Bruchsal zwischen Mandolinen und Soldaten

Foto von ca. 20 Lederbändern mit aufgepressten Metallplättchen über Klaviersaiten mit einem Holzbügel mit der Aufschrift „Mandoline auf die Zapfen Z setzen”.

Ein Detail eines automatischen Klaviers („Pianova“ von den Leipziger Musikwerken Paul Lochmann GmbH), ca. 1910. Was es mit diesen Lederstreifen auf sich hat, erzähle ich ziemlich gegen Ende dieses Posts.

Unter den Einrichtungen, die beim Oberrhein-Musesumpass mitmachen, finden sich einige Burgen (z.B.) und Schlösser (nochmal z.B.). An Fronleichnam verschlug es mich in dieser Angelegenheit in die Residenz der Fürstbischöfe von Speyer in Bruchsal.

Dafür, dass das Bistum Speyer eine recht überschaubare Herrschaft war, ist der Palast, den der Potentat Damian von Schönborn-Buchheim seinen Untertanen in den 1720er Jahren abgepresst hat, beeindruckend groß und großzügig. Noch überraschender angesichts des Duodezbauherren ist, dass beim Bau die Stars der damaligen Prunkbauten-Szene – etwa Balthasar Neuman oder Cosmas und Damian Asam – am Start waren.

Der Fairness halber will ich einräumen, dass sich Schönborn-Buchheim ein Schloss ersetzen ließ, das Soldaten in einem Krieg kaputtgehauen hatten, mit dem er nichts zu tun hatte, und dass er selbst sich mit Kriegen und anderem Gemetzel vorbildlich zurückgehalten hat.

Insofern darf mensch das völlig übertrieben große Treppenhaus und die Prunkhallen mit ihren nicht immer ganz geschmackssicheren und schon wegen ganzer Bände heidnischer Mythen entschieden unfrommen Deckenmalereien ohne viel schlechtes Gewissen goutieren, um so mehr, als die aktuellen Decken ohnehin aus der Nachkriegszeit stammen. Alliierte Bomber haben das Schloss nämlich bei Angriffen auf die in Bruchsal stationierten deutschen Zweite-Weltkrieger noch im März 1945 getroffen, woraufhin es ausgebrannt ist.

Foto einer großen runden Mauer mit Durchblick auf ein hohes Deckenfresko

Das Treppenhaus im Schloss von Bruchsal ist eigentlich klar überdimensioniert für das kleine Reich seiner Besitzer.

Soldaten gehen und kommen

Das mutmaßliche Ziel der Alliierten gehört zur bösen Geschichte Bruchsals: Seit den Zeiten des Fürstbischofs hatte das Städtchen eine Kaserne. 1922 befreiten die Demilitarisierungsregeln des Versailler Vertrags die BürgerInnen von den Soldaten, 1945 nochmal der Zusammenbruch der faschistischen Herrschaft. In beiden Fällen kamen die Soldaten leider bald wieder.

Da die Bundeswehr Anfang der 1990er Jahre ein vorerst letztes Mal verschwunden ist („Friedensdividende“), ist Bruchsal zur Zeit wieder militärisch unbelastet. Die zurückbleibende Kaserne – ich kann der Abschweifung nicht widerstehen – nutzte die Landesregierung von Baden-Württemberg für ein besonders verdrehtes Experiment im Rahmen ihrer Privatisierungsstrategie für Hochschulen (vgl. neulich zu Bologna): Die International University in Germany, in die die öffentliche Hand mehrfach ein paar Millionen Euro versenkte, bevor der Laden erwartungsgemäß Pleite ging. Ich weiß nicht, was jetzt in der Kaserne ist; hoffentlich kommen die Soldaten nicht schon wieder zurück. Ganz sicher wäre selbst ein weiteres Experiment mit einer Privatuniversität weniger grässlich – und erheblich billiger sowieso.

Die Guillotine von Plötzensee

Aber zurück zum Schloss: Neben den Prunkräumen befindet sich dort heute das Stadtmuseum, das etwa die recht interessante Geschichte des Bruchsaler Knastes beleuchtet (bemerkenswerterweise ohne Erwähnung des dort bis vor 15 Jahren einsitzenden Promis Christian Klar). Insbesondere war mir ganz neu, dass der Scharfrichter des NS-Volksgerichtshofs im Strafgefängnis Plötzensee seinen Opfern mit der badischen Guillotine von Bruchsal die Köpfe abschlug – angesichts der eigentlich liberalen Tradition des Landes Baden hat diese Geschichte, finde ich, eine gewisse Ironie.

