Ich war seit gestern in anderer Sache in Bonn, hatte dabei aber Zeit für einen mittel-langen Blick in das „LVR LandesMuseum Bonn“. Das wollte ich gerne, denn erstens wusste ich, dass dort die Überreste des originalen Neandertalers liegen, und zweitens bin ich im Rahmen meines Römerfimmels schon einige Male auf „Original im LVR LandesMuseum Bonn“ (oder diverse Varianten der flamboyanten Schreibweise[1]) gestolpert.
Tatsächlich habe ich von den Exponaten, die im Wikipedia-Artikel zum Museum erwähnt sind, nicht viel gesehen, denn die Leute bauen gerade eifrig um. Dafür bin ich aber auch umsonst reingekommen, und zumindest der Ur-Neandertaler war am Platz – die gefundenen Knochen ebenso wie eine rekonstruierte Figur.
Letztere hatte nichts mehr von den gebeugten, haarigen Kreaturen, die noch vor wenigen Jahrzehnten das Neadertaler-Bild prägten. Der Steinzeitspeer in der Hand musste jedoch offenbar noch sein, obwohl doch Verbandszeug viel besser zur Befundlage passen würde. Der Ur-Neandertaler hatte nämlich ausweislich der nachgebliebenen Knochen 20 Jahre vor seinem Tod eine ziemlich schwere Armverletzung, und dass er danach so lange überlebt hat, wird als eindeutiger Beleg für Krankenversorgung und Fürsorge unter NeandertalerInnen gewertet.
Eher noch beeindruckender fand ich aber die keltische Abteilung des Museums, in der Folgendes ausgestellt ist:
Das ist nicht etwa ein Diorama des gallischen Dorfes von Asterix und Obelix. Nein, es ist ein Diorama, das die archäologischen Erkentnisse zum gallischen Dorf von Niederzier-Hambach reflektiert. Genauer war dort eine eburonische[2] Siedlung, die (vermutlich) im Rahmen der caesar'schen Angriffskriege im östlichen Gallien 54 bis 51 vdcE[3] aufgegeben wurde.
Weil sie so prima in unsere Zeit passt, lasst mich kurz ein Destillat dieser Geschichte im Geiste meiner Betrachtungen zu Chios erzählen: Um 57 vdcE ließen die eburonischen Herrscher ihre Untertanen mit Caesars Truppen Belger abmetzeln. Doch schon zwei Jahre später empfanden sie das römische Winterlager irgendwo in der Nähe ihrer Hauptstadt („Atuatuca“; kein Mensch weiß heute mehr, wo das überhaupt war) als unerträgliche Kränkung nationaler Gefühle. Sie brachten also die Römer irgendwie dazu, aus ihrem Kastell auszurücken. Als sie das geschafft hatten, ließen sie ihr Militär angreifen, das, so Caesar, 10'000 römische Soldaten umbrachte.
Die, ach ja, „Offensive“ erwies sich mittelfristig als unklug, denn Caesar konnte sowas nicht auf sich sitzen lassen. Er selbst bezichtigt sich im de bello gallico des, ach ja, „Genozids“. In den aktuellen Worten der Wikipedia:
Die Einwohner wurden niedergemetzelt, die Gehöfte eingeäschert, das Vieh weggetrieben. König Catuvolcus starb durch Suizid (53 v. Chr.), König Ambiorix konnte mit knapper Not über den Rhein zu den Germanen entkommen. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Archäologisch lässt sich für die Zeit um 50 v. Chr. in eburonischen Siedlungen tatsächlich oftmals ein Siedlungsabbruch erkennen.
