Hardenburg: Zu echt, um wahr zu sein

Foto von Mauerwerk und Türmen

Ein Traum von einer Burg: Die Hardenburg nach dem Durchschreiten des Westbollwerks.

Ich war am letzten Wochenende mit meinem Museumspass in der Hardenburg bei Bad Dürkheim, und ich fand meine Beobachtung angesichts der Krone von Rudolf IV bestätigt: Wenn es ganz besonders echt aussieht, ist es wahrscheinlich ein Fake.

Gut: Fake ist vielleicht ein zu starkes Wort, aber die großen Mengen alten und restaurierten Mauerwerks, die vielen Türme und Türmchen und die zahlreichen Gänge, die sich immer wieder zu nicht ganz erwartbaren Plätzen öffnen, all das hat es in dieser Dichte in mittelalterlichen Burgen wohl (leider) eher nicht gegeben. Wer so großartige Burgen haben will, wird ebenso auf Modernes zurückgreifen müssen wie SchlossliebhaberInnen auf Neuschwanstein.

Tatsächlich war die Hardenburg bis 1725 von Leininger Grafen – meist mit dem lustigen Namen „Emich“ – bewohnt. Sie wurde, so die Wikipedia in beschönigendem Passiv, „in dieser Epoche zum Residenzschloss ausgebaut“. Das ist dann wohl der Grund, warum sie wirklich perfekt funktioniert als 1a klasse Burg: Die Leute, die die Bauten bestellt haben, waren selbst schon total auf Ritterromantik.

Die Leute wiederum, die dafür schuften mussten, taten das in erkennbarer Konkurrenz zu denen, die am Heidelberger Schloss dem dort herrschenden Pfälzer Kurfürsten seinen Hortus Palatinus ausbuddeln mussten. Die dauernde Konkurrenz zwischen den Grafen von Leiningen in Dürkheim und ihren deutlich mächtigeren Nachbarn – Fürsten, gar Kurfürsten – ist im „Ausfallgarten“ der Hardenburg durch Gras angedeutet:

Durch Gras angedeutete Anlage eines französischen Renaissancegartens in einer dem Berg durch Mauern abgezwungenen Ebene.

Von einem relativ lobenswerten Aspekt dieser Rivalität ist vor Ort nichts zu lesen: Als der Heidelberger Kurfürst 1512 die Gelegenheit gekommen sah, seinem kleinen Nachbarn zu zeigen, wo der Hammer hängt und die Burg belagerte, übergaben, so erzählt die Wikipedia, die Leininger sie, bevor die kurfürstlichen Truppen ernsthaft Schaden anrichteten. 1519 ging die Burg unversehrt zurück an die Leininger. Damit konnten sie sie deutlich schneller wieder nutzen, als wenn sie sich erst auf eine heldenhafte „Verteidigung“ eingelassen hätten und sie anschließend wieder viele Menschen hätten zwingen müssen, die Residenz neu aufzubauen. Ich halte das für eine hervorragende Illustration der Weisheit, dass militärische „Verteidigung“ eine schlechte Idee von Grobianen ist und war.

Am Ende kaputt gemacht (ich musste an Degenhardts Lied über Joß Fritz denken: „Und als die schönen Schlösser brannten“, wobei wir da 200 Jahre früher sind) haben das Schloss übrigens Revolutionstruppen aus Frankreich – aber leider hat es auch danach noch hundert Jahre gedauert, bis zumindest mal die Monarchie in der Gegend beseitigt war, auch wenn immerhin die verschiedenen Leininger Emichs nach der napoleonischen Neuordnung in Amorbach statt in der Dürkheimer Gegend Hof halten mussten.

Bevor mensch die Gänge und Türme der Burg erkundet, lohnt sich ein Blick in die kleine Ausstellung im Eingangsrondell, schon, weil sie sich erfolgreich an der Alltagsgeschichte versucht, die ich bei den Habsburgern angemahnt habe. Statt in einem Fort über die Kriege der Mächtigen zu erzählen, diskutiert sie die Entdeckung einer Abfallgrube im Jahr 1983 als „Glücksfall“ und zeigt nicht nur einen Treue schwörenden Verlobungsring (mensch mag sich fragen, ob der wohl im Zorn in die Grube gepfeffert worden ist), sondern auch frühe Zeugnisse von Globalisierung. So fand ich etwa diese Scherbe aus den 17. Jahrhundert bemerkenswert:

Eine Porzellanscherbe mit chinesischen Schriftzeichen

Die Ausstellung versichert, dass das Porzellan tatsächlich aus China kommt. Dass schon damals so zerbrechliche chinesische Ware an Höfen von Duodezfürsten genutzt (und zerdeppert und in Abfallgruben geworfen) wurde, flößt mir etwas Respekt ein vor den Menschen, die den Kram entweder über die Seidenstraße oder das Meer herbeischafften – und andererseits milde Verzweiflung, denn so viel Aufwand, nur damit ein Graf sich besser fühlen konnte als seine Untertanen: Das wirkt schon etwas traurig.

