• Mehrfach reflexiv: Das Linden-Museum in Stuttgart

    Foto: Jede Menge knallbunter Puppen auf Stufen drapiert.

    Mein Lieblingsexponat in der derzeitigen Sonderausstellung im Linden-Museum: ganz aktuelle Kola-Puppen aus Südindien mit blütenweißer Provenienz. Wer sich fragt, was das ist: Ich erzähle paar Absätze weiter unten etwas mehr darüber.

    Neulich hatte ich ein Treffen in Stuttgart. Da ich mich schon mal durch die S21-Katastrophe am Hauptbahnhof – kommt es nur mir so vor oder wird das immer noch schlimmer? – hatte kämpfen müssen, verband ich das mit einer weiteren Museumspass-Anwendung: Dem Linden-Museum, in dem es nicht etwa um Bäume (der Name bezieht sich einen Kolonial-Lobbyisten im Stuttgart des späten 19. Jahrhunderts, der das Ding aus der Taufe gehoben hat) geht, sondern um „Völkerkunde“.

    Weit hinaus über Kreise, die meine Skepsis zum Begriff Volk teilen, haben Museen mit diesem Profil gerade mehrdimensional einen schweren Stand. Zunächst kommen horröse Provenienzfragen hoch. Das Linden-Museum beispielsweise hat(te) selbst irgendwas wie 100 Stücke aus der besonders heftig diskutierten Benin-Beute – unter denen mich übrigens die bearbeiteten Stoßzähne mehr beeindruckt haben als die Gegenstände aus Bronze.

    Nachfahren der Kolonialvereine

    Fundamentaler noch wurzeln die Völkerkunde wie ihre Museen ziemlich flächendeckend in kolonialer Begeisterung, und jedenfalls nach meiner Erfahrung mit der Heidelberger Ausgabe des Genres war der koloniale Blick noch lange die Regel: der weiße Mann erforscht und untersucht die, die noch nicht so weit sind und delektiert sich an ihren Marotten. Im vielleicht freundlichsten Fall konstruiert er alberne und meist zutiefst autoritäre Bilder vom edlen Wilden.

    Demnach mag das Interessanteste an einem Besuch bei den Lindens deren Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte und Funktion sein. Abschnittsweise scheinen sie zu einer Art Metamuseum geworden zu sein, einem Museum vergangener und gegenwärtiger musealer Praxis.

    So nimmt die Diskussion der Bestände aus der Plünderung des Palastes von Benin eine ganze Wand des großzügigen Treppenhauses ein, auch wenn der Text dort nicht mehr ganz aktuell ist. An der Stelle heißt es noch: „Ende 2022 sollen die ersten Rückgaben erfolgen“, während in der Ausstellung selbst zwar weiter viel Raubkunst zu sehen ist, aber auch berichtet wird, immerhin eine Zeremonienmaske sei bereits nach Nigeria gegangen, und nur 24 Stücke würden noch längere Zeit als Dauerleihgabe in Stuttgart bleiben.

    Testfall Afghanistan

    Ähnlich selbstkritisch betrachtet die Ausstellung Marmorreliefs der Ghaznawiden – ich gestehe offen: ich hatte voher nichts von diesem Reich gehört, das so um die 1000 herum vom heutigen Afghanistan aus nennenswerte Teile des mittleren Ostens beherrschte –, die Linden-ArchäologInnen 1957 unter offenbar fragwürdigen Umständen nach Stuttgart gebracht haben.

    Gerade Afghanistan – immerhin Ort von etwas, das durchaus als jüngster deutscher Kolonialkrieg durchgehen kann – erlaubt aber, auch positivere Bilder ethnologischer Museen zu zeichnen. So hat eine Linden-Crew in den 1970er Jahren im ebenfalls afghanischen Tashqurghan (heute, paschtunisiert, Cholm – gar nicht weit von Masar-i-Sharif, Hauptwirkungsort unserer Schutztruppe^W „humanitären Einsätze“) wahrscheinlich mit informierter Einwilligung der Betroffenen eine Bazarstraße demontiert und in Stuttgart wieder aufgebaut, was für mich eines der beeindruckendsten Exponate war:

    Enger Gang durch einen konservierten Bazar

    An der Stelle hätte ich es vielleicht sogar etwas effektheischender gemocht, etwa durch Einspielen von Tonaufnahmen, die in den Straßenszenen aus Tamil Nadu in der Sonderausstellung (kommt gleich) für mich gut funktioniert haben. In jedem Fall scheint es mir durchaus recht verdienstvoll, wenigstens eine Straße erhalten zu haben von einem Bazar, von dem inzwischen sowohl aufgrund von lokaler Entwicklung als auch aufgrund von Zerstörungen diverser Kriege am ursprünglichen Platz nichts mehr übrig sein dürfte.

    Vertikale Blickrichtungen

    Wiederum andererseits ist das alles dünnes Eis: Wäre die Grenze zum kolonialen Blick beispielsweise überschritten, wenn die Linden-Leute die Bazar-Buden mit schneidernden oder schmiedenden Puppen besiedelt hätten?

    Grundsätzlich fand ich beim Laufen durch die Ausstellung die wechselnden Perspektiven durchaus bemerkenswert. Bei iranischen Druckplatten aus dem 12. Jahrhundert und noch mehr bei der ostasiatischen Ausstellung war der Blick eindeutig in Augenhöhe gerichtet. Meinem Römerfimmel nachgebend möchte ich als Beispiel dieses chinesische Exponat anführen:

    Modell eines Wehrturms mit Brüstung und Armbrustschützen

    Das ist nicht nur präsentiert wie analoge Exponate aus der Römerzeit in anderen Museen (im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe gibt es z.B. römische, nun ja, Puppenhäuser), es ist schon fast irritierend, dass dieses Modell in der Zeit unserer Limestürme gefertigt wude, nämlich während der östlichen Han-Dynastie (24 bis 220 ndCE[1]). Eine relativ aktuelle Aufarbeitung der westlichen Version von Türmen dieser Art steht nahe dem kleinen Bahnknotenpunkt Osterburken:

    Foto: rekonstruierter Limes-Wachturm mit Brüstung und weiß-rotem Mauerstrich hinter grasbewachsenem Wall („von Germanien aus”).

    Archäologisch ist übrigens nicht entscheidbar, ob zwei (wie im chinesischen Modell), ein (wie im Bild) oder kein (wie in anderen Rekonstruktionen) Wehrgang die Regel waren; Vorbild für römische Türme ist ein Halbrelief auf der Trajansäule. Als die östliche Han-Dynastie unterging, war es auch mit den Türmen Marke Osterburken vorbei; zwischen 230 und 260 zerfiel der Limes in Obergermanien. Oh – entschuldigt bitte die Abschweifung. Bei so klaren Parallelen kann ich nicht widerstehen.

    Von Akam, Liebe, und Krieg, Puram

    Einen Eindruck von moderner ethnologischer Praxis gibt, so glaube ich als Laie, die aktuelle Sonderausstellung Von Liebe und Krieg über TamilInnen in Südindien und der Welt (wer sie auch noch sehen will, muss sich beeilen: sie schließt am 7. Mai). Gerade der Eingangsraum mit einer Multi-Beamer-Installation und dichtgewebten, für meinen Geschmack geradzu hermetischen Metaphern in gelesen-untertitelter Beziehungslyrik – ich vermute, aus der caṅkam-Literatur, von der gleich die Rede sein wird – war sicher sehr stimmungsvoll. Aber ich bin mir nicht sicher, ob der demonstrative Respekt für die „fremde Kultur“ nicht schon wieder umschlägt ins othering, in die Konstruktion einer Fremdheit, die es so vielleicht gar nicht (mehr) gibt.

    Immerhin ist das Gefühl der Fremdheit, das bei mir am Anfang der Ausstellung aufkam, wirklich bezaubernd. Ich entwickelte eine Vorstellung vom „Dichterrat“ (Sangam oder caṅkam), der in der tamilischen Urzeit mehr oder minder die Geschicke der Kultur in der Hand hatte. Das erschien mir auf Anhieb sympathischer als, sagen wir, Platons autoritärer Philosophenstaat (Disclaimer: In der Wikipedia bleibt von irgendwelchen weltlichen Rollen möglicher Dichterräte eigentlich nichts mehr übrig; insofern war das vermutlich mehr meine Fantasie beim Wort „Rat“).

    Die Behauptung der Rolle von DichterInnen im tamilischen Denken verstärkend zeigt die Ausstellung aktuelle (2018) Ikonographie – ob nun Popstar oder Heilige – für die der etwas emanzipatorschen Bhakti-Bewegung zugerechnete Dichterin Andal (deren Existenz für so etwa das 8. Jahrhundert wohl hinreichend belegt ist):

    Ein sehr buntes und etwas naives Bild einer Frau mit Heiligenschein in einem goldfarbenen Rahmen

    Unter die Materialien, die in das Exponat gingen, zählt die Beschriftung explizit „Kunststoff“. Der Ausstellung ist generell große Aktualität zu bescheinigen – ich denke, mehr als die Hälfte der Exponate stammen aus dem 21. Jahrhundert.

    Universalien bunten Plastikplunders

    Dass aber vieles einfach nur auf den ersten Blick fremd aussieht, habe ich mir besonders gedacht bei der ebenfalls aktuelle Produkte zeigenden Navaratri-Installation im Religions-Abschnitt. Weil sie so schön ist, habe ich sie schon eingangs gezeigt:

    Foto: Jede Menge knallbunter Puppen auf Stufen drapiert.

    Was da so knallig und verrückt daherkommt, sind Kola-Puppen, die, die Ausstellung und die Wikipedia sind sich in diesem Punkt einig, vor allem Frauen zum großen Fest des Sieges von Kali über den Büffeldämon aufstellen. So seltsam Büffeldämonen und quietschbunter Plastikquatsch wirken mögen: Stellt euch vor, indische EthnologInnen fallen plötzlich bei Käthe Wohlfahrt ein (das können sie in Heidelberg das ganze Jahr über) oder gar auf einem Weihnachtsmarkt. Stellt euch weiter vor, sie zeigen in einer Ausstellung eine klassische deutsche Weihnachtszimmer-Szene mitsamt all dem Plunder, den Leute so an ihre Weihnachtsbäume hängen. Würde das InderInnen irgendwie anders berühren als uns deren Navarati-Plunder?

    Oder: Pop-Quiz zu Votivgaben: Welches von den folgenden Bildern entstand in der Ausstellung, welches am Chiemsee und welches im Römermuseum Ruffenhofen?

    Drei Fotos nebeneinander, jeweils von stilisierten Körperteilen, ganz links in Holz, die beiden anderen in Metall getrieben.

    Lösung: Erstaunlicherweise haben sich die hölzernen Arm- und Beinvotive aus der Römerzeit erhalten, während der düstere Kram in der Mitte relativ aktuelle Votivgaben an die heilige Irmingard auf Frauenchiemsee sind.

    Bharati und Ramasami

    Neben Literatur und Religion bietet die Sonderausstellung Abschnitte zu Politik und Alltag. Die Politiksektion handelt im Groben von Leuten, die hofften, auf einem nationalen Ticket sozialen Fortschritt zu erreichen – so etwa Subramaniya Bharati – und im Wesentlichen mit beidem baden gingen. Oder von anderen, die ein wenig so wirken, als hätten sie auf einem sozialen Ticket nationale Fragen behandeln wollen, namentlich Erode Venkata Ramasami Naicker[2], der in der Ausstellung in einer Auseinandersetzung mit Gandhi (1927) zu sehen ist, wahrscheinlich, während er ihm ausreden will, Hindi als lingua franca der indischen Union zu etablieren, um das koloniale Englisch abzulösen:

    Ramasami und Gandhi als bereits etwas ältere Männer auf einem nachkoloriert und retouschiert wirkenden Foto. Ramasami erklärt gerade etwas.

    Ramasami wirkt hier als dravidischer Aktivist – ich kann nicht beurteilen, ob er das wirklich war –, der sich gegen kontinuierliche indogermanische Dominanz (denn auch Hindi ist als späte Erbin des Sanskrit wie Englisch eine indogermanische Sprache) wandte. Und da sind wir dann wieder bei Fragen kolonialer Bewältigung, denn zumindest laut Ausstellung war eine zentrale Wurzel des tamilischen Nationalismus die Beschreibung der dravidischen Sprachfamilie (zu der dann auch Tamil gehört) durch den anglikanischen Missionar Robert Caldwell Mitte des 19. Jahrhunderts.

    Die Alltagssektion schließlich hat mich mit der wahren Dimension von Saris überrascht (die Dinger sind lang) und räumt dann mit allen Illusionen über Gesellschaften auf, deren Heilige und Helden DichterInnen sind. In einem mutmaßlich repräsentativen Satz aktueller ayurvedischer Medizin wird ein Anti-Kater-Wundermittelchen mit dem dämlichen Namen PartySmart gezeigt:

    Drei Medikamentengebinde, das mittlere eine Pappschachtel mit der Aufschrft "PartySmart Capsules/Relieves unpleasant after-effects of alcohol" der Firma Himalaya Wellness

    Vielleicht wäre ja die beste Nachricht, die mensch aus einem Museum zu „Völkerkunde“ mitnehmen könnte, etwas wie: Wir waren schreckliche Bestien und sind nur allmählich ein wenig weniger schurkig geworden. Aber der Prozess der Zivilisation ist auch bei unseren Opfern müh- und …

  • Hardenburg: Zu echt, um wahr zu sein

    Foto von Mauerwerk und Türmen

    Ein Traum von einer Burg: Die Hardenburg nach dem Durchschreiten des Westbollwerks.

    Ich war am letzten Wochenende mit meinem Museumspass in der Hardenburg bei Bad Dürkheim, und ich fand meine Beobachtung angesichts der Krone von Rudolf IV bestätigt: Wenn es ganz besonders echt aussieht, ist es wahrscheinlich ein Fake.

    Gut: Fake ist vielleicht ein zu starkes Wort, aber die großen Mengen alten und restaurierten Mauerwerks, die vielen Türme und Türmchen und die zahlreichen Gänge, die sich immer wieder zu nicht ganz erwartbaren Plätzen öffnen, all das hat es in dieser Dichte in mittelalterlichen Burgen wohl (leider) eher nicht gegeben. Wer so großartige Burgen haben will, wird ebenso auf Modernes zurückgreifen müssen wie SchlossliebhaberInnen auf Neuschwanstein.

    Tatsächlich war die Hardenburg bis 1725 von Leininger Grafen – meist mit dem lustigen Namen „Emich“ – bewohnt. Sie wurde, so die Wikipedia in beschönigendem Passiv, „in dieser Epoche zum Residenzschloss ausgebaut“. Das ist dann wohl der Grund, warum sie wirklich perfekt funktioniert als 1a klasse Burg: Die Leute, die die Bauten bestellt haben, waren selbst schon total auf Ritterromantik.

    Die Leute wiederum, die dafür schuften mussten, taten das in erkennbarer Konkurrenz zu denen, die am Heidelberger Schloss dem dort herrschenden Pfälzer Kurfürsten seinen Hortus Palatinus ausbuddeln mussten. Die dauernde Konkurrenz zwischen den Grafen von Leiningen in Dürkheim und ihren deutlich mächtigeren Nachbarn – Fürsten, gar Kurfürsten – ist im „Ausfallgarten“ der Hardenburg durch Gras angedeutet:

    Durch Gras angedeutete Anlage eines französischen Renaissancegartens in einer dem Berg durch Mauern abgezwungenen Ebene.

    Von einem relativ lobenswerten Aspekt dieser Rivalität ist vor Ort nichts zu lesen: Als der Heidelberger Kurfürst 1512 die Gelegenheit gekommen sah, seinem kleinen Nachbarn zu zeigen, wo der Hammer hängt und die Burg belagerte, übergaben, so erzählt die Wikipedia, die Leininger sie, bevor die kurfürstlichen Truppen ernsthaft Schaden anrichteten. 1519 ging die Burg unversehrt zurück an die Leininger. Damit konnten sie sie deutlich schneller wieder nutzen, als wenn sie sich erst auf eine heldenhafte „Verteidigung“ eingelassen hätten und sie anschließend wieder viele Menschen hätten zwingen müssen, die Residenz neu aufzubauen. Ich halte das für eine hervorragende Illustration der Weisheit, dass militärische „Verteidigung“ eine schlechte Idee von Grobianen ist und war.

    Am Ende kaputt gemacht (ich musste an Degenhardts Lied über Joß Fritz denken: „Und als die schönen Schlösser brannten“, wobei wir da 200 Jahre früher sind) haben das Schloss übrigens Revolutionstruppen aus Frankreich – aber leider hat es auch danach noch hundert Jahre gedauert, bis zumindest mal die Monarchie in der Gegend beseitigt war, auch wenn immerhin die verschiedenen Leininger Emichs nach der napoleonischen Neuordnung in Amorbach statt in der Dürkheimer Gegend Hof halten mussten.

    Bevor mensch die Gänge und Türme der Burg erkundet, lohnt sich ein Blick in die kleine Ausstellung im Eingangsrondell, schon, weil sie sich erfolgreich an der Alltagsgeschichte versucht, die ich bei den Habsburgern angemahnt habe. Statt in einem Fort über die Kriege der Mächtigen zu erzählen, diskutiert sie die Entdeckung einer Abfallgrube im Jahr 1983 als „Glücksfall“ und zeigt nicht nur einen Treue schwörenden Verlobungsring (mensch mag sich fragen, ob der wohl im Zorn in die Grube gepfeffert worden ist), sondern auch frühe Zeugnisse von Globalisierung. So fand ich etwa diese Scherbe aus den 17. Jahrhundert bemerkenswert:

    Eine Porzellanscherbe mit chinesischen Schriftzeichen

    Die Ausstellung versichert, dass das Porzellan tatsächlich aus China kommt. Dass schon damals so zerbrechliche chinesische Ware an Höfen von Duodezfürsten genutzt (und zerdeppert und in Abfallgruben geworfen) wurde, flößt mir etwas Respekt ein vor den Menschen, die den Kram entweder über die Seidenstraße oder das Meer herbeischafften – und andererseits milde Verzweiflung, denn so viel Aufwand, nur damit ein Graf sich besser fühlen konnte als seine Untertanen: Das wirkt schon etwas traurig.

    Zu solchen Gedanken passen auch die Austernschalen, die sich in der Ausstellung finden, denn auch die mussten natürlich bei Hof verspeist werden als Zeichen, dass es „nicht drauf ankommt“. In Zeiten vor Kühlketten und Eisenbahnen war das Austernessen eine besonders absurde Verschwendung menschlicher Arbeitskraft, denn Kuriere mussten sie eiligst von der Atlantikküste herbeischaffen, bevor sie starben und damit giftig (Extra-Nervenkitzel!) wurden.

    Austernschalen

    Hinterlassenschaften austernschlürfender Emiche und ihrer Angehörigen.

    Andererseits weht, finde ich, sogar aus diesem Müll von vor dreihundert Jahren ein wenig der Hauch der Geschichte, und zwar immer noch einer freundlicheren Geschichte als beim Masken-Splatter aus dem Codex Manesse (aus dem Besitz des ewig reicheren Kurfürsten übrigens), der dort einem Leininger – also vielleicht eines Bewohners der Hardenburg, weshalb das Bild auch in der Ausstellung reproduziert ist – zugeschrieben wird:

    Mittelalterliche Illustration: Leute schlagen sich mit Schwertern, Blut spritzt

    Hinter der Maske angeblich ein Leininger, aber eher ein Friedrich statt ein Emich. Schade.

    Als Aftershow (und auch ohne Museumpass umsonst) empfehle ich das Dürkheimer Stadtmuseum gleich um die Ecke vom Bahnhof. Dort kommt die Aufarbeitung der munteren Ritzereien (und einer wirklich extrem lausigen Bauinschrift) im Steinbruch der Legio XII Pia Fidelis am Kriemhildenstuhl meinem Römerfimmel sehr entgegen.

    Gerade für ein Stadtmuseum sehr anerkennenswert finde ich die Diskussion der Naziverstrickungen einiger Dürkheimer Honoratioren wie des Welteistheoretikers Philip Fauth, des Mundartdichters und Ehrenbürgers Karl Räder (interessanterweise nicht in der Wikipedia – arbeiten da keine DürkheimerInnen mit?) und des Malers und Kapp-Putsch-Fans Gustav Ernst (wohl auch nicht in der Wikipedia).

    Wirklich originell fand ich aber die Exponate zum Kurbetrieb in Dürkheim, allen voran das munter weiß-blau gerautete Etikett eines, nun, Heilwassers, das Fans von Agatha Christie Schauer den Rücken herunterjagen wird:

    Flaschenetikett: Maxquelle, Stärkstes Arsenwasser Deutschlands

    Schließlich muss ich mich noch als Fan von Gina Ruck-Pauquets Geschichten um den kleinen Nachtwächter outen, der in seiner kleinen Stadt recht regelmäßig alle BewohnerInnen – den Drehorgelmann, das Mädchen mit den Luftballon, den Bauern, den Dichter und die Blumenfrau – aufweckt, statt über ihren Schlaf zu wachen.

    Stellt sich raus: Das hat sich Ruck-Pauquet nicht wirklich ausgedacht. Im Museum wird ein Protestbrief aus dem 19. Jahrhundert gezeigt, in dem sich ein Kurgast beschwert, er sei um 23 Uhr durch das „furchtbar schauerliche Nachtwächterhorn“ geweckt worden und danach über „diese altmodische, an Bauerndörfer erinnernde Nachtwächterei” abgeht. Tatsächlich hängt im Dürkheimer Stadtmuseum noch das letzte Nachtwächterhorn des Städtchens:

    Ein bronzen schimmerndes Horn von etwa 50 cm Länge

    Hinreißend.

