Namen, die morgen in aller Munde sein könnten: Dansgaard, Oeschger, NGRIP und Heinrich

Ein Plot von δ18O (zwischen 0 und 2.5 Promille) über dem Abstand von Zentralgrönland (zwischen 0 und 20000) .  Bunte Punkte und schwarze Kreuze versammeln sich fast ausschließlich unterhalb der Diagonalen, eine türkise Gerade deutet eine schwach fallende Tendenz zwischen (0, 2) und (12000, 1.2) an.

Das ist Abbildung 4 aus dem unten diskutierten Fohlmeister et al-Paper; das „NGRIP“ auf der Abszisse ist (im Effekt) ein Ort in Grönland, auf der Ordinate ist etwas, das mit irgendeiner Sorte Klimaänderung verknüpft sein wird. Mehr dazu unten.

Ich fürchte, ich lebe im Hinblick auf die Klimawissenschaft ein wenig hinter dem Mond, denn: Ich habe bis neulich noch nie etwas von Dansgaard-Oeschger-Ereignissen (jedenfalls unter diesem Namen) gehört, und das, obwohl die sowohl extrem gruselig sind als auch ziemlich alte Hüte – die das Konzept einführenden Arbeiten sind um 1990 herum erschienen. Auch der Popstar der deutschen Klimawissenschaft, Stefan Rahmstorf, hat schon darüber geschrieben[1].

Ich hingegen habe erst vor drei Wochen beschlossen, dass ich mir besser mal die Namen „Dansgaard“ und „Oeschger“ merke, bevor deren Unkenntnis eine peinliche Bildungslücke wird („Corona? Wie der Draht im Laserdrucker?“). Da nämlich hörte ich den Beitrag Was Tropfsteinhöhlen über das weltweite Klima verraten in der DLF-Forschung aktuell-Sendung vom 30.8.

Warum soll mensch sich die Namen merken? Nun, im Rahmen des Klimawandels mag es durchaus sein, dass wir ein „inverses” Dansgaard-Oeschger Ereignis bekommen, über das gegen Ende des DLF-Beitrags der PIK-Klimaforscher Nils Boers sagt:

Also ich bin da noch nicht überzeugt, dass es wahrscheinlich in diesem Jahrhundert passieren würde, ich bin da eher mit dem letzten IPCC-Bericht, der sagt, dass es in diesem Jahrhundert unwahrscheinlich ist.

Wenn es denn passiert, dann hätte man, wie auch bei den Dansgaard-Oeschger-Ereignissen, massive Veränderungen der Monsun-Systeme, nur in die andere Richtung. Die intertropische Konvergenzzone würde sich nach Süden verschieben, was im Amazonas und im subtropischen Südamerika zu sehr komplexen Veränderungen der Niederschlagmuster führen würde, wo unklar ist, ob das den Amazonas eher positiv oder eher negativ beeinflussen würde.

In Afrika ist es eine relativ einfache, vergleichsweise relativ einfache Situation, da würde sich einfach der westafrikanische Monsun so weit nach Süden verschieben, dass die Regionen, die aktuell an diesen Monsun angepasst sind, also auch vor allem die Gesellschaften, die Ökosysteme, dass die wirklich vor massive Probleme gestellt würden. Sehr ähnlich sähe es in Indien aus, ebenfalls massive Niederschlags-Reduktionen und möglicherweise ein Abbrechen des indischen Sommermonsuns, was dann auf einen Schlag über eine Milliarde Menschen sehr negativ beeinflussen würde, und ähnlich würde es auch in Südostasien aussehen.

In Europa hätte man Abkühlung von, sagen wir mal, zwei bis zehn Grad, je nachdem, wie weit man nach Norden geht, aber in den mittleren Breiten, bei uns, wären die Temperaturunterschiede und auch die Niederschlagsunterschiede eher moderat. Die wirklich schlimmen Folgen wären in den Tropen.

