Zur Erinnerung an Erich Mühsam, ermordet vor 90 Jahren

Kopf eines in Fraktur geschriebenen Artikels „Strafvollzug an politischen Gefangenen in Bayern“ von Erich Mühsam

Gestern fand in Heidelberg ein Erinnerungsabend an Erich Mühsam unter dem Titel Sich fügen heißt lügen statt. Der Anlass war nicht im eigentlichen Sinn erfreulich: Auf den Tag genau 90 Jahre zuvor hatten SS-Männer den „Dichter für Freiheit und Menschlichkeit” (und anarchistischen Aktivisten) im frühen KZ Oranienburg – zu diesen Einrichtungen siehe auch Auftakt des Terrors – ermordet.

Ich finde (eingestandenermaßen unbescheiden), es war trotzdem ein schöner und informativer Abend mit Texten, Gedichten und Liedern von Mühsam, der ihm wahrscheinlich selbst gut gefallen hätte. Mir hat er auch deshalb gefallen, weil mir Mühsams Denken und Handeln in vielerlei Hinsicht sehr modern erscheint – ebenso in der Ablehnung autoritärer Verwirrung in der Linken wie in der entschlossenen Bereitschaft, trotz solcher Grundhaltungen mit Menschen guten Willens an guten Zwecken – wozu insbesondere der Kampf gegen grosso modo Militär und Polizei gehört – zu arbeiten, ganz im Sinne der „ökumenischen Linken“, für die ich David Rovics vor drei Jahren gelobt habe.

Ich selbst habe vor allem beigetragen durch Lesungen von Extrakten aus zwei Gebrauchstexten von Mühsam. Und nachdem ich die schon mal produziert habe, dachte ich mir, ich könnte sie ja auch hier veröffentlichen, zumal mir scheint, dass zumindest im offenen Netz nirgends brauchbar ocrte Volltexte von ihnen stehen.

Strafvollzug in Bayern

Der erste Text war eine Rede, die Mühsam 1925 vor der ersten Reichstagung der „Roten Hilfe Deutschlands“ gehalten hat. Der Text passte auch, weil die Veranstaltung gestern von der modernen Roten Hilfe veranstaltet wurde, und zwar im Rahmen von deren Hundertjahrfeiern, die hier schon zuvor Thema waren.

Mühsam war gerade kurz zuvor aus einem bayrischen Knast rausgekommen, in den ihn die Behörden von Weimar wegen seiner Unterstützung der bayrischen Räterepublik von 1919 hatten stecken lassen. Der Volltext der Rede (als PDF ohne Text) ist in Fraktur gesetzt; was an daraus resultierenden OCR-Fehlern noch übrig ist, bitte ich großzügig zu überlesen. Kursiv ist im Folgenden meine Moderation.

Erich Mühsam hat 1925 auf der ersten Reichstagung der Roten Hilfe ein Referat gehalten, das zumindest im Inhalt sehr aktuell klingt, jedenfalls für Menschen, die mal in Bayern demonstrieren waren.

Genossen und Freunde! Die Tagesordnung der gegenwärtigen Versammlung, die uns zugestellt worden ist, enthält in Punkt 4, wahrscheinlich ohne Absicht der Einberufer, aber doch mit einem tiefen Grund, eine merkwürdige Unterscheidung, die sagt:

  1. der Strafvollzug in Theorie und Praxis,
  2. in Bayern.

Vieles von dem, was Mühsam im Folgenden berichtet, ist aus heutiger Sicht ein bitterer Kommentar zu all den bürgerlichen Theorien [im Blog: Exhibit 1, Exhibit 2] wie es dazu kommen konnte, dass die Deutschen praktisch ihn ihrer Gesamtheit zu FaschistInnen wurden. Wer Mühsam liest, wird sich noch mehr als ohnehin schon fragen, woher wohl das Gerede von den "Extremisten von Links und Rechts" kommt, die den blühenden Rechtsstaat Weimar demontiert hätten.

Nein, es ist eher ein Wunder, warum ein derart von rechtsradikalen Autoritären durchsetzter Apparat so lange gebraucht hat, um auch formal die Macht an eine Partei wied ie NSDAP übergehen zu lassen. Hören wir weiter Mühsam:

Ich muß mich darauf beschränken, vom Festungsstrafvollzug zu sprechen, weil ich hier aus persönlicher trüber Erfahrung sprechen kann. Was über den Strafvollzug in Zuchthäusern und Gefängnissen bekannt geworden ist aus Berichten, die mir zugingen von Leuten, die ihn selbst erlebt haben, die entweder auf die Festung zurückkamen oder mich später aufgesucht haben, das erweckt den Eindruck, als ob im Zuchthaus Straubing und in den Zuchthäusern Bayerns überhaupt gegen die politischen Gefangenen eine wahre Hölle etabliert ist und ein Verfahren, wonach die politischen Gefangenen schlimmer behandelt werden als die kriminellen, und zwar grundsätzlich.

