Es gibt eine Handvoll Zahlen, die ich versuche, so ungefähr im Kopf zu haben. Ich nenne die gerne Kopfzahlen, auch wenn das Wort laut Duden was ganz anderes bedeutet.
Die klassische Kopfzahl ist natürlich die Zahl der Sekunden in einem Jahr, mit guter Genauigkeit π ⋅ 1e7 (ich schreibe hier aus Bequemlichkeit und Computergewohnheit 107 als 1e7). Überlegungen des Typs „ich habe eine Milliarde Datensätze und schaffe 3000 pro Sekunde, also brauche ich für das ganze Ding ungefähr 300000 Sekunden oder halt 3e5/3e7, also ein hundertstel Jahr oder vier Tage“ finde ich sehr hilfreich. Würde ich Mathematik an einer Schule unterrichten, würde ich Depressionen kriegen, wenn meine Schülis sowas nicht hinkriegen würden, nachdem ich ein Jahr auf sie eingeredet habe. Gut, dass ich kein Schullehrer bin.
Heute nun hat mich die Deutsche Umwelthilfe (DUH) angeschrieben, weil sie Spenden haben will für Klagen gegen BMW, Daimler und Wintershall[1]. Die Brücke zu den Kopfzahlen: sie sagen darin, Wintershall sei allein für rund 80 Megatonnen CO2 im Jahr verantwortlich.
Um solche Angaben ein wenig einordnen zu können, hatte ich mir vor zehn Jahren zwei Kopfzahlen zurechtgelegt: Die BRD emittierte rund eine Gigatonne, die Welt rund dreißig Gigatonnen CO2. Demnach macht Wintershall rund 8% des CO2-Ausstoßes der BRD aus; das ist nicht unplausibel, aber ich dachte mir, das ist ein guter Anlass, meinen schon etwas länger gehegten Plan umzusetzen, solche Kopfzahlen im Blog zu notieren und zu aktualisieren. Wie steht es nun also, zehn Jahre nach 1 und 30 Gigatonnen?
Für halbwegs überschaubare Infos zu den BRD-Emissionen hatte ich ganz naiv auf die Publikationen zum Emissionshandel des UBA gehofft, aber zumindest der Juli-Bericht ist in der Hinsicht nicht sehr ergiebig: Was genau heißt es, dass in der Kalenderwoche 27 Emissionsrechte über 280 Millionen Tonnen gehandelt wurden (außer, dass ein Haufen Leute nicht sehr nützliche Arbeit hatten)?
Aber das Umweltbundesamt hat glücklicherweise eine andere Seite mit nicht marktkontaminierten Informationen. Demnach wären 2020 in der BRD 644 Millionen Tonnen CO2 emittiert worden. Auf drei Stellen genau ist das natürlich lächerlicher Unfug; ich wäre überrascht, wenn das auf 10% irgendeiner sinnvollen Definition von Emission entspräche. Aber dennoch: 2/3 Gigatonnen klingen nach einer brauchbaren Kopfzahl für die aktuelle Kohlendioxid-Emission direkt aus der BRD. Natürlich wären dazu die importierten Emissionen (z.B. aus brasilianischem Sojaanbau für „unser“ Fleisch oder chinesischer Zement- und Stahlproduktion für „unsere“ Häuser und Elektronik) zu rechnen, aber das wird dann kompliziert und letztlich spekulativ.
Neu merken sollte ich mir den Quellen-Split, den sie dort aufmachen, wieder bereinigt um allzu mutige Claims bezüglich Genauigkeit: Energie 1/3, Haushalte 1/5, Straßenverkehr ein gutes Fünftel, Industrie (wozu dann auch z.B. Hausbau gehört) 1/4.
Für die globale Emission gibt der einschlägige Artikel der Wikipedia 57 Gigatonnen CO2-Äquivalent an, wo dann allerdings jede Menge tiefes Voodoo reingerechnet ist („including 5 Gt due to land use change“).
Um dem tiefen Voodoo zu entkommen (und nur das Einsteiger-Voodoo der Emissionsschätzung zu behalten), kann mensch zum aus meiner Sicht relativ vertrauenswürdigen Our World in Data gehen, das eine Kohlendioxid-Seite anbietet, die wiederum auf github-Daten verweist, wo schließlich CO2 und Treibhausgas-Äquivalente separat ausgewiesen sind. Deutschland hat dabei für 2019 700 Mt; das passt im Rahmen meiner Erwartungen gut zu unseren 2/3 Gt für 2020 von oben. Für die Welt (freundlicherweise gibt es die in dem Datensatz schon vorkumuliert unter „World“) und 2019 stehen da mit absurden acht Stellen 36441.388 Mt. Schon zwei Stellen Genauigkeit sind da sicher überoptimistisch, und so wäre meine Kopfzahl für die Weltemission jetzt „um die 35 Gt“.
Mein Spickzettel für diese Runde Kopfzahlen ist also:
- Emission in der BRD: 2/3 Gt, davon anteilig 1/3 Energie, 1/4 Industrie, je rund 1/5 Verkehr und Haushalte.
- Emission in der Welt: 35 Gt, womit die BRD direkt ungefähr 1/50 der Welt-Emission ausmacht.
[1] | Dass mich die DUH immer noch in ihrem CRM-System hat, obwohl ich ihnen eigentlich nur vor Jahren mal gespendet habe – die erfolgreichen Fahrverbots-Klagen haben mich schon sehr begeistert – finde ich jetzt nicht so großartig, aber wer sich so effektiv dem Autowahnsinn entgegenstellt, darf in menem Buch auch mal nicht ganz so korrekt mit Daten umgehen. |
Zitiert in: Unerwartete Konsequenzen am Klo Kohlenstoff-Stoffwechsel des Menschen: Nur über Bande schlimm Kohlendioxid auf dem Balkon Kopfzahlen 2: Wir fressen der Welt die Haare vom Kopf