Gerade als Physiker habe ich vor allem Skepsis übrig für Metriken aller Art, fast egal ob Web-Analytik, Human Development Index oder Mensa-Ranking. Ich behaupte nämlich mit einer Familienportion Dünkel, dass es außerhalb meiner Disziplin und ihrer Randbereiche (mit Verlaub: von Astronomie bis Zoologie) meist schon unmöglich ist, interessante Gegenstände – „unserer Anschauung oder unseres Denkens“ – zu finden, die auch nur im Prinzip durch eine oder wenige Zahlen zu charakterisieren wären. Über die Existenz zuverlässiger und ethisch passabler Messverfahren wäre dann noch in einem zweiten Schritt zu reden.
Etwas weniger fundamental gesprochen: Wenn du genug weißt, um eine Metrik korrekt interpretieren zu können, brauchst du die Metrik nicht mehr.
Ein, wie ich finde, schlagendes Beispiel dafür findet sich im höchst hörenswerten DLF-Hintergrund Politik vom 30.5.2023, wo berichtet wird, die Tarifbindung[1] liege im Bereich der Sklav^WLeiharbeit bei nachgerade unglaublichen 98%. Ich darf das kurz mit Tabelle 62361-0501 vom Statistischen Bundesamt für 2018 kombinieren:
Selbst ich als radikaler Metrikskeptiker hätte, bevor ich die Sendung gehört habe, die Tarifbindung ziemlich blind als einen brauchbaren Indikator für die mittlere Erträglichkeit der Arbeit in einer Branche akzeptiert.
Aber nein, wer die die DLF-Sendung hört, wird die Einschätzung, dass Leiharbeit trotz aller freundlich aussehenden Metriken eine ganz besonders unerfreuliche Erscheinung des marktradikalen Wirtschaftens[2] darstellt, nicht revidieren müssen. Die hohe Tarifbindung liegt einfach nur daran… ach, hört selbst. Dann wisst ihr genug, um die Metrik richtig zu interpretieren. Und braucht sie, wie versprochen, für eine informierte Beurteilung auch nicht mehr.
Da der Deutschlandfunk leider nur noch selten Transkripte veröffentlicht (ich vermute den VZBV dahinter) und Lesen schneller ist als Hören, habe ich die Radiosendung mal durch whisper gejagt. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass ich für den DLF (und die Leute, die zu faul zum Hören sind) handele, wenn ich ein ungefähres und weitgehend unkorrigiertes Transkript ihrer Sendung hier anhänge. Die Rechte liegen jedenfalls beim DLF bzw. vielleicht bei der Autorin; das folgende Zitat verteile ich nicht unter CC0 (aber es wäre schön, wenn der DLF endlich CC-BY machen würde…).
Deutschlandfunk Hintergrund: „Gleiche Arbeit, weniger Lohn – Das System Leiharbeit vor Gericht“
von Ann-Kathrin Jeske
Ich habe damit angefangen Ende 2015, ich war die meiste Zeit in Logistik betrieben, in der Lagerwirtschaft, damals ein völlig neues Fach für mich.
Thomas B. erinnert sich daran, wie sie anfing, seine Zeit als Leiharbeiter. Er praktikisten, das, was Kunden online bestellten, sortierte er in einem Lager in Pakete, machte die Waren für den Transport fertig, die am Ende bunt aufgereit in den regalen großer Kaufhäuser standen.
Und es waren alles Angelehrte Tätigkeit nicht vermeistens als Hilfe eingesetzt und damit in der untersten Entgeltgruppe.
B. erzählt, dass während er auf einer Parkbank in Köln sitzt. Thomas B. ist allerdings nicht sein echter Name, er muss aufpassen, welche Informationen er über sich preisgibt. Denn B. ist aktuell auf Jobsuche, mit Anfang sechzig ohnehin nicht so leicht und das, was er über seine Zeit als Leiharbeiter erzählt, könnte bei Arbeitgebern schlecht ankommen.
Anfangs fand es ganz interessant, ständig neue Sachen kennenzulernen, aber irgendwann stresst es einen Schuhen, dass man sich ständig ein neues Umfeld gewinnen muss und vor allem merkt man halt immer wieder, ich verdiene deutlich weniger als die Stammkollegen.