Soweit wir erfahren konnten, wird z.B. Alois Lindner, der Erhard Auer verwundet hat, nachdem Arco Eisner ermordet hatte — und Lindners Tat war bekanntlich ehrlos, während Arcos Tat als die eines Ehrenmannes gefeiert wurde — so malträtiert, daß er zeitweilig seinen Aufenthalt in der Irrenabteilung des Zuchthauses nehmen mußte. Dagegen wird der Gefangene Makowski in einer Art behandelt, die ungefähr der Behandlung eines Hilfsbeamten gleichkommt.

Zur Einordnung: Eisner war Regierungsschef der Räterepublik, und Graf Arco hat diesen aus antikommunistischem Hass erschossen. Makowski wiederum hat als Teil der protofaschistischen Freikorps bei der Niederschlagung der Räterepublik 21 Männer niedergemetzelt, die noch nicht mal Kommunisten waren, sondern „katholische Gesellen“. Und so (wieder Mühsam) kam es,

daß das Gericht seine erste Aufgabe darin sah, festzustellen, ob die Mörder glauben konnten, Spartakisten vor sich zu haben, oder ob sie wußten, daß es sich tatsächlich um Katholiken handelte. Da man bei Makowski und Müller unbedingt zu dem Schluß kommen mußte, daß sie wußten, wer die Leute waren, bekamen sie hohe Zuchthausstrafen. Sie werden jetzt aber besonders bevorzugt behandelt. […]

Umgekehrt haben sich die Regierungen in Berlin und München besondere Mühe bei den Schikanen gegen die anderen Gefangenen, zumal solche mit linkem Hintergrund, gegeben:

Es ist in diesen Anstalten Grundsatz — ich bemerke, daß das allgemeiner Grundsatz in Bayern ist — daß die Bestimmungen, die den Verkehr mit den Angehörigen regeln, keine Gültigkeit haben auf Bräute. Die Bräute werden in Bayern nicht anerkannt, sie sind keine Verwandten, und selbst Bräute, die bereits Kinder von ihren Männern haben, und die nur aus irgendwelchen Gründen die Eheschließung nicht vollzogen haben, werden als Bräute nicht anerkannt.

Auf der anderen Seite haben wir, wenn wirklich mal von der anderen Seite einer ins Zuchthaus kommt, den Fall Zwengauer. Zwengauer ist eines Fehmemordes überführt worden. Er wurde zum Tode verurteilt und dann zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt. Er konnte aber nach ganz kurzer Zeit, nach wenigen Wochen aus der Krankenabteilung des Zuchthauses flüchten. In der bayerischen Presse hieß es: „Es hat den Anschein, als ob er mit Hilfe von Strafvollzugsorganen geflüchtet sei.“ Den Anschein hatte es für uns allerdings auch.

Von Links her ist in Bayern einem politischen Gefangenen die Flucht noch nie gelungen. Selbst die Flucht aus Festungen ist seit Januar 1921, wo es einem meiner Freunde auf dem Transport zum Zahnarzt gelang, aus dem Zuge zu springen, nicht mehr gelungen. Es wurde keiner mehr zum Zahnarzt befördert.

Mühsam kommt jetzt genauer auf seine „Festungshaft“ zu sprechen. Festungshaft war im Kaiserreich eine Art Hausarrest für Ehrenmänner – etwa welche, die sich duelliert hatten – unter einem weit großzügigerem Regime als in Gefängnis oder gar Zuchthaus. Für die linken politischen Gefangenen der Weimarer Republik änderte sich das recht schnell:

Als wir verurteilt wurden vom Stand- oder Volksgericht, da waren die Urteile, die mehr durch Glücksfall auf Festung lauteten, selbstverständlich ausgesprochen worden in der Voraussetzung, daß nunmehr auch Festungshaft vollstreckt werden würde. Bei denjenigen, gegen die man Zuchthaus wollte, wurde ausdrücklich gesagt, daß man keine Festung haben wolle, und das Strafmaß für uns andere wurde außerordentlich hoch angelegt mit Rücksicht darauf, daß die Strafe leicht zu ertragen sei. Unter dieser Voraussetzung wurden bis 15 Jahre Festung verhängt.

Da kam der Justizminister Dr. Müller (Meiningen), Demokrat in der sozialdemokratischen Regierung Hoffmann, und brachte, nachdem wir schon von Anfang an nicht in die eigentliche Festung, die dafür gedient hatte, gelegt wurden, sondern in eine Abteilung des Zuchthauses Ebracht, also in andere Räume, und nachdem uns schon von Anfang an Ausgang nicht bewilligt wurde, obwohl er zur Festungshaft gehört, nachdem uns sonst aber ein Festungsstrafvollzug, wie er üblich war, zuteil geworden war — war im August 1919 einen Erlaß heraus, den er Ausführungsbeftimmungen zur Hausordnung für Festungsgefangene nannte. Diese Ausführungsbestimmungen hoben aber die Verordnung, deren Ausführung sie auslegen sollte, absolut auf. […]

[Die bayrische Regierung kann danach] jeden Raum, der [ihnen] gefällt, dazu bestimmen. Klar ist, daß das Gesetz für die Festungsgefangenen bestimmt, daß sie in eigens dazu bestimmten, baulich dafür in Frage kommenden Räumen unterzubringen sind und nicht in Räumen, die zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen eingerichtet sind.

