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  • Bologna: Die universell gescheiterte Verschwörung

    Foto eines Plakats mit dem Claim: „Tschüss Notengrenze Hallo Master!  Bei den meisten Masterstudiengängen an der Hochschule Coburg gibt es keine Notengrenze mehr!”

    Dieses Plakat ist mir am 2. April in Fürth aufgefallen, und es ist eine schöne Illustration der Tatsache, dass der Bologna-Prozess sogar für die Ministerien komplett in die Hose gegangen ist.

    Meine längere Diatribe über Verschwörungstheorien neulich war inspiriert von dem Plakat auf dem Eingangsbild zu diesem Post, denn es illustriert eine von vielen Weisen, in denen der Bologna-Prozess – Arbeitsdefinition: ungefähre Verfünffachung der Prüfungslast an Hochschulen, mehr dazu gleich – krachend gescheitert ist. In diesem Scheitern ist er wiederum eine besonders schlagende Illustrationen für meine Behauptung gegen Ende des Verschwörungsposts: Verschwörungen – im Sinne von „verabredete Differenzen zwischen öffentlichen und privaten Äußerungen“ – sind zwar tatsächlich allgegenwärtig im politischen Prozess. Paranoid und unzutreffend ist aber die Annahme, diese Verschwörungen würden auch funktionieren, den Verschworenen also die Vorteile bringen, die sie sich erwartet haben.

    Beim Bologna-Prozess und seinen Vorläufern war ich als kleines Rädchen live dabei und hatte sogar eine eigene kleine Seiten-Verschwörung am Laufen: Ich habe nämlich bei der Einführung eines der ersten Bachelor-Studiengänge an der Uni hier mitgewirkt und habe allerlei positive Äußerungen zu Bologna durch meine Mitverschworenen wider besseren Wissens nicht korrigiert. Weil: wir wollten Studis eine Gelegenheit geben, ohne Latinum einen Abschluss zu bekommen, was mit dem alten Magister aussichtslos, mit dem neuen Bachelor jedoch leicht schien. Zu meiner Verteidigung: Ich bin nie so tief gesunken, dass ich den Bologna-Quatsch selbst gelobt hätte.

    Die große Bolognaverschwörung

    Das, was später „Bologna-Prozess“ genannt wurde, muss irgendwann Anfang der 1990er in Gütersloh seinen Ausgangspunkt genommen haben. Eingestandenermaßen war ich da nicht dabei. Ich habe aber genug der sonstigen erzreaktionären („neoliberalen“) Diskurse, die damals in den Mainstream drängten, mitbekommen, um mit großer Zuversicht behaupten zu können, dass sich die in der ostwestfälischen Provinz residierenden Bertelsmann-Manager ungefähr zu dieser Zeit Geschichten dieser Art erzählten:

    Der Bildungsmarkt ist tausend Milliarden Dollar im Jahr [inzwischen viel mehr] schwer. Als moderner Medien- und Dienstleistungskonzern müssen wir einen größeren Anteil davon erobern. Schulbücher sind lukrativ, aber guckt nach Harvard. 25'000 Dollar [inzwischen viel mehr] für ein paar Kurse und Gelegenheiten zum Netzwerken! Zwei Mal im Jahr! Das ist Geschäft![1]

    Der sehnsüchtige Blick nach Harvard war damals eher noch üblicher als er es heute ist. Und so haben sich die Bertelsmänner ans Werk gemacht und überlegt, was es für die Eroberung des Bildungsmarktes wohl bräuchte. Ich paraphrasiere weiter:

    Was die deutschen Universitäten machen, verhindert alle sinnvollen Business-Modelle: Erstmal verschenken sie den Kram, sogar ihre Abschlüsse und Zertifikate! Und dann macht jede ein bisschen andere Kurse mit jeweils ein bisschen anderen Kriterien. Dafür Produkte [dass dieses Wort auf Briefzustellung oder Investment-Glücksspiele oder Vorlesungen anwendbar wurde, ist auch der damaligen Zeit zu… na ja: verdanken] zu entwickeln, ist ökonomisch nicht darstellbar [na gut: das Geschwätz von „darstellbar“ ging glaube ich erst etwas später los].

    Für Bertelsmanns künftiges Geschäft mit „Courseware“ war es also erstens wichtig, das „Produkt“ Studium kostenpflichtig zu machen, zweitens, das „Produkt“ Vorlesungsschein (heutzutage: ECTS-Punkte) zu standardisieren und zu kommodifizieren (meint: zu einer massenproduzierbaren, marktfähigen Ware zu machen). So klar sagten sie das natürlich nicht öffentlich. Zu sehr verbrämten sie es aber auch nicht, was die GEW in einem post-mortem von 2014 schön herausgearbeitet hat:

    Denn [ungefähr im Jahr 2000] forderte Müller-Böling [ein Bertelsmann, vgl. in einem Moment] von der Hochschule als „Dienstleistungsunternehmen“ eben dies: Dienstleistungen in Forschung und Lehre zu produzieren, diese in „Konkurrenz zu anderen Hochschulen“ anzubieten, „auf die Anforderungen des ‚Marktes‘“ möglichst rasch zu reagieren, wobei der Staat sich in diesen Markt nicht einmischen dürfe (so viel zum neoliberalen Theorierahmen des Modells), Leistungen werden aufgrund von Input-Output-Rechnungen beurteilt usw.

    „Marktentwicklung“ umschreibt ganz ausgezeichnet die Mission des Zentrums für Hochschulentwicklung (CHE), das Bertelsmann 1994 aus der Taufe hob. Mit dem Urheber des Zitats im GEW-Zitat, Detlef Müller-Böling, (dessen private Seite mit einer Crapicity von 161 ordentlich vorlegt) fanden sie auch gleich einen hyperaktiven Chef, der die Klaviatur der Medien – egal ob von Bertelsmann selbst (z.B. RTL und Gruner & Jahr) oder von der Konkurrenz – meisterhaft spielte.

    Dass die Bertelsmänner ihren Bildungs-„Thinktank“ ausgerechnet einem Diplom-Kaufmann unterstellten, ist aus verschwörungstheoretischer Warte bemerkenswert ehrlich.

    Wer war mit dabei? Die HRK!

    Mit von der Partie beim CHE war die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), was nicht nur rückblickend als suizidal auf Lemmingniveau zu werten ist. Das schon, weil die Rankings, die das CHE wenig später rauszupumpen begann, die RektorInnen unter heftigen Druck setzten, dem jeweils neuesten Bullshit (häufig geliefert vom CHE selbst) hinterherzurennen.

    Rankings oder nicht: Die verheerenden Auswirkungen des vom CHE geschaffenen „Wettbewerbs“ hätten die (damals fast ausschließlich) Herren Rektoren auch so unschwer vorhersehen können, denn in jedem Wettbewerb zwischen N KonkurrentInnen gibt es (maximal) eineN GewinnerIn – und mithin N − 1 VerliererInnen.

    Zumindest die Figuren jedoch, die die HRK damals dominierten, glaubten, genau sie würden gewinnen, oder (bei realistischer veranlagten Charakteren) es würde wenigstens so viele Titel zu gewinnen geben, dass einer davon schon für sie abfallen würde. Ich glaube, sie glaubten das, weil sie sich eingeredet hatten, sie würden auch mindestens Harvard, wenn sie nur erst Studiengebühren nehmen und gemäß ihrer brillianten „Strategien“ ausgeben könnten. Ein Vertreter der Spezies Rektor, der sich sehr erkennbar mit solchen Gedanken trug, war der Heidelberger Amtsträger Peter Ulmer (zuvor Juraprof), gegen dessen Gebührenpläne schon 1993 zu protestieren war.

    Mit der Gründung des CHE ein paar Jahre später wuchs sich dann der vorher nur sehr allmählich anschwellende Bocksgesang um „Langzeitstudis“ zum ohrenbetäubenden Getöse aus. Er heulte über Menschen, die mehrere Fächer hintereinander studierten – zumeist nur gelegentlich mit Abschlüssen – oder im dreißigsten Fachsemester noch darüber nachdachten, ob sie sich allmählich zur Prüfung anmelden sollten.

    So unsinnig das Getöse war – die „Langzeitstudis“ haben damals niemandem weh getan, und jene von ihnen, die sich irgendwie in die heutige Zeit rübergetrickst haben, tun es immer noch nicht –, es sorgte für haufenweise Akzeptanz für das, was einige Jahre später in Baden-Württemberg Trotha-Tausi hieß, nämlich Strafgebühren von zunächst 1000 Mark, später dann 500 Euro im Semester für Studis ab dem vierzehnten Fach- oder auch mal Hochschulsemester.

    Damit konnten der damalige baden-württembergische Wissenschaftsminister Klaus Trotha (blaublütig und CDU) und sein das Ganze parallel betreibender niedersächsischer Kollege Thomas Oppermann (SPD) einen Einstieg in die Studiengebühren (ihre erinnert euch: Voraussetzung von Teil eins der Bertelmann-Verschwörung) hinbekommen, zumal nennenswerte Teile der Studischaft den Unsinn von den die Unis schädigenden Langzeitstudis selbst zu glauben glaubten.

    Obendrauf gewann die Erzählung von den die Unis im Umkehrschluss „verbessernden“ Studiengebühren spätestens nach dem furchtbaren Ende des 97/98er-Streiks, dessen Agenda rasch vom CHE-Sprachrohr Zeit diktiert wurde, erschreckende Popularität in einer ganzen Generation von Studis. Es dauerte mindestens bis zum Bildungsstreik 2009, bis sich dieses Gift so halbwegs aus den Studihirnen rausgewaschen hatte.

    Eine Versammlung in Bologna

    Dass die Studiengebühren, statt allmählich auf harvardeske Höhen zu steigen, wieder sterben würden, war ziemlich sicher jenseits der Vorstellungswelt der Bertelsmänner, die sich auf der Zielgeraden zur Erschließung des Bildungsmarkts (ihr erinnert euch: Eine Billion Dollar!) wähnten. So begannen sie munter mit dem zweiten Teil ihres Programms: der Kommodifizierung von Hochschulbildung, also der möglichst einheitlichen Strukturierung von Studiengängen in separat handelbare Pakete („Module”).

    Der CHE-Chefideologe Müller-Böling war sich völlig bewusst, dass er mit seinem Gesamtprogramm gegen die Interessen aller Beteiligten handelte:

    Im CHE standen dreißig Leute 36 000 Professoren und zwei Millionen Studenten an achtzig bis hundert Universitäten und rund 260 Fachhochschulen gegenüber, außerdem 16 Landesministerien mit jeweils 300 Mitarbeitern

    – nun, dreißig Leute sowie das Kapital, die Pressemacht und die Netzwerke von Bertelsmann, wenn mensch ganz ehrlich ist; dass sich gerade die willfährigsten Claqueure der Reichen und Mächtigen damals so ein offensichtlich quatschiges Rebellenimage ankleben wollten, fasziniert mich bis heute.

    Angesichts des hinter ihm stehenden ganz großen Bruders Bertelsmann jedenfalls ist Müller-Bölings Jubel von „Ich habe nie gedacht, dass man mit dreißig Leuten Dinge direkt durchsetzen kann” schon zu relativieren. Dennoch ist ihm zu bescheinigen, dass sein Laden die klassische Machttaktik des divide et impera schon sehr geschickt eingesetzt hat. Das allerdings – verschiedenen Gruppen verschiedene Dinge zu versprechen und sie so am Aufbau einer gemeinsamen Gegenwehr zu hindern – hat am Schluss das ganze Projekt ruiniert. Womit ich endlich zum Kern der Verschwörungsgeschichte komme.

    Nachdem nämlich das CHE das Bologna-Programm schon zwei Jahre vor der Erklärung formuliert hatte, haben sie sich zunächst keine Mühe mit Parlamenten oder ProfessorInnen gemacht, sondern sind gleich zu den BildungsministerInnen gegangen. Wie genau es dazu kam, dass diese am 19. Juni 1999 im Rahmen eines Treffens von RektorInnen sich für wichtig haltender europäischer Universitäten in Bologna versammelt waren, weiß ich nicht. Tatsache ist: Sie unterschrieben dort eine allenfalls notdürftig getarnte Fassung des Bertelsmann-Programms (also: Studiengänge sollen aus frei handelbaren Modulen aufgebaut werden).

    Ein Raum mit unfassbar dichten Wandmalerreien, davor moderne Bestuhlung.

    Eine der zwei Aulae Magnae im Archiginnasio in Bologna. Ich glaube, dass in dieser wirren Kulisse die MinisterInnen die Bertelsmann'sche Erklärung unterschrieben haben.

    Dieses Papier geisterte in den folgenden Jahren als Bologna-Erklärung durch die Hochschullandschaft, ganz besonders durch die deutsche, die sich in der Folge von 68 im Vergleich zu vielen anderen recht liberal und wenig gängelig zeigte und deshalb aus Bertelsmann-Sicht besonders viel „Reformbedarf“ hatte.

    Zu vielen zu viel versprochen

    Dass die BildungsministerInnen-Versammlung, die die Forderung damals abgenickt hat, keinerlei politische Funktion hatte – einen „Rat der für Hochschulen zuständigen MinisterInnen“ auf EU-Ebene gab es damals nicht –, war …

  • Fiebrige Einsichten, von Veit Etzold vermittelt (eine Buchkritik)

    Die Behauptung, Reisen erweitere den Horizont, ist sicher eine der abgedroscheneren Weisheiten, die einen Artikel eröffnen können. Nun: hier habe ich eine aktuelle Illustration für ihre fortbestehende Wahrheit.

    Kaum überraschend bin ich nämlich von meiner ersten großen Auslands-Dienstreise (immerhin noch ohne die Erniedrigung des Flugverkehrs) mit einer aktuellen Variante von SARS-II zurückgekommen. Diese brachte mein Immunsystem mächtig auf Touren („Calor, Dolor, Tumor, Rubor“, in meinem Fall vor allem Calor bis 39 Grad und bejammernswerte Mengen Dolor). In Summe: Ich konnte für drei Tage im Wesentlichen nichts tun als Audiobücher hören, die ich bei vergangenen Reisen aus dem ICE-Portal der Bahn aufgenommen habe. Eines davon war „Die Filiale“ des Wirtschafts-Motivationspredigers Veit Etzold.

    Vielleicht ist das Werk selbst nicht sehr bemerkenswert, doch seine Verbreitungsweise ist es: Da es bei Argon erschienen ist (und auch als richtiges Buch bei Droemer), muss es wohl durch mindestens ein Lektorat gegangen sein. Und danach muss es immer noch wer fürs ICE-Portal ausgewählt haben. Irgendwo auf diesem Weg sollte doch jemand selbst angesichts eines Promi-Autors („Promi“ nehme ich jedenfalls an; ich kannte Etzold bis jetzt nicht) die Anmerkung gewagt haben, dass die Personen der Geschichte sprechen und handeln wie auf schlecht übersetzte US-Soaps trainierte Schaufensterpuppen?

    Ich finde weiter, ein Lektorat hätte merken müssen, dass die weit mehr künstlich als kunstvoll eingebauten Versuche, zweifelhafte „Finanzprodukte“[1] zu erklären und ein paar Brocken Französisch einzustreuen, einen Cringe-Faktor haben wie Marie Louise Fischers Hausgespenst-Schmonzetten (1976 bis 1982; für Kinder der Zeit sowie Neugierige entleihbar bei libgen) aus dem Schneider-Verlag unseligen Angedenkens[2]. Auch diese versuchten es mit übermäßig beiläufig eingestreuten Bildungshäppchen zu Pferdepflege, bayrischer Geographie, Kreuzfahrtschiffen und eben auch Französisch.

    Dazu tritt das zu billig rekrutierte Personal der Geschichte, das im Wesentlichen aus relativ glücklich verheirateten, berufstätigen, einfamilienhausbewohnenden Schwabos[3] um die 40 besteht, die mit, na ja, Internetfirmen und von diesen unterwanderten Traditionsbanken um ihr liebevoll ausgebautes – wenn auch nur gemietetes – Einfamilienhaus samt kameraüberwachten Gartenzwergen ringen.

    Also schön: das mit den Gartenzwergen habe ich erfunden: In der Wirklichkeit des Buchs videoüberwacht der liebenswerte, wenn auch etwas trottelige Gatte der Bankangestellten-Heldin gleich die ganze Straße; dass Etzold schließlich die Rettung der ab Mitte des Werks außertariflich Bezahlten auf diese niederträchtige Schurkerei aufbaut und bei der Gelegenheit noch etwas Anti-DSGVO-Ressentiment unterbringt, das hätte es selbst in diesem Roman wirklich nicht gebraucht.

    Das ganze Szenario wirkt um so artifizieller, als in Etzolds Welt die Männer Handwerker (oder bestenfalls FH-Absolventen auf dem Sprung aus Besoldungsgruppe A11) sind, während die Frauen zumindest akademischen Habitus zeigen. Ich wittere da aus der ollen rechten Sorge vor der „Überakademisierung“ der Bevölkerung geborene Träume, denn in der Realität sind schichtenübergreifende Ehen in dieser Kombination sehr wahrscheinlich immer noch die große Ausnahme (da bin ich mir so sicher, dass ich keine Belege dafür suche).

    Und auch wenn ich kein Diversitätsfass aufmachen will, ist es für eine Geschichte, die in Berlin spielt, eigentlich schon ein politisches Statement, wenn als einzige erkennbare Nichtschwabos zwei tschetschenische Killer und ganz kurz ein dicker, rauchender Franzose auftreten.

    Bei aller Kritik, und nun kommt das mit der Horizonterweiterung (denn ohne Reisen hätte ich weder jetzt SARS-II eingefangen noch das Etzold-Buch gehört), hat mir das Buch eine ganze Welt in Plastorama vorgespielt: Menschen, die mit ihren KollegInnen um die Beförderung zur stellvertretenden Filialleitung konkurrieren und die Arbeitsnutzerrede vom Betriebsrat als Abhängebude erst dann kurz vergessen, wenn es wirklich brennt, deren Internet aus lauter proprietären Plattformen, aus Markennamen besteht (aus dem Kopf: Reddit, Linkedin, Xing, Instagram, Whatsapp, erstaunlicherweise aber nach meiner Erinnerung weder Amazon noch Twitter), die ständig im Auto – einem „Amarok“ zumal, wenn sie im Wald Tiere totschießen wollen[4] – umherfahren und die ansonsten ihre triste Existenz mit Grillfleisch, Rotwein, Caipirinha, Starbucks-Karamelkaffee und Bekannten aus der Muckibude aufhellen.

    Wie mir Vorleserin Verena Wolfien das alles durchaus gekonnt in mein Fieberdämmern hineintrug, kam es mir in der irritierenden Kombination von hölzerner Prosa und thermoplastischer Handlung wie eine komische und wüste Dystopie im Stil von David Lynch vor. Bis ich merkte, dass das vermutlich unfair ist. Klar ist die Geschichte grob holzgeschnitzt, aber das Internet besteht für viele Menschen ja tatsächlich im Wesentlichen aus einer Handvoll proprietärer Plattformen. Nennenswert viele Menschen arbeiten, glaube ich, tatsächlich ernsthaft auf eine Beförderung hin, ganz gleich, wie sinnlos oder gar unmoralisch („Anlageberaterin“) schon ihre bestehende Tätigkeit ist.

    In meinem Fieber fühlte sich diese Einsicht recht profund an. Wahrscheinlich ist sie das nicht, aber gut sind solche Erinnerungen an die Blasenhaftigkeit der eigenen Weltwahrnehmung dann und wann bestimmt. Außerdem war die Erleichterung angenehm, als im nächsten Hörbuch („Acht, in Böen Neun” von Michael Wirbitzky, der als Hörfunkmensch eingestanden auch bessere Voraussetzungen hat; wenns das im Bahn-Portal noch gibt, lohnt es sich durchaus) Leute wieder wie halbwegs echte Buchmenschen redeten.

    Oh, und… Herr Etzold, sollten Sie das lesen und wirklich einen Bildungsauftrag verspüren: Nein, schon als Sie das Buch schrieben, war ein UMTS-Modul in einem Computer keine gute Wahl mehr für mobilen Internetzugang. Ein schneller Blick in die Wikipedia (oh ja: wertvoll, obwohl ohne Preis) hätte Ihnen gesagt, dass in der BRD schon Ende 2021 mit UMTS kein Blumentopf mehr zu gewinnen war (in der Praxis war für mich schon Mitte 2021 Schluss), also im Wesentlichen simultan zur Gamestop-Geschichte, auf die Sie im Buch anspielen.

    Für die nächste Auflage des Buches schlage ich eingedenk dessen ein durchgreifendes De-Branding vor. Hier zum Beispiel: „Funkmodem”. Allerdings gebe ich zu, dass ein Wort wie „Karrierenetzwerk“ den Tatbestand von Linkedin und Co zur Kenntlichkeit verzerrt, was vielleicht der Kunst (oder was immer) nicht wirklich hilft. Hmja.

    [1]Was ich davon mitgenommen habe: Wandelanleihen sind Mist, weil daran allenfalls die Bank verdient. Zur Kritik des gesamten Konzepts von Reichwerden mit Geldspielen kommt, das sage ich gleich mal, im Buch nichts; aber das wäre vielleicht auch etwas viel verlangt von einem, der bei der HAW Aalen als BWL-Professor auftritt (angesichts der hohen Lehrbelastung an Ex-Fachhochschulen und Etzolds Wohnsitz in Berlin werden bei diesem Job aber wohl mildernde Umstände im Spiel sein).
    [2]Beim Wikipedia-Stöbern zu alten Schneider-Autoren habe ich zu meiner endlosen Überraschung erfahren, dass der Autor der doch sehr stulligen (aber von mir seinerzeit heißgeliebten) Schreckenstein-Romane, Oliver Hassencamp, Gründungsmitglied der Münchner Lach- und Schießgesellschaft war. Oh?
    [3]Schwabo ist die (eine?) Bezeichnung für „Deutsche“ im Serbokroatischen gewesen. Weil ich immer noch Abbitte leisten will für das Unheil, das Genschers Großmachtfantasien vom Dezember 1991 (und u.a. meine Unfähigkeit, rechtzeitig effektiv etwas gegen sie unternehmen) über dessen SprecherInnen gebracht haben, ziehe ich das Wort dem üblicheren „Kartoffel“ vor.
    [4]Wobei unklar bleibt, wie sich der Betreiber eines Schlüsseldienstes diese Sorte exklusives Hobby eigentlich leisten kann.
  • Ach Bahn, Teil 12: „Digitales“ 49-Euro-Ticket

    Foto eines altmodischen Telefons mit einem anonymisierten Barcode im Display

    Das Happy End dieses Artikels: Ich habe das 49-Euro-Ticket auf Rechnern unter meiner Kontrolle (neben dem N900 im Bild auch noch auf meinem ordentlichen Computer).

    Ich habe mir ein 49-Euro-Ticket von der Bahn gekauft. Ich hätte das, der Kritik von freiheitsfoo folgend, besser nicht tun sollen, aber das 9-Euro-Ticket hat mir viel Spaß gemacht, und monatliche Kündigung und so… da habe ich verdrängt, dass Wissing von „digital“ geredet hat, was ja bei weniger EDV-affinen Menschen in der Regel heißt: „Ist in meinem Handy“ bzw. „Google macht das für mich“ (also für mich: „Vergiss es“). Da aber eine Bahn-FAQ erklärte, wie mensch das „Ticket in die App“ bekommt, war mein Umkehrschluss, dass das Ticket erstmal nicht in der „App“ ist und also für mich verwendbar. Wegen dieses Fehlschlusses bekam die Bahn meine 49 Euro und ich einen Haufen Ärger.

    Denn nach der Bezahlung kam aber nicht wie gewohnt ein PDF mit dem QR-Code – was für die Bahn wirklich kein Problem wäre –, sondern ein dämlicher Text, der mich aufforderte, das Ticket in meinem „DB Navigator” zu „öffnen“.

