Artikel aus funde

  • Ehre, Sieg und Carl Diem: Auf dem falschen Fuß erwischt

    Am Samstag hat Rainer Brandes in den DLF-Informationen am Morgen Daniel Möllenbeck[1] zur Frage der Bundesjugendspiele interviewt. Das Gespräch bot viele Belege für meine Behauptung, Sport sei rechts, etwa, wenn Möllenbeck diesem den Begriff „Spaß an Bewegung“ gegenüberstellt (ca. 2:35), oder wenn Brandes gleich danach von „verweichlicht“ redet und Möllenbeck das offensichtlich als Vorwurf auffasst.

    Aber das ist nicht der Grund, warum ich diesen Post schreibe. Nein, der Grund ist ein ganz eigenartiger Live-Moment. In der Regel wird ja bei einem Interview vorher vereinbart, was so an Fragen kommt, natürlich mit dem Verständnis, dass das Gespräch auch mal einige Schlenker nehmen kann. Im Pressebereich ist es vor allem die Sorge vor solchen Schlenkern, die zu im Nachhinein „autorisierten“ Plastikinterviews führt. Insofern großes Lob an den DLF und die dort Interviewten, dass die Gespräche zum Großteil live geführt werden. Presseerklärungen gibt es schon genug.

    Beim Möllenbeck-Interview von gestern gab es nun einen ziemlich großen und sprechenden Schlenker, und ich frage mich, ob Brandes ihn nicht angekündigt oder Möllenbeck bei der Vorbesprechung geschlafen hat. Unabhängig von der Genese halte ich den Austausch für eine wunderbare Illustration des Werts live gesendeter Gespräche, und ich will hier explizit nicht Möllenbeck anpissen, der, für einen Sportfunktionär jedenfalls, eigentlich ganz nett wirkt.

    Wer das im Kontext hören will, sollte bei 5:45 anfangen. Ich steige im Audio hier gleich beim Schulterwurf ein (ab 6:30):

    Transkript: Brandes: Aber viele hängen sich ja auch allein an der Bezeichnung dieser Urkunden auf, also da ist eben Ehre und Sieger steckt da mit drin, das erinnert viele doch noch sehr an die Zeit des Erfinders der Jugendspiele, an Carl Diem, der eben auch im Nationalsozialismus eine unrühmliche Rolle gespielt hat. Wäre es da nicht Zeit, sich da auch sprachlich von zu distanzieren? Möllenbeck: (seufzt) Hwo, kann man drüber nachdenken, sicherlich, em, aber das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Also das ist jetzt vom… Haben wir noch nicht diskutiert im Verband, ob das, ob das notwendig ist, sicherlich, öh, das zu tun, das ist sicherlich Sache der KMK oder der äh (Brandes versucht die Situation zu retten)

    Wenn die Frage nicht abgesprochen war, dann darf es wohl schon als etwas, haha, unsportlich gelten, einen heutigen Sportfunktionär mit dem Kaiserreich-und-Danach-Kollegen Carl Diem zu konfrontieren. Das schwierige Verhältnis der hiesigen Sportorga zu ihrem Doyen mag ein von der Deutschen Sporthochschule angestrengtes Gerichtsverfahren dokumentieren: der Laden wollte Diems Namen dringend in seiner Adresse behalten, als die Stadt Köln ihre Straßennamen entnazifiziert hat.

    Wer solche KollegInnen hat, hat sich vermutlich schon mit „kann man drüber nachdenken“ in den Ruch des – von sowas wird leider nicht nur in diesen Kreisen immer noch geredet – Verrats gebracht. Was immer jedoch „Verrat“ sein mag, jedenfalls im vorliegenden Fall ist er eine prima Sache.

    Insofern: Sympathie für Daniel Möllenbeck und alle, die sich trotz des Risikos erhellender Blicke hinter die Kulissen live interviewen lassen. Wie viel besser ist dieses Stück Audio als das, was wir bei einem „autorisierten“ Interview („Der DSLV steht zu seiner historischen Verantwortung und wird zeitnah und in aller Ruhe beraten, wie eine zukunftsfeste Lösung unter Beteiligung aller Stakeholder aussehen kann“) gelesen hätten?

    [1]Der Mann ist Vizepräsident eines Ladens namens „Deutscher Sportlehrerververband“, der entgegen meiner Erwartung keine Untergruppierung des Beamtenbundes ist, aber dank einer (technisch) furchtbaren Webseite (ja, ohne Javascript ist das ein Totalschaden) und der Verwicklung in die „Führungsakademie des DOSB“ dennoch bei mir keine Sympathiepunkte sammelt.
  • Wenn Gewalt doch mal hätte helfen können

    Als vor ein paar Tagen der französische Fußballspieler Kylian Mbappé angesichts der jüngsten Riots in Frankreich forderte, die „Zeit der Gewalt muss enden“ – und schon gleich, als Jakob Augstein bereits 2014 etwas Ahnliches zum großmächtigen Ringen über die Kontrolle der Ukraine sagte –, konnte ich dem zustimmen. Es ist, in meinen Worten, nicht immer einfach, aber immer weise, der autoritären Versuchung zu widerstehen, auch und gerade, wenn mensch wie die Leute aus der Banlieue eigentlich gar nicht die Machtmittel hat, ihr nachzugeben.

    Allein: Manchmal könnte ich doch schwach werden und mich auf eine Erwägung einlassen, wie es so wäre mit einem verhältnismäßigen Einsatz von Gewalt. So etwa gestern, als ich das Deutschlandfunk-Kalenderblatt vom 4.6.2023 hörte. Es erinnerte an eine strenge Regulierung von Hutnadeln im Jahr 1913, in diesem Fall in Seattle. Die Bewegung hatte aber wohl die halbe Welt erfasst:

    In Zürich werden an einem Tag Geldstrafen gegen hundertzehn eigensinnige Hutnadelträgerinnen verhängt, in Sidney gehen sechzig Frauen ins Gefängnis.

    Hutnadeln? Hutnadeln.

    Eine Fayencefigur einer Frau mit Dreispitz und Jagdgewehr

    Lange vor 1913 und den Hutnadeln gab es bewaffnete Frauen, jedenfalls ausweislich dieser Jägerin aus der Frankenthaler Fayenceproduktion des 18. Jahrhunderts, die im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg zu sehen ist.

    Die Geschichte, die die DLF-Autorin Ulrike Rückert erzählt, klingt zunächst nicht unplausibel:

    Mit drakonischen Strafen will die westliche Männerwelt die langen Nadeln unschädlich machen, mit denen die Frauen ihre Wagenradhüte in der Frisur feststecken, die aber auch zur Waffe geworden sind.

    Vor allem dort, wo sich Frauen um 1900 immer mehr auch allein zeigen, auf der Straße, in Geschäften und Fabriken, in Konzerten und bei politischen Versammlungen. Und wo sie Männer erleben, die sich an sie heran machen, Grapscher und Glotzer, die Frauen ohne männliche Begleitung als Freiwild behandeln.

    Fraglos reagieren die Hutnadel-Verordnungen auf einen profunden gesellschaftlichen Wandel, den in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum mehr jemand im Blick hatte. Die erste (bürgerliche) Frauenbewegung nämlich, die etwas verkürzend unter dem Schlagwort Suffragetten diskutiert wird und von der vielleicht noch die despektierliche Rede von den „Blaustrümpfen“ in Erinnerung war, schickte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts an, die Lage von Frauen in westlichen Gesellschaften erheblich zu verbessern.

    Dabei ging es beileibe nicht nur ums Wahlrecht („Suffrage”). In Heidelberg etwa betrieb wenig später Camilla Jellinek eine Rechtsschutzpraxis für Frauen, in der es vom damals schon skandalösen 218er bis zu den gleichfalls in unsere Zeit weisenden Lohnfragen um das ganze Spektrum von sexistischer Diskriminierung ging. Gleich in ihrer Neuenheimer Nachbarschaft publizierte Elise Dosenheimer derweil zu Sexualethik, Koedukation und ferministischem Pazifismus.

    Es versteht sich fast von selbst, dass die Herrschaft des Faschismus in weiten Teilen Europas dem allen ein Ende machte, und dass im Rest der Welt Gemetzel und Patriotismus um den zweiten Weltkrieg herum der ersten Frauenbewegung schwer zusetzten. In meinem Geschichtsunterricht, nochmal 40 Jahre später, hatte sie allenfalls mal kurz beim Thema Wahlrecht einen Statistenauftritt. Kein Wort von militanten Protesten oder auch arg danebengegangenen Blockadeaktionen.

    Ich hatte auf diese Weise schon viele Sitzblockaden hinter mir, als ich zum ersten Mal von Emily Wilding Davison hörte. Genau an dem Tag, an dem die Männer im Stadtrat von Seattle Hutnadeln regulierten, versuchte sie, das gruselige Galopprennen in Epsom zur Bühne ihres Protests zu machen. Ausgerechnet das Pferd des Königs hat sie totgetrampelt. Vom Hutnadel-Kampf wiederum habe ich in der Tat zum ersten Mal gestern gehört.

    Vor diesem Hintergrund vermute ich, dass die Hutnadelgesetze weniger ein konkretes Problem mit einer spezifischen Waffe adressierten als vielmehr ein Versuch waren, einen autoritären Hebel gegen die sich viel breiter äußernde Frauenbewegung zu finden. Eine naheliegende Parallele wäre das Geraune von „Clankriminalität“, mit dem Polizeien und Innenministerien zur Zeit einen autoritären Umgang mit dem Alltagsrassismus in der Republik exerzieren. Das schließe ich aus folgender Passage aus der DLF-Sendung, die etwas Atmo von 1913 schafft:

    Ein Mann wird mit vorgehaltenen Hutnadeln ausgeraubt, und in Chicago duellieren sich zwei Frauen auf offener Straße. Um 1910 herrscht Hutnadel-Alarm. Die Zeitungen sind plötzlich voll von Meldungen [über wüste Verletzungen durch Hutnadeln].

    Wahrscheinlich hatten die meisten Berichte dieser Art schon irgendeine Sorte von Verankerung in der Realität, wie ja auch einige der „Clankriminalität“-Schoten nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Aber genauso wie diese riechen jene stark nach Kampagnenjournalismus und -politik, nach einem kraftvollen Aufblasen knallbunter, aber völlig nebensächlicher Randprobleme.

    Ob heute mehr Frauen beim nächtlichen Radeln weniger mulmige Gefühle hätten, wenn damals die Hutnadeln nicht reguliert worden wären? Wahrscheinlich nicht, siehe oben zur autoritären Versuchung. Es könnte aber auch sein, dass der Hutnadel-Kampf doch ein Beispiel liefert, in der Gewalt vielleicht wirklich etwas zum ein wenig Besseren hätte wenden können.

  • Horröses Heidelberg 1: Das Kriegerdenkmal im Hexenturm

    Wer mal in der Heidelberger Altstadt studiert oder gelehrt hat, mag hunderte Male vorbeigelaufen sein am letzten Rest der mittelalterlichen Heidelberger Stadtbefestigung, dem „Hexenturm“, der seit den frühen 1930er Jahren Teil des etwas irreführend immer noch „Neue Universität” genannten Hörsaalkomplexes ist. Ich jedenfalls habe das Ding nie genauer betrachtet. Und ich habe nie das ominöse „1914 1918“ wahrgenommen, das in einer Art Loggia im ersten Stock an die Wand gepinnt ist:

    Ausschnitt aus einen grob gemauerten Turm.  Es öffnet sich eine Art Loggia, an deren weiß verputzer Rückwand die Zahlen 1914 und 1918 rechts und links von einem Kreuz zu erkennen sind.

    Wo diese Zahlen stehen, befindet sich in Deutschland gerne eines der furchtbaren Denkmäler für Soldaten der diversen deutschen Kriege seit 1870; das Kreuz und die zwei Kranzaufhängeringe liefern im vorliegenden Fall weitere Indizien. Im Rahmen einer Hexenturm-Führung anlässlich des Mittelalter-Tags der Uni war ich gestern (leider ohne Kamera) dort oben, und es stellte sich heraus: Ja, das ist Kriegergedenken, und zwar Hardcore.

    Laut Rhein-Neckar-Wiki wurde diese gruselige Stätte ab Herbst 1932 (also beginnend noch vor der Machtübergabe an die NSDAP auf Reichebene[1]) errichtet. Sie zählt bis heute die Angehörigen der Uni Heidelberg auf, die sich im ersten Weltkrieg für Kaiser und Vaterland haben massakrieren lassen – aufgeteilt nach Lehrern (wenige) und Studenten (viele) versteht sich. Darüber hat damals ein Steinmetz in den Sandstein gehämmert: „Deutschland soll leben, und wenn wir sterben müssen”.

    Das steht bis heute da. Angesichts aktueller Ausbrüche von Patriotismus bin ich mir gar nicht so sicher, wie viele Menschen es im Augenblick eigentlich noch abstoßend finden, Nationen – was immer das nun sein mag – über Menschenleben zu stellen.

    Schon deshalb würde ich das Zeug auch nicht wegmeißeln, zumal weil (oder obwohl?) die Gruselstätte, soweit ich weiß, nicht öffentlich zugänglich ist. Eine Einordnung vor Ort, dass der Schöpfer dieser Zeile, Heinrich Lersch, im ersten Weltkrieg ziemlich kaputtging und später trotzdem treu der NSDAP diente, wäre aber eigentlich schon angezeigt. Dazu könnte etwa erwähnt werden, dass es die NSDAP-Funktionäre eilig hatten, Lerschs hohl schepperndes Nationalpathos zu belohnen: Schon im Mai 1933 beriefen sie ihn in die Preußische Akademie der Künste. Er selbst brauchte noch ein wenig für den Beitritt – seine NSDAP-Mitgliedsnummer ist 3701750 (das entspricht einem Beitritt im Jahr 1935).

    Ein teuer Gefolgsmann der faschistischen Regierung von 1933ff war er dennoch von Anfang an, etwa durch Werbung für die Einsetzung von Hitler als Reichspräsident 1934. Vor noch schlimmeren Fehltritten hat ihn vermutlich der erste Weltkrieg bewahrt, denn ohne seine Kriegsschäden hätte ihn eine Lungenentzündung wahrscheinlich nicht schon im Alter von 46 Jahren (im Jahr 1936) umgebracht.

    Zumindest so viel könnte im Hexenturm doch wirklich zu lesen sein, etwa analog zur Tafel, die am Turmeingang den auch nicht sehr geschmackvollen Namen des Bauwerks[2] kommentiert. Oder wir warten ein paar Jahre und widmen in reflektierteren Zeiten das Gruselkabinett zu irgendwas hinreichend Pazifistischem um.

    [1]In Heidelberg regierte bereits seit 1928 Carl Neinhaus; da er am 1.5.1933 völlig entspannt und zwanglos in die NSDAP eintrat und erst die Alliierten seine Herrschaft vorläufig beendeten, ist es nicht sehr weit hergeholt, die Stadtregierung von 1932 bereits unter „faschistisch“ zu rubrizieren. Die Uni war spätestens seit dem Fall Gumbel ohnehin fast flächendeckend stramm rechtsautoritär. Wie weit so eine Qualifizierung auch für Neinhaus' weitere Regierungszeit auf einem CDU-Ticket (1952-1958) zu vertreten ist, mag ich nicht entscheiden.
    [2]Der Name Hexenturm ist übrigens zutiefst neuzeitlich. Kein Zusammenhang mit irgendeiner Sorte klerikal inspirierter Verfolgung ist historisch nachgewiesen, und der Name ist, soweit rekonstruierbar, auch eine Schöpfung des romantisch bewegten 19. Jahrhunderts.
  • Fiese Metriken: Das Beispiel Tarifbindung

    Gerade als Physiker habe ich vor allem Skepsis übrig für Metriken aller Art, fast egal ob Web-Analytik, Human Development Index oder Mensa-Ranking. Ich behaupte nämlich mit einer Familienportion Dünkel, dass es außerhalb meiner Disziplin und ihrer Randbereiche (mit Verlaub: von Astronomie bis Zoologie) meist schon unmöglich ist, interessante Gegenstände – „unserer Anschauung oder unseres Denkens“ – zu finden, die auch nur im Prinzip durch eine oder wenige Zahlen zu charakterisieren wären. Über die Existenz zuverlässiger und ethisch passabler Messverfahren wäre dann noch in einem zweiten Schritt zu reden.

    Etwas weniger fundamental gesprochen: Wenn du genug weißt, um eine Metrik korrekt interpretieren zu können, brauchst du die Metrik nicht mehr.

    Ein, wie ich finde, schlagendes Beispiel dafür findet sich im höchst hörenswerten DLF-Hintergrund Politik vom 30.5.2023, wo berichtet wird, die Tarifbindung[1] liege im Bereich der Sklav^WLeiharbeit bei nachgerade unglaublichen 98%. Ich darf das kurz mit Tabelle 62361-0501 vom Statistischen Bundesamt für 2018 kombinieren:

    Histogramm mit allen möglichen Branchen und ihrer Tarifbindung. Leiharbeit und der öffentliche Dienst sind bei rund 100%, alles andere eher zwischen 5 und 50%, im Mittel bei 25%.

    Die Daten vom statistischen Bundesamt waren etwas sperrig in der Handhabung. Ich habe deshalb ein kleines Python-Skript geschrieben, um diesen Plot zu erzeugen.

    Selbst ich als radikaler Metrikskeptiker hätte, bevor ich die Sendung gehört habe, die Tarifbindung ziemlich blind als einen brauchbaren Indikator für die mittlere Erträglichkeit der Arbeit in einer Branche akzeptiert.

    Aber nein, wer die die DLF-Sendung hört, wird die Einschätzung, dass Leiharbeit trotz aller freundlich aussehenden Metriken eine ganz besonders unerfreuliche Erscheinung des marktradikalen Wirtschaftens[2] darstellt, nicht revidieren müssen. Die hohe Tarifbindung liegt einfach nur daran… ach, hört selbst. Dann wisst ihr genug, um die Metrik richtig zu interpretieren. Und braucht sie, wie versprochen, für eine informierte Beurteilung auch nicht mehr.

    Da der Deutschlandfunk leider nur noch selten Transkripte veröffentlicht (ich vermute den VZBV dahinter) und Lesen schneller ist als Hören, habe ich die Radiosendung mal durch whisper gejagt. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass ich für den DLF (und die Leute, die zu faul zum Hören sind) handele, wenn ich ein ungefähres und weitgehend unkorrigiertes Transkript ihrer Sendung hier anhänge. Die Rechte liegen jedenfalls beim DLF bzw. vielleicht bei der Autorin; das folgende Zitat verteile ich nicht unter CC0 (aber es wäre schön, wenn der DLF endlich CC-BY machen würde…).

