Im Hambacher Schloss

Playmobil-Diorama des Hambacher Festes

Mein Highlight der Hambacher Ausstellung: 1832 als in Playmobil ausgeführtes Diorama. Ich weiß nicht, ob ich die visuelle Ähnlichkeit zu den Kola-Puppen von neulich irgendwie interpretieren soll.

Zumindest für ein paar Jahre noch dürften viele mit den Schlagworten „Hambach“ und „Demokratie“ eher die Verteidigung des Hambacher Forsts gegen Polizei und RWE von 2019 assoziieren als das Hambacher Fest von 1832 – es handelt sich um zwei ganz verschiedene Hambache –, aber für die Selbsterzählung der Bundesrepublik Deutschland wird letzteres wohl wichtiger bleiben, schon aus Gründen des Fahnenschwingens, denn dort wurde die Farbkombination Schwarz, Rot, Gelb (in dieser Reihenfolge, und original tatsächlich mit der Schmuckfarbe Gold) kanonisiert.

Der physische Beleg dafür liegt in einer Ausstellung im Hambacher Schloss, einer in einigen Tranchen teilrekonstruierten Burgruine ein paar Kilometer außerhalb von Neustadt an der Weinstraße: Die Fahne, die 1832 an den Turmresten flatterte, gibt es noch, und sie ist dort lichtgeschützt zu bewundern. Wobei, na ja, „geben” schon ein starkes Wort ist, denn das Rot ist inzwischen eher so ein Weiß mit Rosastich, und das goldfarbene Gewebe ist erkennbar am Zerfallen. Nur die Warnung an die Nachbarn ist noch gut lesbar: „Deutschlands Wiedergeburt“.

Sechs Euro Fünfzig und dann nur ein Stockwerk

Ich habe mich davon letztes Wochenende überzeugen können, denn auch diese Ausstellung ist mit Museumspass kostenlos zu besichtigen; die 6.50 Euro, die ansonsten fällig werden, dürfte sie nach meiner Einschätzung nur extremen FahnennärrInnen wert sein. Zunächst nämlich hat die Ausstellung (ein Stockwerk) schlicht nicht die Fläche für 6.50 Euro, zumal der größere Teil (zwei Stockwerke) des rekonstruierten Gebäudes derzeit für Feiern aller Art verwendet wird – als ich da war, sammelte sich gerade eine Hochzeitsgesellschaft.

Foto eines eigenartigen Hauses, dessen Dach aus dem gleichen Stein gemacht zu sein scheint wie seine Mauern.

Was wollte uns der_die ArchitektIn sagen, als er_sie das „Besucherhaus“ (deren Begriff) der Demokratiegedenkstätte wie einen Bunker gestaltete?

Vor allem aber stehen im Wikipedia-Artikel deutlich mehr nützliche und beeindruckende Informationen zum Hambacher Fest, und in jeder Zweigstelle von Landeszentralen für politische Bildung viel mehr nützliche und beeindruckende Informationen zu den Themen der damaligen TeilnehmerInnen (Pressefreiheit, Nation, Rechtsstaat, eventuell sogar Partizipation). Was in Hambach gezeigt wird, bleibt hingehen enttäuschend oberflächlich und, für eine Gedenkstätte dieser Art schlimmer, unkritisch.

Dabei ist selbstverständlich zu begrüßen, dass sich die BRD (nicht nur) an diesem Ort mehr auf das eher gemütliche Hambacher Fest beruft als auf das rasend nationalistische Bücherverbrennungs-Spektakel Wartburgfest 15 Jahre zuvor; in Hambach brannte nichts, und das antifranzösische und antisemitische Sentiment von der Wartburg wäre in der vergleichsweise liberalen Rheinpfalz auch deshalb kaum durchzuhalten gewesen, weil der Ehrengast, Ludwig Börne, nach der 1830er-Revolution nach Paris gezogen war und dem jüdischen Ghetto in Frankfurt entstammte. Eingestanden: er hatte sich bereits 1818 taufen lassen und wäre damit wahrscheinlich bei den Wartburg-Feiernden noch so eben durchgekommen[1].

