Der Vertrag, über den die künftigen Koalitionsparteien derzeit befinden, verballhornt das (ohnehin mit Glaubwürdigkeitsproblemen behaftete) Brandt-Motto „Mehr Demokratie wagen“ zu „Mehr Fortschritt wagen“ – das ist ohne großen Zwang zusammenziehbar zu „Fortschritt statt Demokratie“ als Motto der künftigen Scholz-Regierung.
Das finde ich angesichts meiner bisherigen Erfahrung mit Scholz sehr naheliegend. Der körperlich eindrücklichste, quasi tuchfühlendste Teil dieser Erfahrungen ist im Bild oben zu sehen. Wir sind im Juli 2017, Hamburg wird von Olaf Scholz regiert. Im Wesentlichen die ganze Stadt ist gegen den von Scholz eingefädelten Gipfel der G20. Mag sein, dass er in dieser Situation keine andere Wahl hatte, als die willkürlichen und teilweise erschreckend gewalttätigen Einsätze der Polizei unter seinem Innensenator Andy Grote[1] bedingungslos zu unterstützen. Aber wahrscheinlich fand er sie gut. Bis heute jedenfalls war von ihm keine Distanzierung oder gar Entschuldigung zu hören.
Bevor ich wie auf dem Bild oben Bekanntschaft mit einigen Scholz'schen Knüppeln machte, hatte die Polizei ein Protestcamp in Entenwerder geräumt, und zwar trotz eines diese Räumung untersagenden Gerichtsurteils. Gegen diesen dicken Stinkefinger in Richtung der G20-GegenerInnen ebenso in Richtung dessen, was sonntags als Rechtsstaat gelobt wird, hatten sich vielleicht tausend Leute auf einer Wiese versammelt, darunter ich und auch ein paar der aus Entenwerder Vertriebenen mitsamt ihren Zelten.
Dann kam Polizei. Viel Polizei. Und prügelte die Leute vom Platz, ohne jeden erkennbaren Grund, sieht mensch davon ab, dass Scholz und Grote schlicht keine Störung ihrer Machtdemonstration dulden wollten. Und was als eine Machtdemonstration soll so ein Gipfel gleich neben einer, ach ja, Herzkammer des Linksradikalismus in der BRD – der Austragungsort Messehallen liegt gleich neben dem Karo-, und das wiederum gleich neben dem Schanzenviertel – denn wohl sein?
So ging es weiter: Die Eröffnungsdemo („Welcome to Hell“) hat die Polizei von vorne in einer Straßenschlucht angegriffen – mit dem spätestens nach über anderthalb Jahren Maskenpflicht bei Versammlungen schier unfassbar dämlichen Vorwand, ein paar der TeilnehmerInnen hätten sich vermummt. Dass die zwischen drei Meter hohen Mauern und dem Rest der Demo eingeklemmten Menschen nicht angefangen haben, im Love-Parade-Stil panisch zu fliehen, finde ich bis heute bemerkenswert. Die Besonnenheit der Demonstrierenden hat, rückblickend betrachtet, die Köpfe von Scholz und Grote gerettet, denn Dutzende Zertrampelte wären nach dieser katastrophalen Polizeitaktik dann noch nicht durchgegangen.
Diese Rettung dankten sie, indem sie am Folgetag am Rondenbarg nicht nur einen Demozug mit wirklich bemerkenswert brutaler Gewalt plattmachen ließen, sondern die Opfer des Einsatzes auch noch unter haarsträubenden Vorwürfen verfolgten und verfolgen – inklusive der Schikane, die auf viele Termine angelegten Verfahren selbst für Minderjährige in Hamburg laufen zu lassen, so dass Leute, die gerade noch in die Schule gegangen wären, mehrmals wöchentlich etwa auch aus Baden-Württemberg dorthin hätten fahren müssen. Immerhin ist aus der Schikane nicht viel geworden, wenn auch vor allem, weil die Justiz mit Corona nicht gut zurecht gekommen ist. Sollten die Rondenbarg-Prozesse nun doch wieder aufgenommen werden, dürften wohl auch die jüngsten Angeklagten mit der Schule fertig sein. Immerhin.
Und damit sind wir zurück in der Gegenwart. In der ein Soldat den Corona-Krisenstab führen soll. Das hat, nach dem eben erzählten, aus meiner Sicht dem jede Menge innerer Logik. Der Menschenrechts-Record der kommenden Regierung wird jedenfalls absehbar kaum besser werden als der der Schröder-Administration.
[1] | Ja, genau der Grote, der neulich auch Menschen willkürlichen Hausdurchsuchungen unterworfen hat, ganz offenbar nur, um sein Mütchen zu kühlen („Pimmelgate“). |
Zitiert in: Falsche Dichotomien