Mach mit bei DIT

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Hier zeigt meine DIT-Uhr die Zeit (und das Datum) in meinem sawfish-Dock. Nein, das ist kein Startrek-Unfug. Ich hoffe stattdessen, dass etwas in dieser Art im Laufe der Zeit zum In-Accessoire werden wird: Wer keins hat, darf nicht mehr Digitalisierung sagen [nun: glücklicherweise hat niemand, der_die sowas wollen könnte, Mittel, mit denen so ein Verbot durchzusetzen wäre].

Heraus aus der babylonischen Verwirrung!

Es gibt nach 3000 Jahren nicht mehr allzu viele Gründe, sauer auf die großen KriegsherrInnen aus Babylon und ihre mesopotamischen KollegInnen zu sein. Mit dem babylonischen Klerus sieht das anders aus: Nicht nur sexagesimale Koordinaten etwa in der Astronomie geht auf ihn zurück, sondern auch all der krumme Kram mit Faktoren von 60 oder 24 oder 7, mit dem wir uns völlig ohne Not[1] immer noch in der Zeitrechnung herumschlagen.

Keine Schuld haben die mesopotamischen PriesterInnen am Ärgernis Zeitzonen und dem damit zusammenhängenden Sommerzeit-Elend, aber ich wollte auch die schon ewig loswerden, nicht nur wie neulich aus Betroffenheit.

So hat die Decimal Internet Time (DIT) mein Herz (fast) im Sturm genommen, ein Vorschlag, die Zeit durch Zehnteln des Tages zu notieren. Dieser Stundenersatz heißt Dek (von Dekatag) und entspricht fast zweieinhalb (nämlich 24/10) babylonischen Stunden.

Selbst für sehr grobe Zeitangaben werden Deks in der Regel nicht reichen, weshalb sie in hundert Sims (von Decimal Minute) aufgeteilt werden. So ein Sim entspricht 86 Sekunden, ist also ziemlich nahe an einer babylonischen Minute. Das wäre wohl so die Einheit für Verabredungen: „Mittagessen um neun komma fünfundsiebzig“ oder meinetwegen „fünfungzwanzig vor null“, denn um die 100 Sekunden warten sollten für niemand ein Problem sein, und viel genauer fährt die Bahn nicht mal in der Schweiz. Aber weils Dezimal ist, wärs auch kein Problem, einfach nach den Zehnern aufzuhören: „Ich breche dann um 7.8 auf“, eine Angabe, die etwa auf eine Viertelstunde genau ist – sehr menschengemäß in meinem Buch.

Ich finde das total plausibel; wenn euch das demgegenüber komisch vorkommt, ist das, ich muss es euch sagen, sehr parallel zur Abneigung von in imperialen Einheiten aufgewachsenen Leuten, etwas wie „ein Meter Fünfundachtzig“ zu sagen, wo doch „six foot two inches“ soo viel intuitiver ist.

Um ein Gefühl für die Dezimalzeit zu bekommen, hätte ich folgende Kurzreferenz für BRD-Gewohnheiten anzubieten:

DIT MEZ in Worten
0 Mittag (13:00)
1.5 Nachmittag (~16:30)
2 Früher Abend (~18:00)
3 Abend (20:00)
4.5 Mitternacht
6 Unchristliche Zeit (3:30)
7.5 Morgen (7:00)
9 Vormittag (10:30)

Deseks: Vielleicht nicht so nützlich

Weniger begeistert bin ich von der kleinsten Zeiteinheit von DIT, der Dezimalsekunde, Desek oder kurz Sek; das ist ein Tag/100'000, gegenüber einem Tag/86'400 bei der SI-Sekunde.

Als SI-Taliban hätte ich die ganze dezimale Zeitrechnung ja ohnehin lieber auf die Sekunde aufgebaut und die Kilosekunde (ungefähr eine Viertelstunde) als Stundenersatz etabliert. Zwar gebe ich zu, dass die DIT-Wahl des Bezugs auf den Tag für menschliche Nutzung ein besserer Plan ist als die Kilosekunde (von der es 86.4 in einem Tag gibt, was eingestandenermaßen blöd ist).