  • Glückwünsche zu Schritt 1

    "Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons" in verschiedenen Sprachen

    Schritt 2 zur Zivilisierung und Denuklearisierung der Republik wäre die Unterzeichnung des TPNW.

    Heute endet die kommerzielle Nutzung der Kernspaltung in der BRD[1] . Das ist aus vielen Gründen klasse, über die heute viele andere reden. Für mich ist der wichtigste Grund einer, der nicht oft erwähnt wird: Eine möglichst große Reaktorflotte ist praktische Voraussetzung für eine glaubhafte Option auf die Bombe – genauer, auf Bomben in kriegswichtiger Zahl, also jetzt nicht nur so eine Handvoll. Je weniger es so eine Option gibt, desto besser. Rundrum.

    Diese Option ist erstens Folge davon, dass mit kommerziellen Kernreaktoren Anreicherungskapazitäten im Überfluss bereitstehen, zweitens daran, dass hinreichend viele Menschen mit den zur Bombenproduktion nötigen Techniken vertraut sind oder sie sich jedenfalls schnell aneignen können, und drittens, dass auch jederzeit haufenweise Plutonium anfällt, quasi sachzwänglich – so verfügte auch die BRD jahrzehntelang über etwa fünf Tonnen im Prinzip waffentaugliches Plutonium (vgl. Plutoniumwerk ALKEM).

    Solche Erwägungen waren der Hintergrund der riesigen staatlichen Investitionen in die Nukleartechnologie in den 50er und 60er Jahren. Die zentrale Figur dabei war Franz Josef Strauß, der mit seiner Bomben-Motivation auch immer offen umgegangen ist. 1957, sein Kernforschungszentrum Karlsruhe bastelte gerade an den ersten Reaktoren dort, mit seiner Kernforschungsanlage Jülich ging es gerade los, die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt in Geesthacht war ein Jahr alt, die Inbetriebnahme des Atom-Eis in Strauß' Garchinger Vorgarten im September 1957 war absehbar, ließ er als fürs Militär zuständiger Minister[2] am 10.4.1957 regierungsamtlich verkünden:

    Ein Verzicht auf Kernwaffen unter den gegebenen Umständen und im Augenblick würde militärische Preisgabe Europas an die Sowjetunion bedeuten.

    Natürlich würden sich „Umstände“ und „Augenblicke“ nie ändern. Noch in den 1970ern – der Plan B für großmaßstäbigen Zugriff auf die Bombe, die WAA Wackersdorf, war längst in Planung[3] – schrieb er:

    Zur Souveränität gehört die Atomwaffe.

    —Welt vom 5.9.1975

    Das ist die Geschichte hinter den beeindruckenden Geldmengen, die in die damalige Großforschung flossen.

    Ein Fahrradständer mit einem Regenschutz aus gebogenem Wellblech

    Im ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe 2022: Auch wenn es inzwischen KIT heißt, sehen sogar die Fahrradständer immer noch irgendwie nach Los Alamos aus.

    Und diese Geschichte geht heute leider bei weitem nicht zu Ende. Auch die BRD droht ihren Feinden weiterhin mit der Auslöschung ihrer Städte, und leider denkt niemand, der/die auch nur den Hauch einer Chance auf die Macht im Land hat, über einen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag TPNW nach – was nun wirklich moralischer Mindeststandard wäre.

    Heute wäre also ein guter Tag, einen kleinen Beitrag zur Besserung dieser Situation zu leisten. Vor vierzig Jahren schien eine breite Koalition für den „Atomausstieg“ – wie sie zumindest bis zur derzeitigen patriotischen Besoffenheit seit 2011 bestanden hat – so undenkbar wie heute ein Ausstieg aus den monströsen Drohungen mit nuklearem Massenmord. Es ist an uns, das Sentiment zu Atombomben jetzt ähnlich zu drehen.

    Ich zum Beispiel habe immer noch ein paar einschlägige Postkarten, die ich euch, wenn ihr auch welche schicken wollt, gerne vorbringe (wenn ihr in Heidelberg und Umgebung wohnt) oder auch schicke (sonst). Das Feedback-Formular gehört euch…

    [1]Jaja: nur zur Energieerzeugung, und selbst dabei: die Brennelementefabrik Lingen gibts leider auch weiter. Aber dass es keine laufenden großen Reaktoren mehr gibt, ist jedenfalls ein Grund zum Feiern.
    [2]Das blieb er übrigens noch bis 1962, und es waren erschütternderweise nicht seine Atombombenträume, die ihm das Amt kosteten.
    [3]Für deren Ende hat dankenswerterweise neben jeder Menge Widerstand vor Ort auch der französische Staat gesorgt, der nach Strauß' Tod 1988 die Gelegenheit sah, die (jedenfalls auch aus ihrer Sicht) Bombenfabrik des Nachbarn abzuschießen, indem sie anbot, die bei allen Menschen auch nur halbwegs guten Willens extrem unbeliebte Wiederaufbereitung in La Hague zu erledigen. Win-win: aus französischer Sicht hatten die Deutschen nicht ständig fast fertige Atombomben, aus deutscher Sicht war das hässliche Problem WAA abgeräumt. Ganz nebenbei wurde dadurch auch die große Bühne bereitet für den nächsten Akt des Kampfes gegen den Atomtod: die Castortransporte nach Gorleben (ja: deren erster ging direkt aus Phillipsburg ins Wendland, aber die größten Schlachten gingen jeweils um Züge aus La Hague).
  • Browsing Peace and Privacy With dnsmasq

    Screenshot of the dnsmasq extra configuration page in freetz

    You can even have the DNS-based adblocking discussed here in your whole network if your router runs dnsmasq (it probably does) and you can edit its configuration (you probably can't). As shown here, with freetz you can.

    I'm not a big fan of in-browser adblocking. For one, I have my doubts about several of the extensions – Adblock plus, for instance, comes from a for-profit, though I give you this critique might be partisan. Also, I like to switch browsers freely and certainly don't want to maintain block lists for each of them, and finally quite a few clients other than browsers may render HTML and hence ads.

    At least with the pages I want (and don't want) to read, there's a much lighter alternative: DNS-based adblocking. You see, on the relatively few commercial pages I occasionally have reason to visit, ads, tracking pixels, and nasty javascript typically are served from a rather small set of domains – doubleclick.net, googleadservices.com, and a few more like these. If I can make my computer resolve these names to 127.0.0.1 – that is, my computer in IPv4, or yours, if you type that address –, everything your browser would pull from these servers is instantly gone in everything rendering HTML.

    So, how do you do that? Well, you first make sure that your computer does the name resolution itself[1]. On Debian, you do that by installing the packages resolvconf (without a second e; in a systemd environment I think you want to use systemd-resolved instead) and dnsmasq; that's really all, and that ought to work out of the box in all reasonably common situations:

    $ sudo apt install resolvconf dnsmasq
    

    You will probably have to bring your network down and up again for this to take effect.

    Once that's done, you can tell dnsmasq what names to resolve to what. The man page dnsmasq(8) documents what to do under the --address option – you could actually configure dnsmasq through command line options exclusively –, where you can read:

    -A, --address=/<domain>[/<domain>...]/[<ipaddr>]

    Specify an IP address to return for any host in the given domains. […] A common use of this is to redirect the entire doubleclick.net domain to some friendly local web server to avoid banner ads. The domain specification works in the same was [sic, as of bullseye] as for --server […]

    – and from the documentation of --server you learn that <domain> is interpreted as a suffix (if you will), such that if you give an address for, say, google.com, it will also be used for foo.google.com or foo.bar.google.com.

    But where do these address expressions go? Well, at least in Debian, dnsmasq will read (essentially, see the README in there) any file you drop into /etc/dnsmasq.d and add its content to its configuration. Having configuration snippets in different files really helps maintenance and dist-upgrades in general; in this case, it also helps distributing the blacklist, as extra configuration that may be inappropriate on a different host is kept in some other file.

    I tend to prefix snippet names with numbers in case order might one day matter. So, I have a file /etc/dnsmasq.d/10spamreduce.conf containing:

    address=/doubleclick.net/127.0.0.1
    address=/xiti.com/127.0.0.1
    address=/adform.net/127.0.0.1
    address=/qualtrics.com/127.0.0.1
    address=/criteo.com/127.0.0.1
    address=/exactag.com/127.0.0.1
    address=/optimizely.com/127.0.0.1
    address=/googleadservices.com/127.0.0.1
    address=/googletagmanager.com/127.0.0.1
    address=/ivwbox.com/127.0.0.1
    address=/ivwbox.de/127.0.0.1
    address=/connect.facebook.de/127.0.0.1
    address=/facebook.net/127.0.0.1
    address=/facebook.com/127.0.0.1
    address=/addthis.com/127.0.0.1
    address=/update.googleapis.com/127.0.0.1
    address=/googleusercontent.com/127.0.0.1
    address=/edgekey.net/127.0.0.1
    address=/ioam.de/127.0.0.1
    address=/cookiebot.com/127.0.0.1
    address=/moatads.com/127.0.0.1
    address=/fonts.gstatic.com/127.0.0.1
    address=/fonts.googleapis.com/127.0.0.1
    address=/ping.chartbeat.net/127.0.0.1
    address=/cookielaw.org/127.0.0.1
    

    When you do the same thing, you should restart dnsmasq and then see the effect like this:

    $ sudo service dnsmasq restart
    $ dig +short fonts.gstatic.com
    127.0.0.1
    

    As you can see, I have also included some trackers and other sources of annoyance in my address list. Of course, if you actually want to read Facebook (ugh) or need to pull Google's fonts (ughugh), you'll have to adapt that list a bit.

    In case you have interesting and useful contributions to this list: Please do write in!

    [1]Regrettably, with things like DNS over HTTPS, it could be that your browser actually will not use your computer's DNS resolver. Adblocking hence is one extra reason to disable DoH when you see it.
  • Antisprache: Verschwörungstheorie

    Ob Corona oder Reichsbürger: Die Bezeichnung „Verschwörungserzählung“ oder „-geschwurbel“ oder „-theorie“ ist inzwischen zumindest in der breiten Mehrheit eher fortschrittlich orientierter Menschen ausreichend, um eine Position zu delegitimieren. Es mag insofern etwas gewagt sein, aber: Ich halte die gesamte Figur für Antisprache, also in Analogie zur Antimaterie für ein Mittel zur Verhinderung sinnvoller Kommunikation.

    Aus aktuellem Anlass will ich mit einem vielleicht etwas untypischen Beispiel aufmachen: Vorgestern hat Josephine Schulz im Deutschlandfunk den Linken-Kochef Martin Schirdewan interviewt und in einer Frage von „Verschwörungsanhängern oder Rechten“ geredet, um irgendwie Distanzierungen aus Schirdewan herauszukitzeln. Schirdewan lavierte da ganz geschickt drumrum, und trotzdem kam dann nachher in den Nachrichten etwas wie „Schirdewan warnt vor Verschwörungstheoretikern bei Ostermärschen”.

    Ich werde hier versuchen, den Verschwörungsvorwurf als ein Update des Extremismusbegriffs zu beschreiben, nur eben ohne dessen üblen Geruch nach Verfassungsschutz: Er abstrahiert vom Gesagten, immunisiert die ja häufig selbst eklige, grausame, rassistische oder massenmörderische „Mitte“, indem Aussagen schon und allein verurteilbar sind, weil sie vom Konsensnarrativ abweichen. Das ist bequem – jedenfalls für die, die das Konsensnarrativ mitbestimmen können –, hat aber mit Diskurs, Antifaschismus oder auch nur fortschrittlichem Denken nichts zu tun.

    Fallbeispiel Ostermarsch

    Das Schirdewan-Beispiel ist zur Illustration dieser Behauptung zunächst nicht so gut geeignet, weil ist der Dissens in dem Themenfeld gar nicht so sehr bei der Erzählung als solcher liegt. Von eher zweitrangigen Details („wer hat die Pipeline gesprengt?“) abgesehen, ist beispielsweise fast vollständig unstrittig, dass die anderen die Bösen sind. Strittig ist dagegen, ob wir deshalb die Guten sind. Wer munter „Verschwörungstheorie“ in den Raum stellt, immunisiert sich gegen diesen Streit, der ansonsten unbequeme Teile des Konsensnarrativs aufstöbern würde.

    Dass etwa auch „wir“ imperiale Ambitionen haben, ist kaum bestreitbar, wenn „unser“ Militär in aller Welt steht und auf allen Meeren schwimmt, im Hinblick auf die EU ganz speziell in Nordafrika, bis hin zur Organisation von Kolonialpolizei.

    Dass „wir“ in die Genese des Krieges verwickelt sind, liegt auf der Hand, wenn der unmittelbare Anlass des Umsturzes in der Ukraine von 2014, das EU-Assoziierungsabkommen (bzw. dessen Notstopp durch das damals auf Russland orientierte Klientelregime), vorsah, die Ukraine solle bei der GASP der EU mitmachen – wie sich die Designer dieses Abkommens das angesichts der russischen Flottenbasis auf der Krim vorstellten, ist mir bis heute nicht klar.

    Wer es ganz deutlich haben will, kann sich im geleakten Telefonat von US-Außenamtsmitarbeiterin Victoria Nuland (ihr Mantra: „Wir haben 5 Milliarden Dollar in eine sichere, blühende und demokratische Ukraine investiert“ – das war 2013) und ihrem damaligen Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt, überzeugen, dass „wir“ insbesondere das Personal des neuen Regimes bestimmen konnten („nicht Klitsch“).

    Dass „wir“ einen Friedensschluss im März 2022 torpediert haben, kann spätestens seit Naftali Bennetts entsprechenden Äußerungen (auch in deren relativierter Form) nicht mehr als umstritten gelten, und dass auch „wir“ Schurken sind, die im Hinblick auf Angriffskriege im Glashaus sitzen, na ja, das ist spätestens seit 1999 offensichtlich, und da habe ich mit mangelndem Geschichtsbewusstsein noch gar nicht angefangen.

    Jedenfalls soweit ich erkennen kann, bestreitet niemand auch nur einen dieser Punkte in mehr als vielleicht Nuancen der Fomulierung. Wer dennoch weiterhin auf einem Siegfrieden in der Ukraine besteht, muss das folglich eher mit einer Mischung aus autoritärer Moral und Patriotismus begründen – wie das übrigens auch die DurchhalteparoliererInnen auf der anderen Seite tun.

    Es sind also diese Sentimente, mit denen sich auseinandersetzen muss, wer der Bevölkerung der Ukraine (und nebenbei hoffentlich auch der Russlands) helfen will. Dass die Antisprache „Verschwörungstheorien“ die Benennung dieser selbst schon unangenehmen Erwägungsgründe erspart, verhindert sinnvollen Diskurs. Das ist schade, denn Kritik von sowohl autoritärer Moral als auch von Patriotismus (und schon gar von gewalttätiger Weltpolitik, denn als noch ehrlicheres Motiv steht ja auch die noch im Raum) wäre weit über den aktuellen Krieg hinaus wirklich nützlich.

    Echte Verschwörungstheorien

    Aber der Verschwörungstheorie-Vorwurf ist auch dort, wo wirklich Verschwörungen behauptet werden, so untauglich zur Beurteilung politischer Interventionen wie der Extremismusbegriff. Betrachten wir dazu ein paar Beispiele:

    • Die Protokolle der Weisen von Zion oder das Gerede von der „Umvolkung” sind schlicht antisemitischer oder rassistischer Faschokram und deshalb zu verurteilen.
    • Die These von mit Computerchips von Bill Gates versetzten Impfstoffen ist nicht nur mit ein paar schlichten Argumenten wahlweise aus Physik, Informatik oder Biologie auszuschließen, sie brachte auch Menschen davon ab, sich trotz sonnenklarer Risikobewertung impfen zu lassen. Sie ist also zu verurteilen, weil sie Leute umbrachte (und in kleinem Rahmen auch noch umbringt).
    • Die These der gefakten Mondlandung ist einfach wurst; der Glaube etwa, „Borussia Dortmund“ (in welcher Bedeutung auch immer) müsse am nächsten Wochenende dringend im Fußball gewinnen, richtet (schon allein wg. Verkehr) weit mehr Schaden an. Es lohnt sich nicht, über sowas mit irgendwem zu streiten. Klar sind Leute, die sich an der Mondlandung abarbeiten, nicht allzu sehr ernstzunehmen. Aber mal ehrlich: eine naturwissenschaftlich begründete Meinung dazu haben, mangels naturwissenschaftlicher Kenntnisse, auch die meisten anderen Menschen nicht. Mir wär es viel wichtiger, mit der naturwissenschaftlichen Verankerung des Mehrheitsnarrativs voranzukommen als Leute, die da nicht mitwollen, von ihren Fantasien über gefakte Mondlandungen zu heilen.
    • Die These, ein sachsen-anhaltinischer Polizist habe Oury Jalloh angezündet, hat zumindest deutlich mehr Plausibilität als alternative (aber von den meisten Teilen der Staatsgewalt vertretene) Narrative. Wer da „Verschwörungstheorie“ murmelt, vergrößert jedenfalls schon mal das Problem der Polizeigewalt, das gerade Menschen haben, über die das Konsensnarrativ allenfalls abwertend („mehr nutzen, weniger ausnutzen“) spricht.
    • Hätte sich die These, dass die USA in Vietnam nicht die Angegriffenen waren und auch nicht (in einem operationalisierbaren Sinn) die Freiheit verteidigen wollten (vgl. Pentagon Papers und besonders den Tonkin-Zwischenfall), früher im Konsensnarrativ verankert, hätten vielleicht hunderttausende Menschenleben und Millionen Hektar Wald gerettet werden können – wenig wirkt so gut wie Ehrlichkeit bei Kriegszielen, um wieder zu Frieden zu kommen.

    Diese fünf Themen haben nichts miteinander zu tun, außer dass sie dem Konsensnarrativ mehr oder weniger deutlich widersprechen oder widersprochen haben; das ist, was sie zu „Verschwörungserzählungen“ macht. Diese Gemeinsamkeit hilft jedoch ersichtlich nicht dabei, die jeweiligen Thesen im Hinblick auf ethische, politische oder faktische Vertretbarkeit zu prüfen.

    Nein, aus dieser Betrachtung folgt in einem Schlagwort: faschistische Verschwörungstheorien sind grässlich nicht, weil sie Verschwörungen behaupten, sie sind grässlich, weil sie faschistisch sind.

    Verschworene KleintierzüchterInnen

    Verschwörungstheorie-Anwürfe sind nicht nur kritikwürdig, weil sie wenig mehr sind als ein Werkzeug zur Immunisierung derer, die jeweils die Diskurshoheit in Anspruch nehmen können.

    Ein zweiter problematischer Aspekt des Begriffs liegt darin, dass die Verschwörung – im Sinne einer vertraulichen Verabredung – tatsächlich ein konstitutiver Bestandteil von Politik zumindest in hierarchischen Systemen ist. Wer schon mal in Gewerkschaften, Kleintierzüchtervereinen, Ministerien oder Standardisierungsgremien aktiv war, wird gemerkt haben: Praktisch alle wesentlichen Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen oder gleich auf dem Gang getroffen. Klar heißt das, was da ausgehandelt wird, „vertrauliche Vereinbarung“, aber netto ist das Ergebnis ein organisierter Unterschied zwischen Verlautbarungen der beteiligten Personen und deren realen Motiven oder Handlungen. Das ist die Definition von „Verschwörung“.

    Dieser politische Prozess verstärkt das Machtgefälle zwischen denen „drinnen“ und denen „draußen“. Die Öffentlichkeit von Gerichtsprozessen und Parlamentsdebatten war deshalb eine große Errungenschaft in Richtung eines partizipativen Staats, in dem die Beherrschten eine reale Chance haben, in Entscheidungsprozesse einzugreifen. Je leichter die Kritik an (fast immer bestehenden) internen Absprachen als „Verschwörungstheorie“ diffamierbar ist, desto mehr verlieren diese Errungenschaften an Wert.

    Klar: In der Praxis finden die spannendsten Teile von Gerichtsverandlungen dann doch oft genug ohne Publikum statt – etwa das Aushandeln von mehr oder minder formalen Vergleichen –, und die Öffentlichkeit der Parlamentssitzungen hat dafür gesorgt, dass im Plenum im Wesentlichen nichts entschieden wird. Die öffentliche Dokumentation des Geschehenen ist aber dennoch höchst wertvoll für Interventionen der Zivilgesellschaft. Doppelt gilt das natürlich, wenn Menschen aus dem Apparat mit der Presse reden dürfen und dann und wann Sprachregelungen (im Klartext: Verschwörungen) aufklären. Der Niedergang genau solcher Praktiken auf EU-Ebene ist neulich auf netzpolitik bedauert worden.

    Insofern ist da viel zu verteidigen (z.B., was immer weiter ausufernde Geheimhaltungsregeln angeht) und viel zu gewinnen, etwa die Einrichtung und den Ausbau von Informationsfreiheitsgesetzen. Ein spannendes Nahziel fände ich ja die Auflösung der staatlichen Institutionen, deren Programm schon dem Namen nach die Verschwörung ist, nämlich der Geheimdienste. Als zwei schöne Beispiele aufgeflogener Verschwörungen aus dieser Ecke möchte ich an das Celler Loch und den Plutoniumschmuggel des BND (ach nee, des Bayrischen LKA, zwinkerzwinker) erinnern. Ein netter, partizipativer Staat sollte so etwas nicht nötig haben.

    Wenn es einfach wurst ist

    Im Übrigen hilft nach meiner Erfahrung im Umgang mit Menschen, die halbwegs guten Willens sind, sich aber an Verschwörungserzählungen abarbeiten, manchmal (langfristig) die Frage, was sich denn ändern würde, würden sich die in Frage stehenden Erzählungen als wahr erwiesen.