    Digitalisierung: Zwei Stunden Arbeit von Kauf bis Erhalt

    Tja: Dieses Programm („App“) gibts jedenfalls offiziell nur mit Google-id und nur auf relativ wenigen Typen von Hardware, und drum habe ich es nicht. Ich knirschte also mit den Zähnen und habe erstmal eine diesbezügliche Frage an die immerhin angegebene Kontaktadresse (Lob: ganz normale Standard-Email) geschickt – aber von da kam nur eine gutgelaunte Eingangsbestätigung zurück:

    Derzeit kann es aufgrund des hohen Bestellaufkommens zu Verzögerungen kommen. Wenn´s [falsches Auslassungszeichen im Original] ein wenig länger dauert: Wir haben Sie nicht vergessen, wir melden uns.

    Nun – bis dahin ist der Mai vorbei, und dann brauche ich auch keine Information mehr.

    Ich knirschte dann heute morgen lauter mit den Zähnen und dachte mir: Na ja, wenn ich mir schon mit dem Bahn-Bonus-Quatsch Android eingetreten habe, kann ich da ja vielleicht noch den „DB Navigator“ dazupacken – ich brauche das ja nur ein Mal im Monat, um den QR-Code runterzuladen. Also bin ich wieder zum etwas dubiosen[1] apkpure.com gegangen. Dort gibt es auch ein paar Dinge, die „DB Navigator“ heißen, aber die alle kommen nicht als apk, sondern als xapk. Hu?

    Mit etwas Recherche stellt sich xapk als so eine Art informeller Standard aus der Android-Piratencommunity heraus, in dem zusammengesetzte Pakete, die Google vermutlich über Abhängigkeiten aus dem Appstore ausliefert, in einer Zip-Datei kommen. In dem Navigator-xapk von apkpure finden sich insbesondere auch zwei Pakete, in deren Dateinamen arm64 drinsteht, und ich begann zu ahnen, dass das ohne dedizierte Telefonhardware wenig Spaß machen würde.

    Tatsächlich habe ich nach ein paar Experimenten mit pm install (so installiert mensch Pakete auf der Android-Shell) und den Nicht-arm64-Paketen, die alle mit nutzlosen und/oder kryptischen Fehlermeldungen endeten, auch aufgegeben.

    Digitalisierung: Datenübertragung durch Foto

    Stattdessen habe ich ein Google-administriertes (aber nicht -registriertes, also: Kein Playstore) Telefon, das mir mal ein netter Mensch überlassen hat, ausgepackt, die ganze Google-Belästigung weggetatscht, ultramutig einen Piraten-xapk-Installer draufgeklatscht, der nun sicher alle meine Credentials zu irgendwelchen Kids in Wladiwostok schickt (ein Glück, dass das nur meine Bahn-Credentials betrifft; trotzdem: Danke, Bahn), wieder Google-Belästigung weggetatscht, den blöden „DB Navigator“ von apkpure draufgebügelt, wieder Google-Belästigung weggetatscht und tatsächlich: Die Bahn hat mir die Karte, die ich gekauft habe, nun auch endlich gegeben:

    Foto eines Mobiltelefons mit einem 49-Euro-Ticket im DB Navigator

    Nur zur Rechtfertigung: Den QR-Code habe ich verwürfelt, mir die Bahn ansonsten das hart errungene Ticket gleich wieder zurückruft.

    Welcome to digital capitalism, wo du erstmal zwei Stunden basteln und fummeln und irgendwelchen Kids aus Wladiwostok Zugriff auf deinen (Wegwerf-) Computer geben musst, damit du neu erworbenen Krempel auch bekommst. Fast so klasse wie Onlinehandel.

    Es gab aber noch ein zweites Problem: Wie bekomme ich den so erkämpften QR-Code nun aus dem Android-Silo raus? Ich habe schnell beschlossen, dass ich überhaupt keinen Nerv habe rauszukriegen, wo die Kiste ihre Screenshots speichert. Mein Kopf ist schon beim Lokalisieren der Chrome-Downloads während meiner Android-x86-Versuche explodiert. Noch weniger Lust hatte ich, zur Datenübertagung einen sshd auf das Telefon zu installieren, das ich Minuten vorher den Kids aus Wladiwostok übereignet hatte.

    Und so habe ich, es lebe die Digitalisierung!, das Foto oben gemacht, es aus der Kamera in einen richtigen Computer gezogen und dort entzerrt. Und so habe ich jetzt ein PNG mit dem QR-Code.

    Auf dem N900

    Das wiederum hat den Vorteil, dass ich mein gutes, altes Corona-Impfpass-Skript für den Nokia N900 (vgl. Foto oben) weiterverwenden kann. Das hat während der 3G-Zeiten gut funktioniert: Es zieht das PNG auf den Bildschirm, stellt das Backlight auf krass hell und macht nach 45 Sekunden alles wieder rückgängig – ich war damit fast immer schneller und unproblematischer durch Checkpoints durch als Leute mit der offiziellen App.

    Wer noch einen N900 mit hinreichend originalem Maemo hat, mag das vielleicht nützlich finden (es geht davon aus, dass ihr das Zertifikat als 49-euro.png ins Homeverzeichnis gelegt habt):

    #!/bin/sh
    /usr/bin/dbus-send --print-reply --dest=com.nokia.image_viewer /com/nokia/image_viewer com.nokia.image_viewer.mime_open string:file:///home/user/49-euro.png
    /usr/bin/dbus-send --print-reply --system --dest=org.freedesktop.Hal /org/freedesktop/Hal/devices/computer_backlight org.freedesktop.Hal.Device.LaptopPanel.SetBrightness int32:255
    sleep 45
    /usr/bin/dbus-send --print-reply --system --dest=org.freedesktop.Hal /org/freedesktop/Hal/devices/computer_backlight org.freedesktop.Hal.Device.LaptopPanel.SetBrightness int32:20
    killall image-viewer
    

    Wenn das in /home/user/mybin/passhow.sh steht, geht es gut zusammen mit einer Datei covpass.desktop im Verzeichnis /usr/share/applications/hildon, in der sowas hier steht:

    [Desktop Entry]
    Version=1.0
    Encoding=UTF-8
    Name=covpass
    Icon=covpass
    Exec=/home/user/mybin/passhow.sh
    Type=Application
    

    Ich erwähne im Desktop-File ein Icon namens „covpass“. Damit das was anderes als ein blaues Quadrat anzeigt, müsst ihr ein hübsches PNG (bei mir ist das noch ein stilisiertes Coronavirus, was, finde ich, auch für das doofe 49-Euro-Ticket ganz gut passt) mit dem namen covpass.png nach /opt/usr/share/icons/hicolor/scalable/apps schreiben.

    Damit der Desktop diese Datei sieht: sudo killall hildon-desktop – upstart (ja, das lebt noch im alten Maemo) zieht das dann automatisch wieder hoch.

    [1]„Dubios“ ist in diesem Zusammenhang ein positives Wort, denn bei Google bin ich sicher, dass sie gegen meine Interessen handeln. Bei apkpure hingegen kann ich da noch Zweifel (lat: dūbium, n) haben.
  • Im Hambacher Schloss

    Playmobil-Diorama des Hambacher Festes

    Mein Highlight der Hambacher Ausstellung: 1832 als in Playmobil ausgeführtes Diorama. Ich weiß nicht, ob ich die visuelle Ähnlichkeit zu den Kola-Puppen von neulich irgendwie interpretieren soll.

    Zumindest für ein paar Jahre noch dürften viele mit den Schlagworten „Hambach“ und „Demokratie“ eher die Verteidigung des Hambacher Forsts gegen Polizei und RWE von 2019 assoziieren als das Hambacher Fest von 1832 – es handelt sich um zwei ganz verschiedene Hambache –, aber für die Selbsterzählung der Bundesrepublik Deutschland wird letzteres wohl wichtiger bleiben, schon aus Gründen des Fahnenschwingens, denn dort wurde die Farbkombination Schwarz, Rot, Gelb (in dieser Reihenfolge, und original tatsächlich mit der Schmuckfarbe Gold) kanonisiert.

    Der physische Beleg dafür liegt in einer Ausstellung im Hambacher Schloss, einer in einigen Tranchen teilrekonstruierten Burgruine ein paar Kilometer außerhalb von Neustadt an der Weinstraße: Die Fahne, die 1832 an den Turmresten flatterte, gibt es noch, und sie ist dort lichtgeschützt zu bewundern. Wobei, na ja, „geben” schon ein starkes Wort ist, denn das Rot ist inzwischen eher so ein Weiß mit Rosastich, und das goldfarbene Gewebe ist erkennbar am Zerfallen. Nur die Warnung an die Nachbarn ist noch gut lesbar: „Deutschlands Wiedergeburt“.

    Sechs Euro Fünfzig und dann nur ein Stockwerk

    Ich habe mich davon letztes Wochenende überzeugen können, denn auch diese Ausstellung ist mit Museumspass kostenlos zu besichtigen; die 6.50 Euro, die ansonsten fällig werden, dürfte sie nach meiner Einschätzung nur extremen FahnennärrInnen wert sein. Zunächst nämlich hat die Ausstellung (ein Stockwerk) schlicht nicht die Fläche für 6.50 Euro, zumal der größere Teil (zwei Stockwerke) des rekonstruierten Gebäudes derzeit für Feiern aller Art verwendet wird – als ich da war, sammelte sich gerade eine Hochzeitsgesellschaft.

    Foto eines eigenartigen Hauses, dessen Dach aus dem gleichen Stein gemacht zu sein scheint wie seine Mauern.

    Was wollte uns der_die ArchitektIn sagen, als er_sie das „Besucherhaus“ (deren Begriff) der Demokratiegedenkstätte wie einen Bunker gestaltete?

    Vor allem aber stehen im Wikipedia-Artikel deutlich mehr nützliche und beeindruckende Informationen zum Hambacher Fest, und in jeder Zweigstelle von Landeszentralen für politische Bildung viel mehr nützliche und beeindruckende Informationen zu den Themen der damaligen TeilnehmerInnen (Pressefreiheit, Nation, Rechtsstaat, eventuell sogar Partizipation). Was in Hambach gezeigt wird, bleibt hingehen enttäuschend oberflächlich und, für eine Gedenkstätte dieser Art schlimmer, unkritisch.

    Dabei ist selbstverständlich zu begrüßen, dass sich die BRD (nicht nur) an diesem Ort mehr auf das eher gemütliche Hambacher Fest beruft als auf das rasend nationalistische Bücherverbrennungs-Spektakel Wartburgfest 15 Jahre zuvor; in Hambach brannte nichts, und das antifranzösische und antisemitische Sentiment von der Wartburg wäre in der vergleichsweise liberalen Rheinpfalz auch deshalb kaum durchzuhalten gewesen, weil der Ehrengast, Ludwig Börne, nach der 1830er-Revolution nach Paris gezogen war und dem jüdischen Ghetto in Frankfurt entstammte. Eingestanden: er hatte sich bereits 1818 taufen lassen und wäre damit wahrscheinlich bei den Wartburg-Feiernden noch so eben durchgekommen[1].

    Vorlagen der Museumspädagogik liegengelassen

    Dass Börne beim Hambacher Fest als Hauptredner auftrat, würde ich aus Aufklärungsperspektive ohnehin als ausgesprochen gutes Zeichen werten, hatte er sich doch mal verlauten lassen mit:

    Es fließt ein Blutstrom durch achtzehn Jahrhunderte und an seinen Ufern wohnt das Christentum.

    Dass ein liberaler Aufklärer dieses Kalibers bei einem „deutschen Mai“ (so Hauptorganisator Philipp Jakob Siebenpfeiffer) umjubelt war, führt nicht nur die Ausstellung auf die segensreiche Wirkung der französichen Herrschaft in den linksrheinischen Gebieten (also auch der Rheinpfalz) zurück, die ihnen in den Jahren vor Napoleons Fall 1815 in den Worten der Ausstellung einen „Entwicklungsvorsprung“ im Hinblick auf Freiheit und Menschenrechte gegeben hat. Bedauerlicherweise kamen die KuratorInnen aber dennoch nicht darauf, die bizarre (wenn auch erstaunlich übliche) Rede von den „Befreiungskriegen“ für die Restitution der reaktionären Regierungen im Europa nach Napoleons Russlandfeldzug in Frage zu stellen.

    Was waren das also für Leute, die einen Gottseibeiuns wie Börne gefeiert haben? Am Anfang der Ausstellung hat mir ein museumspädagogischer Move der Hambacher KuratorInnen Hoffnung auf eine unterhaltsame und relevante Behandlung dieser Frage gemacht. Es werden nämlich gleich hinter dem Eingang der Student August, die Winzertochter Anna, die Bürgerin Katharina, der Arzt Heinrich und der Journalist Johann als BesucherInnen des Fests vorgestellt. Damit hätte mensch die Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen der BesucherInnen illustrieren können, die ja jenseits der Erwartung, irgendeine Sorte „Deutschland“ könne ihr Lage verbessern, wenig einte.

    Leider jedoch lassen die AusstellungsmacherInnen die Figuren im Wesentlichen nur mit mehreren Stimmen eine gemeinsame Geschichte erzählen, eben die vom Fest für „Freiheit“ und „Vaterland“ – dass diese Wörter nach Schicht und politischer Orientierung ganz verschiedene Bedeutungen hatten und haben, sollte ehrliche politische Bildung gerade an so einem Platz eigentlich nicht unterschlagen.

    Kontinuitäten der Machtausübung

    Umgekehrt hätten manchmal Brücken ins Heute den Jubel dämpfen sollen. Nehmt zum Beispiel das fürchterliche Schwert, das irgendwelche Leute aus Frankfurt mitgebracht hatten, um es dem Mitorganisator Johann Wirth zu verehren. Die Gravur „Vaterland – Ehre – Freiheit“ auf der Klinge hätte einen prima Anlass geboten, die düstere Rolle der Studentenverbindungen (Wirth gehörte selbst der Erlanger Arminia an) schon damals, noch mehr aber später[2] zu beleuchten. Zur Einordnung von Wirth mag seine Ablehnung der klassischen Kokarde in Blau-Weiß-Rot – sachlich ein Bekenntnis zur Freiheit, Gleichheit und Solidarität der französischen Revolution – helfen; stattdessen sollten die Leute das nationale Schwarz-Rot-Gelb tragen, wie es heute im „Besucherhaus“ verkauft wird:

    Kokarden mit gelben Kern, dann ein roter und außen ein schwarzer Ring, in einem durchsichtigen Verkaufseimer.

    Selbst wenn Mut oder Möglichkeit so einer Ausstellung zu einer profunden Kritik des Verbindungswesens nicht reicht, könnte sie zumindest zur Einordnung gesellschaftlicher Kontinuitäten und Diskontinuitäten anmerken, dass Menschen heute schon wegen §2 (3) Versammlungsgesetz mit Strafverfahren überzogen werden, wenn sie bei vergleichbaren Gelegenheiten Schwimmbrillen dabei haben, von anderen Alltagsgegenständen wie einem Opinel ganz zu schweigen. Mein Rat an die KuratorInnen wäre, an den Leuchtkasten mit dem Schwert einen launigen Schriftzug anzubringen, etwa:

    PSA: Bringt heute lieber keine Schwerter mehr zu Demos mit.

    Ähnlich aufschlussreiche Parallelen zu heute hätten sich angeboten im Fall der Verbotsverfügung fürs Hambacher Fest, die ausführte, das Fest strebe nach der Auflösung der herrschenden Ordnung. Ähnliche Anordnungen nach §15 Versammlungsgesetz ergehen immer noch, wobei die Schwelle inzwischen niedriger liegt, denn verboten werden kann eine Versammlung, „wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.“

    Eine Parallele, die ich besonders gerne gezogen sähe, geht von diesem Exponat:

    Foto eines großen, dicken Buchs mit handschriftlichen Einträgen

    zu Einrichtungen wie dem Informationssystem Innere Sicherheit (dessen Name bis vor einigen Jahren gerne mal als ISIS abgekürzt wurde) des BKA. Im ISIS verwalten die deutschen Polizeien rund hunderttausend (Stand 2019; 2011 waren es eher noch 85000) Menschen, die die Beschreibung des gezeigten Buchs in der Ausstellung als „politisch auffällige Personen“ klassifiziert.

    Das Buch wiederum ist ein Verzeichnis von aus heutiger Sicht bescheidenen 1'867 „Extremisten” (wie diese politisch aufälligen Personen heute genannt werden), die die Frankfurter „Zentralbehörde für politische Untersuchungen“ in den Jahren 1833 bis 1838 in feiner Kurrentschrift zusammentrug. Dass sie damit im Jahr nach dem Hambacher Fest anfing, ist sicher kein Zufall – und leider auch nicht, dass sie 1838 wieder aufhörte, denn soo viel gab es im Vormärz wohl trotz allem nicht zu beobachten.

    Ein Psychotest für Untertanen

    Es sei den aktuellen Regierungen nachgesehen, dass sie in Hambach lieber jubeln und fahnenschwenken wollen als über Kontinuitäten von Machtausübung zu philosophieren. Dann aber wärs schon besser, das nicht in einen Kontext von Demokratie (jetzt im Sinne von Partizipation und nicht von Volk und Herrschaft) und Freiheit zu stellen. Ganz schlimm wird das im Nebenzimmer des Schwert- und Fahnenraums, in dem sich BesucherInnen anhand von einer Art begehbarem Psychotest in Bürgertypen einordnen sollen. Das Schlimme daran ist, dass die partizipativste Antwortoption in der Regel nicht mehr als ein Appell an die Obrigkeit ist.

    Zum Beispiel wird die Situation beschrieben, dass am Rande einer Demonstration TeilnehmerInnen JournalistInnen bedrängen. Die natürliche Verhaltensweise, nämlich nachzufragen, worum es geht und so oder so deeskalierend einzugreifen, kommt gar nicht vor – als einzige Interventionsmöglichkeit bietet die Ausstellung an, eine Anzeige bei der Polizei zu stellen. Denunziantentum als musterdemokratisches Verhalten zu loben: Das ist schon ein starkes Stück.

    Oder nehmt das hier:

    Foto einer Pychotestfrage: ein Kulturzentrum soll abgerissen werden, mit Optionen "zum Stadtrat gehen", "eine Petition unterschreiben" und "nichts machen".

    Wie wäre es denn mit einem Szenario „das Haus besetzen”? Oder vielleicht, des Dynamikumfangs wegen, „den Stadtrat stürzen“? Oder „an Abrissmaschinen festkleben”? Ah, nee, dafür ist der Psychotest zu alt. Mag sein, dass das alles zu partizipativ für einen autoritär gebürsteten Demokratiebegriff ist, aber irgendwas, das nur annähernd Agency, meinetwegen „Selbstwirksamkeit“ außerhalb eines Obrigkeit-Untertanen-Verhältnisses anbietet, wäre schon recht gewesen in einer Gedenkstätte für einen (wenn auch kreuzbraven) Aufstand. Also vielleicht: „Ich spreche mich mit Nachbarn ab und melde eine Demonstration an“?

    Erst mal die Bahnsteig^WVerpflegungskarte kaufen

    Dazu passt ganz gut, dass die Ausstellung ebenfalls nicht die Geschichte erzählt, was aus dem Impetus des Hambacher Festes wurde. Während nämlich alles in patriotischem (und vielleicht auch etwas freiheitlichem) Taumel war, begannen die wichtigen Männer der Bewegung noch in Neustadt die nächsten Schritte zu diskutieren, was die Wikipedia jetzt gerade so zusammenfasst:

    Die Schlussabstimmung zur Frage, ob eine Konstitution aus sich selbst heraus die Kompetenz hätte, im Namen von ganz Deutschland eine Revolution zu beginnen, ließ die Bemühungen jedoch scheitern, da keine Einigkeit zustande kam.

    Das passt sehr gut zu einem Exponat, das ich irgendwann mal einsetzen möchte mit Referenz auf eine Wladimir „Lenin“ Uljanow …

  • Mehrfach reflexiv: Das Linden-Museum in Stuttgart

    Foto: Jede Menge knallbunter Puppen auf Stufen drapiert.

    Mein Lieblingsexponat in der derzeitigen Sonderausstellung im Linden-Museum: ganz aktuelle Kola-Puppen aus Südindien mit blütenweißer Provenienz. Wer sich fragt, was das ist: Ich erzähle paar Absätze weiter unten etwas mehr darüber.

    Neulich hatte ich ein Treffen in Stuttgart. Da ich mich schon mal durch die S21-Katastrophe am Hauptbahnhof – kommt es nur mir so vor oder wird das immer noch schlimmer? – hatte kämpfen müssen, verband ich das mit einer weiteren Museumspass-Anwendung: Dem Linden-Museum, in dem es nicht etwa um Bäume (der Name bezieht sich einen Kolonial-Lobbyisten im Stuttgart des späten 19. Jahrhunderts, der das Ding aus der Taufe gehoben hat) geht, sondern um „Völkerkunde“.

    Weit hinaus über Kreise, die meine Skepsis zum Begriff Volk teilen, haben Museen mit diesem Profil gerade mehrdimensional einen schweren Stand. Zunächst kommen horröse Provenienzfragen hoch. Das Linden-Museum beispielsweise hat(te) selbst irgendwas wie 100 Stücke aus der besonders heftig diskutierten Benin-Beute – unter denen mich übrigens die bearbeiteten Stoßzähne mehr beeindruckt haben als die Gegenstände aus Bronze.

    Nachfahren der Kolonialvereine

    Fundamentaler noch wurzeln die Völkerkunde wie ihre Museen ziemlich flächendeckend in kolonialer Begeisterung, und jedenfalls nach meiner Erfahrung mit der Heidelberger Ausgabe des Genres war der koloniale Blick noch lange die Regel: der weiße Mann erforscht und untersucht die, die noch nicht so weit sind und delektiert sich an ihren Marotten. Im vielleicht freundlichsten Fall konstruiert er alberne und meist zutiefst autoritäre Bilder vom edlen Wilden.

    Demnach mag das Interessanteste an einem Besuch bei den Lindens deren Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte und Funktion sein. Abschnittsweise scheinen sie zu einer Art Metamuseum geworden zu sein, einem Museum vergangener und gegenwärtiger musealer Praxis.

    So nimmt die Diskussion der Bestände aus der Plünderung des Palastes von Benin eine ganze Wand des großzügigen Treppenhauses ein, auch wenn der Text dort nicht mehr ganz aktuell ist. An der Stelle heißt es noch: „Ende 2022 sollen die ersten Rückgaben erfolgen“, während in der Ausstellung selbst zwar weiter viel Raubkunst zu sehen ist, aber auch berichtet wird, immerhin eine Zeremonienmaske sei bereits nach Nigeria gegangen, und nur 24 Stücke würden noch längere Zeit als Dauerleihgabe in Stuttgart bleiben.

    Testfall Afghanistan

    Ähnlich selbstkritisch betrachtet die Ausstellung Marmorreliefs der Ghaznawiden – ich gestehe offen: ich hatte voher nichts von diesem Reich gehört, das so um die 1000 herum vom heutigen Afghanistan aus nennenswerte Teile des mittleren Ostens beherrschte –, die Linden-ArchäologInnen 1957 unter offenbar fragwürdigen Umständen nach Stuttgart gebracht haben.

    Gerade Afghanistan – immerhin Ort von etwas, das durchaus als jüngster deutscher Kolonialkrieg durchgehen kann – erlaubt aber, auch positivere Bilder ethnologischer Museen zu zeichnen. So hat eine Linden-Crew in den 1970er Jahren im ebenfalls afghanischen Tashqurghan (heute, paschtunisiert, Cholm – gar nicht weit von Masar-i-Sharif, Hauptwirkungsort unserer Schutztruppe^W „humanitären Einsätze“) wahrscheinlich mit informierter Einwilligung der Betroffenen eine Bazarstraße demontiert und in Stuttgart wieder aufgebaut, was für mich eines der beeindruckendsten Exponate war:

    Enger Gang durch einen konservierten Bazar

    An der Stelle hätte ich es vielleicht sogar etwas effektheischender gemocht, etwa durch Einspielen von Tonaufnahmen, die in den Straßenszenen aus Tamil Nadu in der Sonderausstellung (kommt gleich) für mich gut funktioniert haben. In jedem Fall scheint es mir durchaus recht verdienstvoll, wenigstens eine Straße erhalten zu haben von einem Bazar, von dem inzwischen sowohl aufgrund von lokaler Entwicklung als auch aufgrund von Zerstörungen diverser Kriege am ursprünglichen Platz nichts mehr übrig sein dürfte.