Vorlagen der Museumspädagogik liegengelassen

Dass Börne beim Hambacher Fest als Hauptredner auftrat, würde ich aus Aufklärungsperspektive ohnehin als ausgesprochen gutes Zeichen werten, hatte er sich doch mal verlauten lassen mit:

Es fließt ein Blutstrom durch achtzehn Jahrhunderte und an seinen Ufern wohnt das Christentum.

Dass ein liberaler Aufklärer dieses Kalibers bei einem „deutschen Mai“ (so Hauptorganisator Philipp Jakob Siebenpfeiffer) umjubelt war, führt nicht nur die Ausstellung auf die segensreiche Wirkung der französichen Herrschaft in den linksrheinischen Gebieten (also auch der Rheinpfalz) zurück, die ihnen in den Jahren vor Napoleons Fall 1815 in den Worten der Ausstellung einen „Entwicklungsvorsprung“ im Hinblick auf Freiheit und Menschenrechte gegeben hat. Bedauerlicherweise kamen die KuratorInnen aber dennoch nicht darauf, die bizarre (wenn auch erstaunlich übliche) Rede von den „Befreiungskriegen“ für die Restitution der reaktionären Regierungen im Europa nach Napoleons Russlandfeldzug in Frage zu stellen.

Was waren das also für Leute, die einen Gottseibeiuns wie Börne gefeiert haben? Am Anfang der Ausstellung hat mir ein museumspädagogischer Move der Hambacher KuratorInnen Hoffnung auf eine unterhaltsame und relevante Behandlung dieser Frage gemacht. Es werden nämlich gleich hinter dem Eingang der Student August, die Winzertochter Anna, die Bürgerin Katharina, der Arzt Heinrich und der Journalist Johann als BesucherInnen des Fests vorgestellt. Damit hätte mensch die Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen der BesucherInnen illustrieren können, die ja jenseits der Erwartung, irgendeine Sorte „Deutschland“ könne ihr Lage verbessern, wenig einte.

Leider jedoch lassen die AusstellungsmacherInnen die Figuren im Wesentlichen nur mit mehreren Stimmen eine gemeinsame Geschichte erzählen, eben die vom Fest für „Freiheit“ und „Vaterland“ – dass diese Wörter nach Schicht und politischer Orientierung ganz verschiedene Bedeutungen hatten und haben, sollte ehrliche politische Bildung gerade an so einem Platz eigentlich nicht unterschlagen.

Kontinuitäten der Machtausübung

Umgekehrt hätten manchmal Brücken ins Heute den Jubel dämpfen sollen. Nehmt zum Beispiel das fürchterliche Schwert, das irgendwelche Leute aus Frankfurt mitgebracht hatten, um es dem Mitorganisator Johann Wirth zu verehren. Die Gravur „Vaterland – Ehre – Freiheit“ auf der Klinge hätte einen prima Anlass geboten, die düstere Rolle der Studentenverbindungen (Wirth gehörte selbst der Erlanger Arminia an) schon damals, noch mehr aber später[2] zu beleuchten. Zur Einordnung von Wirth mag seine Ablehnung der klassischen Kokarde in Blau-Weiß-Rot – sachlich ein Bekenntnis zur Freiheit, Gleichheit und Solidarität der französischen Revolution – helfen; stattdessen sollten die Leute das nationale Schwarz-Rot-Gelb tragen, wie es heute im „Besucherhaus“ verkauft wird:

Kokarden mit gelben Kern, dann ein roter und außen ein schwarzer Ring, in einem durchsichtigen Verkaufseimer.

Selbst wenn Mut oder Möglichkeit so einer Ausstellung zu einer profunden Kritik des Verbindungswesens nicht reicht, könnte sie zumindest zur Einordnung gesellschaftlicher Kontinuitäten und Diskontinuitäten anmerken, dass Menschen heute schon wegen §2 (3) Versammlungsgesetz mit Strafverfahren überzogen werden, wenn sie bei vergleichbaren Gelegenheiten Schwimmbrillen dabei haben, von anderen Alltagsgegenständen wie einem Opinel ganz zu schweigen. Mein Rat an die KuratorInnen wäre, an den Leuchtkasten mit dem Schwert einen launigen Schriftzug anzubringen, etwa:

PSA: Bringt heute lieber keine Schwerter mehr zu Demos mit.