Insgesamt fünf und einhalb Jahre arbeitete Thomas B. als Leiharbeiter, davon gibt es in Deutschland derzeit mehr als achthunderttausend. Je länger er das machte, desto mehr störte ihn eine Sache, obwohl er Hand in Hand mit der Stammbelekschaft arbeitete und die gleiche Arbeit machte, landete auf seinem Konto am Ende des Monats weniger Geld.
Ein Problem, das sich in Zahlen fassen lässt, neunzehn Prozent weniger als die Stammbelekschaft, bekommen Leihbeschäftigte laut der Bundesagentur für Arbeit in der Regel für die gleiche Arbeit. Bei Thomas B. waren es mal zwei- bis drei Euro die Stunde weniger, in dem Metallbetrieb, für den er zum Schluss arbeitete, ging er mit zehn Euro pro Stunde nach Hause, die Stammbeschäftigten mit sechzehn. Diesen Lohnunterschied klagt er nun vor dem Arbeitsgericht in Köln ein.
Das wollte ich mir nicht gefallen lassen, obwohl ich einfach gedacht habe, das ist ungerechtes Stinkt, und Vorteil von den Leiharbeitern hat der Einsatzbetrieb, der die Leute schnell wieder loswerden kann, der die als Rückmittel einsetzen kann, den Vorteil hat die Leihfirma, die daran verdient und der einzige, der in dem Spiel verliert, ist der Leiharbeiter. Und der muss auch zu den Gewinnern gehören.
So kann man auch ein Richtungsweisen des Urteil des Europäischen Gerichtshofs zusammenfassen, zumindest zu den Verlierern sollen Leiharbeiter nicht mehr gehören. Werden Leiharbeiter im Vergleich zur Stammbelekschaft schlechter bezahlt, müssen sie dafür einen gleichwertigen Ausgleich bekommen, etwa durch deutlich mehr Urlaub oder Ähnliches.
Dem Urteil liegt ein ganz ähnlicher Fall wie der von Thomas B. Eine Leiharbeiterin aus Bayern hatte sich bis zum Bundesarbeitsgericht hochgeklagt. Sie prangerte an, dass sie, als Leiharbeiterin nur gut neun Euro die Stunde verdient habe, während ihre stammbeschäftigten Kolleginnen und Kollegen mehr als dreizehn Euro fünfzig bekommen hätten.
Und das, obwohl eine EU-Richtlinie den Grundsatz Equipay in der Leiharbeit schon lange vorschreibt, also gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Doch die entsprechende EU-Richtlinie bietet den Mitgliedstaaten ein Schlupfloch, das man sich in Deutschland zu Nutze macht.
Ist der schlechtere Lohn in einem Tarifvertrag geregelt, darf in der Leiharbeit doch schlechter bezahlt werden als in den Stammbetrieben. So einfach geht das nicht mehr, urteilte im Dezember zw.z.z. der EUGH.
Der EUGH hat gesagt, die Leiharbeitsrichtlinie lässt es zwar zu, dass man durch Tarifvertrag, besondere Regelung schafft, es muss aber der sogenannte Gesamtschutz des Leiharbeitnehmers erhalten bleiben und diesen Gesamtschutz haben sie in der Weise definiert, dass sie gesagt haben, es muss, wenn man vom Lohn nach unten abweicht, auf der anderen Seite eine Kompensation geben, zum Beispiel längeren Urlaub oder ähnliches.
Also das Schutzniveau muss gleichwertig sein und das ist etwas Neues.
Wolfgang Deupler ist emeritierter Professor für Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht der Universität Bremen. Gesamtschutz, das heißt für den EUGH, wenn Leihbeschäftigte schlechter bezahlt werden als Stammbeschäftigte, müssen sie dafür einen wesentlichen Ausgleich bekommen, da genügt nicht ein Werbe geschenktes Leiharbeitsunternehmens wie der Generalanwalt des EUGH anmerkt.