    Vertikale Blickrichtungen

    Wiederum andererseits ist das alles dünnes Eis: Wäre die Grenze zum kolonialen Blick beispielsweise überschritten, wenn die Linden-Leute die Bazar-Buden mit schneidernden oder schmiedenden Puppen besiedelt hätten?

    Grundsätzlich fand ich beim Laufen durch die Ausstellung die wechselnden Perspektiven durchaus bemerkenswert. Bei iranischen Druckplatten aus dem 12. Jahrhundert und noch mehr bei der ostasiatischen Ausstellung war der Blick eindeutig in Augenhöhe gerichtet. Meinem Römerfimmel nachgebend möchte ich als Beispiel dieses chinesische Exponat anführen:

    Modell eines Wehrturms mit Brüstung und Armbrustschützen

    Das ist nicht nur präsentiert wie analoge Exponate aus der Römerzeit in anderen Museen (im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe gibt es z.B. römische, nun ja, Puppenhäuser), es ist schon fast irritierend, dass dieses Modell in der Zeit unserer Limestürme gefertigt wude, nämlich während der östlichen Han-Dynastie (24 bis 220 ndCE[1]). Eine relativ aktuelle Aufarbeitung der westlichen Version von Türmen dieser Art steht nahe dem kleinen Bahnknotenpunkt Osterburken:

    Foto: rekonstruierter Limes-Wachturm mit Brüstung und weiß-rotem Mauerstrich hinter grasbewachsenem Wall („von Germanien aus”).

    Archäologisch ist übrigens nicht entscheidbar, ob zwei (wie im chinesischen Modell), ein (wie im Bild) oder kein (wie in anderen Rekonstruktionen) Wehrgang die Regel waren; Vorbild für römische Türme ist ein Halbrelief auf der Trajansäule. Als die östliche Han-Dynastie unterging, war es auch mit den Türmen Marke Osterburken vorbei; zwischen 230 und 260 zerfiel der Limes in Obergermanien. Oh – entschuldigt bitte die Abschweifung. Bei so klaren Parallelen kann ich nicht widerstehen.

    Von Akam, Liebe, und Krieg, Puram

    Einen Eindruck von moderner ethnologischer Praxis gibt, so glaube ich als Laie, die aktuelle Sonderausstellung Von Liebe und Krieg über TamilInnen in Südindien und der Welt (wer sie auch noch sehen will, muss sich beeilen: sie schließt am 7. Mai). Gerade der Eingangsraum mit einer Multi-Beamer-Installation und dichtgewebten, für meinen Geschmack geradzu hermetischen Metaphern in gelesen-untertitelter Beziehungslyrik – ich vermute, aus der caṅkam-Literatur, von der gleich die Rede sein wird – war sicher sehr stimmungsvoll. Aber ich bin mir nicht sicher, ob der demonstrative Respekt für die „fremde Kultur“ nicht schon wieder umschlägt ins othering, in die Konstruktion einer Fremdheit, die es so vielleicht gar nicht (mehr) gibt.

    Immerhin ist das Gefühl der Fremdheit, das bei mir am Anfang der Ausstellung aufkam, wirklich bezaubernd. Ich entwickelte eine Vorstellung vom „Dichterrat“ (Sangam oder caṅkam), der in der tamilischen Urzeit mehr oder minder die Geschicke der Kultur in der Hand hatte. Das erschien mir auf Anhieb sympathischer als, sagen wir, Platons autoritärer Philosophenstaat (Disclaimer: In der Wikipedia bleibt von irgendwelchen weltlichen Rollen möglicher Dichterräte eigentlich nichts mehr übrig; insofern war das vermutlich mehr meine Fantasie beim Wort „Rat“).

    Die Behauptung der Rolle von DichterInnen im tamilischen Denken verstärkend zeigt die Ausstellung aktuelle (2018) Ikonographie – ob nun Popstar oder Heilige – für die der etwas emanzipatorschen Bhakti-Bewegung zugerechnete Dichterin Andal (deren Existenz für so etwa das 8. Jahrhundert wohl hinreichend belegt ist):

    Ein sehr buntes und etwas naives Bild einer Frau mit Heiligenschein in einem goldfarbenen Rahmen

    Unter die Materialien, die in das Exponat gingen, zählt die Beschriftung explizit „Kunststoff“. Der Ausstellung ist generell große Aktualität zu bescheinigen – ich denke, mehr als die Hälfte der Exponate stammen aus dem 21. Jahrhundert.

    Universalien bunten Plastikplunders

    Dass aber vieles einfach nur auf den ersten Blick fremd aussieht, habe ich mir besonders gedacht bei der ebenfalls aktuelle Produkte zeigenden Navaratri-Installation im Religions-Abschnitt. Weil sie so schön ist, habe ich sie schon eingangs gezeigt:

    Foto: Jede Menge knallbunter Puppen auf Stufen drapiert.

    Was da so knallig und verrückt daherkommt, sind Kola-Puppen, die, die Ausstellung und die Wikipedia sind sich in diesem Punkt einig, vor allem Frauen zum großen Fest des Sieges von Kali über den Büffeldämon aufstellen. So seltsam Büffeldämonen und quietschbunter Plastikquatsch wirken mögen: Stellt euch vor, indische EthnologInnen fallen plötzlich bei Käthe Wohlfahrt ein (das können sie in Heidelberg das ganze Jahr über) oder gar auf einem Weihnachtsmarkt. Stellt euch weiter vor, sie zeigen in einer Ausstellung eine klassische deutsche Weihnachtszimmer-Szene mitsamt all dem Plunder, den Leute so an ihre Weihnachtsbäume hängen. Würde das InderInnen irgendwie anders berühren als uns deren Navarati-Plunder?

    Oder: Pop-Quiz zu Votivgaben: Welches von den folgenden Bildern entstand in der Ausstellung, welches am Chiemsee und welches im Römermuseum Ruffenhofen?

    Drei Fotos nebeneinander, jeweils von stilisierten Körperteilen, ganz links in Holz, die beiden anderen in Metall getrieben.

    Lösung: Erstaunlicherweise haben sich die hölzernen Arm- und Beinvotive aus der Römerzeit erhalten, während der düstere Kram in der Mitte relativ aktuelle Votivgaben an die heilige Irmingard auf Frauenchiemsee sind.

    Bharati und Ramasami

    Neben Literatur und Religion bietet die Sonderausstellung Abschnitte zu Politik und Alltag. Die Politiksektion handelt im Groben von Leuten, die hofften, auf einem nationalen Ticket sozialen Fortschritt zu erreichen – so etwa Subramaniya Bharati – und im Wesentlichen mit beidem baden gingen. Oder von anderen, die ein wenig so wirken, als hätten sie auf einem sozialen Ticket nationale Fragen behandeln wollen, namentlich Erode Venkata Ramasami Naicker[2], der in der Ausstellung in einer Auseinandersetzung mit Gandhi (1927) zu sehen ist, wahrscheinlich, während er ihm ausreden will, Hindi als lingua franca der indischen Union zu etablieren, um das koloniale Englisch abzulösen:

    Ramasami und Gandhi als bereits etwas ältere Männer auf einem nachkoloriert und retouschiert wirkenden Foto. Ramasami erklärt gerade etwas.

    Ramasami wirkt hier als dravidischer Aktivist – ich kann nicht beurteilen, ob er das wirklich war –, der sich gegen kontinuierliche indogermanische Dominanz (denn auch Hindi ist als späte Erbin des Sanskrit wie Englisch eine indogermanische Sprache) wandte. Und da sind wir dann wieder bei Fragen kolonialer Bewältigung, denn zumindest laut Ausstellung war eine zentrale Wurzel des tamilischen Nationalismus die Beschreibung der dravidischen Sprachfamilie (zu der dann auch Tamil gehört) durch den anglikanischen Missionar Robert Caldwell Mitte des 19. Jahrhunderts.

    Die Alltagssektion schließlich hat mich mit der wahren Dimension von Saris überrascht (die Dinger sind lang) und räumt dann mit allen Illusionen über Gesellschaften auf, deren Heilige und Helden DichterInnen sind. In einem mutmaßlich repräsentativen Satz aktueller ayurvedischer Medizin wird ein Anti-Kater-Wundermittelchen mit dem dämlichen Namen PartySmart gezeigt:

    Drei Medikamentengebinde, das mittlere eine Pappschachtel mit der Aufschrft "PartySmart Capsules/Relieves unpleasant after-effects of alcohol" der Firma Himalaya Wellness

    Vielleicht wäre ja die beste Nachricht, die mensch aus einem Museum zu „Völkerkunde“ mitnehmen könnte, etwas wie: Wir waren schreckliche Bestien und sind nur allmählich ein wenig weniger schurkig geworden. Aber der Prozess der Zivilisation ist auch bei unseren Opfern müh- und …

  • Hardenburg: Zu echt, um wahr zu sein

    Foto von Mauerwerk und Türmen

    Ein Traum von einer Burg: Die Hardenburg nach dem Durchschreiten des Westbollwerks.

    Ich war am letzten Wochenende mit meinem Museumspass in der Hardenburg bei Bad Dürkheim, und ich fand meine Beobachtung angesichts der Krone von Rudolf IV bestätigt: Wenn es ganz besonders echt aussieht, ist es wahrscheinlich ein Fake.

    Gut: Fake ist vielleicht ein zu starkes Wort, aber die großen Mengen alten und restaurierten Mauerwerks, die vielen Türme und Türmchen und die zahlreichen Gänge, die sich immer wieder zu nicht ganz erwartbaren Plätzen öffnen, all das hat es in dieser Dichte in mittelalterlichen Burgen wohl (leider) eher nicht gegeben. Wer so großartige Burgen haben will, wird ebenso auf Modernes zurückgreifen müssen wie SchlossliebhaberInnen auf Neuschwanstein.

    Tatsächlich war die Hardenburg bis 1725 von Leininger Grafen – meist mit dem lustigen Namen „Emich“ – bewohnt. Sie wurde, so die Wikipedia in beschönigendem Passiv, „in dieser Epoche zum Residenzschloss ausgebaut“. Das ist dann wohl der Grund, warum sie wirklich perfekt funktioniert als 1a klasse Burg: Die Leute, die die Bauten bestellt haben, waren selbst schon total auf Ritterromantik.

    Die Leute wiederum, die dafür schuften mussten, taten das in erkennbarer Konkurrenz zu denen, die am Heidelberger Schloss dem dort herrschenden Pfälzer Kurfürsten seinen Hortus Palatinus ausbuddeln mussten. Die dauernde Konkurrenz zwischen den Grafen von Leiningen in Dürkheim und ihren deutlich mächtigeren Nachbarn – Fürsten, gar Kurfürsten – ist im „Ausfallgarten“ der Hardenburg durch Gras angedeutet:

    Durch Gras angedeutete Anlage eines französischen Renaissancegartens in einer dem Berg durch Mauern abgezwungenen Ebene.

    Von einem relativ lobenswerten Aspekt dieser Rivalität ist vor Ort nichts zu lesen: Als der Heidelberger Kurfürst 1512 die Gelegenheit gekommen sah, seinem kleinen Nachbarn zu zeigen, wo der Hammer hängt und die Burg belagerte, übergaben, so erzählt die Wikipedia, die Leininger sie, bevor die kurfürstlichen Truppen ernsthaft Schaden anrichteten. 1519 ging die Burg unversehrt zurück an die Leininger. Damit konnten sie sie deutlich schneller wieder nutzen, als wenn sie sich erst auf eine heldenhafte „Verteidigung“ eingelassen hätten und sie anschließend wieder viele Menschen hätten zwingen müssen, die Residenz neu aufzubauen. Ich halte das für eine hervorragende Illustration der Weisheit, dass militärische „Verteidigung“ eine schlechte Idee von Grobianen ist und war.

    Am Ende kaputt gemacht (ich musste an Degenhardts Lied über Joß Fritz denken: „Und als die schönen Schlösser brannten“, wobei wir da 200 Jahre früher sind) haben das Schloss übrigens Revolutionstruppen aus Frankreich – aber leider hat es auch danach noch hundert Jahre gedauert, bis zumindest mal die Monarchie in der Gegend beseitigt war, auch wenn immerhin die verschiedenen Leininger Emichs nach der napoleonischen Neuordnung in Amorbach statt in der Dürkheimer Gegend Hof halten mussten.

    Bevor mensch die Gänge und Türme der Burg erkundet, lohnt sich ein Blick in die kleine Ausstellung im Eingangsrondell, schon, weil sie sich erfolgreich an der Alltagsgeschichte versucht, die ich bei den Habsburgern angemahnt habe. Statt in einem Fort über die Kriege der Mächtigen zu erzählen, diskutiert sie die Entdeckung einer Abfallgrube im Jahr 1983 als „Glücksfall“ und zeigt nicht nur einen Treue schwörenden Verlobungsring (mensch mag sich fragen, ob der wohl im Zorn in die Grube gepfeffert worden ist), sondern auch frühe Zeugnisse von Globalisierung. So fand ich etwa diese Scherbe aus den 17. Jahrhundert bemerkenswert:

    Eine Porzellanscherbe mit chinesischen Schriftzeichen

    Die Ausstellung versichert, dass das Porzellan tatsächlich aus China kommt. Dass schon damals so zerbrechliche chinesische Ware an Höfen von Duodezfürsten genutzt (und zerdeppert und in Abfallgruben geworfen) wurde, flößt mir etwas Respekt ein vor den Menschen, die den Kram entweder über die Seidenstraße oder das Meer herbeischafften – und andererseits milde Verzweiflung, denn so viel Aufwand, nur damit ein Graf sich besser fühlen konnte als seine Untertanen: Das wirkt schon etwas traurig.

    Zu solchen Gedanken passen auch die Austernschalen, die sich in der Ausstellung finden, denn auch die mussten natürlich bei Hof verspeist werden als Zeichen, dass es „nicht drauf ankommt“. In Zeiten vor Kühlketten und Eisenbahnen war das Austernessen eine besonders absurde Verschwendung menschlicher Arbeitskraft, denn Kuriere mussten sie eiligst von der Atlantikküste herbeischaffen, bevor sie starben und damit giftig (Extra-Nervenkitzel!) wurden.

    Austernschalen

    Hinterlassenschaften austernschlürfender Emiche und ihrer Angehörigen.

    Andererseits weht, finde ich, sogar aus diesem Müll von vor dreihundert Jahren ein wenig der Hauch der Geschichte, und zwar immer noch einer freundlicheren Geschichte als beim Masken-Splatter aus dem Codex Manesse (aus dem Besitz des ewig reicheren Kurfürsten übrigens), der dort einem Leininger – also vielleicht eines Bewohners der Hardenburg, weshalb das Bild auch in der Ausstellung reproduziert ist – zugeschrieben wird:

    Mittelalterliche Illustration: Leute schlagen sich mit Schwertern, Blut spritzt

    Hinter der Maske angeblich ein Leininger, aber eher ein Friedrich statt ein Emich. Schade.

    Als Aftershow (und auch ohne Museumpass umsonst) empfehle ich das Dürkheimer Stadtmuseum gleich um die Ecke vom Bahnhof. Dort kommt die Aufarbeitung der munteren Ritzereien (und einer wirklich extrem lausigen Bauinschrift) im Steinbruch der Legio XII Pia Fidelis am Kriemhildenstuhl meinem Römerfimmel sehr entgegen.

    Gerade für ein Stadtmuseum sehr anerkennenswert finde ich die Diskussion der Naziverstrickungen einiger Dürkheimer Honoratioren wie des Welteistheoretikers Philip Fauth, des Mundartdichters und Ehrenbürgers Karl Räder (interessanterweise nicht in der Wikipedia – arbeiten da keine DürkheimerInnen mit?) und des Malers und Kapp-Putsch-Fans Gustav Ernst (wohl auch nicht in der Wikipedia).

    Wirklich originell fand ich aber die Exponate zum Kurbetrieb in Dürkheim, allen voran das munter weiß-blau gerautete Etikett eines, nun, Heilwassers, das Fans von Agatha Christie Schauer den Rücken herunterjagen wird:

    Flaschenetikett: Maxquelle, Stärkstes Arsenwasser Deutschlands

    Schließlich muss ich mich noch als Fan von Gina Ruck-Pauquets Geschichten um den kleinen Nachtwächter outen, der in seiner kleinen Stadt recht regelmäßig alle BewohnerInnen – den Drehorgelmann, das Mädchen mit den Luftballon, den Bauern, den Dichter und die Blumenfrau – aufweckt, statt über ihren Schlaf zu wachen.

    Stellt sich raus: Das hat sich Ruck-Pauquet nicht wirklich ausgedacht. Im Museum wird ein Protestbrief aus dem 19. Jahrhundert gezeigt, in dem sich ein Kurgast beschwert, er sei um 23 Uhr durch das „furchtbar schauerliche Nachtwächterhorn“ geweckt worden und danach über „diese altmodische, an Bauerndörfer erinnernde Nachtwächterei” abgeht. Tatsächlich hängt im Dürkheimer Stadtmuseum noch das letzte Nachtwächterhorn des Städtchens:

    Ein bronzen schimmerndes Horn von etwa 50 cm Länge

    Hinreißend.

  • Glückwünsche zu Schritt 1

    "Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons" in verschiedenen Sprachen

    Schritt 2 zur Zivilisierung und Denuklearisierung der Republik wäre die Unterzeichnung des TPNW.

    Heute endet die kommerzielle Nutzung der Kernspaltung in der BRD[1] . Das ist aus vielen Gründen klasse, über die heute viele andere reden. Für mich ist der wichtigste Grund einer, der nicht oft erwähnt wird: Eine möglichst große Reaktorflotte ist praktische Voraussetzung für eine glaubhafte Option auf die Bombe – genauer, auf Bomben in kriegswichtiger Zahl, also jetzt nicht nur so eine Handvoll. Je weniger es so eine Option gibt, desto besser. Rundrum.

    Diese Option ist erstens Folge davon, dass mit kommerziellen Kernreaktoren Anreicherungskapazitäten im Überfluss bereitstehen, zweitens daran, dass hinreichend viele Menschen mit den zur Bombenproduktion nötigen Techniken vertraut sind oder sie sich jedenfalls schnell aneignen können, und drittens, dass auch jederzeit haufenweise Plutonium anfällt, quasi sachzwänglich – so verfügte auch die BRD jahrzehntelang über etwa fünf Tonnen im Prinzip waffentaugliches Plutonium (vgl. Plutoniumwerk ALKEM).

    Solche Erwägungen waren der Hintergrund der riesigen staatlichen Investitionen in die Nukleartechnologie in den 50er und 60er Jahren. Die zentrale Figur dabei war Franz Josef Strauß, der mit seiner Bomben-Motivation auch immer offen umgegangen ist. 1957, sein Kernforschungszentrum Karlsruhe bastelte gerade an den ersten Reaktoren dort, mit seiner Kernforschungsanlage Jülich ging es gerade los, die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt in Geesthacht war ein Jahr alt, die Inbetriebnahme des Atom-Eis in Strauß' Garchinger Vorgarten im September 1957 war absehbar, ließ er als fürs Militär zuständiger Minister[2] am 10.4.1957 regierungsamtlich verkünden:

    Ein Verzicht auf Kernwaffen unter den gegebenen Umständen und im Augenblick würde militärische Preisgabe Europas an die Sowjetunion bedeuten.

    Natürlich würden sich „Umstände“ und „Augenblicke“ nie ändern. Noch in den 1970ern – der Plan B für großmaßstäbigen Zugriff auf die Bombe, die WAA Wackersdorf, war längst in Planung[3] – schrieb er:

    Zur Souveränität gehört die Atomwaffe.

    —Welt vom 5.9.1975

    Das ist die Geschichte hinter den beeindruckenden Geldmengen, die in die damalige Großforschung flossen.

    Ein Fahrradständer mit einem Regenschutz aus gebogenem Wellblech

    Im ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe 2022: Auch wenn es inzwischen KIT heißt, sehen sogar die Fahrradständer immer noch irgendwie nach Los Alamos aus.

    Und diese Geschichte geht heute leider bei weitem nicht zu Ende. Auch die BRD droht ihren Feinden weiterhin mit der Auslöschung ihrer Städte, und leider denkt niemand, der/die auch nur den Hauch einer Chance auf die Macht im Land hat, über einen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag TPNW nach – was nun wirklich moralischer Mindeststandard wäre.

    Heute wäre also ein guter Tag, einen kleinen Beitrag zur Besserung dieser Situation zu leisten. Vor vierzig Jahren schien eine breite Koalition für den „Atomausstieg“ – wie sie zumindest bis zur derzeitigen patriotischen Besoffenheit seit 2011 bestanden hat – so undenkbar wie heute ein Ausstieg aus den monströsen Drohungen mit nuklearem Massenmord. Es ist an uns, das Sentiment zu Atombomben jetzt ähnlich zu drehen.

    Ich zum Beispiel habe immer noch ein paar einschlägige Postkarten, die ich euch, wenn ihr auch welche schicken wollt, gerne vorbringe (wenn ihr in Heidelberg und Umgebung wohnt) oder auch schicke (sonst). Das Feedback-Formular gehört euch…

    [1]Jaja: nur zur Energieerzeugung, und selbst dabei: die Brennelementefabrik Lingen gibts leider auch weiter. Aber dass es keine laufenden großen Reaktoren mehr gibt, ist jedenfalls ein Grund zum Feiern.
    [2]Das blieb er übrigens noch bis 1962, und es waren erschütternderweise nicht seine Atombombenträume, die ihm das Amt kosteten.
    [3]Für deren Ende hat dankenswerterweise neben jeder Menge Widerstand vor Ort auch der französische Staat gesorgt, der nach Strauß' Tod 1988 die Gelegenheit sah, die (jedenfalls auch aus ihrer Sicht) Bombenfabrik des Nachbarn abzuschießen, indem sie anbot, die bei allen Menschen auch nur halbwegs guten Willens extrem unbeliebte Wiederaufbereitung in La Hague zu erledigen. Win-win: aus französischer Sicht hatten die Deutschen nicht ständig fast fertige Atombomben, aus deutscher Sicht war das hässliche Problem WAA abgeräumt. Ganz nebenbei wurde dadurch auch die große Bühne bereitet für den nächsten Akt des Kampfes gegen den Atomtod: die Castortransporte nach Gorleben (ja: deren erster ging direkt aus Phillipsburg ins Wendland, aber die größten Schlachten gingen jeweils um Züge aus La Hague).
  • Antisprache: Verschwörungstheorie

    Ob Corona oder Reichsbürger: Die Bezeichnung „Verschwörungserzählung“ oder „-geschwurbel“ oder „-theorie“ ist inzwischen zumindest in der breiten Mehrheit eher fortschrittlich orientierter Menschen ausreichend, um eine Position zu delegitimieren. Es mag insofern etwas gewagt sein, aber: Ich halte die gesamte Figur für Antisprache, also in Analogie zur Antimaterie für ein Mittel zur Verhinderung sinnvoller Kommunikation.

    Aus aktuellem Anlass will ich mit einem vielleicht etwas untypischen Beispiel aufmachen: Vorgestern hat Josephine Schulz im Deutschlandfunk den Linken-Kochef Martin Schirdewan interviewt und in einer Frage von „Verschwörungsanhängern oder Rechten“ geredet, um irgendwie Distanzierungen aus Schirdewan herauszukitzeln. Schirdewan lavierte da ganz geschickt drumrum, und trotzdem kam dann nachher in den Nachrichten etwas wie „Schirdewan warnt vor Verschwörungstheoretikern bei Ostermärschen”.

