Im Deutschlandfunk-Kalenderblatt vom 16. August 2023 erinnerte Andrea Klasen an den zehnten Todestag von Aretha Franklin. Im Beitrag heißt es:
Aretha Franklins Weg zum Ruhm ist steinig. Sie wird im März 1942 in Memphis, Tennessee, geboren, hinein in ein Elternhaus voller Musik.
Als Klasen gegen Ende sagte:
Am sechzehnten August 2018 stirbt die Soul-Diva mit 76 Jahren in ihrer Heimatstadt Detroit.
habe ich zuerst gedacht: „Holla, aber es hieß doch am Anfang, Franklin sei in Memphis geboren worden? Hat Klasen nicht aufgepasst?“
Dann aber kam mir, dass der Text vielleicht eine fortschrittlichere Interpretation des ja wahrlich bestenfalls grenzwertigen Begriffs „Heimat“ anwenden wollte, namentlich weniger Blut und Boden, Eltern und Geburtsort, stattdessen mehr „Wo gefällt es dir eigentlich und wo wohnst du?“
Das wäre ein sehr erheblicher Fortschritt gegenüber der Sorte von Heimat, die beispielsweise im Namen der (zum Glück stark sklerotischen) Verbände der „Heimatvertriebenen“ lauert. Die dort gewählte Interpretation führt(e) zum Glauben, der Geburtsort lege fest, wo allein auf der Welt ein Mensch glücklich werden könnte, weshalb er oder sie auch dringend Anspruch darauf hat, dort Grund besitzen zu können. Für die „Heimatvertriebenen“ kam dazu, dass die Leute, die seit den jeweiligen Befreiungen der diversen „Heimaten“ von der deutschen Herrschaft dort wohnten, ihnen, also den Rückkehrenden, gefälligst hätten weichen sollen.
Tja: Leider habe ich Klasens Intention wohl überinterpretiert. Auf meine Frage nämlich, was Franklin wohl in die post-autoindustrielle Wüste Detroit gezogen haben könnte, antwortet die Wikipedia, dass bereits ihre Eltern dorthin gezogen waren, und zwar als es noch eine autoindustrielle Wüste war. So lässt sich aus dem Beitrag eher kein entspannteres Konzept von Heimat belegen.
Aber natürlich auch nicht sein Gegenteil, zumal ein identitätsreduzierter Heimatbegriff keineswegs neu ist: „Ubi bene ibi patria“, meine Heimat ist, wo immer es mir gut geht, war schon im republikanischen Rom eine Parole gegen auch damals grassierendes Blu-Bo-Säbelrasseln. 1848 drehten Marx und Engels die heimatfeindliche Aufklärung etwas weiter, als sie im Kommunistischen Manifest schrieben: „Die Arbeiter haben kein Vaterland“.
Nach weiteren 170 Jahren, in denen sich Menschen abgemetzelt haben, weil irgendwelche Grobiane ihnen erzählt haben, sie müssten irgendwelche Heimaten oder Vaterländer „verteidigen” (realistisch: in Schutt und Asche legen), möchte ich zum heutigen Antikriegstag eine Fusion vorschlagen. In Küchenlatein wäre das „ubi patria ibi stupor“, in zeitgenössischem Deutsch Vaterland ist für Deppen.
Ich habe versucht, diesen entschlossenen FriedensdemonstrantInnen bei der Heidelberger Antikriegstag-Kundgebung 2023 meinen neuen Spruch nahezubringen:
Ich hatte keinen Erfolg. Was sind eigentlich die aktuellen PISA-Ergebnisse für Latein? Bestimmt ganz schlimm!