Das kennen wir auch heute noch, von Sicherungsverwahrung – neulich war Thomas Mayer-Falk hier in Heidelberg – und auch von Abschiebehaft und ähnlichen Übergriffen.

Ich bin darauf eingegangen, weil von hier aus die ganzen Schikanen, die ganzen Ruchlosigkeiten ihren Ausgang nahmen. Denn nicht nur, daß wir in Gefängnissen und Zuchthäusern untergebracht waren, wir wurden auch bewacht von ausgebildetem Gefängnis- und Zuchthauspersonal, die den Unterschied zwischen der Festungshaft und der Gefängnis- und Zuchthaushaft nicht machten. So geschah es und so war es auch die Absicht.

[…]

Es ist ein uraltes Prinzip des Strafvollzugs, daß bei Beginn der Strafe die Strafe schwer ist, daß die Gefangenen zuerst fest an die Kandare genommen werden und daß allmählich ein Nachlassen dieser Härten vor sich geht. Das ist ein Prinzip, wie es bisher überall im Strafvollzug festgelegt ist. In Bayern wurde das umgekehrte Prinzip gehandhabt. Es hat sich in einem Prozeß durch den Eid eines Beamten der Festung St. Georgen herausgestellt, daß ein Erlaß bestand, wonach Müller (Meiningen) verfügt hat: Die Festungshaft ist sukzessive zu verschärfen. Und die Verschärfung hat fünf Jahre angedauert.

Franz Kafkas „Prozess“, geschrieben ca. 1914, erschien gerade in den Tagen, als Mühsam seine Rede hielt. Es war Zeitgeist:

Die Verschärfungen wurden zur Kenntnis gebracht häufig einfach durch Disziplinierungen. Man wurde in Einzelhaft genommen und wußte dann, daß man das und das nicht tun darf. Fünf Jahre wurden wir so gemartert. Das war schlimmer, als alles das, was ich später nur streifen kann, da ich wenig Zeit habe. Ueberhaupt diese geheimen Verfügungen. Wir wußten nicht, was für Rechte haben wir, was für Pflichten. Ich sprach von der neuen Hausordnung. Sie hatte praktisch nur kurzen Bestand, obwohl sie schon aus der Festung Gefängnis machte. Es gibt nämlich allerhand Muß- und Kannbestimmungen. Aber alle Kannbestimmungen, die zu Ungunsten der Gefangenen bestehen, bedeuten Mußbestimmungen; alle Kannbestimmungen zugunsten der Gefangenen bestehen einfach nicht.

Mühsam erzählt nun von einem Dr. Kühlewein, der sich daran erfreute, täglich neue Geheimregeln zu erfinden, während der Landtag es ablehnte, sein Treiben zu überprüfen. Überhaupt war es mit dem Rechtsschutz nicht weit her für linke politische Gefangene (rechte gab es ja ohnehin nicht viele):

Es ist charakteristisch, daß der Staatsanwalt von Augsburg, Kraus, der die meisten Verschärfungen einführte, ernannt wurde von dem Justizminister Dr. Roth, dem Nationalsozialisten, und daß dann sein Nachfolger, der Staatsanwalt Hoffmann von demselben Roth ernannt wurde, der nunmehr den Staatsanwalt Kraus zum Oberstaatsanwalt in Augsburg und dadurch zum einzigen Beschwerdeorgan für uns ernannte. Wir mußten uns also bei des Teufels Großmutter beschweren, wenn wir gegen den Teufel etwas einzuwenden hatten, und Kraus selbst hat Disziplinarmaßnahmen verhängt nur darum, weil überhaupt jemand von dem Beschwerderecht Gebrauch machte. Er erklärte: Was ich tue, dient dazu, Ihnen Ihre Strafe als Strafe fühlbar zu machen. Von meiner vorgesetzen Behörde werde ich hierin in allem gedeckt. Ich habe keine Beschränkungen und kann machen, was ich will. Beschwerden haben keinen Zweck, denn sie gehen durch meine Hände.

Das ist auch heute nur in Ausnahmefällen mal anders im Strafvollzug, aber es ist schon ein zivilisatorischer Gewinn, dass die Zuständigen das nicht mehr so laut sagen.

[… S. 48] Diese Dinge greifen nun schon ein in eine weitere Kategorie der Strafschikane, in die Kategorie der Zensur. Ich will nicht davon sprechen, daß wir, die wir uns literarisch betätigt haben, außerordentliche Schwierigkeiten hatten, daß wir sehr viel gehindert wurden, daß wir daran gehindert wurden, unsere dichterischen Arbeiten herauszuschicken. Aber was die Briefzensur anlangt, davon macht sich der, der es nicht erlebt hat, auch keine schwache Vorstellung, wie die getrieben wurde. Wegen irgendeines Satzes, wegen irgendeines Wortes wurde der Brief einer Frau, die nur sehr schwer mit der Feder umzugehen verstand, die mit großer Anstrengung den Brief geschrieben hatte, was in der Inflationszeit auch mit hohen Kosten verbunden war, einfach zu den Akten genommen. Der Betreffende erfuhr von dem Inhalt des ganzen Briefes nicht eine Silbe. Es hieß dann, der Brief wird wegen agitatorischen oder hetzerischen Inhalts zu den Akten genommen. Mit auslaufenden Briefen ging es ebenso. […]

Es würde nie ein Ende nehmen, wenn man im einzelnen alle diese Niederträchtigkeiten aufzählen wollte. Ich habe ein Datum aufgeschrieben. Wir haben am 17. September 1923 — irgendein beliebiges Datum — gezählt. An diesem einen Tage sind bei 19 Gefangenen, die wir damals waren, sechs einlaufende und zwei auslaufende Briefe zu den Akten genommen.