    Deutschlandfunk Hintergrund: „Gleiche Arbeit, weniger Lohn – Das System Leiharbeit vor Gericht“

    von Ann-Kathrin Jeske

    Ich habe damit angefangen Ende 2015, ich war die meiste Zeit in Logistik betrieben, in der Lagerwirtschaft, damals ein völlig neues Fach für mich.

    Thomas B. erinnert sich daran, wie sie anfing, seine Zeit als Leiharbeiter. Er praktikisten, das, was Kunden online bestellten, sortierte er in einem Lager in Pakete, machte die Waren für den Transport fertig, die am Ende bunt aufgereit in den regalen großer Kaufhäuser standen.

    Und es waren alles Angelehrte Tätigkeit nicht vermeistens als Hilfe eingesetzt und damit in der untersten Entgeltgruppe.

    B. erzählt, dass während er auf einer Parkbank in Köln sitzt. Thomas B. ist allerdings nicht sein echter Name, er muss aufpassen, welche Informationen er über sich preisgibt. Denn B. ist aktuell auf Jobsuche, mit Anfang sechzig ohnehin nicht so leicht und das, was er über seine Zeit als Leiharbeiter erzählt, könnte bei Arbeitgebern schlecht ankommen.

    Anfangs fand es ganz interessant, ständig neue Sachen kennenzulernen, aber irgendwann stresst es einen Schuhen, dass man sich ständig ein neues Umfeld gewinnen muss und vor allem merkt man halt immer wieder, ich verdiene deutlich weniger als die Stammkollegen.

    Insgesamt fünf und einhalb Jahre arbeitete Thomas B. als Leiharbeiter, davon gibt es in Deutschland derzeit mehr als achthunderttausend. Je länger er das machte, desto mehr störte ihn eine Sache, obwohl er Hand in Hand mit der Stammbelekschaft arbeitete und die gleiche Arbeit machte, landete auf seinem Konto am Ende des Monats weniger Geld.

    Ein Problem, das sich in Zahlen fassen lässt, neunzehn Prozent weniger als die Stammbelekschaft, bekommen Leihbeschäftigte laut der Bundesagentur für Arbeit in der Regel für die gleiche Arbeit. Bei Thomas B. waren es mal zwei- bis drei Euro die Stunde weniger, in dem Metallbetrieb, für den er zum Schluss arbeitete, ging er mit zehn Euro pro Stunde nach Hause, die Stammbeschäftigten mit sechzehn. Diesen Lohnunterschied klagt er nun vor dem Arbeitsgericht in Köln ein.

    Das wollte ich mir nicht gefallen lassen, obwohl ich einfach gedacht habe, das ist ungerechtes Stinkt, und Vorteil von den Leiharbeitern hat der Einsatzbetrieb, der die Leute schnell wieder loswerden kann, der die als Rückmittel einsetzen kann, den Vorteil hat die Leihfirma, die daran verdient und der einzige, der in dem Spiel verliert, ist der Leiharbeiter. Und der muss auch zu den Gewinnern gehören.

    So kann man auch ein Richtungsweisen des Urteil des Europäischen Gerichtshofs zusammenfassen, zumindest zu den Verlierern sollen Leiharbeiter nicht mehr gehören. Werden Leiharbeiter im Vergleich zur Stammbelekschaft schlechter bezahlt, müssen sie dafür einen gleichwertigen Ausgleich bekommen, etwa durch deutlich mehr Urlaub oder Ähnliches.

    Dem Urteil liegt ein ganz ähnlicher Fall wie der von Thomas B. Eine Leiharbeiterin aus Bayern hatte sich bis zum Bundesarbeitsgericht hochgeklagt. Sie prangerte an, dass sie, als Leiharbeiterin nur gut neun Euro die Stunde verdient habe, während ihre stammbeschäftigten Kolleginnen und Kollegen mehr als dreizehn Euro fünfzig bekommen hätten.

    Und das, obwohl eine EU-Richtlinie den Grundsatz Equipay in der Leiharbeit schon lange vorschreibt, also gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Doch die entsprechende EU-Richtlinie bietet den Mitgliedstaaten ein Schlupfloch, das man sich in Deutschland zu Nutze macht.

    Ist der schlechtere Lohn in einem Tarifvertrag geregelt, darf in der Leiharbeit doch schlechter bezahlt werden als in den Stammbetrieben. So einfach geht das nicht mehr, urteilte im Dezember zw.z.z. der EUGH.

    Der EUGH hat gesagt, die Leiharbeitsrichtlinie lässt es zwar zu, dass man durch Tarifvertrag, besondere Regelung schafft, es muss aber der sogenannte Gesamtschutz des Leiharbeitnehmers erhalten bleiben und diesen Gesamtschutz haben sie in der Weise definiert, dass sie gesagt haben, es muss, wenn man vom Lohn nach unten abweicht, auf der anderen Seite eine Kompensation geben, zum Beispiel längeren Urlaub oder ähnliches.

    Also das Schutzniveau muss gleichwertig sein und das ist etwas Neues.

    Wolfgang Deupler ist emeritierter Professor für Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht der Universität Bremen. Gesamtschutz, das heißt für den EUGH, wenn Leihbeschäftigte schlechter bezahlt werden als Stammbeschäftigte, müssen sie dafür einen wesentlichen Ausgleich bekommen, da genügt nicht ein Werbe geschenktes Leiharbeitsunternehmens wie der Generalanwalt des EUGH anmerkt.

    Sondern für deutlich weniger Lohn muss es beispielsweise deutlich mehr Urlaub geben. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in der Sache nicht das letzte Wort. Das liegt an der Arbeitsteilung der Gerichte. Der EUGH ist für die Auslegung des EU-Rechts zuständig, was genau die Entscheidung aber für das deutsche Rechtssystem bedeutet, muss das Bundesarbeitsgericht entscheiden, das den Fall nun wieder auf dem Tisch hat.

    Ich kann mir das eigentlich nicht anders vorstellen, als dass das Bundesarbeitsgericht sagen wird, Tarifverträge ohne Kompensation können den Equal Pay-Grundsatz nicht verdrängen, also gilt der gesetzliche Grundsatz von Equal Pay. Und das ist eine Aussage, die muss eigentlich in dieser Deutlichkeit kommen, dann können sich ja andere Leute darauf berufen und dann kann man daraus konsequenzen sie.

    Für den Fall der Leiharbeiterin aus Bayern würde das bedeuten, wenn sie beweisen kann, dass sie tatsächlich rund drei Euro fünfzig die Stunde weniger verdient hat, müsste das Leiharbeitsunternehmen ihr den Unterschied zahlen, denn im Tarifvertrag der Fürsigalt war ein Ausgleich für den schlechteren Lohn nicht vorgesehen.

    Genauso ist es auch beim ehemaligen Leiharbeiter Thomas B. Auch sein Fall ist bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ausgesetzt. Nicht nur Leihbeschäftigte, auch Gewerkschaften, Leiharbeitsunternehmen und die Bundespolitik schauen deshalb nun nach Erfurt zum Bundesarbeitsgericht, weil es die weitreichende Grundsatzfrage gleicher Lohn für gleicher Arbeit geht.

    Egal wie das Bundesarbeitsgericht entscheidet, es dürfte eine Entscheidung darüber werden, ob das System der Zweiklassenbezahlung von Leiharbeitern und Stammbeschäftigten ein Ende findet oder weitergeht. Mehr als achthunderttausend Beschäftigte arbeiten in Deutschland in der Leiharbeit.

    In wohl keinem anderen Bereich ist die Tarifbindung so hoch, nämlich achtundneunzig Prozent. Das klingt gut, aber wie gesagt, erst die Tarifverträge ermöglichen die schlechtere Bezahlung, sie sind das Schlupfloch der europäischen Richtlinie, das in Deutschland genutzt wird.

    Diese Tarifverträge könnten neu verhandelt werden müssen, wenn das Bundesarbeitsgericht die Rechte von Leiharbeitern stärken sollte. Beim Interessenverband der deutschen Zeitarbeitsunternehmen EGZ mag man sich dieses Szenario noch nicht ausmalen und schätzt auch die juristische Ausgangslage anders ein.

    Unseresachtens war das deutsche Recht den Gesamtschutz der Zeitarbeitskräfte, wir bieten gute Arbeitsbedingungen in unseren Tarifverträgen, wir haben jetzt im Januar noch einmal ein Tarifabschluss gemacht mit Lohnsteigerung von bis zu dreizehn Prozent in einer Laufzeit von einem Jahr, also da müssen wir uns nicht verstecken, wenn man das vergleicht mit den Abschlüssen in anderen Branchen.

    So Martin Dreyer vom Arbeitgeberverband EGZ, er argumentiert, dass Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in Deutschland gleich doppelt geschützt seien. Erstens durch die Tarifverträge und zweitens durch das sogenannte Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz, das Gesetz also, das in Deutschland die EU-Richtlinie zur Leiharbeit umsetzt. Darin steht, wenn ein leihbeschäftigter Unbefristet angestellt ist, muss das Leiharbeitsunternehmen ihn auch in der Zeit zwischen zwei Einsätzen bezahlen.

    Ein Einsatz bei einem Einsatzunternehmen ist zu Ende gegangen, man hat keinen unmittelbaren Anschluss-Einsatz und dann ist der Mitarbeiter im Gründe genommen, er kann zu Hause sein, er muss nicht arbeiten und …

  • Friedensforschung als Beruf

    Zu den verheerenderen Publikationen des 20. Jahrhunderts gehört Max Webers Politik als Beruf. Das Werk inspriert bis jetzt all die Rädchen vor allem deutscher Machtapparate – und nochmal ganz besonders die, die am Anfang ihrer Karriere mal menschenfreundlichere Positionen eingenommen haben –, allen möglichen fiesen Quatsch zu rechtfertigen durch „Verantwortungsethik“, während sie Kritik ihrer ehemaligen MitstreiterInnen als (sc. verantwortungslose) „Gesinnungsethik“ abschmettern können, ohne sich mit Argumenten herummühen zu müssen.

    Vor diesem Hintergrund scheinen die laut taz-Autor Pascal Beuker „führenden deutschen Friedensforschungsinstitute“[1] auch eher auf Beruf und weniger auf Forschung setzen. Beuker berichtete nämlich im Artikel Langer Abnutzungskrieg (taz vom 12.6.; in der Papierausgabe war glaube ich keine Helden-Illustration dabei):

    Zum einen müsse die Ukraine militärisch, ökonomisch und politisch weiter nach Kräften unterstützt werden. Das werde wohl „auf sehr lange Zeit“ notwendig sein, „vermutlich sogar über Jahrzehnte“, sagte [die Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung] Deitelhoff. […]

    „Die sich [aus einer einseitigen Einstellung des Gemetzels] ergebende militärische Niederlage der Ukraine würde voraussichtlich deren Zerschlagung nach sich ziehen, einhergehend mit einer Besatzungspraxis von Folter, Verschleppung, sexueller Gewalt und gezielten Tötungen, die wir bereits jetzt in den von Russland besetzten Gebieten beobachten“, sagte Deitelhoff.

    Gut: „Friedens- und Konfliktforschung“ ist im Profibereich („als Beruf“) eher ein Chiffre für „geopolitische Beratung von Außen- und Militärministerium“ (oder, mit etwas mehr Klartext: „Tipps fürs Fertigmachen der Feinde“), so dass ich mich über diese friedenspolitische Bankrotterklärung nicht wirklich gewundert habe. Vielleicht ist der LeserInnenbriefredaktion der taz diese kleine Unehrlichkeit aufgefallen, denn sie hat den folgenden Leserbrief nicht publiziert.

    Aber weil ich nicht oft genug auf die offensichtlichen Parallelen zwischen der derzeitigen Öffentlichkeit und der im ersten Weltkrieg hinweisen kann, kommt er dann hier:

    Liebe Redaktion,

    Wenn einem Forschungsinstitut zur Konfliktbewältigung nur Krieg „über Jahrzehnte“ einfällt, wird es wohl kein Friedensforschungsinstitut sein, schon gar kein „führendes“, wie Pascal Beuker meint. Und tatsächlich: Selbst wer (soweit es mich betrifft irrigerweise) meint, ein guter Krieg sei einem schlechten Frieden vorzuziehen, sollte jedenfalls nicht mit den Durchhalteparolen von Verdun kommen. Auch damals hieß es unter großzügiger Nutzung rassistischer Stereotype (die Kolonialtruppen!), „die Franzosen“ würden, wenn „wir“ nicht mehr schießen würden, vergewaltigend und mordend durch die Lande ziehen. Faktencheck bei der Ruhrbesetzung 1923-1925: Nichts davon. Die französische Besatzung war besser als das Wüten der deutschen Wehrmacht im Ruhrgebiet im Gefolge des Kapp-Putsches 1920, und besser als die Heimatfront während des ersten Weltkriegs sowieso.

    -- Anselm Flügel

    Nachtrag (2023-07-01)

    Zum Thema Phantasmen im Hinblick auf Kolonialtruppen bin ich jüngst bei einer Museumspass-Tour nach Mainz im dortigen Naturkundemuseum auf folgendes Zitat des immer noch von vielen als Lichtfigur der Weimarer Republik verehrten ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert (SPD) gestoßen:

    Foto eines weißen Textes auf schwarzem Grund: „Die Verwendung farbiger Truppen niederster Kultur als Aufseher über eine Bevölkerung von der hohen geistigen und wirtschaftlichen Bedeutung der Rheinländer [ist] eine herausfordernde Verletzung der Gesetze europäischer Zivilisation“ (Friedrich Ebert, 13.2.1923)

    Aber nun gut: Das ist der Ebert, der sich mit den protofaschistischen Freikorps verbündete gegen SpartakistInnen, die Müncher Räterepublik oder die im Leserbrief erwähnten ArbeiterInnen an der Ruhr. Ein weiteres Beispiel dafür, dass es wirklich keine Inflation braucht, um das Ende der Weimarer Republik zu erklären.

    Und wo ich schon in die Geschichte blicke: In gewisser Weise noch mehr Parallelen bestehen zum Krimkrieg der 1850er Jahre, und zwar nicht nur im Hinblick auf den Ort des Gemetzels oder die erstmalige breite Anwendung jeweils neuer Techniken in der Berichterstattung. Das ist mir neulich aufgefallen, als ich im schönen Geschichtswerk „The Age of Capital 1848-1875“ des 2012 verstorbenen britischen Großhistorikers Eric Hobsbawm folgende Passagen las:

    Im Zeitalter der Revolutionen [laut Hobsbawm 1789-1848; das ist auch der Titel des Vorgängerbuchs], oder jedenfalls nach der Niederwerfung Napoleons […] waren die Regierungen der Großmächte extrem darauf bedacht, größere Konflikte untereinander zu vermeiden. Ihre Erfahrungen schienen nahezulegen, dass größere Kriege und Revolutionen gerne miteinander einhergehen. […] Nach der Niederwerfung Napolons 1815 hatten die Großmächte für über dreißig Jahre ihre Waffen nicht gegeneinander eingesetzt und ihre Militäroperationen [sic!] beschränkt auf die Unterdrückung von nationalem oder internationalem Umstürzlertum, auf diverse lokale Unruheherde und auf die Expansion in zurückgebliebene Teile der Welt.

    [Hobsbawm erzählt im Folgenden von weniger besorgten europäischen Regierungen, die, nach dem harmlosen Ausfizzeln der 1848er-Revolutionen entspannter im Hinblick auf aufmüpfige Untertanen, sich wieder mehr ums gegenseitige Abjagen von Filetstückchen kümmerten.]

    Das erste größere Ergebnis dieser Störung war der Krimkrieg (1854–1856). Von allen Kriegen der Zeit zwischen 1815 und 1914 kam dieser einem allgemeinen europäischen Krieg am nächsten. Die Ausgangssituation war in keiner Weise neu oder unerwartet. Dennoch entwickelte sich eine große, bemerkenswert inkomptetent geführte, internationale Schlächterei zwischen Russland auf der einen und Großbritannien, Frankreich und der Türkei auf der anderen Seite. Es wird geschätzt, dass dieser Krieg über 600'000 Männern das Leben kostete, fast eine halbe Million davon durch Krankheit. Dabei handelte es sich um 22% der britischen, 30% der französischen und ungefähr die Hälfte der russischen Truppen.

    Leider kann ich nicht sagen: „Ein Glück, dass wir heute kompetente Friedensforschung haben, die herausgefunden hat, wie weise StaatslenkerInnen so einen Unsinn verhindern können“.

    [1]Wobei ich persönlich finde, dass sich schon disqualifiziert hat, wer in der BRD über Friedensforschung redet und das nicht relativ zur Tübinger Informationsstelle Militarisierung einordnet.
  • Von Tullymonstren und den Geschwistern der Wirbeltiere

    Als in den Meldungen der Deutschlandfunk-Sendung Forschung aktuell am 17.4. ab Minute 3:02 vom „Tullymonster“ (zoologisch Tullimonstrum gregarium, was auch nicht so viel schmeichelhafter klingt) die Rede war, wurde ich schon deshalb neugierig, weil ich wissen wollte, ob das arme Tier wohl die Bezeichnung „Monster“ verdient.

    Nachdem ich den zugehörigen Wikipdia-Artikel überflogen und die dort gezeigte Lebendrekonstruktion mit einer Art Augenstange[1] und einem Rüssel mit einer stilettbesetzen Spitze betrachtet hatte, fand ich die Bezeichnung zumindest naheliegend, um so mehr als die Viecher nur mal kurz im Oberkarbon (also vor ca. 300 Megajahren) und damit näher an der nachgerade außerirdischen Ediacara-Fauna als an uns lebten. Vermutlich gibt es nicht mal mehr Nachkommen, die die Monster-Rede beleidigen könnte. Trotzdem will ich hier lieber von Tullytier sprechen, vor allem zu meiner eigenen Tippfreude.

    Drei Grafiken des gleichen Fossils: ein Farbfoto mit etwas erkennbaren Strukturen, eine Höhenkarte aus einem 3D-Scan, bunt aber für Laien unzugänglich, sowie eine Skizze mit einer Erklärung der erkennbaren features.

    Um eine Vorstellung zu bekommen, warum sich ernsthafte Menschen über Jahrzehnte hinweg streiten können, ob die Tullytiere Rückgrat hatten oder nicht, lohnt sich ein Blick auf die Abbildung 1 im Mikami-Paper; oben ein Farbfoto eines vermutlich recht gut erhaltenen Tieres, darunter ein 3D-Scan, auf dem ich noch weniger erkenne (Rechte: Wiley).

