Ich war am letzten Wochenende im historischen Museum der Pfalz
(seufz: Google-Tracking, aber Crapicity nur mäßige 10.76) in Speyer,
und zwar vor allem für deren aktuelle Sonderausstellung „Die Habsburger
im Mittelalter“.
Der erste Eindruck ist der eines geradezu rührenden Anachronismus, denn
es geht ein wenig im Stil des 19. Jahrhunderts um die Mächtigen, ihre
Querelen und Kriege, ihre Hochzeiten und Intrigen – nichts anderes hatte
ja der Ausstellungstitel versprochen. An jeder Ecke hängt ein
Stammbaum, alles ist voll mit mindestens zweifach gesiegelten Urkunden
in Plakatgröße, und natürlich gibts viel Blech in Form von Rüstung, Helm
und Schwert. Es ist fast, als hätte die Besinnung auf Alltags-,
Sozial-, Technik- und Wirtschaftsgeschichte (die ich schon in meinem
Bericht aus dem Bonner Landesmuseum angesprochen habe) seit den
1960er Jahren nicht stattgefunden.
Aber ganz so ist es auch nicht, denn einerseits gibt es immer wieder
entsprechende Ausblicke – so zum Beipiel wird ein Hauch
Technikgeschichte anhand zweier sehr erschreckend aussehender Helme
aufgemacht –, zum anderen erscheinen die ProtagonistInnen (mit
originellen Namen wie Dietrich III von Mömpelgard) nicht wie in der
klassischen Geschichtsschreibung als heroische Agenten des Weltgeistes,
sondern eher als die Glücksritter, Schurken, Hasadeure und Schlümpfe,
die sie ja tatsächlich waren.
Nehmen wir die Geschichte der verfeindeten Doppelkönige Ludwig der
Bayer (Wittelsbach) und Friedrich der Schöne (Habsburg). Da sie
ihre Macht nicht brav teilen wollten, hatten sie 1322 ihre
jeweiligen Gefolgsleute in der Schlacht bei Mühldorf einander
abschlachten lassen. Aber wie es so ist, 1325 mussten sie sich dann
vertragen, was zu einem, haha, Vertrag führte, der in der Ausstellung zu
bewundern ist als eine der Urkunden mit viel Gesiegele.
Von allem, was aus der Urkunde an weltgeschichtlichem Brimborium hätte
zitiert werden können, entschieden sich die KuratorInnen der Ausstellung
für die Kuriosität, dass die beiden Grobiane versprachen, sich künftig
als „Bruder“ anzureden. Ich bin überzeugt, dass sie, also die
KuratorInnen, das durchaus in den Kontext heutiger Nutzungspraktiken der
„Bruder“-Anrede stellen wollten.
Zwischen mir und meiner Begleitung der klar populärste Habsburger war
demgegenüber Rudolf IV von Österreich, den ich bisher nur beiläufig
als Gründer der Uni Wien („Rudolphina“) auf dem Schirm hatte.
Lobenswerterweise macht die Speyrer Ausstellung weder davon noch von
seinen Aktivitäten im Hinblick auf den Bau des Stephansdoms viel
Aufhebens (gebaut und betrieben haben die Dinger ja eh andere Leute),
während sie genüsslich den Umstand ausbreitet, dass Rudolf IV eifrig
Urkunden hat fälschen lassen, um seine Stellung im Reich zu verbessern.
Ganz vorne dabei ist das Privilegium Maius, das mich hinriss mit der
völlig bizarren Berufung auf Julius Caesar und Nero Claudius als Quellen
von Privilegien und Autorität.
Tatsächlich hat mich das ein wenig ins Grübeln gebracht: War Nero zu
dieser Zeit, also um 1350 herum, noch nicht der durchgeknallte
Großschurke, für den wir alle ihn spätestens seit Peter Ustinovs
Schauspiel in Quo Vadis – während meiner Schulzeit Standardstoff für
Vertretungsstunden – halten? Da damals sicher weniger Quellen der
besonders nerofeindlichen senatorischen Geschichtsschreibung bekannt
waren als heute, wäre das zumindest denkbar. Ob das mal wer untersucht
hat?
Noch bedenkenswerter bei der Geschichte finde ich aber, dass die Krone,
die sich Rudolf IV zur Beglaubigung seiner (erfälschten)
Erzherzogs-Ansprüche hat anfertigen lassen, viel echter aussieht als
echte Kronen – notabene: Der Stifter-Rudolf hat es trotz seiner
Fälschreien nie zum echten König gebracht.