[…] Daneben lief die Zensur über die Zeitungen. Die war nicht schöner. Daß die nationalistische Presse davon fast gar nicht bedroht war, versteht sich von selbst. Aber wenn ich erzähle, daß nach dem Rathenaumord im Verlauf von zwei Monaten gerade neun Nummern der dreimal täglich erscheinenden „Frankfurter Zeitung” in unsere Hände kamen, dann kann man sich einen Begriff machen. Die Liste, die ich über die beschlagnahmten Zeitungen geführt habe, ist mir abgenommen worden, sie liegt bei den Akten und bleibt dabei liegen, denn die Zensur wird fortgesetzt auch nach Beendigung der Strafe. Man bekommt aus den Akten nichts zurück und selbst der Tod hebt diese Zensur nicht auf. Die Witwe von Hagemeister hat noch heute die Briefe, die er an sie und sie an ihn geschrieben hat, und die zu den Akten gingen, nicht wieder erhalten.

Der Rathenaumord war, das nur zur Sicherheit, eine Operation der protofaschistischen Geheimorganisation Consul am 24.6.1922, der der damalige Außenminister des Deutschen Reichs (von der FDP-Vorgängerorganisation DDP) zum Opfer fiel. Fast unnötig zu erwähnen, dass Friedrich Ebert bereits am 21.7.1922 das so genannte „Republikschutzgesetz“ erließ, das die Repression gegen Linke noch weiter verschärfte.

Damals wie heute sahen die Behörden übrigens Aktivitäten der Roten Hilfe in den Knast hinein nicht gern:

[… S. 49] Das Schlimmste, was wir an Zensur erlebt haben, das war die Zensur, die unsere Besuche unter Aufsicht stellte. Wir haben gestern in den Sophiensälen ein Stück gesehen, das vielen Genossen zu Herzen gegangen ist: wie den Zuchthausgefangenen das Herz aufgeht, wenn der Genosse herein kommt und ihm die „Rote Hilfe” bringt. Ich habe mir gesagt, wenn das so ginge, daß da einer reinkommt und den Freund umarmt und aus der Tasche Zigaretten und Briefe zieht, das wäre herrlich. So geht das aber nicht. Nein, wenn unsere Frauen kamen, die wir fünf Jahre nicht unter vier Augen gesprochen haben, dann saß die Frau auf der einen Seite und der Mann auf der anderen Seite und dazwischen ein überwachender Beamter der Kriminalpolizei von München. Der Beamte überwachte die Unterredung. Und wenn auch nur eine politische Frage gestreift wurde oder über das Ergehen des Betreffenden gesprochen wurde, nämlich von den Dingen, die nun eigentlich in Niederschönenfeld [also dem Gefängnis] waren, dann wurde der Besuch abgebrochen, die Frau aus dem Hause gewiesen, der Mann in Einzelhaft abgeführt.

[…]

Charakteristisch ist ein Fall, der Ernst Toller betraf. Ernst Toller war augenkrank. Er erhielt Besuch von einer Verwandten, einer Aerztin, und es wurde ihm und ihr vorher verboten, auch nur mit einer Silbe seine Krankheit zu erwähnen. So schlimm war es zeitweilig.

[… S. 50]

Während wir diese Art von Haft erlitten, saß Arco in Landsberg — es ist bekannt, wie er es hatte, er ging auf einem Gut arbeiten. — Als Hitler kam, lasen wir zu unserem Erstaunen in den Zeitungen, daß bei Hitler politische Konferenzen der nationalsozialistischen Partei stattfanden, daß dort neue Programme aufgestellt wurden, die neue Taktik dieser Partei erörtert.

[…]

Das Beispiel des (jedenfalls, bevor die Deutschen seine Bücher verbrannten) berühmten Schriftstellers Ernst Toller und der Verweigerung hinreichender medizinischer Versorgung beschäftigt Mühsam noch länger, jenseits der Kontrolle von Besuchen und Besucher_innen:

Ich will hinweggehen darüber, daß ich zum Beispiel einmal den Vorstand und den Arzt darauf aufmerksam machte, ein junger Genosse, der augenscheinlich geistesgetrübt sei, müsse unbedingt in eine Heilanstalt überführt werden, daß ich daraufhin wegen „Einmischung” disziplinarisch bestraft wurde. Der Betreffende kam nicht in Behandlung, sondern wurde wegen seiner in offenbarer Geistestrübung begangenen Exzesse der schwersten Disziplinierung unterworfen. Und nach 8 Monaten wurde derselbe Mann von der Festung weggeholt und in eine Heilanftalt überführt. Es zeigte sich also, daß ich mit meinem Verdacht recht hatte. Ich habe dann an das Justizministerium die Frage gerichtet, was hat ein Festungsgefangener zu tun, der bei seinen Kameraden Krankheitserscheinungen sieht? Ich habe keine Antwort darauf erhalten.