    Aus Sicht der Biologie sind die Tiere jedenfalls monströs, weil niemand so recht weiß, was sie sind, auch wenn in Nature schon 2016 überoptimistisch verkündet wurde: „Scientists Finally Know What Kind of Monster a Tully Monster Was“. Die Ansage war, es sei ein Wirbeltier gewesen, fast schon ein modernes. Eingestanden: die Leute haben damals methodisch schweres Geschütz aufgefahren, etwa Augenuntersuchungen mit Röntgen-Spektroskopie, und zwar mit extrateuerem Synchrotron-Röntgen. Wer Anträge für Zeit an so teuren Geräten durchbringt, mag durchaus Grund zu Selbstvertrauen haben (Beweis durch Förderung: „How could three different funding agencies be wrong?“).

    3D-Scans aus der Lagerstätte

    Nature hin, Edel-Röntgen her: Dem Schluss von 2016 widerspricht – wie im DLF berichtet – mit einiger Zuversicht Tomoyuki Mikami vom Japanischen Nationalmuseum für Natur und Wissenschaft, der mitsamt Kollegen von verschiedenen japanischen Geo- und Bio-Instituten das Paper „Three-dimensional anatomy of the Tully monster casts doubt on its presumed vertebrate affinities“ im Wiley-Blatt Paleontology untergebracht hat (doi:10.1111/pala.12646; die DOI-Ankunftsseite (um mal was für „landing page“ vorzuschlagen) ist leider eine schlimme Javascript-Hölle, was es um so trauriger macht, dass es das Paper noch nicht zu libgen geschafft hat).

    Hauptsächliche Datenbasis der Untersuchungen waren 3D-Scans von 153 Tullytier-Fossilien und 75 anderen Fossilien aus der einzigen Tullytier-Fundstelle, der „Lagerstätte“ (ein süßer wissenschaftlicher Teutonizismus) Mazon Creek ein Stück südwestlich von Chicago. Insgesamt sind in dem Schiefer dort deutlich über 1000 Tullytiere gefunden worden. Dazu kommen noch ein ganzer Haufen weiterer Tiere, die jetzt nicht unmittelbar ins Wortfeld „Versteinerung“ gehören: 42% der tierischen Mazon Creek-Fossilien sind Quallen.

    Die Scans sollen eine Auflösung von beachtlichen 150 μm haben (in unseren furchtbaren Computereinheiten rund 180 dpi). Ich wollte wissen, wie viele Gitterpunkte bei so einem Scan rauskommen werden. Grob ist das die Oberfläche des Fossils geteilt durch die Größe eines Pixels, also für ein grob kugeliges Gebilde von rund 2r = 30  cm Größe (jaja: das ist auch keine schmeichelhafte Beschreibung eines Tullytiers) 4πr2 ⁄ ρ2. Mit der Auflösung ρ = 1.5 × 10 − 4  m liefert das etwas wie 12 Millionen Mesh-Punkte. Danke, liebe GamerInnen, dass ihr die Entwicklung von Systemen finanziert habt, die sowas in annehmbarer Zeit visualisieren.

    Obendrauf haben Mikami et al für einen Rüssel mit „Stiletten“ – von „Zähnen“ reden sie lieber nicht, weil das sehr nach Kiefern und damit nach Wirbeltieren klingt – vornedrin ein hochauflösendes CT (10 μm) gewonnen, um dieses mundähnliche Ding mit unstrittigen Kiefern vergleichen zu können. Ich spoilere: die Autoren finden, dass das schon von der Form her (wiederum haben sie mit 3D-Visualisierung operiert, um das zu belegen) was ganz anderes ist als jedenfalls die Kreatinraspeln, die Schecken haben, so dass sie diese Verwandtschaft für die Tullytiere ausschließen.

    Was versteinert wie? Hauptachsen!

    Der methodische Teil des Papers geht vor allem bei so marginalen Spuren zentralen Frage nach, welche Strukturen sich in dem Schiefer wie gut erhalten, und versuchen, dem eine etwas quantitativere Basis zu geben. Dabei – und sie glauben, damit paläontologisches Neuland zu betreten – schreiben sie eine Matrix mit neun möglicherweise erhaltenen Körperteilen (die Augenstange, die Schwanzflosse, der Halbmond im Kopfbereich usf) auf der einen Achse und ihre 153 Proben auf der anderen. Wo sie so ein Körperteil sehen, steht in der Matrix eine Eins, wo nicht, eine Null, wo das Fossil gar nicht so weit geht, eine Fehlmarkierung. Über diese Matrix nun lassen die Autoren eine Hauptkomponentenanalyse laufen.

    Das ist ein relativ cleveres Verfahren aus der linearen Algebra, das die Matrix als Körper in einem 153- (das ist die Zahl der Proben) -dimensionalen Raum auffasst und dann möglichst viele Dimensionen so zusammenzwingt, dass maximal viel Volumen übrig bleibt. Die (bei vielen Problemen nachweislich gute) Vorstellung ist, dass mensch die „wesentlichen“ Eigenschaften, die in 153 Dimensionen nie erkennbar sind, in zwei oder drei Dimensionen sehen kann und in den zusammengequetschen Dimensionen vielleicht eher so Rauschen war. Im vorliegenden Paper lassen Mikami et al zwei Dimensionen übrig und haben also ein neue Matrix, in der jedem Körperteil zwei Zahlen zugeordnet sind.

    Per Draufgucken sind diese Zahlen zwar nicht unbedingt leicht zu interpretieren. Es ist aber glaubhaft (wenn auch nicht offensichtlich), dass Körperteile, deren zwei Zahlen nahe beieinander liegen, auch ziemlich ähnlich versteinern. Deshalb gibt es Abbildung 3 der Studie:

    Plot mit Caption; die Punkte im Plot sind mit Abkürzungen von Körperteilen versehen; ein wirklich auffälliges Muster ist nicht zu erkennen.

    Rechte: Wiley

    „Taphonomically“ in der Caption bedeutet „was das Versteinern angeht“. Wirklich sehr auffällige Strukturen sind in der Grafik kaum zu erkennen, und aus meiner Sicht ist auch die Einsicht, dass die Schwanzflosse und das Rechteck hinter den Augen ziemlich ähnlich versteinern, weder sonderlich aufschlussreich noch arg naheliegend.

    Vielleicht doch lieber qualitativ arbeiten

    Leider wird die eben formulierte Erwartung, dass ähnlich versteinernde Körperteile in so einem Graphen an ähnlichen Stellen liegen sollten, sofort unvernünftig, wenn andere Organe bei anderen Tieren dazukommen, denn es ist vermutlich fast unmöglich, die auf diese Weise eingeführten „verschiedenen“ Dimensionen so zusammenzuquetschen, dass die sich ergebenden gequetschten Dimensionen in einen gemeinsamen Plot gemalt werden können.

    So taugt die Methode also wahrscheinlich nicht wirklich, um etwa zu argumentieren: „Eine ordentliche Wirbelsäule liegt bei (20,-15), das axial band beim Tullytier aber bei (10,23), und drum hat das Tullytier keine Wirbelsäule.“ Die Autoren sagen (glaube ich) nirgends, dass sie das vorhatten, und sie zeigen auch nirgends entsprechende Plots von anderen Spezies. Aber ich hätte probiert, irgendwas zu basteln, damit ich sowas machen kann. Ich wäre (wie vielleicht die Autoren) ziemlich sicher gescheitert.

    Dennoch überzeugt mich am Paper, dass sie 75 weitere Fossilien anderer Spezies aus der Fundstätte gescannt haben, und zwar insbesondere bekannte Wirbeltiere. Auf diese Weise können sie dann eben qualitativ argumentieren, beispielweise, dass eine rechteckige Struktur hinter den Augen wohl eher nicht ein Hirnlappen sein wird, da sich dieser ja dann auch bei den bona fide-Wirbeltieren hätte erhalten müssen – was nicht der Fall ist.

    Ein ähnliches Vergleichs-Argument funktioniert für Kiemen:

    However, we found no evidence for gill pouches or other pharyngeal arch-associated structures in our comprehensive 3D dataset. Branchial structures are otherwise clearly preserved in specimens of the stem lampreys [Neunaugen] Mayomyzon and Pipiscius, from Mazon Creek, which is incompatible with the mode of preservation in Tullimonstrum.

    Die Erhaltung der Segmentierung des Körpers vergleichen die Autoren mit Gliederfüßern und finden, dass deren Chitin-Exoskelette schärfer und weniger plattgedrückt erhalten sind. Das Tullytier wird also auch nichts in der weiteren Umgebung von Insekten gewesen sein.

    Kurz nach der Erfindung der Knochen: Schädellose und Manteltiere

    An dieser Stelle habe mich mich begeistert in die Taxonomie ein wenig oberhalb der Wirbeltiere gestürzt: Dort sind die Chordatiere. Wikipedialogisch finde ich es bemerkenswert, dass irgendwer ein ganzes Kapitel zur internationalen Begriffsgeschichte in diesen Artikel geschrieben hat und damit fast ein Drittel seiner Gesamtlänge bestreitet.

    Vermutlich ist so eine textkritische Herangehensweise in diesem Geschäft kein Fehler, worauf auch Mikami et al am Ende ihrer Arbeit hinweisen:

    Die einzigartige Morphologie von Tullimonstrum ist kaum vergleichbar mit der irgendeines anderen bekannten Tieres und ruft uns so ins Bewusstsein, dass in der Erdgeschichte viele weitere interessante Tiere existiert haben, die nicht als Fossilien erhalten sind, die jedoch für ein Verständnis der vollen Evolutionsgeschichte der Metazoa [ich musste auch nachsehen: das sind die vielzelligen Tiere] unverzichtbar sind.

    Chordatiere haben jedenfalls bereits einen Haufen der Dinge, die wir für Tiere ziemlich normal finden (Herz, irgendwas wie einen Darm) und haben angefangen, eine Struktur auszubilden, die ich als Laie auch für eine Wirbelsäule halten könnte, die aber bei den Geschwisterstämmen der Wirbeltiere anders rausgekommen sind.

    Diese Geschwister sind einerseits die extragruselig benannten Schädellosen (deren überlebende Vertreter normale Menschen wohl für Fische halten würden) und andererseits die Manteltiere, die aus meiner Sicht erheblich bizarrer sind, schon, weil sie in ihrem Körper Zelluose verbauen, also …

  • Ach Bahn, Teil 13: Besser wirds am XX.XX.XXXX

    Die Bahn behauptet ja gerne, all die indiskreten „Analytik“-Skripte, die sie über ihre Webseite ausliefert, dienten irgendwie dazu, die „User Experience“ zu verbessern. Wenn das so ist, so hoffe ich, dass ihnen ihre Analytik-Dienstleister Hinweise zur profunden Nutzlosigkeit von Meldungen dieser Art geben:

    Screenshot der Bahnseite mit einer Meldung „Zum XX.XX.XXX werden die technischen Systeme von bahn.de umgestellt [...] Mehr Informationen finden Sie unter d2.

    Aber nennt mich konservativ: Ich sehe dem angekündigen XX.XX.XXXX mit wenig Freude entgegen, denn trotz aller Analytik ist die Bahn-Webseite über die Jahre für mich immer schlechter bedienbar geworden. Während die ersten Formulare schnell luden, praktisch ohne Belastung für heutige CPUs renderten und mit Browser-Hausmitteln tastaturbedienbar waren, ist die heutige Javascript-Wüste in jeder Hinsicht lästig. Das einzige Feature jedoch, das mir schon in den ganz alten Bahnseiten fehlte, fehlt immer noch: Wenn sie schon wissen, wer ich bin und dass ich eine Bahncard 50 habe, dann könnten sie doch voreinstellen, dass ich auch Bahncard 50-Fahrkarten kaufen will.

    Nach etwas Kontemplation habe ich übrigens verstanden, dass ich das „d2“ in der Meldung oben ignorieren muss und kann, wohingegen das Ding mit dem Pfeil davor zwar völlig aus dem Layout fällt, aber den Satz im Absatz darüber komplettiert und mithin der Link sein wird, unter dem es „mehr Informationen“ geben soll. Also klickte ich auf die „Zukunft der Bahn“ und war nach dem oben Gesagten nur sehr mäßig enttäuscht, als ich Folgendes zu sehen bekam:

    Screenshot: „Sie haben in Ihrem Browser JavaScript deaktiviert, dies wird jedoch von unserer Anwendung benötigt.“

    Liebe Bahn: Ich will keine „Anwendung“. Ich will ein Formular, über das ich Fahrplanauskünfte bekomme und vielleicht noch Fahrkarten kaufen kann. Ja, das geht ohne Javascript, und eine öffentliche Infrastruktur – um einen Gegenbegriff zum „modernen Dienstleistungsunternehmen“ einzuführen – sollte das auch dann möglich machen, wenn sie gegenwärtig in eine etwas ungeeignete Rechtsform gezwungen ist.

  • Bruchsal zwischen Mandolinen und Soldaten

    Foto von ca. 20 Lederbändern mit aufgepressten Metallplättchen über Klaviersaiten mit einem Holzbügel mit der Aufschrift „Mandoline auf die Zapfen Z setzen”.

    Ein Detail eines automatischen Klaviers („Pianova“ von den Leipziger Musikwerken Paul Lochmann GmbH), ca. 1910. Was es mit diesen Lederstreifen auf sich hat, erzähle ich ziemlich gegen Ende dieses Posts.

    Unter den Einrichtungen, die beim Oberrhein-Musesumpass mitmachen, finden sich einige Burgen (z.B.) und Schlösser (nochmal z.B.). An Fronleichnam verschlug es mich in dieser Angelegenheit in die Residenz der Fürstbischöfe von Speyer in Bruchsal.

    Dafür, dass das Bistum Speyer eine recht überschaubare Herrschaft war, ist der Palast, den der Potentat Damian von Schönborn-Buchheim seinen Untertanen in den 1720er Jahren abgepresst hat, beeindruckend groß und großzügig. Noch überraschender angesichts des Duodezbauherren ist, dass beim Bau die Stars der damaligen Prunkbauten-Szene – etwa Balthasar Neuman oder Cosmas und Damian Asam – am Start waren.

    Der Fairness halber will ich einräumen, dass sich Schönborn-Buchheim ein Schloss ersetzen ließ, das Soldaten in einem Krieg kaputtgehauen hatten, mit dem er nichts zu tun hatte, und dass er selbst sich mit Kriegen und anderem Gemetzel vorbildlich zurückgehalten hat.

    Insofern darf mensch das völlig übertrieben große Treppenhaus und die Prunkhallen mit ihren nicht immer ganz geschmackssicheren und schon wegen ganzer Bände heidnischer Mythen entschieden unfrommen Deckenmalereien ohne viel schlechtes Gewissen goutieren, um so mehr, als die aktuellen Decken ohnehin aus der Nachkriegszeit stammen. Alliierte Bomber haben das Schloss nämlich bei Angriffen auf die in Bruchsal stationierten deutschen Zweite-Weltkrieger noch im März 1945 getroffen, woraufhin es ausgebrannt ist.

    Foto einer großen runden Mauer mit Durchblick auf ein hohes Deckenfresko

    Das Treppenhaus im Schloss von Bruchsal ist eigentlich klar überdimensioniert für das kleine Reich seiner Besitzer.

    Soldaten gehen und kommen

    Das mutmaßliche Ziel der Alliierten gehört zur bösen Geschichte Bruchsals: Seit den Zeiten des Fürstbischofs hatte das Städtchen eine Kaserne. 1922 befreiten die Demilitarisierungsregeln des Versailler Vertrags die BürgerInnen von den Soldaten, 1945 nochmal der Zusammenbruch der faschistischen Herrschaft. In beiden Fällen kamen die Soldaten leider bald wieder.

    Da die Bundeswehr Anfang der 1990er Jahre ein vorerst letztes Mal verschwunden ist („Friedensdividende“), ist Bruchsal zur Zeit wieder militärisch unbelastet. Die zurückbleibende Kaserne – ich kann der Abschweifung nicht widerstehen – nutzte die Landesregierung von Baden-Württemberg für ein besonders verdrehtes Experiment im Rahmen ihrer Privatisierungsstrategie für Hochschulen (vgl. neulich zu Bologna): Die International University in Germany, in die die öffentliche Hand mehrfach ein paar Millionen Euro versenkte, bevor der Laden erwartungsgemäß Pleite ging. Ich weiß nicht, was jetzt in der Kaserne ist; hoffentlich kommen die Soldaten nicht schon wieder zurück. Ganz sicher wäre selbst ein weiteres Experiment mit einer Privatuniversität weniger grässlich – und erheblich billiger sowieso.

    Die Guillotine von Plötzensee

    Aber zurück zum Schloss: Neben den Prunkräumen befindet sich dort heute das Stadtmuseum, das etwa die recht interessante Geschichte des Bruchsaler Knastes beleuchtet (bemerkenswerterweise ohne Erwähnung des dort bis vor 15 Jahren einsitzenden Promis Christian Klar). Insbesondere war mir ganz neu, dass der Scharfrichter des NS-Volksgerichtshofs im Strafgefängnis Plötzensee seinen Opfern mit der badischen Guillotine von Bruchsal die Köpfe abschlug – angesichts der eigentlich liberalen Tradition des Landes Baden hat diese Geschichte, finde ich, eine gewisse Ironie.

    Liberale Tradition? Ja, eine weitere Geschichte aus dem Stadtmuseum handelt vom Revolutionsjahr 1848, als Bruchsal schon einmal ohne langfristigen Erfolg die Soldaten abgeschüttelt hatte: Damals nämlich waren die Dragoner ausgerückt, um den Hecker-Aufstand niederzuschlagen. Als sie damit fertig und also zurück in Bruchsal waren, nahmen viele der für eine Weile freiheitlich gesinnten BürgerInnen gegen sie eine „drohende Haltung ein“. Der Museumstext weiter: „Schließlich musste das Militär nach Mannheim verlegt werden, um die Ruhe in Bruchsal nicht weiter zu gefährden.”

    Aber wie gesagt: Trotz dieses vorübergehend vorbildlichen BürgerInnensinns waren waren die Dragoner wenig später wieder da. In der Realität gewinnen halt doch meistens die Bösen.

    Musikautomaten

    Aber ich will die Realität nicht schelten, denn es gibt auch immer wieder bezaubernde Wunderdinge. Besonders viele davon sind im Musikautomaten-Museum versammelt, das ebenfalls mit dem Schloss-Ticket besichtigt werden kann (ihr solltet mindestens zwei Stunden dafür einplanen). Dort hatte ich die Einsicht, dass es neben der Analog-Schallplatte („Schellack“) rund um 1900 herum eine ernstzunehmende digitale Konkurrenz durch Lochplatten gab:

    Eine Metallplatte mit eingestanzen Löchern entlang von konzentrischen Spuren in einem Abspielmechanismus mit hölzernem Kasten.