    Das klassische Beispiel ist die Trutherei rund um die Verwicklung westlicher Geheimdienste in die Anschläge vom 11.9.2001 – alles, was zu einer politischen Beurteilung nötig ist, ist öffentlich, sogar in der Popkultur verankert (ich empfehle dem Film Rambo III): „Wir“ haben uns im Kampf gegen „die Russen“ (jaja, das war damals auch schon das Thema) der finstersten, reaktionärsten Kräfte bedient, die wir in Afghanistan finden konnten – die, die dann später Taliban wurden, und ein paar durchgeknallter Warlords obendrauf. Um die Lehre …

  • „Menschen am Rhein“ in Karlsruhe

    Foto eines Plakats: Schock deine Eltern, lies ein Buch

    So ein Plakat hängt immer noch (dieses Foto: 2021) vorm Prinz-Max-Palais, in dem die hier besprochene Ausstellung zu sehen ist. In der Ausstellung selbst war fotografieren wohl unerwünscht, und so habe ich keine weitere Illustration.

    Ich war in der letzten Woche mit meinem Museumspass in einem weiteren Museum (oder zwei davon, wenn ihr so wollt), nämlich im Stadtmuseum Karlsruhe. Dessen Dauerausstellung ist zwar auch gerade eingemottet, aber es gibt eine ganz sehenswerte Sonderausstellung mit dem vielleicht etwas zu originellen Titel Stadt Mensch Fluss – Karlsruher*innen am Rhein. Leute aus der Gegend hier haben noch bis Juni Zeit, sie zu sehen; vielleicht helfen ja die folgenden Zeilen ein wenig bei der Entscheidung, ob ihr die vier Euro springen lassen wollt.

    Die Ausstellung ist sehr deutlich in Stationen gegliedert, was auch recht naheliegt, denn das gemeinsame Thema ist alleine der Rhein. So stehen irgendwelche Rudergeschichten recht natürlich unverbunden neben dem Naturschutzzentrum Rappenwörth. Dessen Station wiederum hat mir klar am besten gefallen: Im Kern handelt es sich um ein mäßig vergrößerndes Mikroskop, in das mensch selbst Präparate einlegen (und rumschieben und fokussieren) kann. Klingt vielleicht etwas hausbacken, hat mir aber viel Spaß gemacht, auch wenn bei den Präparaten ein beunruhigender Schwerpunkt auf Mücken lag – nun, selbst deren Formenvielfalt von plump bis stromlinienförmig ist aufschlussreich.

    Bruttosozialprodukt ist trostlos und hässlich

    Ähnlich erhellend fand ich das Gipsmodell des Karlsruher Hafens, das 1949 begonnen wurde und dann über einige Jahrzehnte immer wieder auf den jeweils aktuellen Bauzustand aktualisiert wurde. Bruttosozialprodukt, so ist da zu sehen, ist trostlos und hässlich, allem voran die Tanklandschaften, wobei der 1963 eröffnete Ölhafen noch außerhalb des Modells liegt, das nur die sechs Hafenbecken bei Mühlburg zeigt. Noch so ein Kollateralschaden, der ganz wesentlich auf die Autogesellschaft zurückgeht.

    Ein weiterer ökologischer Kollateralschaden wird in einem Nebensatz in der Station zum Strandbad Rappenwörth – Fotos in der Ausstellung vermitteln quasi mallorquinische Bilder – erwähnt. Das nämlich hatte bis 1968 ein „Naturbad“, das schlicht ein künstlicher Rheinarm mit großem Standstrand war. Dann jedoch hat es die Stadt geschlossen, weil das Rheinwasser zu gesundheitsschädlich geworden war. Ich würde gerne wissen, wie das damals aufgenommen wurde – gleichgültig? Hauptsache, wir können VW Käfer fahren? Oder war diese Ansage eine der Geburtshelferinnen der Besinnung, die Karlsruhe inzwischen du einer recht akzeptablen Fahrradstadt gemacht hat?

    Mehr Schleifen gönnen

    In Sachen Geistesgeschichte menschlicher Interventionen finde ich an der Ausstellung auch gleich die Eröffnungsstation bemerkenswert, wenn sie behauptet, dass Tulla seine Rheinbegradigung vor allem mit Hochwasserschutz begründet hat - ich bin demgegenüber bisher von Argumenten zur Fahrzeit von Schiffen und Trockenlegung der Malariasümpfe ausgegangen. Das Hochwasserargument hätte eine gewisse Ironie, denn gerade nach diversen Beinahe-Katastrophen am Unterlauf ist die Ansage inzwischen ja eher, dem Rhein (auch bei Karlsruhe) wieder ein paar mehr Schleifen zu gönnen – zum Hochwasserschutz.

    Charakteristisch für die aktuelle Ausstellung ist, dass solche Themen behandelt werden, während es wenige Meter weiter mit Anglerfotos aus dem Klischeealbum – Mensch mit unwahrscheinlich großem Fisch – und einer Station über den Anglerverein Karlsruhe weitergeht. Erstaunlicherweise konnte ich auch daraus was mitnehmen, denn dieser hieß bis 1911 Anglerclub Karlsruhe. Ich bin ziemlich fest überzeugt, dass diese Umbenennung in einem patriotischen Geist gegen den britischen Gegner im Wettrüsten (und drei Jahre später im Krieg) erfolgte. Vergleiche zu antiparallelen Emotionen heute dürfen wohl gezogen werden.

    Wäre ich ohne Museumspass in diese Ausstellung gegangen? Wahrscheinlich nicht. Und wahrscheinlich ist das ein Argument für den Museumspass.

    Fürs literarische Quartett gerüstet

    Grundsätzlich umsonst ist übrigens die begehbare Kulturgeschichte im Literaturmuseum des Oberrheins ein Stockwerk über dem Stadtmuseum. Das ist zwar – naja: Literatur – ziemlich textlastig, aber wer sich die Gliederung in Epochen und die Vorstellung ausgewählter VertreterInnen zu Gemüte führt, ist jedenfalls für Diskurse auf dem Niveau literarischer Quartette gut gerüstet, erstaunlich gut eigentlich, ist doch das Programm des Museums (wenn ich es richtig verstehe), nur Personen mit ordentlichem Bezug zum Oberrhein vorzustellen.

    Dazu gibt es auf dem Stockwerk jeweils einen Schrein für die Karlsruher local heroes der Literatur, Johann Peter Hebel und Victor Scheffel, was eher putzig (ich denke, das schöne englische Wort „parocial“ wäre hier besonders treffend) wirkt und vielleicht, nun ja, etwas bieder.

    Demgegenüber eher schwer verständlich ist, dass im letzten Raum zwar viele Bücher in raumhohen Regalen stehen, diese aber hinter Glas weggesperrt sind. Diese Nachricht ist dann doch etwas seltsam für ein Museum, das, so vermute ich, zum Lesen verführen soll. Wäre es nicht besser, die wertvollen Bestände geeignet in ein Magazin zu verfrachten und die schönen, öffentlich zugänglichen Regale zu einem großen und vielleicht milde professionell kuratierten Bücherbrett zu machen?

  • Besuch bei Schurken: Im Reiss-Engelhorn-Museum

    Mein Museums-Binge geht weiter: Gestern war ich im Reiss-Engelhorn-Museum (REM) in Mannheim, genauer in dessen archäologischer und ägyptischer Sammlung. Das hätte ich ohne meinen Museumspass nicht gemacht, denn: die REM-Leute sind reuelose Schurken. Sie haben nämlich (unter anderem) die Wikipedia verklagt. Wer sowas tut (und dann noch wegen fieser und alberner Urheberrechtsgeschichten), muss säckeweise Asche auf sein oder ihr Haupt streuen, bevor ich mit gutem Gewissen Geld in seine oder ihre Kassen spüle.

    Wahrscheinlich tue ich das durch die Nutzung des Museumspasses auch. Aber ich merke es nicht, und so tut es mir nicht ganz so weh. Das wiederum ist gut, denn die Sammlungen im Namen der BASF-Manager Reiß und Engelhorn sind, ich muss es sagen, überhaupt nicht schlecht gemacht. Nicht zuletzt haben sie eine Bauinschrift des Merkurtempels, der einst am Heiligenberg stand, was jetzt lokalhistorisch für Menschen aus Heidelberg schon relevant ist.

    Aber bevor mich die Schurken verklagen, weil ich zu viel verrate, schwärze ich lieber meinen restlichen Bericht. Und selbstverständlich die Bilder, auch wenn ich, logisch, brav war und in der ägyptischen Abteilung, wo das total verboten ist, auch nicht fotografiert habe.

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    ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ Wallstadt ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ Sandhofen ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆

    Schwarze Schmiere

    ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ Hügelgrab ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ Krokodilopolis ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ Thot ▆▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ Fair-Trade-Siegel ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ Scheintür ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ Tod auf dem Nil ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ Ladenburg.

    Andere schwarze Schmiere

    ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ Neandertaler ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ Homo sapiens sapiens.

    ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ barbarische Gürtel ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ geköpfte Pferde ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ Matronen ▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ Stammbusch des Menschen ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ Bonn ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆

    Nochmal andere schwarze Schmiere

    ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ out of Africa?

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    ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ Stratigraphie ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆

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    Na ja, wie gesagt: Wenn sich die REM-Leute brav bei der Wikipedia entschuldigen und ansonsten versprechen, ihren „geistigen Eigentum“-Quatsch in Zukunft zu lassen, ist ein Besuch durchaus moralisch vertretbar und dann auch empfehlenswert.

  • Römer vs. Postmoderne in Schriesheim: 0:1

    In der dritten Auflage des Standardwerks „Die Römer in Baden-Württemberg“ (Stuttgart und Aalen: Konrad Theiss, 1986) ist zum kurpfälzischen Städtchen Schriesheim zu lesen:

    Der 1971 [ins Kellergeschoß des Rathauses] übertragene Keller (4,04 x 4,06 m) zeigt quadratischen Grundriß. Da er einst unter einer Hausecke saß, besitzt er an zwei Wänden Schrägen für die Kellerfenster. Rechts des Einganges und an der gegenüberliegenden Wand je zwei Nischen mit Rundbögen. Die drei Mauerschlitze links vom Eingang dienten vermutlich zum Einsetzen eines Holzgestells. Als Baumaterial wurden Quader (H ca. 0,12 m) aus bräunlichem Granit verwendet, deren ausgezogene Fugen im Kalkmörtelbereich Reste roter Ausmalung zeigen. Das Mauerwerk (H noch 1,70 m) ist zT in Buntsandstein ergänzt. Der mitten im Raum stehende runde Steintisch wurde rekonstruiert.

    Der beschriebene Keller eines römischen Gutshofs ist beim Bau eines Einfamilienhauses (zugegeben: das könnte eine tendeziöse Ausschmückung sein, denn ich weiß nicht wirklich, was da gebaut wurde) aufgetaucht und konnte an der Fundstelle vermutlich nicht wieder verbuddelt oder zugänglich gemacht werden. Dank des Einbaus ins Rathaus jedoch kann mensch nun angesichts der römischen Steine ein wenig den Hauch der Geschichte spüren, wann immer das Rathaus offen ist (also: verglichen mit einem typischen Heimatmuseum sehr oft).

    Insgesamt fand ich das eine recht gute Nutzung des, hust, historischen Erbes des Städtchens. Allerdings birgt die Einbettung in eine laufende Stadtverwaltung auch Risiken. Derzeit nämlich findet der Schriesheimer Römerkeller einige Zweit- und Drittnutzung:

    Foto eines schwach beleuchteten Kellers mit Mauerstrich, in dem allerlei Pappen, eine Zimmerpflanze und anderer Kram lagern.

    Vielleicht kann jemand der Stadt Schriesheim alternative Lagerflächen anbieten?

    Nachtrag (2023-12-04)

    Der Keller ist übrigens schon archäologiegeschichtlich nicht irrelevant. Im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum ist eine Seite des 1770 erschienen Buches De Sepulcro Romano prope Schrishemium reperto von Johann Daniel Schöpflin gezeigt; gelobt wird vor allem die bahnbrechend sorgfältige Dokumentation, und wer mal im Keller in Schriesheim war, wird das sofort wiedererkennen:

    Ausschnitt eines aufgeschlagenen, etwas altertümlichen Buchs, Latein in Antiqua gesetzt.  Dazu eine Grabungsskizze mit einem also „Columbarium“ bezeichneten Raum mit einigen Nischen.
  • Mit GPS und KI auf der Spur von Hollandrädern

    Hollandoides Fahrrad mit Unmengen von Vogelkot drauf.

    Dieses Fahrrad, fotografiert 2012 am Heidelberger Hauptbahnhof, wird wahrscheinlich keinE FahrraddiebIn mitnehmen. Das Weiße da sind die Ausscheidungen der vielen Halsbandsittiche, die auf den Bäumen am Bahnhof schlafen.

    In Forschung aktuell vom 16. Februar war in den Wissenschaftsmeldungen Folgendes zu hören:

    Die Forschenden statteten 100 Fahrräder mit Ortungssensoren aus und stellten sie abgeschlossen an öffentlichen Plätzen innerhalb der Stadt ab. Innerhalb eines Jahres wurden 70 der Räder gestohlen. 68 davon konnten anschließend in Amsterdam geortet werden, knapp ein Drittel davon in der Nähe von Second Hand-Läden oder Fahrradschwarzmärkten.

    Allein das Wort „Fahrradschwarzmärkte“ hat mich eifrig im Geiste von Graham Greene fantasieren lassen, zumal ich inzwischen der traurigen Thematik Fahrraddiebstahl etwas abgeklärter gegenüberstehe als einstmals: Mein letzter Fahrradverlust durch Diebstahl liegt über 20 Jahre zurück (der hat allerdings wirklich weh getan: an dem Rad war ein Schlumpf Mountain Drive dran). Da ich zudem mit Abschließen nicht mehr allzu sorgfältig bin, hatte ich das Problem Fahrraddiebstahl schon fast für eine Sache der Vergangenheit gehalten.

    Aber erstens dürfte dieser Eindruck nur auf einen durch meine täglichen Wege bedingten Selektionseffekt zurückgehen, und zweitens verdient jede Fahrradforschung Aufmerksamkeit. Drittens, nun ja, hätte ich den 1990ern, als mir Räder fast schneller geklaut wurden als ich sie nachbasteln konnte, in dieser Frage beinahe autoritären Versuchungen („Todesstrafe für Fahrraddiebe“) nachgegeben.

    Forschung der Stadt Amsterdam

    Also: Ich musste die Arbeit hinter der DLF-Meldung lesen. Es handelt sich um „Tracking stolen bikes in Amsterdam“ von Titus Venverloo, Fábio Duarte und Kollegen vom MIT[1] und der Uni Delft, doi:10.1371/journal.pone.0279906, erschienen in PLoS ONE am 15. Februar. Mein erster Wow-Moment war die Finanzierung des zugrundeliegenden Forschungsprojekts: Das Geld kam nämlich insbesondere von der Stadt Amsterdam.

    Wer nun allerdings meint, in den Niederlanden wären die Autoritäten generell mehr interessiert an der Wiederbeschaffung geliebter Fahrräder, dürfte sich täuschen:

    One of the major hurdles to tackling bike theft is that it is typically seen as a low police priority, and that it is not addressed systematically,

    schreiben Vernverloo et al, was sich mit den Erfahrungen deckt, die ich mit der Heidelberger Polizei gemacht habe, als ich Mitte der 90er wie bereits gebeichtet weich geworden war im Hinblick auf autoritäre Versuchungen und die Staatsgewalt in einem Fall um Hilfe bei der Wiederbeschaffung eines gestohlenen Fahrrads bat. Nicht nur ich habe das schnell wieder aufgegeben. Im Paper heißt es:

    The municipality [Amsterdam] considers that 40% of the victims of bike theft report it, while Kuppens et al [nicht online] found that in 2012, only 17.1% of the people in the Netherlands reported bike theft, decreasing to 14.2% in 2019.

    Dabei sind die Fahrradbeklauten nicht nur eine kleine, radikale Minderheit, die als solche die Polizei abgeschrieben hat:

    The regional safety monitor of Amsterdam even indicates that in 2019 the number of residents who experienced bike theft was 18%,

    Nochmal Wow. An sich ist es ja erfreulich, wenn Menschen in großer Zahl autoritären Versuchungen entsagen. Andererseits rangiert Fahrraddiebstahl in meiner privaten Rangliste verabscheuungswürdiger Verhaltensweisen nur knapp hinter Waffenhandel, und ich werde besonders empfänglich für wenig freundliche Methoden zum Management sozialer Probleme, wenn meine Verlustschmerzen[2] schnöde Geldgründe haben:

    As such the stolen bike market of an estimated 600 million euros in the Netherlands alone remains a very large, somewhat neglected problem.

    Allein das schlägt schon vor, dass ein nicht-autoritärer Zugang zum Problem über ein ordentliches Grundeinkommen (oder besser: eine gesellschaftliche Grundversorgung) führen dürfte.

    Die Köderräder: 30% Gazelle und Batavus

    Nach diesen allgemeinen Betrachtungen gehen Venverloo et al ans Eingemachte und beschreiben das eigentliche Experiment: Sie haben tatsächlich 100 glaubhafte Räder – etwa 30% machen allein die berüchtigten Schinder von Gazelle und Batavus aus, nennenswert viele davon ernsthaft runtergekommen – aufgetan und mit in Reflektoren oder Sätteln eingebauten GPS-Trackern ausgestattet. Die Teile tracken so ein Rad tatsächlich für was wie drei Jahre, mit nur einer Batterie. Ich sehe schon, ich muss ein wenig aufpassen, was da so alles an mein Rad geschraubt wird…

    Foto eines Rückreflektors für ein Fahrrad

    Grusel: Das hier ist eine GPS-Wanze, die für die nächsten drei Jahre die Standorte eures Fahrrads ins Netz stellen kann. Ohne Batteriewechsel. Ich bin beeindruckt. CC-BY Venverloo et al

    Kein so gutes Gefühl habe ich beim KI-Teil der Arbeit. Und zwar gar nicht mal so sehr wegen der KI – die nutzen sie, um automatisch Fahrräder in Straßenszenen zu zählen, was schon in Ordnung geht, wenn mensch diese Zahl haben will –, sondern, weil sie dann mit den Zahlen nichts nachvollziehbar Vernünftiges machen. Die Autoren korrelieren nämlich Dichte der Fahrräder einfach linear mit der Zahl der Fahrraddiebstähle, und das ist in mehrfacher Hinsicht nicht hilfreich.

    „Können wir was mit KI einbauen?”

    Erstens müssten es schon die Fahrraddiebstähle pro EinwohnerIn oder meinethalben Quadratmeter sein. Vor allem aber ist erstmal klar, dass bei gleichbleibender Diebstahlrate (also: gestohlene Fahrräder pro rumstehende Fahrräder) auch mehr Räder gestohlen werden, wo mehr Räder stehen. Insofern wäre die lineare Korrelation, die sie da fitten, die vernünftige Nullhypothese, für die ich wirklich keinen Aufwand gemacht hätte (und schon gar keine „KI“ angeworfen) – wenn sie denn die Diebstahldichte genommen hätten.

    Interessant wären vielleicht für die Fahrraddichte kontrolliert auffällig große oder kleine Diebstahlraten. Das, was das Paper tatsächlich mit den Fahrradzählungen macht, hinterlässt ein wenig den Eindruck, dass sie halt was mit KI einbauen wollten – entweder aus Modegründen oder, um den Kofinanzierenden vom Senseable City Lab des MIT eine Motivation anzubieten – und die Daten dann entweder nichts hergegeben haben (obwohl: Optisch würde ich vermuten, dass die Anpassung einer Wurzelfunktion vielversprechend wäre) oder, dass die Zahlen, als sie mal da waren, niemand mehr interessiert haben.

    Erwarten würde ich zumindest eine starke Korrelation zwischen Bevölkerungsdichte und Diebstahlrate, denn fast überall wohnen arme Leute dichter als reiche, und Armut ist fast sicher stark korreliert mit der Fahrraddiebstahl-Sorte von Kriminalität. Aber letztlich gehts bei Venverloo et al ja eher nicht um die Soziologie des Fahrradklaus; die Zahlen interessieren sie vor allem, weil sie wissen wollen, wo sie ihre Fahrräder hinstellen sollten, wenn sie möchten, dass diese geklaut werden. Das haben sie recht gut hinbekommen, denn wie beim DLF schon gesagt, haben 70% ihrer Räder eineN DiebIn gefunden.

    Geklaute Räder fliegen nicht in die Amstel

    Viele haben auch wieder einE neueN NutzerIn gefunden, ein Ergebnis, das ich so überhaupt nicht erwartet hätte. Meine Schätzung wäre gewesen, dass mindestens die Hälfte der Fahrräder einfach in irgendwelche Flüsse oder auf irgendwelche Schrotthaufen geworfen werden. Allerdings: die Räder waren alle halbwegs ordentlich abgeschlossen, so dass der übliche Klau im Suff hier nicht in Betracht kam. Anständigerweise haben Venverloo und Kollegen die GPS-Aufzeichnung gestoppt, wenn jemand erkennbar anfing, das Rad wieder normal zu nutzen – das ist für mich das stärkste Signal, dass das nette Leute sind.

    Ansonsten ist das Paper ein schönes Beispiel, wie aus Verkehrsdaten Schlüsse gezogen werden können. Zum Beispiel versucht die Studie herauszufinden, wie viele der gestohlenen Räder in Fahrradläden umgeschlagen werden und bestimmt dazu

    the straight-line distance from the stop locations of the 70 stolen bikes to the nearest bike store in the Netherlands. If these stop points were within 50 meters of a bike store, they were flagged for further analysis. Additionally, the time spent at these stop points was used to see how long these bikes remained parked at a bike store, omitting visits shorter than one hour as a bike store cannot assess, repair, and sell a bike in under an hour. The stolen bike routes with at least one flagged stop point were manually inspected further to investigate the movements of the bike before and after the visit to the bike stores. If these routes exhibited a commuter pattern after the potential visit to the bike store, but not before, the bike was counted as “sold at a second hand bike store”. For some stolen bikes, the tracker was permanently disabled during the potential visit to the bike store, which was also flagged as “sold at a second hand bike store”.

