Heute endet die kommerzielle Nutzung der Kernspaltung in der BRD[1] . Das ist aus vielen Gründen klasse, über die heute viele andere reden. Für mich ist der wichtigste Grund einer, der nicht oft erwähnt wird: Eine möglichst große Reaktorflotte ist praktische Voraussetzung für eine glaubhafte Option auf die Bombe – genauer, auf Bomben in kriegswichtiger Zahl, also jetzt nicht nur so eine Handvoll. Je weniger es so eine Option gibt, desto besser. Rundrum.
Diese Option ist erstens Folge davon, dass mit kommerziellen Kernreaktoren Anreicherungskapazitäten im Überfluss bereitstehen, zweitens daran, dass hinreichend viele Menschen mit den zur Bombenproduktion nötigen Techniken vertraut sind oder sie sich jedenfalls schnell aneignen können, und drittens, dass auch jederzeit haufenweise Plutonium anfällt, quasi sachzwänglich – so verfügte auch die BRD jahrzehntelang über etwa fünf Tonnen im Prinzip waffentaugliches Plutonium (vgl. Plutoniumwerk ALKEM).
Solche Erwägungen waren der Hintergrund der riesigen staatlichen Investitionen in die Nukleartechnologie in den 50er und 60er Jahren. Die zentrale Figur dabei war Franz Josef Strauß, der mit seiner Bomben-Motivation auch immer offen umgegangen ist. 1957, sein Kernforschungszentrum Karlsruhe bastelte gerade an den ersten Reaktoren dort, mit seiner Kernforschungsanlage Jülich ging es gerade los, die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt in Geesthacht war ein Jahr alt, die Inbetriebnahme des Atom-Eis in Strauß' Garchinger Vorgarten im September 1957 war absehbar, ließ er als fürs Militär zuständiger Minister[2] am 10.4.1957 regierungsamtlich verkünden:
Ein Verzicht auf Kernwaffen unter den gegebenen Umständen und im Augenblick würde militärische Preisgabe Europas an die Sowjetunion bedeuten.
Natürlich würden sich „Umstände“ und „Augenblicke“ nie ändern. Noch in den 1970ern – der Plan B für großmaßstäbigen Zugriff auf die Bombe, die WAA Wackersdorf, war längst in Planung[3] – schrieb er:
Zur Souveränität gehört die Atomwaffe.
—Welt vom 5.9.1975
Das ist die Geschichte hinter den beeindruckenden Geldmengen, die in die damalige Großforschung flossen.
Und diese Geschichte geht heute leider bei weitem nicht zu Ende. Auch die BRD droht ihren Feinden weiterhin mit der Auslöschung ihrer Städte, und leider denkt niemand, der/die auch nur den Hauch einer Chance auf die Macht im Land hat, über einen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag TPNW nach – was nun wirklich moralischer Mindeststandard wäre.
Heute wäre also ein guter Tag, einen kleinen Beitrag zur Besserung dieser Situation zu leisten. Vor vierzig Jahren schien eine breite Koalition für den „Atomausstieg“ – wie sie zumindest bis zur derzeitigen patriotischen Besoffenheit seit 2011 bestanden hat – so undenkbar wie heute ein Ausstieg aus den monströsen Drohungen mit nuklearem Massenmord. Es ist an uns, das Sentiment zu Atombomben jetzt ähnlich zu drehen.
Ich zum Beispiel habe immer noch ein paar einschlägige Postkarten, die ich euch, wenn ihr auch welche schicken wollt, gerne vorbringe (wenn ihr in Heidelberg und Umgebung wohnt) oder auch schicke (sonst). Das Feedback-Formular gehört euch…
[1] | Jaja: nur zur Energieerzeugung, und selbst dabei: die Brennelementefabrik Lingen gibts leider auch weiter. Aber dass es keine laufenden großen Reaktoren mehr gibt, ist jedenfalls ein Grund zum Feiern. |
[2] | Das blieb er übrigens noch bis 1962, und es waren erschütternderweise nicht seine Atombombenträume, die ihm das Amt kosteten. |
[3] | Für deren Ende hat dankenswerterweise neben jeder Menge Widerstand vor Ort auch der französische Staat gesorgt, der nach Strauß' Tod 1988 die Gelegenheit sah, die (jedenfalls auch aus ihrer Sicht) Bombenfabrik des Nachbarn abzuschießen, indem sie anbot, die bei allen Menschen auch nur halbwegs guten Willens extrem unbeliebte Wiederaufbereitung in La Hague zu erledigen. Win-win: aus französischer Sicht hatten die Deutschen nicht ständig fast fertige Atombomben, aus deutscher Sicht war das hässliche Problem WAA abgeräumt. Ganz nebenbei wurde dadurch auch die große Bühne bereitet für den nächsten Akt des Kampfes gegen den Atomtod: die Castortransporte nach Gorleben (ja: deren erster ging direkt aus Phillipsburg ins Wendland, aber die größten Schlachten gingen jeweils um Züge aus La Hague). |