    In diesen Platten sind Impulse kodiert, die Stimmzungen oder Pfeifen ansteuerten; jede Spur entsprach einem Ton, so dass der Zauber schon nach einer Umdrehung etwas repititiv wurde – aber sie drehten natürlich auch viel langsamer als die 45 Umdrehungen pro Minute zeitgenössischer Schallplatten, und ihre Klangqualität war um Längen besser. Das Bruchsaler Muserum hat zahlreiche Mechanismen, die Platten dieser Art mit verschiedenen Techniken abspielten.

    Mir ist beim Blick auf die Dinger durch den Kopf gegangen, dass ein wesentliches Problem der Technologie gegenüber der Schellackplatte neben der eher kurzen Spieldauer fehlende Standards gewesen sein dürften, also etwa: Wie groß soll die Platte sein? Wie schnell soll sie gedreht werden? Welche Zähnung hat die Antriebsspur? Welche Spur macht welchen Ton? Beim Schellack konnte recht bald jede Platte auf jedem Gerät gespielt werden, hier ziemlich sicher nicht.

    Putziges Implementationsdetail zur letzten Frage: Weil Basslinien in normalen Stücken deutlich langsamer sind als Läufe im Sopran, entsprechen innere (also kürzere) Spuren bei den Geräten fast immer tieferen Tönen.

    Was mich allerdings am meisten hingerissen hat: Der Hack vom Aufmacherfoto, nämlich auf Lederbänder gepresste Blechlein. Diese Teile haben einem mechanischen Klavier wirklich so eine Art Mandolinenklang (also: etwas schnarrend) beigebracht, und zwar indem der Holzbügel, der im oberen Teil des Fotos erkennbar ist, die Lederbänder auf die Saiten gedrückt hat, vielleicht ein wenig wie bei einem Dämpfer. Erstaunlicherweise haben dann die mitschwingenden Blechlein wirklich den Toncharakter erheblich verändert. Ob ich den neuen Klang ohne Vorsagen „Mandoline“ genannt hätte, lasse ich mal offen.

    Ein Rat noch: Nehmt euch Gehörschutz mit. Etliche der Maschinen waren für Jahrmärkte und laute Kneipen gedacht und von der Lautstärke her entsprechend ausgelegt.

  • Skandalöse Plotholes: Loriot vs. Scrabble

    Wenn ich gerne mal eine Partie Scrabble spiele, mag das durchaus an Loriots Film Ödipussi aus dem Jahr 1988 liegen. Darin versucht eine ältere Dame („Tante Mechthild“) zunächst, mit dem Wort „Hundnase“ durchzukommen:

    Ein Scrabble-Brett mit einigen gelegten Wörtern, eine Hand vollendet gerade „Hundnase“

    Rechte: Warner Home Video (nehme ich an)

    Das führt natürlich zu einer der großartigen Debatten, ob es nun ein Wort gebe oder nicht und ob es von den jeweiligen Hausregeln her zulässig sei. Die Spielrunde zwingt Mechthild mit strengen Blicken und Kommentaren, das Wort zurückzunehmen. Sie darf es aber – das ist auch schon eine liberale Regelabweichung – nochmal probieren. Auf diese Weise entsteht der Klassiker „Schwanzhund“:

    Das gleiche Scrabble-Brett wie eben, nur vollendet die Hand jetzt „Schwanzhund“

    Rechte: Warner Home Video (nehme ich an)

    Ich weiß gar nicht, wie mir das bisher entgehen konnte, aber: Das ist sehr wahrscheinlich ein Plothole, ein Fehler im Drehbuch. „Schwanz“ sind ja sieben Buchstaben, also alle, die mensch beim Scrabble auf der Hand hat. Wie aber hat sie dann vorher „Nase“, also mit einem E, legen können?

    Es gibt eigentlich nur zwei Erklärungen[1]: Entweder ist Tante Mechthild tüddelig und hat versehentlich acht Steine auf der Hand gehabt (aber hätten ihre strengen MitspielerInnen sie das machen lassen?). Oder sie hat geschickt betrogen und das E gegen einen der Schwanz-Buchstaben ausgetauscht.

    Es mag schon sein, dass in diesem Twist eine subtile Botschaft von Loriot liegt, zumal Mechthilds Behauptung, das seien 57 Punkte, so auch nicht stimmt. Zwar ist richtig, dass mit den Buchstabenwerten des Filmspiels, dem Doppelwert des W und dem dreifachen Wortwert unter dem S 3 × 19 = 57 Punkte rauskommen, aber Mechthild bekommt eigentlich noch den Bonus fürs Ablegen aller Buchstaben und kommt also auf 107 Punkte – es sei denn, sie hat wirklich ein E behalten, weil sie acht Buchstaben auf der Hand hatte (vgl. oben).

    Aber dann passen die Buchstabenwerte nicht zu modernem Scrabble; jedenfalls in den (laut Wikipedia seit 1987) aktuellen deutschen Scrabble-Spielen gibt das C vier Punkte und das W drei Punkte. Ob das in alten Scrabbles anders war? Vielleicht gab es da auch noch keinen 50-Punkte-Bonus? Das gefilmte Spiel ist jedenfalls kein englisches Spiel (in dem die Buchstabenwerte natürlich ganz anders sind), erstens wegen der (deutschen) Beschriftung der Multiplikatorfelder, zweitens, weil es einen Ö-Stein gibt.

    Fragen über Fragen. Wer zur Aufklärung beitragen kann: gerne. Und guckt gar nicht erst: Bei IMDB ist das (noch) nicht kommentiert.

    [1]Dass die beiden Versuche in einem Zug passierten ist klar, weil sich am restlichen Brett nichts änderte. Theoretisch, das sei eingestanden, wäre denkbar, dass sie ihre Buchstaben in ihrem nächsten Zug ausgetauscht hat und ansonsten alle SpielerInnen über zwei Runden nur gepasst oder selbst ausgetauscht haben, aber das hat es wohl in der gesamten Geschichte des Scrabblespielens noch nicht gegeben.
  • Eine Xerox 860 in Basel

    Wer einen Blick auf die Verteilung der Teilnehmenden am Museumspass wirft, kann Basel (mit derzeit 67 Einrichtungen in der Region) nicht übersehen: Die Konzentration von Museen und ähnlichem rund um das Rheinknie ist beeindruckend. Deshalb habe ich letzte Woche ein paar Tage dort verbracht und allerlei gesehen, gelernt beziehungsweise bewundert. Und weil eh schon viele von Tinguely reden, möchte ich drei andere Museen hervorheben.

    Erstens will ich für die wunderbare Basler Papiermühle (jaja, die Webseite ist mit Crapicity 33.3 etwas lästig) Werbung machen, in der BesucherInnen Papier schöpfen, Antiqua mit Metall- oder Vogelfedern schreiben und sehen können, wie haarig es war, mit Schreibmaschinen fehlerfreie Texte zu Papier zu bringen.

    Mit besonderer Hingabe habe ich als großer Fan von TeX das Stockwerk mit den Satzmaschinen erkundet. Da steht zum Beispiel noch eine funktionsfähige Linotype, also eine Maschine, in der mit flüssigen Bleilegierungen hantiert wurde, um mehr oder minder automatisch Druckzeilen zu setzen. Welch ein Wunder der Technik!

    Ein komplizierter Mechanismus mit Tastatur und einem stolzen Typenschild „Linotype“ am ca. zwei Meter hohen Gehäuse.

    Mit solchen Höllenmaschinen wurden noch in den 1970er Jahren Zeitungen und Bücher gesetzt. Weil ein Tippfehler dabei zumindest das Neugießen einer ganzen Zeile nach sich zog – an einen automatischen Umbruch eines möglicherweise folgenden Restabsatzes war gar nicht zu denken – waren SetzerInnen wichtige Menschen, und ihre Gewerkschaften hatten erhebliche Macht.

    Dann jedoch kamen allmählich ordentliche Rechner in die Setzereien. Die Papiermühle entstand aus kommerziellen Unternehmen, die die Entwicklung von Unix, troff und TeX in den 1970er Jahren noch verschlafen haben. Daher findet sich dort nur die professionelle Konkurrenz, etwa in Form dieser erstaunlichen Maschine von 1980:

    Ein schreibtischhoher Rechner neben einem Schreibtisch mit einem Hochkant-Monitor und einer großen gelben Tastatur.

    Es handelt sich um eine Xerox 860, eine für „Textverarbeitung“ geschaffene Maschine mit Schwarz-auf-Weiß-Display (ich vermute allerdings, dass es furchtbar geflimmert hat) und, wie ich in Basel zum ersten Mal gesehen habe, sogar einem Touchpad (ganz rechts in der Tastatur). 1980!

    Ich hätte gerne gesehen, was das Touchpad wohl gesteuert hat, aber leider war ich zu feige, das Museumspersonal um eine Demonstration zu bitten. Wahrscheinlich ist das Teil aber tatsächlich nicht mehr lauffähig, und zwar weil die Software schon von Diskette kam, wenn auch von den riesigen Floppies der ersten Generation mit einem Durchmesser von acht Zoll (das ist so in etwa A4-Breite). Ich wäre überhaupt nicht überrascht, wenn alle Floppies dieser Art inzwischen komplett durch wären – und wenn sie es nicht sind, würde ich erwarten, dass die Antriebsriemen der gigantischen Laufwerke inzwischen so ausgeleiert sind, dass auch von guten Floppies nichts mehr zu lesen wäre.

    Aber wer weiß? Wenn ich nochmal in der Papiermühle bin, muss ich einfach mal fragen – allein der Headload[1] von Laufwerken in der Größe wird mir wahrscheinlich das Herz wärmen, denn als ich in den späten 1980er Jahren Zivildienst im Krankenhaus leistete, gab es die Achtzöller auch noch im Siemens-CT des Hauses (während der Rest der Welt bereits die auf sie folgenden 5 ¼-Zöller zugunsten der 3 ½-Zöller, die noch heute viele „Speichern“-Icons zieren, beerdigt hatte). Es wäre jedenfalls schon schön, die markerschütternden Headloads nochmal zu hören.

    Ansonsten illustriert die Papiermühle immer wieder überdeutlich, wie mühsam und arbeitsintensiv jeder Schritt der Produktion von Druckmaterial – Papierherstellung, Satz, Vervielfältigung, Binden – noch vor fünfzig Jahren war. Wie eigentlich immer, wenn ich irgendwo sehe, wie viel wir automatisiert haben (oder automatisieren könnten), frage ich mich ernsthaft, wie es sein kann, dass wir ganz wie zu Zeiten unserer Großeltern immer noch 40 Stunden die Woche (oder mehr) lohnarbeiten. Wieso genau lassen wir uns mit all den dämlichen „Dienstleistungen“, Wettbewerben, Geschäftsführungen und Sicherheitsjobs beschäftigungstherapieren, statt endlich mal die Produktivitätsfortschritte in frei und sinnvoll verwendbare Zeit zu übersetzen?

    Beispiele für das, was Menschen mit frei verwendbarer Zeit anfangen könnten, sind sehr schön versammelt im zweiten Baseler, nun ja, Museum, das ich hier erwähnen möchte: Den Spielzeug Welten. Jaklar, das Leerzeichen ist doof, und ich gebe offen zu, dass ich angesichts des des prätentiösen Namens vielleicht eher mit einem Abriss über das Spiel in der Kultur gerechnet hätte, mit Halma, Spielkarten (zu denen es übrigens in der Papiermühle einiges gab), Modelleisenbahnen oder (jetzt wieder aktuell) Spielzeugpanzern.

    Das sind die „Spielzeug Welten“ nicht. Stattdessen sind fast ausschließlich Unmengen von Teddybären und Puppenstuben zu sehen und, zwischen herzig und verschroben, haufenweise Puppendioramen, die ganz klar niemals für Kinder gedacht waren. Leider ist das alles nicht so überwältigend gut kuratiert (meint: beschriftet). Selbst mit Infos aus bereitstehenden Computern wird der Kontext nicht immer ganz klar, was ich besonders traurig fand bei den aus meiner Sicht bizarrsten Exponaten: Einer Puppenstuben-Kapelle mit Kruzifix, Priester und allen Schikanen (welche blasphemischen Spiele hätten damit stattfinden sollen?) sowie einer Folterkammer als Puppenstube:

    In Bauntönen gehaltenes Modell einer Folterkammer mit Streckbank, eiserner Jungfrau, Pranger usf.

    Hier hätte mich sehr interessiert, wer dieses Ding wann wo und für wen gemacht hat.

    Ein lobendes Wort will ich noch zu einem dritten Baseler Museum loswerden: Im Naturhistorischen Museum gibt es neben vielen sorgfältig arrangierten Tierpräparaten vier besonders wunderbare Exponate, die den Fortgang der wissenschaftlichen Vorstellungen der Gestalt von Iguanodonen nachzeichneten. Zwischen den ersten Versuchen von Mantell im frühen 19. Jahrhundert (inklusive dem Daumenknochen als Nashorn) und den heutigen Zweibein-Läufern bestehen beeindruckend wenig Parallelen.

    Vielleicht wäre noch ein Hauch mehr Text zur Frage, warum sich die Vorstellungen so geändert haben, hilfreich gewesen, aber als Illustration des Wissenschaftsprozesses ist sowas einfach großartig. Leider spiegelte das Glas, hinter dem die Modelle standen, ziemlich schlimm; aber diese schnelle Montage mag dennoch einen Eindruck geben von der Evolution der Iguanodon-Vorstellungen (von links oben nach rechts unten):

    Vier Dinosauriermodelle von etwas Leguanähnlichem mit Einhorn über eine Eidechse mit breitem Schädel über ein Kängurudings bis zu einer vegetarischen Variante von T. Rex.
    [1]Für die, die nur noch kleine oder gar keine Floppies mehr kennen: die Schreib-Lese-Köpfe dieser Laufwerke saßen auf einer Art Hebel-Konstruktion, auf der auch der Schrittmotor montiert war, der sie über die Spuren bewegte. Beim Zugriff auf Daten klackte die ganze Moped mit einem ziemlich satten Sound gegen einen Anschlag, was als Headload bezeichnet wurde. Das Booten eines Rechners von Floppy erzeugte so einen für Betriebssystem und Version charakteristischen Schlagzeug-Track; bis heute habe ich CP/M-86 auf dem Siemens PC 16/10 im Ohr…
  • Iberische Schwertwale gegen Segelboote 50:0

    Größenvergleich eines Schwertwals zu einem Menschen (der vielleicht ein Drittel der Länge hat)

    Bei der Lektüre dieses Posts sollte mensch den Größenvergleich zwischen Menschen und Schwertwalen im Kopf haben (CC-BY Chris Huh).

    Wer meinen Beitrag zu menschenverzehrenden Pelztieren gelesen hat, wird nicht überrascht sein, dass mich ein Post auf Fefes Blog gestern auf Anhieb fasziniert hat. Er hat berichtet von „Angriffen“ von Orcas (auf Deutsch: Schwertwale; sachlich sind das besonders große Delfine, was Free Willy und Fortsetzungen geschickt kommerzialisiert haben) auf Boote im Atlantik vor Spanien, Portugal und noch ein bisschen Frankreich. Was immer da nun ganz aktuell passiert: Schon nach ein paar Klicks bin ich bei einem ordentlichen wissenschaftlichen Artikel gelandet, den ich mit einiger Faszination gelesen habe.

    Es handelt sich um die 2022 im Wiley-Blatt Marine Mammal Science erschienene Studie „Killer whales of the Strait of Gibraltar, an endangered subpopulation showing a disruptive behavior“, geschrieben Ende 2021 von Ruth Esteban vom Walmuseum in Madeira sowie KollegInnen aus einer beeindruckenden Menge verschiedener Institute aus den „betroffenen“ Ländern (doi:10.1111/mms.12947; leider gepaywallt und noch nicht bei libgen).

    Bekannte Täterinnen

    Vorneweg: Die Tiere heißen auf Englisch „killer whale“, nicht, weil sie gerne Menschen umbringen – tatsächlich hat sich offenbar noch kein wildlebender Orca für Menschen als Nahrung interessiert –, sondern weil sie ihre Beute gerne in einem recht blutigen Spektakel zerlegen. Dennoch fand ich die Vorstellung, dass da ein fast zehn Meter großes Tier mit jedenfalls sehr variablen Nahrungspräferenzen etwa an meinem Schlauchboot rumuntersucht, ganz entschieden gruselfilmtauglich.

    Meine erste Überraschung in dem Paper war nun, dass die „Täterinnen“ der Übergriffe auf die Boote wohlbekannt sind: Beim letzten Zensus im Jahr 2011 bestand die fragliche Population überhaupt nur aus 39 Individuen. Aufgrund von reichlichen Film- und Fotoaufzeichnungen konnten nun Esteban et al identifizieren, welche von denen sich an den Booten zu schaffen machten. Es stellte sich heraus: Die 50 „Interactions“ im Zeitraum von (im Wesentlichen) Mai bis Oktober 2020 gingen auf zwei Gruppen aus nur ingesamt 9 Tieren zurück.

    Eine sorgfältig zusammengestellte Tabelle der tierischen Kampagnen im Paper zeichnet recht deutlich das Bild, dass die Schwertwale spätestens ab August 2020 angefangen haben, praktisch täglich Bootfahrende zu belästigen. Mensch könnte den Eindruck gewinnen, sie hätten ein neues Hobby entdeckt.

    Ein Faible für Segelyachten

    Esteban et al schlüsseln das Walspielzeug nach Bootstypen auf. Populär sind vor allem Segelboote, was ich gut verstehen kann, denn ohne rotierende Schiffschraube sind die Dinger aus Orcasicht deutlich weniger gefährlich. Immerhin haben sie aber drei Mal auch Zodiacs untersucht, also etwas bessere Schlauchboote – hoffenlich hatten die Leute in den Nussschalen (die ja vermutlich deutlich kleiner waren als jeder einzelne der Wale) stahlharte Nerven.

    Zumindest im von Esteban beobachteten Zeitraum haben die Schwertwale die Boote aber erkennbar nicht kaputt machen wollen; sie haben eher für eine halbe Stunde oder so an ihnen rumgespielt, wobei sie fast immer das Steuerruder besonders interessierte. „Rumspielen“ ist mein Wort, aber die Beschreibung aus dem Paper legt das Wort schon sehr nahe:

    Wenn die Wale engeren Kontakt aufnehmen, üblicherweise am Steuerruder, drücken sie entweder mit ihren Köpfen und machen eine Hebelbewegung mit ihren Körpern, um das Blatt zu drehen. In manchen Fällen haben sie das Boot dabei um fast 360° gewendet. Je höher die Geschwindigkeit des Bootes oder je stärker die Besatzung um die Kontrolle des Steuerrades rang, desto mehr und stärker drückten die Wale in der Regel.

