Ich bin ja eigentlich niemand, der „Handarbeit“ als Qualitätsprädikat sonderlich schätzt, aber es ist gerade bei Radio schön, wenn sich zeigt, dass der Kram zwar aus dem Computer kommt, aber doch noch Menschen vor dem Computer sitzen.
So ging das am letzten Samstag (3.7.), kurz nach Mitternacht. Mein Rechner schneidet da immer den Mitternachtskrimi aus dem Live-Programm des Deutschlandfunks mit und hat dabei dieses großartige Stolpern aufgenommen:
(um die Bediengeräusche besser herauszubringen, habe ich das Audio etwas komprimiert). Ich muss sagen, dieses kurze Selbstgespräch fand ich sehr beeindruckend – und ich habe mich wiedererkannt, denn in dieser Sorte experimentellen Diskurses mit der Maschine versuche auch ich mich dann und wann.
Zu diesem schönen Ausschnitt habe ich zwei Einwürfe zu bieten.
Erstens war die dann doch noch folgende Sendung eine leicht expressionistische Hörspielfassung des Kleist-Klassikers Das Erdbeben in Chili, die ich hier liebend gerne verteilen würde, weil sie schön zeigt, was für ein garstiges Gift reaktionäre Hetzerei ist; ich kann mir nur schwer vorstellen, dass, wer das gehört hat, noch auf das Gift von, sagen wir, Innenminister Seehofer hereinfallen könnte.
Aber nun, das Urheberrecht hindert mich daran, was mein Argument von neulich gegen das „geistige Eigentum“ schön illustriert: Das Hörspiel, vermutlich eine öffentlich-rechtliche Produktion, gäbe es natürlich auch, wenn ich es jetzt verteilen dürfte, und die Leute, die das damals gemacht haben, sind hoffentlich schon dabei ordentlich bezahlt worden und werden kaum auf ein paar Cent für einen Download durch euch angewiesen sein. Die Existenz des Textes hat offensichtlich nichts mit Urheberrecht zu tun, denn zu Kleists Zeiten gab es gar keins. Hier wirken die heutigen („Post-Micky-Maus“) Regelungen diametral gegen den ursprünglichen Zweck des Urheberrechts, nämlich, der Gesellschaft eine möglichst reichhaltige Kultur zur Verfügung zu stellen.
Der zweite Einwurf: Über die vergangenen 20 Jahre hatte ich verschiedene Hacks, um Radio-Streams mitzuschneiden – ich schaudere, wenn ich an die schlimmen Tage von RealAudio und das Rausfummeln des Signals über preloaded libraries zurückdenke, die das write der libc überschrieben haben. Nun, der proprietäre Client wollte kein Speichern der Streams zulassen (schon wieder das Copyright-Gift!).
Inzwischen ist das Mitschneiden dank ffmpeg und offener Standards auf der Seite der Radiostationen nur noch ein schlichtes Shellscript. Ich verwende seit ein paar Jahren das hier:
#!/bin/bash if [ ! $# -eq 3 ]; then echo "Usage $0 time-to-record m3u-url output-file" exit 1 fi case "$2" in dlfhq) stream=https://st01.sslstream.dlf.de/dlf/01/high/opus/stream.opus oopts="" ;; dlf) stream=https://st01.sslstream.dlf.de/dlf/01/low/opus/stream.opus oopts="-ac 1 -ar 22500" ;; dradio) stream=`curl -s http://www.deutschlandradio.de/streaming/dkultur_lq_ogg.m3u | head` ;; *) stream="$2" ;; esac ffmpeg -y -nostdin -loglevel error -i "$stream" $oopts -start_at_zero -to $1 -c:a libvorbis "$3"
(wahrscheinlich ist die dradio-Regel kaputt, aber das ist sicher leicht repariert). Das lege ich an eine passende Stelle, und cron sorgt für den Rest. Die crontab-Zeile, die mir schon viele Mitternachtskrimis und eben auch die Perle von oben mitgeschnitten hat, sieht so aus:
05 00 * * sat /path/to/oggsnarf 1:00:00 dlf ~/media/incoming/mitternachtskrimi`date +\%Y\%m\%d`.ogg
Nachtrag (2021-11-01)
Nach ein paar Monaten fällt mir auf, dass nur ganz kurz nach diesem Post und meiner zustimmenden Erwähnung der Mitternachtskrimis (die allerdings schon damals zu „blue crime“ geworden waren) der Deutschlandfunk den seit mindestens meiner späten Kindheit den Krimis gehörenden Programmplatz am Samstag um 0:05 auf aktuelle Kulturberichterstattung („Fazit“) umgewidmet hat. Die Crontab-Zeile hat also nicht mehr viel Wert (und ist längst aus meiner crontab verschwunden). Ich glaube, die Idee der ProgrammplanerInnen wird gewesen sein, den Krimi Hörspiel-Podcast als Ersatz anzubieten.
Zitiert in: Telecon-Gefühl: Das glaub ich jetzt nicht Von der Gnade, ohne Bild zu sprechen