Die 5-Prozent-Hürde illustriert

Geteiltes Bild: Links ein gammeliger, zwischen zwei Autobahn-Fahrspuren eingeklemmter Weg mit Fahrradfreigabe, rechts ein großzügiger, zweispuriger Fahrradweg, der in gebührendem Abstand von lärmenden Autos geführt wird.

Hilft die 5%-Hürde beim guten Regieren? Fahrradwege entlang von Autobahnen als Test: Links die BRD mit 5%-Hürde, rechts die Niederlande ohne. Sucht euch aus, was ihr lieber hättet.

Auch wenn ich beispielsweise die 5%-Hürde schon rein informationtheoretisch wirklich bitter finde, glaube ich eigentlich, dass das Wahlrecht etwa im Vergleich mit dem aktuell viel stärker bedrohten Versammlungsrecht für eine partizipative Gesellschaft relativ nebensächlich ist.

Doch da bei Wahlrechtsdiskussionen hierzulande regelmäßig eher gefährlicher Unsinn vorgebracht wird wie etwa in Ramaz' Einwurf auf der taz-LeserInnenbriefseite vom 22.3.2023,

Aus der Weimarer Zeit hat die BRD gelernt, das eine 5-Prozent-Hürde gesund für ein ordentliches Arbeiten ist,

kann ich schon wieder nicht an mich halten.

Nein, die Weimarer Republik scheiterte genausowenig an einem „zersplitterten“ Parlament wie an der Inflation. Ich darf mich aus dem verlinkten Post selbst zitieren, weil der Punkt so zentral ist in Zeiten, in denen reaktionäre und autoritäre Versatzstücke weit über das AfD-Milleu hinaus hegemonial sind:

Die NS-Herrschaft war kein Unfall, keine Folge von „wachsender Zerrissenheit der Gesellschaft“ oder gar der bolschewistischen Sowjetregierung. Nein, sie war offensichtlich Folge der Tatsache, dass die Eliten der Weimarer Republik in Justiz, Polizei, Militär, Wirtschaft und zu guten Stücken auch Politik (nicht jedoch in der Kultur) in ihrer überwältigenden Mehrheit völkisch, nationalistisch, autoritär und jedenfalls rabiat antikommunistisch dachten. Sie teilten das NS-Programm – eingestandenermaßen fast durchweg mit weniger eliminatorischem Antisemitismus – von Anfang an. Das war und ist eine unbequeme Wahrheit für die Befreiten von 1945 und danach, die sich ja sehr häufig in der Tradition dieser Eliten sahen.

Wer das illustriert sehen möchte, kann ein wenig über Alfred Hugenberg – nebenbei: Alumnus der Uni Heidelberg – nachlesen oder die Entscheidung des ersten Reichspräsidenten, Friedrich Eberts – nebenbei: Sohn der Stadt Heidelberg – erwägen, schon ganz am Anfang der Repulik lieber die protofaschistischen Freikorps die Spartakusaufständischen niedermetzeln zu lassen als mit letzteren zu versuchen, die Schaltstellen der Macht in der Weimarer Republik den Kaiserreich-und-danach-Fans zu entwinden[1].

Oh, und alles rund um Emil Julius Gumbel herum – nebenbei: rausgeworfen von der Uni Heidelberg – ist ebenfalls sehr aufschlussreich im Hinblick auf die tatsächliche Genese der Herrschaft des NS-Faschismus.

Nein: die 5%-Hürde ist keine „Lehre aus Weimar“. Sie ist schlicht Ausdruck einer autoritären Sehnsucht nach einer starken Regierung. Die kann mensch schon haben, ohne gleich Faschist zu sein. Nicht statthaft ist aber, eine Abneigung gegen die antipartizipative Regelung als „irgendwie Richtung Nazis“ zu diffamieren. Ausweislich des Aufmacherfotos gilt, wenn schon: Ohne 5%-Hürde macht Radfahren mehr Spaß. Also… vielleicht. Jaja, das ist schon ein kleines Sample, aber es ist immerhin schon größer als das, das die Geschichte von „mit 5%-Hürde wäre nichts aus der NSDAP geworden“ stützen könnte.

Ich jedenfalls bleibe bei meiner Anti-5%-Parole von hier: Weniger und besser regieren ohne die 5%-Hürde.

[1]Eine grundsätzliche Reduzierung von Machtausübung wäre natürlich noch besser gewesen, aber das ist von SozialdemokratInnen eingestandenermaßen nicht zu verlangen.

Zitiert in: Zum Tag der politischen Gefangenen: Weimar und die wehrhafte Demokratie

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