Aber für rein menschliche Nutzung (Verabredungen, Tagesplan, Fahrpläne…) spielen Zeiten im Sekundenbereich in der Regel keine Rolle, und so hätte ich die Deseks einfach rausgelassen und gesagt: Wers genauer braucht, soll zu den PhysikerInnen gehen und von denen die Sekunde nehmen. Dass ein Sim ziemlich genau aus 86.4 von diesen SI-Sekunden besteht, ist eher eine putzige Kuriosität als eine praktische Schwierigkeit, und jedenfalls nicht nennenswert lästiger als die 60 Sekunden, die eine babylonische Minute hat.

Und nein, die physikalische Sekunde als Tag/100,000 umzudefinieren lohnt den Aufwand nicht; dafür ist die Erdrotation längst zu ungenau, und dann wir wollen ohnehin den Schaltsekunden-Unfug nicht mehr. Die Sekunde ist Physik, die braucht nichts mit menschlichen Zeiten zu tun zu haben. Insofern: Es wäre schöner, wenn es keine Desek gäbe, aber ich will auch nicht streiten.

Good riddance, Zeitzonen

Der neben der Nutzung des Dezimalsystems zweite große Fortschritt von DIT ist, dass sie auf der ganzen Welt einheitlich verläuft. Es gibt also in DIT keine Zeitzonen mehr.

Mehr nebenbei ist das so gemacht, dass das babylonische 12 Uhr, die Mittagszeit bzw. 5 Deks in DIT, in der aktuellen UTC-12-Zeitzone (der „frühesten“, die es gibt), tatsächlich ungefähr mit der Kulmination der Sonne, also einer naiven Mittagsdefinition, zusammenfällt. Aber das spielt – im Gegensatz zum etwas antibritisch klingenden Sentiment in der DIT-Spec – eigentlich keine Rolle. Relevant ist nur, dass DIT-Uhren auf der ganzen Welt den gleichen Wert anzeigen. Ich darf meine Fantasie von neulich für DIT aktualisieren:

Wäre es wirklich ein Problem, wenn Menschen, die in Kasachstan leben, 2 Deks für eine gute Zeit fürs Mittagessen halten würden und sich die Leute in New York eher so gegen siebeneinalb Deks über ihres hermachten? Ich wette, alle würden sich schnell dran gewöhnen. Es ist jedenfalls einfacher als das Sommerzeit-Mantra „spring forward, fall back“.

Eingestanden: Wenn ich DIT entworfen hätte, hätte ich die auf die Referenz 12 babylonische Stunden entfernt von UTC verzichtet, denn alle anständigen Zeitstempel sind bereits jetzt in UTC. Wenn mensch für die DIT davon weggeht, verschränken sich Datum und Zeit bei der Umrechnung dieser anständigen Zeitstempel zu DIT – beim Übergang von babylonischer Zeit zu DIT kann sich also auch das Datum ändern.

Das ist eine Komplikation, die keinen erkennbaren Nutzen hat; es ist eben kein Privileg, dass die Sonne um 5 Deks kulminiert, und so ist der Versuch albern, dabei möglichst wenige Menschen „zu bevorzugen“. Aber seis drum.

Das Datum zur Zeit: StarDIT

Insbesondere spielt das keine Rolle mehr, wenn mensch auch das Datum in DIT schreibt. Dazu gibt es eine Erweiterung von DIT zu größeren Zeiträumen hin, die im Vorschlag StarDIT genannt wird. Ob die Gesellschaft schon durchnerdet genug ist, um mit so einem Namen durchzukommen? Weiß nicht.

An sich ist, wo wir schon bei Namen sind, ja auch das I, „Internet“, in DIT nicht so richtig seriös. Ich würde es vielleicht lieber als „International“ lesen – Internationalismus ist und bleibt einer der sympathischeren Ismen.