    Ich werde hier versuchen, den Verschwörungsvorwurf als ein Update des Extremismusbegriffs zu beschreiben, nur eben ohne dessen üblen Geruch nach Verfassungsschutz: Er abstrahiert vom Gesagten, immunisiert die ja häufig selbst eklige, grausame, rassistische oder massenmörderische „Mitte“, indem Aussagen schon und allein verurteilbar sind, weil sie vom Konsensnarrativ abweichen. Das ist bequem – jedenfalls für die, die das Konsensnarrativ mitbestimmen können –, hat aber mit Diskurs, Antifaschismus oder auch nur fortschrittlichem Denken nichts zu tun.

    Fallbeispiel Ostermarsch

    Das Schirdewan-Beispiel ist zur Illustration dieser Behauptung zunächst nicht so gut geeignet, weil ist der Dissens in dem Themenfeld gar nicht so sehr bei der Erzählung als solcher liegt. Von eher zweitrangigen Details („wer hat die Pipeline gesprengt?“) abgesehen, ist beispielsweise fast vollständig unstrittig, dass die anderen die Bösen sind. Strittig ist dagegen, ob wir deshalb die Guten sind. Wer munter „Verschwörungstheorie“ in den Raum stellt, immunisiert sich gegen diesen Streit, der ansonsten unbequeme Teile des Konsensnarrativs aufstöbern würde.

    Dass etwa auch „wir“ imperiale Ambitionen haben, ist kaum bestreitbar, wenn „unser“ Militär in aller Welt steht und auf allen Meeren schwimmt, im Hinblick auf die EU ganz speziell in Nordafrika, bis hin zur Organisation von Kolonialpolizei.

    Dass „wir“ in die Genese des Krieges verwickelt sind, liegt auf der Hand, wenn der unmittelbare Anlass des Umsturzes in der Ukraine von 2014, das EU-Assoziierungsabkommen (bzw. dessen Notstopp durch das damals auf Russland orientierte Klientelregime), vorsah, die Ukraine solle bei der GASP der EU mitmachen – wie sich die Designer dieses Abkommens das angesichts der russischen Flottenbasis auf der Krim vorstellten, ist mir bis heute nicht klar.

    Wer es ganz deutlich haben will, kann sich im geleakten Telefonat von US-Außenamtsmitarbeiterin Victoria Nuland (ihr Mantra: „Wir haben 5 Milliarden Dollar in eine sichere, blühende und demokratische Ukraine investiert“ – das war 2013) und ihrem damaligen Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt, überzeugen, dass „wir“ insbesondere das Personal des neuen Regimes bestimmen konnten („nicht Klitsch“).

    Dass „wir“ einen Friedensschluss im März 2022 torpediert haben, kann spätestens seit Naftali Bennetts entsprechenden Äußerungen (auch in deren relativierter Form) nicht mehr als umstritten gelten, und dass auch „wir“ Schurken sind, die im Hinblick auf Angriffskriege im Glashaus sitzen, na ja, das ist spätestens seit 1999 offensichtlich, und da habe ich mit mangelndem Geschichtsbewusstsein noch gar nicht angefangen.

    Jedenfalls soweit ich erkennen kann, bestreitet niemand auch nur einen dieser Punkte in mehr als vielleicht Nuancen der Fomulierung. Wer dennoch weiterhin auf einem Siegfrieden in der Ukraine besteht, muss das folglich eher mit einer Mischung aus autoritärer Moral und Patriotismus begründen – wie das übrigens auch die DurchhalteparoliererInnen auf der anderen Seite tun.

    Es sind also diese Sentimente, mit denen sich auseinandersetzen muss, wer der Bevölkerung der Ukraine (und nebenbei hoffentlich auch der Russlands) helfen will. Dass die Antisprache „Verschwörungstheorien“ die Benennung dieser selbst schon unangenehmen Erwägungsgründe erspart, verhindert sinnvollen Diskurs. Das ist schade, denn Kritik von sowohl autoritärer Moral als auch von Patriotismus (und schon gar von gewalttätiger Weltpolitik, denn als noch ehrlicheres Motiv steht ja auch die noch im Raum) wäre weit über den aktuellen Krieg hinaus wirklich nützlich.

    Echte Verschwörungstheorien

    Aber der Verschwörungstheorie-Vorwurf ist auch dort, wo wirklich Verschwörungen behauptet werden, so untauglich zur Beurteilung politischer Interventionen wie der Extremismusbegriff. Betrachten wir dazu ein paar Beispiele:

    • Die Protokolle der Weisen von Zion oder das Gerede von der „Umvolkung” sind schlicht antisemitischer oder rassistischer Faschokram und deshalb zu verurteilen.
    • Die These von mit Computerchips von Bill Gates versetzten Impfstoffen ist nicht nur mit ein paar schlichten Argumenten wahlweise aus Physik, Informatik oder Biologie auszuschließen, sie brachte auch Menschen davon ab, sich trotz sonnenklarer Risikobewertung impfen zu lassen. Sie ist also zu verurteilen, weil sie Leute umbrachte (und in kleinem Rahmen auch noch umbringt).
    • Die These der gefakten Mondlandung ist einfach wurst; der Glaube etwa, „Borussia Dortmund“ (in welcher Bedeutung auch immer) müsse am nächsten Wochenende dringend im Fußball gewinnen, richtet (schon allein wg. Verkehr) weit mehr Schaden an. Es lohnt sich nicht, über sowas mit irgendwem zu streiten. Klar sind Leute, die sich an der Mondlandung abarbeiten, nicht allzu sehr ernstzunehmen. Aber mal ehrlich: eine naturwissenschaftlich begründete Meinung dazu haben, mangels naturwissenschaftlicher Kenntnisse, auch die meisten anderen Menschen nicht. Mir wär es viel wichtiger, mit der naturwissenschaftlichen Verankerung des Mehrheitsnarrativs voranzukommen als Leute, die da nicht mitwollen, von ihren Fantasien über gefakte Mondlandungen zu heilen.
    • Die These, ein sachsen-anhaltinischer Polizist habe Oury Jalloh angezündet, hat zumindest deutlich mehr Plausibilität als alternative (aber von den meisten Teilen der Staatsgewalt vertretene) Narrative. Wer da „Verschwörungstheorie“ murmelt, vergrößert jedenfalls schon mal das Problem der Polizeigewalt, das gerade Menschen haben, über die das Konsensnarrativ allenfalls abwertend („mehr nutzen, weniger ausnutzen“) spricht.
    • Hätte sich die These, dass die USA in Vietnam nicht die Angegriffenen waren und auch nicht (in einem operationalisierbaren Sinn) die Freiheit verteidigen wollten (vgl. Pentagon Papers und besonders den Tonkin-Zwischenfall), früher im Konsensnarrativ verankert, hätten vielleicht hunderttausende Menschenleben und Millionen Hektar Wald gerettet werden können – wenig wirkt so gut wie Ehrlichkeit bei Kriegszielen, um wieder zu Frieden zu kommen.

    Diese fünf Themen haben nichts miteinander zu tun, außer dass sie dem Konsensnarrativ mehr oder weniger deutlich widersprechen oder widersprochen haben; das ist, was sie zu „Verschwörungserzählungen“ macht. Diese Gemeinsamkeit hilft jedoch ersichtlich nicht dabei, die jeweiligen Thesen im Hinblick auf ethische, politische oder faktische Vertretbarkeit zu prüfen.

    Nein, aus dieser Betrachtung folgt in einem Schlagwort: faschistische Verschwörungstheorien sind grässlich nicht, weil sie Verschwörungen behaupten, sie sind grässlich, weil sie faschistisch sind.

    Verschworene KleintierzüchterInnen

    Verschwörungstheorie-Anwürfe sind nicht nur kritikwürdig, weil sie wenig mehr sind als ein Werkzeug zur Immunisierung derer, die jeweils die Diskurshoheit in Anspruch nehmen können.

    Ein zweiter problematischer Aspekt des Begriffs liegt darin, dass die Verschwörung – im Sinne einer vertraulichen Verabredung – tatsächlich ein konstitutiver Bestandteil von Politik zumindest in hierarchischen Systemen ist. Wer schon mal in Gewerkschaften, Kleintierzüchtervereinen, Ministerien oder Standardisierungsgremien aktiv war, wird gemerkt haben: Praktisch alle wesentlichen Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen oder gleich auf dem Gang getroffen. Klar heißt das, was da ausgehandelt wird, „vertrauliche Vereinbarung“, aber netto ist das Ergebnis ein organisierter Unterschied zwischen Verlautbarungen der beteiligten Personen und deren realen Motiven oder Handlungen. Das ist die Definition von „Verschwörung“.

    Dieser politische Prozess verstärkt das Machtgefälle zwischen denen „drinnen“ und denen „draußen“. Die Öffentlichkeit von Gerichtsprozessen und Parlamentsdebatten war deshalb eine große Errungenschaft in Richtung eines partizipativen Staats, in dem die Beherrschten eine reale Chance haben, in Entscheidungsprozesse einzugreifen. Je leichter die Kritik an (fast immer bestehenden) internen Absprachen als „Verschwörungstheorie“ diffamierbar ist, desto mehr verlieren diese Errungenschaften an Wert.

    Klar: In der Praxis finden die spannendsten Teile von Gerichtsverandlungen dann doch oft genug ohne Publikum statt – etwa das Aushandeln von mehr oder minder formalen Vergleichen –, und die Öffentlichkeit der Parlamentssitzungen hat dafür gesorgt, dass im Plenum im Wesentlichen nichts entschieden wird. Die öffentliche Dokumentation des Geschehenen ist aber dennoch höchst wertvoll für Interventionen der Zivilgesellschaft. Doppelt gilt das natürlich, wenn Menschen aus dem Apparat mit der Presse reden dürfen und dann und wann Sprachregelungen (im Klartext: Verschwörungen) aufklären. Der Niedergang genau solcher Praktiken auf EU-Ebene ist neulich auf netzpolitik bedauert worden.

    Insofern ist da viel zu verteidigen (z.B., was immer weiter ausufernde Geheimhaltungsregeln angeht) und viel zu gewinnen, etwa die Einrichtung und den Ausbau von Informationsfreiheitsgesetzen. Ein spannendes Nahziel fände ich ja die Auflösung der staatlichen Institutionen, deren Programm schon dem Namen nach die Verschwörung ist, nämlich der Geheimdienste. Als zwei schöne Beispiele aufgeflogener Verschwörungen aus dieser Ecke möchte ich an das Celler Loch und den Plutoniumschmuggel des BND (ach nee, des Bayrischen LKA, zwinkerzwinker) erinnern. Ein netter, partizipativer Staat sollte so etwas nicht nötig haben.

    Wenn es einfach wurst ist

    Im Übrigen hilft nach meiner Erfahrung im Umgang mit Menschen, die halbwegs guten Willens sind, sich aber an Verschwörungserzählungen abarbeiten, manchmal (langfristig) die Frage, was sich denn ändern würde, würden sich die in Frage stehenden Erzählungen als wahr erwiesen.

    Das klassische Beispiel ist die Trutherei rund um die Verwicklung westlicher Geheimdienste in die Anschläge vom 11.9.2001 – alles, was zu einer politischen Beurteilung nötig ist, ist öffentlich, sogar in der Popkultur verankert (ich empfehle dem Film Rambo III): „Wir“ haben uns im Kampf gegen „die Russen“ (jaja, das war damals auch schon das Thema) der finstersten, reaktionärsten Kräfte bedient, die wir in Afghanistan finden konnten – die, die dann später Taliban wurden, und ein paar durchgeknallter Warlords obendrauf. Um die Lehre …

  • „Menschen am Rhein“ in Karlsruhe

    Foto eines Plakats: Schock deine Eltern, lies ein Buch

    So ein Plakat hängt immer noch (dieses Foto: 2021) vorm Prinz-Max-Palais, in dem die hier besprochene Ausstellung zu sehen ist. In der Ausstellung selbst war fotografieren wohl unerwünscht, und so habe ich keine weitere Illustration.

    Ich war in der letzten Woche mit meinem Museumspass in einem weiteren Museum (oder zwei davon, wenn ihr so wollt), nämlich im Stadtmuseum Karlsruhe. Dessen Dauerausstellung ist zwar auch gerade eingemottet, aber es gibt eine ganz sehenswerte Sonderausstellung mit dem vielleicht etwas zu originellen Titel Stadt Mensch Fluss – Karlsruher*innen am Rhein. Leute aus der Gegend hier haben noch bis Juni Zeit, sie zu sehen; vielleicht helfen ja die folgenden Zeilen ein wenig bei der Entscheidung, ob ihr die vier Euro springen lassen wollt.

    Die Ausstellung ist sehr deutlich in Stationen gegliedert, was auch recht naheliegt, denn das gemeinsame Thema ist alleine der Rhein. So stehen irgendwelche Rudergeschichten recht natürlich unverbunden neben dem Naturschutzzentrum Rappenwörth. Dessen Station wiederum hat mir klar am besten gefallen: Im Kern handelt es sich um ein mäßig vergrößerndes Mikroskop, in das mensch selbst Präparate einlegen (und rumschieben und fokussieren) kann. Klingt vielleicht etwas hausbacken, hat mir aber viel Spaß gemacht, auch wenn bei den Präparaten ein beunruhigender Schwerpunkt auf Mücken lag – nun, selbst deren Formenvielfalt von plump bis stromlinienförmig ist aufschlussreich.

    Bruttosozialprodukt ist trostlos und hässlich

    Ähnlich erhellend fand ich das Gipsmodell des Karlsruher Hafens, das 1949 begonnen wurde und dann über einige Jahrzehnte immer wieder auf den jeweils aktuellen Bauzustand aktualisiert wurde. Bruttosozialprodukt, so ist da zu sehen, ist trostlos und hässlich, allem voran die Tanklandschaften, wobei der 1963 eröffnete Ölhafen noch außerhalb des Modells liegt, das nur die sechs Hafenbecken bei Mühlburg zeigt. Noch so ein Kollateralschaden, der ganz wesentlich auf die Autogesellschaft zurückgeht.

    Ein weiterer ökologischer Kollateralschaden wird in einem Nebensatz in der Station zum Strandbad Rappenwörth – Fotos in der Ausstellung vermitteln quasi mallorquinische Bilder – erwähnt. Das nämlich hatte bis 1968 ein „Naturbad“, das schlicht ein künstlicher Rheinarm mit großem Standstrand war. Dann jedoch hat es die Stadt geschlossen, weil das Rheinwasser zu gesundheitsschädlich geworden war. Ich würde gerne wissen, wie das damals aufgenommen wurde – gleichgültig? Hauptsache, wir können VW Käfer fahren? Oder war diese Ansage eine der Geburtshelferinnen der Besinnung, die Karlsruhe inzwischen du einer recht akzeptablen Fahrradstadt gemacht hat?

    Mehr Schleifen gönnen

    In Sachen Geistesgeschichte menschlicher Interventionen finde ich an der Ausstellung auch gleich die Eröffnungsstation bemerkenswert, wenn sie behauptet, dass Tulla seine Rheinbegradigung vor allem mit Hochwasserschutz begründet hat - ich bin demgegenüber bisher von Argumenten zur Fahrzeit von Schiffen und Trockenlegung der Malariasümpfe ausgegangen. Das Hochwasserargument hätte eine gewisse Ironie, denn gerade nach diversen Beinahe-Katastrophen am Unterlauf ist die Ansage inzwischen ja eher, dem Rhein (auch bei Karlsruhe) wieder ein paar mehr Schleifen zu gönnen – zum Hochwasserschutz.

    Charakteristisch für die aktuelle Ausstellung ist, dass solche Themen behandelt werden, während es wenige Meter weiter mit Anglerfotos aus dem Klischeealbum – Mensch mit unwahrscheinlich großem Fisch – und einer Station über den Anglerverein Karlsruhe weitergeht. Erstaunlicherweise konnte ich auch daraus was mitnehmen, denn dieser hieß bis 1911 Anglerclub Karlsruhe. Ich bin ziemlich fest überzeugt, dass diese Umbenennung in einem patriotischen Geist gegen den britischen Gegner im Wettrüsten (und drei Jahre später im Krieg) erfolgte. Vergleiche zu antiparallelen Emotionen heute dürfen wohl gezogen werden.

    Wäre ich ohne Museumspass in diese Ausstellung gegangen? Wahrscheinlich nicht. Und wahrscheinlich ist das ein Argument für den Museumspass.

    Fürs literarische Quartett gerüstet

    Grundsätzlich umsonst ist übrigens die begehbare Kulturgeschichte im Literaturmuseum des Oberrheins ein Stockwerk über dem Stadtmuseum. Das ist zwar – naja: Literatur – ziemlich textlastig, aber wer sich die Gliederung in Epochen und die Vorstellung ausgewählter VertreterInnen zu Gemüte führt, ist jedenfalls für Diskurse auf dem Niveau literarischer Quartette gut gerüstet, erstaunlich gut eigentlich, ist doch das Programm des Museums (wenn ich es richtig verstehe), nur Personen mit ordentlichem Bezug zum Oberrhein vorzustellen.

    Dazu gibt es auf dem Stockwerk jeweils einen Schrein für die Karlsruher local heroes der Literatur, Johann Peter Hebel und Victor Scheffel, was eher putzig (ich denke, das schöne englische Wort „parocial“ wäre hier besonders treffend) wirkt und vielleicht, nun ja, etwas bieder.

    Demgegenüber eher schwer verständlich ist, dass im letzten Raum zwar viele Bücher in raumhohen Regalen stehen, diese aber hinter Glas weggesperrt sind. Diese Nachricht ist dann doch etwas seltsam für ein Museum, das, so vermute ich, zum Lesen verführen soll. Wäre es nicht besser, die wertvollen Bestände geeignet in ein Magazin zu verfrachten und die schönen, öffentlich zugänglichen Regale zu einem großen und vielleicht milde professionell kuratierten Bücherbrett zu machen?

  • Besuch bei Schurken: Im Reiss-Engelhorn-Museum

    Mein Museums-Binge geht weiter: Gestern war ich im Reiss-Engelhorn-Museum (REM) in Mannheim, genauer in dessen archäologischer und ägyptischer Sammlung. Das hätte ich ohne meinen Museumspass nicht gemacht, denn: die REM-Leute sind reuelose Schurken. Sie haben nämlich (unter anderem) die Wikipedia verklagt. Wer sowas tut (und dann noch wegen fieser und alberner Urheberrechtsgeschichten), muss säckeweise Asche auf sein oder ihr Haupt streuen, bevor ich mit gutem Gewissen Geld in seine oder ihre Kassen spüle.

    Wahrscheinlich tue ich das durch die Nutzung des Museumspasses auch. Aber ich merke es nicht, und so tut es mir nicht ganz so weh. Das wiederum ist gut, denn die Sammlungen im Namen der BASF-Manager Reiß und Engelhorn sind, ich muss es sagen, überhaupt nicht schlecht gemacht. Nicht zuletzt haben sie eine Bauinschrift des Merkurtempels, der einst am Heiligenberg stand, was jetzt lokalhistorisch für Menschen aus Heidelberg schon relevant ist.

    Aber bevor mich die Schurken verklagen, weil ich zu viel verrate, schwärze ich lieber meinen restlichen Bericht. Und selbstverständlich die Bilder, auch wenn ich, logisch, brav war und in der ägyptischen Abteilung, wo das total verboten ist, auch nicht fotografiert habe.

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    ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ Wallstadt ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ Sandhofen ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆

    Schwarze Schmiere

    ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ Hügelgrab ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ Krokodilopolis ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ Thot ▆▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ Fair-Trade-Siegel ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ Scheintür ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ Tod auf dem Nil ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ Ladenburg.

    Andere schwarze Schmiere

    ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ Neandertaler ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ Homo sapiens sapiens.

    ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ barbarische Gürtel ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ geköpfte Pferde ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ Matronen ▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆

    ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ Stammbusch des Menschen ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ Bonn ▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆ ▆▆▆▆▆▆▆

    Nochmal andere schwarze Schmiere

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    Na ja, wie gesagt: Wenn sich die REM-Leute brav bei der Wikipedia entschuldigen und ansonsten versprechen, ihren „geistigen Eigentum“-Quatsch in Zukunft zu lassen, ist ein Besuch durchaus moralisch vertretbar und dann auch empfehlenswert.

  • Römer vs. Postmoderne in Schriesheim: 0:1

    In der dritten Auflage des Standardwerks „Die Römer in Baden-Württemberg“ (Stuttgart und Aalen: Konrad Theiss, 1986) ist zum kurpfälzischen Städtchen Schriesheim zu lesen:

    Der 1971 [ins Kellergeschoß des Rathauses] übertragene Keller (4,04 x 4,06 m) zeigt quadratischen Grundriß. Da er einst unter einer Hausecke saß, besitzt er an zwei Wänden Schrägen für die Kellerfenster. Rechts des Einganges und an der gegenüberliegenden Wand je zwei Nischen mit Rundbögen. Die drei Mauerschlitze links vom Eingang dienten vermutlich zum Einsetzen eines Holzgestells. Als Baumaterial wurden Quader (H ca. 0,12 m) aus bräunlichem Granit verwendet, deren ausgezogene Fugen im Kalkmörtelbereich Reste roter Ausmalung zeigen. Das Mauerwerk (H noch 1,70 m) ist zT in Buntsandstein ergänzt. Der mitten im Raum stehende runde Steintisch wurde rekonstruiert.

    Der beschriebene Keller eines römischen Gutshofs ist beim Bau eines Einfamilienhauses (zugegeben: das könnte eine tendeziöse Ausschmückung sein, denn ich weiß nicht wirklich, was da gebaut wurde) aufgetaucht und konnte an der Fundstelle vermutlich nicht wieder verbuddelt oder zugänglich gemacht werden. Dank des Einbaus ins Rathaus jedoch kann mensch nun angesichts der römischen Steine ein wenig den Hauch der Geschichte spüren, wann immer das Rathaus offen ist (also: verglichen mit einem typischen Heimatmuseum sehr oft).

    Insgesamt fand ich das eine recht gute Nutzung des, hust, historischen Erbes des Städtchens. Allerdings birgt die Einbettung in eine laufende Stadtverwaltung auch Risiken. Derzeit nämlich findet der Schriesheimer Römerkeller einige Zweit- und Drittnutzung:

    Foto eines schwach beleuchteten Kellers mit Mauerstrich, in dem allerlei Pappen, eine Zimmerpflanze und anderer Kram lagern.

    Vielleicht kann jemand der Stadt Schriesheim alternative Lagerflächen anbieten?

    Nachtrag (2023-12-04)

    Der Keller ist übrigens schon archäologiegeschichtlich nicht irrelevant. Im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum ist eine Seite des 1770 erschienen Buches De Sepulcro Romano prope Schrishemium reperto von Johann Daniel Schöpflin gezeigt; gelobt wird vor allem die bahnbrechend sorgfältige Dokumentation, und wer mal im Keller in Schriesheim war, wird das sofort wiedererkennen:

    Ausschnitt eines aufgeschlagenen, etwas altertümlichen Buchs, Latein in Antiqua gesetzt.  Dazu eine Grabungsskizze mit einem also „Columbarium“ bezeichneten Raum mit einigen Nischen.
  • Hasadeure und Schlitzohren: Die Habsburger im Mittelalter in Speyer

    Fotos zweier Rümpfe steinerner Statuen.  Beide sind auffällig stark tailliert.

    Gender troubles anno 1300 bzw. 1400: diese beiden Rümpfe, die mit ihren schmalen Taillen nach heutigen Sehgewohnheiten wohl generell weiblich gelesen würden, gehören zu sorgfältigen Inszenierungen von Männlichkeit mittelalterlicher Herrscher: Links der Großfälscher Rudolf dem Stifter, rechts der erste Habsburger-König Rudolf I (mit Schwert).