    Angefangen haben sie üblicherweise bei guter Fahrt des Bootes (gerne was wie 15 km/h, was für so einen Schwertwal kein großes Problem ist). Wenn das Schiff angehalten hat, ist es ihnen langweilig geworden und sie sind weitergezogen. Die Ausgänge „kaputt“, „beschädigt“ und „kein Schaden“ (jeweils im Hinblick auf das Steuerruder) sind dabei so in etwa gleich verteilt.

    Ich finde ja schon bemerkenswert, dass gerade mal neun Individuen so ein Bohei die Küste rauf und runter verursachen können, auch wenn es schon ziemlich große Tiere sind. Tatsächlich haben ihre Exploits die staatlichen Autoritäten zur Sperrung von Seegebieten gebracht:

    The Spanish Maritime Traffic Security authorities prohibited the coastal navigation for small (<15 m) sailing vessels where interactions were concentrated at the time.

    Vorboten des Schwarm-Szenarios?

    Eine wirklich gute Erklärung dafür, was den Walen das Interesse an den Steuerrudern beibrachte, haben auch Esteban et al nicht. Die Möglichkeit, sie würden damit ein unangenehmes Erlebnis etwa mit Fischern verarbeiten (die iberischen Schwertwale klauen gerne Thunfische aus menschlichen Fanggeräten), finde ich jedenfalls nicht plausibel, denn Fischerboote scheinen sie nur aus Versehen mal angerempelt zu haben.

    Hier hätte ich mal eine Geschichte, die ich gerne glauben würde: die Wale fanden die Ruhe während der Corona-Lockdowns zwischen März und Mai total klasse und dachten sich, sie könnten das wieder haben, wenn sie den FreizeitskipperInnen genug auf die Nerven fallen; die Fischerboote würden sie schon hinnehmen, solange die ihnen Thunfische fangen.

    Der Charme dieser Geschichte: Wenn die spanischen Behörden in der Folge das Meer sperren, wenn die Wale irgendwo auftauchen, wäre das nette eine positive Konditionierung: die Spiele der Wale würden wirklich für mehr Ruhe am Wasser sorgen. Das aber würde schön erklären, warum sich das Verhalten ausbreitet – wenn es das denn wirklich tut.

    Ob das gegenüber dem Stand vor anderthalb Jahren wirklich so ist: Mal sehen, was Esteban et al demnächst so veröffentlichen. Ich habe trotz meines generellen Grusels vor ORCID (keine Verwandschaft mit Orca) kurz einen Blick auf Ruth Estebans ORCID-Seite geworfen. Jetzt gerade ist das besprochene Paper die letzte Publikation. Aber angesichts des Medienrummels um ihre Schwertwale wirds dabei sicher nicht bleiben.

    Unterdessen: Ebenfalls von 2021 ist dieser Vortrag von Ruth Esteban, in dem sie Videos der Walbegegnungen zeight. Wie viel nützlicher wäre der, wenn sie eine vernünftigte Lizenz draufgemacht hätten!

    Nachtrag (2023-06-25)

    In Forschung aktuell vom 26. Mai gab es eine schöne Fortsetzung dieser Geschichte, die den Score auf 500:0 legt. Gegen Ende werden Verhaltenstipps diskutiert. Vor allem: Einfach nicht dort segeln, wo die Orcas sind. Wenn die Leute das wirklich machen, wäre ich neugierig, was die Reaktion der Orcas ist…

  • Irgendwo in Afrika

    Heute morgen durfte im Deutschlandfunk der schwäbische CDU-Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei eine Viertelstunde lang weitgehend unwidersprochen „Ausländer raus“ durchdeklinieren, was vermutlich wieder niemand skadalisieren wird. Normalität im Afrikamanagement halt.

    Vielleicht zum Trost ist dem Interviewenden Philipp May ein Lapsus unterlaufen. Ich hoffe ja, er ist dem Stress zuzuschreiben, dem Interviewten nicht ins Gesicht zu sagen, dass er da in einem Fort ziemlichen Faschokram erzählt rechte Narrative bedient:

    May: …werden jetzt zum Beispiel äh ihre Menschen äh ihre Geflüchteten ähm nach nach ähm sagen Sie schnell – Frei: Ruanda – May: Ruanda, danke bitte, äh, danke

    Wenn das ganze Interview nicht so ein fieser Mist wäre, bei dem Menschen mit Bürokratensprache wie „Nichteinreisefiktion“ in Volk und Nicht-Volk sortiert werden, wäre das eigentlich eine schöne Variation des Themas Live.

  • Klarsprache: Frontex braucht einen Neuanfang

    Screenshot mit dem zitierten Text unten und dem Logo des Bundesinnenministerium sowie dessen Fediverse-Handle, @bmi@social.bund.de

    Ich fand 140-Zeichen-Regeln vom Typ Twitter immer etwas fragwürdig – zumal, wenn selbst ein Text-Tweet auch auf der API mit seinen Metadaten dann doch viele Kilobyte Daten überträgt. Aber: manchmal sorgt die Verkürzung der üblichen Worthülsen in politischen Erklärungen überraschend für Klarsprache, oder jedenfalls etwas, das Dinge klarer benennt als möglicherweise beabsichtigt. So trötete das deutsche Innenministerium gestern als O-Ton der Ministerin:

    Deutschland hat sich sehr für einen Neuanfang bei Frontex eingesetzt. Europäisches Recht und Menschenrechte müssen an Europas Außengrenzen eingehalten werden.

    Das ist ohne Zwang zu lesen als: Frontex hat bisher an den Außengrenzen europäisches Recht gebrochen und die Menschenrechte missachtet, und das so systematisch, dass der Laden umgekrempelt werden muss, damit das aufhört. Diese Feststellung ist gewiss keine Neuigkeit für Menschen, die den Umgang der EU mit Geflüchteten oder Noch-Nicht-Geflüchteten auch nur aus dem Augenwinkel beobachten. Regierungsamtlich so klar gesagt schrappt das aber schon ziemlich hart am Affront entlang.

    In der eigentlichen Pressemitteilung ist hingegen mehr Platz. So verschwimmt dort die klare Ansage aus dem Tröt leider etwas in „zentralen Elementen“ und „klaren Haltungen“:

    Deutschland hat sich sehr für einen Neuanfang bei Frontex eingesetzt. Frontex ist für den Schutz der europäischen Außengrenzen ein zentrales Element. Dabei ist unsere Haltung klar: Europäisches Recht und die Menschenrechte müssen an Europas Außengrenzen eingehalten werden.

    Liebe_r ÖffentlichkeitsarbeiterIn des BMI: Wenn der Effekt der klärenden Kürzung Absicht war: Chapeau (und sowieso: Danke, dass ihr helft, den Twitterzwang, den viele Menschen fühlen, abzubauen). Wenn nicht: Ich hoffe, das gibt jetzt keinen Ärger…

  • Planspiele in Meerengen

    In den Deutschlandfunk-Nachrichten läuft derzeit Folgendes:

    Der EU-Außenbeauftragte, Borrell, hat Patrouillenfahrten europäischer Kriegsschiffe in der Straße von Taiwan gefordert.

    Europa müsse beim Thema Taiwan sehr präsent sein, schrieb Borrell in einem Gastbeitrag der französischen Sonntagszeitung „Journal du Dimanche“. Die Europäische Union sei sowohl wirtschaftlich als auch technologisch eng mit Taiwan verbunden. Es gehe um die Freiheit der Schifffahrt.

    Buchtitel in rot und schwarz: Weiß "2034" ein paar chinesische Schriftzeichen

    Grusel-Schocker: Ein Roman über den nächsten Weltkrieg. Rechte bei Penguin.

    Ich könnte jetzt grummeln, dass das schon sehr klare imperiale Ansagen sind („wir werden unseren wirtschaftlichen Interessen gemäß töten, und sei es auch am anderen Ende der Welt“), aber das wäre trotz der Empörung über konkurrierende imperiale Interessen, die Borrell dann und wann äußert, langweilig.

    Im Vergleich hinreichend spannend ist das Buch, an das mich diese Nachricht sofort erinnert hat, nämlich „2034 – A novel of the next world war“ von Elliot Ackerman, einem ehemaligen Marineinfanteristen, und James Stavridis, der von 2009 bis 2013 alliierter Oberbefehlshaber in Europa war (ist bei libgen entleihbar; ansonsten: Penguin Books 2021, ISBN 9780593298688). Die beiden haben in dem Buch erkennbar viel Spaß, sich Geschichten (durchaus im intersektionalen Sinn) diverser HeldInnen in einem allmählich eskalierenden Weltkrieg auszumalen. Wenn das diese Geschichten umgebende Szenario militärischen Planspielen nicht ohnehin schon so eng folgt wie das die Geheimnistuerei in dem Geschäft halt zulässt, wird es bestimmt demnächst jede Menge entsprechende Simulationen geben (siehe unten).

    Das Buch kam mir in den Sinn, weil sich in der Geschichte – ja, ich spoilere in diesem Absatz das ganze Buch – der Krieg entzündet an sozusagen Borrellschen Patroullienfahrten im fraglichen Seegebiet – nur natürlich der US-Marine, deren existierende Operationen Borrells Forderungen noch mehr als Wir-auch-Imperialismus markieren. Ein paar US-Zerstörer (oder was immer) schippern durch die Spratleys, und China kann die mit überwältigenden „Cyber Capabilities“ – sie sitzen ja in jedem Router! – ohne Gegenwehr versenken.[1] Nachdem die Iraner weiter einen tapferen Fighter Pilot foltern, die Chinesen eine See- und Cyberblockade über Taiwan verhängen und die Russen das Internet durch Kappen eines Tiefseekabels am Nordpol kaputtmachen, zünden die USA eine Atombombe über einer chinesischen Militärstadt (wie sie das angesichts der erdrückenden „Cyber Capability“ der Chinesen machen, bleibt offen), China zündet zwei über US-Städten, und dann darf der gefolterte Fighter Pilot, der inzwischen aus dem Iran freigekommen ist, mit seinen überlegenen uncyberigen Flugkünsten noch Shanghai einäschern, bevor Indien einen Friedensschluss erzwingt.

    Jaja, die Handlung ist stulle, aber dass sich alles um das dreht, was Militärs heute gerne „Indopazifik“ nennen, ist besonders bemerkenswert, weil Stavridis, soweit ich die deutsche Wikipedia richtig verstehe, eigentlich immer im erweiterten Atlantikraum unterwegs war (Irak, Bosnien, Haiti, Guantanamo inklusive Internierungslager, vielleicht sogar Heidelberg). In dem Buch streicht er das Erbe der Ballereien seiner eigenen Leute praktisch vollständig, was mir den Eindruck einer alarmierenden Fixierung auf China innerhalb der Leitungsbene des US-Militärs aufdrängt. Diese mag aktuell zwar etwas gemildert sein, aber vermutlich ist die Einschätzung Jörg Kronauers (in seiner Veranstaltung am 9. März bin ich auf das 2034-Buch aufmerksam geworden) nicht ganz abseitig, das große transatlantische Interesse am Krieg in der Ukraine könnte viel mit Rücken-Freihalten (oder -kriegen?) für Konflikte mit China zu tun haben.

    Daher: So unwohl ich mich in China gefühlt habe – die himmelschreiende Ungleichheit, die blinde Nutzung von allem, was blinkt und piept, der wilde Wettbewerbswille, der schockierend verbreitete glühende Patriotismus –, so sehr ist klar, dass Aufrüstung und Säbelrasseln bei uns nichts davon verbessern werden; wie üblich gilt es, der autoritären Versuchung nicht nachzugeben, denn sehr wahrscheinlich würde das nicht nur hier, sondern auch dort alles schlimmer machen.

    Wer den Menschen unter chinesischer Herrschaft helfen will, möge hier gegen Militarisierung und Patriotismus kämpfen, vermutlich würde auch Aktivismus gegen Freihandel helfen, und ganz gewiss Klima-Aktivismus, denn China hat in der Hinsicht viel zu verlieren und wenig zu gewinnen. Gute Vorbilder bei uns helfen den Menschen dort, mehr Partizipation und (damit notwendig) weniger Militär sowie weniger Arbeit und Wettbewerb zu erreichen. Ganz offenbar imperiale Gesten wie die Borrells machen den Menschen guten Willens dort ihre Arbeit zumindest mal viel schwerer.

    Unten

    Buchtitel "The third world war" fett weiß auf schwarzem Grund, darunter eine Erdkugel mit mehreren Großfeuern.

    Der Vorgänger von 1979. Rechte bei Sphere Books

    Der große Präzedenzfall für einen Nächster-Weltkrieg-Schocker ist übrigens „The Third World War“ (Sphere Books 1979), ein Lieblingsprojekt des Zweite-Weltkrieg-Haudegens „General Sir“ John Hackett, der beispielsweise in den 1960ern die britische Rheinarmee kommandiert hat und damit dann die „Northern Army Group“ der NATO – was immer das gewesen sein mag. In dem Buch – ich spoilere wieder – entzündet sich der Konflikt im Jahr 1985 erwartungsgemäß an West-Berlin, dann nuken die Russen Birmingham, dann die NATO Minsk, und dann zerfällt die Sowjetunion ganz ähnlich wie sie das in der Realität ein halbes Jahrzehnt später auch ohne Atombombe getan hat.

    Der Vergleich des aktuellen Ackerman/Stavridis-Buchs mit dem männerschweißigen Reißer aus den 1970ern samt dessen Waffen-Porn in Sprache und auf eingehefteten Bild-Tafeln schlägt übrigens vor, dass es vielleicht sogar im Militär irgendwas wie einen Prozess der Zivilisation gibt. Solange das das Militär immer noch nicht am Rumballern und Bombenwerfen hindert, tröstet das zwar wenig, aber immerhin sind die Akteure von 2034 nicht mehr die Terminatoren ohne Sozialleben oder erwähnenswerte Sprachfähigkeiten, die Hackett auftreten ließ.

    In den frühen 80ern war das Hackett-Buch gerade im Militär ein Bestseller (ich bin z.B. überzeugt, dass meine Ausgabe von einem Mitarbeiter der damals noch zahlreich in Heidelberg vorhandenen NATO-Stäbe ins Antiquariat gegeben wurde), und wer im Netz mal nach "Fulda Gap 1985" sucht, wird feststellen, dass Hacketts Szenario immer noch viele Kriegsspiele inspiriert.

    Mal sehen, wie die Leute in dreißig Jahren über Ackerman und Stavridis reden werden. Mit etwas Engagement sollte es doch hinzukriegen sein, das Wort „hellsichtig“ aus künftigen Besprechungen ihrer Geschichte rauszuhalten…

    [1]Die chinesischen „Cyber Capabilities“ sind natürlich völlig fantastisch und zeugen von einem eher religösen Verhältnis der Autoren zu Technologie, aber das ist beim Auftauchen der Buchstabenfolge „C-y-b-e-r“ (Standard-Bedeutung: Alles im Umkreis von 30 Tokens ist Bullshit) ja zu erwarten.
  • Mit GPS und KI auf der Spur von Hollandrädern

    Hollandoides Fahrrad mit Unmengen von Vogelkot drauf.

    Dieses Fahrrad, fotografiert 2012 am Heidelberger Hauptbahnhof, wird wahrscheinlich keinE FahrraddiebIn mitnehmen. Das Weiße da sind die Ausscheidungen der vielen Halsbandsittiche, die auf den Bäumen am Bahnhof schlafen.

    In Forschung aktuell vom 16. Februar war in den Wissenschaftsmeldungen Folgendes zu hören:

    Die Forschenden statteten 100 Fahrräder mit Ortungssensoren aus und stellten sie abgeschlossen an öffentlichen Plätzen innerhalb der Stadt ab. Innerhalb eines Jahres wurden 70 der Räder gestohlen. 68 davon konnten anschließend in Amsterdam geortet werden, knapp ein Drittel davon in der Nähe von Second Hand-Läden oder Fahrradschwarzmärkten.

    Allein das Wort „Fahrradschwarzmärkte“ hat mich eifrig im Geiste von Graham Greene fantasieren lassen, zumal ich inzwischen der traurigen Thematik Fahrraddiebstahl etwas abgeklärter gegenüberstehe als einstmals: Mein letzter Fahrradverlust durch Diebstahl liegt über 20 Jahre zurück (der hat allerdings wirklich weh getan: an dem Rad war ein Schlumpf Mountain Drive dran). Da ich zudem mit Abschließen nicht mehr allzu sorgfältig bin, hatte ich das Problem Fahrraddiebstahl schon fast für eine Sache der Vergangenheit gehalten.

    Aber erstens dürfte dieser Eindruck nur auf einen durch meine täglichen Wege bedingten Selektionseffekt zurückgehen, und zweitens verdient jede Fahrradforschung Aufmerksamkeit. Drittens, nun ja, hätte ich den 1990ern, als mir Räder fast schneller geklaut wurden als ich sie nachbasteln konnte, in dieser Frage beinahe autoritären Versuchungen („Todesstrafe für Fahrraddiebe“) nachgegeben.

    Forschung der Stadt Amsterdam

    Also: Ich musste die Arbeit hinter der DLF-Meldung lesen. Es handelt sich um „Tracking stolen bikes in Amsterdam“ von Titus Venverloo, Fábio Duarte und Kollegen vom MIT[1] und der Uni Delft, doi:10.1371/journal.pone.0279906, erschienen in PLoS ONE am 15. Februar. Mein erster Wow-Moment war die Finanzierung des zugrundeliegenden Forschungsprojekts: Das Geld kam nämlich insbesondere von der Stadt Amsterdam.

    Wer nun allerdings meint, in den Niederlanden wären die Autoritäten generell mehr interessiert an der Wiederbeschaffung geliebter Fahrräder, dürfte sich täuschen:

    One of the major hurdles to tackling bike theft is that it is typically seen as a low police priority, and that it is not addressed systematically,

    schreiben Vernverloo et al, was sich mit den Erfahrungen deckt, die ich mit der Heidelberger Polizei gemacht habe, als ich Mitte der 90er wie bereits gebeichtet weich geworden war im Hinblick auf autoritäre Versuchungen und die Staatsgewalt in einem Fall um Hilfe bei der Wiederbeschaffung eines gestohlenen Fahrrads bat. Nicht nur ich habe das schnell wieder aufgegeben. Im Paper heißt es:

    The municipality [Amsterdam] considers that 40% of the victims of bike theft report it, while Kuppens et al [nicht online] found that in 2012, only 17.1% of the people in the Netherlands reported bike theft, decreasing to 14.2% in 2019.