[…]

Die Deals der Weimarer Justiz waren nochmal schmutziger als die, die heute so vor Gericht verhandelt werden:

Ich muß reden von der schimpflichen Beeinflussung der Gefangenen, um sie zu Spitzeln zu machen, um sie zu Horchposten an den eigenen Mitgefangenen zu machen. Das muß noch erwähnt werden. Das Bewährungsfristverfahren, das als Ersatz für Amnestie und Gnadenerlasse gilt, das ist die schlimmste Korruption, die es gibt. Es wurden den Gefangenen Hoffnungen gemacht, sie sollten denunziatorische Briefe schreiben und sie kämen hinaus, und dann kamen sie hinaus, sie wurden zu Verrätern, zu Spitzeln. Selbst verhandelt mit solchen Spitzeln, der Beweis liegt dafür vor, hat der Staatsanwalt von Augsburg, der Reichstagsabgeordnete Emminger, Justizminister des Deutschen Reiches. Er hat einem von ihnen gesagt: „Wir können Ihnen ja nicht ganz vertrauen, ob Sie die richtigen Berichte bringen“. Und erst die Ablehnung von Bewährungsfristgesuchen! Wie wurde die Ablehnung begründet? „Es ist nicht bemerkbar Reue und Besserungsvorsatz“.

Das richterliche Mäkeln an mangelnder Reue ist übrigens eine andere Kontinuität bis in unsere Zeit.

Und schließlich: Die Geschichten von Demonstrant_innen als einem marodierenden Haufen, die Städte in Schutt und Asche legt und das Wirtschaftswachstum pulverisiert, auch diese Geschichten haben eine lange Tradition:

Ich sagte schon, daß Beschwerden keinen Zweck hatten, aber eins muß gesagt werden: Das Unerhörteste, was jemals gegen Gefangene verübt wurde, war, daß die bayerische Regierung uns systematisch vor der Oeffentlichkeit verleumdet hat. Jede Beschwerde, die von uns herausging, wurde beantwortet, indem man diese Beschwerde als Verleumdungen bezeichnete, und indem man gegen uns Lügen erfand. Der Reichstag ist belogen worden, die ganze Oeffentlichkeit ist belogen worden. Ich habe in einer Denkschrift an den Justizminister von Bayern, Herren Lerchenfeld, die Behauptung aufgestellt, daß man ruchlose und nichtswürdige Lügen gegen uns ausstreue. Ich habe verlangt, man solle mich vor ein Gericht stellen. Ich wollte als Verleumder vor Gericht gestellt werden. Es ist nicht geschehen. Man ist zur Tagesordnung übergegangen. Man dachte sich, der Mann sitzt fest, aber jetzt sitze ich nicht mehr. Ueber mir zwar hängt das Damoklesschwert der Bewährungsfrist, aber ich behaupte hier öffentlich: „Herr Ministerialrat Dr. Kühlewein in München hat zu wiederholten Malen den bayerischen Landtag und die deutsche und bayerische Oeffentlichkeit bewußt belogen. Er hat zu wiederholten Malen in politischer Absicht Verleumdungen ausgestreut gegen politische Gefangene und hat sie mit den Mitteln, die ihm als Beamten zur Verfügung standen, unter Mißbrauch der Amtsgewalt gehindert, sich zu wehren. Ich nenne ihn einen Lügner und Verleumder. Ich nenne einen Lügner und Verleumder die Justizminister Bayerns, die seine Erlasse gezeichnet haben und nenne Lügner und Verleumder die Strafvollzugsbeamten, die ihm verlogenes Material geliefert haben. Ich verlange, daß man mich unter Anklage stellt und mir die Möglichkeit gibt, zu beweisen, was ich behaupte. Dann wird dieser Vortrag, den ich hier nur oberflächlich punktieren konnte, ausgiebig gehalten werden.

Gerechtigkeit für Max Hoelz!

Broschürentitel: „Gerechtigkeit für Max Hoelz“ von Erich Mühsam, erschienen im Verlag der Roten Hilfe Deutschlands, gestaltet in Schwarz und Ocker.

Ein Jahr nach dieser Rede erschien im Verlag, den die Rote Hilfe damals betrieb, die Broschüre Gerechtigkeit für Max Hoelz, in der Mühsam wortgewaltig fordert, die deutsche Justiz solle Max Hoelz freilassen, eine Art Robin Hood des Vogtlandes, der dort in den Notjahren 1919 und 1920 Umverteilungen von Lebensmitteln organisierte und Freikorps und Reichswehr, die seine Leute daran hindern wollten, erstaunlich lange Widerstand leistete.

Hier ist, was ich gestern vorgetragen habe:

Die bürgerliche Ehre, um die Sie sich streiten, habe ich nie besessen. Bürgerliche Ehre heißt für mich die Kunst, von der Arbeit anderer zu leben.

—Max Hoelz.