    Ich war am letzten Wochenende im historischen Museum der Pfalz (seufz: Google-Tracking, aber Crapicity nur mäßige 10.76) in Speyer, und zwar vor allem für deren aktuelle Sonderausstellung „Die Habsburger im Mittelalter“.

    Der erste Eindruck ist der eines geradezu rührenden Anachronismus, denn es geht ein wenig im Stil des 19. Jahrhunderts um die Mächtigen, ihre Querelen und Kriege, ihre Hochzeiten und Intrigen – nichts anderes hatte ja der Ausstellungstitel versprochen. An jeder Ecke hängt ein Stammbaum, alles ist voll mit mindestens zweifach gesiegelten Urkunden in Plakatgröße, und natürlich gibts viel Blech in Form von Rüstung, Helm und Schwert. Es ist fast, als hätte die Besinnung auf Alltags-, Sozial-, Technik- und Wirtschaftsgeschichte (die ich schon in meinem Bericht aus dem Bonner Landesmuseum angesprochen habe) seit den 1960er Jahren nicht stattgefunden.

    Aber ganz so ist es auch nicht, denn einerseits gibt es immer wieder entsprechende Ausblicke – so zum Beipiel wird ein Hauch Technikgeschichte anhand zweier sehr erschreckend aussehender Helme aufgemacht –, zum anderen erscheinen die ProtagonistInnen (mit originellen Namen wie Dietrich III von Mömpelgard) nicht wie in der klassischen Geschichtsschreibung als heroische Agenten des Weltgeistes, sondern eher als die Glücksritter, Schurken, Hasadeure und Schlümpfe, die sie ja tatsächlich waren.

    Nehmen wir die Geschichte der verfeindeten Doppelkönige Ludwig der Bayer (Wittelsbach) und Friedrich der Schöne (Habsburg). Da sie ihre Macht nicht brav teilen wollten, hatten sie 1322 ihre jeweiligen Gefolgsleute in der Schlacht bei Mühldorf einander abschlachten lassen. Aber wie es so ist, 1325 mussten sie sich dann vertragen, was zu einem, haha, Vertrag führte, der in der Ausstellung zu bewundern ist als eine der Urkunden mit viel Gesiegele.

    Von allem, was aus der Urkunde an weltgeschichtlichem Brimborium hätte zitiert werden können, entschieden sich die KuratorInnen der Ausstellung für die Kuriosität, dass die beiden Grobiane versprachen, sich künftig als „Bruder“ anzureden. Ich bin überzeugt, dass sie, also die KuratorInnen, das durchaus in den Kontext heutiger Nutzungspraktiken der „Bruder“-Anrede stellen wollten.

    Ein Prototyp einer Krone, mit viel Gold, Zacken und allem drum und dran.

    Mit einigem Recht als Fälschung zu bezeichnen, aber die glaubhafteste Krone, die ich je gesehen habe: Die Krone von Rudolf „Stifter“ IV von Österreich.

    Zwischen mir und meiner Begleitung der klar populärste Habsburger war demgegenüber Rudolf IV von Österreich, den ich bisher nur beiläufig als Gründer der Uni Wien („Rudolphina“) auf dem Schirm hatte. Lobenswerterweise macht die Speyrer Ausstellung weder davon noch von seinen Aktivitäten im Hinblick auf den Bau des Stephansdoms viel Aufhebens (gebaut und betrieben haben die Dinger ja eh andere Leute), während sie genüsslich den Umstand ausbreitet, dass Rudolf IV eifrig Urkunden hat fälschen lassen, um seine Stellung im Reich zu verbessern. Ganz vorne dabei ist das Privilegium Maius, das mich hinriss mit der völlig bizarren Berufung auf Julius Caesar und Nero Claudius als Quellen von Privilegien und Autorität.

    Tatsächlich hat mich das ein wenig ins Grübeln gebracht: War Nero zu dieser Zeit, also um 1350 herum, noch nicht der durchgeknallte Großschurke, für den wir alle ihn spätestens seit Peter Ustinovs Schauspiel in Quo Vadis – während meiner Schulzeit Standardstoff für Vertretungsstunden – halten? Da damals sicher weniger Quellen der besonders nerofeindlichen senatorischen Geschichtsschreibung bekannt waren als heute, wäre das zumindest denkbar. Ob das mal wer untersucht hat?

    Noch bedenkenswerter bei der Geschichte finde ich aber, dass die Krone, die sich Rudolf IV zur Beglaubigung seiner (erfälschten) Erzherzogs-Ansprüche hat anfertigen lassen, viel echter aussieht als echte Kronen – notabene: Der Stifter-Rudolf hat es trotz seiner Fälschreien nie zum echten König gebracht.

    Vielleicht ist das ja eine gute Faustregel: Wenn es ganz besonders echt aussieht, ist es wahrscheinlich ein Fake. Wie im Vergleich eine tatsächliche Krone (schön: gut 300 Jahre früher) aussieht, lässt sich ebenfalls im historischen Museum der Pfalz bewundern, nur einen Stock tiefer im Domschatz:

    Foto eines einfachen Blechbandes mit vier angenieteten, nach oben ausspreizenden Blechen

    Garantiert echte Krone: Die Grabkrone von Kaiser Heinrich III, gezeigt im Domschatz von Speyer.

    Nun mag mensch ein wenig die Nase rümpfen über einen Potentaten, der dreist Urkunden fälscht, um sein Territorium oder – im Fall des Privilegium Majus im Vordergrund – seinen Einfluss zu erweitern. Aber: Andere – ich erwähne mal die deutsche Regierung, die den Angriff auf Rumpf-Jugoslawien 1999 mit einem frei erfundenen „Hufeisenplan“ der Gegenseite rechtfertigte – fälschen und führen danach Kriege, und das kann mensch Rudolf IV jedenfalls nach Maßstäben der damaligen Zeit nicht vorwerfen. Insofern mag er als Vorläufer der Felix Austria-Politik gelten. Meine Chance für ein wenig Latein:

    Bella gerant alii, tu felix Austria nube.
    Nam quae Mars aliis, dat tibi diva Venus.

    Frei übersetzt: andere führen im Geiste von Mars Kriege, du, glückliches Österreich, heiratest im Geiste der Venus. Auch wenn es im Fall von Rudolf IV vielleicht mehr Mercurius (in seinem Aspekt als Gott der Diebe) war als Venus: Ich wäre meiner Regierung wohlgesonnener, wenn sie es ähnlich halten würde.

    Leider (aus Sicht seiner Untertanen) war das mit Merkur und Mars anders beim letzten Habsburger, um den es in der Ausstellung geht, nämlich Maximilian I. Da die Ausstellung ja die Habsburger im Mittelalter behandeln sollte, hätte mensch den erkennbar frühhumanistisch beeinflussten Maximilian auch rauslassen können. Aber das wäre schade gewesen, denn er passt wunderbar in die Reihe eher halbseidener Gestalten, die die Ausstellung präsentiert.

    So geht es dann auch nicht allzusehr um die dynastischen und kriegerischen Bemühungen des Potentaten. Stattdessen wird er eher als erster Träumer einer Ritterromantik dargestellt denn als – wie konventionell und auch in der Wikipedia – „letzter Ritter“. Genüßlich wird etwa eine frühe Fassung seines (?) Ritterromans Theuerdank mit kitschigen Bildern gezeigt, und eben auch seine zu seiner Regierungszeit bereits klar anachronistischen Turnierrüstungen.

    Mir allerdings fiel besonders ein Exponat auf, das es wahrscheinlich nur wegen seiner Relevanz für Speyer in die Ausstellung geschafft hat:

    Foto eines großen, vergilbten Bogens Papier oder Pergament mit relativ wenig Text drauf.

    Dies ist ein Brief von Maximilian I an seine Untertanen in Speyer, dessen Inhalt letztlich wurst ist. Relevant ist die Form: Angesichts des damaligen Preises von Papier (oder Pergament – ich habe nicht geschaut, auf was da geschrieben wurde) ist der riesige leere Raum auf dem Schreiben das Äquivalent zum SUV von heute. Dieser Brief ist die Ansage, es komme nicht drauf an – was allerdings für Maximilian, der finanziell am Tropf der Fugger hing, ebenso eine Lüge war wie es das heute im Hinblick auf Lärm, Platz und CO₂-Budget für SUVs oder Autos im Allgemeinen ist.

    Wer will, kann die Ausstellung noch bis zum 16. April ansehen, wenn auch für erstaunlich viel Geld (ich glaube, ich habe etwas wie 18 Euro gesehen; wenn das wirklich so ist, amortisiert sich mein Museumspass mit atemberaubender Geschwindigkeit). Menschen, die das tun, sei zu einer Aftershow geraten. Sehr beeindruckend in Speyer ist jedenfalls die alte Mikwe gleich um die Ecke vom historischen Museum. Zusätzlich lohnt ein Besuch der Reliquienkammer im Dom rechts hinten. Die Mischung aus Befremden und Gruseln angesichts gefasster und im Goldrahmen aufgehängter Oberschenkelknochen (vielleicht von Heiligen anderer Zeiten, vielleicht auch nicht) ist unbezahlbar und dank katholischem Sponsoring auch umsonst.

    Nachtrag (2023-03-31)

    Wegen Eintrittspreisen hätte ich natürlich auch einfach auf der Webseite nachsehen können. Da steht nämlich, dass die 18 Euro die „Generationenkarte“ sind, die für bis zu fünf Menschen in passenden Altergruppen gilt. Der normale Eintritt sind neun Euro.

  • Die 5-Prozent-Hürde illustriert

    Geteiltes Bild: Links ein gammeliger, zwischen zwei Autobahn-Fahrspuren eingeklemmter Weg mit Fahrradfreigabe, rechts ein großzügiger, zweispuriger Fahrradweg, der in gebührendem Abstand von lärmenden Autos geführt wird.

    Hilft die 5%-Hürde beim guten Regieren? Fahrradwege entlang von Autobahnen als Test: Links die BRD mit 5%-Hürde, rechts die Niederlande ohne. Sucht euch aus, was ihr lieber hättet.

    Auch wenn ich beispielsweise die 5%-Hürde schon rein informationtheoretisch wirklich bitter finde, glaube ich eigentlich, dass das Wahlrecht etwa im Vergleich mit dem aktuell viel stärker bedrohten Versammlungsrecht für eine partizipative Gesellschaft relativ nebensächlich ist.

    Doch da bei Wahlrechtsdiskussionen hierzulande regelmäßig eher gefährlicher Unsinn vorgebracht wird wie etwa in Ramaz' Einwurf auf der taz-LeserInnenbriefseite vom 22.3.2023,

    Aus der Weimarer Zeit hat die BRD gelernt, das eine 5-Prozent-Hürde gesund für ein ordentliches Arbeiten ist,

    kann ich schon wieder nicht an mich halten.

    Nein, die Weimarer Republik scheiterte genausowenig an einem „zersplitterten“ Parlament wie an der Inflation. Ich darf mich aus dem verlinkten Post selbst zitieren, weil der Punkt so zentral ist in Zeiten, in denen reaktionäre und autoritäre Versatzstücke weit über das AfD-Milleu hinaus hegemonial sind:

    Die NS-Herrschaft war kein Unfall, keine Folge von „wachsender Zerrissenheit der Gesellschaft“ oder gar der bolschewistischen Sowjetregierung. Nein, sie war offensichtlich Folge der Tatsache, dass die Eliten der Weimarer Republik in Justiz, Polizei, Militär, Wirtschaft und zu guten Stücken auch Politik (nicht jedoch in der Kultur) in ihrer überwältigenden Mehrheit völkisch, nationalistisch, autoritär und jedenfalls rabiat antikommunistisch dachten. Sie teilten das NS-Programm – eingestandenermaßen fast durchweg mit weniger eliminatorischem Antisemitismus – von Anfang an. Das war und ist eine unbequeme Wahrheit für die Befreiten von 1945 und danach, die sich ja sehr häufig in der Tradition dieser Eliten sahen.

    Wer das illustriert sehen möchte, kann ein wenig über Alfred Hugenberg – nebenbei: Alumnus der Uni Heidelberg – nachlesen oder die Entscheidung des ersten Reichspräsidenten, Friedrich Eberts – nebenbei: Sohn der Stadt Heidelberg – erwägen, schon ganz am Anfang der Repulik lieber die protofaschistischen Freikorps die Spartakusaufständischen niedermetzeln zu lassen als mit letzteren zu versuchen, die Schaltstellen der Macht in der Weimarer Republik den Kaiserreich-und-danach-Fans zu entwinden[1].

    Oh, und alles rund um Emil Julius Gumbel herum – nebenbei: rausgeworfen von der Uni Heidelberg – ist ebenfalls sehr aufschlussreich im Hinblick auf die tatsächliche Genese der Herrschaft des NS-Faschismus.

    Nein: die 5%-Hürde ist keine „Lehre aus Weimar“. Sie ist schlicht Ausdruck einer autoritären Sehnsucht nach einer starken Regierung. Die kann mensch schon haben, ohne gleich Faschist zu sein. Nicht statthaft ist aber, eine Abneigung gegen die antipartizipative Regelung als „irgendwie Richtung Nazis“ zu diffamieren. Ausweislich des Aufmacherfotos gilt, wenn schon: Ohne 5%-Hürde macht Radfahren mehr Spaß. Also… vielleicht. Jaja, das ist schon ein kleines Sample, aber es ist immerhin schon größer als das, das die Geschichte von „mit 5%-Hürde wäre nichts aus der NSDAP geworden“ stützen könnte.

    Ich jedenfalls bleibe bei meiner Anti-5%-Parole von hier: Weniger und besser regieren ohne die 5%-Hürde.

    [1]Eine grundsätzliche Reduzierung von Machtausübung wäre natürlich noch besser gewesen, aber das ist von SozialdemokratInnen eingestandenermaßen nicht zu verlangen.
  • Gallische Dörfer, römische Klappmesser: Das Landesmuseum in Bonn

    Ich war seit gestern in anderer Sache in Bonn, hatte dabei aber Zeit für einen mittel-langen Blick in das „LVR LandesMuseum Bonn“. Das wollte ich gerne, denn erstens wusste ich, dass dort die Überreste des originalen Neandertalers liegen, und zweitens bin ich im Rahmen meines Römerfimmels schon einige Male auf „Original im LVR LandesMuseum Bonn“ (oder diverse Varianten der flamboyanten Schreibweise[1]) gestolpert.

    Tatsächlich habe ich von den Exponaten, die im Wikipedia-Artikel zum Museum erwähnt sind, nicht viel gesehen, denn die Leute bauen gerade eifrig um. Dafür bin ich aber auch umsonst reingekommen, und zumindest der Ur-Neandertaler war am Platz – die gefundenen Knochen ebenso wie eine rekonstruierte Figur.

    Letztere hatte nichts mehr von den gebeugten, haarigen Kreaturen, die noch vor wenigen Jahrzehnten das Neadertaler-Bild prägten. Der Steinzeitspeer in der Hand musste jedoch offenbar noch sein, obwohl doch Verbandszeug viel besser zur Befundlage passen würde. Der Ur-Neandertaler hatte nämlich ausweislich der nachgebliebenen Knochen 20 Jahre vor seinem Tod eine ziemlich schwere Armverletzung, und dass er danach so lange überlebt hat, wird als eindeutiger Beleg für Krankenversorgung und Fürsorge unter NeandertalerInnen gewertet.

    Eher noch beeindruckender fand ich aber die keltische Abteilung des Museums, in der Folgendes ausgestellt ist:

    Diorama eines Dorfes mit ca. 200 Fachwerkhäusern, einigen Gärten und Weiden sowie einer Umfriedung drumrum.

    Das ist nicht etwa ein Diorama des gallischen Dorfes von Asterix und Obelix. Nein, es ist ein Diorama, das die archäologischen Erkentnisse zum gallischen Dorf von Niederzier-Hambach reflektiert. Genauer war dort eine eburonische[2] Siedlung, die (vermutlich) im Rahmen der caesar'schen Angriffskriege im östlichen Gallien 54 bis 51 vdcE[3] aufgegeben wurde.

    Weil sie so prima in unsere Zeit passt, lasst mich kurz ein Destillat dieser Geschichte im Geiste meiner Betrachtungen zu Chios erzählen: Um 57 vdcE ließen die eburonischen Herrscher ihre Untertanen mit Caesars Truppen Belger abmetzeln. Doch schon zwei Jahre später empfanden sie das römische Winterlager irgendwo in der Nähe ihrer Hauptstadt („Atuatuca“; kein Mensch weiß heute mehr, wo das überhaupt war) als unerträgliche Kränkung nationaler Gefühle. Sie brachten also die Römer irgendwie dazu, aus ihrem Kastell auszurücken. Als sie das geschafft hatten, ließen sie ihr Militär angreifen, das, so Caesar, 10'000 römische Soldaten umbrachte.

    Die, ach ja, „Offensive“ erwies sich mittelfristig als unklug, denn Caesar konnte sowas nicht auf sich sitzen lassen. Er selbst bezichtigt sich im de bello gallico des, ach ja, „Genozids“. In den aktuellen Worten der Wikipedia:

    Die Einwohner wurden niedergemetzelt, die Gehöfte eingeäschert, das Vieh weggetrieben. König Catuvolcus starb durch Suizid (53 v. Chr.), König Ambiorix konnte mit knapper Not über den Rhein zu den Germanen entkommen. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Archäologisch lässt sich für die Zeit um 50 v. Chr. in eburonischen Siedlungen tatsächlich oftmals ein Siedlungsabbruch erkennen.

    Auch in der Darstellung im Landesmuseum werden Zweifel geäußert, ob nun die Römer die EburonInnen wirklich alle abgemurkst haben; der gute Zustand der Reste von Niederzier-Hambach und auch das Fehlen eines Brandhorizonts lassen vermuten, dass hinreichend viele EburonInnen klug genug waren, sich auf keine weiteren Kriegshandlungen einzulassen und schlicht davongerannt sind. Etwas in dieser Art schlägt auch der Bericht von Strabo vor, der so um die christliche Epoche herum von den Eburonen wieder als Verbündete Roms spricht. Dennoch: Bioarchäologisch ist nachweisbar, dass nach den römischen Feldzügen der Wald das eburonische Land zurückgewann. Oh Grusel.

    Wo gerade die Rede von Ambiorix war: Nicht nur die gallischen Dörfer sehen offenbar so aus wie halt gallische Dörfer, also die bei Uderzo und Goscinny. Die Leute scheinen auch so zu heißen. Ambiorix, Vercingetorix, Verleihnix. Im Landesmuseum gab es dazu eine These, die ich, so glaube ich, zuvor noch nicht gehört habe. Und zwar sei die Namensendung -rix eigentlich ein -rigs, was wiederum mit dem lateinischen Rex, König zu vergleichen sei. Ambiorix sei dann also „König der Ambiorer“, Asterix vielleicht „König der Sterne“. Obelix… oh, nee, ich mache jetzt keine Witze über mögliche Sprachfehler.

    Nach dieser Deutung kämen die zahlreichen auf -rix endenden Namen in der Überlieferung einfach daher, dass die klassische Geschichtswissenschaft im Wesentlichen von Königen und ihren Untergrobianen redet. Mir hingegen ist viel sympathischer der relativ neue Trend (ich linke dazu auf Arno Borst, 1925-2007) der Archäologie, das wirkliche Leben zu betrachten. Dabei können so (mich) verblüffende Ergebnisse herauskommen wie: Die Römer hatten Klappmesser. Nehmt etwa dieses her:

    Foto einer rostigen, gekrümmten Messerklinge, die in eine grob menschenähnliche Hülle geklappt werden konnte

    Das ist ein Fund aus dem Grab der „Schönen von Zülpich“, und die MuseumskuratorInnen wundern sich ein wenig, was wohl so ein Taschenmesser in einem Frauengrab macht. Ein wenig sexistisch fand ich das schon, in jeder Richtung; denn soweit ich das sehe – die Römer haben ihre Toten ja bis zur christlichen Machtübernahme durchweg verbrannt, so dass es kaum DNA-Evidenz geben wird –, wird die These des Frauengrabes im Wesentlichen nur durch Beigaben von Spiegel, Kamm und Cremes gestützt, die zumindest ausgehend vom modernen Befund durchaus auch von Männern genutzt werden.

    Und selbst wenn die Tote weiblich war, sind Taschenmesser wirklich recht unabhängig von Geschlechtszuschreibungen nützlich; stellt euch alleine mal vor, wie lausig die kaum gezüchteten Orangen der römischen Zeit zu schälen gewesen sein werden[4]. Nur, weil unser Patriarchat Frauen Klappmesser lieber vorenthält (schon dadurch, dass Frauenkleidung wenigstens vor dem Zeitalter großer Telefone meist keine messergeeigneten Taschen hatte), heißt das ja noch nicht, dass das römische Patriarchat das auch so gehalten hat.

    Jedenfalls: Dann und wann bin auch ich noch überrascht über den Stand der Technik in den römischen Provinzen. Das gilt vielleicht noch mehr für den Klappstuhl der „Priesterin von Borschemich“:

    Foto zweier Exponate: links ein Haufen rostiger Streben, links ein modern anmutender Klappstuhl.

    Das rostige Zeug links ist in einem Grab einer Anhängerin, vielleicht sogar einer Priesterin, einer der zahlreichen orientaloiden Kulte des kaiserzeitlichen Roms gefunden worden, und die Museumsleute haben mich davon überzeugt, dass das schicke Teil rechts eine zuverlässige Rekonstruktion des Originalzustands ist; wer vor Ort ist und das rostige Zeug genauer ansieht, dürfte, so erwarte ich, diese Einschätzung schließlich teilen.

    TIL: Die Römer hatten Campingmöbel. Vielleicht haben sie die zu kultischen Zwecken eingesetzt, aber vielleicht ist das bei uns auch nicht so viel anders.

    Zum Schluss muss ich etwas besorgte Kritik loswerden, und zwar an diesem Ausschnitt aus dem „Stammbusch“ des Menschen, der in der Nähe des Neandertalers zu finden ist:

    Foto eines Graphen mit dicken und dünnen Strichen zwischen menschlichen Schädeln: Ein dicker Strich verbindet Neandertaler und Homo sapiens sapiens, ein viel dünnerer Homo sapiens und Homo sapiens sapiens.

    Zunächst ist das schon ein wenig moderner als die Anno-Darwin-Anthropologie, denn die verschiedenen Homo-Arten mischen sich in diesem Bild zum modernen Menschen (der durchgezogene senkrechte Strich ganz rechts), und der Neandertaler steht nicht mehr als tumber, unterlegener, rausdarwinierter, toter Ast da. Das ist schön.

    Zumindest in eine möglicherweise nicht so schöne Ecke geht das allerdings im breiteren Kontext. Auf der grauen, oberen Fläche steht nämlich außerhalb des gewählten Ausschnitts „Europa“, auf der unteren, blasstürkisen „Afrika“. Und so könnten Menschen das als Teilrevision der in konservativen Kreisen immer noch gerne als kränkend empfundenen Out of Africa-Theorie ansehen. Jaja, so könnte mensch hier lesen, Homo sapiens ist schon in Afrika entstanden, aber zum ordentlichen Homo sapiens sapiens ist er erst geworden, als er es nach Europa geschafft hat und dort dem hellhäutigen Neandertaler zum letzten Schliff verholfen hat. Wenn das die Intention dieser Grafik sein sollte, würde ich erstmal (also: bis irgendwer sehr starke Belege bringt, dass die Homo sapiens, die seinerzeit aus Afrika ausgerückt sind, nicht schon fertige moderne Menschen waren) sagen: Nicht so schön.

    Die beeindruckende Animation der Ausbreitung der verschiedenen Homo- und Australopithecus-Arten während der vergangnen paar Millionen Jahre, die rechts von diesem Stammgebüsch an der Rückwand der Neandertaler-Halle läuft, gibt das dicke Linie-dünne Linie-Verhältnis in dieser Darstellung ebenfalls überhaupt nicht her. Dort ist pures Out of Africa zu sehen. Tatsächlich besiedeln (erobern?) in deren Darstellung moderne Menschen West-, Süd- und Ostasien, lange bevor sie sich ins kalte Europa wagen.