Dansgaard-Oeschger und ihre Vorgeschichte

Um zusammenzufassen, was im Beitrag vor dieser Aussage kommt: die Dansgaard-Oeschger-Ereignisse sind Episoden einer sehr raschen (also: während vielleicht so eines Jahrzehnts) Erwärmung während der letzten Eiszeit (für ältere Eiszeiten gibt es, glaube ich, noch keine Daten in entsprechend hoher Auflösung). Die Amplitude dieser Änderung kann in Gegend von Grönland 10 K betragen, global ergeben sich allerlei wilde Wetterkapriolen. So in etwa: El Niño auf Steroiden und im hohen Norden.

Warum das Klima dann und wann aus eiszeitlichen Verhältnissen in welche aufgetaucht ist, die mehr unseren heutigen ähneln, will offenbar niemand so ganz sicher versprechen, aber mein Außenseiter-Eindruck ist, dass doch alle glauben, der Zustand außerhalb der Dansgaard-Oeschger-Ereignisse sei der, wenn „der Golfstrom aus ist”. Im DLF-Beitrag wird das diskutiert als Unterbrechung der Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC) – auf Deutsch der thermohalinen Zirkulation im Atlantik.

Boers' Katastrophenszenario ist also der Zustand, wenn wir umgekehrt mal kurz in den Eiszeit-Grundzustand fallen. Spätestens seit dem Roland Emmerich-Reißer The Day After Tomorrow ist das eine relativ populäre Geschichte, doch den offiziellen Namen dafür habe ich auch erst neulich gelernt: Heinrich-Ereignis.

In aller Kürze fließt dabei wegen steigender Temperaturen zu viel Süßwasser von Grönland in den Nordatlantik. Dann wird das ehemals warme, normalerweise salzreiche und damit dichtere Wasser aus niedrigen Breiten nicht mehr absinken, weil es zu sehr verdünnt und damit gegenüber dem Tiefenwasser nicht mehr dichter ist. Damit wird es auch nicht mehr untermeerisch zurück nach Süden fließen, und damit kann oben kein warmes Wasser mehr aus dem Süden nachkommen. Wie gesagt: „Golfstrom aus“.

Wer sich mit der Gaia-Hypothese anfreunden kann, könnte sagen: Die Erde zieht die Notbremse gegen ein Abschmelzen der Eiskappen rund um den Nordpol.

Reden wir lieber über Sauerstoff-Isotope

Gegenüber diesen fast schon hollywoodesken Katastrophenszenarien ist das Paper, um das es im Interview eigentlich ging, nachgerade entspannend.

Es handelt sich um „Global reorganization of atmospheric circulation during Dansgaard–Oeschger cycles“ von Jens Fohlmeister und KollegInnen aus dem Umfeld des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung. Der DOI des Artikels, 10.1073/pnas.2302283120, führt (noch) auf eine Paywall. Wer dank Uni-Angehörigkeit da durch kommt, wird mit einem grässlichen Javascript-PDF-Renderer vom Verlag bestraft (was denken sich die Leute eigentlich? Dass ich mir bei der Wahl meines PDF-Renderers nichts gedacht habe?) Aber freut euch: Das Paper liegt unter (immerhin) CC-BY-NC-ND[2], so dass ich es hier ganz legal vernünftig verbreiten kann.

Ich habe zunächst schon deshalb einen Haufen Wohlwollen für die Arbeit, weil sie sich zentral auf Archivdaten stützt. Da ich glaube, dass viel zu viele mit großem Aufwand erhobene Daten von viel zu wenig Hirnen überdacht werden, halte ich das für vorbildlich.

Außerdem kann ich sehr lange über der Abbildung 1 grübeln, in der allerlei Signale in Klimaarchiven korreliert werden mit bekannten Dansgaard-Oeschger-Ereignissen (ihr merkt schon, ich versuche mich hier an Mnemotechnik durch häufiges Ausschreiben). Nicht zuletzt bin ich überrascht, wie viel der Eiszeit in diesen Warm-Einschüben (in Grau) verging. Was sich die damals schon allenthalben herumspringenden diversen Homo-Spezies wohl bei diesen Kapriolen gedacht haben?

