Antimonarchistische Aktion: In Zukunft „Baiern“ sagen

Nach Maßstäben eines entschiedenen Antimonarchisten konnte ich bisher relativ viel anfangen mit König Ludwig I von Bayern – immerhin hat er dem Land eine (wenn auch ziemlich lausige) Verfassung gegeben.

Vor allem jedoch hat er in meiner bisherigen Erzählung im Jahr 1848 für eine leidenschaftliche Affäre mit einer recht resoluten Tänzerin („Lola Montez“, die „Ohrfeigen verteilte und eine Pistole zog“) seine Krone weggeworfen. Das hat selbstverständlich der Freiheit seiner Untertanen nicht viel geholfen – keine Überraschung: „Es rettet uns kein höhres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun“ –, aber in diesem Film war es eine wirklich große und stilvolle Geste.

Ernüchterung in der Ausstellung

Meine Ludwig-Toleranz hat etwas abgenommen, seit ich vorgestern mit meinem Museumspass die Ausstellung über Ludwig I im historischen Museum der Pfalz[1] in Speier angesehen habe. Ein Minuspunkt dabei war die Kiste, nach der Baiern (und auch Speier) mit y zu schreiben sei. In den Worten Ludwigs:

Faksimile einer in einer etwas krakeligen und unleserlichen Schrift verfassten Note.

Der Grund fürs y in Baiern: „Ich will ferner, daß wo der Name Bayern vorzukommen hat, er wie es eben von mir geschah geschrieben werde, nämlich mit einem y statt i – 20. Oktober 1825 Ludwig.”

Nicht, dass ich etwas gegen kreativen Umgang mit Sprache hätte oder gegen radikale Eingriffe in die Orthografie, im Gegenteil: Würde Ludwig das heute schreiben, wäre ich der erste, der ihn wegen seines „daß“ reaktionärer Tendenzen verdächtigen würde.

Politische Rechtschreibung

Die Konfusionierung der Orthografie durch willkürliche Abweichungen vom Lautprinzip jedoch ist schon für sich blöd. So richtig blöd wird sie dann, wenn sie aus kreuzdummen Gründen passiert. Und das ist nicht nur beim „Thron“ der Fall, sondern unzweifelhaft auch hier: Ludwig I begeisterte sich damals nämlich für das sinnlose Gemetzel des griechischen „Freiheitskriegs“, den ich am Ende meines Chios-Posts wie folgt eingeordnet habe:

Aus heutiger Sicht wird wahrscheinlich niemand bestreiten, dass das alles Quatsch war. Für die Griechen bestand ihre „Freiheit“ aus einem bayrischen König, der „Griechenland“ zwar exzessiv „liebte“, 1862 aber von einem britischen Schiff evakuiert werden musste, weil seine Machtbasis komplett erodiert war und schon wieder Aufstand herrschte. Sein letzter Nachfolger schließlich ging 1968 unter, als er selbst einen Militärputsch plante, ihm andere Militärs aber zuvorkamen.

Die sinnlosen Ypsilons des ersten Ludwig Wittelsbach nun sollten eine Art „stand with Greece“ ausdrücken, ein wenig wie Lord Byrons Märtyrertod in gleicher Sache, nur etwas weniger tödlich und vielleicht einen Hauch weniger albern. Letzteres ist einzuräumen, war doch des Königs Begeisterung für diese Sorte Freiheit aus seiner Sicht sogar verständlich. Dies jedenfalls in der Rückschau, denn Ludwig konnte im Endspiel um die Macht in Griechenland einen seiner Söhne als griechischen König installieren (wenn auch vor allem, weil sich die Großmächte erster Klasse beim Aufteilen des osmanischen Kadavers gegenseitig blockiert haben).

Um welche Sorte Freiheit es dabei ging, mag auch hervorgehen aus der Tatsache, dass Ludwig wenige Jahre nach seinem y-Stunt die 1832 in Hambach (sein Territorium, und er hat seinen Altersruhesitz auch gleich in der Nachbarschaft errichten lassen) feiernden NationalistInnen mit Feuer und Schwert verfolgen ließ und bei der daraufhin etablierten Zentralbehörde für politische Untersuchungen fleißig mitspielte.

Klar: in Zeiten des zweiten Krimkriegs können wir kaum mit Steinen werfen, wenn Freiheitsgetöse aus HerrrscherInnenmund zusammengeht mit Waffenhandel, Patriotismus, Heldenkult, unfähigen Statthaltern, und natürlich Aufrüstung sowie Grundrechtsabbau im eigenen Land. Aber deswegen müssen wir noch lange nicht patriotisch-pathetischen, romantisch-verlogenen Unfug in alle Ewigkeit weitermachen.

Lasst uns deshalb einen kleinen Teil der nächsten Rechtschreibreform vorwegnehmen und „Speier“ und „Baiern“ schreiben. Zwei Fallen weniger in der verrückten deutschen Orthografie!