    Das mag beim ersten Lesen kompliziert klingen, aber ich bin überzeugt, dass eine andere Gruppe das Problem ganz ähnlich lösen würde.

    Ein ganz zentrales Ergebnis der Studie ist schon im DLF-Zitat oben vorweggenommen: Zumindest fürs heutige Amsterdam ist die Erzählung aus meiner Zeit als Opfer von Fahrraddiebstahl völlig unzutreffend. Damals ging das (polizeilich verstärkte) Gerücht, Jugo-Trupps aus Offenbach würden alle beweglichen Räder per Lkw einsammeln und dann in „den Osten“ verschieben. Demgegenüber sind praktisch alle gestohlenen Räder in der Studie mehr oder weniger im Viertel geblieben – wer also ein geliebtes Rad vermisst, wird wenigstens in Amsterdam guten Grund haben, die Augen offen zu halten.

    Keine Läden, vielleicht „organisiert“

    Das Laden-Kriterium übrigens führt nicht recht weiter – offenbar werden nur rund 5% der geklauten Fahrräder über richtige Fahrradläden umgeschlagen. Ich würde vermuten, dass der Rest im Wesentlichen über Facebook, Instagram und vielleicht noch schwarze Bretter verhökert wird, aber das ist nicht so leicht nachzuweisen. Stattdessen steht im Paper dann etwas wie:

    [Analyse per Hand] revealed that 22 out of the 70 stolen bikes were linked in a …
  • Hasadeure und Schlitzohren: Die Habsburger im Mittelalter in Speyer

    Fotos zweier Rümpfe steinerner Statuen.  Beide sind auffällig stark tailliert.

    Gender troubles anno 1300 bzw. 1400: diese beiden Rümpfe, die mit ihren schmalen Taillen nach heutigen Sehgewohnheiten wohl generell weiblich gelesen würden, gehören zu sorgfältigen Inszenierungen von Männlichkeit mittelalterlicher Herrscher: Links der Großfälscher Rudolf dem Stifter, rechts der erste Habsburger-König Rudolf I (mit Schwert).

    Ich war am letzten Wochenende im historischen Museum der Pfalz (seufz: Google-Tracking, aber Crapicity nur mäßige 10.76) in Speyer, und zwar vor allem für deren aktuelle Sonderausstellung „Die Habsburger im Mittelalter“.

    Der erste Eindruck ist der eines geradezu rührenden Anachronismus, denn es geht ein wenig im Stil des 19. Jahrhunderts um die Mächtigen, ihre Querelen und Kriege, ihre Hochzeiten und Intrigen – nichts anderes hatte ja der Ausstellungstitel versprochen. An jeder Ecke hängt ein Stammbaum, alles ist voll mit mindestens zweifach gesiegelten Urkunden in Plakatgröße, und natürlich gibts viel Blech in Form von Rüstung, Helm und Schwert. Es ist fast, als hätte die Besinnung auf Alltags-, Sozial-, Technik- und Wirtschaftsgeschichte (die ich schon in meinem Bericht aus dem Bonner Landesmuseum angesprochen habe) seit den 1960er Jahren nicht stattgefunden.

    Aber ganz so ist es auch nicht, denn einerseits gibt es immer wieder entsprechende Ausblicke – so zum Beipiel wird ein Hauch Technikgeschichte anhand zweier sehr erschreckend aussehender Helme aufgemacht –, zum anderen erscheinen die ProtagonistInnen (mit originellen Namen wie Dietrich III von Mömpelgard) nicht wie in der klassischen Geschichtsschreibung als heroische Agenten des Weltgeistes, sondern eher als die Glücksritter, Schurken, Hasadeure und Schlümpfe, die sie ja tatsächlich waren.

    Nehmen wir die Geschichte der verfeindeten Doppelkönige Ludwig der Bayer (Wittelsbach) und Friedrich der Schöne (Habsburg). Da sie ihre Macht nicht brav teilen wollten, hatten sie 1322 ihre jeweiligen Gefolgsleute in der Schlacht bei Mühldorf einander abschlachten lassen. Aber wie es so ist, 1325 mussten sie sich dann vertragen, was zu einem, haha, Vertrag führte, der in der Ausstellung zu bewundern ist als eine der Urkunden mit viel Gesiegele.

    Von allem, was aus der Urkunde an weltgeschichtlichem Brimborium hätte zitiert werden können, entschieden sich die KuratorInnen der Ausstellung für die Kuriosität, dass die beiden Grobiane versprachen, sich künftig als „Bruder“ anzureden. Ich bin überzeugt, dass sie, also die KuratorInnen, das durchaus in den Kontext heutiger Nutzungspraktiken der „Bruder“-Anrede stellen wollten.

    Ein Prototyp einer Krone, mit viel Gold, Zacken und allem drum und dran.

    Mit einigem Recht als Fälschung zu bezeichnen, aber die glaubhafteste Krone, die ich je gesehen habe: Die Krone von Rudolf „Stifter“ IV von Österreich.

    Zwischen mir und meiner Begleitung der klar populärste Habsburger war demgegenüber Rudolf IV von Österreich, den ich bisher nur beiläufig als Gründer der Uni Wien („Rudolphina“) auf dem Schirm hatte. Lobenswerterweise macht die Speyrer Ausstellung weder davon noch von seinen Aktivitäten im Hinblick auf den Bau des Stephansdoms viel Aufhebens (gebaut und betrieben haben die Dinger ja eh andere Leute), während sie genüsslich den Umstand ausbreitet, dass Rudolf IV eifrig Urkunden hat fälschen lassen, um seine Stellung im Reich zu verbessern. Ganz vorne dabei ist das Privilegium Maius, das mich hinriss mit der völlig bizarren Berufung auf Julius Caesar und Nero Claudius als Quellen von Privilegien und Autorität.

    Tatsächlich hat mich das ein wenig ins Grübeln gebracht: War Nero zu dieser Zeit, also um 1350 herum, noch nicht der durchgeknallte Großschurke, für den wir alle ihn spätestens seit Peter Ustinovs Schauspiel in Quo Vadis – während meiner Schulzeit Standardstoff für Vertretungsstunden – halten? Da damals sicher weniger Quellen der besonders nerofeindlichen senatorischen Geschichtsschreibung bekannt waren als heute, wäre das zumindest denkbar. Ob das mal wer untersucht hat?

    Noch bedenkenswerter bei der Geschichte finde ich aber, dass die Krone, die sich Rudolf IV zur Beglaubigung seiner (erfälschten) Erzherzogs-Ansprüche hat anfertigen lassen, viel echter aussieht als echte Kronen – notabene: Der Stifter-Rudolf hat es trotz seiner Fälschreien nie zum echten König gebracht.

    Vielleicht ist das ja eine gute Faustregel: Wenn es ganz besonders echt aussieht, ist es wahrscheinlich ein Fake. Wie im Vergleich eine tatsächliche Krone (schön: gut 300 Jahre früher) aussieht, lässt sich ebenfalls im historischen Museum der Pfalz bewundern, nur einen Stock tiefer im Domschatz:

    Foto eines einfachen Blechbandes mit vier angenieteten, nach oben ausspreizenden Blechen

    Garantiert echte Krone: Die Grabkrone von Kaiser Heinrich III, gezeigt im Domschatz von Speyer.

    Nun mag mensch ein wenig die Nase rümpfen über einen Potentaten, der dreist Urkunden fälscht, um sein Territorium oder – im Fall des Privilegium Majus im Vordergrund – seinen Einfluss zu erweitern. Aber: Andere – ich erwähne mal die deutsche Regierung, die den Angriff auf Rumpf-Jugoslawien 1999 mit einem frei erfundenen „Hufeisenplan“ der Gegenseite rechtfertigte – fälschen und führen danach Kriege, und das kann mensch Rudolf IV jedenfalls nach Maßstäben der damaligen Zeit nicht vorwerfen. Insofern mag er als Vorläufer der Felix Austria-Politik gelten. Meine Chance für ein wenig Latein:

    Bella gerant alii, tu felix Austria nube.
    Nam quae Mars aliis, dat tibi diva Venus.

    Frei übersetzt: andere führen im Geiste von Mars Kriege, du, glückliches Österreich, heiratest im Geiste der Venus. Auch wenn es im Fall von Rudolf IV vielleicht mehr Mercurius (in seinem Aspekt als Gott der Diebe) war als Venus: Ich wäre meiner Regierung wohlgesonnener, wenn sie es ähnlich halten würde.

    Leider (aus Sicht seiner Untertanen) war das mit Merkur und Mars anders beim letzten Habsburger, um den es in der Ausstellung geht, nämlich Maximilian I. Da die Ausstellung ja die Habsburger im Mittelalter behandeln sollte, hätte mensch den erkennbar frühhumanistisch beeinflussten Maximilian auch rauslassen können. Aber das wäre schade gewesen, denn er passt wunderbar in die Reihe eher halbseidener Gestalten, die die Ausstellung präsentiert.

    So geht es dann auch nicht allzusehr um die dynastischen und kriegerischen Bemühungen des Potentaten. Stattdessen wird er eher als erster Träumer einer Ritterromantik dargestellt denn als – wie konventionell und auch in der Wikipedia – „letzter Ritter“. Genüßlich wird etwa eine frühe Fassung seines (?) Ritterromans Theuerdank mit kitschigen Bildern gezeigt, und eben auch seine zu seiner Regierungszeit bereits klar anachronistischen Turnierrüstungen.

    Mir allerdings fiel besonders ein Exponat auf, das es wahrscheinlich nur wegen seiner Relevanz für Speyer in die Ausstellung geschafft hat:

    Foto eines großen, vergilbten Bogens Papier oder Pergament mit relativ wenig Text drauf.

    Dies ist ein Brief von Maximilian I an seine Untertanen in Speyer, dessen Inhalt letztlich wurst ist. Relevant ist die Form: Angesichts des damaligen Preises von Papier (oder Pergament – ich habe nicht geschaut, auf was da geschrieben wurde) ist der riesige leere Raum auf dem Schreiben das Äquivalent zum SUV von heute. Dieser Brief ist die Ansage, es komme nicht drauf an – was allerdings für Maximilian, der finanziell am Tropf der Fugger hing, ebenso eine Lüge war wie es das heute im Hinblick auf Lärm, Platz und CO₂-Budget für SUVs oder Autos im Allgemeinen ist.

    Wer will, kann die Ausstellung noch bis zum 16. April ansehen, wenn auch für erstaunlich viel Geld (ich glaube, ich habe etwas wie 18 Euro gesehen; wenn das wirklich so ist, amortisiert sich mein Museumspass mit atemberaubender Geschwindigkeit). Menschen, die das tun, sei zu einer Aftershow geraten. Sehr beeindruckend in Speyer ist jedenfalls die alte Mikwe gleich um die Ecke vom historischen Museum. Zusätzlich lohnt ein Besuch der Reliquienkammer im Dom rechts hinten. Die Mischung aus Befremden und Gruseln angesichts gefasster und im Goldrahmen aufgehängter Oberschenkelknochen (vielleicht von Heiligen anderer Zeiten, vielleicht auch nicht) ist unbezahlbar und dank katholischem Sponsoring auch umsonst.

    Nachtrag (2023-03-31)

    Wegen Eintrittspreisen hätte ich natürlich auch einfach auf der Webseite nachsehen können. Da steht nämlich, dass die 18 Euro die „Generationenkarte“ sind, die für bis zu fünf Menschen in passenden Altergruppen gilt. Der normale Eintritt sind neun Euro.

  • What to do when github eats 100% CPU in luakit

    I can't help it: As probably just about every other programming life form on this planet I have to be on github now and then. Curse the network effect and all those taking part in it (which would by now include me).

    Anyway, that's why the last iteration of luakit bug #972 (also on github. Sigh) bit me badly: as long as the browser is on a github page, it will spend a full 100% of a CPU on producing as many error messages as it can, each reading:

    https://github.githubassets.com/<alphabet soup>1:8116:
    CONSOLE JS ERROR Unhandled Promise Rejection:
    TypeError: undefined is not an object (evaluating 'navigator.clipboard.read')
    

    Github being a commercial entity I figured it's a waste of time trying to fill in a bug report. And the problem didn't fix itself, either.

    So, I went to fix it (in a fashion) with userscript. Since the problem apparently is that some github code doesn't properly catch a missing (or blacklisted) clipboard API in a browser (and I still consider blacklisting that API an excellent idea), I figured things should improve when I give github something similar enough to an actual clipboard. It turns out it does not need to be terribly similar at all. So, with a few lines of Javascript, while github still sucks, at least it doesn't eat my CPU any more.

    What do you need to do? Just create a userscript like this (for luakit; other browsers will have other ways):

    cd
    mkdir -p .local/share/luakit/scripts
    cat > .local/share/luakit/scripts/github.user.js
    

    Then paste the following piece of Javascript into the terminal:

    // ==UserScript==
    // @name          clipboard-for-github
    // @namespace     http://blog.tfiu.de
    // @description   Fix github's 100% CPU usage due to unhandled clipboard errors
    // @include       https://github.com*
    // ==/UserScript==
    navigator.clipboard = Object()
    navigator.clipboard.read = function() {
            return "";
    }
    

    As usual with this kind of thing, at least have a quick glance at what this code does; these four lines of source code sufficient here at least are easy to review. Finish off with a control-D, go to a luakit window and say :uscripts-reload.

    If you then go to, say bug #972, your CPU load should stay down. Of course, as long as github blindly tries to use the navigator.clipboard object for „copy link“-type operations, these still won't work. But that's now github's problem, not mine.

    And anyway: Give up Github.

  • Rekordverdächtig: 98.5% der Fingerabdrücke beim BKA waren rechtswidrig gespeichert

    Ich wollte schon lange eine Top Ten der radikalsten Übergriffe durch Polizeidatenbanken (ist das dann eigentlich ein „Cyberangriff“?) führen, vielleicht mit der Metrik: Wie viele der gespeicherten Datensätze haben eine rechtliche Überprüfung nicht überlebt (vulgo: waren offensichtlich rechtswidrig gespeichert)?

    Mit drin wäre sicher die „Arbeitsdatei politisch motivierte Kriminalität“ des LKA Baden-Württemberg, die 2005 im Ländle 40'000 politisch motivierte Kriminelle (bzw. ihre FreundInnen) sah. Wer das Bundesland kennt, versteht den Witz.

    Nach ein paar Begehungen durch zwei aufeinanderfolgende Landesbeauftragte für Datenschutz (von Informationsfreiheit war hier damals noch weniger Rede als jetzt) war die AD PMK im Oktober 2011 auf rund 10'000 Datenshätze geschrumpft. Unter Annahme konstanter politischer Kriminalität übersetzt sich das in zu 75% auch in der Einschätzung der Polizei selbst illegal gespeicherte Daten: Das ist schon mal eine Ansage[1].

    Ausweislich des aktuellen 31. Tätigkeitsberichts des BfDI (also des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit) hat das BKA in einem noch viel heikleren Bereich den Stuttgarter Staatsschutz völlig deklassiert: bei ihm stellten sich maximal 1.5% der fürs Amt gespeicherten Fingerabdrücke als nicht völlig offensichtlich rechtswidrig gespeichert heraus.

    Wenn es keine schlechten Menschen wären…

    Kurz der Hintergrund: Das BKA betreibt „Verbunddatenbanken“, in die alle Polizeien der BRD Daten für alle Polizeien der BRD (und noch ein paar andere Behörden) speichern. Auch wenn die Daten physisch beim BKA liegen, bleiben die einspeichernden Behörden verantwortlich für die Speicherung, haben also insbesondere zu entscheiden, wann die Daten wieder gelöscht werden (müssen).

    Wie alles beim BKA sollen eigentlich auch die Verbunddatenbanken nur für Kriminalität von „länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung“ genutzt werden. Tatsächlich reicht auch schon mangelnde Kooperation, wenn mensch polizeiliches Pfefferspray ins Gesicht bekommt.

    …wären sie auch nicht in der Datei.

    Wenn nun wer so richtig gar nicht kooperiert hat, unterzieht ihn/sie die Polizei einer erkennungsdienstlichen (oder: ED) Behandlung, wobei die bekannten Verbrecherkartei-Fotos und Fingerabdrücke genommen werden; speziell letztere sind wirklich ernsthaft, denn diese wird die Polizei dauernd gegen Spuren von allen möglichen „Tatorten“ (insbesondere: Gaffer bei Bannerdrops, Flaschen aus Baumhäusern, Werbevitrinen mit Adbusting usf ad nauseam) abgleichen.

    Da ED-Behandlungen per definitionem aedilorum nur stattfinden, wenn „es erheblich“ ist, landen diese Daten auf jeden Fall als „E-Gruppe“ im INPOL-Z-System des BKA. Sie hängen aber am Vorwurf in dem spezifischen Verfahren, in dem sie genommen wurden[2], also im Beispiel von oben etwa Bullenschu…, ähh, „Tätlicher Angriff“ und an dessen Speicherung im KAN des BKA.

    Wenn nun das Land diesen Eintrag löscht – und ja, das findet statt –, müsste eigentlich auch die daran hängende E-Gruppe gelöscht werden. Ihre Speicherung hatte ja einen Zweck, nämlich die Aufklärung und/oder Verhinderung künftigen Schubsens. Wenn sich dieser Zweck erledigt hat – deshalb wird ja rechtslogisch der Haupt-Eintrag gelöscht–, müssen natürlich auch die Fingerabdrücke weg.

    Über 11 Jahre hinweg 4.5 Millionen Fingerabdrücke löschen…

    Das BKA mit seiner Tradition großer Fingerabdruck-Karteien konnte sich dazu aber in der Regel nicht durchringen. Wenn wir schon die schönen Fingerabdrücke haben! Wer weiß, wofür sie nochmal gut sein werden! Und wenn das keine schlechten Menschen wären, wären sie ja erst gar nicht ED-behandelt worden!

    Und so hat das BKA über einige Jahrzehnte hinweg viele dieser verwaisten Einträge in ihrer Datei Erkennungsdienst – heute eben die E-Gruppen – adoptiert, hat also gesagt: „jaja, die Landespolizei braucht diese Daten vielleicht nicht mehr zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten, aber wir, wir brauchen die noch.“

    …macht jede Minute einen illegalen Datensatz weniger.

    So ging das, bis sich im Jahr 2011 der BfDI das Ganze ansah und das BKA darüber aufklärte, dass das so nicht geht. „Das werden schon schlechte Menschen sein“ ist schon rein menschenrechtlich kein „Grund zur Annahme“ (so §484 StPO), dass die Daten mal für Verfolgung oder Verhütung taugen könnten. Es reicht sogar datenschutzrechtlich[3] nicht, jedenfalls nicht für einen so tiefen Eingriff in die Grundrechte der Opfer der amtlichen Speicherfreude. Technisch braucht es zu dessen Rechtfertigung eine Negativprognose, also eine Ansage, warum genau und wie die gespeicherte Person demnächst straffällig werden wird (oder würde, wäre da nicht die Speicherung).

    Die konnte das BKA nicht beibringen. Und so hat das Amt in der Zeit seit 2011 atemberaubende 4.5 Millionen der so adoptierten Fingerabdrucksätze gelöscht. Das Fazit des 31. Tätigkeitsberichts des BfDI (S. 92) ist:

    Die im BKA noch verbleibenden 70.000 E-Gruppen werden derzeit geprüft. Ich habe das BKA gebeten, den Altbestand bis zum 31. Dezember [2022] zu bereinigen.

    Nehmen wir mit maximalen Wohlwollen gegenüber dem BKA mal an, dass sie für all die 70'000 verbleibenden E-Gruppen noch irgendwelche Negativprognosen zusammengezimmert bekommen (haben), so waren doch satte

    1 − (70000)/(4500000 + 70000) = 98.4%

    der Fingerabdrücke rechtswidrig – sagen wir, wie es ist: illegal – in BKA-Computern.

    Das ist, auch nach Maßstäben der deutschen Polizei und bei Einrechnung mildernder Umstände (z.B. verstorbene Verdächtige, vielleicht auch ohne BfDI-Intervention verjährte Datensätze), schon sehr beachtlich. Übrigens nicht nur als eher für Unterhaltungszwecke taugende Metrik, sondern auch in Wirklichkeit: Praktisch sicher sind aus diesen Daten z.B. obszöne (also: als präjustizielle Bestrafung eingesetzte) Hausdurchsuchungen generiert worden.

    Es wäre eigentlich schon schön, wenn das hoffentlich schlechte Gewissen einiger Beamter in Wiesbaden (dort hat das BKA seinen Hauptsitz) diese wenigstens ein paar Mal um sechs Uhr morgens aufschrecken ließe – denn das ist so die klassische Zeit für diese Sorte Hausdurchsuchung.

    [1]Ich will damit natürlich nichts über die restlichen 25% sagen; dass ihre Daten in windigen Staatsschutz-Datenbanken verarbeitet werden, hat jetzt gewiss auch nicht viel mit Rechtsstaat und Menschenrechten zu tun. Aber immerhin war das nicht mehr so offensichtlich rechtswidrig, dass der LfD viel tun konnte oder wollte.
    [2]Okok, das stimmt so nicht, denn in diesem freien Land gibt es durchaus auch zu „Präventionszwecken“ genommene ED-Daten. Aber auch die müssen an anderen Datensätzen dranhängen, die begründen, was da eigentlich präventiert werden soll. Also: das sollten sie.
    [3]Das ist bewusst ein wenig dem „menschenrechtlich“ gegenübergestellt, denn ich werde immer etwas skeptisch wenn ich „datenschutzrechtlich“ lese. Das tut ein wenig so, als sei das halt eine Frage für ParagraphenreiterInnen. Aber das ist es in der Regel nicht. Datenschutz ist vor allem ein Menschenrecht, und wer ihn zu einer quasi bürokratischen Frage zu degradieren scheint, kriegt zumindest meine hochgezogenen Augenbrauen.
  • Die 5-Prozent-Hürde illustriert

    Geteiltes Bild: Links ein gammeliger, zwischen zwei Autobahn-Fahrspuren eingeklemmter Weg mit Fahrradfreigabe, rechts ein großzügiger, zweispuriger Fahrradweg, der in gebührendem Abstand von lärmenden Autos geführt wird.