Auch in der Darstellung im Landesmuseum werden Zweifel geäußert, ob nun die Römer die EburonInnen wirklich alle abgemurkst haben; der gute Zustand der Reste von Niederzier-Hambach und auch das Fehlen eines Brandhorizonts lassen vermuten, dass hinreichend viele EburonInnen klug genug waren, sich auf keine weiteren Kriegshandlungen einzulassen und schlicht davongerannt sind. Etwas in dieser Art schlägt auch der Bericht von Strabo vor, der so um die christliche Epoche herum von den Eburonen wieder als Verbündete Roms spricht. Dennoch: Bioarchäologisch ist nachweisbar, dass nach den römischen Feldzügen der Wald das eburonische Land zurückgewann. Oh Grusel.
Wo gerade die Rede von Ambiorix war: Nicht nur die gallischen Dörfer sehen offenbar so aus wie halt gallische Dörfer, also die bei Uderzo und Goscinny. Die Leute scheinen auch so zu heißen. Ambiorix, Vercingetorix, Verleihnix. Im Landesmuseum gab es dazu eine These, die ich, so glaube ich, zuvor noch nicht gehört habe. Und zwar sei die Namensendung -rix eigentlich ein -rigs, was wiederum mit dem lateinischen Rex, König zu vergleichen sei. Ambiorix sei dann also „König der Ambiorer“, Asterix vielleicht „König der Sterne“. Obelix… oh, nee, ich mache jetzt keine Witze über mögliche Sprachfehler.
Nach dieser Deutung kämen die zahlreichen auf -rix endenden Namen in der Überlieferung einfach daher, dass die klassische Geschichtswissenschaft im Wesentlichen von Königen und ihren Untergrobianen redet. Mir hingegen ist viel sympathischer der relativ neue Trend (ich linke dazu auf Arno Borst, 1925-2007) der Archäologie, das wirkliche Leben zu betrachten. Dabei können so (mich) verblüffende Ergebnisse herauskommen wie: Die Römer hatten Klappmesser. Nehmt etwa dieses her:
Das ist ein Fund aus dem Grab der „Schönen von Zülpich“, und die MuseumskuratorInnen wundern sich ein wenig, was wohl so ein Taschenmesser in einem Frauengrab macht. Ein wenig sexistisch fand ich das schon, in jeder Richtung; denn soweit ich das sehe – die Römer haben ihre Toten ja bis zur christlichen Machtübernahme durchweg verbrannt, so dass es kaum DNA-Evidenz geben wird –, wird die These des Frauengrabes im Wesentlichen nur durch Beigaben von Spiegel, Kamm und Cremes gestützt, die zumindest ausgehend vom modernen Befund durchaus auch von Männern genutzt werden.
Und selbst wenn die Tote weiblich war, sind Taschenmesser wirklich recht unabhängig von Geschlechtszuschreibungen nützlich; stellt euch alleine mal vor, wie lausig die kaum gezüchteten Orangen der römischen Zeit zu schälen gewesen sein werden[4]. Nur, weil unser Patriarchat Frauen Klappmesser lieber vorenthält (schon dadurch, dass Frauenkleidung wenigstens vor dem Zeitalter großer Telefone meist keine messergeeigneten Taschen hatte), heißt das ja noch nicht, dass das römische Patriarchat das auch so gehalten hat.
Jedenfalls: Dann und wann bin auch ich noch überrascht über den Stand der Technik in den römischen Provinzen. Das gilt vielleicht noch mehr für den Klappstuhl der „Priesterin von Borschemich“:
Das rostige Zeug links ist in einem Grab einer Anhängerin, vielleicht sogar einer Priesterin, einer der zahlreichen orientaloiden Kulte des kaiserzeitlichen Roms gefunden worden, und die Museumsleute haben mich davon überzeugt, dass das schicke Teil rechts eine zuverlässige Rekonstruktion des Originalzustands ist; wer vor Ort ist und das rostige Zeug genauer ansieht, dürfte, so erwarte ich, diese Einschätzung schließlich teilen.
TIL: Die Römer hatten Campingmöbel. Vielleicht haben sie die zu kultischen Zwecken eingesetzt, aber vielleicht ist das bei uns auch nicht so viel anders.