    Dabei sind die Fahrradbeklauten nicht nur eine kleine, radikale Minderheit, die als solche die Polizei abgeschrieben hat:

    The regional safety monitor of Amsterdam even indicates that in 2019 the number of residents who experienced bike theft was 18%,

    Nochmal Wow. An sich ist es ja erfreulich, wenn Menschen in großer Zahl autoritären Versuchungen entsagen. Andererseits rangiert Fahrraddiebstahl in meiner privaten Rangliste verabscheuungswürdiger Verhaltensweisen nur knapp hinter Waffenhandel, und ich werde besonders empfänglich für wenig freundliche Methoden zum Management sozialer Probleme, wenn meine Verlustschmerzen[2] schnöde Geldgründe haben:

    As such the stolen bike market of an estimated 600 million euros in the Netherlands alone remains a very large, somewhat neglected problem.

    Allein das schlägt schon vor, dass ein nicht-autoritärer Zugang zum Problem über ein ordentliches Grundeinkommen (oder besser: eine gesellschaftliche Grundversorgung) führen dürfte.

    Die Köderräder: 30% Gazelle und Batavus

    Nach diesen allgemeinen Betrachtungen gehen Venverloo et al ans Eingemachte und beschreiben das eigentliche Experiment: Sie haben tatsächlich 100 glaubhafte Räder – etwa 30% machen allein die berüchtigten Schinder von Gazelle und Batavus aus, nennenswert viele davon ernsthaft runtergekommen – aufgetan und mit in Reflektoren oder Sätteln eingebauten GPS-Trackern ausgestattet. Die Teile tracken so ein Rad tatsächlich für was wie drei Jahre, mit nur einer Batterie. Ich sehe schon, ich muss ein wenig aufpassen, was da so alles an mein Rad geschraubt wird…

    Foto eines Rückreflektors für ein Fahrrad

    Grusel: Das hier ist eine GPS-Wanze, die für die nächsten drei Jahre die Standorte eures Fahrrads ins Netz stellen kann. Ohne Batteriewechsel. Ich bin beeindruckt. CC-BY Venverloo et al

    Kein so gutes Gefühl habe ich beim KI-Teil der Arbeit. Und zwar gar nicht mal so sehr wegen der KI – die nutzen sie, um automatisch Fahrräder in Straßenszenen zu zählen, was schon in Ordnung geht, wenn mensch diese Zahl haben will –, sondern, weil sie dann mit den Zahlen nichts nachvollziehbar Vernünftiges machen. Die Autoren korrelieren nämlich Dichte der Fahrräder einfach linear mit der Zahl der Fahrraddiebstähle, und das ist in mehrfacher Hinsicht nicht hilfreich.

    „Können wir was mit KI einbauen?”

    Erstens müssten es schon die Fahrraddiebstähle pro EinwohnerIn oder meinethalben Quadratmeter sein. Vor allem aber ist erstmal klar, dass bei gleichbleibender Diebstahlrate (also: gestohlene Fahrräder pro rumstehende Fahrräder) auch mehr Räder gestohlen werden, wo mehr Räder stehen. Insofern wäre die lineare Korrelation, die sie da fitten, die vernünftige Nullhypothese, für die ich wirklich keinen Aufwand gemacht hätte (und schon gar keine „KI“ angeworfen) – wenn sie denn die Diebstahldichte genommen hätten.

    Interessant wären vielleicht für die Fahrraddichte kontrolliert auffällig große oder kleine Diebstahlraten. Das, was das Paper tatsächlich mit den Fahrradzählungen macht, hinterlässt ein wenig den Eindruck, dass sie halt was mit KI einbauen wollten – entweder aus Modegründen oder, um den Kofinanzierenden vom Senseable City Lab des MIT eine Motivation anzubieten – und die Daten dann entweder nichts hergegeben haben (obwohl: Optisch würde ich vermuten, dass die Anpassung einer Wurzelfunktion vielversprechend wäre) oder, dass die Zahlen, als sie mal da waren, niemand mehr interessiert haben.

    Erwarten würde ich zumindest eine starke Korrelation zwischen Bevölkerungsdichte und Diebstahlrate, denn fast überall wohnen arme Leute dichter als reiche, und Armut ist fast sicher stark korreliert mit der Fahrraddiebstahl-Sorte von Kriminalität. Aber letztlich gehts bei Venverloo et al ja eher nicht um die Soziologie des Fahrradklaus; die Zahlen interessieren sie vor allem, weil sie wissen wollen, wo sie ihre Fahrräder hinstellen sollten, wenn sie möchten, dass diese geklaut werden. Das haben sie recht gut hinbekommen, denn wie beim DLF schon gesagt, haben 70% ihrer Räder eineN DiebIn gefunden.

    Geklaute Räder fliegen nicht in die Amstel

    Viele haben auch wieder einE neueN NutzerIn gefunden, ein Ergebnis, das ich so überhaupt nicht erwartet hätte. Meine Schätzung wäre gewesen, dass mindestens die Hälfte der Fahrräder einfach in irgendwelche Flüsse oder auf irgendwelche Schrotthaufen geworfen werden. Allerdings: die Räder waren alle halbwegs ordentlich abgeschlossen, so dass der übliche Klau im Suff hier nicht in Betracht kam. Anständigerweise haben Venverloo und Kollegen die GPS-Aufzeichnung gestoppt, wenn jemand erkennbar anfing, das Rad wieder normal zu nutzen – das ist für mich das stärkste Signal, dass das nette Leute sind.

    Ansonsten ist das Paper ein schönes Beispiel, wie aus Verkehrsdaten Schlüsse gezogen werden können. Zum Beispiel versucht die Studie herauszufinden, wie viele der gestohlenen Räder in Fahrradläden umgeschlagen werden und bestimmt dazu

    the straight-line distance from the stop locations of the 70 stolen bikes to the nearest bike store in the Netherlands. If these stop points were within 50 meters of a bike store, they were flagged for further analysis. Additionally, the time spent at these stop points was used to see how long these bikes remained parked at a bike store, omitting visits shorter than one hour as a bike store cannot assess, repair, and sell a bike in under an hour. The stolen bike routes with at least one flagged stop point were manually inspected further to investigate the movements of the bike before and after the visit to the bike stores. If these routes exhibited a commuter pattern after the potential visit to the bike store, but not before, the bike was counted as “sold at a second hand bike store”. For some stolen bikes, the tracker was permanently disabled during the potential visit to the bike store, which was also flagged as “sold at a second hand bike store”.

    Das mag beim ersten Lesen kompliziert klingen, aber ich bin überzeugt, dass eine andere Gruppe das Problem ganz ähnlich lösen würde.

    Ein ganz zentrales Ergebnis der Studie ist schon im DLF-Zitat oben vorweggenommen: Zumindest fürs heutige Amsterdam ist die Erzählung aus meiner Zeit als Opfer von Fahrraddiebstahl völlig unzutreffend. Damals ging das (polizeilich verstärkte) Gerücht, Jugo-Trupps aus Offenbach würden alle beweglichen Räder per Lkw einsammeln und dann in „den Osten“ verschieben. Demgegenüber sind praktisch alle gestohlenen Räder in der Studie mehr oder weniger im Viertel geblieben – wer also ein geliebtes Rad vermisst, wird wenigstens in Amsterdam guten Grund haben, die Augen offen zu halten.

    Keine Läden, vielleicht „organisiert“

    Das Laden-Kriterium übrigens führt nicht recht weiter – offenbar werden nur rund 5% der geklauten Fahrräder über richtige Fahrradläden umgeschlagen. Ich würde vermuten, dass der Rest im Wesentlichen über Facebook, Instagram und vielleicht noch schwarze Bretter verhökert wird, aber das ist nicht so leicht nachzuweisen. Stattdessen steht im Paper dann etwas wie:

    [Analyse per Hand] revealed that 22 out of the 70 stolen bikes were linked in a …
  • Der Reichsbank-Preis und die Effizienz

    Ich hatte im Januar gegen Ende meines Kopfschüttelns über Fachblindheit zum Thema wissenschaftliches Publikationswesen der Versuchung einer preisbezogenen Klugscheißerei nicht widerstehen können:

    Wenn der DLF-Moderator behauptet, Vernon Smith habe 2002 den Nobelpreis erhalten, ist dem im Sinne von Alfred Nobel zu widersprechen – Smith hat den „Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank in Gedenken an Alfred Nobel“ bekommen, der seit 1969 verliehen wird (richtige Nobelpreise: seit 1901).

    Diese Bemerkung war zwar in mehrfacher Hinsicht albern, aber das Thema hat schon viele in Technicolor schimmernde Seiten. Auf eine davon bin ich vorhin in Yanis Varoufakis' unterhaltsamen[1] The Global Minotaur (entleihbar bei libgen) gestoßen. Und zwar hat das für den Reichsbank-Preis zuständige Komitee 1997 Robert Merton and Myron Scholes als würdige Empfänger auserkoren, weil:

    Their methodology has paved the way for economic valuations in many areas. It has also generated new types of financial instruments and facilitated more efficient risk management in society.

    – sie also angeblich Risiken „effizienter“ abschätzen konnten als ihre VorgängerInnen.

    Gleich im nächsten Jahr implodierte der vielleicht selbstironisch Long Term Capital Management (LTCM) genannte Laden der beiden und konnte nur durch einen großzügigen öffentlichen Bailout so abgewickelt werden, dass er nicht gleich das halbe Bankensystem mitnahm; die Geschichte in der Wikipedia. In aller Kürze zeigt die Wertentwicklung von LTCM-Anlagen aus dem Wikipedia-Artikel die Zuverlässigkeit (oder Nützlichkeit? Oder „Effizienz“?) der Erkenntnisse von Merton und Scholes ziemlich deutlich:

    Drei Kurven.  Zwei gehen mehr oder minder stetig nach oben, die dritte, die für LTCM, anfangs steiler, aber dann bricht sie auf fast null ein.

    Selbst wenn das nicht eine starke Aussage über die Wirtschafts„wissenschaften“ als solche oder zumindest ihren Effizienzbegriff sein sollte – es ist jedenfalls eine starke Aussage über diesen, hust, „Wirtschafts-Nobelpreis”.

    [1]Also: Unterhaltsam zumindest für Menschen, die ihren Zorn darüber, dass all die Monopolyspiele haufenweise Menschen umbringen, mit hinreichend Zynismus kontrollieren können.
  • WissenschaftlerInnen als Helden: Contact von Carl Sagan

    19-Zoll-Schränke voll mit blinkender Elektronik

    Sieht aus wie eine Kulisse aus einem (ja: etwas älteren) Hard-SciFi-Streifen, ist aber echt: Elektronik am Radioteleskop Effelsberg anno 2010.

    Letzte Woche war die Presse voll von Verrissen der Verfilmung von Frank Schätzings Der Schwarm. Eigentlich finde ich das ein wenig schade, denn eigentlich bin ich, und das mag eine Charakterschwäche sein, ein Fan von Büchern und Filmen, deren HauptprotagonistInnen in der Wissenschaft arbeiten. Schätzings Vorlage gehört ja unzweifelhaft in diese Kategorie. Allerdings räume ich gerne ein, dass schon im Buch die Jung-Schön-Sportlichkeit der wesentlichen Personen etwas nervt.

    Spoiler: So sieht trotz der rigiden Befristungspraktiken noch nicht mal das Personal an deutschen Unis aus. Von MPI und Helmholtz will ich in der Richtung gar nicht anfangen. Das aber sollte nicht überraschen, denn es ist auch gar nicht der Job von WissenschaftlerInnen, jung, schön und sportlich zu sein.

    Dazu tritt im Buch und viel schlimmer in der Serie, dass auch die Darstellung der wissenschaftlichen Tätigkeit als solcher bis zur Unkenntlichkeit dramatisiert wird. Klar, niemand will Geschichten über Telecons zur Vorbereitung von Forschungsanträgen lesen, und vermutlich noch nicht mal vom Ringen um die geschlossene Lösung eines Integrals, ohne die die Rechnung drei Jahre dauern würde. Aber es gibt Romane, die ich eminent lesbar finde und die dennoch, jedenfalls bevor es zur Sache geht, eine für Menschen in der Wissenschaft wiedererkennbare Welt beschreiben.

    Die Schwarze Wolke

    Wo ich das schreibe, fällt mir als allererstes Beispiel The Black Cloud (1957) des in vieler Hinsicht großartigen Fred Hoyle ein (im Original bei libgen entleihbar, auf Deutsch wohl eher schwer zu kriegen). Wer auf Geschichten über Erstkontakte steht und einen Einblick bekommen will in die große Zeit der Astronomie vor CCDs und Weltraumteleskopen: das ist Pflichtlektüre.

    Während ich mir ein paar Folgen des ZDF-Schwarms zu Gemüte geführt habe, ist mir aber mehr Contact von Carl Sagan durch den Kopf gegangen[1]. Diese Bevorzugung gegenüber dem Großwerk von Fred Hoyle wird wohl daran gelegen haben, dass ich das Sagan-Buch neulich mal wieder gelesen habe, nachdem ich auf Planet Debian über eine Besprechung von Russ Allbery gestolpert war.

    Russ geht relativ hart mit dem Buch ins Gericht:

    The biggest problem with Contact as a novel is that Sagan is a non-fiction writer who didn't really know how to write a novel. […T]he tone ranges from Wikipedia article to long-form essay and never quite feels like a story.

    und dann:

    I don't think this novel is very successful as a novel. It's much longer than it needs to be and long parts of it drag. But it's still oddly readable; even knowing the rough shape of the ending in advance, I found it hard to put down once the plot properly kicks into gear about two-thirds of the way through.

    Ich muss demgenüber ja sagen, dass ich Buch wie Film in der ersten Hälfte weit stärker fand als in der zweiten (aber das geht mir zum Beispiel auch bei Neal Stephenson in aller Regel so). Die Darstellung des Wissenschafts- und Erkenntnisprozesses jedenfalls ist in Contact – für Verhältnisse von Belletristik – wirklich gut gelungen. Ich hatte auch viel Freude an den Einführungen der verschiedenen Persönlichkeiten, in denen ich Typen aus dem wirklichen Leben wiedererkennen konnte. Allen voran kannte ich gleich ein paar Vaygays (aber die meisten von denen sind inzwischen tot oder jedenfalls tief pensioniert).

    Ein Roman als Blog-Ersatz

    Wahrscheinlich trifft jedoch die Kritik, Sagan habe nicht eigentlich einen Roman geschrieben, schon ein wenig. Ich denke, er hat im Groben einige seiner Ansichten und Ideen darlegen wollen und das Ergebnis mit einer nicht immer ganz organischen Geschichte zusammengesponnen, weil es damals halt noch keine Blogs gab, in denen Einzelbeiträge auch ohne Gewebe nebeneinender hätten stehen können. Kann ich verstehen: Dann und wann fantasiere ich auch darüber, so einen Roman zu schreiben.

    Ein Regal mit Plastikkisten, in denen jeweils Stapel von Festplatten stehen

    Wo ich schon mal handfeste Elektronik in der Radioastronomie zeige: 2015 wurden VLBI-Radiodaten (gerade) noch in solchen Plattenstapeln zum Korrelieren gefahren (hier: am ASTRON in Dwingeloo). Update (2023-03-14): Also… tatsächlich macht das Event Horizon Telescope das mit mit dem Verschicken von Platten auch heute noch so; anders sind die vielen Terabyte, die die da an ihren Teleskopen gewinnen, nicht zu den Korrelatoren zu bekommen, schon gar nicht vom Südpol.

    Am allerdeutlichsten ist der Charakter von Contact als Sammlung von Diatriben vielleicht, wenn Sagan über Religion rantet – und dann wieder Gottesmänner als besonders aufrechte Menschen auftreten lässt. Die Auseinandersetzung mit Fernsehpredigern und Evangelikalen erschien mir, als ich das Buch im letzten Jahrtausend zum ersten Mal gelesen habe, ziemlich wie US-Nabelschau.

    Wenn ich mir jetzt ansehe, wie viele doch sehr anrüchige „Freikirchen“ inzwischen in Gewerbegebieten und Strip Malls hiesiger Städte und Dörfer aufgemacht haben – oder gerade heute von Amokläufen in einem „Königreichssaal“ von Jehovas Zeugen höre –, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Und auch die „Family Values“, die Sagan jedenfalls mehr rausschauen lässt als etwa Hoyle, haben im Zeitalter des Neoviktorianismus nicht mehr ganz so deutlich die Anmutung rustikaler Americana wie vor 30 Jahren.

    Ebenfalls so tangential wie lehrreich finde ich, dass die Maschine in Contact schließlich in Japan gebaut wird. In den 1980ern nämlich spielte Japan die Rolle in Erzählungen vom Untergang des Abendlands, die heute China spielt – halb Gefahr aus dem Osten, halb bewundertes Rollenmodell.

    Gelbe Gefahren im Wandel der Zeit

    Die Parallelen lassen sich ziehen hin zum Handelskrieg Ronald Reagans gegen (unter anderem) japanische Halbleiter oder für patriotische Motorräder, die in vielerlei Hinsicht vergleichbar sind zu Trumps und Bidens heutigen Vesuchen, die Handelsbilanz mit China etwas zu balancieren. Wer nach der Lektüre von Contact noch eine Runde den originalen Blade Runner (auch aus der Zeit des Contact-Buches) ansieht, bekommt vielleicht eine etwas gelassenere Perspektive auf die heutige „Systemkonkurrenz“.

    Dass das eine gute Sache wäre, liegt mir gerade besonders nahe, nachdem gestern hier in Heidelberg Jörg Kronauer recht überzeugend dargelegt hat, dass der nächste große Krieg gegen China gehen wird (ich habe den Mitschnitt aus München nicht angesehen, würde aber vermuten, dass es grob das gleiche Material sein wird), wenn… nun, wenn wir als Gesellschaft Oswald Spengler-Fantasmen nicht zwei Ecken realistischer betrachten und aufhören, Geschichte als großen und fundamentalen Konflikt zwischen Staaten und Machtblöcken zu denken.

    Russ Allberys Urteil zu diesem Thema in Contact kann ich im Gegensatz zu seinen ungnädigen Urteilen in anderen Fragen teilen:

    [Die Wunder des Weltraums] in his alternate timeline rapidly sped up nuclear disarmament and made the rich more protective of the planet. […] I was a bit torn between finding Sagan's predictions charmingly hopeful and annoyingly daft.

    Neenee, auch die Ablösung des Clash of Culture-Narrativs ist keine technologische Frage. Sie ist Hand- und Mundarbeit.