Ähnlich aufschlussreiche Parallelen zu heute hätten sich angeboten im Fall der Verbotsverfügung fürs Hambacher Fest, die ausführte, das Fest strebe nach der Auflösung der herrschenden Ordnung. Ähnliche Anordnungen nach §15 Versammlungsgesetz ergehen immer noch, wobei die Schwelle inzwischen niedriger liegt, denn verboten werden kann eine Versammlung, „wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.“

Eine Parallele, die ich besonders gerne gezogen sähe, geht von diesem Exponat:

Foto eines großen, dicken Buchs mit handschriftlichen Einträgen

zu Einrichtungen wie dem Informationssystem Innere Sicherheit (dessen Name bis vor einigen Jahren gerne mal als ISIS abgekürzt wurde) des BKA. Im ISIS verwalten die deutschen Polizeien rund hunderttausend (Stand 2019; 2011 waren es eher noch 85000) Menschen, die die Beschreibung des gezeigten Buchs in der Ausstellung als „politisch auffällige Personen“ klassifiziert.

Das Buch wiederum ist ein Verzeichnis von aus heutiger Sicht bescheidenen 1'867 „Extremisten” (wie diese politisch aufälligen Personen heute genannt werden), die die Frankfurter „Zentralbehörde für politische Untersuchungen“ in den Jahren 1833 bis 1838 in feiner Kurrentschrift zusammentrug. Dass sie damit im Jahr nach dem Hambacher Fest anfing, ist sicher kein Zufall – und leider auch nicht, dass sie 1838 wieder aufhörte, denn soo viel gab es im Vormärz wohl trotz allem nicht zu beobachten.

Ein Psychotest für Untertanen

Es sei den aktuellen Regierungen nachgesehen, dass sie in Hambach lieber jubeln und fahnenschwenken wollen als über Kontinuitäten von Machtausübung zu philosophieren. Dann aber wärs schon besser, das nicht in einen Kontext von Demokratie (jetzt im Sinne von Partizipation und nicht von Volk und Herrschaft) und Freiheit zu stellen. Ganz schlimm wird das im Nebenzimmer des Schwert- und Fahnenraums, in dem sich BesucherInnen anhand von einer Art begehbarem Psychotest in Bürgertypen einordnen sollen. Das Schlimme daran ist, dass die partizipativste Antwortoption in der Regel nicht mehr als ein Appell an die Obrigkeit ist.

Zum Beispiel wird die Situation beschrieben, dass am Rande einer Demonstration TeilnehmerInnen JournalistInnen bedrängen. Die natürliche Verhaltensweise, nämlich nachzufragen, worum es geht und so oder so deeskalierend einzugreifen, kommt gar nicht vor – als einzige Interventionsmöglichkeit bietet die Ausstellung an, eine Anzeige bei der Polizei zu stellen. Denunziantentum als musterdemokratisches Verhalten zu loben: Das ist schon ein starkes Stück.

Oder nehmt das hier:

Foto einer Pychotestfrage: ein Kulturzentrum soll abgerissen werden, mit Optionen "zum Stadtrat gehen", "eine Petition unterschreiben" und "nichts machen".

Wie wäre es denn mit einem Szenario „das Haus besetzen”? Oder vielleicht, des Dynamikumfangs wegen, „den Stadtrat stürzen“? Oder „an Abrissmaschinen festkleben”? Ah, nee, dafür ist der Psychotest zu alt. Mag sein, dass das alles zu partizipativ für einen autoritär gebürsteten Demokratiebegriff ist, aber irgendwas, das nur annähernd Agency, meinetwegen „Selbstwirksamkeit“ außerhalb eines Obrigkeit-Untertanen-Verhältnisses anbietet, wäre schon recht gewesen in einer Gedenkstätte für einen (wenn auch kreuzbraven) Aufstand. Also vielleicht: „Ich spreche mich mit Nachbarn ab und melde eine Demonstration an“?

