Nachdem ich gestern so empört war über Computerlinguistinnen, denen der ethische Kompass klar abhanden gekommen ist, möchte ich gerne ein paar Worte über eine wunderbare linguistische Arbeit nachschieben, die mir neulich auf den Rechner kam. Um es gleich zu gestehen: Auch in der steckt schmutziges Geld, in diesem Fall vom US Department of Defense – aber wenn damit schöne Wissenschaft gemacht wird, will ich nicht mit Steinen werfen.
Ausgangspunkt war die Sendung Äh, ähm, genau – Wozu gibt es Füllwörter?, die am 15.3. in SWR2 Wissen lief (großes Lob übrigens an die Redaktion, die noch das Manuskript zur Sendung auf die Webseite legt, etwas, das beim DLF inzwischen leider Seltenheitswert hat). Meine Aufmerksamkeit angezogen hat die Geschichte vom „Powerpoint-Genau“, jenem „Genau“, das tatsächlich viele Menschen entweder kurz vor oder kurz nach dem Umblättern bei Programmen wie… na ja, impressive sagen. Jetzt, wo ich mal darauf hingewiesen wurde, fällt mir auch auf, was für eine verbreitete und, ganz streng genommen, etwas alberne Sitte das doch ist.
Eine kleine Revolution in der Linguistik (gegen König Noam) aus dem Jahr 2002.
Von dort bin ich auf die Arbeiten von Joan Fox Tree von der staatlichen Universität in Santa Cruz, CA gekommen, die im SWR2-Beitrag als Auslöserin einer kleinen Revolution in der Linguistik bezeichnet wird, weil sie Ähs und Ähms nicht nur als nützlich – weil verständnisfördernd – sondern sozusagen als Wörter erster Klasse identifizierte. Beim Artikel zu Teil zwei firmiert Fox Trees Stanford-Kollege Herbert Clark als Erstautor, und er erschien 2002, just, als ich für ein paar Jahre selbst in Computerlingustik dilett^Wlehrte: „Using uh and um in spontaneous speaking“ (ist leider bei Elsevier erschienen, so dass ich die dorthin führende DOI 10.1016/S0010-0277(02)00017-3 nur widerstrebend gebe).
Das Paper argumentiert wie gesagt ziemlich stringent, dass Äh und Ähm ganz normale Wörter sind. Das geht gegen einen Ukas des Gottvaters der moderneren Lingustik, Noam Chomsky, der sie (in etwa) als vorprachliche Oberflächenform von Verhakungen bei der Sprachproduktion angesehen hat. So sehr ich Chomsky als großen Vereinheitlicher der Theorie formaler Sprachen und klarsichtigen Beobachter „unserer“ Weltpolitik schätze: Ich schließe mich, glaube ich, dem modernen computerlinugistischen Mainstream an, wenn ich vermute, dass er sich bei der Untersuchung natürlicher Sprache meist vertan hat.
Ein sehr starkes Argument für die Worthypothese von Clark und Fox Tree ist zum Beispiel, dass verschiedene Sprachen verschiedene, na ja, Laute verwenden anstelle unseres Äh. Tabelle eins aus dem Paper gibt folgende Aufstellung:
Deutsch | äh, ähm |
Niederländisch | uh, um |
Schwedisch | eh, äh, ääh, m, mm, hmm, ööh, a, ööh |
Norwegisch | e, e=, e==, eh, eh=, m, m=, […], øhø, aj |
Spanisch | eh, em, este, pues |
Französisch | eu, euh, em, eh, oe, n, hein |
Hebräisch | eh, e-h, em, e-m, ah, a-m |
Japanisch | eeto, etto, ano, anoo, uun, uunto, konoo, sonoo, jaa |
(für Referenzen siehe die Arbeit selbst). Es heißt darin weiter:
Speakers of English as a second language often import the fillers from their first language – we have heard examples from native French, Hebrew, Turkish, and Spanish speakers – and that is one reason they continue to be heard as non-native speakers.
Während ich die langen eueueueu-s von FranzösInnen, die Englisch sprechen, bestätigen kann, ist mir leider noch niemand Spanischsprechendes begegnet, der/die mit „este“ verzögert hätte. Aber ich werde jetzt besser aufpassen. Jedenfalls: dass Ähms zwischen verschiedenen Sprachen verschieden, innerhalb der Sprachen aber recht konstant sind, schließt, soweit es mich betrifft, aus, dass Äh und Ähm vorsprachliche Fehlermarker sind.