    Dennoch: das Landesmuesum in Bonn kann ich warm empfehlen, auch während der Umbauarbeiten. Ob mensch danach noch ohne Geld zumindest in die Dauerausstellung kommt: Das hätte ich wohl erfragen sollen. Habe ich aber nicht gemacht.

    [1]Ich will offen sein: ich könnte auf CamelCase und technokratisch-verbrandendes „LVR“ gut verzichten. Eigentlich hätte der originale Name, „Museum Rheinisch-Westfälischer Altertümer”, meine Stimme.
    [2]Caesar hat die Eburoner eingestandenermaßen als cisrheinische Germanen statt als Gallier bezeichnet, aber zu der Zeit waren Germanen ja auch gerade erst frisch erfunden, und es spricht extrem viel dafür, dass das schon eher so Asterix-Leute waren, angefangen beim Namen des einen ihrer Chefs. Nein, nicht Majestix, aber doch Ambiorix.
    [3]Vgl. diese Fußnote
    [4]Jaja, Orangen, die mensch schälen wollte, gelangten wohl erst über 1000 Jahre nach dem Tod der Schönen von Zülpich ins (dann ehemalige) Imperium Romanum. Aber vielleicht wollte sie ja Holzäpfel schälen, wenn die arme Seele schon keine Orangen hatte?
  • Die „Klima Arena“ in Sinsheim

    Interessant beleuchteter Museums-Innenraum mit ein paar Menschen und einem Themenglobus

    Es leuchtet und schimmert viel im Inneren der Hopp'schen „Klima Arena”. Der Themenglobus hat mir aber durchaus noch das eine oder andere beigebracht.

    Seit heute bin ich Inhaber eines Museumspasses und werde also in den nächsten 12 Monaten einige Museen in der weiteren Umgebung des Oberrheingrabens erkunden. Den Anfang machte heute (vielleicht relativ bescheiden angesichts der Konkurrenz) die „Klima Arena“ (jaja, Deppenleerzeichen. Ich kann nichts dafür), die sich in der Sinsheimer Hopp-Vorstadt befindet, also grob neben dem Stadion des lokalen Männerfußball-Bundesligavereins.

    Und so gleich mal ein heißer Tipp: Wenn ihr da hinwollt und es gerade beqeuem ist, steigt an der S-Bahn-Station Sinsheim-Arena aus. Das ist vielleicht etwas weiter als vom Hauptbahnhof aus, aber dafür bekommt ihr eine hautnahe Einführung in den Mobilitätsteil der Klimafrage, zunächst mit dem Technikmuseum und seinen glücklicherweise stillgelegten Überschalljets, dann durch die A6 und schließlich durch endlose Wege über Parkplätze für Fußballfans und SchwimmbadnutzerInnen, die, ihren Nummernschildern nach zu urteilen, teils über 100 km angefahren waren.

    Blick durch ein Gitter auf eine helle Beleuchtung eines Stadionrasens

    Die Wanderung zur „Klima Arena“ zeigt eine besonders bizarre Energieverschwendung: Hopps Fußballclub beleuchtet aus irgendwelchen Gründen seinen Rasen.

    Wie schon angedeutet: Hinter der „Klima Arena“ steckt Dietmar Hopp, der durch die Warenwirtschafts-Software von SAP reich geworden ist. Da vieles dafür spricht, dass SAP das Bruttosozialprodukt deutlich gedrückt hat (Beispiel), ist die Kombination aus Klimaschutz und Computerspielen vielleicht weniger exotisch als mensch meinen könnte.

    Dennoch überrascht nicht, dass sich die „Klima Arena“ schwer tut mit der Ansage, dass weniger Arbeit und auch dringend weniger Produktion der einzig aussichtsreiche und vernünftige Weg zu Klimaschutz ist; an eine auch nur beiläufige Erwähnung des Wortes „Kapitalismus“ in den zahlreichen Texten kann ich mich nicht erinnern. Ebenso erwartbarerweise ist alles voll mit großen Monitoren und Beamern, die zusammen gewiss den Strom eines mittleren Windrades schlucken werden. Klar spielt da die Verheißung von Wundertechniken eine erhebliche Rolle in verschiedenen Exponaten.

    Augenrollen lässt sich auch nicht vermeiden, wenn allerlei offensichtlich gescheiterte Politiken kritiklos dargestellt werden. Ein recht optimistisches Klimamodell etwa wird eingeführt mit diesem Text:

    Alle übrigen Treibhausgase verschwinden in gleichem Maße wie Kohlendioxid, da auch für sie Strafzahlungen geleistet werden müssen.

    Ganz falsch ist so eine Erwartung paralleler Entwicklungen von CO₂ und anderen Treibhausgasen nicht. Nur hat der Emissionshandel schon beim Kohlendioxid nicht für „Verschwinden“ gesorgt. Es hat noch nicht mal für eine erkennbare Verlangsamung der galloppierenden Zunahme gereicht in den Jahren seit Kyoto (1997: ca 23 Gt/yr; aktuell: um die 35 Gt/yr). Wie das Montreal-Protokoll zeigt, geht sowas durchaus auch anders, wenn mensch nicht auf einen Mumpitz wie Emissionshandel, sondern auf klare Regulierung setzt (und allen Göttern sei dank, denn ansonsten würden wir jetzt alle ein Abo auf Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 brauchen).

    Andererseits muss mensch nicht lange auf den interaktiven Videowänden rumtatschen, bevor mensch mit dem Rebound-Effekt bekannt gemacht wird (also: wenn wir effektivere Motoren bauen, verstärken wir die Panzerung der Autos und bauen Klimaanlagen ein, so dass wir am Schluss mehr statt weniger Sprit verschleudern). Eigentlich sollte sich danach all die Spekulation über technologische Wunder erledigt haben. Und wirklich spricht die „Klima Arena“ netto deutlich mehr über saisonales und regionales Essen als über Elektro-Flugtaxis.

    Tatsächlich habe ich ein paar Dinge gelernt, so etwa die Kopfzahl, dass ein Atomkraftwerk wie Phillipsburg I rund eine halbe Megatonne wiegt (und mithin auch so viel Krempel weggeschafft werden muss bis zur „grünen Wiese“). Mit der Kopfzahl 25 Tonnen pro Standardcontainer kann mensch abschätzen, dass rund 20'000 solche Dinger gebraucht würden, um den Schutt wegzuschaffen und zu lagern. Oder auch: ein AKW entspricht mengenmäßig dem Schwefeldioxid, das bei der Explosion des Hunga Tonga Hunga Ha'apai freigesetzt wurde (vgl).

    Ausschnitt eines Themen-Globus mit Ackerland-Bedeckung: die südliche Sahel-Zone ist sehr rot.

    An dem großartigen Globus, auf den mensch so circa 50 verschiedene Themenkarten projizieren und manipulieren kann, habe ich gelernt (vgl. Bild), dass im Süden der Sahelzone, im Norden von Nigeria eine Region äußerst dichten Ackerbaus liegt, so in etwa vergleichbar mit der Poebene. Ich hatte mir da bisher immer eher eine karge Steppe mit ein paar graszupfenden Ziegen vorgestellt. Was der Klimawandel dort anrichten wird, will mensch sich gar nicht vorstellen.

    Während mich der Globus hinriss, fand ich den „immersiven“ Film über eine Reise zum kaputten Amazonas-Regenwald im Jahr 2100 (oder so) in einer als Eisberg verkleideten Röhre aus vielleicht 100 großen Monitoren und Fußbodenrüttlern eher albern. Gewiss, die Kontrastierung von beeindruckenden Waldaufnahmen der Gegenwart mit einer simulierten Einöde nach dem Klimawandel mag das eine oder andere Herz rühren. Aber das Verhältnis von technischem Aufwand zu inhaltlichem Ertrag wirkt schon sehr dürftig.

    Das gilt noch mehr für ein in die Handlung reingezwungenes albernes Spielchen um eine Bruchlandung in Cape Canavaral (inklusive Palmen im Salzwasser). Wenn ihr keinen Wert auf Cringe legt oder enttäuscht wärt, wenn bei all dem Technik-Verheiz immer noch Tearing auf den Monitoren zu sehen ist: Spart euch diesen Teil der Ausstellung vielleicht eher.

    Während der Immersionstunnel noch als Folge von Ansagen des Hauptsponsors Richtung „macht mal ordentlich was mit Technik” durchgeht, fand ich einige völlig danebengegangene Visualisierungen unerklärlich. Hier zum Beispiel sollen die drastisch verschiedenen Wassermengen illustriert werden, die für die Produktion verschiedener Gemüse draufgehen:

    Foto von tropfenförmigen Gewisten mit Zahlen von 8 bis 1256 drauf, wobei die 8 vielleicht halb so groß ist wie die 1256.

    Zwischen acht und 1256 Litern liegt ein Faktor 150, und es ist für viele Menschen schon nicht einfach, sich klar zu machen, was das bedeutet (es ist so in etwa das Verhältnis zwischen dem Einkommen einer Putzkraft und eines Vorstandes in einem modernen Unternehmen…). Da hilft es nichts, wenn die Tropfen alle ungefähr gleich groß sind – das ist, im Gegenteil (sicher nicht beabsichtigte) Irreführung.

    Dieser Vorwurf geht tatsächlich eher an die noch von Theo Waigel ins Leben gerufene Deutsche Bundesstiftung Umwelt, in deren Sonderausstellung zu „planetaren Leitplanken“ dieses Exponat lag. Aber auch die Stammausstellung macht das nicht besser. Seht euch diese Visualisierung der Emissionen verschiedener Verkehrsträger pro Personenkilometer an:

    Übereinandergeschraubte Radreifen von Fernbus, Eisenbahn, Elektroauto, mit daraufgeschriebenen spezifischen Emissionen, die nichts mit der Größe der Räder zu tun haben.

    Es ist ja ein lustiger Gag, die (Rad-) Reifen verschiedener Verkehrsträger ins Museum zu stellen, aber wenn dabei 21 g/Pkm (der Fernbus, ganz unten) gigantisch groß aussiehen und 62 g/Pkm (das Elektroauto, 2. von oben) ziemlich klein, dann klappt das nur, wenn mensch viel Vertrauen in die Urteilskraft des Publikums hat. Und in dem Fall bräuchte es keine Museumspädagogik.

    Demgegenüber nimmt die Museumsgastronomie Thema und auch Nachricht der „Klima Arena” auf und ist immerhin ganz vegetarisch, wenn auch von den (in der Ausstellung durchaus empfohlenen) „regional und saisonal“ nicht viel zu schmecken war.

    Weniger zur Nachricht der Einrichtung passt, dass, wer sich den garstigen Anmarsch sparen und Bus fahren will, gut planen muss. Zumindest von der „Arena“ zum Hauptbahnhof zurück fährt zum Beispiel nichts zwischen 13:04 und 16:03. Dafür fährt gleich nach Museumsschluss um 17:00 ein Bus in ein paar Minuten zum Sinsheimer Bahnhof, wo schon der Zug nach Heidelberg steht. Insofern ist schon bemerkenswert, dass wir die einzigen waren, die diesen Weg gewählt haben. Also: das Thema der Ausstellung bedenkend, jetzt.

  • Postkarten schreiben gegen monströse Drohungen

    Foto: Leicht aufgefächerte Postkarten der Kampagne „Raus aus dem nuklearen Wahnsinn“

    Wer dann und wann mal dieses Blog liest, wird wahrscheinlich schon gestolpert sein über einen der (bisher sechs) Links auf meine zornige Schrift wider die moströse Drohung, die Städte des Feindes einzuäschern, besser bekannt unter dem weit harmloser klingenden Titel „nukleare Teilhabe”.

    Tatsächlich: der einzige militärisch plausible Zweck von Atombomben ist das millionenfache Töten der gegnerischen Stadtbevölkerung[1]. Daher bin ich so empört, dass unsere Regierungen wild an der Mitverfügung über diese Waffen festhielten und -halten. Nach dem Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrag vor etwas mehr als zwei Jahren könnte mensch übrigens an dieser Stelle durchaus die derzeit so populäre Vokabel „völkerrechtswidrig“ anbringen (auch wenn ich „monströs“ eigentlich angemessener finde).

    Nichts, schon gar nicht die nukleare Massenvernichtung der eigenen Bevölkerung – an der die Vernichtung der gegnerischen Bevölkerung überdies auch nichts mehr ändern würde –, kann diese Sorte ultimativer Gewalt rechtfertigen. Selbst die Drohung damit verlässt jedes hinnehmbare Ausmaß von Schurkigkeit, von den praktischen Gefahren solcher Drohungen ganz abgesehen. Das ist noch einmal eine ganz andere Liga gegenüber der selbst schon nicht so ganz harmlosen Logik des „wenn die Russen schießen, dürfen wir das auch“.

    Deshalb bin ich den Leuten von Ohne Rüstung Leben so dankbar für die Kampagne Raus aus dem nuklaren Wahnsinn. Teil davon ist insbesondere, Postkarten an Olaf Scholz zu schicken, die ihm nahelegen, doch bitte endlich diesen Teil von basaler Ethik und Völkerrecht anzuerkennen und das Beitrittsverfahren zum Atomwaffenverbotsvertrag einzuleiten. Eine so zentrale Frage ist kein Spielball für Bündniserwägungen und Realpolitik, und sie ist Grund genug für mich, meine fundamentale Skepsis gegenüber petitionsähnlichen Aktionsformen zu überwinden.

    Ich habe gestern meine Karte losgeschickt, und ich habe auch noch ein paar weitere davon. Wenn ihr eine abschicken wollt und irgendwo in Heidelberg, Schriesheim oder Ladenburg wohnt, bringe ich euch gerne eine vorbei – schreibt mir einfach geschwind eine Mail oder nehmt das Feedback-Formular.

    Keine Angst, solches Feedback veröffentliche ich nicht…

    [1]Das sage nicht nur ich, das sagt insbesondere auch Daniel Ellsberg, der es als ehemaliger Nuklearplaner bei der RAND Corporation aus erster Hand weiß. Wenn ihr in der Hinsicht irgendwelche Zweifel habt, schuldet ihr es den Menschen der Zukunft, jetzt gleich Ellsbergs The Doomsday Machine zu lesen.
  • Deutsch- und Abendland: Vaterlandslosigkeit leider nicht in der taz

    Foto: Jemand hält ein handgeschriebenes Pappschild „Töten fürs Vaterland?  Scheiße.  Immer.  Überall.“

    Mit diesem Pappschild stehe ich derzeit öfters bei den Kundgebungen von „Heizung, Brot und Frieden“ (z.B. nächster Montag). Tatsächlich bin ich überzeugt, dass der Kampf gegen Patriotismus oberhalb der Ebene von Blockseiten durch 2%-Ziele und Haubitzendiskussionen nochmal einen Schwung Priorität gewonnen hat.

    Am letzten Montag erschien in der taz ein Kommentar von Jan Feddersen zum Schwarzer-Wagenknecht'schen „Manifest für den Frieden“ mit dem pompösen Titel „Ruiniertes Lebenswerk“. Auf die Gefahr hin, wie ein zorniger Zeitungsleser zu wirken: Ich fühlte mich aufgerufen, dazu einen Leserbrief unter dem Titel „Ruinierter Kommentar“ zu schreiben. Jedoch…

    …nicht, weil Feddersen ohne erkennbare Skrupel voraussetzt, es sei in Ordnung, Menschen zu erschießen, solange nur „die anderen angefangen haben“. Wenn ich jeweils sowas kommentieren wollte, müsste ich auch jetzt noch in eine dickere Internetverbindung investieren.

    …nicht, weil Feddersen unterstellt, Waffenlieferungen – und gar aus Deutschland – könnten irgendwo „helfen“. Dabei jeweils eine Perspektive zu geben von dem, was Bomben, Gewehre, Streubomben und Haubitzen in Wirklichkeit anrichten, und wie sehr ihr „Einsatz” in den realen Kriegen der letzten 500 Jahre jeweils geschadet statt geholfen hat (zumal im Vergleich zu späterem politischen und noch besser sozialem Umgang), wäre zwar auch jetzt gerade verdienstvoll, doch nicht unterhalb eines Vollzeitjobs hinzubekommen.

    …nicht, weil Feddersen die schlichte Wahrheit, dass Staaten auch dann wiederauferstehen werden können, wenn sie mal überrannt wurden, erschossene Menschen aber nicht[1], als obszön, trist oder Folge von „nicht mehr alles beisammen“ bezeichnet. Es hilft ja nichts, wenn sich Leute die Vorwürfe, obszönes, trauriges oder wirres Zeug zu reden, gegenseitig um die Ohren hauen. Das sind größtenteils Geschmacksfragen und mithin argumentativ nicht zu entscheiden[2].

    …nicht, weil er einem Staat oder „Volk“ so viel Identität zuspricht, dass er oder es ein Selbst habe, dem es zu helfen gelte (und zwar durch Intensivierung des Tötens realer Menschen). Dagegen hat schon Brecht gepredigt, und der Erziehungauftrag, statt „Volk“ einfach mal „Bevölkerung“ zu sagen und zu denken, wird auf unpatriotischere Tage warten müssen.

    …noch nicht mal, weil er eine Parallele zwischen dem heutigen Russland und dem Deutschland unter der Regierung der NSDAP zieht. Das ist zwar speziell von einem Deutschen, der vermutlich nicht viel mehr als 25 Jahre nach der Befreiung von dieser Regierung geboren wurde, schon sehr schlechter Geschmack, aber, ach ja, wenn ich Willy Brandt seinen schönen Ausbruch „Er ist ein Hetzer, der schlimmste seit Goebbels”[3] nicht verübele, hätte ich irgendein „seit dem 24.2.2022 wird zurückgeschossen“ schon noch weggelächelt.

    Nein, was auch nach den eingestandenermaßen schon heruntergekommeneren Maßstäben der Zeitenwende immer noch nicht geht, ist, die Höhepunkte der deutschen Kriegs- und Massenmordzüge unter der NS-Regierung irgendwie in Relation zu setzen zu heutigen Handlungen, schon gar von den RechtsnachfolgerInnen derer, die diesem Treiben damals wesentlich ein Ende gesetzt haben.

    Tatsächlich hat die taz am vergangenen Mittwoch (nach „Meinungsfreiheit“ suchen) auch einen Platz für den antifaschistischen Teil meines Leserbriefs gefunden. Da sich aber für den vaterlandslosen Teil kein Platz fand und ich auch diesen für wichtig und, wenn ich das selbst sagen darf, gelungen halte, will ich euch die Vollversion nicht vorenthalten:

    Ruinierter Kommentar

    Jan Feddersens Kommentar über einen Aufruf zu Verhandlungen im Ukrainekrieg wäre „selbstverständlich durch das hohe Gut der Meinungsfreiheit“ gedeckt, wie er sagt, wäre da nicht der letzte Satz, der Russlands Agieren in der Ukraine mit dem Nazi-Wüten gegen das Warschauer Ghetto gleichsetzt. Warum das grundsätzlich nicht geht und für Deutsche schon zwei Mal nicht, haben Nolte, Habermas und Stürmer 1986/87 abschließend geklärt (Wikipedia: Historikerstreit).

    Anstandsfragen beiseite: auch rein praktisch würde ein durchaus zulässiger Vergleich zum ersten Weltkrieg einiges an Verwirrung aufklären können. Es lohnt sich, die damaligen Attacken der Verfechter eines Siegfriedens nachzulesen[4], die vaterlandslosen Gesell_innen vorhielten, sie wollten, je nach Geschmack, das idealistische Deutsch- oder gleich das Abendland an, je nach Geschmack, das materialistische Albion oder die barbarischen Horden aus der asiatischen Steppe verfüttern. Welche Seite scheint aus heutiger Sicht attraktiver?

    —Anselm Flügel (Heidelberg)

    Geständnis: In der Einsendung hatte ich die antipatriotische Vorlage „Deutsch- oder […] Abendland“ übersehen und nur „Deutschland oder […] Abendland“ geschrieben, was eingestandenermaßen die literarische Qualität erheblich beeinträchtigt. Bestimmt hätte die taz das ganz abgedruckt, wenn ich da nur rechtzeitig dran gedacht hätte…

    Nachtrag (2023-02-27)

    Ein paar Tage später kam die taz übrigens mit einer Art Kundenbindungs-Massenmail rüber, in der Sie wörtlich schrieben:

    Sie muten sich mit der Zeitungslektüre jeden Tag Nachrichten und Meinungen außerhalb Ihrer so genannten Komfortzone zu. Wie halten Sie das nur aus? Wir wissen es nicht.

    Ach – wenn es nur um die Komfortzone ginge… Derzeit allerdings sind die Fragen: Beschleunigte Remilitarisierung der deutschen Gesellschaft? Oder können wir das der Welt doch noch eine Weile ersparen? Dass die Antworten für unsere Nachbarn weit mehr als Komfortverluste bedeuten, das zumindest sollten wir aus dem 20. Jahrhundert mitgenommen haben.

    [1]Es sei denn, Jesus käme vorbei und schöbe massiv Überstunden. Aber soweit ich das übersehe, ist das zumindest innerhalb der letzten 10'000 Jahre nicht passiert.
    [2]Na gut, das mit dem „wirr“ lässt sich im Prinzip schon entscheiden, aber nur, wenn mensch sich darüber einigt, ob die in der Fußnote eben erwähnte Jesus-Option irgendwie realistisch ist. Und das lassen wir mal lieber, denn nur der Patriotismus hat zu noch mehr blutiger Uneinigkeit geführt als die Jesus-Frage.
    [3]Ca. 1985 in einer Nachwahl-„Elefantenrunde“ über den späteren Stuttgart 21-Vermittler Heiner Geißler.
    [4]Ergänzung fürs Blog: Ich denke da insbesondere an Lenard vs. Einstein.
  • Digitalisierung ist: Auf dem kalten Bahnsteig warten

    Foto: Ein Zug steht mit geschlossenen Türen auf dem Bahnsteig, etliche Menschen in verschiedenen Stadien der Verwirrung davor.

    Digitalisierung live: Menschen stehen am kalten Bahnsteig vor einem geheizten Zug. Immerhin scheint die Sonne, so dass die Digitalisierung immerhin etwas für die Vitamin D-Versorgung der Fahrgäste tut.

    Heute, so gegen Neun, im Heidelberger Bahnhof: Der seit dem letzten Fahrplanwechsel dankenswerterweise stündlich und an sich flott pendelnde Regionalexpress nach Karlsruhe fährt ein, Leute steigen aus, Leute steigen ein. Ich habe mich gerade auf dem Sitz zurechtgeruckelt, als eine Durchsage kommt (etwas paraphrasiert):

    Sehr geehrte Fahrgäste, bitte steigen Sie noch einmal kurz aus. Dieses Fahrzeug muss neu gestartet werden.

    Allgemeine Verblüffung. Tatsächlich steigen aber alle aus; Digitalisierung ist ja inzwischen allgegenwärtig. Und so stehen wir auf dem kalten Bahnsteig, während der Zug dann und wann piept, schnauft und blinkt.

    Minuten vergehen. So etwa zur planmäßigen Abfahrtszeit ist der Reboot fertig, wir können wieder einsteigen. Leider fährt der Zug aber immer noch nicht. Muss erst noch die grafische Oberfläche starten? Mit 12 Minuten Verspätung setzt er sich dann doch in Bewegung, und ich werde milde nervös, denn ich soll eigentlich in Karlsruhe den TGV erwischen. Umsteigezeit 9 Minuten. Abenteuer Bahn.

    Ich warte jetzt nur auf eine Durchsage: „Dieser Zug hat derzeit eine Verspätung von 15 Minuten. Grund dafür ist ein Neustart des Fahrzeugs.“ Das wäre immerhin eine nette Abwechslung von „Personen im Gleis“ oder „Verzögerungen bei der Bereitstellung“.

    Warum genau wollten wir nochmal diese Digitalisierung haben?