    [1]Gleich in einer ganzen Reihe von Ausgaben bei libgen entleihbar, aber ich sehe wieder keine deutsche Übersetzung. Angesichts der, soweit ich das sehen kann, anhaltenden Popularität des Films erstaunlich finde ich, dass auch die öffentliche Bibliothek in Heidelberg offenbar keine Ausgabe mehr hat.
  • Pelztiere vs. Menschen: Die letzten 70 Jahre

    Unter einem Gebüsch schauen Beine und Schwanz eines Tigers raus.

    2010 habe ich, ich muss es gestehen, den Heidelberger Zoo besucht. Und mich ordentlich vor dem Tiger gegruselt, der hier im Bambus ruht.

    Neulich ging es in der taz tatsächlich mal um einen Fachartikel, nämlich um „A worldwide perspective on large carnivore attacks on humans” von Giulia Bombieri vom Naturkundemuesum[1] in Trento, Vincenzo Penteriani vom Naturkundemuseum in Madrid sowie KollegInnen aus aller Welt (doi:10.1371/journal.pbio.3001946), vorbildlich unter CC0 publiziert in PLOS Biology.

    Der taz-Artikel liefert eigentlich eine ganz schöne Zusammenfassung des narrativen Teils der Studie, und vor allem ordnet er das Thema das Artikels gut ein relativ zu Bedrohungen durch andere Tiergruppen und echte Gefahren für Menschenleben:

    Knapp 2.000 tödliche Angriffe [durch wilde Säugetier-Karnivoren] in 70 Jahren – das sind weniger als 30 im Jahr. Weltweit. Da steht die Angst in keinem Verhältnis zum Risiko […] Höchste Zeit, den Wolf zu entlasten und die richtigen Fragen zu stellen: Großmutter, warum hast du so große Räder?

    So sehr das mit der Angst qualitativ sicher stimmt, ist das Argument so quantitativ formuliert allerdings nicht haltbar. Schon die Unterüberschrift in der taz, „Eine Studie wertet die Fälle der letzten 70 Jahre aus.“ (Hervorhebung ich), weckt nämlich völlig falsche Erwartungen. Bombieri et al lassen keine Zweifel:

    Wir räumen ein, dass unser Datensatz nicht die Gesamtheit der Tierangriffe umfasst, die es weltweit gab. Er repräsentiert eine Untermenge dieser Fälle. In der Tat fehlen trotz unserer Bemühungen, gleichmäßig über Arten und Regionen zu sammeln, zahlreiche Fälle speziell für Löwen, Leoparden und Tiger.

    Wacklige Zahlen, robuste Ergebnisse

    Der numerische Abstand allerdings zwischen dem Gemetzel im Straßenverkehr und den Opfern bepelzter Wildtiere ist so groß, dass auch einige Größenordnungen Unterschätzung nichts am in der taz dargestellten qualitativen Befund ändern werden.

    Bombieri et al überdehenen ihre Zahlen aber auch selbst, etwa wenn sie zunächst

    erwarten […], dass die Zahl der Angriffe in Regionen mit niedrigem Einkommen wächst. Dort findet viel Subsistenzwirtschaft statt, und viele Gemeinden leben in engem Kontakt mit Wildtieren inklusive Großkatzen.

    Die Zunahme als solche sehen sie dann auch in ihren Daten. Dass diese aber an Subsistenzwirtschaft und Landnahme liegt, bräuchte schon stärkere Unterstützung als platt mit der Zeit wachsende Zahlen, denn die werden sehr plausiblerweise einfach daran liegen, dass sich die Anbindung größerer Teile des globalen Südens an das Nachrichtensystem des globalen Nordens über die letzten 70 Jahren hinweg ganz erheblich verbessert hat. Denn wie zählen Bombieri et al?

    Berichte über Angriffe wurden gesammelt aus persönlicher Datenhaltung der KoautorInnen, der wissenschaftlichen Literatur, Doktor- und Masterarbeiten, Webseiten und öffentlicher Berichterstattung (eine Liste der wesentlichen Veröffentlichungen zum Thema stellen wir in Tabelle S2 zur Verfügung). Wir haben die erwähnten Quellen mit den Suchmaschinen Google und Google Scholar durchsucht. Um den Datensatz zu vervollständigen, haben wir auch eine systematische Suche nach Zeitungsartikeln auf Google durchgeführt. Dabei haben wir für alle Länder/Regionen jährlich gesucht nach einer Kombination der folgenden Begriffe „Name der Art“ oder „wissenschaftlicher Name der Art“ + „attack“ oder „attack“ + „human“.

    Diese Methode führt natürlich überwältigende und praktisch nicht zu kontrollierende Auswahleffekte ein, so dass ich jedem quantitativen Ergebnis, das aus diesem Datensatz gewonnen wird, sehr skeptisch gegenüberstehen würde. Das aber ändert nichts daran, dass er eine großartige Quelle für qualitative Betrachtungen ist.

    CC0 sei Dank: Aus Excel befreit

    Weil das alles – wie mein Blog auch – unter CC0 verteilt wird, kann ich die furchtbare Excel-Datei, in der Bombieri et al ihre Datensammlung publizieren, hier als aufgeräumte CSV-Datei republizieren – vielen Dank an die AutorInnen! Zum Aufräumen habe ich ad-hoc ein Python-Skript geschrieben, das in einem mit Libreoffice erzeugten CSV-Export der Excel-Datei insbesondere die geographischen Koordinaten, die in einer munteren Mischung verschiedener Formate kamen, vereinheitlicht. Dabei gingen ein paar Koordinaten verloren, deren Format ich nicht erraten konnte (so etwa 10).

    Zusammen mit dem großartigen TOPCAT und dessen Classify by Column-Feature (in Views → Subsets) kann mensch auf die Weise recht unmittelbar den folgenden Plot der erfassten Säugetierangriffe nach Spezies erzeugen (TOPCAT ist eigentlich für die Astronomie gedacht, weshalb die Koordinaten etwas ungeographisch daherkommen):

    Bunte Punkte in einem Mollweide-Plot: Es gibt extrem auffällige Cluster etwa auf Kamtschatka, in Japan oder an der indischem Malabarküste.  Der größte Teil des Plots hat gar keine Punkte

    Geographische Verteilung der Tierangriffe aus Bombieri et al, für die am häufigsten angreifenden Arten farblich aufgeschlüsselt. Beachtet, dass nur knapp 50% der Fälle in ihrem Datensatz hinreichend georeferenziert sind.

    Wenn ihr das selbst versucht: Macht auch gleich einen Tabellen-View auf. Ihr könnt dann nämlich auf die Punkte klicken und in der Observations-Spalte oft die zugehörigen Geschichten lesen. Einiges bewegt sich im Dumb Ways to Die-Spektrum, und ich kann nicht leugnen, dass ich mich manchmal wie einE Bild-LeserIn fühlte, während ich an den Daten herummachte. Tja: wer in der Hinsicht ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.

    Wölfe fütternd oder Futter für Wölfe?

    Manchmal sind schon die Activities in der Tabelle halbe Geschichten: „sleeping outside the tent in sleeping bag” zum Beispiel (im kanadischen Algonquin National Park, mit Species Wolf). Conflict_end ist hier glücklicherweise 1 („Injury”) und nicht 2 („Death“). So ging es auch für die Activity „feeding the wolf“ aus, Observation: „Frau hielt an und bot dem Wolf Futter an“. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und muss fragen: War das eine oder waren das zwei Handlungen?

    Denn es geht nach Rechnung der AutorInnen den Wölfen schon recht oft darum, die Leute, die sie angreifen, dann auch zu verzehren. Dazu hilft es, sich kurz die Bedeutung der Zahloide in der Scenario-Spalte anzusehen, die ich erst manuell aus dem blöden XSLX-XML rausfummeln musste:

    1:defensive reaction by a female with offspring
    2:animal and human/s involuntarily encounter at a close distance
    3_4:food related: eg animal food conditioned/habituated or feeding on anthropogenic food (eg crop) or feeding on a wild or domestic animal carcass at the moment of the attack.
    5:predatory/unprovoked/investigative attack
    6:animal wounded/trapped
    8:dog presence
    10_12:animal intentionally approached/provoked/chased attack the people involved or other people on its way while fleeing

    Bei Wölfen sind immerhin 377 von 414 Fällen mit der 5 klassifiziert. Das hätte ich ehrlich gesagt anders eingeschätzt. Und noch mehr bin ich überrascht, dass es die Wölfe in über 250 dokumentierten Fällen auch geschafft haben (sollen), die beteiligten Menschen zu töten. Ich habe mir diese Fälle mal rausgefiltert (in TOPCAT definiert mensch dafür ein algebraisches Subset mit equals(species, "wolf") && conflict_end==2 – ja, SQL ist schöner). Fast alle dieser 268 Fälle kommen aus Indien (259), sechs aus dem Iran, und dann noch je einer aus der Türkei, aus Alaska und Saskatchewan.

    Die Geschichte aus der Türkei ist die von einem Schäfer:

    Shepherd's father found him death [sic]. Then took him to hospital and doctors determined he was killed by wolves.

    – es ging den Wölfen hier also ziemlich sicher nicht darum, den Schäfer zu verzehren, denn sonst wäre schon das mit dem Ins-Krankenhaus-Bringen schwierig geworden. Ich würde hier die 5 ziemlich in Frage stellen, muss ich sagen; für mich klingt das stark nach 3_4, food related, weil die Wölfe einfach die Tiere des Schäfers essen wollten und der Schäfer im Weg war.

    Die Fälle in Nordamerika sind jeweils den Wintermonaten zugeordnet, wobei Wolfsrudel vermutlich weniger hinter dem Fleisch der Menschen her waren als vielmehr hinter den Resten der Tiere, die die Menschen vorher getötet hatten. Sehr hässlich klingen dagegen die Activities aus dem Iran: children playing lese ich da – und noch schlimmer in Indien, wo das allein 183-mal vorkommt (mit anderen Worten: mehr als die Hälfte aller hier verzeichneten tödlichen Begegnungen mit Wölfen weltweit). Das werde ich unten nochmal etwas genauer betrachten, aber zunächst sollen auch die Katzen etwas Aufmerksamkeit bekommen.

    Großkatzen lassen zweifeln

    Bei Leoparden lese ich etliche Mal das gruselige „attacked at the neck and dragged away“, einmal darunter mit der Activity „toilet/bathing/washing clothes outside“ und dem Ausgang, dass der Mensch …

  • Ein spontanes Hörspiel in zwei Minuten

    Am 22. Januar 2023, kurz nach 20 Uhr, passierte im Deutschlandfunk – zumindest im Livestream, aber es klingt alles, als sei das auch per Funk so gewesen – eine der längsten Pannen, die ich im Programm je gehört habe. Die reiche Textur der Fast-Stille ruft, soweit es mich betrifft, laut nach der Aufnahme in meine Live-Sammlung. Hört selbst (aber Vorsicht: ganz am Ende ist normale Lautstärke):

    Schon allein, weil das in (oder vor?) der – gerne mal etwas experimentelleren – Freistil-Schiene lief, bin ich mir bis jetzt nicht sicher, ob das ein Fall für TechnikerInnen oder KulturkritikerInnen ist.

    Das „Hallo“ am Ende meines Ausschnitts hier gehört übrigens zu der zumindest für fachfremdere Menschen durchaus hörenswerten Freistil-Sendung übers Reden mit Außerirdischen. Auch das, so finde ich, passt wunderbar zu diesem Kurzhörspiel mit viel Horchen in verschiedene Sorten von Stille, bei der mensch nie sicher sein kann, dass da wirklich niemand ist.

  • Spatzen sehen den Mond als Fleck

    Ein etwas bedröppelt aussehender grüner Papagei mit langen Schwanzfedern.

    Dieser Halsbandsittich sieht so mitgenommen aus, weil es regnet, nicht, weil er mit Glas kollidiert ist.

    Eine Hochrechnung der Staatlichen Vogelschutzwarten in Deutschland hat ergeben, dass jährlich alleine in diesem Land ca. 100–115 Millionen Vögel an Glas verunglücken. Das sind über 5 % aller Vogelindividuen, die in Deutschland im Jahresverlauf vorkommen.

    Dieses Zitat kommt aus der Broschüre „Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht” der Schweizerischen Vogelwarte Sempach[1], die vor ein paar Tagen auf der Webseite des BUND erschienen ist. Meine erste Reaktion war: „Das kann nicht sein“. Aber andererseits: Ich habe auch schon mehrfach gehört, wie Vögel gegen Fensterscheiben geprallt sind, zum Teil auch gesehen, wie sie sich dann zusammengerappelt haben – oder eben auch nicht.

    Wenn ich alle drei Jahre Zeuge eines Vogel-Glas-Unfalls bin, gut zwei Drittel davon ohne ZeugInnen ablaufen (plausibel: der durchschnittliche befensterte Raum ist bestimmt weniger als ein Drittel der Zeit bemenscht) und ich relativ typisch bin, dann gibt es in der Tat ungefähr einen Vogelunfall pro BürgerIn, und das sind halt so um die hundert Millionen.

    Oh, Grusel. Lest euch die Broschüre mal durch (Trigger Warning: Bilder von verunglückten Tieren). Ich suche gleich mal nach wetterfesten, selbstklebenden Punkten von mindestens neun Millimeter Durchmesser, mit denen ich zumindest die Balkontür an meinem Arbeitsplatz (wo es wirklich viele Vögel gibt) markieren kann. Spoiler: hinreichend dicht und an die Außenseite geklebt, helfen die Vögeln zuverlässig, das Glas zu vermeiden.

    Kein Fall für die Ethikkommission

    Schön an der Broschüre finde ich, dass sie recht sorgfältig erklärt, wie mensch eigentlich misst, ob eine bestimmte Sorte Markierung an Glasscheiben die Vögel wirklich abhält (z.B. weiße oder schwarze Klebepunkte) oder nicht (z.B. die Greifvogelsilhoutten oder Kram, der nur im Ultravioletten sichtbar ist). Dazu beschreiben sie ein Flugtunnel-Experiment, bei dem Vögel aus einem Beringungsprojekt nicht direkt wieder freigelassen werden, sondern zunächst in einen ein paar Meter langen dunklen Raum mit einem großen, hellen Ausgang gesetzt werden. Vögel fliegen in so einer Situation sehr zuverlässig zum Licht.

    Am hellen Ende des Tunnels sind nun zwei Glasscheiben angebracht, eine konventionelle und eine markierte. Wenn die Vögel halbwegs zuverlässig die markierte Seite meiden, ist die Markierung glaubhaft wirksam. Aber natürlich will mensch die Vögel, die vom Beringen eh schon gestresst sind, nicht noch gegen eine Glasscheibe krachen lassen, weshalb es ein für Vögel unsichtbares Sicherheitsnetz gibt, das sie (relativ) sanft abhält. Und dann dürfen sie auch gleich weiterfliegen.

    Ich finde das ein bemerkenswert gut designtes Experiment, weil es auf Dauer mit untrainierten Wildvögeln arbeitet, also genau mit der Population, um die es in der Realität auch geht. Und im Vergleich zur Beringung ist die zusätzliche Belastung der Tiere durch das kurze und vergleichsweise naturnahe Tunnelexperiment vernachlässigbar. Gut: Mensch mag über die Beringung als solche diskutieren – aber da halte ich mich zurück.

    Ganz besonders begeistern mich Beschreibungen von Experimenten zudem, wenn systematische Fehler von Vorgängerexperimenten besprochen werden. In diesem Fall etwa war eine Systematik, dass Vögel am Vormittag deutlich lieber die linke Scheibe wählten und am Nachmittag deutlich lieber die rechte. Die Erklärung: die Vögel wollten nicht aus dem dunklen Tunnel in die Sonne hineinfliegen (auch wenn sie nach dem Beringen gleich in den Tunnel gelassen wurden, also noch helladaptiert waren). Deshalb bogen sie am Vormittag lieber nach Westen, am Nachmittag lieber nach Osten ab – was natürlich die Wirksamkeitsmessung ganz furchtbar störte.

    Die Lösung des aktuellen Experiments, um diese Systematik zu vermeiden: Der ganze Tunnel ist drehbar montiert und wird der Sonne nachgeführt. Wow.

    Scharfsichtigkeiten

    Die Broschüre war für mich auch Anlass, mich einiger Kopfzahlen zu bedienen. So zitiert sie etwa aus Martin, G. (2017): The sensory ecology of birds, das

    Auflösungsvermögen des menschlichen Auges [sei] etwa doppelt so hoch wie das eines Turmfalken, vier Mal höher als das einer Taube und 14-mal so hoch wie das eines Haussperlings.
    Ein männlicher Sperling sitzt auf der Strebe eines Biergartenstuhls und blickt seitlich an der Kamera vorbei.

    Was er wohl über den Mond denkt? Ein Spatz im Berliner Botanischen Garten, 2008.

    Um das einzuordnen, habe ich mich erinnert, dass ein normalsichtiges menschliches Auge zwei Bogenminuten auflöst[2], und um eine Vorstellung zu bekommen, was wohl zwei Bogenminuten seien, ist die Ur-Kopfzahl für Winkel gut: Mond und Sonne sind jeweils etwa dreißig Bogenminuten (oder ein halbes Grad)[3] groß. Wenn also so ein Spatz etwa fünfzehn Mal schlechter auflöst als der Mensch, ist für ihn der Mond nur so ein heller, unstrukturierter Punkt. Today I learned…

    Will ich lieber fliegen oder lieber den Mond wie gewohnt sehen können? Hm.

    Fledermäuse und Lichtverschmutzung

    Erfreulich aus AstronomInnensicht ist der Exkurs zur Lichtverschmutzung mit einem Punkt, den ich noch gar nicht auf dem Schirm hatte:

    Fledermäuse meiden die Helligkeit, weil sie sonst leicht von Beutegreifern wie Greifvögeln und Eulen gesehen werden können. Besonders problematisch ist das Beleuchten der Ausflugöffnungen von Fledermausquartieren, wie sie beispielsweise in Kirchendachstühlen zu finden sind. Dies erschwert den Tieren den Ausflug aus den Quartieren und verringert damit die Zeit der aktiven Nahrungssuche, was wiederum den Fortpflanzungserfolg vermindern kann.

    Ich weiß nicht, wie lange das schon bekannt ist. Wenn das jetzt nicht brandneue Ergebnisse sind, bekomme ich schon wieder schlechte Laune, weil die Kirchenturmilluminationen, auf die für Fledermäuse offenbar nicht verzichtet werden konnte, im Herbst 2022 aus patriotischen Gründen plötzlich doch abgeschaltet werden konnten. Hmpf.

