Ach Bahn, Teil 14: „HalloDummy ABC-Dummy“

Eine rote Scheckkarte im Gegenlicht.  Ein Magnetstreifen ist sichtbar, ein Schriftzug „Bahncard 50“, aber nichts, was elektronisch aussieht.

Eine 2023er-Bahncard im Gegenlicht: Das ist wirklich nur Plastik (und ein Magnetstreifen) und mithin vom Fußabdruck her kaum mehr als 10g CO₂e. Klar wäre fahrscheinlos noch besser, aber „digital“ gehts jedenfalls nicht emissionsärmer.

Die neueste Templating-Katastrophe der Bahn

Ich bin ja seit langem faszinierter Beobachter der Templating-Katastrophen der Deutschen Bahn. Stellt euch also meine Begeisterung vor, als heute auf eine Anfrage an kundendialog@bahn.de (ja, das gibts, auch wenn die Bahn das in ihren Kontaktangeboten gut tarnt) eine ganz neue, ich möchte fast sagen freche Variante hinzukam:

X-Mailer: Siebel 23.10.0.0 SIA [2023_10]

Vorgangsnummer: 1-1719.....

HalloDummy ABC-Dummy,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir werden uns schnellstmöglich mit Ihnen in Verbindung setzen und Ihre Anfrage gerne beantworten.

Aufgrund eines ungewoehnlich hohen Mailaufkommens lassen sich derzeit jedoch laengere Wartezeiten nicht vermeiden.

Bitte haben Sie noch ein wenig Geduld und sehen Sie von weiteren Nachfragen zum Bearbeitungsstand ab. Wir informieren Sie, sobald Ihr Anliegen bearbeitet wurde.

Bitte antworten Sie nicht auf diese E-Mail, da dies eine automatisch erstellte Eingangsbestätigung Ihrer Anfrage ist.

(whitespace ist normalisiert)

Ganz falsch ist das nicht: Wer sich an den Bahn-Support wendet, wird dort zumindest wie ein ABC-Dummy behandelt, das kann ich nach meinen bisherigen Erfahrungen (cf. den Bahn-Tag) mit Bestimmtheit behaupten.

Gut gefällt mir auch die Kombi von “schnellstmöglich“ (mit Umlaut) und ungewoehnlich (7-bit-sauber), und weiter ist ein Vergleich aufschlussreich mit einer kurzfristig deutlich weniger katastrophalen Template-Antwort von vor einem Jahr (4.12.2022), die so anfing:

X-Mailer: Siebel 22.5.0.0 SIA [2022_05]

Vorgangsnummer: 1-157...

Sehr geehrter Herr <richtiger Name>,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir werden uns schnellstmöglich mit Ihnen in Verbindung setzen und Ihre Anfrage gerne beantworten. Aufgrund eines ungewoehnlich hohen Mailaufkommens lassen sich derzeit jedoch laengere Wartezeiten nicht vermeiden.

Der Siebel-Mailer hat also einen Versionssprung gemacht (oder eher: ist ein Jahr älter geworden), irgendwer hat Leerzeilen eingefügt; dass, wenn etwas über mindestens ein Jahr besteht, es ganz bestimmt nicht mehr „ungewoehnlich“ ist, ist dabei nicht aufgefallen, und auch nicht die Mischung aus echten Umlauten und Umschreibungen.

Bahncard-Sabotage

In der Mail, auf die hin die ABC-Dummy-Antwort kam, ging es übrigens um Pläne, über die ich bei Heise gestolpert bin. Offenbar überlegt die Bahn, nun auch noch mit dem Mittel der Bahncard den Menschen ihre grässliche Navigator-App überzuhelfen. Das ist keine schöne Aussicht für mich, nachdem ich schon mit dem 49-Euro-Ticket endlos Zeit mit dem Quatsch verschwenden musste – und dabei vielleicht immer noch Ärger mit Schaffnern hätte bekommen können (vgl. 49-Euro-Ticket im freiheitsfoo-Wiki).

Eine alternative Interpretation zum gewaltsamen App-Überhelfen wäre, dass die Bahn die Bahncard killen will; diese Vermutung scheint auch plausibel, weil bei den aktuellen Buchungsformular-Experimenten der Bahn auch mal Prototypen dabei waren, die zur Einstellung einer Bahncard 50 sieben Klicks verlangten. Im heutigen Prototypen zähle ich noch vier, aber eigentlich frage ich mich schon lange, warum sich das Interface die letzten Fahrtziele, aber nicht den Bahncard-Besitz merken kann.

Tatsächlich hat mich die Frage nach den Motiven der Bahn schon heute morgen bewegt, und so habe ich ein wenig in der Forumsdiskussion rumgeklickt. Auf plausible Thesen jenseits von surveillance capitalism bin ich nicht gestoßen, aber doch auf diesen Beitrag von elknipso. Ich fand ihn – ganz vorne das hier:

Smartphones sind absoluter Standard, man kann nicht bei allem auf den letzten Fortschrittsverweigerer Rücksicht nehmen.