Grübeln kann ich, weil die Korrelation der meisten Signale per nacktem Auge nicht überzeugt: Kann sein, dass da im grauen Bereich was anderes passiert als im weißen, kann aber auch nicht sein. Zugegeben: ordentliche Tests dürften fast immer eine robuste Korrelation ergeben. Für einen spezifischen Satz von Signalen versucht das das Fohlmeister-Paper, und zwar für Veränderungen im Isotopen-Verhältnis von 18O zu 16O, kurz δ18O genannt.

Isotopentrennung: Warum, wann und, na ja, nochmal warum?

Die mikroskopische Theorie dahinter ist einfach und plausibel: Ein Wasserteilchen mit dem schweren Sauerstoff ist, wenn es die gleiche Energie hat wie eines mit dem normalen 16er-Sauerstoff („im thermischen Gleichgewicht“, was in der Regel eine ausgezeichnete Annahme ist), etwa 5% langsamer als das normale. Das kommt von der kinetischen Energie E = mv2 ⁄ 2; wenn ihr das nach v auflöst und die Energien gleichsetzt, ist das Verhältnis der Geschwindigkeiten gleich der Wurzel des Verhältnisses der Massen, das hier 0.9 ist.

Wenn das schwere H₂18O langsamer unterwegs ist, kommt es plausiblerweise weniger leicht aus einem Wassertropfen raus. Es wird daher im zurückbleibenden Wasser angereichert und im Dampf abgereichert sein; je mehr aus einem Wasserkörper verdunstet (also vielleicht: je wärmer es ist), desto höher ist das 18O darin angereichert.

Zusätzlich ist das 18O, das in den Dampf kommt, ja immer noch langsamer und wird daher eher in beginnenden Tröpfchen steckenbleiben und dann irgendwann runterregnen, so dass das in der Atmosphäre verbleibende Wasser nochmal an schwerem Sauerstoff abgereichert sein wird.

Fohlmeister et al hoffen zunächst auf den ersten Effekt: Je höher die Temperatur in einer Tropfsteinhöhle, desto höher ist die Verdunstungsungsrate, desto größer die Anreicherung, desto positiver das δ18O-Signal:

Speleothem [d.h. aus Tropfsteinen] δ18O is enriched compared to δ18O in cave drip water by temperature-dependent fractionation processes during carbonate deposition on speleothem surfaces.

Wenn das der einzige Dreher am δ18O wäre, wäre das ein ideales Klimasignal, denn – und ich finde das auch immer wieder verblüffend – schon fünf Meter unter der Erde ist vom Jahreszeitengang der Temperatur nichts mehr zu sehen, und vom Wetter schon gar nichts. Leider jedoch ist die Welt nicht so, was Fohlmeister et al durch ihre Qualifikation „compared to δ18O in cave drip water“ reflektieren: Das Wasser kommt ja woher, und die Isotopenzusammensetzung von Regenwasser kann ziemlich schwanken. Der Wikipedia-Artikel mit dem hübschen Titel δ18O sagt nur qualitativ:

Folglich enthält das Oberflächenwasser der Ozeane in den Subtropen größere Mengen an 18O, denn dort ist die Verdunstungsrate erhöht. Geringere Mengen an 18O gibt es im Ozeanwasser mittlerer Breitengrade, wo es mehr regnet.

Trotz dieser Vagheit stecken hinter all dem echte Präzisionsmessungen: Bei der englischen Wikipedia findet sich das hier als typische Größenordnungen des 18O-Gehalts:

Grönländisches Eiswasser 0.1981%
Luft 0.204%
Meerwasser 0.1995%

(wobei ich nicht weiß, ob „Luft“ nur den Wasseranteil der Luft meint; da ist ja glücklicherweise durchaus auch kräftig molekularer Sauerstoff drin). Um nun zu δ18O-Zahlen zu kommen, müssen winzige Signale dieser Art noch voneinander abgezogen werden – es ist beeindruckend, dass bei diesem numerischen Alptraum irgendwas Konsistentes rauskommt.