    Der ganze Werbe- und Touriklimbim ist übrigens alles andere als im Mittel vernachlässigbar. Nochmal die Vogelwarten-Broschüre:

    Eine Untersuchung der Wiener Umweltanwaltschaft hat gezeigt, dass in Wien 2011 zwei Drittel der Lichtverschmutzung von Schaufensterbeleuchtungen, Anstrahlungen und anderen Effektbeleuchtungen und nur ein Drittel von der öffentlichen Beleuchtung verursacht wurden, obwohl letztere zwei Drittel der Lichtpunkte betreibt.

    Ich stelle unter Verweis auf meinen Rant gegen die Dauerbeflimmerung schon wieder fest: Vernünftiges Konsumverhalten ist eigentlich selten Verzicht. Es ist viel öfter Befreiung von Mist, der den Nutzenden oder jedenfalls anderen Tieren (häufig übrigens der eigenen Spezies) das Leben eh nur schwer macht.

    Nachtrag (2023-02-13)

    Ich hätte vielleicht gleich sagen sollen, dass ich auf die Broschüre durch einen Artikel im BUNDmagazin 1/2023 aufmerksam geworden bin. Ein paar Seiten weiter hinten steht da eine Ergänzung zum Thema schlechte Laune, denn in der Tat hat Baden-Württemberg offenbar seit 2020 ein recht durchgreifendes Beleuchtungsrecht in §21 Naturschutzgesetz, in dem zum Beispiel drinsteht:

    Es ist im Zeitraum

    1. vom 1. April bis zum 30. September ganztägig und
    2. vom 1. Oktober bis zum 31. März in den Stunden von 22 Uhr bis 6 Uhr

    verboten, die Fassaden baulicher Anlagen der öffentlichen Hand zu beleuchten, soweit dies nicht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich oder durch oder auf Grund einer Rechtsvorschrift vorgeschrieben ist.

    oder gar:

    Werbeanlagen sind im Außenbereich unzulässig. Unzulässig sind auch Himmelsstrahler und Einrichtungen mit ähnlicher Wirkung, die in der freien Landschaft störend in Erscheinung treten.

    Naturschutzrecht ist offenbar ein wenig wie Datenschutzrecht. Mensch staunt regelmäßig über die Dissonanz zwischen Recht und Praxis – nicht zuletzt, weil es dann doch immer allerlei interessante Ausnahmen gibt, im Fall von §21 NatSchG vor allem Artikel 5.

    Kopfzahlen: Beleuchtungsstärken

    Während ich bei den Scharfsichtigkeiten mit Kopfzahlen auskam, die ich schon parat hatte, sammele ich die zu Beleuchtungsstärken jetzt gerade aus der Broschüre (die sie wiederum aus der Wikipedia hat). Die Beleuchtungsstärke ist dabei ein Maß, wie viel Licht pro Flächeneinheit auftrifft. Es ist nicht falsch, sich vorzustellen, dass sie misst, wie hell ein Stück Papier wirkt, wenn ihr es in dem entsprechenden Licht anguckt.

    Und da will ich mir merken: An einem Sommertag draußen ist die Beleuchtungsstärke 90'000 Lux; ein ordentlich ausgeleuchtetes Büro („Pfui, ist das ungemütlich“) hat nur ein verblüffendes halbes Prozent davon (also etwa 500 Lux), ein fernsehgerechter Wohnraum („endlich keine doofe Arbeit mehr”) gar nur ein halbes Promille.

    Zu bedenken ist dabei allerdings, dass unsere Helligkeitswahrnehmung, wie fast alle unsere Sinne, logarithmisch funktioniert. Die Wahrnehmung von Intensitäten geht also wie der Logarithmus der einkommenden Energie (vgl. etwa Dezibel). Mithin wäre es vielleicht sinnvoller, sich 5 (plusminus der dekadische Logarithmus von 90'000), 2.5 (Büro) und 1.5 (Wohnraum) zu merken. Andererseits ist diese Sorte von Kopfzahl vielleicht auch relevanter, wenn mensch abschätzen will, ob – sagen wir – ein Solarlader was tun wird oder nicht. Sowas geht aber bei unverändertem Spektrum weitgehend linear mit der einkommenden Energie.

    Bei genaueren Betrachtungen sind photometrische Einheiten übrigens immer ein Graus – als Astronom könnte ich davon viele Lieder singen, von Jansky, AB-Magnituden (gibts noch nicht in der deutschen Wikipedia) versus Vega-Magnituden (gibts noch nicht mal in der englischen Wikipedia) und vielem mehr. Immerhin kann ich mir traditionell merken, dass ein ordentlicher Beamer für Besprechungsräume 2000 Lumen Lichtstrom erzeugt. Dieser Lichtstrom ist so in etwa ein Maß dafür, wie viele Photonen (bei gegebener Frequenz und damit Energie pro Photon) pro Zeiteinheit aus so einer Lampe kommen[4]. Und ich kann mir gerade noch so merken, dass

    1  lux = (1  lm)/(1 m2)

    ist. Wenn ihr ein wenig rechnet, heißt das: Damit ein A5-Blatt (faul idealisiert auf 15 mal 15 Zentimeter) genauso hell scheint wie im Sommersonnenschein, braucht ihr das ganze Licht eines ordentlichen Beamers auf diesem Stück Papier. Das hätte ich per Bauchgefühl ganz anders geschätzt.

    Noch was gelernt heute.

    [1]Schweizer Provenienz heißt auch: Nicht ein blödes scharfes s im ganzen Text. Fantastisch! Können wir dießen Quatsch hier auch abschaffen?
    [2]Die englische Wikipedia …
  • Klarsprache: Migrationskontrolle als militärisches Problem

    Foto: Betonmauer und Wachturm, rekonstruiert an der Mauer-Gedenkstätte in der Bornholmer Straße in Berlin, gesehen von der alten Ostseite.

    Ist das noch ein Zaun? Und was sagen die „militärischen Fachleute“ zu seiner Eignung?

    Die Militarisierung aller möglicher Politikfelder hat ganz sicher nicht erst mit der <hust> Zeitenwende angefangen; speziell bei der Migrationskontrolle – noch spezieller bei der gewaltformigen Abwehr regierungsseitig unerwünschter Menschen – markiert etwa die Gründung von Frontex im Jahr 2004 so eine <hust> Zeitenwende.

    Die <hust> „verteidigungs”-politischen Richtlinien der Bundeswehr signalisieren in der Frage jedoch Kontinuität. In deren ersten Version (1992) ist nicht nur bereits sieben Jahre vor dem ersten ordentlichen Krieg der Bundeswehr von der (sc. militärischen) „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ die Rede. Nein, im Einklang mit den damaligen Angriffen auf das Grundrecht auf Asyl formulierte die Bundeswehr:

    Jede Form internationaler Destabilisierung […] setzt Migrationsbewegungen in Gang […] Bei insgesamt negativem Entwicklungsverlauf kann dieser Zusammenhang auch militärische Dimensionen gewinnen.

    In der aktuellen Version von 2011 liest sich das so:

    Sicherheit wird nicht ausschließlich geografisch definiert. Entwicklungen in Regionen an Europas Peripherie und außerhalb des europäischen Sicherheits- und Stabilitätsraumes können unmittelbaren Einfluss auf die Sicherheit Deutschlands entfalten [… Es] entstehen Bedrohungen wie Bürgerkrieg, Destabilisierung von Regionen, humanitäre Krisen und damit verbundene Phänomene wie Radikalisierung und Migrationsbewegungen.

    Ob bereits in der nächsten Version dieser „Leitlinien“ direkt von der militärischen Kontrolle von „Bedrohungen“ durch grenzüberschreitende Menschen die Rede sein wird, bleibt abzuwarten.

    Dass die EU-Kommission schon seit Jahren in dieser Richtung diskutiert, kann hingegen spätestens seit heute morgen als gesichert gelten. Da nämlich hat Friedbert Meurer im Deutschlandfunk Franz Fischler interviewt, der von 1995 bis 2004 – also gerade in der Entwurfsphase von Frontex – in der EU-Kommission das (schon aus finanziellen Gründen) mächtige Landwirtschaftressort geleitet hat.

    Gefragt, was er von einem „Zaun“[1] halte, der zwischen der Türkei und Bulgarien Flüchtende abwehren soll, sagte dieser Mann (ca. Minute 2:10):

    …das kann ich jetzt auch nicht beweisen, ob es hilft oder nicht hilft [… von der Leyen meint, man] muss das also entsprechend auch ausstatten, mit Kameras, mit Luftraumüberwachung, mit Drohnen und was weiß ich was. Die anderen sagen, es hilft gar nicht. Also, ich kann da hier nicht den Schiedsrichter spielen, ich glaube, da muss man sich auf die militärischen Fachleute verlassen. [Hervorhebung A.F.]

    Das ist schon ziemlich klare Klarsprache: Die Frage ist längst nicht mehr, ob „wir“ Asylsuchende (oder ggf. auch anderweitig Migrierende) mit Gewalt abweisen dürfen oder gar sollen. Die Frage ist nicht mal mehr, welche Mittel für so ein eigentlich menschenrechtswidriges Verhalten ethisch oder juristisch in Ordnung gehen könnten. Die Frage ist einfach nur noch, was militärisch nützlich oder wirksam sein könnte.

    Ich frage mich mal wieder, was die Menschen in hundert Jahren über uns denken werden.

    [1]Es gibt ein Spektrum zwischen Vorort-Jägerzaun und Todesstreifen – ich habe den „Zaun“ hier mal in Anführungszeichen gesetzt, weil das diskutierte Bauwerk auf diesem Spektrum wahrscheinlich näher beim Todesstreifen liegen würde als beim Jägerzaun.
  • „Seit bald acht Jahrzehnten nicht mehr“?

    Plot einer Badewannenkurve; die Ränder sind Mai 2022 und Februar 2022

    Der Olivindex mal als Linie geplottet (oh: das ist mit einem Acht-Tage-Gauß geglättet).

    Ich lese immer noch flächendeckend die Presseschau im Deutschlandfunk, um meinen Olivindex fortzuführen. Gedacht als grobes Maß für die bedenkliche Mischung aus Kriegsbegeisterung und Patriotismus ist der Olivindex in Wirklichkeit der Anteil der in der Presseschau vertretenen Kommentare, die ersichtlich voraussetzen, dass an deutschem Militär und deutschen Waffen die Welt genesen könnte oder gar müsste.

    Seit dem letzten Mai habe ich am Fuß jeder Blog-Seite unter „Kriegsfieber aktuell“ jeweils eine Visualisierung dieser Scores als olive Farbbalken. Oben hingegen zeige ich das Ganze mal als klassischeren Plot, unter Wiederverwendung der Gauß-Glättung aus der Untersuchung der CO₂-Zeitreihe[1].

    Es wäre wahrscheinlich interessant, das allmähliche Absinken des journalistischen Kriegsfiebers zwischen Mai und Juli mit den Ereignissen zu korrelieren, das kurzfristige Wiederaufflackern im Laufe des Septembers – ich glaube, im Wesentlichen im Gefolge der russischen Teilmobilmachung –, die kühleren Herzen im November und Dezember und das Wiederanschwellen des Bocksgesangs hin zu den weiter wachsenden Waffenlieferungen der letzten Zeit. Aber das ist wahrscheinlich eine Arbeit, die mit mehr historischer Distanz besser von der Hand gehen wird.

    Ich erzähle das jetzt gerade alles nur, um zu motivieren, wie ich auf den Preisträgertext gekommen bin für den

    Horst-Köhler-Preis für beunruhigend ernst gemeinte Worte.

    Der aktuelle Preisträger ist die Pforzheimer Zeitung, die ausweislich der gestrigen DLF-Presseschau (wenn der Link kaputt ist: sorry, der DLF depubliziert den Kram immer noch rasend schnell) ausgerechnet die doch eher zahme Frage der Faeser-Kandidatur mit folgendem ziemlich unprovozierten Ausfall kommentiert:

    Bundesinnenministerin will die 52-Jährige bis zur Hessen-Wahl bleiben – also ‚nebenher‘ auch noch Wahlkampf machen. In einer Phase, in der die nationale Sicherheit Deutschlands so wichtig ist wie seit bald acht Jahrzehnten nicht mehr.

    Ummmm. Acht Jahrzehnte sind achtzig Jahre, 2023-80 gibt 1943. Damals war nach Ansicht des Pforzheimer Kommentators die „nationale Sicherheit“, zumal von „Deutschland“ ganz besonders „wichtig“? Uiuiuiui… Nun. Pforzheim. Die Stadt, in der bei den Landtagswahlen 2016 24.2% der Abstimmenden die AfD gewählt haben – damit waren die damals stärkste Kraft im Wahlkreis.

    Eine gewisse Logik liegt da schon drin. Unterdessen herzlichen Glückwünsch an den/die PreisträgerIn.

    [1]Nun: weil mir hier die Ränder wichtig waren, habe ich etwas mehr „Sorgfalt“ (mensch könnte auch von „Großzügigkeit” reden) auf das Padding am Anfang und Ende der Zeitreihe verwendet, also die Stellen, an denen der Glättungskern über die Daten rausreicht. Ich mache das jetzt gerade durch Fortschreibung der jeweiligen Randelemente; das gibt diesen an den Rändern viel zu viel Gewicht, aber es ist immer noch besser als einfach mit Nullen fortzuschreiben. Wer mag, kann mein Tricksen in der smooth_gauss-Funktion in olivin ansehen.
  • Eingeschneite Mandelblüten

    Foto einer geöffneten Mandelblüte vor einer Schneelandschaft.

    Heute bei Dossenheim: Ob aus dieser Blüte mal eine Mandel wird, darf trefflich bezweifelt werden.

    Zu den großartigeren Projekten in und um Dossenheim gehören die Mandelbäume am Mantelbach, die unter der Ägide des Freundeskreises der Gemeindebücherei im Laufe der letzten zehn Jahre (oder so) gepflanzt wurden. Wer Ende Februar, Anfang März im Norden von Heidelberg unterwegs ist: Ich finde, die rosa Blütenpracht mit dem Duft von Omaseife ist jedenfalls einen kleinen Ausflug wert. Trotz Klimawandel dürften Mandelbäume, die zudem noch ganz ordentlich tragen, noch für eine Weile als spezielle Sehenswürdigkeit von Bergstraße und Südpfalz durchgehen.

    In diesem Jahr nun war es aber in der ersten Januarhälfte schon so warm, dass einige der mutigeren Bäumchen schon mal losgelegt haben. Und dann hat gestern Nacht ein Nordostwind für hiesige Verhältnisse beachtliche Mengen Schnee mitgebracht. Bei einem Spaziergang heute morgen taten mir die frühen Blüten (und noch mehr die Knospen) schon ein wenig leid.

    Während die Mandelblüten den Frost, glaube ich, nicht gut mitmachen werden, bin ich für den Winterjasmin ein Stück weiter oben in den Weinbergen eigentlich ganz guter Dinge, auch wenn er fast verschwunden ist im Schnee:

    Ein Schneehaufen mit Löchern, durch die gelbe Blüten sichtbar sind.
  • Sympathie für myrmekophile Falter: Schwierig

    Foto eines blauen Schmetterlings

    Unsympath vom Dienst für diesen Post: Ein (Quandel-) Ameisenbläuling. CC-BY-SA PJC&Co

    Im Dezember letzten Jahres lief in der DLF-Sendung Forschung aktuell zur Begleitung der Weltnaturschutzkonferenz in Montreal eine großartige Miniserie mit Geräuschen von Tieren, deren Arten demnächst ziemlich wahrscheinlich aussterben werden. Ihr ebenfalls großartiger Titel: „Letzte Rufe“. Soweit ich sehe, haben die Deutschlandfunk-Leute keine eigene Seite für die Miniserie. Lasst mich geschwind einspringen:

    Ich finde, das ist ein sehr audiophiles Format. Und ich habe in jeder Folge etwas gelernt.

    Nur… nun, nennt mich einen Naturromantiker, aber speziell beim Ameisenbläuling fällt mir allzu viel Empathie schwer, auch wenn ich weiß, dass Parasiten in den meisten Ökosystemen stark stabilisierende Funktionen haben. Es klingt einfach zu garstig, was die Viecher treiben.

    Sie sind nämlich Myrmekophile. Ich habe das Wort auch erst eben gelernt. Es bezeichnet Organismen, die an Ameisen „gebunden“ (Wortwahl des/der Wikipedia-AutorIn) sind. Bei Ameisenbläulingen heißt das etwas weniger beschönigend gesprochen, dass sie sich von Ameisen in deren Bau tragen lassen – etwa, indem sie durch abscheuliches Krächzen vorgeben, sie seien Königinnenlarven – und sich dort von diesen füttern lassen beziehungsweise gleich die Eier und Larven der Ameisen aufessen. In den Worten des Wikipedia-Artikels zum Quendel-Ameisenbläuling:

    Dennoch kommen viele Raupen [im Ameisennest] um, weil sie entweder in Gegenwart der Königin von den Arbeiterinnen angegriffen werden, oder weil sie das Ameisennest leer plündern und sich so selbst die Nahrungsgrundlage entziehen.

    Beim Lungenenzian-Ameisenbläuling ist es deutlich harmloser:

    Für die betroffenen Ameisenarten kann der Parasitenbefall zu einer Verkleinerung der Kolonie führen, da die bevorzugte Fütterung der Schmetterlingslarven den eigenen Nachwuchs gefährdet.

    Aber immerhin sind diese speziellen Falter relativ wenig manipulativ:

    Nach dem Schlüpfen bleibt den Faltern nicht viel Zeit für die Flucht, denn sie besitzen keine Duftstoffe, die sie vor den Ameisen schützen.

    Zum Hellen Wiesenknopf-Ameisenbläuling weiß die Wikipedia zu berichten:

    Etwa 98 % der Biomasse der Puppe (und des späteren Falters) stammt so von den Ressourcen des Ameisenvolkes. Es wurde geschätzt, dass bei den räuberisch lebenden Phengaris-Arten (P. teleius, P. arion und P. nausitous) etwa 350 Arbeiterinnen mittelbar nötig sind, um eine Phengaris-Larve zu ernähren. Diese Zahl wird benötigt, um die Nahrung für die Ameisenbrut zu beschaffen, die von den Phengaris-Larven gefressen wird.

    Sagt, was ihr wollt: Als Sympathieträger gegen das Insektensterben würde ich mir eine andere Art aussuchen. Jedenfalls solange, bis auch Menschen wie ich deutlich mehr Instinkt entwickelt haben für Ökosysteme und die Rolle, die auch Tiere mit nach menschlichen Maßstäben nicht so feinen Manieren darin spielen. Bis dahin kann ich die spontane Reaktion einer Freundin gut nachvollziehen: „Die Biester sollen ruhig aussterben“.

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