Zu solchen Gedanken passen auch die Austernschalen, die sich in der Ausstellung finden, denn auch die mussten natürlich bei Hof verspeist werden als Zeichen, dass es „nicht drauf ankommt“. In Zeiten vor Kühlketten und Eisenbahnen war das Austernessen eine besonders absurde Verschwendung menschlicher Arbeitskraft, denn Kuriere mussten sie eiligst von der Atlantikküste herbeischaffen, bevor sie starben und damit giftig (Extra-Nervenkitzel!) wurden.

Austernschalen

Hinterlassenschaften austernschlürfender Emiche und ihrer Angehörigen.

Andererseits weht, finde ich, sogar aus diesem Müll von vor dreihundert Jahren ein wenig der Hauch der Geschichte, und zwar immer noch einer freundlicheren Geschichte als beim Masken-Splatter aus dem Codex Manesse (aus dem Besitz des ewig reicheren Kurfürsten übrigens), der dort einem Leininger – also vielleicht eines Bewohners der Hardenburg, weshalb das Bild auch in der Ausstellung reproduziert ist – zugeschrieben wird:

Mittelalterliche Illustration: Leute schlagen sich mit Schwertern, Blut spritzt

Hinter der Maske angeblich ein Leininger, aber eher ein Friedrich statt ein Emich. Schade.

Als Aftershow (und auch ohne Museumpass umsonst) empfehle ich das Dürkheimer Stadtmuseum gleich um die Ecke vom Bahnhof. Dort kommt die Aufarbeitung der munteren Ritzereien (und einer wirklich extrem lausigen Bauinschrift) im Steinbruch der Legio XII Pia Fidelis am Kriemhildenstuhl meinem Römerfimmel sehr entgegen.

Gerade für ein Stadtmuseum sehr anerkennenswert finde ich die Diskussion der Naziverstrickungen einiger Dürkheimer Honoratioren wie des Welteistheoretikers Philip Fauth, des Mundartdichters und Ehrenbürgers Karl Räder (interessanterweise nicht in der Wikipedia – arbeiten da keine DürkheimerInnen mit?) und des Malers und Kapp-Putsch-Fans Gustav Ernst (wohl auch nicht in der Wikipedia).

Wirklich originell fand ich aber die Exponate zum Kurbetrieb in Dürkheim, allen voran das munter weiß-blau gerautete Etikett eines, nun, Heilwassers, das Fans von Agatha Christie Schauer den Rücken herunterjagen wird:

Flaschenetikett: Maxquelle, Stärkstes Arsenwasser Deutschlands

Schließlich muss ich mich noch als Fan von Gina Ruck-Pauquets Geschichten um den kleinen Nachtwächter outen, der in seiner kleinen Stadt recht regelmäßig alle BewohnerInnen – den Drehorgelmann, das Mädchen mit den Luftballon, den Bauern, den Dichter und die Blumenfrau – aufweckt, statt über ihren Schlaf zu wachen.

Stellt sich raus: Das hat sich Ruck-Pauquet nicht wirklich ausgedacht. Im Museum wird ein Protestbrief aus dem 19. Jahrhundert gezeigt, in dem sich ein Kurgast beschwert, er sei um 23 Uhr durch das „furchtbar schauerliche Nachtwächterhorn“ geweckt worden und danach über „diese altmodische, an Bauerndörfer erinnernde Nachtwächterei” abgeht. Tatsächlich hängt im Dürkheimer Stadtmuseum noch das letzte Nachtwächterhorn des Städtchens:

Ein bronzen schimmerndes Horn von etwa 50 cm Länge

Hinreißend.

Zitiert in: Zu schön, um echt zu sein, Teil 3: Die „Reichsburg“ Cochem Bruchsal zwischen Mandolinen und Soldaten

Letzte Ergänzungen