Ich glaube, die Arbeit versucht sich mit folgender Passage aus dem Problem wahrscheinlich mit dem Klima schwankenden δ18O im Regenwasser rauszuwinden:

[E]specially as we investigate climate-driven changes in δ18O of two climate states, climate-independent cave site-specific offsets will cancel. Hence, drip water δ18O variations as derived by speleothem δ18O values can primarily be interpreted as a proxy for δ18O changes in precipitation, which in turn is often used as a proxy for both precipitation amounts and changes in moisture sources, although other less important processes can impact δ18O at specific locations as well.

Das stimmt ja, aber: seht ihr dann nicht doch eine wilde Mischung aus klimaabhängigen Signalen von Niederschlag, den Quellen dieses Niederschlags und eben der Höhlentemperatur?

Eine coole Abszisse

Technische Details beiseite – lasst mich nochmal den Eingangsgraph zeigen:

Ein Plot von δ18O (zwischen 0 und 2.5) über dem Abstand von Zentralgrönland (zwischen 0 und 20000) .  Bunte Punkte und schwarze Kreuze versammeln sich fast ausschließlich unterhalb der Diagonalen, eine türkise Gerade deutet eine schwach fallende Tendenz zwischen (0, 2) und (1.2, 12000) an.

Ich würde optisch zugestehen, dass da irgendwas passiert, auch wenn ich als Gutachter bestimmt gemäkelt hätte, dass du nicht einfach die Daten binnen und dann die 66% des Signals in jedem Bin wegwerfen kannst, in denen nichts zu sehen ist. Oder klar, du kannst es, aber dann hast du halt jede Statistik getötet. Es sei denn natürlich, du kannst post hoc argumentieren, was das „gute“ Drittel ausmacht, abgesehen davon, dass es halt zu deiner These passt. Nehmt jedenfalls den Strich in Cyan nicht zu ernst.

Wirklich großartig finde ich aber die Größe auf der Abszisse: „distance from NGRIP“. NGRIP als Ortsbezeichnung sollte viel bekannter sein; es ist der Ort einer wohlgeplanten Erweiterung des langen GRIP-Eisbohrkerns und damit der Ort, wo wir recht detaillierte Daten zum Klimaverlauf einer kompletten Eiszeit (nun: der letzten) haben. Da wir gerade mit dem Klimasystem spielen als gäbe es kein Morgen, ist das praktisch ein modernes Alexandria: Die Bibliothek, die ziemlich viel erklärt. So ein Ort, auch wenn er in der eisigen Einöde ganz oben auf dem Gletscher von Grönland liegt (bei 75.1° N, 42.32° W; ohne, dass ich die Genauigkeit dieser Position kenne, traue ich mich allerdings nicht, NGRIP selbst neben die Landebahn in die Openstreetmap einzutragen), verdient selbstverständlich einen Namen, der ähnlich bekannt sein sollte wie, sagen wir, Alexandria.

Was immer wirklich in den Daten von Fohlmeister et al zu sehen ist: NGRIP, Dansgaard-Oeschger- und Heinrich-Ereignisse gehören, so sage ich zuversichtlich bzw. mit einigem Grausen voraus, zur Allgemeinbildung der Zukunft.

[1]Rahmstorf hat sich allerdings in doi:10.1029/2003GL017115 an einer Korrelation mit astronomischen Triggern versucht, hier insbesondere der Sonnenaktivität, und da bekenne ich tiefe Skepsis. Nur weil einige der Milanković-Zyklen wirklich existieren, heißt das nicht, dass das Wetter auf der Erde nicht in der Regel auf oder unter der Erde gemacht würde. Es scheint, als würden mir Fohlmeister et al. zustimmen, denn ihr numerisches Modell hält die extraterrestrischen Randbedingungen von -21 ka über ihre ganze Simulationszeit konstant.
[2]Ernstgemeinte Frage: Wenn ich hier die Abbildung 4 ausgeschnitten einbinde, ist das schon problematisch wegen CC-ND? Ich hoffe nicht, aber ich lese mal lieber nicht genau nach.

Letzte Ergänzungen