    Hilft die 5%-Hürde beim guten Regieren? Fahrradwege entlang von Autobahnen als Test: Links die BRD mit 5%-Hürde, rechts die Niederlande ohne. Sucht euch aus, was ihr lieber hättet.

    Auch wenn ich beispielsweise die 5%-Hürde schon rein informationtheoretisch wirklich bitter finde, glaube ich eigentlich, dass das Wahlrecht etwa im Vergleich mit dem aktuell viel stärker bedrohten Versammlungsrecht für eine partizipative Gesellschaft relativ nebensächlich ist.

    Doch da bei Wahlrechtsdiskussionen hierzulande regelmäßig eher gefährlicher Unsinn vorgebracht wird wie etwa in Ramaz' Einwurf auf der taz-LeserInnenbriefseite vom 22.3.2023,

    Aus der Weimarer Zeit hat die BRD gelernt, das eine 5-Prozent-Hürde gesund für ein ordentliches Arbeiten ist,

    kann ich schon wieder nicht an mich halten.

    Nein, die Weimarer Republik scheiterte genausowenig an einem „zersplitterten“ Parlament wie an der Inflation. Ich darf mich aus dem verlinkten Post selbst zitieren, weil der Punkt so zentral ist in Zeiten, in denen reaktionäre und autoritäre Versatzstücke weit über das AfD-Milleu hinaus hegemonial sind:

    Die NS-Herrschaft war kein Unfall, keine Folge von „wachsender Zerrissenheit der Gesellschaft“ oder gar der bolschewistischen Sowjetregierung. Nein, sie war offensichtlich Folge der Tatsache, dass die Eliten der Weimarer Republik in Justiz, Polizei, Militär, Wirtschaft und zu guten Stücken auch Politik (nicht jedoch in der Kultur) in ihrer überwältigenden Mehrheit völkisch, nationalistisch, autoritär und jedenfalls rabiat antikommunistisch dachten. Sie teilten das NS-Programm – eingestandenermaßen fast durchweg mit weniger eliminatorischem Antisemitismus – von Anfang an. Das war und ist eine unbequeme Wahrheit für die Befreiten von 1945 und danach, die sich ja sehr häufig in der Tradition dieser Eliten sahen.

    Wer das illustriert sehen möchte, kann ein wenig über Alfred Hugenberg – nebenbei: Alumnus der Uni Heidelberg – nachlesen oder die Entscheidung des ersten Reichspräsidenten, Friedrich Eberts – nebenbei: Sohn der Stadt Heidelberg – erwägen, schon ganz am Anfang der Repulik lieber die protofaschistischen Freikorps die Spartakusaufständischen niedermetzeln zu lassen als mit letzteren zu versuchen, die Schaltstellen der Macht in der Weimarer Republik den Kaiserreich-und-danach-Fans zu entwinden[1].

    Oh, und alles rund um Emil Julius Gumbel herum – nebenbei: rausgeworfen von der Uni Heidelberg – ist ebenfalls sehr aufschlussreich im Hinblick auf die tatsächliche Genese der Herrschaft des NS-Faschismus.

    Nein: die 5%-Hürde ist keine „Lehre aus Weimar“. Sie ist schlicht Ausdruck einer autoritären Sehnsucht nach einer starken Regierung. Die kann mensch schon haben, ohne gleich Faschist zu sein. Nicht statthaft ist aber, eine Abneigung gegen die antipartizipative Regelung als „irgendwie Richtung Nazis“ zu diffamieren. Ausweislich des Aufmacherfotos gilt, wenn schon: Ohne 5%-Hürde macht Radfahren mehr Spaß. Also… vielleicht. Jaja, das ist schon ein kleines Sample, aber es ist immerhin schon größer als das, das die Geschichte von „mit 5%-Hürde wäre nichts aus der NSDAP geworden“ stützen könnte.

    Ich jedenfalls bleibe bei meiner Anti-5%-Parole von hier: Weniger und besser regieren ohne die 5%-Hürde.

    [1]Eine grundsätzliche Reduzierung von Machtausübung wäre natürlich noch besser gewesen, aber das ist von SozialdemokratInnen eingestandenermaßen nicht zu verlangen.
  • Alle Ausländer total verdächtig: Das Entry-Exit-System der EU

    Kurve einer ca. 5m hohen Betonmauer, die von Bereitschaftspolizei bewacht wird.

    Das Foto der polizeigeschützten Betonfestung oben entstand 2009 bei einer Demonstration gegen die „GfA“ – das ist ein Euphemismus für Abschiebeknast – Ingelheim. Am Rande dieser Demonstration gegen ein besonders bedrückendes Symbol des deutsch-europäischen Migrationsregimes hörte ich zum ersten Mal von einem, wir mir damals erschien, aus Menschenrechtsgründen chancenlosen Irrsinnsprojekt, nämlich einer Datenbank, in der die EU alle Übertritte von Schengengrenzen aufzeichnen wollte, dem Entry-Exit-System EES.

    Ein gutes Jahrzehnt später hat es die Autorilla[1] entgegen meiner damaligen Einschätzung geschafft: Das Ding wird wohl in diesem Jahr online gehen, nachdem die entsprechende Rechtsgrundlage – die EU-Verordnung 2017/2226 oder kurz EES-VO – bereits 2017 die drei EU-Organe, also Parlament, Rat und Komission, passiert hat und am letzten Donnerstag auch der Bundestag ein paar offene Parameter in großer Eile in zweiter und dritter Lesung abgenickt hat. Die Bundestagsdrucksache 20/5333 ist ohne Debatte (wer nachlesen will: S. 88 im Plenarprotokoll: Gegenstimmen: die Linke, Enthaltungen: keine; es ging weiter mit Hilfen für Sportvereine) durchgerutscht, ohne dass es jemand gemerkt hätte.

    Die taz zum Beispiel hat in all den Jahren seit 2009 gerade mal zwei Artikel zum EES gehabt, einmal 2014 („Zeigt her eure Hände“) und dann nach der Verabschiedung der EES-VO 2017 („Die EU plant eine Touristendatei“). Angesichts des monströsen Vorhabens finde ich das etwas dünn, denn es geht um:

    Fingerabdrücke…

    Worüber ich besonders heulen könnte: Die Autorilla hat meine schlimmsten Erwartungen von 2009 noch übertroffen. Gut: Damals war auch das Visa-Informationssystem mit seinen Fingerabdruckdaten für (derzeit) beschämende 50 Millionen „Ausländer“ mit Schengen-Visa noch eine ferne Dystopie, die Bereitwilligkeit, mit der eine breite Mehrheit der Bundestagsabgeordneten die offensichtlich fürchterliche Fingerabdruckpflicht im Personalausweis abgenickt hat, schien eine Sache überwunden geglaubter autoritärer Großaufwallung nach Nineeleven. Damals waren noch nicht mal die Fingerabdrücke im gegen Asylsuchende gerichteten EURODAC zum Spurenabgleich nutzbar. Diese drei Datenpunkte mögen ein Gefühl dafür geben, wie sehr sich der Menschenrechtsabbau im Windschatten von Charlie Hebdo und Breitscheidplatz wieder beschleunigt hat.

    Jedenfals: wie bei der Biometrie in den Personalausweisen hat die Autorilla keine Ruhe gegeben und den Kram bei jeder ausländerfeindlichen Mobilisierung wieder ausgepackt. Und jetzt läuft der Mist (fast).

    Auch wenn alles am EES furchtbar ist, ist das größte Desaster sicher, dass ab 2023 nun alle NichtschengenianerInnen (und nicht nur die Visapflichtigen, die schon seit ca. 2014 im VIS biometrisch vermessen sind) ihre Fingerabdrücke abgeben müssen, wenn sie in den „Raum der Freiheit“[2] Schengenia einreisen wollen.

    Das ist vor allem dramatisch, weil diese Fingerabdrücke für drei bis fünf Jahre suchbar gespeichert werden. Und zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zur Verfügung stehen.

    Klar, wie üblich steht was von „Terrorismus“ und „schwerer Kriminalität“ im Gesetz, auf die die biometrische Fahndung beschränkt sein sollen. Aber speziell für die Verfolgung politischer „Straftaten” (in der Welt der Autorilla: alles oberhalb der Latschdemo) geht das so schnell, dass die lippenbekennenden Einschränkungen praktisch wirkungslos sind. Die Polizei kann in dem Geschäft fast immer Terrorparagraphen aus der 129er-Klasse auspacken und tut das auch – mensch denke etwa an die aktuellen 129er-Verfahren in Leipzig. Wo ihr das doch mal zu peinlich wäre, kann sie immer noch völlig fantastische „Gefahren“ für die Staatsordnung konstruieren. Mein Paradebeispiel für Letzteres ist das 2017er Verbot von indymedia linksunten.

    …wider ausländischen Aktivismus!

    Wenn es soweit ist, schlägt die übliche Biometriefalle zu: Wir hinterlassen überall und ständig biometrische Spuren. Gut, bei den Gesichtern hängt das noch an eher so mäßig funktionierenden Videokameras, aber bei Fingerabdrücken und noch mehr bei Zellmaterial, das grob für DNS-Identifikation taugt, ist mit Mitteln von TeilzeitaktivistInnen nichts zu retten.

    Das weiß auch die Polizei, die in Heidelberg durchaus Fingerabdrücke an wild geklebten Plakaten oder Gafferband bei Bannerdrops genommen hat. Oder von Bierflaschen nach Besetzungspartys in völlig überflüssigerweise für den Abriss vorgesehenen Gebäuden.

    Während es noch keine suchbare Vollerfassung von Fingerabdrücken der Schengen-Untertanen gibt und die entsprechenden Heidelberger Ermittlungen jeweils bis zu unglücklichen ED-Behandlungen ohne Ergebnis blieben, werden (legal eingereiste) AktivistInnen aus Nichtschengenia (ich werfe mal das Wort „Grenzcamp“ ein) bei sowas in Zukunft gleich erwischt. Und obwohl wir Untertanen es vor zwei Jahren nicht hinbekommen haben, die Fingerabdrücke in den Ausweisen etwa durch moderaten Einspruch abzuwenden, gab es gerade letzte Woche Grund zur Hoffnung für uns, dass die Justiz in der Hinsicht um fünf nach Zwölf aushilft.

    Ob ihr das „staatlichen Rassissmus“ nennen wollt oder nicht: Im Effekt ist es das, jedenfalls so lange, bis auch die Fingerabdrücke der SchengenianerInnen suchbar sind. Trotz des verlinkten Hoffnungsschimmers dürfte zumindest das aber dann schon noch irgendwann kommen, wenn sich nicht wieder hinreichend viele Menschen dem entgegenstellen.

    Wie die Herrschaft Freiheitsabbau gerne erstmal an „den Fremden“ ausprobiert – wofür sie meist noch viel Lob aus der „Mitte der Gesellschaft“ bekommt – und erst dann auf die eigenen Untertanen ausrollt, könnt ihr u.a. am nächsten Freitag im Heidelberger Laden für Kultur und Politik im Rahmen der Wochen gegen Rassismus hören.

    Autoritäre Design Patterns: Aufblasen…

    Ich will im Folgenden ein paar besonders pikante Passagen aus den Erwägungsgründen zitieren, weil sie musterhaft Techniken der Autorilla bei der Durchsetzung ihrer Interessen illustrieren.

    Zunächst ist da das Aufblasen von Problemen. Das ursprüngliche Narrativ beim EES war, es brauche die Datenbank absolut dringend, um „overstayer“ zu fangen, Menschen also, die auf einem Touristenvisum einreisen und dann einfach bleiben.

    Vernünftige Menschen zucken bei so etwas mit den Schultern, denn Menschen ohne Papiere gibts nun mal, und es ist auch gar nicht klar, wo eine Datenbank da helfen soll, wenn mensch nicht überall auf den Straßen Ausweiskontrollen haben will (was für vernünftige Menschen kein „wenn“ ist). Die Autorilla hat Anfang der 2010er Jahre aber keine Krise, keinen Anschlag versäumt, ohne irgendwann mit „overstayern“ zu kommen, die entweder Anschläge machen, menschengehandelt wurden oder selbst menschenhandeln.[3]

    Ich finde eher erstaunlich, wie unbekümmert ehrlich die EES-VO in den ersten sechs Erwägungsgründen selbst die Höhepunkte des propagandistischen Trommelfeuers der Autorilla aufzählt:

    (1) In ihrer Mitteilung vom 13. Februar 2008 mit dem Titel „Vorbereitung der nächsten Schritte für die Grenzverwaltung in der Europäischen Union“ legte die Kommission die Notwendigkeit dar…

    (2) Der Europäische Rat hob auf seiner Tagung vom 19. und 20. Juni 2008 hervor, wie wichtig es ist, dass die Arbeit an der Weiterentwicklung der Strategie für den integrierten Grenzschutz der Union fortgesetzt wird…

    (3) In ihrer Mitteilung vom 10. Juni 2009 mit dem Titel „Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger“ empfahl die Kommission…

    (4) Der Europäische Rat forderte auf seiner Tagung vom 23. und 24. Juni 2011 dazu auf, die Arbeit an dem Vorhaben „intelligente Grenzen“ zügig voranzutreiben…

    (5) In seinen strategischen Leitlinien vom Juni 2014 betonte der Europäische Rat, […] dass die Union alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen muss, um die Mitgliedstaaten bei ihrer Aufgabe zu unterstützen…

    (6) In ihrer Mitteilung vom 13. Mai 2015 mit dem Titel „Die Europäische Migrationsagenda“ stellt die Kommission fest, dass mit der Initiative „Intelligente Grenzen“ nun eine neue Phase eingeleitet werden soll…

    Wenn das eine Abwägung ist, hat die Waage jedenfalls nur eine Schale. Ich weise aus demokratietheoretischer Sicht kurz darauf hin, dass sich hier mit Rat und Kommission jeweils Teile der Exekutive die Bälle zuwerfen, bis eine neue Wahrheit durch gegenseite Bestärkung etabliert ist.

    …Bedarf erzeugen…

    Die Erzählung von den overstayern allerdings hat aus autoritärer Sicht (die sich ja um Panikpotenzial, nicht aber um Plausibilität kümmern muss) einen Fehler: Die gewünschte Speicherfrist von drei Jahren kommt dabei nicht raus, denn ginge es nur um die overstayer-Detektion, könne mensch den ganzen Datensatz bei der Ausreise löschen. Was tun? Einfach: Datenbedarf erzeugen, etwa duch die Schaffung hinreichend komplizierter Regeln. Hier:

    Das EES sollte ein automatisiertes Berechnungssystem enthalten. Das automatisierte Berechnungssystem sollte bei der Berechnung der Höchstdauer von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen Aufenthalte im Hoheitsgebiet der am EES-Betrieb beteiligten Mitgliedstaaten berücksichtigen.

    …Features schmuggeln…

    Allerdings reicht das, genau betrachtet, immer noch nur für Speicherdauern bis zu 180 Tagen aus. Wer einige Jahre lang den Acrobat Reader zum Lesen von PDFs verwendet hat, wird die Lösung kennen: Feature Creep, also das Einschmuggeln immer weiterer Möglichkeiten in ein Verfahren, aus dem die Leute nicht mehr so einfach rauskönnen. Sobald die ohnehin eher desinteressierte Öffentlichkeit erstmal vergessen hat, dass sie den ganzen Mist eigentlich nur gekauft hat, um ungezogene Schengentouris zu zählen, kommt ein ganzes Spektrum von Zwecken aufs Tablett, die mensch, wo die Daten doch schon mal da sind, auch erledigen kann:

    Ziele des EES sollten sein, das Außengrenzenmanagement zu verbessern, irreguläre Einwanderung zu verhindern und die Steuerung der Migrationsströme zu erleichtern. Das EES sollte gegebenenfalls insbesondere zur Identifizierung von Personen beitragen, die die Voraussetzungen hinsichtlich der Dauer des zulässigen Aufenthalts im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht oder nicht mehr erfüllen. Darüber hinaus sollte das EES zur Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten beitragen.

    Hu? Wo ist denn jetzt plötzlich der „Terror“ hergekommen? Wer hat die – ohnehin beliebigen, siehe oben – „schweren“ Straftaten aus dem Hut gezaubert? Die protorassistische Präsupposition „wer nicht SchengenianerIn ist, braucht Extraüberwachung, weil sie bestimmt mehr Terror und Schwerkriminalität macht“ hinter diesem kleinen Trick …

  • Gallische Dörfer, römische Klappmesser: Das Landesmuseum in Bonn

    Ich war seit gestern in anderer Sache in Bonn, hatte dabei aber Zeit für einen mittel-langen Blick in das „LVR LandesMuseum Bonn“. Das wollte ich gerne, denn erstens wusste ich, dass dort die Überreste des originalen Neandertalers liegen, und zweitens bin ich im Rahmen meines Römerfimmels schon einige Male auf „Original im LVR LandesMuseum Bonn“ (oder diverse Varianten der flamboyanten Schreibweise[1]) gestolpert.

    Tatsächlich habe ich von den Exponaten, die im Wikipedia-Artikel zum Museum erwähnt sind, nicht viel gesehen, denn die Leute bauen gerade eifrig um. Dafür bin ich aber auch umsonst reingekommen, und zumindest der Ur-Neandertaler war am Platz – die gefundenen Knochen ebenso wie eine rekonstruierte Figur.

    Letztere hatte nichts mehr von den gebeugten, haarigen Kreaturen, die noch vor wenigen Jahrzehnten das Neadertaler-Bild prägten. Der Steinzeitspeer in der Hand musste jedoch offenbar noch sein, obwohl doch Verbandszeug viel besser zur Befundlage passen würde. Der Ur-Neandertaler hatte nämlich ausweislich der nachgebliebenen Knochen 20 Jahre vor seinem Tod eine ziemlich schwere Armverletzung, und dass er danach so lange überlebt hat, wird als eindeutiger Beleg für Krankenversorgung und Fürsorge unter NeandertalerInnen gewertet.

    Eher noch beeindruckender fand ich aber die keltische Abteilung des Museums, in der Folgendes ausgestellt ist:

    Diorama eines Dorfes mit ca. 200 Fachwerkhäusern, einigen Gärten und Weiden sowie einer Umfriedung drumrum.

    Das ist nicht etwa ein Diorama des gallischen Dorfes von Asterix und Obelix. Nein, es ist ein Diorama, das die archäologischen Erkentnisse zum gallischen Dorf von Niederzier-Hambach reflektiert. Genauer war dort eine eburonische[2] Siedlung, die (vermutlich) im Rahmen der caesar'schen Angriffskriege im östlichen Gallien 54 bis 51 vdcE[3] aufgegeben wurde.

    Weil sie so prima in unsere Zeit passt, lasst mich kurz ein Destillat dieser Geschichte im Geiste meiner Betrachtungen zu Chios erzählen: Um 57 vdcE ließen die eburonischen Herrscher ihre Untertanen mit Caesars Truppen Belger abmetzeln. Doch schon zwei Jahre später empfanden sie das römische Winterlager irgendwo in der Nähe ihrer Hauptstadt („Atuatuca“; kein Mensch weiß heute mehr, wo das überhaupt war) als unerträgliche Kränkung nationaler Gefühle. Sie brachten also die Römer irgendwie dazu, aus ihrem Kastell auszurücken. Als sie das geschafft hatten, ließen sie ihr Militär angreifen, das, so Caesar, 10'000 römische Soldaten umbrachte.

    Die, ach ja, „Offensive“ erwies sich mittelfristig als unklug, denn Caesar konnte sowas nicht auf sich sitzen lassen. Er selbst bezichtigt sich im de bello gallico des, ach ja, „Genozids“. In den aktuellen Worten der Wikipedia:

    Die Einwohner wurden niedergemetzelt, die Gehöfte eingeäschert, das Vieh weggetrieben. König Catuvolcus starb durch Suizid (53 v. Chr.), König Ambiorix konnte mit knapper Not über den Rhein zu den Germanen entkommen. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Archäologisch lässt sich für die Zeit um 50 v. Chr. in eburonischen Siedlungen tatsächlich oftmals ein Siedlungsabbruch erkennen.

    Auch in der Darstellung im Landesmuseum werden Zweifel geäußert, ob nun die Römer die EburonInnen wirklich alle abgemurkst haben; der gute Zustand der Reste von Niederzier-Hambach und auch das Fehlen eines Brandhorizonts lassen vermuten, dass hinreichend viele EburonInnen klug genug waren, sich auf keine weiteren Kriegshandlungen einzulassen und schlicht davongerannt sind. Etwas in dieser Art schlägt auch der Bericht von Strabo vor, der so um die christliche Epoche herum von den Eburonen wieder als Verbündete Roms spricht. Dennoch: Bioarchäologisch ist nachweisbar, dass nach den römischen Feldzügen der Wald das eburonische Land zurückgewann. Oh Grusel.