Im StarDIT-Plan jedenfalls besteht das Datum aus (gregorianischem) Jahr zu einer leicht entchristlichten Epoche sowie der laufenden Tagesnummer innerhalb eines Jahres, mit einem Doppelpunkt getrennt, also für heute etwa 12023:350. Wer Wochen haben will, nimmt den Zehneranteil und schreibt ein x dahinter; aktuell haben wir also die Woche 35x.

Zehntagewochen bergen ein wenig das Risiko, dass aus fünf Arbeitstagen acht werden; ein analoger Effekt hat schon dem Französischen Revolutionskalender (in meiner Geschichtserzählung) den Hals gebrochen. Aber wir müssen ja gerade sowieso über drastische Arbeitszeitverkürzung reden, um irgendwie die immer noch wachsende CO₂-Emission in den Griff zu kriegen. Da könnte der Übergang zu DIT durchaus mit einem Zwischenmodell mit weiterhin fünf Tagen Lohnarbeit, dafür dann auch fünf Tagen Selbstbestimmung („Wochenende“) zusammengehen – bevor die Lohnarbeit weiter abnimmt, natürlich.

Putzig, wenn auch nicht allzu praktikabel für den Alltag, finde ich die DIT-Idee, die christliche Epoche (zu meinen eigenen Bedenken vgl. Fußnote 1 hier) durchs Holozän-Jahr zu ersetzen. Das ist wie das normale Gregorianische Jahr, nur dass die Zählung 9'999 vdCE anfängt (das heißt: Zählt einfach 10'000 zu ndCE-Jahren dazu).

Es ist sicher prima, wenn die Leute nicht mehr durch Kennungen wie „v. Chr“ oder „n. Chr“ letztlich fromme Märchen verbreiten, und es ist auch großartig, wenn das Jahr-0-Problem (es gibt nämlich kein Jahr 0: die derzeitige Jahreszählung geht direkt von 1 v. zu 1 n., und drum ist auch die DIT-Referenzepoche etwas krumm) zumindest aus der post-mittelsteinzeitlichen Geschichtsschreibung komplett verschwindet. Ob jedoch das ein Deal ist, wenn mensch dafür mit einer Extraziffer in Jahreszahlen bezahlen muss? Fünf ist, haha, eben nicht zwingend Trümpf.

Andererseits: Das StarDIT ist trivial aus der gewohnten Jahreszahl auszurechnen, und realistisch würden die Leute auch mit DIT im Alltag wohl weiterhin „Dreiundzwanzig“ oder „Zwanziger Jahre“ sagen und nicht „Zwölftausenddreiundzwanzig“ oder „zwölftausendzwanziger Jahre“. Insofern: Meinen Segen haben sie.

Implementation: Python und Javascript

Um nun mit gutem Beispiel voranzugehen, will ich selbst ein Gefühl für DIT bekommen. Dazu habe ich ein Python-Modul geschrieben, das Konversionen von Python-Datetimes von und nach DIT unterstützt. Das ist so wenig Code, dass ich lieber niemand verführen würde, das als Dependency zu importieren. Drum habe ich es auch nicht ins pyPI geschoben; guckt einfach in mein codeberg-Repo. Meine vorgeschlagene Vorgehensweise ist copy-paste (oder halt einfach das Modul in den eigenen Quellbaum packen).

Das Modul funktioniert auch als Programm; legt es dazu einfach in euren Pfad und macht es ausführbar. Es zeigt dann eine DIT-Uhr in einem Tkinter-Fenster an. Ich habe das in meinen Sawfish-Dock aufgenommen – siehe das Eingangsbild.

Ich habe außerdem noch ein Stück Javascript geschrieben, das DITs ausrechnen und anzeigen kann. Es ist eingebettet in der Datei dit.html im Repo oder unter https://blog.tfiu.de/media/2023/dit.html erreichbar. Menschen, die (ganz anders als ich) breit Tabs in ihren Browsern nutzen, können die Webseite öffenen und haben mit etwas Glück (wenn der Browser nämlich das Javascript auch im Hintergrund laufen lässt) eine DIT-Anzeige in der Tab-Bar.