Erst mal die Bahnsteig^WVerpflegungskarte kaufen

Dazu passt ganz gut, dass die Ausstellung ebenfalls nicht die Geschichte erzählt, was aus dem Impetus des Hambacher Festes wurde. Während nämlich alles in patriotischem (und vielleicht auch etwas freiheitlichem) Taumel war, begannen die wichtigen Männer der Bewegung noch in Neustadt die nächsten Schritte zu diskutieren, was die Wikipedia jetzt gerade so zusammenfasst:

Die Schlussabstimmung zur Frage, ob eine Konstitution aus sich selbst heraus die Kompetenz hätte, im Namen von ganz Deutschland eine Revolution zu beginnen, ließ die Bemühungen jedoch scheitern, da keine Einigkeit zustande kam.

Das passt sehr gut zu einem Exponat, das ich irgendwann mal einsetzen möchte mit Referenz auf eine Wladimir „Lenin“ Uljanow zugeschriebenen Sentenz, die Deutschen würden sich erstmal eine Bahnsteigkarte kaufen, bevor sie bei der Revolution den Bahnsteig stürmen (na gut, vielleicht hat er nichts dergleichen gesagt, aber wenn es erfunden ist, passt es jedenfalls prima zum Zitat oben). Nun – warum warten?

Reproduktion eines Billetts „Karte zum Mittagsmahl beim Maifest auf dem Hambacher Schloss am 27ten Mai 1832“

Zugabe!

Wie üblich habe ich noch zwei Tipps fürs Nachprogramm: Die Altstadt von Neustadt ist trotz eines großen Abrissprogramms in den 1970er Jahren, in dessen Rahmen sogar der Speyerbach verdolt wurde, allerliebst, und sie enthält einen letzten Rest des vom Anarchisten Horst Stowasser angeleierten Projekt A. Das hatte das Städtchen in den 1990er Jahren zu einer Art Modellversuch in der Umgestaltung der Gesellschaft machen wollen.

Ich war im August 1996 zu Gast in Neustadt und damals sehr beeindruckt ob der lebendigen, na ja, „Alternativszene“ in der Provinz. Allein, die Leute haben sich dann recht schnell zerstritten (also gut: ich verkürze das jetzt etwas). Es gibt aber noch Spuren bei geo:49.35440,8.13919?z=19:

Hauswand mit Transparent, das z.B. einen Kulturverein Wespennest, eine Herberger für reisene Gesellen, einen Friseursalon und das Anarchiv bewirbt.

Auf dem Weg zwischen Bahnhof – übrigens: die Bahnstrecke Mannheim-Neustadt ist nur 25 Jahre nach dem Hambacher Fest in Betrieb gegangen – und Wespennest könnt ihr noch bei der Alten Post vorbeischauen. Dort hat, so ist auf einer Tafel vor Ort zu lesen, der erwähnte Ludwig Börne während des Hambacher Festes logiert. Und dort hat ihm doch irgendein kleiner Gauner die Taschenuhr geklaut, was offenbar viel Empörung im Städtchen verursacht hat. Heute hat, und das ist wahrscheinlich ein Themenwechsel, in der alten Post unter anderem der lokale Bund der Selbstständigen seinen Sitz.

[1]Ich denke, es ist noch Stand der Erkenntnis, dass erst Vereine wie der VDSt, gegründet 1881 (also nach „Deutschlands Wiedergeburt“) und als Reaktion auf die Mitgliedschaft konvertierter Juden in anderen Studentenverbindungen, JüdInnen auf breiter Linie ethnisch und nicht religiös definierten.
[2]Schön diskutiert das z.B. die AIHD in ihrem Klassiker zu Verbindungen in Heidelberg (sorry: 62 MB PDF).

Zitiert in: Noch bis 7.12. in Heidelberg: „Auftakt des Terrors“ über die ersten NS-Konzentrationslager Antimonarchistische Aktion: In Zukunft „Baiern“ sagen Musée Historique de Strasbourg: „Von der Pfaffen Grittigkeit“ Bruchsal zwischen Mandolinen und Soldaten

Letzte Ergänzungen