Trotz meiner Schwierigkeiten beim Ermitteln der Öffnungszeiten war ich neulich im Berliner „Humboldt Forum“ und habe in dessen ethnologischer Ausstellung das hier gesehen:
Solche Taschen, oder jedenfalls ziemlich ähnliche, glaube ich aus meiner Kindheit zu kennen, und so fiel mir sofort die Spöttelei ein, die Alex Capus in seiner wunderbaren Dreifachbiographie Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer zu einem verwandten Thema verfasst hat. In dem Buch „restauriert“ Emile Gilliéron Fresken, die Arthur Evans im minoischen Palast von Knossos freilegt. Allerdings fand Evans mit seinen Methoden allenfalls ziemlich bescheidene Stücke der Fresken. Gilliérion jedoch ist ganz Sohn des gleichnamigen Großrestaurators für Schliemann in Troja und arbeitet dementsprechend munter mit einem Jumbopack Kreativität. Bei Capus klingt das so:
Als er mit seiner Arbeit fertig war, strahlten die Fresken in einer lückenlosen Frische, als hätten die minoischen Frauen gestern erst Modell gestanden; […] zwölf saßen erstaunlicherweise auf einer Art Campingstühlen mit schmalen Metallbeinen, und alle hatten langes, schwarzes Haar, und manche ließ eine kokette Locke in die Stirn fallen. Sie hatten riesige Mandelaugen und sinnliche, grellrot geschminkte Münder, manche trugen absatzlose Turnschuhe, kurze Röcke und halsfreie Blusen, als kämen sie vom Tennisspiel […]
Einige [Betrachter] waren allerdings auch irritiert, dass die Fresken auf Knossos so modern erschienen und alles Archaische vermissen ließen. »Mais, ce sont des Parisiennes!«, rief der durchreisende Archäologe und Kunsthistoriker Edmond Pottier beim Anblick von Gilliérons Campingstuhl-Schönheiten, und der britische Schriftsteller Evelyn Waugh sagte, er wolle sich ein Urteil über die minoische Kunst nicht anmaßen, da die ausgestellten Fresken höchstens zu einem Zehntel älter als zwanzig Jahre seien; übers Ganze könne man sich jedenfalls des Eindrucks nicht erwehren, dass der Restaurator seine handwerkliche Sorgfaltspflicht aus Begeisterung für Vogue-Titelbilder vernachlässigt habe.
Wenn nun die „Marineexpedition“ von 1907 auf die damals Neumecklenburg genannte Insel so modern aussehende Taschen von vermutlich von Jugendstil oder gar Moderne unkontaminierten Menschen zurückgebracht hat: Vielleicht lag ja Capus' „Fälscher“ Gilliéron mit seinen „Campingstuhl-Schönheiten“ auch nicht so völlig falsch, um so weniger, als gerade mal fünfzehnhundert Jahre später die Römer ja wirklich Campingstühle hatten?
Preußische Kolonie: eine tragische Frace
Vergleichbar neu war mir die preußische Kolonialgeschichte, auf die auf der völlig unpraktisch – kein Mensch kann aus der Nähe 30 Meter Animation überblicken, zumal ArchivarInnenhände ständig Kram rein- und rausschieben – breiten Videowand zur Geschichte von Schloss und Palast kurz vorkommt:
Die Reaktionäre, die für den Neuaufbau des Preußenschlosses gesorgt haben, werden die Verbindung ihrer geliebten Hohenzollern mit Menschenhandel nicht gerne sehen, denke ich. Aber wahrscheinlich ist ihnen die ganze Kolonialepisode in ihrer hölzernen Murksigkeit so oder unangenehm.
Das Diktum von Marx, in der Geschichte geschehe gerne alles zwei Mal, erst als Tragödie und danach als Farce, gilt hier eher umgekehrt: Mit all den Massakern und rassistischen Exzessen darf die „große“ deutsche Kolonialzeit zwischen 1880 und 1918^H4 zweifellos als Tragödie gelten. Ohne das Leid, das preußische Söldner, Militärs, Händler und Klientenregimes 1682-1712 anrichteten, kleinreden zu wollen: So, wie das ablief, war der erste Kolonialversuch im Vergleich eher eine ziemlich schräge, nicht immer geschmackssichere Komödie.
Ich darf die entsprechende Geschichte in der Wikipedia vielleicht kurz interpretierend zusammenfassen: In einem seiner zahlreichen Kriege (in dem Fall gegen seinen schwedischen Kollegen) hat der Kurfürst Friedrich Wilhelm von der Humboldtforum-Videowand offenbar eher zufällig einen niederländischen Freibeuter namens Benjamin Raule engagiert. Der hatte überraschenderweise durchschlagenden Erfolg, so dass der Kurfürst plötzlich 21 ehemals schwedische Schiffe in der Hand hatte. Da es die schon mal gab, war es offenbar für Raule nicht schwer, den Kurfürsten zu beschwatzen, ihn mit der Errichtung einer Kolonie in Westafrika zu beauftragen.