Zum Schluss muss ich etwas besorgte Kritik loswerden, und zwar an diesem Ausschnitt aus dem „Stammbusch“ des Menschen, der in der Nähe des Neandertalers zu finden ist:
Zunächst ist das schon ein wenig moderner als die Anno-Darwin-Anthropologie, denn die verschiedenen Homo-Arten mischen sich in diesem Bild zum modernen Menschen (der durchgezogene senkrechte Strich ganz rechts), und der Neandertaler steht nicht mehr als tumber, unterlegener, rausdarwinierter, toter Ast da. Das ist schön.
Zumindest in eine möglicherweise nicht so schöne Ecke geht das allerdings im breiteren Kontext. Auf der grauen, oberen Fläche steht nämlich außerhalb des gewählten Ausschnitts „Europa“, auf der unteren, blasstürkisen „Afrika“. Und so könnten Menschen das als Teilrevision der in konservativen Kreisen immer noch gerne als kränkend empfundenen Out of Africa-Theorie ansehen. Jaja, so könnte mensch hier lesen, Homo sapiens ist schon in Afrika entstanden, aber zum ordentlichen Homo sapiens sapiens ist er erst geworden, als er es nach Europa geschafft hat und dort dem hellhäutigen Neandertaler zum letzten Schliff verholfen hat. Wenn das die Intention dieser Grafik sein sollte, würde ich erstmal (also: bis irgendwer sehr starke Belege bringt, dass die Homo sapiens, die seinerzeit aus Afrika ausgerückt sind, nicht schon fertige moderne Menschen waren) sagen: Nicht so schön.
Die beeindruckende Animation der Ausbreitung der verschiedenen Homo- und Australopithecus-Arten während der vergangnen paar Millionen Jahre, die rechts von diesem Stammgebüsch an der Rückwand der Neandertaler-Halle läuft, gibt das dicke Linie-dünne Linie-Verhältnis in dieser Darstellung ebenfalls überhaupt nicht her. Dort ist pures Out of Africa zu sehen. Tatsächlich besiedeln (erobern?) in deren Darstellung moderne Menschen West-, Süd- und Ostasien, lange bevor sie sich ins kalte Europa wagen.
Dennoch: das Landesmuesum in Bonn kann ich warm empfehlen, auch während der Umbauarbeiten. Ob mensch danach noch ohne Geld zumindest in die Dauerausstellung kommt: Das hätte ich wohl erfragen sollen. Habe ich aber nicht gemacht.
[1] | Ich will offen sein: ich könnte auf CamelCase und technokratisch-verbrandendes „LVR“ gut verzichten. Eigentlich hätte der originale Name, „Museum Rheinisch-Westfälischer Altertümer”, meine Stimme. |
[2] | Caesar hat die Eburoner eingestandenermaßen als cisrheinische Germanen statt als Gallier bezeichnet, aber zu der Zeit waren Germanen ja auch gerade erst frisch erfunden, und es spricht extrem viel dafür, dass das schon eher so Asterix-Leute waren, angefangen beim Namen des einen ihrer Chefs. Nein, nicht Majestix, aber doch Ambiorix. |
[3] | Vgl. diese Fußnote |
[4] | Jaja, Orangen, die mensch schälen wollte, gelangten wohl erst über 1000 Jahre nach dem Tod der Schönen von Zülpich ins (dann ehemalige) Imperium Romanum. Aber vielleicht wollte sie ja Holzäpfel schälen, wenn die arme Seele schon keine Orangen hatte? |
Zitiert in: Vom „Humboldt Forum“ nach Knossos: Viel Fantasie über Palastruinen „Menschen am Rhein“ in Karlsruhe Besuch bei Schurken: Im Reiss-Engelhorn-Museum Hasadeure und Schlitzohren: Die Habsburger im Mittelalter in Speyer