Liberale Tradition? Ja, eine weitere Geschichte aus dem Stadtmuseum handelt vom Revolutionsjahr 1848, als Bruchsal schon einmal ohne langfristigen Erfolg die Soldaten abgeschüttelt hatte: Damals nämlich waren die Dragoner ausgerückt, um den Hecker-Aufstand niederzuschlagen. Als sie damit fertig und also zurück in Bruchsal waren, nahmen viele der für eine Weile freiheitlich gesinnten BürgerInnen gegen sie eine „drohende Haltung ein“. Der Museumstext weiter: „Schließlich musste das Militär nach Mannheim verlegt werden, um die Ruhe in Bruchsal nicht weiter zu gefährden.”

Aber wie gesagt: Trotz dieses vorübergehend vorbildlichen BürgerInnensinns waren waren die Dragoner wenig später wieder da. In der Realität gewinnen halt doch meistens die Bösen.

Musikautomaten

Aber ich will die Realität nicht schelten, denn es gibt auch immer wieder bezaubernde Wunderdinge. Besonders viele davon sind im Musikautomaten-Museum versammelt, das ebenfalls mit dem Schloss-Ticket besichtigt werden kann (ihr solltet mindestens zwei Stunden dafür einplanen). Dort hatte ich die Einsicht, dass es neben der Analog-Schallplatte („Schellack“) rund um 1900 herum eine ernstzunehmende digitale Konkurrenz durch Lochplatten gab:

Eine Metallplatte mit eingestanzen Löchern entlang von konzentrischen Spuren in einem Abspielmechanismus mit hölzernem Kasten.

In diesen Platten sind Impulse kodiert, die Stimmzungen oder Pfeifen ansteuerten; jede Spur entsprach einem Ton, so dass der Zauber schon nach einer Umdrehung etwas repititiv wurde – aber sie drehten natürlich auch viel langsamer als die 45 Umdrehungen pro Minute zeitgenössischer Schallplatten, und ihre Klangqualität war um Längen besser. Das Bruchsaler Muserum hat zahlreiche Mechanismen, die Platten dieser Art mit verschiedenen Techniken abspielten.

Mir ist beim Blick auf die Dinger durch den Kopf gegangen, dass ein wesentliches Problem der Technologie gegenüber der Schellackplatte neben der eher kurzen Spieldauer fehlende Standards gewesen sein dürften, also etwa: Wie groß soll die Platte sein? Wie schnell soll sie gedreht werden? Welche Zähnung hat die Antriebsspur? Welche Spur macht welchen Ton? Beim Schellack konnte recht bald jede Platte auf jedem Gerät gespielt werden, hier ziemlich sicher nicht.

Putziges Implementationsdetail zur letzten Frage: Weil Basslinien in normalen Stücken deutlich langsamer sind als Läufe im Sopran, entsprechen innere (also kürzere) Spuren bei den Geräten fast immer tieferen Tönen.

Was mich allerdings am meisten hingerissen hat: Der Hack vom Aufmacherfoto, nämlich auf Lederbänder gepresste Blechlein. Diese Teile haben einem mechanischen Klavier wirklich so eine Art Mandolinenklang (also: etwas schnarrend) beigebracht, und zwar indem der Holzbügel, der im oberen Teil des Fotos erkennbar ist, die Lederbänder auf die Saiten gedrückt hat, vielleicht ein wenig wie bei einem Dämpfer. Erstaunlicherweise haben dann die mitschwingenden Blechlein wirklich den Toncharakter erheblich verändert. Ob ich den neuen Klang ohne Vorsagen „Mandoline“ genannt hätte, lasse ich mal offen.

Ein Rat noch: Nehmt euch Gehörschutz mit. Etliche der Maschinen waren für Jahrmärkte und laute Kneipen gedacht und von der Lautstärke her entsprechend ausgelegt.

Letzte Ergänzungen