(und seine Followups des gleichen Autors) – in seiner Ignoranz, Vermessen- und Verwirrtheit wirklich sehr bemerkenswert.

Unklare Motivationslagen

Ich könnte elknipsos Haltung, eigenes Verhalten als allgemeine Maxime zu setzen, ja vielleicht noch nachvollziehen, wenn erkennbar wäre, welchen Nutzen er von einer App-Bahncard hätte. Aber er hat, soweit ich das erkennen kann, darüber keinen Moment nachgedacht. Die Frage, ob das, was da vorgeschlagen wird, überhaupt einen Nutzen hat, und wenn ja, ob dieser Nutzen in einem irgendwie angemessenem Verhältnis zu den Kosten steht, diese Frage stellt sich ihm ganz offenbar im Zusammenhang mit einem ferngewarteten Programm („App“) gar nicht.

Sehen wir doch kurz nach: Auf der Nutzenseite ist eigentlich nur die Plastikersparnis erkennbar, und würde die Bahn einfach QR-Codes ausstellen und den Leuten selbst überlassen, wie sie die herzeigen wollen, könnte ich das gelten lassen. Allerdings ist eine Einsparung von vielleicht 10g CO₂e[1] wirklich nicht der Rede wert in einem Geschäft, in dem der Kilometer IC-Reise in der Größenordnung von 100g liegt und zumindest eine Bahncard 50 erst ab deutlich über 1000 Kilometern irgendwie lohnend wird.

Im Gegensatz dazu ist der Plan der Bahn soweit ersichtlich, wie beim 49-Euro-Ticket die QR-Codes so gut es geht in den erwähnten „DB Navigator“ einzusperren. Das sind dann 70 Megabyte Irrsinn und Tracking, die nur dazu dienen, ein Bild anzuzeigen. Na ja: das Decoding wird von der libpng des Hostsystems übernommen, und die Bildanzeige vermutlich auch von irgendwas, das nicht bei den 70 MB mitkommt; diese sind mithin nicht viel mehr als ein Symlink auf eine Bilddatei.

Angsichts solch hemmungsloser Verschwendung im „Digitalen” über Ressourceneinsparung auch nur zu spekulieren, das ist bereits jenseits von absurd. Dennoch ganz geschwind hinterher: Eine Minute Telefon mit Netz (so lang fummelt mensch dann ja doch mit dem Mist) sind auch schon in der Größenordnung 50g CO₂e, und mit dem Fußabdruck des Telefons fangen wir mal lieber gar nicht an. Nein: Ökologischer als Plastikkarte geht jedenfalls nicht mit irgendwas, das elektrisch ist.

Die neue Pflicht zum Rumfummeln

Stattdessen wäre eine App-Bahncard für relevant viele Menschen (nämlich die, die zum Kontrollzeitpunkt gerade oder grundsätzlich kein „Smartphone“ in der Hand haben) ungleich viel mehr Gefummel gegenüber einer Karte, die mensch einfach aus dem Geldbeutel zieht. Elknipso könnte sich von den Effekten dieser Sorte digitaler Fummelei überzeugen an den Eingängen der DB-Lounges, wo seit dem App-Zwang die Schlangen trotz deutlich geschrumpfter NutzerInnenzahl viel länger gewoden sind.

Wie kommt nur wer auf die Idee, öffentlich für einen so offensichtlich schlechten Deal zu sprechen? Das ist noch nicht mal dann zu erklären, wenn der Redner tatsächlich nicht begriffen haben sollte, dass auf einem „Smartphone“ jede Erwartung von Privatsphäre illusorisch ist – oder das dem Redner wurst ist: Hier ist kein Nutzen, und auch für Leute mit extern gemanagten Rechnern eigentlich nur Nerv.

Unter diesem Vorzeichen erscheint die Rede vom „Fortschrittsverweigerer“ nochmal besonders verdreht. Es ist vielleicht nicht immer ganz einfach, genau zu bestimmen, in welcher Richtung genau das Fort ist, zu dem mensch gerne schreiten möchte. In diesem Fall aber würde doch niemand außer ganz radikalen Technophoben bestreiten, dass der Fortschritt 1976 war, als mit dem Apple II sich „normale“ Menschen erstmals EDV unabhängig von großen und zentralen Infrastrukturen hinstellen konnten.

Der Rückschritt hing dann vielleicht weniger direkt an Apple. Aber die vollständig remote gemanagten und häufig wieder zu dummen Terminals degradierten Endgeräte vom iPhone-Typ, die ab 2007 die breite Mehrheit der Nutzenden wieder in die /360-Welt – nur halt etwas bunter und wackliger – zurückkatapultierten: Das war unbestreitbar ein Rollback in eine Sorte EDV, die in den 1990er Jahren für ein paar Momente lang überwunden schien.