Die anderen Argumente für die Worthypothese von Clark und Fox Tree sind vielleicht nicht durchweg vergleichbar stark. Aber die AutorInnen wollten erkennbar einmal alle konventionellen Sprachebenen durchgehen und argumentieren deshalb auch phonologisch (sie sind normale englische Silben), mofphologisch (sie funktionieren auch als Klitika, können sich also an andere Wörter anlehnen: „und-äh”), mit Prosodie (sie fallen aus der Satzmelodie heraus, wie das etwa auch Einschübe wie diese Klammer machen), über die Syntax (hier folgen sie einfach anderen Interjektionen: Heissa!), über die Semantik (sie haben eine definierte Bedeutung, nämlich: jetzt kommt gleich eine kleinere oder größere Verzögerung im Sprechen) und über die Pragmatik, also die Frage: was wollen die Leute mit einem Äh bewirken?
Einen Eindruck von der Relevanz dieser letzten Frage mag gewinnen, wer im SWR2-Beitrag Mark Zuckerberg hört, wie er auf die Frage eines Kongressabgeordneten antwortet, ob er mitteilen wolle, in welchem Hotel er heute geschlafen habe:
Der Artikel untersucht diese pragmatischen Aspekte, speziell, was seit Grice Implikatur heißt, und bietet dazu alles Mögliche zwischen „ich habe noch was zu sagen, rede noch nicht rein“ bis „hilf mir und rede du weiter“. Im Fall von Zuckerberg – Facebook war 2002 übrigens noch dystopische Science Fiction – wäre das wohl „Ich tu wenigstens so, als müsste ich über diese Zumutung noch nachdenken“.
Methodisch ist das alles wirklich schön gemacht. Ich wünschte, mir wäre das Paper schon in meiner Coli-Zeit aufgefallen. Zumindest meine Studis hätten viel Spaß haben können[1].
Drei mal Öhm sind allein schon hier im Blog zu finden.
Ein weiterer Punkt aus der Arbeit, den ich für recht überzeugend halte: Äh und Ähm kommen durchaus gerne in geschriebener Sprache, gerade etwa in Chats, vor, was bei einer Art zerebralen Notsignal wirklich nicht zu erwarten wäre. Ein schnelles grep Öhm *.rst im content-Folder dieses Blogs liefert bereits drei Belege (a, b, c) – ich suche mal nicht weiter nach anderen graphische Repräsentationen von Ähm, denn der Punkt ist gemacht: Ich selbst öhme auch, wenn ich sicher keine Wortfindungsprobleme oder Sackgassen in meinem Textplan habe, und ich weiß dabei ziemlich genau, was meine Öhms bedeuten sollen.
Angesichts so leicht greifbarer Belege ist schon eher seltsam, dass ein so heller Kopf wie Chomsky seinen Irrtum offenbar lange vertreten hat. Andererseits: Wenn ich an die Gelegenheiten denke, zu denen ich ihn live have reden hören… Nun, ich glaube, er äht selbst schon arg wenig, und die Sorte informeller (und vielleicht ja comicinspirierter?) Schreibe, an die wir uns weit über die Blogosphäre hinaus gewöhnt haben, war in den 60er und 70er Jahren vielleicht wirklich noch eher Underground. Clark und Fox Tree führen in diesem Zusammenhang aus, warum Menschen in formaleren, vielleicht hierarchiedominierteren Situationen weniger ähen werden:
On the minus side, whenever speakers use fillers, they are announcing that they are having preparedness problems, something they may not want to admit in public. Speakers on the radio, on television, and in formal speeches are expected to be knowledgeable and competent, so it might undermine their authority to admit to preparedness problems.
– eine Einsicht, die sie einer Arbeit über „Radio Talk“ von einem Herrn Goffman aus dem Jahr 1981 zuschreiben. Und in der Tat:
If speakers have control of uh and um, they should use them less often in formal than in informal registers, and there is much evidence that they do.
Ich bin ganz sicher, dass ich das so mache. Den Eindruck, ich würde um so weniger ähen, je öffentlicher ich spreche, hatte ich bisher eher mit mehr oder weniger Konzentration in verschiedenen Dia- oder Monologsituationen erklärt, ganz im Sinne von Chomskys Äh-Theorie. Jetzt hingegen neige ich auch stark zur These, dass die Ähs in etwa so verschwinden wie, sagen wir, kräftige Flüche, die ich auf, sagen wir, Konferenzen normalerweise auch vermeide.
Äh… Scheiße, was für ein fetzengeiles Paper.
Wenn das DoD für sowas zahlen kann: Muss es dann für die Bundewehr wirklich dieser Großschnüffel-Mist von gestern sein?
[1] | Was DozentInnen halt so glauben… |
Zitiert in: Cool bleiben trotz Hilfskinderwerks