So richtig glatt ging das nicht, schon weil die richtigen Niederländer eines der Schiffe gleich mal wegen Schmuggels beschlagnahmten, aber am Schluss gab es eine Art Einigung mit lokalen Potentaten im heutigen West-Ghana und ab 1683 tatsächlich einen schlimm malariaverseuchten brandenburgischen Stützpunkt in Afrika. Den Namen hätte Monty Python nicht besser wählen können: Groß Friedrichsburg.
Das „Fort“ entwickelte sich tatsächlich zu einem mäßig erfolgreichen Marktplatz für Waffen und versklavte Menschen, aber so richtig hob das Geschäft doch nie ab. Nach dem Tod des thalassophilen Kurfürsten Friedrich Wilhelm ließ das Interesse aus Berlin stark nach, und so haben sich die Leute in Westafrika allmählich internationaler orientiert. Schließlich hatte 1717 und 1720 der König Friedrich Wilhelm I (wenn ich richtig gezählt habe: ein Enkel des gleichnamigen Kurfürsten) den ganzen Mist in zwei Verträgen an die Niederländisch-Westindische Compagnie verkloppt.
Blöd nur, dass Eigentum immer eine Frage von Gewalt ist, und die hatten die Preußen nach all den Jahren nicht mehr in Groß Friedrichsburg. Stattdessen hatte sich dort der westafrikanische Händler Nana Konneh („Jan Conny“ für die Deutschen; ob und wie er sich selbst geschrieben hat, ist heute unbekannt) selbst als Statthalter eingesetzt und hatte hinreichende Gewaltmittel, um der niederländischen Firma die Tür (bzw. das offene Meer) zeigen zu können. Ob er sich gegenüber den nach westlichen Rechtsstandards neuen Eigentümern der Festung wirklich als Statthalter Preußens ausgegeben hat, ist historisch zumindest sehr umstritten. Gesichert ist aber, dass die Niederländisch-Westindische Compagnie erst sieben Jahre nach dem ersten Kaufvertrag in die Festung einziehen konnte.
Alles falsch
Neben Ethnologie und Geschichte des Hauses gibts noch etliche andere Ausstellungen im Humboldtforum. Schade fand ich dabei, dass ich nur sehr magere Spuren des Palasts der Republik gefunden habe, den die Reaktion ja dringend durch ihr Schloss ersetzen musste, genauer:
- Ein kleines Wändchen mit runterskalierten Plakaten und schwer fremdbeschämenden Videos von entsetzlich piefigen DDR-Veranstaltungen (gleich neben dem Haupteingang, sehr lohnend)
- die gläserne Urne, in der die Volkskammerabgeordneten den Beitritt der DDR „zum Geltungsbereich des Grundgesetzes“ abgestimmt haben (in der Skulpturensammlung, eher mäßig lohnend)
- ein, zwei Vitrinchen mit wechselnden Memorabilia ehemaliger Beschäftigter (an offenbar zufälligen Stellen)
- ein, zwei im Bauschutt gefundene Alltagsgegenstände der ganz frühen DDR-Jahre (z.B. ein Alumesser) im ansonsten sehr aufschlussreichen Schlosskeller.
Hätten die nicht wenigstens, sagen wir, das Treppenhaus im Stil des Palastes der Republik gestalten können? Es könnten ja auch asbestfreie Nachbildungen sein. Der ganze Barockkitsch, der jetzt da steht, ist – vom durchaus sehenswerten Kellergeschoss abgesehen – ebenfalls zu fast 100% Fake^Wnachgebildet.
Immerhin geben sie das offen zu. Das hier ist im aktuellen Foyer, und per Tafel gestehen die KuratorInnen offen ein, dass nur das etwas dunklere Material vom Gruselschloss preußisch-deutscher Machtentfaltung übrig geblieben ist.
Wenn ihr mich fragt: Ich würde der DDR-Regierung von 1950 nicht laut vorwerfen wollen, das Ding weggesprengt zu haben. Sehr wohl ist ihr allerdings vorzuwerfen, die Stelle als Platz für grässliche Aufmärsche und Paraden planiert gelassen zu haben statt sie, wie in einem kurzen Augenblick des Lichts um 2010 herum, zu einer hübschen Wiese zu machen.
Was genau finden eigentlich Grobiane daran, ihre Untertanen als hirnlose, ferngesteuerte Masse auflaufen zu lassen?