    Wo gerade die Rede von Ambiorix war: Nicht nur die gallischen Dörfer sehen offenbar so aus wie halt gallische Dörfer, also die bei Uderzo und Goscinny. Die Leute scheinen auch so zu heißen. Ambiorix, Vercingetorix, Verleihnix. Im Landesmuseum gab es dazu eine These, die ich, so glaube ich, zuvor noch nicht gehört habe. Und zwar sei die Namensendung -rix eigentlich ein -rigs, was wiederum mit dem lateinischen Rex, König zu vergleichen sei. Ambiorix sei dann also „König der Ambiorer“, Asterix vielleicht „König der Sterne“. Obelix… oh, nee, ich mache jetzt keine Witze über mögliche Sprachfehler.

    Nach dieser Deutung kämen die zahlreichen auf -rix endenden Namen in der Überlieferung einfach daher, dass die klassische Geschichtswissenschaft im Wesentlichen von Königen und ihren Untergrobianen redet. Mir hingegen ist viel sympathischer der relativ neue Trend (ich linke dazu auf Arno Borst, 1925-2007) der Archäologie, das wirkliche Leben zu betrachten. Dabei können so (mich) verblüffende Ergebnisse herauskommen wie: Die Römer hatten Klappmesser. Nehmt etwa dieses her:

    Foto einer rostigen, gekrümmten Messerklinge, die in eine grob menschenähnliche Hülle geklappt werden konnte

    Das ist ein Fund aus dem Grab der „Schönen von Zülpich“, und die MuseumskuratorInnen wundern sich ein wenig, was wohl so ein Taschenmesser in einem Frauengrab macht. Ein wenig sexistisch fand ich das schon, in jeder Richtung; denn soweit ich das sehe – die Römer haben ihre Toten ja bis zur christlichen Machtübernahme durchweg verbrannt, so dass es kaum DNA-Evidenz geben wird –, wird die These des Frauengrabes im Wesentlichen nur durch Beigaben von Spiegel, Kamm und Cremes gestützt, die zumindest ausgehend vom modernen Befund durchaus auch von Männern genutzt werden.

    Und selbst wenn die Tote weiblich war, sind Taschenmesser wirklich recht unabhängig von Geschlechtszuschreibungen nützlich; stellt euch alleine mal vor, wie lausig die kaum gezüchteten Orangen der römischen Zeit zu schälen gewesen sein werden[4]. Nur, weil unser Patriarchat Frauen Klappmesser lieber vorenthält (schon dadurch, dass Frauenkleidung wenigstens vor dem Zeitalter großer Telefone meist keine messergeeigneten Taschen hatte), heißt das ja noch nicht, dass das römische Patriarchat das auch so gehalten hat.

    Jedenfalls: Dann und wann bin auch ich noch überrascht über den Stand der Technik in den römischen Provinzen. Das gilt vielleicht noch mehr für den Klappstuhl der „Priesterin von Borschemich“:

    Foto zweier Exponate: links ein Haufen rostiger Streben, links ein modern anmutender Klappstuhl.

    Das rostige Zeug links ist in einem Grab einer Anhängerin, vielleicht sogar einer Priesterin, einer der zahlreichen orientaloiden Kulte des kaiserzeitlichen Roms gefunden worden, und die Museumsleute haben mich davon überzeugt, dass das schicke Teil rechts eine zuverlässige Rekonstruktion des Originalzustands ist; wer vor Ort ist und das rostige Zeug genauer ansieht, dürfte, so erwarte ich, diese Einschätzung schließlich teilen.

    TIL: Die Römer hatten Campingmöbel. Vielleicht haben sie die zu kultischen Zwecken eingesetzt, aber vielleicht ist das bei uns auch nicht so viel anders.

    Zum Schluss muss ich etwas besorgte Kritik loswerden, und zwar an diesem Ausschnitt aus dem „Stammbusch“ des Menschen, der in der Nähe des Neandertalers zu finden ist:

    Foto eines Graphen mit dicken und dünnen Strichen zwischen menschlichen Schädeln: Ein dicker Strich verbindet Neandertaler und Homo sapiens sapiens, ein viel dünnerer Homo sapiens und Homo sapiens sapiens.

    Zunächst ist das schon ein wenig moderner als die Anno-Darwin-Anthropologie, denn die verschiedenen Homo-Arten mischen sich in diesem Bild zum modernen Menschen (der durchgezogene senkrechte Strich ganz rechts), und der Neandertaler steht nicht mehr als tumber, unterlegener, rausdarwinierter, toter Ast da. Das ist schön.

    Zumindest in eine möglicherweise nicht so schöne Ecke geht das allerdings im breiteren Kontext. Auf der grauen, oberen Fläche steht nämlich außerhalb des gewählten Ausschnitts „Europa“, auf der unteren, blasstürkisen „Afrika“. Und so könnten Menschen das als Teilrevision der in konservativen Kreisen immer noch gerne als kränkend empfundenen Out of Africa-Theorie ansehen. Jaja, so könnte mensch hier lesen, Homo sapiens ist schon in Afrika entstanden, aber zum ordentlichen Homo sapiens sapiens ist er erst geworden, als er es nach Europa geschafft hat und dort dem hellhäutigen Neandertaler zum letzten Schliff verholfen hat. Wenn das die Intention dieser Grafik sein sollte, würde ich erstmal (also: bis irgendwer sehr starke Belege bringt, dass die Homo sapiens, die seinerzeit aus Afrika ausgerückt sind, nicht schon fertige moderne Menschen waren) sagen: Nicht so schön.

    Die beeindruckende Animation der Ausbreitung der verschiedenen Homo- und Australopithecus-Arten während der vergangnen paar Millionen Jahre, die rechts von diesem Stammgebüsch an der Rückwand der Neandertaler-Halle läuft, gibt das dicke Linie-dünne Linie-Verhältnis in dieser Darstellung ebenfalls überhaupt nicht her. Dort ist pures Out of Africa zu sehen. Tatsächlich besiedeln (erobern?) in deren Darstellung moderne Menschen West-, Süd- und Ostasien, lange bevor sie sich ins kalte Europa wagen.

    Dennoch: das Landesmuesum in Bonn kann ich warm empfehlen, auch während der Umbauarbeiten. Ob mensch danach noch ohne Geld zumindest in die Dauerausstellung kommt: Das hätte ich wohl erfragen sollen. Habe ich aber nicht gemacht.

    [1]Ich will offen sein: ich könnte auf CamelCase und technokratisch-verbrandendes „LVR“ gut verzichten. Eigentlich hätte der originale Name, „Museum Rheinisch-Westfälischer Altertümer”, meine Stimme.
    [2]Caesar hat die Eburoner eingestandenermaßen als cisrheinische Germanen statt als Gallier bezeichnet, aber zu der Zeit waren Germanen ja auch gerade erst frisch erfunden, und es spricht extrem viel dafür, dass das schon eher so Asterix-Leute waren, angefangen beim Namen des einen ihrer Chefs. Nein, nicht Majestix, aber doch Ambiorix.
    [3]Vgl. diese Fußnote
    [4]Jaja, Orangen, die mensch schälen wollte, gelangten wohl erst über 1000 Jahre nach dem Tod der Schönen von Zülpich ins (dann ehemalige) Imperium Romanum. Aber vielleicht wollte sie ja Holzäpfel schälen, wenn die arme Seele schon keine Orangen hatte?
  • Work-Life Balance and Privacy with Bash, D-Bus, gajim and ifupdown

    A small screenshot showing an offline icon

    Sunday morning: my gajim is automatically offline. This post explains how I'm doing that.

    I still consider XMPP the open standard for “chat” (well, instant messaging), and I have been using Psi as an XMPP client for almost 20 years now. However, since Psi has occasionally crashed on me recently (as in: at least since Bullseye), presumably on receiving some message, I consider it a certainty that it is remotely exploitable. Given its large codebase I don't think I want to fix whatever is wrong myself, and I don't think there are still people maintaing Psi.

    I therefore recently migrated to gajim last week; after all, one of the nice things about open standards is that there are usually multiple implementations. This, however, made me update an ancient hack to automatically manage my status so that I'm XMPP-offline when it's nobody's business whether or not my machine is on.

    In this post, I'd like to tell you how that works, hoping it may be useful to solve other (but similar; for instance: get offline when doing talks) problems, too.

    Not Always Online

    First off, the major reason I'm not much of a fan of synchronous messaging (which IM is, and email is not) is that it requires some sort of “presence” notification: something needs to know whether I am online, and where I can be reached. At least in XMPP, additionally all your contacts get to know that, too.[1]

    While I admit that can be useful at times, during the night and on weekends, I really don't want to publish when my computer is on and when it's not. Hence I have so far told my Psi and I am now telling my gajim to not automatically re-connect on Weekends or between 20:00 and 7:00. That I can specify this perhaps somewhat unique preference illustrates how great shell integration everywhere is. The ingredients are:

    • ifupdown, Debian's native network management. If you're using systemd or NetworkManager or something, I think these use other hooks [if you've tried it, let me know so I can update this].
    • D-Bus, a framework to communicate between programs sitting on a common X11 display (though with gajim, D-Bus becomes somewhat hidden).
    • the shell, which lets you write little ad-hoc programlets and duct-tape together all the small utilities that accumulated in Unix since the early 1970ies (here: logger, date, and egrep).

    Inter-Process Communication with D-Bus

    The first thing I want to do is make tajim offline before a network interface goes down. That way, people don't have to wait for timeouts to see I am unavailable (unless someone pulls the cable or the Wifi disappears – without a network, gajim can't sign off). That means I have to control a running gajim from the outside, and the standard way to do that these days is through D-Bus, a nifty, if somewhat over-complicated way of calling functions within programs from other programs.

    One of these other programs is qdbus, which lets you inspect what listens on your sessions's (or, with an option, system's) D-Bus and what functions you can call where. For instance:

    $ qdbus org.gajim.Gajim /org/gajim/Gajim
    ...
    method void org.gtk.Actions.SetState(QString action_name, QDBusVariant value, QVariantMap platform_data)
    ...
    

    In Psi, with a bit of fiddling, a generic D-Bus tool was enough to switch the state. Since there's a QDBusVariant in the arguments gajim's SetState method wants according to the qdbus output, I don't think I could get away with that after the migration – qdbus does not seem to be able to generate that kind of argument.

    Enter gajim-remote

    But gajim comes with a D-Bus wrapper of its own, gajim-remote, and with that, you can run something like:

    gajim_remote change_status offline
    

    Except that won't work out of the box. That's because gajim comes with remote control disabled by default.

    To enable it, go to Preferences → Advanced, click Advanced Configuration Editor there, and then look for the remote_control configuration item. I have no idea why they've hidden that eminently useful setting so well.

    Anyway, once you've done that, you should be able to change your status with the command above and:

    gajim_remote change_status online
    

    ifupdown's Hooks

    I now need to arrange for these commands to be executed when network interfaces go up and down. These days, it would probably be smart to go all the way and run a little daemon listening to D-Bus events, but let me be a bit less high-tech, because last time I looked, something like that required actual and non-trivial programming.

    In contrast, if you are using ifupdown to manage your machine's network interfaces (and I think you should), all it takes is a bit of shell scripting. That's because ifupdown executes the scripts in /etc/network/if-up.d once a connection is up, and the ones in /etc/network/if-down.d before it brings a connection down in a controlled fashion. These scripts see a few environment variables that tell them what's going on (see interfaces(5) for a full list), the most important of which are IFACE (the name of the interface being operated on), and MODE, which would be start or stop, depending on what ifupdown is doing.

    The idea is to execute my change_status commands from these scripts. To make that a bit more manageable, I have a common script for both if-up.d and if-down.d. I have created a new subdirectory /etc/network/scripts for such shared ifupdown scripts, and I have placed the following file in there as jabber:

    #!/bin/sh
    # State management of gajim
    
    DESKTOP_USER=msdemlei
    
    
    case $MODE in
    start)
      case $IFACE in
      eth* | wlan* | n900)
        if ! date +'%w/%H' | grep '[1-5]/\(0[789]\|1[0-9]\)'  > /dev/null; then
          exit 0
        fi
        su - $DESKTOP_USER -c 'DISPLAY=:0 gajim-remote change_status online "Got net"' > /dev/null || exit 0
        ;;
      esac
      ;;
    
    stop)
      case $IFACE in
      eth* | wlan* | n900)
        if [ tonline == "t`su $DESKTOP_USER -c 'DISPLAY=:0 gajim-remote get_status'`" ]; then
          su - $DESKTOP_USER -c "DISPLAY=:0 gajim-remote change_status offline 'Losing network'" || exit 0
          sleep 0.5
        fi
        ;;
      esac
      ;;
    esac
    

    After chmod +x-ing this file, I made symbolic links like this:

    ln -s /etc/network/scripts/jabber /etc/network/if-down.d/
    ln -s /etc/network/scripts/jabber /etc/network/if-up.d/
    

    – and that should bascially be it (once you configure DESKTOP_USER).

    Nachtrag (2023-12-02)

    Let me admit that this never really worked terribly well with gajim, manly because – I think – its connections don't time out, and so once a status update hasn't worked for one reason or another, gajim would be in a sort of catatonic state. That's one of the reasons I switched on to pidgin, and its state management again broke when upgrading to Debian bookworm. My current script is near the bottom of this December 2023 post

    Debugging Admin Scripts

    Because it is a mouthful, let me comment a bit about what is going on:

    logger Jabber: $MODE $IFACE $LOGICAL
    

    logger is a useful program for when you have scripts started deeply within the bowels of your system. It writes messages to syslog, which effectively lets you do printf Debugging of your scripts. Once everything works for a script like this, you probably want to comment logger lines out.

    Note that while developing scripts of this kind, it is usually better to just get a normal shell, set the environment variables (or pass the arguments) that you may have obtained through logger, and then run them interactively, possibly with a -x option (print all statements executed) passed to sh. For instance:

    $ MODE=start IFACE=wlan0 sh -x /etc/network/scripts/jabber
    + DESKTOP_USER=anselmf
    + logger Jabber: start wlan0
    + case $MODE in
    + case $IFACE in
    + date +%w/%H
    + grep '[1-5]/\(0[789]\|1[0-9]\)'
    + exit 0
    

    – that way, you see exactly what commands are executed, and you don't have to continually watch /var/log/syslog (or journalctl if that's what you have), not to mention (for instance) bring network interfaces up and down all the time.

    Case Statments in Bourne's Legacy

    The main control structure in the script is:

    case $MODE in
    start)
      ...
      ;;
    stop)
      ...
      ;;
    esac
    

    Case statements are one of the more powerful features of descendants of the Bourne shell. Read about them in the excellent ABS in case you are a bit mystified by the odd syntax and the critically important ;; lines.

    The particular case construct here is there so I can use the same script for if-up.d and if-down.d: it dispatches on whatever is in MODE. In case MODE is something other than start or stop, we silently do nothing. That is not always a good idea – programs failing without complaints are a major reason for the lack of hair on my head –, but since this isn't really user-callable, it's probably an acceptable behaviour.

    General rule of thumb, though: Be wary of case .. esac without a *) (which gives commands executed when nothing …

  • Der Reichsbank-Preis und die Effizienz

    Ich hatte im Januar gegen Ende meines Kopfschüttelns über Fachblindheit zum Thema wissenschaftliches Publikationswesen der Versuchung einer preisbezogenen Klugscheißerei nicht widerstehen können:

    Wenn der DLF-Moderator behauptet, Vernon Smith habe 2002 den Nobelpreis erhalten, ist dem im Sinne von Alfred Nobel zu widersprechen – Smith hat den „Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank in Gedenken an Alfred Nobel“ bekommen, der seit 1969 verliehen wird (richtige Nobelpreise: seit 1901).

    Diese Bemerkung war zwar in mehrfacher Hinsicht albern, aber das Thema hat schon viele in Technicolor schimmernde Seiten. Auf eine davon bin ich vorhin in Yanis Varoufakis' unterhaltsamen[1] The Global Minotaur (entleihbar bei libgen) gestoßen. Und zwar hat das für den Reichsbank-Preis zuständige Komitee 1997 Robert Merton and Myron Scholes als würdige Empfänger auserkoren, weil:

    Their methodology has paved the way for economic valuations in many areas. It has also generated new types of financial instruments and facilitated more efficient risk management in society.

    – sie also angeblich Risiken „effizienter“ abschätzen konnten als ihre VorgängerInnen.

    Gleich im nächsten Jahr implodierte der vielleicht selbstironisch Long Term Capital Management (LTCM) genannte Laden der beiden und konnte nur durch einen großzügigen öffentlichen Bailout so abgewickelt werden, dass er nicht gleich das halbe Bankensystem mitnahm; die Geschichte in der Wikipedia. In aller Kürze zeigt die Wertentwicklung von LTCM-Anlagen aus dem Wikipedia-Artikel die Zuverlässigkeit (oder Nützlichkeit? Oder „Effizienz“?) der Erkenntnisse von Merton und Scholes ziemlich deutlich:

    Drei Kurven.  Zwei gehen mehr oder minder stetig nach oben, die dritte, die für LTCM, anfangs steiler, aber dann bricht sie auf fast null ein.

    Selbst wenn das nicht eine starke Aussage über die Wirtschafts„wissenschaften“ als solche oder zumindest ihren Effizienzbegriff sein sollte – es ist jedenfalls eine starke Aussage über diesen, hust, „Wirtschafts-Nobelpreis”.

    [1]Also: Unterhaltsam zumindest für Menschen, die ihren Zorn darüber, dass all die Monopolyspiele haufenweise Menschen umbringen, mit hinreichend Zynismus kontrollieren können.
  • WissenschaftlerInnen als Helden: Contact von Carl Sagan

    19-Zoll-Schränke voll mit blinkender Elektronik

    Sieht aus wie eine Kulisse aus einem (ja: etwas älteren) Hard-SciFi-Streifen, ist aber echt: Elektronik am Radioteleskop Effelsberg anno 2010.

    Letzte Woche war die Presse voll von Verrissen der Verfilmung von Frank Schätzings Der Schwarm. Eigentlich finde ich das ein wenig schade, denn eigentlich bin ich, und das mag eine Charakterschwäche sein, ein Fan von Büchern und Filmen, deren HauptprotagonistInnen in der Wissenschaft arbeiten. Schätzings Vorlage gehört ja unzweifelhaft in diese Kategorie. Allerdings räume ich gerne ein, dass schon im Buch die Jung-Schön-Sportlichkeit der wesentlichen Personen etwas nervt.

    Spoiler: So sieht trotz der rigiden Befristungspraktiken noch nicht mal das Personal an deutschen Unis aus. Von MPI und Helmholtz will ich in der Richtung gar nicht anfangen. Das aber sollte nicht überraschen, denn es ist auch gar nicht der Job von WissenschaftlerInnen, jung, schön und sportlich zu sein.

    Dazu tritt im Buch und viel schlimmer in der Serie, dass auch die Darstellung der wissenschaftlichen Tätigkeit als solcher bis zur Unkenntlichkeit dramatisiert wird. Klar, niemand will Geschichten über Telecons zur Vorbereitung von Forschungsanträgen lesen, und vermutlich noch nicht mal vom Ringen um die geschlossene Lösung eines Integrals, ohne die die Rechnung drei Jahre dauern würde. Aber es gibt Romane, die ich eminent lesbar finde und die dennoch, jedenfalls bevor es zur Sache geht, eine für Menschen in der Wissenschaft wiedererkennbare Welt beschreiben.

    Die Schwarze Wolke

    Wo ich das schreibe, fällt mir als allererstes Beispiel The Black Cloud (1957) des in vieler Hinsicht großartigen Fred Hoyle ein (im Original bei libgen entleihbar, auf Deutsch wohl eher schwer zu kriegen). Wer auf Geschichten über Erstkontakte steht und einen Einblick bekommen will in die große Zeit der Astronomie vor CCDs und Weltraumteleskopen: das ist Pflichtlektüre.

    Während ich mir ein paar Folgen des ZDF-Schwarms zu Gemüte geführt habe, ist mir aber mehr Contact von Carl Sagan durch den Kopf gegangen[1]. Diese Bevorzugung gegenüber dem Großwerk von Fred Hoyle wird wohl daran gelegen haben, dass ich das Sagan-Buch neulich mal wieder gelesen habe, nachdem ich auf Planet Debian über eine Besprechung von Russ Allbery gestolpert war.

    Russ geht relativ hart mit dem Buch ins Gericht:

    The biggest problem with Contact as a novel is that Sagan is a non-fiction writer who didn't really know how to write a novel. […T]he tone ranges from Wikipedia article to long-form essay and never quite feels like a story.

    und dann:

    I don't think this novel is very successful as a novel. It's much longer than it needs to be and long parts of it drag. But it's still oddly readable; even knowing the rough shape of the ending in advance, I found it hard to put down once the plot properly kicks into gear about two-thirds of the way through.

    Ich muss demgenüber ja sagen, dass ich Buch wie Film in der ersten Hälfte weit stärker fand als in der zweiten (aber das geht mir zum Beispiel auch bei Neal Stephenson in aller Regel so). Die Darstellung des Wissenschafts- und Erkenntnisprozesses jedenfalls ist in Contact – für Verhältnisse von Belletristik – wirklich gut gelungen. Ich hatte auch viel Freude an den Einführungen der verschiedenen Persönlichkeiten, in denen ich Typen aus dem wirklichen Leben wiedererkennen konnte. Allen voran kannte ich gleich ein paar Vaygays (aber die meisten von denen sind inzwischen tot oder jedenfalls tief pensioniert).

    Ein Roman als Blog-Ersatz

    Wahrscheinlich trifft jedoch die Kritik, Sagan habe nicht eigentlich einen Roman geschrieben, schon ein wenig. Ich denke, er hat im Groben einige seiner Ansichten und Ideen darlegen wollen und das Ergebnis mit einer nicht immer ganz organischen Geschichte zusammengesponnen, weil es damals halt noch keine Blogs gab, in denen Einzelbeiträge auch ohne Gewebe nebeneinender hätten stehen können. Kann ich verstehen: Dann und wann fantasiere ich auch darüber, so einen Roman zu schreiben.