Ich kenne elknipsos Motivationslage nicht und finde auch keine Hypothese, die erklären könnte, warum er wohl mit so einem Rant an die Öffentlichkeit ging. Doch ist seine Position ein Musterbeispiel für das, was ich in Antisprache: Digitalisierung beschrieben habe: Dass etwas mit einem elektronischen Spielzeug geht (und möglichst auch nur genau mit diesem) ist durch Verknüpfung mit einem in der einen oder anderen Weise positiv besetzten Begriff magisch der rationalen Betrachtung von Zweck und Nutzen enthoben.

Nachtrag (2024-01-29)

Nach gerade mal anderthalb Monaten hat die Bahn mit mit ein paar zusammengeklickten Marketingfloskeln reagiert. Wie üblich war jede Menge CSS-Quatsch im Text, und auch die restlichen Floskeln verdienen keine weitere Erwähnung. Aber weil ich meine Anmerkungen so geistreich finde und weil ich zweifele, dass dass das bei der Bahn jemand mit etwas Aufmerksamkeit liest, dokumentiere ich meine Antwortmail auf die Antwortmail kurz mal hier:

Liebe Mitarbeiter/in der Bahn,

On Mon, Jan 29, 2024 at 03:00:10PM +0100, kundendialog@bahn.de wrote:
> schätzen wir sehr und nehmen Ihre Kritik ernst. Der Trend in der
> Gesellschaft geht seit Jahren klar in Richtung Digitalisierung.

Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, Feedback zu Ihren Vorgesetzten
zu geben, sagen Sie Ihnen doch bitte:

  KundInnen schätzen keine zusammengeklickten hohlen Floskeln, wenn sie
  sich beschwert haben -- da ist in der Tat gar keine Antwort noch
  besser.  Ideal wäre es natürlich, wenn es ein Budget für Antworten
  gäbe, die wirklich auf die Anfragen eingehen.

Und Digitalisierung heißt nun mal nicht, es den Menschen schwerer zu
machen.  Dazu gehört für mich jedenfalls alles, was ich nicht auf
meinem Rechner machen kann oder für das ich eine Android-Emulation
brauche.  Dazu gehört doppelt alles, für das ich eine Apple- oder
Google-Id oder Apps aus schattigen Raupkopier-Stores brauche, weil
die Bahn es *noch nicht mal* hinbekommt, wenigstens f-droid zu
bespielen.

Das scheint mir bei den aktuellen Plänen erneut der Fall zu sein.
Wie kompliziert kann es sein, einen Barcode über eine Webseite
auszuliefern?

> BahnCard-Kundschaft – altersübergreifend – genutzt. Mit ihr
> profitieren Reisende von vereinfachten Prozessen. So ist die

Nein, die *Bahn* profitiert *vielleicht* von vereinfachten Prozessen.
Die KundInnen hingegen müssen eine metrische Tonne Daten an Google,
Apple, die Bahn und vermutlich einige hundert andere Unternehmen
weitergeben *und* dann noch mit wackligen Telefonen und der
regelmäßig kaputten Auth der Bahn rumfummeln, wo es vorher ganz
einfach eine kleine Karte gab, die mensch einmal im Jahr aus dem
Briefkasten ziehen konnte.

> 25/50 rein digital anzubieten. Damit profitieren BahnCard-Nutzende
> von einem rein digitalen Produkterlebnis und reisen zukünftig
> ausnahmslos klimafreundlich und plastiklos. Wenn Sie noch eine

Ich will kein "Produkterlebnis", ich will bahnfahren.

Und das ohne Apple- oder Google-Id und ohne die entsetzliche
Navigator-App.  Und zumindest *potenziell* auch ganz ohne Computer,
wenn mir mal danach ist.  Solange das geht, könnte ich ein Minimum an
Verständnis haben dafür, dass die Bahn keine Post mehr verschicken
will.

Aber bitte verschonen Sie mich mit dem "Platiklos"-Bullshit -- das
ist *völliger* Unfug (Abschützung auf
https://blog.tfiu.de/ach-bahn-teil-14-hallodummy-abc-dummy.html).
Und bitte verschonen Sie mich bei einer eventuellen Antwort mit
zusammengeklickten Pseudo-Antworten.  Dann noch lieber gar nicht.

> Frage haben, zögern Sie bitte nicht uns anzurufen. Rund um die Uhr

Oh, das habe ich in anderer Sache auch mal probiert.  Nach diesen
Erfahrungen wäre mein guter Rat, diese Zeile aus dem Antwort-Template
rauszunehmen :-)

       -- Anselm Flügel [oder sowas]
[1]Die Footprint-Schätzungen sind nach Mike Berners-Lee, How Bad Are Bananas, wobei ich für die Plastikkarte eine kräftige Plastiktüte angenommen habe.

Zitiert in: Ach Bahn, Teil 16: Rekursion in der Praxis Ach, Bahn, Teil 15: Privatsphäre ist teuer

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