Und ich gebe ab jetzt die Publikationsdaten in diesem Blog (auch) als DITs an. Wie das geht, beschreibe ich demnächst mal.

Comic: XKCD 2867.  Vgl. https://explainxkcd.com/2867/ fürs Transskript und eine Diskussion.

Passend zu diesem Post hat letzte Woche auch XKCD 2867 die Schwierigkeiten von Zeitberechnungen diskutiert. Zugegebenermaßen: Die Schwierigkeiten der Uhrensynchronisation („impossible to know“) in der Physik ändern sich durch DIT nicht; wir wissen seit mehr als 100 Jahren, dass es keine universelle Zeit gibt. Aber für unsere kleine Erde und die langsamen Menschen auf ihr würde die DIT das alles sofort einfach machen. Comic CC-BY-NC Randall Munroe.

Cave führende Nullen

Ich will nicht verschweigen, dass die Trennung von Deks und Sims ein Problem einlädt, das es ganz ähnlich auch schon beim aktuellen babylonischen System gibt, aber dort vielleicht nicht ganz so riskant ist: möglicherweise fehlende führende Nullen. DITs werden ja mit Dezimaltrennzeichen geschrieben: 3.40.22, was noch etwas rationaler als 0.34022 Tage nach Mitternacht in UTC-12 geschrieben werden könnte. Das schlichte Verschieben der Kommas kann aber eine Falle sein.

Wenn ich nämlich fünf Sims nach drei Dek schreiben will, könnte ich (vor allem, wenn das über ein paar Ecken Programmcode geht) versucht sein, aus 3 und 5 auch 3.5 zu machen – aber das ist drei Dek und fünfzig Sim. Natürlich ist das bei „fünf nach drei“ jetzt gerade auch nicht anders, aber weil da eher Doppelpunkte als die US-/C-/Python-Dezimaltrenner („.“) geschrieben werden, ist der Fehler vielleicht nicht so verlockend: „3:5“ sieht eher problematisch aus, während 3.5 Deks eine völlig legale und sinnvolle Bezeichnung ist, nur eben nicht für „3 Deks und 5 Sims“.

Wenn ihr DIT-manipulierenden Code schreibt, empfele ich daher, die DITs lieber nicht als Tripel von ganzen Zahlen zu manipulieren– das verführt zu Fehlern dieser Art – sondern als eine einzige Fließkommazahl. Das hat zwar wegen der ungenauen Darstellung dezimaler Fließkommazahlen in den üblichen IEEE-floats seine eigenen Fallen, aber ein gelegentliches 4.99.99 statt eines 5 ist überhaupt kein Weltuntergang in der Dezimalzeit.

Wenn alle, die schon mal wegen sexagesimalen Zeiten und Zeitzonen-Mist geflucht haben (und das sind wohl alle, die je mit Daten und Zeiten im Computer gearbeitet haben), die DIT-Gedanken in die Gesellschaft tragen, mag via DIT durchaus etwas Schmerz aus den Datumsrechnungen der Zukunft entfernbar sein. Irgendwie haben wir Nerds ja auch den Rest der Gesellschaft überredet, dass Rechner für sie zu irgendwas gut sind. Vielleicht können wir als kleine Entschuldigung für diese Gemeinheit ihnen zumindest die Zeitrechnung etwas einfacher machen?

[1]„ohne Not“ im Unterschied zu, sagen wir, der Verteilung von Tagen auf Jahre; das nämlich kann gar nicht einfach sein, weil das Verhältnis von Tages- zu Jahreslänge (1/365.247...) weder ganzzahlig noch hinreichend konstant ist.

Zitiert in: In den Stuttgarter Naturkundemuseen Von der größten Demo in Heidelberg seit Jahrzehnten und der autoritären Versuchung Saner Timestamps With DIT: In Pelican and Beyond

Kategorie: edv

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