    Ein Regal mit Plastikkisten, in denen jeweils Stapel von Festplatten stehen

    Wo ich schon mal handfeste Elektronik in der Radioastronomie zeige: 2015 wurden VLBI-Radiodaten (gerade) noch in solchen Plattenstapeln zum Korrelieren gefahren (hier: am ASTRON in Dwingeloo). Update (2023-03-14): Also… tatsächlich macht das Event Horizon Telescope das mit mit dem Verschicken von Platten auch heute noch so; anders sind die vielen Terabyte, die die da an ihren Teleskopen gewinnen, nicht zu den Korrelatoren zu bekommen, schon gar nicht vom Südpol.

    Am allerdeutlichsten ist der Charakter von Contact als Sammlung von Diatriben vielleicht, wenn Sagan über Religion rantet – und dann wieder Gottesmänner als besonders aufrechte Menschen auftreten lässt. Die Auseinandersetzung mit Fernsehpredigern und Evangelikalen erschien mir, als ich das Buch im letzten Jahrtausend zum ersten Mal gelesen habe, ziemlich wie US-Nabelschau.

    Wenn ich mir jetzt ansehe, wie viele doch sehr anrüchige „Freikirchen“ inzwischen in Gewerbegebieten und Strip Malls hiesiger Städte und Dörfer aufgemacht haben – oder gerade heute von Amokläufen in einem „Königreichssaal“ von Jehovas Zeugen höre –, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Und auch die „Family Values“, die Sagan jedenfalls mehr rausschauen lässt als etwa Hoyle, haben im Zeitalter des Neoviktorianismus nicht mehr ganz so deutlich die Anmutung rustikaler Americana wie vor 30 Jahren.

    Ebenfalls so tangential wie lehrreich finde ich, dass die Maschine in Contact schließlich in Japan gebaut wird. In den 1980ern nämlich spielte Japan die Rolle in Erzählungen vom Untergang des Abendlands, die heute China spielt – halb Gefahr aus dem Osten, halb bewundertes Rollenmodell.

    Gelbe Gefahren im Wandel der Zeit

    Die Parallelen lassen sich ziehen hin zum Handelskrieg Ronald Reagans gegen (unter anderem) japanische Halbleiter oder für patriotische Motorräder, die in vielerlei Hinsicht vergleichbar sind zu Trumps und Bidens heutigen Vesuchen, die Handelsbilanz mit China etwas zu balancieren. Wer nach der Lektüre von Contact noch eine Runde den originalen Blade Runner (auch aus der Zeit des Contact-Buches) ansieht, bekommt vielleicht eine etwas gelassenere Perspektive auf die heutige „Systemkonkurrenz“.

    Dass das eine gute Sache wäre, liegt mir gerade besonders nahe, nachdem gestern hier in Heidelberg Jörg Kronauer recht überzeugend dargelegt hat, dass der nächste große Krieg gegen China gehen wird (ich habe den Mitschnitt aus München nicht angesehen, würde aber vermuten, dass es grob das gleiche Material sein wird), wenn… nun, wenn wir als Gesellschaft Oswald Spengler-Fantasmen nicht zwei Ecken realistischer betrachten und aufhören, Geschichte als großen und fundamentalen Konflikt zwischen Staaten und Machtblöcken zu denken.

    Russ Allberys Urteil zu diesem Thema in Contact kann ich im Gegensatz zu seinen ungnädigen Urteilen in anderen Fragen teilen:

    [Die Wunder des Weltraums] in his alternate timeline rapidly sped up nuclear disarmament and made the rich more protective of the planet. […] I was a bit torn between finding Sagan's predictions charmingly hopeful and annoyingly daft.

    Neenee, auch die Ablösung des Clash of Culture-Narrativs ist keine technologische Frage. Sie ist Hand- und Mundarbeit.

    [1]Gleich in einer ganzen Reihe von Ausgaben bei libgen entleihbar, aber ich sehe wieder keine deutsche Übersetzung. Angesichts der, soweit ich das sehen kann, anhaltenden Popularität des Films erstaunlich finde ich, dass auch die öffentliche Bibliothek in Heidelberg offenbar keine Ausgabe mehr hat.
  • Die „Klima Arena“ in Sinsheim

    Interessant beleuchteter Museums-Innenraum mit ein paar Menschen und einem Themenglobus

    Es leuchtet und schimmert viel im Inneren der Hopp'schen „Klima Arena”. Der Themenglobus hat mir aber durchaus noch das eine oder andere beigebracht.

    Seit heute bin ich Inhaber eines Museumspasses und werde also in den nächsten 12 Monaten einige Museen in der weiteren Umgebung des Oberrheingrabens erkunden. Den Anfang machte heute (vielleicht relativ bescheiden angesichts der Konkurrenz) die „Klima Arena“ (jaja, Deppenleerzeichen. Ich kann nichts dafür), die sich in der Sinsheimer Hopp-Vorstadt befindet, also grob neben dem Stadion des lokalen Männerfußball-Bundesligavereins.

    Und so gleich mal ein heißer Tipp: Wenn ihr da hinwollt und es gerade beqeuem ist, steigt an der S-Bahn-Station Sinsheim-Arena aus. Das ist vielleicht etwas weiter als vom Hauptbahnhof aus, aber dafür bekommt ihr eine hautnahe Einführung in den Mobilitätsteil der Klimafrage, zunächst mit dem Technikmuseum und seinen glücklicherweise stillgelegten Überschalljets, dann durch die A6 und schließlich durch endlose Wege über Parkplätze für Fußballfans und SchwimmbadnutzerInnen, die, ihren Nummernschildern nach zu urteilen, teils über 100 km angefahren waren.

    Blick durch ein Gitter auf eine helle Beleuchtung eines Stadionrasens

    Die Wanderung zur „Klima Arena“ zeigt eine besonders bizarre Energieverschwendung: Hopps Fußballclub beleuchtet aus irgendwelchen Gründen seinen Rasen.

    Wie schon angedeutet: Hinter der „Klima Arena“ steckt Dietmar Hopp, der durch die Warenwirtschafts-Software von SAP reich geworden ist. Da vieles dafür spricht, dass SAP das Bruttosozialprodukt deutlich gedrückt hat (Beispiel), ist die Kombination aus Klimaschutz und Computerspielen vielleicht weniger exotisch als mensch meinen könnte.

    Dennoch überrascht nicht, dass sich die „Klima Arena“ schwer tut mit der Ansage, dass weniger Arbeit und auch dringend weniger Produktion der einzig aussichtsreiche und vernünftige Weg zu Klimaschutz ist; an eine auch nur beiläufige Erwähnung des Wortes „Kapitalismus“ in den zahlreichen Texten kann ich mich nicht erinnern. Ebenso erwartbarerweise ist alles voll mit großen Monitoren und Beamern, die zusammen gewiss den Strom eines mittleren Windrades schlucken werden. Klar spielt da die Verheißung von Wundertechniken eine erhebliche Rolle in verschiedenen Exponaten.

    Augenrollen lässt sich auch nicht vermeiden, wenn allerlei offensichtlich gescheiterte Politiken kritiklos dargestellt werden. Ein recht optimistisches Klimamodell etwa wird eingeführt mit diesem Text:

    Alle übrigen Treibhausgase verschwinden in gleichem Maße wie Kohlendioxid, da auch für sie Strafzahlungen geleistet werden müssen.

    Ganz falsch ist so eine Erwartung paralleler Entwicklungen von CO₂ und anderen Treibhausgasen nicht. Nur hat der Emissionshandel schon beim Kohlendioxid nicht für „Verschwinden“ gesorgt. Es hat noch nicht mal für eine erkennbare Verlangsamung der galloppierenden Zunahme gereicht in den Jahren seit Kyoto (1997: ca 23 Gt/yr; aktuell: um die 35 Gt/yr). Wie das Montreal-Protokoll zeigt, geht sowas durchaus auch anders, wenn mensch nicht auf einen Mumpitz wie Emissionshandel, sondern auf klare Regulierung setzt (und allen Göttern sei dank, denn ansonsten würden wir jetzt alle ein Abo auf Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 brauchen).

    Andererseits muss mensch nicht lange auf den interaktiven Videowänden rumtatschen, bevor mensch mit dem Rebound-Effekt bekannt gemacht wird (also: wenn wir effektivere Motoren bauen, verstärken wir die Panzerung der Autos und bauen Klimaanlagen ein, so dass wir am Schluss mehr statt weniger Sprit verschleudern). Eigentlich sollte sich danach all die Spekulation über technologische Wunder erledigt haben. Und wirklich spricht die „Klima Arena“ netto deutlich mehr über saisonales und regionales Essen als über Elektro-Flugtaxis.

    Tatsächlich habe ich ein paar Dinge gelernt, so etwa die Kopfzahl, dass ein Atomkraftwerk wie Phillipsburg I rund eine halbe Megatonne wiegt (und mithin auch so viel Krempel weggeschafft werden muss bis zur „grünen Wiese“). Mit der Kopfzahl 25 Tonnen pro Standardcontainer kann mensch abschätzen, dass rund 20'000 solche Dinger gebraucht würden, um den Schutt wegzuschaffen und zu lagern. Oder auch: ein AKW entspricht mengenmäßig dem Schwefeldioxid, das bei der Explosion des Hunga Tonga Hunga Ha'apai freigesetzt wurde (vgl).

    Ausschnitt eines Themen-Globus mit Ackerland-Bedeckung: die südliche Sahel-Zone ist sehr rot.

    An dem großartigen Globus, auf den mensch so circa 50 verschiedene Themenkarten projizieren und manipulieren kann, habe ich gelernt (vgl. Bild), dass im Süden der Sahelzone, im Norden von Nigeria eine Region äußerst dichten Ackerbaus liegt, so in etwa vergleichbar mit der Poebene. Ich hatte mir da bisher immer eher eine karge Steppe mit ein paar graszupfenden Ziegen vorgestellt. Was der Klimawandel dort anrichten wird, will mensch sich gar nicht vorstellen.

    Während mich der Globus hinriss, fand ich den „immersiven“ Film über eine Reise zum kaputten Amazonas-Regenwald im Jahr 2100 (oder so) in einer als Eisberg verkleideten Röhre aus vielleicht 100 großen Monitoren und Fußbodenrüttlern eher albern. Gewiss, die Kontrastierung von beeindruckenden Waldaufnahmen der Gegenwart mit einer simulierten Einöde nach dem Klimawandel mag das eine oder andere Herz rühren. Aber das Verhältnis von technischem Aufwand zu inhaltlichem Ertrag wirkt schon sehr dürftig.

    Das gilt noch mehr für ein in die Handlung reingezwungenes albernes Spielchen um eine Bruchlandung in Cape Canavaral (inklusive Palmen im Salzwasser). Wenn ihr keinen Wert auf Cringe legt oder enttäuscht wärt, wenn bei all dem Technik-Verheiz immer noch Tearing auf den Monitoren zu sehen ist: Spart euch diesen Teil der Ausstellung vielleicht eher.

    Während der Immersionstunnel noch als Folge von Ansagen des Hauptsponsors Richtung „macht mal ordentlich was mit Technik” durchgeht, fand ich einige völlig danebengegangene Visualisierungen unerklärlich. Hier zum Beispiel sollen die drastisch verschiedenen Wassermengen illustriert werden, die für die Produktion verschiedener Gemüse draufgehen:

    Foto von tropfenförmigen Gewisten mit Zahlen von 8 bis 1256 drauf, wobei die 8 vielleicht halb so groß ist wie die 1256.

    Zwischen acht und 1256 Litern liegt ein Faktor 150, und es ist für viele Menschen schon nicht einfach, sich klar zu machen, was das bedeutet (es ist so in etwa das Verhältnis zwischen dem Einkommen einer Putzkraft und eines Vorstandes in einem modernen Unternehmen…). Da hilft es nichts, wenn die Tropfen alle ungefähr gleich groß sind – das ist, im Gegenteil (sicher nicht beabsichtigte) Irreführung.

    Dieser Vorwurf geht tatsächlich eher an die noch von Theo Waigel ins Leben gerufene Deutsche Bundesstiftung Umwelt, in deren Sonderausstellung zu „planetaren Leitplanken“ dieses Exponat lag. Aber auch die Stammausstellung macht das nicht besser. Seht euch diese Visualisierung der Emissionen verschiedener Verkehrsträger pro Personenkilometer an:

    Übereinandergeschraubte Radreifen von Fernbus, Eisenbahn, Elektroauto, mit daraufgeschriebenen spezifischen Emissionen, die nichts mit der Größe der Räder zu tun haben.

    Es ist ja ein lustiger Gag, die (Rad-) Reifen verschiedener Verkehrsträger ins Museum zu stellen, aber wenn dabei 21 g/Pkm (der Fernbus, ganz unten) gigantisch groß aussiehen und 62 g/Pkm (das Elektroauto, 2. von oben) ziemlich klein, dann klappt das nur, wenn mensch viel Vertrauen in die Urteilskraft des Publikums hat. Und in dem Fall bräuchte es keine Museumspädagogik.

    Demgegenüber nimmt die Museumsgastronomie Thema und auch Nachricht der „Klima Arena” auf und ist immerhin ganz vegetarisch, wenn auch von den (in der Ausstellung durchaus empfohlenen) „regional und saisonal“ nicht viel zu schmecken war.

    Weniger zur Nachricht der Einrichtung passt, dass, wer sich den garstigen Anmarsch sparen und Bus fahren will, gut planen muss. Zumindest von der „Arena“ zum Hauptbahnhof zurück fährt zum Beispiel nichts zwischen 13:04 und 16:03. Dafür fährt gleich nach Museumsschluss um 17:00 ein Bus in ein paar Minuten zum Sinsheimer Bahnhof, wo schon der Zug nach Heidelberg steht. Insofern ist schon bemerkenswert, dass wir die einzigen waren, die diesen Weg gewählt haben. Also: das Thema der Ausstellung bedenkend, jetzt.

  • Pelztiere vs. Menschen: Die letzten 70 Jahre

    Unter einem Gebüsch schauen Beine und Schwanz eines Tigers raus.

    2010 habe ich, ich muss es gestehen, den Heidelberger Zoo besucht. Und mich ordentlich vor dem Tiger gegruselt, der hier im Bambus ruht.

    Neulich ging es in der taz tatsächlich mal um einen Fachartikel, nämlich um „A worldwide perspective on large carnivore attacks on humans” von Giulia Bombieri vom Naturkundemuesum[1] in Trento, Vincenzo Penteriani vom Naturkundemuseum in Madrid sowie KollegInnen aus aller Welt (doi:10.1371/journal.pbio.3001946), vorbildlich unter CC0 publiziert in PLOS Biology.

    Der taz-Artikel liefert eigentlich eine ganz schöne Zusammenfassung des narrativen Teils der Studie, und vor allem ordnet er das Thema das Artikels gut ein relativ zu Bedrohungen durch andere Tiergruppen und echte Gefahren für Menschenleben:

    Knapp 2.000 tödliche Angriffe [durch wilde Säugetier-Karnivoren] in 70 Jahren – das sind weniger als 30 im Jahr. Weltweit. Da steht die Angst in keinem Verhältnis zum Risiko […] Höchste Zeit, den Wolf zu entlasten und die richtigen Fragen zu stellen: Großmutter, warum hast du so große Räder?

    So sehr das mit der Angst qualitativ sicher stimmt, ist das Argument so quantitativ formuliert allerdings nicht haltbar. Schon die Unterüberschrift in der taz, „Eine Studie wertet die Fälle der letzten 70 Jahre aus.“ (Hervorhebung ich), weckt nämlich völlig falsche Erwartungen. Bombieri et al lassen keine Zweifel:

    Wir räumen ein, dass unser Datensatz nicht die Gesamtheit der Tierangriffe umfasst, die es weltweit gab. Er repräsentiert eine Untermenge dieser Fälle. In der Tat fehlen trotz unserer Bemühungen, gleichmäßig über Arten und Regionen zu sammeln, zahlreiche Fälle speziell für Löwen, Leoparden und Tiger.

    Wacklige Zahlen, robuste Ergebnisse

    Der numerische Abstand allerdings zwischen dem Gemetzel im Straßenverkehr und den Opfern bepelzter Wildtiere ist so groß, dass auch einige Größenordnungen Unterschätzung nichts am in der taz dargestellten qualitativen Befund ändern werden.

    Bombieri et al überdehenen ihre Zahlen aber auch selbst, etwa wenn sie zunächst

    erwarten […], dass die Zahl der Angriffe in Regionen mit niedrigem Einkommen wächst. Dort findet viel Subsistenzwirtschaft statt, und viele Gemeinden leben in engem Kontakt mit Wildtieren inklusive Großkatzen.

    Die Zunahme als solche sehen sie dann auch in ihren Daten. Dass diese aber an Subsistenzwirtschaft und Landnahme liegt, bräuchte schon stärkere Unterstützung als platt mit der Zeit wachsende Zahlen, denn die werden sehr plausiblerweise einfach daran liegen, dass sich die Anbindung größerer Teile des globalen Südens an das Nachrichtensystem des globalen Nordens über die letzten 70 Jahren hinweg ganz erheblich verbessert hat. Denn wie zählen Bombieri et al?

    Berichte über Angriffe wurden gesammelt aus persönlicher Datenhaltung der KoautorInnen, der wissenschaftlichen Literatur, Doktor- und Masterarbeiten, Webseiten und öffentlicher Berichterstattung (eine Liste der wesentlichen Veröffentlichungen zum Thema stellen wir in Tabelle S2 zur Verfügung). Wir haben die erwähnten Quellen mit den Suchmaschinen Google und Google Scholar durchsucht. Um den Datensatz zu vervollständigen, haben wir auch eine systematische Suche nach Zeitungsartikeln auf Google durchgeführt. Dabei haben wir für alle Länder/Regionen jährlich gesucht nach einer Kombination der folgenden Begriffe „Name der Art“ oder „wissenschaftlicher Name der Art“ + „attack“ oder „attack“ + „human“.

    Diese Methode führt natürlich überwältigende und praktisch nicht zu kontrollierende Auswahleffekte ein, so dass ich jedem quantitativen Ergebnis, das aus diesem Datensatz gewonnen wird, sehr skeptisch gegenüberstehen würde. Das aber ändert nichts daran, dass er eine großartige Quelle für qualitative Betrachtungen ist.

    CC0 sei Dank: Aus Excel befreit

    Weil das alles – wie mein Blog auch – unter CC0 verteilt wird, kann ich die furchtbare Excel-Datei, in der Bombieri et al ihre Datensammlung publizieren, hier als aufgeräumte CSV-Datei republizieren – vielen Dank an die AutorInnen! Zum Aufräumen habe ich ad-hoc ein Python-Skript geschrieben, das in einem mit Libreoffice erzeugten CSV-Export der Excel-Datei insbesondere die geographischen Koordinaten, die in einer munteren Mischung verschiedener Formate kamen, vereinheitlicht. Dabei gingen ein paar Koordinaten verloren, deren Format ich nicht erraten konnte (so etwa 10).

    Zusammen mit dem großartigen TOPCAT und dessen Classify by Column-Feature (in Views → Subsets) kann mensch auf die Weise recht unmittelbar den folgenden Plot der erfassten Säugetierangriffe nach Spezies erzeugen (TOPCAT ist eigentlich für die Astronomie gedacht, weshalb die Koordinaten etwas ungeographisch daherkommen):

    Bunte Punkte in einem Mollweide-Plot: Es gibt extrem auffällige Cluster etwa auf Kamtschatka, in Japan oder an der indischem Malabarküste.  Der größte Teil des Plots hat gar keine Punkte

    Geographische Verteilung der Tierangriffe aus Bombieri et al, für die am häufigsten angreifenden Arten farblich aufgeschlüsselt. Beachtet, dass nur knapp 50% der Fälle in ihrem Datensatz hinreichend georeferenziert sind.

    Wenn ihr das selbst versucht: Macht auch gleich einen Tabellen-View auf. Ihr könnt dann nämlich auf die Punkte klicken und in der Observations-Spalte oft die zugehörigen Geschichten lesen. Einiges bewegt sich im Dumb Ways to Die-Spektrum, und ich kann nicht leugnen, dass ich mich manchmal wie einE Bild-LeserIn fühlte, während ich an den Daten herummachte. Tja: wer in der Hinsicht ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.

    Wölfe fütternd oder Futter für Wölfe?

    Manchmal sind schon die Activities in der Tabelle halbe Geschichten: „sleeping outside the tent in sleeping bag” zum Beispiel (im kanadischen Algonquin National Park, mit Species Wolf). Conflict_end ist hier glücklicherweise 1 („Injury”) und nicht 2 („Death“). So ging es auch für die Activity „feeding the wolf“ aus, Observation: „Frau hielt an und bot dem Wolf Futter an“. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und muss fragen: War das eine oder waren das zwei Handlungen?

    Denn es geht nach Rechnung der AutorInnen den Wölfen schon recht oft darum, die Leute, die sie angreifen, dann auch zu verzehren. Dazu hilft es, sich kurz die Bedeutung der Zahloide in der Scenario-Spalte anzusehen, die ich erst manuell aus dem blöden XSLX-XML rausfummeln musste:

    1:defensive reaction by a female with offspring
    2:animal and human/s involuntarily encounter at a close distance
    3_4:food related: eg animal food conditioned/habituated or feeding on anthropogenic food (eg crop) or feeding on a wild or domestic animal carcass at the moment of the attack.
    5:predatory/unprovoked/investigative attack
    6:animal wounded/trapped
    8:dog presence
    10_12:animal intentionally approached/provoked/chased attack the people involved or other people on its way while fleeing

    Bei Wölfen sind immerhin 377 von 414 Fällen mit der 5 klassifiziert. Das hätte ich ehrlich gesagt anders eingeschätzt. Und noch mehr bin ich überrascht, dass es die Wölfe in über 250 dokumentierten Fällen auch geschafft haben (sollen), die beteiligten Menschen zu töten. Ich habe mir diese Fälle mal rausgefiltert (in TOPCAT definiert mensch dafür ein algebraisches Subset mit equals(species, "wolf") && conflict_end==2 – ja, SQL ist schöner). Fast alle dieser 268 Fälle kommen aus Indien (259), sechs aus dem Iran, und dann noch je einer aus der Türkei, aus Alaska und Saskatchewan.