Lebenslänglich Zuchthaus! Wißt ihr, gute Bürger, was das bedeutet? Ahnt ihr, was es heißt, wenn ein Mensch, lebenshungrig wie ihr, strotzend [S. 6] von Kraft und Leidenschaft, durchglüht vom Verlangen zu schaffen, zu helfen, zu fördern, zu bauen, liebend und geliebt —, wenn ein solcher Mensch wie ein erjagtes Raubtier eingegittert, fern von der bewegten Welt, in fahler Zelle, bei karger, abwechslungsloser, unbekömmlicher Kost, einsam und den Launen feindseliger Menschen preisgegeben, bewacht bei der Arbeit, bei den kurzen reglementierten Rundgängen in der gar nicht frischen Luft des Gefängnishofes, immer allein und nie ganz allein — dafür sorgt das Spähloch in der Zellentür —, unfroh und tatlos verkümmern muß? Habt ihr euch schon einmal hineingedacht in das Dasein eines Mitmenschen, der das bunte Geschehen da draußen nicht mehr in täglicher Berührung mit den Dingen mitlebt, sondern aus der einzig zugänglichen, politisch gegnerischen Zeitung und der streng zensurierten Korrespondenz, die nur in langen Abständen gepflegt werden darf, zurechtkombinieren muß?, der ein liebes Gesicht, wenn er denn schon in Monaten einmal Besuch empfangen kann, nicht anders sieht als in Gegenwart eines Fremden, eines zu Argwohn Verpflichteten, der jedes geflüsterte Wort abfangen, jeden Händedruck beobachten, jeden Kuß beaufsichtigen muß? Reicht eure Phantasie zum Ermessen der seelischen Tortur eines kämpferischen Geistes, der nichts, nicht das Geringste, für sich selber bestimmen oder beschließen darf, der nicht mit seinen geplagten Nerven flüchten kann, wenn die harten Stiefel der Aufseher, die klappernden Pantoffel der im Hausdienst beschäftigten Mitgefangenen durch die hallenden Gänge lärmen, wenn mit des Dienstes ewig gleichgestellter Uhr 8 mal am Tage die Ketten, Bolzen, Riegel außen an der Tür rasseln, die klobigen Schlüssel eine halbe Minute lang in ungefügen Schlössern klirren?

[…] Phantasie, ihr Bürger! Phantasie haben heißt Mensch sein!

Ach, ich kann nicht Phantasie in die Gemüter hineinpredigen, die Recht und Unrecht nur nach Paragraphen messen, denen nur offizielle Werte gelten und die sich an der Glut heißer Herzen nicht zu wärmen wagen, ehe sie sie nicht auf ihre Zulässigkeit untersucht haben. Wäre denn der Weltkrieg möglich gewesen, wenn seine Zeitgenossen Phantasie gehabt hätten?

[…]

Denn Mensch sein heißt Revolutionär sein, und so heißt Phantasie haben, Revolution im Leibe spüren! Hunger und Obdachlosigkeit, Millionen arbeitsfreudige Hände ohne Beschäftigung, Schwangere bettelnd vor den Luxusbars, stillende Mütter im Elendenasyl und im Gefängnis, frierende Kinder, einander prügelnd um ein Stückchen trockenes Brot, Kriegskrüppel mit Kreuzen und Medaillen klappernd, um auf ihre blinden Augen, ihren im Karren rollenden beinlosen Torso aufmerksam zu machen, — könnte es das geben, wenn das Leid jedes Menschen das Leid aller Menschen wäre?

[… S.8]

Bandit! Räuberhauptmann! Blutmensch! — so hat man diesen Revolutionär auffrisiert, um ihn — wie oft hat sich dieses Mittel bewährt! — in den Augen seiner Klassenbrüder herabzusetzen. Als nach der Ermordung Rathenaus eine Amnestie für die Beteiligten an den Abwehrkämpfen gegen die Kappisten und die Aufständischen der Osterwoche 1921 die über die Hätschelung nationalistischer Verschwörer und die Kujonierung revolutionärer Proletarier empörten Arbeiter beruhigen sollte, da verlangte im preußischen Landtag der sozialdemokratische Abgeordnete Heilmann, der Intimus der Familie Barmat, daß das Straffreiheitsgesetz an einem Verbrecher wie Hoelz vorbeigehn müsse: was auch geschehn ist. (Die Amnestien dieser Republik — das wäre ein lohnendes Thema für eine eigene ausführliche Betrachtung; die zu Zuchthaus verurteilten bayerischen Räterepublikaner, auch der Rächer Kurt Eisners, Alois Lindner, warten seit sieben Jahren vergeblich auf die „Gnade“ der Bougeoisie, die sich mit monarchistischen Mördern — Graf Arco! — offen solidarisiert, mit ihren Rachemethoden gegen proletarische Kämpfer aber täglich von neuem beweist, wie richtig das Gefühl war, das diese Kämpfer zum Aufruhr trieb.) Verbrecher Hoelz! Räuberhauptmann Hoelz! Man kannte die weichen Gefühle der Armen für Max Hoelz und lenkte sie ab.