Sondern für deutlich weniger Lohn muss es beispielsweise deutlich mehr Urlaub geben. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in der Sache nicht das letzte Wort. Das liegt an der Arbeitsteilung der Gerichte. Der EUGH ist für die Auslegung des EU-Rechts zuständig, was genau die Entscheidung aber für das deutsche Rechtssystem bedeutet, muss das Bundesarbeitsgericht entscheiden, das den Fall nun wieder auf dem Tisch hat.
Ich kann mir das eigentlich nicht anders vorstellen, als dass das Bundesarbeitsgericht sagen wird, Tarifverträge ohne Kompensation können den Equal Pay-Grundsatz nicht verdrängen, also gilt der gesetzliche Grundsatz von Equal Pay. Und das ist eine Aussage, die muss eigentlich in dieser Deutlichkeit kommen, dann können sich ja andere Leute darauf berufen und dann kann man daraus konsequenzen sie.
Für den Fall der Leiharbeiterin aus Bayern würde das bedeuten, wenn sie beweisen kann, dass sie tatsächlich rund drei Euro fünfzig die Stunde weniger verdient hat, müsste das Leiharbeitsunternehmen ihr den Unterschied zahlen, denn im Tarifvertrag der Fürsigalt war ein Ausgleich für den schlechteren Lohn nicht vorgesehen.
Genauso ist es auch beim ehemaligen Leiharbeiter Thomas B. Auch sein Fall ist bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ausgesetzt. Nicht nur Leihbeschäftigte, auch Gewerkschaften, Leiharbeitsunternehmen und die Bundespolitik schauen deshalb nun nach Erfurt zum Bundesarbeitsgericht, weil es die weitreichende Grundsatzfrage gleicher Lohn für gleicher Arbeit geht.
Egal wie das Bundesarbeitsgericht entscheidet, es dürfte eine Entscheidung darüber werden, ob das System der Zweiklassenbezahlung von Leiharbeitern und Stammbeschäftigten ein Ende findet oder weitergeht. Mehr als achthunderttausend Beschäftigte arbeiten in Deutschland in der Leiharbeit.
In wohl keinem anderen Bereich ist die Tarifbindung so hoch, nämlich achtundneunzig Prozent. Das klingt gut, aber wie gesagt, erst die Tarifverträge ermöglichen die schlechtere Bezahlung, sie sind das Schlupfloch der europäischen Richtlinie, das in Deutschland genutzt wird.
Diese Tarifverträge könnten neu verhandelt werden müssen, wenn das Bundesarbeitsgericht die Rechte von Leiharbeitern stärken sollte. Beim Interessenverband der deutschen Zeitarbeitsunternehmen EGZ mag man sich dieses Szenario noch nicht ausmalen und schätzt auch die juristische Ausgangslage anders ein.
Unseresachtens war das deutsche Recht den Gesamtschutz der Zeitarbeitskräfte, wir bieten gute Arbeitsbedingungen in unseren Tarifverträgen, wir haben jetzt im Januar noch einmal ein Tarifabschluss gemacht mit Lohnsteigerung von bis zu dreizehn Prozent in einer Laufzeit von einem Jahr, also da müssen wir uns nicht verstecken, wenn man das vergleicht mit den Abschlüssen in anderen Branchen.
So Martin Dreyer vom Arbeitgeberverband EGZ, er argumentiert, dass Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in Deutschland gleich doppelt geschützt seien. Erstens durch die Tarifverträge und zweitens durch das sogenannte Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz, das Gesetz also, das in Deutschland die EU-Richtlinie zur Leiharbeit umsetzt. Darin steht, wenn ein leihbeschäftigter Unbefristet angestellt ist, muss das Leiharbeitsunternehmen ihn auch in der Zeit zwischen zwei Einsätzen bezahlen.
Ein Einsatz bei einem Einsatzunternehmen ist zu Ende gegangen, man hat keinen unmittelbaren Anschluss-Einsatz und dann ist der Mitarbeiter im Gründe genommen, er kann zu Hause sein, er muss nicht arbeiten und er bekommt das auf dem Tariflohnniveau die Vergütung weiter bezahlt. Das ist ein Vorteil, den auch der Europäische Gerichtshofsied und sagt, das kann ein Ausgleich sein für niedrigere Vergütung. Das wäre ein Anknöpfungspunkt auch für das Bundesarbeiter.