    Die Geschichte aus der Türkei ist die von einem Schäfer:

    Shepherd's father found him death [sic]. Then took him to hospital and doctors determined he was killed by wolves.

    – es ging den Wölfen hier also ziemlich sicher nicht darum, den Schäfer zu verzehren, denn sonst wäre schon das mit dem Ins-Krankenhaus-Bringen schwierig geworden. Ich würde hier die 5 ziemlich in Frage stellen, muss ich sagen; für mich klingt das stark nach 3_4, food related, weil die Wölfe einfach die Tiere des Schäfers essen wollten und der Schäfer im Weg war.

    Die Fälle in Nordamerika sind jeweils den Wintermonaten zugeordnet, wobei Wolfsrudel vermutlich weniger hinter dem Fleisch der Menschen her waren als vielmehr hinter den Resten der Tiere, die die Menschen vorher getötet hatten. Sehr hässlich klingen dagegen die Activities aus dem Iran: children playing lese ich da – und noch schlimmer in Indien, wo das allein 183-mal vorkommt (mit anderen Worten: mehr als die Hälfte aller hier verzeichneten tödlichen Begegnungen mit Wölfen weltweit). Das werde ich unten nochmal etwas genauer betrachten, aber zunächst sollen auch die Katzen etwas Aufmerksamkeit bekommen.

    Großkatzen lassen zweifeln

    Bei Leoparden lese ich etliche Mal das gruselige „attacked at the neck and dragged away“, einmal darunter mit der Activity „toilet/bathing/washing clothes outside“ und dem Ausgang, dass der Mensch …

  • Ein spontanes Hörspiel in zwei Minuten

    Am 22. Januar 2023, kurz nach 20 Uhr, passierte im Deutschlandfunk – zumindest im Livestream, aber es klingt alles, als sei das auch per Funk so gewesen – eine der längsten Pannen, die ich im Programm je gehört habe. Die reiche Textur der Fast-Stille ruft, soweit es mich betrifft, laut nach der Aufnahme in meine Live-Sammlung. Hört selbst (aber Vorsicht: ganz am Ende ist normale Lautstärke):

    Schon allein, weil das in (oder vor?) der – gerne mal etwas experimentelleren – Freistil-Schiene lief, bin ich mir bis jetzt nicht sicher, ob das ein Fall für TechnikerInnen oder KulturkritikerInnen ist.

    Das „Hallo“ am Ende meines Ausschnitts hier gehört übrigens zu der zumindest für fachfremdere Menschen durchaus hörenswerten Freistil-Sendung übers Reden mit Außerirdischen. Auch das, so finde ich, passt wunderbar zu diesem Kurzhörspiel mit viel Horchen in verschiedene Sorten von Stille, bei der mensch nie sicher sein kann, dass da wirklich niemand ist.

  • Garmin GPSmap 60Cx and 60CSx do support SDHC and SDXC

    Photo of a hand-held GPS receiver showing, among others “Höhe 9662 m”

    Ah, nostalgia! I just migrated back to the type of my first GPS receiver, in action here when I was – flight shame! – at just about 9700 metres.

    Since there is so much confident misinformation about on this about on the net, I'm stooping to the depravations of SEO and have put my main point into the headline: If you have a Garmin GPSmap device from the later 60 series and worry whether you'll still get SD cards that will work with it, relax: I just bought a 64 GB SDXC card and made it work inside a 60csx that will replace the 64s I had since 2017 (which hopefully has found a new home in Paris. Ahem).

    While it is by no means certain that a vintage 2006 machine can deal with SDHC (since that was only specified in January 2006), and machines that only support SD 1.0 usually get confused with higher-capacity cards, Garmin got it right for these devices. You may be out of luck for the vintage 2003 60C and 60CS, though, but I have no means of ascertaining that.

    In case you're wondering why anyone bothers with hardware that's coming of age these days: I was surprised myself that the things still go for about 100 Euro on ebay, but they are well-made, and very frankly: except for the support for multiple gmapsupp.imgs, I see the GPSmap 64s as a step back over my original 60Cx, in particular when finding features. The GPSmaps are also sturdy devices surviving 20 years of (ab)use, and they're running on standard NiMH cells. What's not to like?

    But, sure enough, when you insert a card you get at your local chemist's today (which will be SDXC) into the 60CSx, it will not (immediately) be recognised. That is because while the machine can deal with SDHC (and thus SDXC) Card-Specific Data and thus the hardware is fine, it cannot deal with exFAT file systems (and preformatted exFAT, really, is the difference between SDXC and SDHC). To my surprise, it could deal with a FAT32 file system, so running, on a linux host with a card reader, sudo mkfs.fat /dev/mmcblk0p1 was all I needed to do to make the device see the file system.

    For reference: the way to figure this out is to create a Garmin subdirectory on the card, and put some (sufficiently small; there's still the 4GB limit on file sizes with FAT32) gmapsupp.img file in there. If you don't have one, my favourite sources at this point are Computerteddy's classics or frikart's renderings.

    You should now see the map data on the device.

    In case reformatting as FAT32 does not do the trick for you: I seem to remember my old 60CS insisted on FAT16, which would explain the talk about a 4 GB limit for the card that's reported in multiple places. If this is true for your 60CS, fetch gparted from your distribution's repository, run it on your SD card, resize[1] the existing partition to 4096 MB, tell gparted to put a FAT16 file system on it, and then try again.

    Nachtrag (2023-10-03)

    There is another snag when you run GPSmap devices on suitably configured Linux systems and want to use the pleasantly unconventional gpsman to manage tracks and waypoints: power management.

    The way gpsman interacts with the USB port makes Linux suspect it doesn't use it at all and then suspend the device if you have enabled USB autosuspend; in consequence, you cannot talk to the device any more, and gpsman's “check device” will fail. And you probably have enabled USB autosuspend if you are on a mobile platform and use software like tlp.

    To still make gpsman work, turn off USB autosuspend at least for the GPSmap. In the tlp case, the way to do that is to figure out the USB id for the GPSmap (use lsusb), which turns up 091e:0003 for the 60CSx. Then tell tlp to leave such devices alone by adding that id to tlp's USB_DENYLIST variable. Don't edit /etc/tlp.conf directly, though, because that will make your dist-upgrades more painful. Rather, create a file /etc/tlp.d/10-stop-autosuspend and put something like:

    USB_DENYLIST="091e:0003"
    

    there.

    [1]Resize instead of drop and recreate because the card vendors seem to be doing some voodoo when aligning their pre-created partitions, supposedly to improve speed (or perhaps even to reduce wear, which probably isn't an issue on the Garmin devices which essentially never write). By resizing, you don't disturb the voodoo. Because, you know, it may work even if you don't believe in it.
  • Postkarten schreiben gegen monströse Drohungen

    Foto: Leicht aufgefächerte Postkarten der Kampagne „Raus aus dem nuklearen Wahnsinn“

    Wer dann und wann mal dieses Blog liest, wird wahrscheinlich schon gestolpert sein über einen der (bisher sechs) Links auf meine zornige Schrift wider die moströse Drohung, die Städte des Feindes einzuäschern, besser bekannt unter dem weit harmloser klingenden Titel „nukleare Teilhabe”.

    Tatsächlich: der einzige militärisch plausible Zweck von Atombomben ist das millionenfache Töten der gegnerischen Stadtbevölkerung[1]. Daher bin ich so empört, dass unsere Regierungen wild an der Mitverfügung über diese Waffen festhielten und -halten. Nach dem Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrag vor etwas mehr als zwei Jahren könnte mensch übrigens an dieser Stelle durchaus die derzeit so populäre Vokabel „völkerrechtswidrig“ anbringen (auch wenn ich „monströs“ eigentlich angemessener finde).

    Nichts, schon gar nicht die nukleare Massenvernichtung der eigenen Bevölkerung – an der die Vernichtung der gegnerischen Bevölkerung überdies auch nichts mehr ändern würde –, kann diese Sorte ultimativer Gewalt rechtfertigen. Selbst die Drohung damit verlässt jedes hinnehmbare Ausmaß von Schurkigkeit, von den praktischen Gefahren solcher Drohungen ganz abgesehen. Das ist noch einmal eine ganz andere Liga gegenüber der selbst schon nicht so ganz harmlosen Logik des „wenn die Russen schießen, dürfen wir das auch“.

    Deshalb bin ich den Leuten von Ohne Rüstung Leben so dankbar für die Kampagne Raus aus dem nuklaren Wahnsinn. Teil davon ist insbesondere, Postkarten an Olaf Scholz zu schicken, die ihm nahelegen, doch bitte endlich diesen Teil von basaler Ethik und Völkerrecht anzuerkennen und das Beitrittsverfahren zum Atomwaffenverbotsvertrag einzuleiten. Eine so zentrale Frage ist kein Spielball für Bündniserwägungen und Realpolitik, und sie ist Grund genug für mich, meine fundamentale Skepsis gegenüber petitionsähnlichen Aktionsformen zu überwinden.

    Ich habe gestern meine Karte losgeschickt, und ich habe auch noch ein paar weitere davon. Wenn ihr eine abschicken wollt und irgendwo in Heidelberg, Schriesheim oder Ladenburg wohnt, bringe ich euch gerne eine vorbei – schreibt mir einfach geschwind eine Mail oder nehmt das Feedback-Formular.

    Keine Angst, solches Feedback veröffentliche ich nicht…

    [1]Das sage nicht nur ich, das sagt insbesondere auch Daniel Ellsberg, der es als ehemaliger Nuklearplaner bei der RAND Corporation aus erster Hand weiß. Wenn ihr in der Hinsicht irgendwelche Zweifel habt, schuldet ihr es den Menschen der Zukunft, jetzt gleich Ellsbergs The Doomsday Machine zu lesen.
  • BahnBonus ohne Google-Id und auf dem eigenen Rechner

    Screenshot: Ein bunter App-Bildschirm mit wenig Information und einem Spendenaufruf.  Es handelt sich um die BahnBonus-App der Bahn.

    Objekt der Begierde: Die BahnBonus-App, die mich wieder in die DB-Lounges Einlass finden wird. Und zwar ganz ohne Apple und nur mit einer einfachen Überdosis Google.

    Vor einem knappen Jahr habe ich eine Großbeichte abgelegt: Ja, ich nehme an so einem blöden, schnüffelnden Kundenbindungsprogramm teil, und dann noch an dem von der Bahn, bei dem VielfahrerInnen gemütlich im Sessel Kakao schlürfen, während gewöhnliche Reisende draußen am Bahnsteig frieren oder sich um die wenigen Sitzgelegenheiten in den Bahnhofsgebäuden streiten müssen: Ehemals bahn.comfort, jetzt BahnBonus.

    Im zitierten Post habe ich dem Lounge-Zugang hinterhergeweint, denn seit einem knappen Jahr lässt die Bahn nur noch Menschen in die Lounges, die ferngewartete Computer („Smartphones“), und dann noch ziemlich neue davon, verwenden. Statt der alten Plastikkarte brauchte es jetzt eine, hust, App. Die tut nun (wie ich jetzt weiß und vorher ahnte) nicht nicht viel mehr als den Login-Bildschirm der Bahn-Webseite anzuzeigen und dann Links auf QR-Codes zu generieren. Wahrscheinlich etwas naiv habe damals gehofft, dass die Bahn die paar Zeilen Javascript, die es dafür braucht, auch auf ihre normale Webseite packt.

    Das ist aber nicht passiert. Als die Bahn neulich BahnBonus-Papierwerbung geschickt hat („Sie haben Gold-Status!”), habe ich erneut eine Mail an den Bahn-Support geschrieben, wie es denn mit QR-Codes auf der Webseite stehe. Erneut war die Antwort ein nicht weiter erklärtes Nein. Dass die Bahn mit der Negativantwort aber etliche Gutscheine (insbesondere zum Lounge-Zugang) schickte, nahm ich als „nee, wir machen das nie, auch wenn es einfach ist“. Mag sein, dass es dabei ums Datensammeln geht, mag sein, dass das einfach Konzernpolitik ist.

    Jedenfalls: Wenn ich wieder im Warmen Kakao schlürfen will, muss ich irgendwie auf Dauer an die QR-Codes kommen. Ferngewartete Computer kommen für mich allenfalls in virtuellen Maschinen in Frage, und so dachte ich mir: Ich probier mal, ob ich die BahnBonus-App nicht auch auf meinem normalen Rechner zum Laufen kriege.

    Stellt sich raus: Das geht, und wenn mensch sich Google in einer VM austoben lässt, sogar mit vertretbarem Aufwand. Ich schreibe hier mal auf, was es für mich gebraucht hat; das mag ja bei anderen Digitalzwängen auch ein wenig helfen.

    Android in QEMU aufsetzen

    Ich gehe für die folgenden Schritte aus von einem Debian (bullseye) auf einem Intel- oder AMD-System, das nicht wesentlich älter ist als 15 Jahre. Im Prinzip dürfte aber fast alles auch auf jeder anderen Plattform gehen, auf der Qemu läuft.

    Wenn ihr bei den folgenden Schritten irgendwo ins Schleudern kommt, lasst es mich bitte wissen – ich erweitere diese Erzählung gerne so, dass sie auch nicht übermäßig nerdigen Menschen etwas sagt.

    (1) Qemu installieren – Qemu ist zunächst ein Emulator von allerlei Hardware. Da aber Android enorm ressourcenhungrig ist (also: jetzt für meine Verhältnisse), wäre alles furchtbar lahm, wenn der Android-Code nicht direkt von der CPU in eurem Rechner ausgeführt würde – ich werde Qemu also als Virtualisierer verwenden und nur in sehr zweiter Linie als Emulator. Achtet jedenfalls darauf, dass qemu KVM machen kann. Zum Ausgleich braucht ihr nur die amd64-Fassung, nicht all die anderen Architekturen, und insbesondere nicht ARM. In Bullseye sollte sowas hier reichen:

    apt install qemu-system-gui qemu-system-amd64
    

    [ich selbst habe an der Stelle aus Geiz qemu-system-x86 genommen; das geht auch, und damit ist alles etwas kompakter].

    (2) Android-x86 besorgen – ich gestehe ehrlich, dass ich mich nicht sehr um die Vertrauenswürdigkeit der Leute rund um den Port von Android auf x86-Prozessoren gekümmert habe. Ich habe einfach ein passendes ISO-Image von deren FOSSHUB-Seite (Krapizität 10 lässt hoffen) runtergeladen; wenn ihr die amd64-Qemu installiert habt, wollt ihr jetzt das „64-bit ISO file“.

    (3) Container fürs Android-Filesystem anlegen – euer Android muss seine Dateien irgendwo hinspeichern, und ihr wollt ihm gewiss keinen Zugriff auf euer echtes Dateisystem geben. Erzeugt also eine „virtuelle“ Festplatte für die Qemu-Daten. Dabei kommt ihr mit einem Gigabyte auch bei i386 nicht aus. Wenn ihr euch um Plattenplatz keine Sorgen macht: baut lieber gleich eine mit vier Gigabyte (4G am Ende der Kommandozeile).

    Sucht euch auch irgendeinen Platz, wo ein Klops von der Größe nicht schlimm stört. Ich nehme hier mal ~/containers (was ihr dann wohl aus eurem Backup rausnehmen solltet):

    mkdir -p ~/containers
    qemu-img create -f qcow2 ~/containers/android.img 2G
    

    Display-Probleme

    Jetzt stellt sich das Problem, dass euer künftiges Android die Bildschirmausgabe irgendwo hinschicken muss. Qemu kann in ein ordinäres X-Fenster ausgeben, aber das ist – aus Gründen, die ich nicht untersucht habe – furchtbar lahm. Was für mich gut funkioniert hat: VNC. Wenn ihr damit nicht zurechtkommt, probiert unten mal QDISPLAY="-display gtk" (könnte halt kreuzlahm sein).

    (4) Android-Installer starten – das braucht ein paar Optionen, damit das Ding auch ins Netz kommt und die beiden nötigen Dateien (die virtuelle Platte und den Android-Installer) findet:

    QDISPLAY="-display vnc=localhost:0"
    qemu-system-amd64 $QDISPLAY -enable-kvm -m 2000 \
      -net nic -net user -drive file=$HOME/containers/android.img,format=qcow2 \
      -boot d -cdrom /media/downloads/android-x86-9.0-r2.iso
    

    Den Pfad in der -cdrom-Option müsst ihr ganz sicher anpassen, damit er auf das ISO zeigt, das ihr gerade runtergeladen habt. Lasst jetzt einen VNC-Client auf localhost:5600 los; ich empfehle in diesen Tagen remmina (aus dem gleichnamigen Debian-Paket).[1]

    (5) Den Android-Container konfigurieren – wählt Installation to Hard disk aus, dann Create/Modify Devices. Ihr kommt in einen guten, alten, textbasierten Partitionierer. Als Disklabel wollt ihr nicht GPT haben (weil das später Ärger mit dem Bootloader GRUB gibt). Der Speicher, den ihr da partitioniert, ist der, den ihr in Schritt 3 angelegt habt. Packt die ganze „Platte“ in eine Partition, sagt Write (keine Sorge, mit den Optionen oben könnt ihr keine Daten von euch kaputtmachen) und dann Quit.

    Ihr kommt dann zurück in den Android-Installer. Nach einem Ok könnt ihr das Filesystem auswählen – nehmt ext4.

    Dann fragt der Installer, ob ihr einen GRUB haben wollt – ja, wollt ihr, sonst kommt euer Android nachher nur mit viel Mühe hoch.

    Das System Directory wollt ihr wahrscheinlich nicht read/write haben (es sei denn, ihr wollt ernsthaft mit dem Android spielen). Das spart einiges an Platz.

    (6) Android ins Netz lassen – an der Stelle sollte euch der Installer anbieten, Android-x86 zu starten. Tut das. Wählt eine Sprache aus – ich habe es bei „English (United States)“ belassen.

    Es kann sein (ist bei mir passiert), dass das Ding nach der Sprachabfrage abstürzt und wieder beim Grub-Prompt vom Installer ist. Wenn das passiert, beendet die qemu (also: Control-C in deren Fenster) und schaut unten bei VM starten nach der Kommandozeile, die die Qemu ohne Installer hochzieht. Wir haben es hier mit kommerzieller Software zu tun, Gesundbooten ist also durchaus eine legitime Option.

    Jedenfalls: nach der Sprachwahl will das Ding ins Netz, und ich fürchte, es hat keinen Sinn, ihm das zu verbieten. Sucht also nach Netzen. Ihr solltet genau eines sehen, VirtWifi oder sowas. Wählt das aus, seufzt und lasst schon mal auf eurem richtigen Rechner ein tcpdump -n laufen, um zu sehen, womit euer neues Android so alles plaudert (vgl. Die Wunden lecken).

    Das „Checking for Updates“ hat bei mir über Minuten hinweg 100% CPU verbraten (mensch will gar nicht wissen, was es dabei zu rechnen gibt). Da ich den „ich tu gerade was“-Feedback im emulierten Android generell nicht so prall finde, könnt ihr die Zeit ja damit verbringen, eure CPU-Last-Anzeige am Desktop auf Vordermann zu bringen (mein Tipp: wmcore).

    Dann fragt Android, ob es von irgendwoher eure Daten ziehen kann. Klar: das hätte Google gerne. Zum Glück gibts einen kleinen „Don't Copy“-Knopf. Genauso ist auch der Skip-Knopf im nächsten Dialog, dem Google-Signin, ziemlich klein, und Google nervt extra nochmal, wenn mensch ihn wählt. Wählt ihn trotzdem. Date and Time sind zur Abwechslung problemlos abnickbar, dann kommt ein Dialog zu „Google Services“, die mensch alle manuell ausschalten muss.

    Das ist offenbar die Benutzerfreundlichkeit („User Experience“), über deren Mangel im Free Software-Bereich ich immer so viel höre. Ums Akzeptieren, dass Google immer und zu jeder Zeit Kram auf die VM packen kann, kommt mensch glaube ich nicht rum. Aber dafür ist es ja auch eine VM.

    Den folgenden „Protect your Tablet“-Dialog finde ich interessant, weil die Benutzerführung, die mir gerade noch Vertrauen zu Google überhelfen wollte, nun Misstrauen gegen andere Menschen sät, und das gleich noch mit einem zweiten Extra-Mahn-Dialog, wenn ich keine Lust auf Geräte-PINs habe. Also ehrlich: wenn ich mit Google zu tun habe, mache ich mir doch über menschliche DiebInnen keine Sorgen…

    Die abschließende Frage nach der Home-App verstehe ich auch nicht. Macht einfach irgendwas. Damit seid ihr im Android-Geschäft.

    Apps ohne App-Store

    (7) Home-Screen aufräumen – Wenn ihr gleich mal den „Home-Screen“ aufräumen wollt: jeweils lang ein Icon klicken und ziehen. Dann erscheint ein „Remove“-Feld, auf das ihr das Icon ziehen könnt. Macht das am besten mit allem außer dem Chrome. Den brauchen wir gleich. Die widerliche Google-Bar lässt sich, glaube ich, mit diesem Mitteln nicht entfernen. Wozu auch – der Container gehört ja, wie ihr gerade abgenickt habt, sowieso Google.

    (8) Bahn-App finden – Die Bahn veröffentlicht, so weit ich weiß, keine APKs (also Pakete) von ihrer App. Insofern müsst ihr …

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