[… S. 10]

Es wird gezeigt werden, mit welch vorsichtiger Gewissenhaftigkeit gerade Max Hoelz selbst noch in den gefahrvollsten Situationen jede überflüssige Härte zu vermeiden trachtete und eine Humanität bewies, über die ein völkischer Freischärler lachen würde, Für jeden denkenden Menschen ist aber auch das klar, daß das bürgerliche Strafgesetzbuch keinen andern Zweck haben kann, als dem friedliebenden Bürger die Ruhe und Ordnung zu erhalten, in der er sich seines behaglichen Familienlebens, seines frommen Wandels bei Gebet und Spekulation und seines gegen Dietrich und Zündholz des bösen Nachbarn geschützten Eigentums an Haus und Hof, Weib und Magd, Kuh und Pferd ungeängstigt erfreuen mag. Die Strafgesetze haben Sinn und Geltung nur innerhalb einer in sich gefestigten, reibungslos funktionierenden staatlichen Gesellschaft, auf deren Grundlage und als deren Bestandteil sie erlassen sind, um die gelegentlichen minimalen Störungen, denen auch die exakteste Maschinerie ausgesetzt ist, augenblicklich abzustellen. Revolution und Bürgerkrieg sind der äußere Ausdruck eines aus den Fugen gegangenen gesellichaftlichen Gebildes. Die bürgerlichen Beziehungen, die das Strafgesetzbuch zu garantieren bestimmt ist, haben sich bereits aufgelöst; [S. 11] Anwendung seiner Paragraphen auf Tathandlungen des Bürgerkrieges kann weder Recht aufrechterhalten, noch Recht schaffen, sondern höchstens nachträglich die Macht des Siegers in Racheakten zum Ausdruck bringen.

[… S. 12]

So vollzieht sich auch vor den Schranken der politischen Strafgerichte fast immer der Kampf: der Revolutionär erkennt genau die Situation, in der er sich befindet und je nach Temperament, Belesenheit und Beredsamkeit versucht er sie auch dem Richter klarzumachen, einer in der mehr oder minder geschickten theoretischen Darstellung politischer und ökonomischer Zusammenhänge, ein anderer unbeholfen den Ausdruck suchend, der ihn dem Gegner verständlich machen könnte oder schlicht resignierend wie jener Alois Lindner, der bei der Verkündung des Urteils, mit dem ihm das Münchner „Volksgericht” für 14 Jahre ins Zuchthaus schickte, die den ganzen Jammer unserer Zustände ausschöpfenden Worte sprach: „Ich bin halt nur ein Proletarier.”

Konterrevolutionäre Reden hat noch kein Gericht der deutschen Republik von einem Angeklagten nicht mitanhören wollen. Die sehr wenigen nationalistischen Angeklagten, die aus der riesigen Fülle nationalistischer Hochverräter, Putschisten, Verschwörer und Mörder überhaupt in die Lage gebracht wurden, sich verteidigen zu müssen, konnten samt und sonders nach Belieben in patriotischen Tiraden schwelgen und stets wurde die rühmliche Gesinnung, von der die strafbare Tat geleitet war, bei der Urteilsbemessung maßgeblich in Betracht gezogen. So war die Urteilsbegründung im Prozeß des Grafen Arco geradezu ein Lobgesang auf die Motive, die ihn zum Meuchelmord beftimmt hatten; die Prozessführung gegen Hitler und Ludendorff war eine einzige Solidarisierung des Gerichts mit den Hochverrätern.

[… S. 14]

Der Vorsitzende [im Prozess gegen Max Hoelz] hätte es gar nicht nötig gehabt, den Angeklagten während einer Zeugenvernehmung als „Lümmel“ zu titulieren, oder alle Fragen des Angeklagten nach den Bluttaten der weißen Garden zu unterbinden, die absolute Unmöglichkeit, in gerechter Abwägung auch nur nach den bürgerlichen Normen des Gesetzbuches Recht zu finden, war schon durch die Beschaffung des die Anklage stützenden Materials gegeben, das Herr Braun und seine Beisitzer vor der Verhandlung hatten durchstudieren müssen.

Mag Hoelz hat ein über das andere Mal während des Prozesses die Zeugen des Staatsanwalts als gekauft bezeichnet. Herr Landgerichtsrat Braun hat sich entschieden dagegen verwahrt, als ob das Ausnahmegericht sich gekaufter Zeugen bediene, er konnte aber eine ganz ungeheuerliche Tatsache nicht aus der Welt schaffen, eine Tatsache, die in der Geschichte der internationalen Kriminaljustiz wohl ohne Beispiel dasteht und die das Zeugenmaterial, mit dem Herr Staatsanwaltschaftsrat Dr. Jäger zur Belastung des „gemeinen Verbrechers” anrückte, in einem Lichte erscheinen läßt, das die Ueberzeugung des Angeklagten, vorgefaßten Meinungen gegenüberzustehen, mindestens sehr begreiflich macht. Man hatte sich nicht damit begnügt, bevor man ihn hatte, einen Preis von hunderttausend Mark auf den Kopf von Max Hoelz auszusetzen — auch noch im Jahre 1921 ein hübsches Sümmchen Geld —, man veranstaltete nach seiner Verhaftung ein zweites Preisausschreiben. Das Polizeipräsidium, i. A. Dr. Weiß, erließ am 16. April 1921 eine Auslobung von 50000 Mark für Aussagen, die zur Verurteilung von Max Hoelz führen würden.