Allerdings ist die Leiharbeiterin, die vor dem Bundesarbeitsgericht klagt, in den verleihrfreien Zeiten gerade nicht bezahlt worden. Sie war nämlich befristet angestellt und den Anspruch auf Bezahlung zwischen zwei Einsätzen haben nur unbefristete Leihbeschäftigte. Der ehemalige Leiharbeiter Thomas B. wiederum hatte so einen unbefristeten Vertrag, doch auch er hat mit der Bezahlung in der Zeit zwischen den Einsätzen so seine Erfahrung gemacht.
Wenn ein Einsatz freie Zeiten waren, wurde immer wieder versucht, ob das Stundenkonto zugreifen, dass man die Plusstunden, die man aufgebaut hatte, abgebaut haben, die dürften das eigentlich nicht, aber sie machen es alle, weil sie genau wissen, wer sich dagegen Wert er wird, so lange in schlechter Einsätze geschickt, bis er von sich aus aufgibt und kündigt oder eben brafert.
Thomas B fühlte sich in seiner Zeit als Leiharbeiter nicht gut geschützt, weder durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz noch durch den Tarifvertrag. Und es war nicht nur die schlechtere Bezahlung, die ihn störte. B sagte, er habe mehr Überstunden machen müssen, habe weniger Urlaubstage als die Stammbeläckschaft gehabt, alles legitimiert durch den Tarifvertrag.
Irgendwann stellte Thomas B, der Selbstmitglied der Gewerkschaft Verdi, ist sich die Frage, wie kann es sein, dass die Gewerkschaften mit ihren Tarifverträgen diese schlechten Arbeitsbedingungen erst ermöglichen? Ohne Tarifvertrag würde schließlich ab dem ersten Einsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelten.
Die Antwort von Ege-Metall-Gewerkschafter Juan Carlos Rio-Antas führt zurück in die Zeit der Rotgrünen Bundesregierung. Als diese unter dem Eindruck der hohen Arbeitslosigkeit 2003 die Harzreformen auf den Weg brachte, schränkte die Regierungsschröder auch die Rechte von Leihbeschäftigten ein. Arbeitsverträge durften nun ohne Sachgrund befristet werden. Der Kündigungsschutz wurde gelockert.
Um die Beschäftigten in der Leiharbeit dennoch zu schützen, wollten die Gewerkschaften erstmals Tarifverträge aushandeln.
Wir hatten mit den damaligen Arbeitgeberverbänden Tarifverträge verhandelt, die dem Anspruch vergleichbare Beschäftigungsbedingungen auch entsprachen und dann haben die Arbeitgeber sich eine gelbe Gewerkschaft, die christlichen Gewerkschaften gesucht und haben mit den Dumping-Tarifverträgen gemacht.
Gelbe Gewerkschaften, damit meint Juan Carlos Rio-Antas Gewerkschaften, die eher Arbeitgebernah sind.Tatsächlich war es 2003 die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit CGZP, die als allererste einen Tarifvertrag mit den Arbeitgebern schloss. Die CGZP war also schneller als die DGB-Gewerkschaften.
Dagegenen wollten die DGB-Gewerkschaften angehen, so erzählt es zumindest Juan Carlos Rio-Antas.
Dieser Situation war für uns die Entscheidung, sind wir weiterhin Tarifvertragspartei oder überlassen wir dieses Feld den gelben Gewerkschaften, den in Anführungszeichen christlichen Gewerkschaften und damals haben wir entschieden, wir wollen Tarifvertragspartei bleiben und an der Verbesserung arbeiten.
Doch auch die DGB-Gewerkschaften, dazu gehört die IG Metall, aber auch Ver.di, schafften es nicht, gleichwertige Arbeitsbedingungen für Leibeschäftigte zu verhandeln. Und das Argument, den christlichen Gewerkschaften nicht das Feld überlassen zu wollen, zieht spätestens seit 2010 nicht mehr. Damals nämlich erklärte das Bundesarbeitsgericht die christliche Tarifgemeinschaft CGZP für tarifunfähig und ihre Tarifverträge für unwirksam.
