere Digitalisierung

Aber es gibt nichts, das nicht auch Vorteile hätte: Ich habe einen Neuzugang in meiner Hitliste „Definiere Digitalisierung“, die ich vor einem guten Jahr angefangen habe. Der aktuelle Stand:

  1. Digitalisierung ist, wenn alles außer Werbung und Ausforschung kaputt ist.
  2. Digitalisierung ist, wenn du deinen Namen und deine Mailadresse abgeben musst.
  3. Digitalisierung ist, wenn du es aus- und wiedereinschalten musst.
  4. Digitalisierung ist, wenn Menschen, die keinen Bock drauf haben, Computer verwenden müssen.

Echter Fortschritt: fahrscheinloses Reisen

Ach ja… Es gehört ja vielleicht nicht direkt hierher, aber weil die Bahn schon mal derart ehrlich vorlegt: Wenn „papierloses Reisen“ ein so großer Wert ist, dass er die Aufgabe von Privatsphäre rechtfertigt… Ja, wie ist das dann mit „Reisen ohne die fetten Geräte unter der Verwaltung von Google bzw. Apple“? Wäre nicht noch viel besser: „fahrscheinloses Reisen“?

Jaja, das mag vielleicht jetzt gerade etwas radikal klingen, aber das galt bis vor ein paar Jahren auch für fahrscheinlosen Nahverkehr. Inzwischen aber ist das kein großer Aufreger mehr. Neulich zum Beispiel bin ich in Tucson eine ganze Woche lang ohne Ticket durch die Sonne von Arizona getuckert:

Text in einer Art Wolkenform auf Betonboden: „Fares are currently free / suntran.com“ und das nochmal in Spanisch.

Ja, klar, da steht noch „currently“, und vielleicht wickeln sie ihr Umsonst-Fahrprogramm ja nochmal ab. Aber erstens geht es eben doch, zweitens wäre sowas ein rundrum viel besseres „Produkterlebnis” (oh Mann!), und drittens eine geeignetere Maßnahme gegen Ticket-Schwarzhandel als Übergriffe auf die Daten der KundInnen.

[1]Fies, weil die Tickets mit Zugbindung bewirken, dass arme Leute in den Randstunden fahren müssen, während die Reichen fahren dürfen, wann sie wollen. Auch hier war der schlanke, effiziente Beamtenapparat von früher deutlich besser: Es gab einen Einheitspreis (von Bonzenschleudern wie dem Rheingold mal abgesehen). Das war übrigens nicht nur gerechter, es hat auch von vorneherein den Ticket-Schwarzhandel verhindert, den die Bahn hier vermutlich auf dem Rücken der ärmeren KundInnen bekämpfen will.

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