[… S. 17] Wer sich etwa mit Berichten melden will, die die Unschuld des Gefangenen glaubhaft machen können, soll sich den Weg sparen: er kriegt keinen Pfennig; 50 000 Mark hingegen demjenigen, dessen Aussagen „zur Verurteilung von Max Hoelz führen”! Ein tolles Verfahren, ein abenteuerliches Unternehmen!

[… S. 18] Die Freunde von Max Hoelz legen keinen Wert darauf, ihn als Paradepferd vor unserem Agitationswagen aufzuzäumen. Wir wollen ihn [S. 19] frei haben! Aber die herrschende Klasse und ihre Regierung mag sich gesagt sein lassen, daß wir, solange dieses Ziel nicht erreicht ist, die Trommel für Max Hoelz rühren werden, bis unser Lärm die Einsicht erweckt haben wird, daß der gefangene und gemarterte, der zu Unrecht als Verbrecher verlästerte Revolutionäre wirksamer für seine Idee zu werben vermag, als er und wir zusammen, wenn ihm kein Recht geworden ist!

Mühsam erzählt im Folgenden viel von den Handlungen von Hoelz, der in der kleinen Industriestadt Falkenstein im Vogtland im Krisenjahr 1919 praktische Umverteilung organisiert hat, etwa durch Beschlagnahme von Hamsterware. Das lässt die Zentralgewalt, also das Ebert-Kabinett, das sich schon Ende 1918 gegen SozialistInnen und für den reaktionären Apparat der Monarchie entschieden hatte, nicht ruhen:

[S. 22] Als Noske erfuhr, was alles Schreckliches passiert war, daß bei einer Demonstration der Herr Bürgermeister mitmarschieren und für seine Sünden gegen die Arbeiterschaft Abbitte leisten mußte — wie grausam! Proleten werden im umgekehrten Fall doch nur ins Zuchthaus gesteckt! —, da ließ er am 3. Juni 800 Weißgardisten in Falkenstein einrücken. Die Losung hieß: Max Hoelz muß um jeden Preis zur Strecke gebracht werden! Seine Wohnung wurde umstellt, das Haus unter Gewehrfeuer genommen und endlich gestürmt. Der, den man suchte, sah von einer Anhöhe bei der Stadt den Heldentaten der Noskiden zu, die ihm, wie erwiesen ist, das Schicksal derer zugedacht hatte, die „auf der Flucht” umkamen. Einige Tage später stand Hoelz vor dem Rathaus dem Beauftragten des Ministeriums und einem General gegenüber und forderte die Freilassung seiner verhafteten Kameraden. Die angesammelte Menge von etwa 6000 Arbeitern schützte ihn nicht nur vor jeder eigenen Gefahr, sondern gab seiner Forderung so viel Nachdruck, daß die Gefangenen tatsächlich freigegeben werden mußten. Das Ende vom Liede war natürlich in Falkenstein dasselbe wie überall: Noskes Waffen triumphieren über die Sehnsucht der Hungrigen. Max Hoelz mußte flüchten, hinter ihm her jagt der Steckbrief — besondere Kennzeichen: lange Haare! — und eine Kopfprämie von 2000 Mark. Der Reichswehroberst, der die Falkensteiner Aktion leitet, öffnet eines Tages ein Kuvert und zieht einen Zettel aus dunklen Haarbüscheln heraus; er liest: „Hier sind die langen Haare des Hoelz, die ihn verraten sollen, suchen Sie sich den Kerl dazu!”

So viel zu und von Mühsam. Aus gegebenem Anlass möchte ich dem einen technischen Anhang beifügen.

OCR von Frakturschriften mit tesseract

Mir war ziemlich schnell klar, dass ich zum Kürzen eine Fassung der Texte brauchen würde, die ich editieren kann. Wie oben schon angedeutet, gibt es dabei eine Komplikation: der Kram ist in Fraktur gesetzt. Mein Standardprogramm für OCR, tesseract, kommt damit überhaupt nicht zurecht. Außer, mensch lehrt ihm Frakturschrift. Dann kommt es immerhin schlecht mit Fraktur zurecht, oder jedenfalls mit der in diesen Dokumenten verwendeten Fraktur. Und das ist viel besser als gar nicht.

Was ich gemacht habe:

  1. Ich habe ein Frakturmodell der Uni Mannheim (ich glaube, einfach die neueste Datei mit der Erweiterung .traineddata, die da rumlag) gezogen.
  2. Ich habe mit den tesseract-Optionen rumgespielt, die erlauben sollen, den Pfad zu den trainierten Daten einzustellen. Und habe mich geärgert, ohne viel zu erreichen.
  3. Schließlich habe ich die traineddata-Datei einfach manuell nach /usr/share/tesseract-ocr/5/tessdata/Fraktur.traineddata kopiert.

Und damit hat tesseract -l deu+Fraktur cur.pnm current tatsächlich etwas nach current.txt augegeben, das gegenüber Abtippen einen klaren Vorteil bot. Und auch wenn das bestimmt noch viel besser gehen würde, selbst ohne Wechsel der Maschinerie, war das Ergebnis mit den aktuellen Trainingsergebnissen aus Mannheim für dieses Mal gut genug.

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