Die CGZP darf seitdem keine Tarifverträge mehr in der Leiharbeit schließen, weil sie zu wenig Leihbischäftigte vertrat. Spätestens 2010 hätten die DGB-Gewerkschaften also aus den Tarifverträgen aussteigen können, Equipay zu ermöglichen. Doch sie machten weiter. Und die Zahl der Leiharbeiter stieg und stieg. Seit 2003 hat sie sich fast verdreifacht. Leihbischäftigte Federn heute längst nicht mehr nur besonders auftragsreiche Zeiten ab, die sich seit Jahren Zeitern vertreibt.
Sie füllen alltäglich Regale, packen Pakete, arbeiten also im Alltagsgeschäft mit. Die Tarifverträge sind zwar besser geworden, doch auch jetzt verdienen Leihbischäftigte rund sechshundert Euro weniger im Monat als Stammbeschäftigte. Wie kann das sein?
Wir haben immer wieder auch mal angehalten und gesagt, ist das der richtige Weg, ist das der bessere Weg und haben entschieden, auf ganz praktische Erwägungen für unsere Mitglieder diesen Fahrt weiterzugehen.
Equal pay argumentiert der Igemetallgewerkschafter, sei zwar auf dem Papier ein schöner Grundsatz, ihn durchzusetzen, müsste aber jeder einzelne Leiharbeitnehmer erst einmal herausfinden, was vergleichbare Stammbeschäftigte verdienen und von den Arbeitgebern dann einfordern, dass die Leiharbeiter gleich behandelt werden.
Also das machen die einfach nicht, für die ist es nicht besser, quasi einen Rechtsanspruch zu haben, der irgendwo steht, den man immer erst individuell durchsetzen muss und im Vergleich dazu quasi gewerkschaftlich organisiert zu sein.
So bleiben die Tarifverträge zwar eine Möglichkeit für die Gewerkschaften auf die Leiharbeitskonditionen einzuwirken, aber das Schwert ist recht stumpf. Der ehemalige Leiharbeiter Thomas B ist deshalb von den Gewerkschaften enttäuscht.
Seit über dreißig Jahren ist er Mitglied bei Verdi und engagiert sich in der Bundes-Tarif-Kommission Leiharbeit, die unter anderem ihr Jahr zu ausgehandelten Tarifverträgen geben muss. Beim Thema Arbeitsbedingungen der Leiharbeit lauf er immer wieder gegen eine Wand.
Also es ist deutlich zu spüren, dass es Leute gibt, die das ganz praktisch finden, dass es Leute gibt, die man kurzfristig hin und her schieben kann, ihr schlecht organisiert sind, die nicht sagen, die schweigen, die alles mit sich machen lassen.
Bei Verdi gibt es eindeutig Leute, die das alles sehr praktisch finden, bei der Egymentalität ist es noch viel schlimmer, die sagen, wenn Arbeitsplätze abgebaut werden, ein Metallbetrieb, dann werden die Leiharbeiter nach Hause geschickt und die Egymentalfunktionäre die hören können sagen, wir haben unsere Belegschaft geschutzt, die Basis läuft dagegen zwar Sturm, aber die schaffen es nicht, sich vernünftig gehört zu verschaffen.
Hinter vorgehaltener Hand sagen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk auch andere Gewerkschaftsmitglieder, dass sich ihre private Meinung zur Leiharbeit von der offiziellen Gewerkschaftslinie unterscheide. Meinungsvielfalt innerhalb der Gewerkschaft nennt das der ehemalige Leiharbeiter und Ver.di-Mitglied Thomas B.
Nach außen verhalten sich die Gewerkschaften nach dem EUGH-Urteil, das Leihbeschäftigten den Rücken stärkt, jedenfalls auffallend still. Keine Pressemitteilung, kein Statement von Ver.di vor der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, auch kein Wort vom DGB-Rechtschutz, obwohl der er den Fall bis hoch zum Europäischen Gerichtshof begleitet hat. Einzig die IG Metall ist zu einem Interview bereit, Juan Carlos Rioantas.
Zunächst einmal sind wir der Auffassung, wer sich zu früh freut, ist am Ende vielleicht enttäuscht, ja? Von daher und auch aus Respekt, dem BAG gegenüber, warten wir mal ab.
Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts wollen sich die Tarifparteien zusammensetzen, sagt er. In jedem Fall steht mit der Entscheidung am 31. Mai viel auf dem Spiel. Für Leiharbeitsunternehmen könnte es unattraktiver werden, überhaupt Tarifverträge abzuschließen. Der Arbeitgeberverband Egyz, der Interessenverband der Deutschen Zeiterbeitsunternehmen, geht soweit, das Ende des Systems der Tarifverträge an die Wand zu malen.
Dann wären die Gewerkschaften raus. Martin Dreyer: Schlecht wäre es, wenn tatsächlich Anforderungen aufgestellt würden vom Bundesarbeitsgericht, die von den Tarifparteien einfach nicht zu erfüllen sind, dann wäre die Sozialpartnerschaft in der Zeitarbeit zu Ende, was sehr, sehr schade wäre.
Folgt das Bundesarbeitsgericht also dem Europäischen Gerichtshof und verlangt einen wesentlichen Ausgleich für geringere Löhne von Leiharbeitern, etwa durch deutlich mehr Urlaub, würden die Arbeitgeber aussteigen, das sagt die Arbeitgeberseite zumindest jetzt, vor dem Urteil. Es sei zu kompliziert, für die verschiedenen Lohnunterschiede allgemeine Lösungen im Tarifvertrag festzuschreiben.
Im Einem Fall ist vielleicht die Abweichung fünfzig Cent, in einem Fall ist sie ein Euro, vielleicht ist sie auch mal ein Euro fünfzig, und dann müssten wir den Vorteil ausgleichen irgendeinerweise abstrakt definieren können, das ist aus meiner Sicht so nicht möglich.
Noch ist es nur eine Drohung, wenn die Arbeitgeberseite aber tatsächlich aus den Tarifverträgen aussteigen würden, was wäre dann? Gesetzlich würde der Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit dann greifen, die Leiharbeitsunternehmen müssten die Leih-Beschäftigten also genauso bezahlen wie die Stammbeschäftigten im Einsatzunternehmen.
Um das zu erreichen, müsste man nicht auf die Entscheidung warten, sagt Susanne Ferschel, Bundestagsabgeordnete für die Partei Die Linke.
Mein Kritikpunkt liegt ganz klar, auch als Gewerkschafterin, als langjährige Blick ganz klar bei der Bundesregierung, weil diese Möglichkeit dieses Schlupfloch das zu tun hat, die Bundesregierung geschaffen, und sie könnte es auch relativ einfach per Gesetzesänderung wieder schließen.
Auch dann würde Equal Pay gelten. Leiharbeiter wären für die Unternehmen also keine günstigeren Arbeitskräfte mehr, sodass die Leiharbeit insgesamt vermutlich zurückgehen würde. Landen die Leiharbeiter dann auf der Straße? Eher nicht. Arbeitskräfte werden aktuell schließlich händeringend gesucht.
Wahrscheinlicher ist, dass es so kommen würde. Unternehmen würden weniger auf Leiharbeit zurückgreifen und wieder mehr Arbeitskräfte selbst anstellen. Die Leiharbeit hätte dann die Funktion, die ihr ursprünglich mal zugedacht wurde, Auftragsspitzen abzufedern, nicht mehr und nicht weniger.
Das war der Hintergrund: „Gleiche Arbeit, weniger Lohn – das System Leiharbeit vor Gericht” von Ann-Kathrin Jeske. Redaktion: Ursula Wälter.
Liebe Frau Jeske, liebe Frau Walter: Wie gesagt, ich nehme das hier auf Wunsch gerne runter. Aber es wäre schade, wenn Ihre Sendung nicht in Suchmaschinen findbar wäre.
[1] | Das ist der Anteil der Beschäftigten, denen gewisse betriebliche Minimalstandards durch einen Tarifvertrag garantiert sind. Das gehören in meinem Fall z.B. 30 Urlaubstage (statt der gesetzlich garantierten 24), vor allem aber, dass mir die Demütigung erspart bleibt, beim Chef um Gehaltserhöhungen betteln zu müssen. |
[2] | Kongenial besungen aber schon im Spätkeynesianismus – als es das verglichen mit heute fast nicht gab –von Ton Steine Scherben („Sklavenhändler“ von 1971: ). |