Vielleicht ist das ja eine gute Faustregel: Wenn es ganz besonders echt
aussieht, ist es wahrscheinlich ein Fake. Wie im Vergleich eine
tatsächliche Krone (schön: gut 300 Jahre früher) aussieht, lässt sich
ebenfalls im historischen Museum der Pfalz bewundern, nur einen Stock
tiefer im Domschatz:
Nun mag mensch ein wenig die Nase rümpfen über einen Potentaten, der
dreist Urkunden fälscht, um sein Territorium oder – im Fall des
Privilegium Majus im Vordergrund – seinen Einfluss zu erweitern. Aber:
Andere – ich erwähne mal die deutsche Regierung, die den Angriff auf
Rumpf-Jugoslawien 1999 mit einem frei erfundenen „Hufeisenplan“ der
Gegenseite rechtfertigte – fälschen und führen danach Kriege, und das
kann mensch Rudolf IV jedenfalls nach Maßstäben der damaligen Zeit nicht
vorwerfen. Insofern mag er als Vorläufer der Felix Austria-Politik
gelten. Meine Chance für ein wenig Latein:
Bella gerant alii, tu felix Austria nube.
Nam quae Mars aliis, dat tibi diva Venus.
Frei übersetzt: andere führen im Geiste von Mars Kriege, du, glückliches
Österreich, heiratest im Geiste der Venus. Auch wenn es im Fall von
Rudolf IV vielleicht mehr Mercurius (in seinem Aspekt als Gott der
Diebe) war als Venus: Ich wäre meiner Regierung wohlgesonnener, wenn sie
es ähnlich halten würde.
Leider (aus Sicht seiner Untertanen) war das mit Merkur und Mars anders
beim letzten Habsburger, um den es in der Ausstellung geht, nämlich
Maximilian I. Da die Ausstellung ja die Habsburger im Mittelalter
behandeln sollte, hätte mensch den erkennbar frühhumanistisch
beeinflussten Maximilian auch rauslassen können. Aber das wäre schade
gewesen, denn er passt wunderbar in die Reihe eher halbseidener
Gestalten, die die Ausstellung präsentiert.
So geht es dann auch nicht allzusehr um die dynastischen und
kriegerischen Bemühungen des Potentaten. Stattdessen wird er eher als
erster Träumer einer Ritterromantik dargestellt denn als – wie
konventionell und auch in der Wikipedia – „letzter Ritter“. Genüßlich
wird etwa eine frühe Fassung seines (?) Ritterromans Theuerdank mit
kitschigen Bildern gezeigt, und eben auch seine zu seiner Regierungszeit
bereits klar anachronistischen Turnierrüstungen.
Mir allerdings fiel besonders ein Exponat auf, das es wahrscheinlich nur
wegen seiner Relevanz für Speyer in die Ausstellung geschafft hat:
Dies ist ein Brief von Maximilian I an seine Untertanen in Speyer,
dessen Inhalt letztlich wurst ist. Relevant ist die Form: Angesichts
des damaligen Preises von Papier (oder Pergament – ich habe nicht
geschaut, auf was da geschrieben wurde) ist der riesige leere Raum auf
dem Schreiben das Äquivalent zum SUV von heute. Dieser Brief ist die
Ansage, es komme nicht drauf an – was allerdings für Maximilian, der
finanziell am Tropf der Fugger hing, ebenso eine Lüge war wie es das
heute im Hinblick auf Lärm, Platz und CO₂-Budget für SUVs oder Autos im
Allgemeinen ist.
Wer will, kann die Ausstellung noch bis zum 16. April ansehen, wenn auch
für erstaunlich viel Geld (ich glaube, ich habe etwas wie 18 Euro
gesehen; wenn das wirklich so ist, amortisiert sich mein Museumspass
mit atemberaubender Geschwindigkeit). Menschen, die das tun, sei zu
einer Aftershow geraten. Sehr beeindruckend in Speyer ist jedenfalls
die alte Mikwe gleich um die Ecke vom historischen Museum.
Zusätzlich lohnt ein Besuch der Reliquienkammer im Dom rechts hinten. Die
Mischung aus Befremden und Gruseln angesichts gefasster und im
Goldrahmen aufgehängter Oberschenkelknochen (vielleicht von Heiligen
anderer Zeiten, vielleicht auch nicht) ist unbezahlbar und dank
katholischem Sponsoring auch umsonst.
Wegen Eintrittspreisen hätte ich natürlich auch einfach auf der
Webseite nachsehen können. Da steht nämlich, dass die 18 Euro die
„Generationenkarte“ sind, die für bis zu fünf Menschen in passenden
Altergruppen gilt. Der normale Eintritt sind neun Euro.