Ludwig liebt Lyrik

Was habe ich noch gelernt über den ersten Ludwig Wittelsbach? Nun, vor allem, dass sich seine Lyrik zumindest von der der Vogonen positiv abhebt. Die Ausstellung illustriert das nicht ohne etwas feine Ironie so:

Spot-erleuchtete Buchstaben an der Wand: „Die Nonne in Himmelsforten“ von Ludwig I: „Ach! Die Zelle/Wird zu Hölle/Wenn das Herz erglüht/Wer in Mauern muss vertrauern/Wenn die Liebe blüht“

Heinrich Heine, treffsicher wie immer, konterte das mit:

Herr Ludwig ist ein großer Poet,
Und singt er, so stürzt Apollo
Vor ihm auf die Kniee und bittet und fleht:
Halt ein, ich werde sonst toll, o!

Außerdem verliert meine Version des Mit-Lola-Montez-Durchbrennens etwas an Überzeugungskraft, wenn die Ausstellung seinen Rücktritt eher darstellt als beleidigten Rückzug, weil ihm der revolutionäre Pöbel von 1848 schlicht immer mehr konstitutionelle Fesseln anlegen wollte. Ich muss den KuratorInnen zugestehen, dass ihre Version glaubhafter ist als meine, die irgendwo zwischen Roman Holiday und Robin Hood zu liegen kommt. Aber natürlich ist sie wirklich nicht dazu angetan, mein antiautoritäres Herz zu bewegen.

Nicht ganz erwartet hatte ich die Dichte von Bezügen auf Heidelberg im Leben von Ludwig I; so verbrachte er Teile seiner Jugend im heutigen Heidelberger Stadtteil Rohrbach. Wie viele biographische Details führt die Ausstellung das durch recht nett zusammenfingierte königliche Tagebücher zum Selbstblättern ein. Der Band zu Kindheit und Jugend Ludwigs legt ihm neben Träumen von Rohrbach auch revanchistische Gefühle im Hinblick auf die rechtsrheinische Pfalz – ein ehemals bairisches Territorium, mit dem Napoleon in Ludwigs Jugend den Markgraf von Baden entlohnt hatte – in den Mund („an Baden verloren“). Irgendwann muss ich mal mehr recherchieren über alte Feindschaften zwischen (den Herrschern von) Altbayern und Baden.

Auch kaufte Ludwig W. 1827 die Kunstsammlung der Gebrüder Boisserée, die diese in der späteren Heidelberger Gestapo-Zentrale (und dem heutigen germanistischen Seminar) zusammengetragen hatten, und schuf so den Grundstock der alten Pinakothek in München.

In einem Schritt ins 20. Jahrhundert

Weiter hat er das „Ludwig“ zum Namen „Ludwigshafen“ von Heidelbergs schmutziger – größtes Chemiewerk Europas – Schwester im Rhein-Neckar-Raum beigesteuert; vorher hieß der Ort „Rheinschanze“ und war eine Art Mannheimer Brückenkopf am Westufer des Rheins. Allerdings gehörten zu der Zeit beide Ufer auch noch dem gleichen Herrn, eben dem Pfalzgraf bei Rhein, als dessen Erbe Ludwig sich verstand.

Und, etwas entfernter von sowohl von Ludwig I als auch von Heidelberg: Das historische Museum der Pfalz in Speier selbst verdankt seine Existenz einem Sohn Ludwigs, nämlich dem „Prinzregenten“ Luitpold, der regierte, weil nach dem spektakulären Abgang von Ludwigs Enkel Ludwig II (der mit Neuschwanstein und dem fatalen Bad im Chiemsee) in der Thronfolge ein weiterer Otto Wittelsbach (nicht der, den die Royal Navy aus Griechenland evakuiert hat) dran gewesen wäre. Otto W. allerdings war aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 geistig ziemlich derangiert zurückgekommen (was ihn ehrt) und konnte daher zwar König sein, aber dennoch nicht regieren.

Tatsächlich wird der Initiative des Ludwig-Sohns seit jeher auf dem Haus gedacht; es ist mir nur vorgestern zum ersten Mal richtig aufgefallen:

Teil-Außenansicht des historischen Museums; auf einer Sandsteinmauer hängt eine Werbefahne für die Ludwig-Ausstellung, links daneben in Gold in die Wand eingelegt: „Regnante Luitpoldo Princ Reg Bav Exstructum AºMDCDVIII”

Die Jahreszahl 1908 auf der Bauinschrift ist übrigens kein Scherz. Ludwigs Gattin Therese von Sachsen-Hildburghausen (die von der Oktoberfestwiese) hat Luitpold zwar schon 1821 zur Welt gebracht, dieser konnte aber tatsächlich 1908 noch Richtfest in Speier feiern. Er starb erst 1912 – eigentlich erstaunlich für ein Kind des Königs, der gerade so nicht mit Lola Montez durchgebrannt ist.

Letzte Ergänzungen