  • Ach Bahn, Teil 11: Wenn Geschenke schlechte Laune machen

    Eine Papier-Fahrkarte auf dem Bezug von Nahverkehrssitzen in den Bahn

    Sieht zwar digital aus, funktioniert aber und geht schnell: Eine Fahrkarte aus dem Automaten auf den weichen Polstern der Nahverkehrs-Bahn.

    Die Bahn verschickt ja dann und wann mal Gutscheine über einige Euro, einzulösen für Fahrkarten innerhalb eines relativ knappen Zeitraums. Ich zum Beispiel habe gerade einen über 15 Euro, der bis zum 30.11. wegmuss – und ich kann ihn nur einlösen, wenn ich über 50 Euro verfahre. Viele Gelegenheiten dafür gibts bei mir nicht mehr.

    Leider würde dieser Gutschein nur auf der Webseite der Bahn funktionieren, also weder am Automaten noch gar am Schalter. Das war früher (wie in: bevor man „Digitalisierung“ machen musste) kein schlimmes Problem. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich für 15 Euro in Einzelfällen durchaus bereit bin, meine natürliche Abneigung gegenüber Marketing zu überwinden.

    Digitalisierung ist, wenn Menschen, die keinen Bock drauf haben, Computer verwenden müssen.

    Inzwischen jedoch hat sich die Bahn digitalisiert. Digitalisierung ist, ich habe schon mal drüber geschrieben, wenn alles außer Werbung und Ausforschung kaputt ist. Jedenfalls, bis mensch es einmal aus- und wieder eingeschaltet hat. So auch heute bei der Bahn, nur, dass ich die nicht powercyclen kann.

    Um halb neun versuche ich zum ersten Mal zu buchen. Ich muss ein hCaptcha mit „Tassen mit Kaffee“ lösen. Ich füge mich: Für 15 Euro mache ich ein Mal sogar so einen Scheiß. Nach erfolgreichem Lösen (ob das wirklich immer Kaffee war in den Tassen? Wer weiß?) bekomme ich aber nur ein „429 Too Many Requests“ von der Bahn.

    Ich fluche und verfluche das giftige Geschenk der Bahn, zumal ich schon ahne, was kommt, wenn ich einen Reload mache. Klar: ich bekomme das nächste Captcha. Libellen. 7 Euro 50 pro gelöstem Captcha sind allmählich schon unterhalb der Grenze meiner Käuflichkeit. Wird aber sowieso nichts, denn „429 Too Many Requests“.

    Um den Zorn auf das Bahn-Management etwas abkühlen zu lassen und den Computer-Leuten der Bahn etwas Zeit zu geben, den Mist geradezuziehen, beschließe ich, das um 11 Uhr nochmal zu probieren.

    Digitalisierung ist, wenn es Werbung zeigt und dann abstürzt.

    Ich lese meine Mails. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, denn die Bahn schreibt:

    Subject: Aktualisieren Sie Ihr Konto

    Ihr Administrator hat soeben beantragt, dass Sie Ihr Deutsche Bahn-Konto aktualisieren, indem Sie folgende Aktion(en) ausführen: requiredAction.CONFIGURE_TWO_FACTOR_AUTH. Klicken Sie auf den untenstehenden Link, um diesen Prozess zu starten.

    https://accounts.bahn.de/auth/realms/db/login-actions/action-token?key=<691 byte base 64>

    Wie bitte? Wozu soll ich mich Zwei-Faktor-authentifizieren, wenn ich nicht mal ohne so Klimbim reinkomme? Warum bitteschön soll ich zum Fahrkartenkauf in Zukunft ein Telefon brauchen, das mir Anweisungen gibt, welche Zahlen ich in einen Computer zu tippen habe, damit die Bahn sich herablässt, mein Geld zu nehmen?

    Es geht hier ja wirklich nicht um Fort Knox oder die Codes der Atombomben in Büchel, sondern allenfalls darum, dass mal wer auf meine Kosten Zug fahren könnte. Das Risiko dafür schätze ich übrigens nach 20 Jahren elektronisch gekauften Bahnfahrkarten als im Wesentlichen verschwindend ein, um so verschwindender, als die Bahn ja noch nicht mal bona fide-KundInnen online Karten verkauft. Jedenfalls nicht mir.

    Und dann, ganz ehrlich, Bahn: Ihr kriegt ja nicht mal mehr eure normale Infrastruktur auch nur ansatzweise auf Reihe. Wie könnt ihr da irgendeine Hoffnung hegen, etwas wie 2FA so hinzubekommen, dass das nicht nur bei Neumond und Nipptide tut, was es soll?

    Digitalisierung ist, wenn alles außer Werbung und Ausforschung kaputt ist.

    So ist auch das Ende der Geschichte absehbar. Ich bereue, dass ich keinen Screenshot gemacht habe. hCaptcha ist weiter online, aber offensichtlich im Spott-Modus: Kaninchen am Strand. KANINCHEN AM STAND?!? Solche Witze finde ich nicht lustig, wenn ich gerade merke, dass ich für fünf Euro pro Runde Tassen, Libellen und Kaninchen am Stand angeklickt habe. Au weia. Baisse an der Börse, auf der meine Würde gehandelt wird (einschlägiger Dilbert-Strip).

    Die Pointe war wenig überraschend, dass auch das wieder nur auf ein 429 Too Many Requests führte. Am Bahnhof hingegen hatte ich meine Fahrkarte am Automaten in ungefähr einer Minute, ganz ohne Captcha und 2FA, und ganz ohne Versuchung, irgendeinen Marketingquatsch mitzumachen.

    Ich war schon ein fanatischer Feind der Digitalisierung (also: Menschen, die keinen Bock drauf haben, müssen Computer verwenden), sobald sie wer erfunden hatte. Mein Fanatismus hat heute morgen viel Nahrung bekommen. Und nein, nur weil der Fahrkartenautomat einen Computer hat und seine NutzerInnen gelegentlich demütigt, ist er noch lang keine Digitalisierung; dafür funktioniert er zu zuverlässig, schnüffelt zu wenig und verlangt nicht von mir, Code von ihm unbesehen auf meinem Computer laufen zu lassen.

    Vielleicht fängt er an, Digitalisierung zu sein, wenn er erstmal Werbespots zeigt, bevor er Karten druckt. Und dabei abstürzt.

  • Hart durchgreifen gegen Aggressoren?

    CDU-Wahlplakat mit Slogan: "Hart durchgreifen"

    1999 zeigte sich die hesssische CDU ganz besonders autoritär. Das Plakat warb um Stimmen bei der Landtagswahl am 7.2.1999, kurz vor dem Überfall auf Restjugoslawien, um den es ab hier gehen soll (CC-BY-SA KAS).

    Glücklicherweise ebbt die patriotische Aufwallung vom Frühling des Jahres allmählich ab, und selbst die kommerzielle Öffentlichkeit scheint sich, wenn auch nur in glazialem Tempo, auf die Einsicht zu besinnen, dass das Töten von Menschen nur zu mehr Gemetzel führt. Dennoch ist die Ansicht, der Aggressor müsse auf jeden Fall ordentlich bestraft werden, bevor mensch mit dem Töten aufhören könne, immer noch alarmierend häufig zu lesen.

    Mal die Frage beiseite, ob „der Aggressor“ selbst im Ukrainekrieg so sicher zu bestimmen ist: Das ist natürlich ein ganz massives Nachgeben gegenüber der autoritären Versuchung. Die Fantasie, mit Gewalt und Strafe Verhalten anderer gestalten zu können, funktioniert schon im Strafrecht allenfalls so la-la, obwohl der Staat verglichen mit jenen, die er seiner Disziplin unterwerfen will, praktisch unbegrenzte Gewaltmittel hat. Der Plan, den Umgang von ja innerhalb von ein paar Größenordnungen gleichstarken Staaten[1] gewaltförmig zu zivilisieren, ist hingegen von vorneherein ein Rezept für endloses Blutvergießen.

    Als Bewohner der Bundesrepublik Deutschland bin ich tatsächlich ziemlich froh, dass es diese Sorte Strafgericht zwischen Staaten nicht gibt (mal von Rechtfertigungsreden für Krieg und Waffenlieferung abgesehen), denn ich habe keine Lust, für die diversen Angriffskriege meiner Regierungen und ihrer Freunde bestraft zu werden, um so weniger, da ich über die Jahre gegen sie alle angekämpft habe.

    Beweismittel: Ein Bericht der OSZE

    Ein besonders schlagendes Beispiel für strafwürdiges Verhalten liefert der erste ordentliche[2] Angriffskrieg der BRD-Geschichte, der Angriff auf das ohnehin schon gerupfte Restjugoslawien im Jahr 1999. Das Rationale damals war, es müsse dringend „ein neues Auschwitz verhindert werden“ (so Außenminister Josef Fischer). Parallelen zum heutigen Bullshit von der „Entnazifizierung der Ukraine“ dürfen gesehen werden; und klar ging es in beiden Fällen in Wirklichkeit darum, Klientelregimes der jeweiligen Gegenseite – die Milošević-Regierung von Restjugoslawien für Russland damals, die Seliniski-Regierung für „uns“ heute – zu schwächen oder idealerweise gar zu stürzen. Nebenbei: die weitere Geschichte des serbischen Staates lässt ahnen, dass diese Sorte gewaltsamen Regime Changes in der Regel nicht so richtig toll funktioniert.

    Wie dünn die Geschichten mit dem zu verhindernden „Auschwitz“ und den Hufeisenplänen waren, war damals genauso klar wie es die Schwächen der öffentlich beteuerten Kriegsgründe auf allen Seiten heute sind. Insbesondere stand während des gesamten Kosovokriegs auf der Webseite der OSZE der Bericht einer Beobachtermission, die bis kurz vor „unserem“ Angriff die Dinge im Kosovo im Auge behielt (Backup als PDF).

    Ich möchte hier ein paar Ausschnitte aus diesem Bericht vorstellen, um zu zeigen, wie sehr „wir“ damals Aggressor waren und wie fadenscheinig die Vorwände für den Überfall.

    Während der Umfang der militärischen Auseinandersetzungen im Februar abgenommen hat, setzte die UCK ihre Angriffe auf die serbische Polizei fort. Das umfasste isolierte Zusammenstöße und sporadisch Schusswechsel, zeitweise auch den Einsatz schwerer Waffen durch die Jugoslawische Armee.

    Also: keine Frage, da haben Leute aufeinander geschossen, aber das war dennoch klar ein Guerillakrieg von Freischärlern[3] und mitnichten irgendein „Vernichtungsfeldzug“ im Stil der deutschen Armee der 1940er Jahre. Das war nicht die gleiche Liga, das war nicht das gleiche Stadion, das war nicht mal die gleiche Sportart – eine Feststellung, auf die ich übrigens auch im Hinblick auf die aktuellen Kämpfe Wert lege.

    Polizei im Schwarzenegger-Stil

    Sehen wir mal an, wie das konkret aussah:

    Am 20. Januar [1999] endete eine polizeiliche Durchsuchung im Gebiet von Mitrovica in einem Schusswechsel und dem Tod von zwei UCK-Mitgliedern. Der Zwischenfall wurde von der OSZE-Mission durchgehend beobachtet. Die Polizei umstellte zwei Häuser und forderte die BewohnerInnen auf, sich zu ergeben. Diese reagierten mit Feuer aus Kleinwaffen. Eine Vermittlung durch die OSZE-Mission scheiterte, als die BewohnerInnen das Feuer mit panzerbrechenden Raketen eröffneten. Die Polizei antwortete mit Flak-Feuer. Die Leichen von zwei UCK-Kämpfern wurden gefunden. Es wurde geschätzt, dass 10 weitere BewohnerInnen geflohen waren.

    Ich gebe zu: Wenn die Polizei mit Flak-Geschützen rumfährt, ist klar was nicht in Ordnung. Aber wenn sie das tut, weil irgendwer mit Panzerfäusten auf sie schießt, ist gleichzeitig offensichtlich, dass mehr Waffen und mehr Rumballern die Situation gewiss nicht verbessern werden. Übrigens finde ich recht beeindruckend, dass da 10 Leute trotz Polizeiflak davongekommen sind. Ich will im Angesicht von Flak lieber nicht von verhältnismäßigem Einsatz von Gewalt sprechen, aber verglichen mit so manchem Waffengebrauch der deutschen Polizei müssen die damals den Abzug eher verhalten bedient haben.

    Bemerkenswert ist ebenfalls, dass das offensichtlich wie eine recht normale Polizeiaktion anfing, so mit Umstellen und Durchsagen und allem. Zum Vergleich, wie sowas in einem „richtigen“ Krieg aussieht (wohlgemerkt: immer noch kein „Vernichtungskrieg“), sei der Artikel Fallujah during the Iraq War aus der englischsprachigen Wikipedia und einige der verlinkten Quellen empfohlen; diese Lektüre hilft übrigens auch beim Nachvollziehen der Genese eines Zivilisationbruchs vom Kaliber des IS.

    Parenthetisch kann ich bei der Alliteration von Polizei und Panzerfaust nicht anders, als genüsslich §69 des Polizeigesetzes Baden-Württemberg zu verlinken.

    Terroristen!

    Aber weiter im OSZE-Bericht:

    Die UCK hat am 22. Januar fünf alte serbische ZivilistInnen aus Nevoljane (westlich von Vucitrn) entführt. Sie teilte der OSZE-Mission mit, dass die Geiseln an die OSZE übergeben würden, wenn die Polizei ihre Arbeit in der Gegend von Vucitrn einstellen würde […] Die OSZE-Mission hat die Entführung dieser ZivilistInnen mit Nachdruck als einen Akt des Terrorismus verurteilt.

    Eingestanden: anständige Leute sagen nicht Terrorismus. Aber da das nun mal Politprofis waren, die damals die Dinge im Kosovo begutachteten, sei ihnen die Gaunersprache gegönnt. Wichtiger für die Frage der Legitimation unserer Aggression ist jedoch: Diese Sorte von Entführen und Erpressen ist auch nicht gerade das, was mensch unmittelbar vor dem „Auschwitz“ von Außenminister Fischer erwarten würde.

    Unterdessen gab es tatsächlich eine Ecke, in der die UCK richtig Krieg gespielt hat:

    Am 28. und 29. Januar gab es Berichte über Mörser-, Panzer- und Maschinengewehrfeuer südlich von Podujevo in Richtung des Dorfes Kisela Banja. Es gibt keine Berichte über Opfer, jedoch wurden in der Gegend zahlreiche Personen auf der Flucht beobachtet. Der fortgesetzte Stellungskrieg zwischen UCK und den Sicherheitskräften in diesem Gebiet, in dessen Rahmen beide Seiten Gräben gezogen und Stellungen vorbereitet haben, war über den gesamten Berichtszeitraum hinweg besonders besorgniserregend. […] Die OSZE-Mission hat gegen die Verletzung der Waffenstillstandsregeln durch beide Seiten protestiert.

    Der Punkt hier ist: es war nicht etwa so, dass die jugoslawische Armee im Falluja-Stil durch die Dörfer gezogen wäre und Kram kaputt gehauen hätte. Nein, es gab einfach ein Widerstandsnest, das sie nicht haben erobern können. Angenommen, irgendwelche Radikalkurpfälzer würden sich am Heidelberger Schloss…

    Foto: das Heidelberger Schloss mit wilden Wolken

    …verschanzen: wie würde wohl die Regierung in Berlin reagieren? Ich denke, auf diese Frage konnen wir Antworten aus der Geschichte bekommen.

    Mafia-Methoden

    Zurück ins Restjugoslawien des Jahres 1999:

    Die Gewalt in den Städten hat im Februar stark zugenommen. Pristina, Mitrovica, Pez, Urosevac haben alle derartige Zwischenfälle erlebt. In ihnen wurden fünf Menschen getötet und mehr als ein Dutzend verletzt. Im schlimmsten dieser Fälle wurde am 6. Februar eine Bombe außerhalb eines kleinen albanischen Ladens in Pristina gezündet. Sie tötete den Besitzer und zwei PassantInnen, darunter eine Teenagerin.

    Es gab weitere Berichte, wie die UCK „polizeiliche“ Gewalt unter den AlbanerInnen ausübte und Strafmaßnahmen durchführte gegen Personen, die der Kollaboration mit den Serben beschuldigt wurden […] Die meisten Opfer waren gut ausgebildete Männer, von serbischer Seite beschrieben als „loyale Bürger von Serbien“. Sie wurden durch Schüsse in den Kopf getötet.

  • Ach Bahn, Teil 10: Textbausteine machen schlechte Laune

    Zu den universellen Erfahrungen des dritten Jahrtausends gehört ganz gewiss die Frustration nach Kontakt mit kommerziellem Kundendienst jeder Art. Das ist besonders bitter, wenn mensch das Niveau im Free Software-Bereich gewohnt ist: Bei fast allen Problemen und Wünschen, die ich zu Freier Software hatte, kam zumindest eine sinnvolle Reaktion, häufig auch rasch eine Lösung.

    Ganz anders im kommerziellen Bereich. Als neulich mein Rezept für Internet via Telefon nicht mehr funktionierte (im o2-Netz wiederverkauft von WinSIM), kamen auf zwei schriftliche Supportanfragen jeweils zwei zusammengeklickte Antworten, die offensichtlich nicht auf meine Anfragen eingingen und folglich auch komplett nutzlos waren. Ich wollte eigentlich schon an dieser Stelle empört darüber ranten, als nach einer verzweifelten telefonischen Anfrage tatsächlich eine nützliche Antwort mit einer vernünftigen Erklärung kam – gut genug, dass ich gelegentlich mal separat darüber bloggen will. Danach war ich zu versöhnt für einen Rant.

    Nun aber wieder die Bahn. Im September bekam ich nach einer Captcha-und-too-many-requests-Zumutung (Rant am Fediverse) auch noch zwei seltsame Mails von der Bahn, die in etwa so aussahen:

    Date: Wed, 21 Sep 2022 19:13:43 +0000 (GMT)
    From: DB <noreply@deutschebahn.com>
    To: msdemlei@fsfe.org
    Subject: Verify email
    
    Someone has created a Deutsche Bahn account with this email address.
    If this was you, click the link below to verify your email address
    
    https://accounts.bahn.de/auth/realms/db/login-actions/action-token?key=eyJhbGciO<ungefähr-1k-base64>-<vielleicht-eine-checksumme>&client_id=fe_esuite&tab_id=cY2rW_Q_7wc
    
    This link will expire within 15 minutes.
    
    If you didn't create this account, just ignore this message.
    

    Eine sehr nach fishing aussehende Mail mit genug Binärsoße, um ein halbes Betriebssystem drin unterzubringen? Auf Englisch von der deutschen Bahn? Und dann noch ohne CSS-Müll im Text? Das schien mir extrem verdächtig, aber auch genauere Untersuchung brachte keine Anzeichen für eine Fälschung zutage. Andererseits war der Bahn-Server ja vorher offensichtlich kaputt gewesen. Vielleicht war er ja insgesamt von Parteien übernommen, die mir noch übler wollen als die Bahn?

    Von solchen Fragen bewegt habe ich es mal wieder mit dem Bahn-„Kundendienst“ versucht. Folgendes habe ich noch am 21. September geschrieben:

    Liebe Mitarbeiter/in der Bahn,

    Kontext:

    Ich hatte heute schon wieder ganz großartige "User Experience" beim versuchten Fahrkartenkauf -- nicht nur musste ich mal wieder ein Captcha lösen (was ich offen gestanden für die Ursünde der UX halte), ich kam nach der Lösung unmittelbar auf eine nginx-Fehlerseite mit einem schlichten "too many connections". Der Back-Button führte auf noch ein Captcha.

    Gäbe es eine Alternative für den Online-Kauf von Fahrkarten, ich wäre jetzt dort. So, wie es ist, bin ich dankbar für Fahrkarten-Automaten.

    Das eigentliche Problem:

    Kurz nach diesem Erlebnis kamen zwei Mails wie die im Anhang. Die sieht nach allen Kriterien bis hin zu den Received-Headern aus wie eine legitime Mail von Ihnen. So, wie das gemacht ist, habe ich aber keine Ahnung, was das tut, und der endlose Binär-String löst jetzt auch wirklich kein Vertrauen aus. Ich habe das jetzt mal nicht geklickt -- es könnte ja sein, dass da jemand meinen Account übernehmen will.

    Was ist das? Habe ich das ausgelöst? Wäre es nicht gut, das etwas weniger spammisch aussehen zu lassen?

    Als der Bahn-Webserver wieder ging, hat sich herausgestellt, dass das tatsächlich Verifikationsmails der Bahn waren und das Web-Interface die Mails so angekündigt hätte (wenn auch ohne Begründung, warum überhaupt und gerade jetzt) – hätte ich am 21.9. nicht Captchas und „too many requests“ statt der Bahn-Webseiten bekommen.

    Der Bahn-Kundendienst hätte das jetzt erklären und sich entschuldigen können. Stattdessen kam fast drei Wochen später, am 11.10., eine profund nutzlose Antwort, die ich hier öffentlich kommentieren will, zunächst, weil ich meine Kommentare geistreich finde.

    Vor allem habe ich aber den Verdacht, dass jemand mit Technikkompetenz bei der Bahn dann und wann wahrnimmt, was ich hier schreibe. Warum ich das glaube? Nun, die Kundendienst-Antwort hatte endlich keinen CSS-Müll mehr an der text/plain-Alternative. Ich hatte das vor Jahren mal per Mail bemängelt, ohne dass sich etwas geändert hätte. Nun, nach meinem Post vom Juni, kommt die Mail endlich vernünftig und lesbar, sogar mit Absätzen und allem. Kann Zufall sein. Kann aber auch ein gutes Zeichen sein.

    Und drum hier die Bahn-Antwort mit meinen Kommentaren:

    vielen Dank für Ihre E-Mail. Bitte entschuldigen Sie die späte Antwort.

    Wir haben Ihr Anliegen geprüft.

    Die Authentifizierungsmail wird von uns versendet und ist für die Zurücksetzung Ihres Passwortes notwendig. Nach Klick auf den Link zur

    Meine Frage, wozu das Verfahren überhaupt eingerichtet wurde, bleibt leider unbeantwortet. Außerdem ging es nicht um ein Passwort, und es wurde auch nichts zurückgesetzt. Wie die ursprüngliche Mail selbst schon sagte, ging es um die Bestätigung einer Mailadresse. Mit einer sowohl falschen als auch nutzlosen Information aufzumachen, verdient für mich den Winston-Churchill-Preis für Erwartungsmanagement („Blut, Schweiß und Tränen“).

    Kontoaktualisierung, öffnet sich eine Seite auf bahn.de. Hier muss die E-Mail-Adresse mit Klick auf >> Klicken Sie hier, um fortzufahren bestätigt werden. Anschließend erscheint die Meldung, dass das Konto aktualisiert wird und Sie können sich wieder in Ihrem Kundenkonto anmelden.

    Achten Sie darüber hinaus bitte darauf, unsere DB Navigator App auf dem neuesten Stand zu halten und über einer sicheren und stabilen Internetverbindung zu buchen.

    Kundendienst-Tipp #1: Anfragen lesen und dann keine unpassenden Formtexte in die Antworten pasten -- ich habe keine Hardware, auf der die App laufen würde, und so dementsprechend hatte meine Anfrage auch nichts mit der App zu tun.

    Bei instabilen Internetverbindungen verzeichnen wir ein hohes Aufkommen von Buchungsabbrüchen.

    Kundendienst-Tipp #2: Fehler eingestehen. Da war keine instabile Internet-Verbindung. Was da kam, war eine Meldung vom Reverse Proxy der Bahn, weil offenbar der Dienst dahinter überlastet oder kaputt war.

    Die richtige Reaktion wäre gewesen: „Ja, sorry, wir haben es verkackt. Und weil das im Zusammenhang mit dem Captcha eingestandenermaßen nochmal blöder war, werden wir uns jetzt wirklich mal überlegen, den Captcha-Quatsch zu lassen. Ansonsten Entschuldigung.“

    Empfehlenswert wäre ebenfalls, beim Log-in via Browser die Cookies und den Verlauf zu löschen und zudem auf dem neuesten Stand zu halten und ggf. den Adblocker zu deaktivieren.

    Kundendienst-Tipp #3: Keine Voodoo-Tipps geben. Wie soll bitte das Löschen „des Verlaufs“ ein 500 (oder 504, ich weiß nicht mehr) des Reverse Proxy der Bahn reparieren? Und wenn Leute wirklich der Empfehlung folgen und „die Cookies löschen“, werden sie unter Umständen böse Überraschungen erleben. Wenn die Bahn meint, in Einzelfällen (wenn auch offensichtlich nicht diesem) könne ein Zurücksetzen Ihrer Cookies nötig sein: das kann mensch von der Server-Seite aus viel zielgenauer tun, etwa mit einer Webseite, die entsprechende Set-Cookie-Header ausliefert (und ggf. zu weiteren Seiten weiterleitet, die das für weitere Domains tun). Damit geht dann ein „gehen Sie zu <dieser URL>, um die Bahn-Cookies zu löschen“.

    Wenn die Bahn schließlich wirklich findet, dass aktivierte Adblocker die Nutzung ihrer Dienste behindern: Wäre das nicht ein Anlass, darüber nachzudenken, all den Tracking- und Marketing-Quatsch von der Seite runterzunehmen? Aber wie gesagt: das war vorliegend gar nicht das Problem.

    Wir hoffen, dass wir Ihre Fragen beantworten konnten und wir Sie bald in unseren Zügen begrüßen zu dürfen.

    Helfen Sie uns unser Angebot und unseren Service weiter zu verbessern. Beantworten Sie dazu bitte nachfolgende Fragen unter Umfrage bahn.de. Vielen Dank.

    Ganz perfekt sind die text/plain-Alternativen immer noch nicht, denn die URL der Umfrage geht dabei verloren. Aber weil Umfragen an sich und schon gar im Web ein Fluch sind, würde ich das in diesem Fall eher als Feature als als Bug klassifizieren.

  • Schrödingers Pandemie 2: Unsere Kraft ist die Gewerkschaft

    Foto einer großen und weitgehend leeren Halle mit ein paar Menschen auf einem Haufen.

    Im Glaspalast in Sindelfingen: Klare Luft und viel Platz. Mithin lässt das hier beobachtbare Clusterverhalten einen klaren Schluss auf P⁻ zu.

    Ich bin wieder eifrig am Öffnen der Kiste, in der Schrödingers Pandemie in einem Mischzustand von P⁺ (es ist noch Corona) und P⁻ (Corona ist rum) existiert – ich hatte das neulich schon diskutiert

    Dieses Mal bin ich bei der Landesdelegiertenversammlung meines GEW-Landesverbands. Im Vorfeld sah alles aus, als würde diese unter P⁺ stattfinden: Die Einladung mahnte zu Tests vor der Anreise und am Morgen des zweiten Tages, in der Konferenztasche fanden sich drei FFP-2-Masken, und vor allem anderen steigt das Ding im Sindelfinger Glaspalast. Diese Halle hat mich bei meinen CO₂-Messungen wirklich vom Hocker gerissen, denn während der Beratungen stieg die CO₂-Konzentration nie nennenswert über 400 ppm – bei einem Außenniveau von ungefähr 300 ppm. Was Aerosole angeht, kann mensch also ganz beruhigt sein, und wer in einem P⁺-Universum ein Treffen in der Paar-Hundert-Leute-Klasse plant, kann nach meiner Einschätzung beruhigt im Glaspalast einziehen.

    Als ich die Pandemiekiste vor Ort wirklich geöffnet habe, kollabierte die Wellenfunktion aber trotz dieser Vorzeichen fest auf P⁻. Abstand ist kein Thema, schon gar nicht OP-Masken etwa der Essensausgabe, wo große Menschenmengen in Spuckdistanz sind (und ich eines der wenigen realistischen Szenarien für Kontaktinfektionen sehe). Weniger eng war es zwar beim Frühstücksbuffet im Hotel – das von Delegierten dominiert war –, aber in einer P⁺-Welt, in der immer noch bis zu 2% der Erwachsenen SARS-2-Viren ausscheiden werden, wäre zumindest ein wenig Spuckschutz bei der Bedienung von Cornflakesspender und O-Saft-Kanne schon noch indiziert gewesen. Im Shuttlebus zwischen Hotel und Glaspalast folgten bis zu einer sehr deutlichen Mahnung des Busfahrers allenfalls ein Drittel der Delegierten der in den meisten P⁺-Universen geltenden Maskenpflicht (wobei ich einräumen muss, dass das zwar wie ÖPNV aussah, aber wahrscheinlich keiner war).

    Ganz klar in einer P⁻-Welt – ihr merkt, die Realität schubst mich zunehmend zur Everett-Interpretation – fand aber der soziale Abend statt, mit Musik, Tanz, milder Intoxikation, zwar in der Qualitätsluft im Glaspalast, aber eben auch mit völlig conrona-unkonformer Klumpung. Es war jedoch, das sei zur Ehrenrettung der Delegierten eingeräumt, viel leichter, hier Übertragungssituationen auszuweichen als beim Konferenz-Bankett, von dem ich vor einer guten Woche berichtet habe.

    Damals habe ich geschlossen mit:

    Wenn ich mir angesichts von realen Infektionsraten von mindestens 1% beim Bankett kein SARS-2 eingefangen habe, dann müssen die Menschen im P⁻-Zustand wohl doch recht haben…

    Was soll ich sagen? Die Antigen-Tests sind stur negativ geblieben. Dann hat sich auch noch Joe Biden als persongewordene Risikogruppe in P⁻ geoutet. Ich… Nun, ich mach die Kiste erstmal wieder zu und bin neugierig, wie es aussieht, wenn ich sie das nächste Mal wieder öffne.

  • Vom Händeringen und der digitalen Themengestaltung

    Foto: E-Roller auf Sperrfläche auf großer Straße.

    Skandal! Es finden sich einfach nicht genug Menschen, die solche hochnützlichen e-Roller in Nachtschichten einsammeln und aufladen wollen. Das verlangt doch wirklich nach einer profunden Erklärung.

    Zu den öffentlichen Narrativen, die wirklich offensichtlich Bullshit sind, gehört seit mindestens zwanzig Jahren die Rede vom „Fachkräftemangel“ und ganz besonders den „händeringend“ nach Beschäftigten suchenden Unternehmen. Ja – so alt ist das schon, es koexistierte bereits mit den verschiedenen Erzählungen vom „Reformstau“, die zur Durchsetzung der Hartz-Gesetze ersonnen worden sind.

    Ich erinnere mich an eine Gewerkschafts-Veranstaltung um 2005 herum, in der Mitglieder allen Ernstes argumentierten, die wahnsinnige Befristungspraxis an den Universitäten müsste schon wegen des „Fachkräftemangels“ bald ein Ende haben, denn sonst würden die Unis keine Beschäftigten mehr finden. Reality Check nach knapp 20 Jahren:

    Der Anteil der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei mit 84 Prozent an den Universitäten und 78 Prozent an den HAW so hoch wie vor der Reform [des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes], sagt [Andreas] Keller[, der im GEW-Hauptvorstand u.a. für Unis zuständig ist.]

    Nicht viel besser sieht es in den meisten Bereichen der Industrie aus – miese Verträge und miese Behandlung des Humankapitals sind selbst in ach-so-Mangel-Bereichen wie, sagen wir, Computerbasteln eher die Regel als die Ausnahme (was erklären hilft, wie die Unis mit ihrem Mist durchkommen). Mag sein, dass es tatsächlich einen Mangel an Menschen gibt, die für wenig Geld viel arbeiten und schon genau das können, was so ein Betrieb haben will. Big deal: Wer die Arbeitskraft anderer Menschen nutzen will, wird sie in aller Regel geeignet zurichten müssen.

    Gäbe es jedoch tatsächlich einen Mangel an fair und sinnvoll beschäftigbaren Menschen, gäbe es keine Befristungsquoten um 80%, und es gäbe keine Qualitätszirkel, Knebelverträge und gute Räte zu Überstunden. Solange hingegen wirklich kreuzüberflüssige und garstige Betriebe wie Lieferdienste (sagen wir, gorillas) oder E-Roller-Anbieter (die Menschen als „juicer“ vernutzen) immer noch menschliche Arbeitskraft in erschreckendem Umfang verschleudern, gibt es ersichtlich keinen Mangel an jedenfalls qualifizierbarem Personal.

    Die zwei Seiten einer Zeitungsseite

    Die Absurdität dieser ganzen Debatte hat in der Wochenendausgabe der taz Volker Surmann in seiner Glosse „Verschluckt vom Erdboden“ schön verarbeitet:

    Die gelernte Naturwissenschaftlerin Schädele klingt deutlich sachlicher, kommt aber zum selben Ergebnis: „Uns ist keine Branche bekannt, die zurzeit nicht händeringend Personal suchte! Wir können daraus nur den einen logischen Schluss ziehen: Wohin auch immer die Menschen sich umorientiert haben, sie sind dort nie angekommen.“

    Großartig.

    Wer das im Netz liest, verpasst allerdings die Punchline. Auf Papier steht der Artikel nämlich Rücken an Rücken mit der Anzeigenseite des Blattes, die dominiert wird von vier Stellenanzeigen der taz selbst. Eine Zeitung, würde mensch naiv erwarten, braucht vor allem Leute, die Artikel schreiben oder vielleicht auch mal korrekturlesen. Klar, Drucker oder Setzerinnen erwartet im Zeitalter langer Lieferketten sicher niemand mehr, aber das, was inzwischen Contentproduktion getauft wurde, das wird doch wohl schon noch im Haus gemacht[1]?

    Oder?

    Ein Kessel Ödnis

    Nun, die taz sucht im Einzelnen:

    1. „Co-Leitung der Anzeigenabteilung“. Ganz ehrlich: Niemand, genau niemand, will Anzeigen verkaufen müssen. Mensch belästigt Leute in anderen Firmen, um die eigenen LeserInnen zu belästigen. Einen deprimierenderen Job kann ich mir kaum vorstellen, vielleicht abgesehen von:
    2. „Print-Online-Akquisiteur*in“. Diese*r soll „kreative Vermarktungsansätze“ ausbrüten, also die anderen Firmen noch penetranter belästigen, vermutlich unter Versprechen, die LeserInnen zu wehrloseren Opfern von Marketingbotschaften zu machen. Gut, in Wahrheit wird sich die Kreativität in engen Grenzen halten sollen, zumal das Ding auf 2 Jahre befristet ist. Trotzdem: der zweite Job, der nichts mit der eigentlichen Aufgabe einer Zeitung zu tun hat.
    3. „Entwickler:in mit Schwerpunkt PHP und Datenbanken“. Immerhin: das dient irgendwo der Verbreitung der Artikel, ist also wenigstens etwas „mit Medien“. Allerdings: „es handelt sich hierbei nicht um Webentwicklung, sondern um die Aufbereitung und Bereitstellung unserer Verlagsprodukte für unsere Apps, als ePaper in verschiedenen Formaten und für unsere Syndikationen.“ Nun… „…produkte“. So richtig nach Zeitung klingt das nicht. Aber immerhin versteht bei der taz offenbar wer was von Computern, denn der/die BewerberIn sollte „gewohnt sein, mit GIT [sic!] und Debian-Paketen zu arbeiten”. Und ich muss offen gestehen: die Seite, über die die taz ihre PDFs und epubs verbreitet, ist klasse: einfach, offen, interoperabel, ressourcensparend. So soll sowas sein. Hoffen wir, dass der/die erfolgreicheR BewerberIn das nicht anfasst.
    4. Schließlich doch noch was, was nach Presse klingt: „Redakteur*in“. Aber dann kommt eine beunruhigende Qualifikation: „für digitale Themengestaltung“. Hu? „Digital“? Was soll diese Person tun? „[A]ktuelle Texte und Themen sowohl print als auch online optimal präsentier[en]“. Wieder keine Artikel schreiben, wieder keine Recherche, wieder keine Reflektion. Stattdessen: „Profunde Interred-Kenntnis“ (ich musste auch erst in der Wikipedia nachsehen: das ist ein proprietäres CMS. Igitt) und „Fähigkeit zur Nutzung weiterer Tools wie Datawrapper“ (das hat es nicht mal in die Wikipedia geschafft [Update 2022-09-19: @ulif@chaos.social hat nachrecherchiert – danke!]).

    Lauter Jobs, die doof sind, sich im Kern ums Belästigen verschiedener Leute drehen und jedenfalls wenig bis nichts mit der Aufgabe einer Zeitung zu tun haben, Informationen zu sammeln, zu verbreiten und einzuordnen: Ich finde es überhaupt nicht überraschend, dass sich für sowas niemand findet, solange die Leute nicht ganz existenziell bedroht sind. Dazu kommt: Würden die hier ausgeschriebenen Arbeiten nicht gemacht, wäre die Welt sicher nicht schlechter. Aber vielleicht besser.

    Bestimmt kommt aber nächste Woche schon wieder jemand und beklagt einen „Fachkräftemangel“. Statt nun das ganze eigentlich auf der Hand liegende Zeug mit sinnlosen Scheißjobs und mieser Behandlung zu erzählen, werde ich in Zukunft einfach meine Lieblingserklärung aus der Suhrmann-Glosse zitieren:

    Mit der Mär von beruflicher Neuorientierung vertusche die Deutschland GmbH nur die [Millionen von] Impftoten. [Der Arbeitsamts-Mitarbeiter] Mulde hakt ein. Wenn das stimme, wo seien dann die ganzen Toten geblieben? „Die wurden alle verbrannt, heimlich, deswegen war es im Sommer so heiß!“

    Zumindest kann mensch diesem Szenario im Vergleich nicht den Vorwurf machen, es sei <gnurk> unterkomplex.

    Nachtrag (2022-09-25)

    Irgendwer vom Neuen Deutschland, ähm, nd, liest hier offenbar mit, denn die inserieren in der aktuellen taz-Wochenendausgabe (hat da der/die AnzeigenaquisiteurIn ganze Arbeit geleistet?) selbst zwei Bullshit-Jobs:

    1. Mitarbeiter*in Social Media
    2. Mitarbeiter*in Marketing und Kommunikation

    Für das Analogon zu (2) der taz-eigenen Ausschreibungen von letzter Woche hat sich übrigens wahrscheinlich wer gefunden, denn die entsprechende Anzeige ist in dieser Woche weg. Um Anzeigenfuzzis auf verschiedenen Hierarchiestufen und PHP-Entwickler:in jedoch ringt die taz immer noch mit den Händen.

    [1]Nun, in diesen Tagen würde ich der taz natürlich besonders die Beschäftigung eineR HistorikerIn ans Herz legen zur Untersuchung, wie es vergleichbar kriegsbegeisterten Blättern nach früheren Kriegen gegangen ist – und ob mensch zur Abwechslung mal nicht fünfzig Jahre verstreichen lässt vor der Einsicht, dass das ganze Sterben und die ganze patriotische Glut völlig umsonst waren. Aber das ist, das gebe ich zu, ein völlig utopischer Traum.
  • Schrödingers Pandemie

    Fußmatte mit Aufschrift „Maske auf/Verantwortung tragen“

    Fußmatte in meinem ersten Dienstreisehotel seit Februar 2020.

    Ich bin gerade auf dem Rückweg von meiner ersten ordentlichen (also: in Präsenz) wissenschaftlichen Konferenz „seit Corona“, und ich fühle mich aus der Perspektive der Sozialgeschichte aufgerufen, meine Eindrücke zum derzeitigen Umgang mit SARS-2 festzuhalten. Wer weiß, wer sich im nächsten Frühling noch an den derzeitigen Zustand der Gesellschaft erinnert?

    „Zustand“ ist dabei stark vom Zustandsbegriff der Physik inspiriert, eigentlich gar vom Quantenzustand, weshalb sich mir die Rede von „Schrödingers Pandemie“ aufdrängt, in einer popkulturellen Analogie zu Schrödingers Katze. Deren Leben wird, ich erwähne es kurz für Nicht-Link-KlickerInnen, in einer nicht sehr freundlichen Weise mit der Wellenfunktion eines radioaktiven Atomkerns verschränkt. Das Ganze findet in einer hinreichend von der Umwelt abgeschlossenen Kiste statt. Nach populären Interpretationen der Quantenmechanik sorgt das dafür, dass die Katze, solange niemand nachsieht, in einer Mischung aus den Zuständen lebendig oder tot existiert.

    Ein wenig so war meine Erfahrung mit SARS-2 während der letzten Tage – erst, wenn ich irgendwo war, konnte ich feststellen, ob ich in dem Zweig der Realität bin, in dem die Pandemie rum ist (ich nenne das ab hier P⁻) oder in dem, in dem sie es nicht ist (was ich kurz als P⁺ bezeichnen will).

    Das ging schon beim Bezug des Hotels los. Auf dem Weg dorthin habe ich mich gefragt, ob ich besser mit Maske reingehe – ist jedenfalls netter und rücksichtsvoller, auch wenn die Rezeptionssituation in kleinen Hotels, in denen alle halbe Stunde mal wer ankommt, so oder so wenig Übertragungsrisiko birgt – oder besser ohne – weil sich manche Leute in der Gastronomie von Menschen im P⁺-Zustand existenziell bedroht fühlen. Wenn es sachlich keinen großen Unterschied macht, bin ich in jede Richtung kompromissbereit.

    Diese Überlegungen waren unnütz, denn das Empfangspersonal erwies sich als eine Zehnertastatur für den Schlüsselkasten. Dieser war das alles ersichtlich egal. Ich blieb also im P⁻-P⁺-Mischzustand, bis ich die Hoteltür öffnete und die oben abgebildete Fußmatte vorfand. Ergebnis des Experiments für dieses Mal: Das Hotel ist in P⁺.

    Am Frühstücksbüffet stellte sich jedoch heraus, dass doch eher P⁻ gilt, denn ich fing ein paar befremdete oder genervte Blicke ein mit meiner einsamen Maske, und Abstand am Büffet war jedenfalls für etliche der anderen GästInnen keine erkennbare Priorität. Danach habe ich in den nächsten Tagen auch maskenlos gefrühstückt, denn ganz ehrlich: Wenn mensch am Tisch zwangsläufig ohne Maske dasitzt, ist sie auf dem Weg vom und zum Tisch auch unter Annahme von P⁺ nur dann geboten, wenn es eng wird, und das war in diesem Hotel leicht vermeidbar. Dennoch: die zweite Runde ging klar an P⁻.

    Das war auch daran zu erkennen, dass meine Mit-GästInnen den bei P⁺ gut nachvollziehbaren Wunsch der Hoteliers ignoriert haben, in den relativ engen Gängen zumindest eine OP-Maske zu tragen. Dieser generellen P⁻-Diagnose zuwider lief aber die per Aushang in den Zimmern verkündete Politik des Hauses, die tägliche „Reinigung“ zum „Schutz von Gästen und Personal“ nur noch auf (durch Aushang des inversen „Bitte nicht stören“-Schildes geäußerten) Wunsch vorzunehmen. Yes! Ich fand es schon immer unmöglich, mir von anderen Menschen das Bett machen zu lassen. Es lebe P⁺.

    Ähnlich Heisenberg-unscharf ging es bei der Konferenz selbst weiter. Die OrganisatorInnen „empfahlen“ auf ihrer Webseite, ganz P⁺, in Innenräumen und überhaupt, wo der Mindestabstand nicht gewahrt werden kann, FFP-2-Masken zu tragen. Ich fragte mich, wie unter diesen Umständen das Herzstück jeder wissenschaftlichen Konferenz, die Kaffeepause[1], wohl aussehen würde.

    Dieses Grübeln gab ich spontan auf, als ich am Montag den Raum betrat, in dem die Auftaktzeremonie – eine Preisverleihung, über deren mit einer Überdosis unfreiwilliger Hybridkomik gewürzten Verlauf ich schweigen will – stattfand. Schon die Bestuhlung sprach P⁻, fettgedruckt und eigentlich mit Ausrufezeichen. Diese nämlich wäre mir schon vor Corona zu eng gewesen. Die Enge war zudem nicht mal ganz zwingend, denn es hätte schon noch unbestuhlten Platz im Raum gegeben, wenn auch nicht genug, um das ganze Ding angesichts der lausigen Lüftung in einer P⁺-Welt verantwortungsvoll laufen lassen zu können.

    Aber das war auch wurst, denn der anschließende Empfang mit Sekt und Schnittchen muss klar in einer P⁻⁻⁻-Welt stattgefunden haben: Die paar, die bei der Zeremonie noch der FFP-2-Empfehlung gefolgt waren, vergaßen diese zugunsten von Speis und Trank, während sie dicht gepackt in fensterlosen Räumen standen und sehr laut miteinander redeten. Eine Chorprobe ist im Vergleich eine aseptische Angelegenheit.

    Es war nachgerade bizarr, danach wieder in die P⁺-Welt der Straßenbahn zu geraten. Und ich war ehrlich überrascht, dass das Schnief- und Hust-Niveau gestern und heute lediglich deutlich erhöht war, nicht aber eine ganze Konferenz schon elend vor sich hinfieberte. Das wiederum werte ich als Indiz für eine P⁻-Welt, zumal informelle Plaudereien zeigten, dass wohl doch eine deutliche Mehrheit der Teilnehmenden „es schon hatten“.

    Das wäre auch zwanglos zu erklären, wenn diese nennenswert Präsenzlehre gehalten hätten und ihre Hörsäle ähnlich gut belüftet waren wie der große Hörsaal der gastgebenden Uni. Diese Einlassung ergibt sich aus meinen regelmäßigen CO₂-Messungen (als ordentlichen Proxy für die Aerosollast). Das Ergebnis in diesem großen Hörsaal war ernüchternd. Das Ding ist für 500 Menschen ausgelegt, und bei einer Auslastung von unter 20% ging die CO₂-Konzentration kontinuierlich vom Außenniveau von vielleicht 350 ppm bis auf über 1000 ppm hoch – innerhalb von weniger als einer Stunde. Das übersetzt sich zwanglos in „was an Aerosol drin ist, bleibt auch drin“. Dass die Lüftung beim Bau des Gebäudes so schlecht war, ist in ganz eigener Weise sprechend, denn im Bereich von 1000 ppm wirds nach meiner Erfahrung allmählich aufmerksamkeitsrelevant. Dass sie nach 30 Monaten Corona immer noch nicht besser ist, wäre, soweit es mich betrifft, Material für eine Sitzung des Uni-Senats.

    Und so bin ich bis zum Konferenzbankett am Mittwoch aus der P⁺-Welt (höchstens kurz und mit dichter FFP-2 durch den Raum mit dem Empfangsbüffet hechten) in die P⁻-Welt übergetreten und habe wie alle anderen ganz normal getafelt, in der festen Erwartung, dass ich bis jetzt im Zug noch nicht infektiös sein würde. Und morgen kann ich ja dann zurück nach P⁺ und brav in Isolation gehen. Aber: Wenn ich mir angesichts von realen Infektionsraten[2] von mindestens 1% beim Bankett kein SARS-2 eingefangen habe, dann müssen die Menschen im P⁻-Zustand wohl doch recht haben…

    [1]Für Menschen, die sowas noch nicht mitgemacht haben: Nein, das ist kein Witz. Das ist noch nicht mal milde Ironie.
    [2]Der aktuelle RKI-Wochenbericht schätzt aus SEED-ARE und GrippeWeb ab, dass zwischen 0.5 und 1.1% der Erwachsenen gerade SARS-2 mit Symptomen hat. Rechnet mensch großzügig, dass die Hälfte der Infektionen (mehr oder minder) asymptomatisch verlaufen, sind damit im Augenblick ein bis zwei Prozent der Menschen mehr oder weniger infektiös. Ob das nun P⁻ oder P⁺ ist, dürft ihr mich nicht fragen.

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