Unter den Branchen, in denen Privatisierung am alleroffensichtlichsten
Quatsch ist, sehe nicht nur ich die Post ganz vorne. Denn: Alle sollen
die Post nutzen können, aber die Kosten für die Infrastruktur
schwanken um Größenordnungen zwischen Metropole und Provinz. Unter
solchen Bedingungen eine halbwegs gleichmäßige Abdeckung mit
privatwirtschaftlichen Unternehmen herzustellen, wäre ein
regulatorischer Kraftakt, der abgesehen von viel Zeitverschwendung am
Schluss wieder darin enden würde, dass die Gewinne privatisiert und die
Verluste sozialisiert werden – wovon nun wirklich niemand was hat.
Aber auch wer in der Stadt wohnt, muss sich fragen, welchen Zweck es
wohl haben könnte, wenn statt des einen zuverlässigen, halbwegs
ordentlich bezahlten und beamteten Postboten im Dienst der weiland
Bundespost nun fünf arme Schlucker die Viertel abfahren, die alle
mehr oder minder am Mindestlohn kratzen, im Akkord arbeiten und
entsprechend unzuverlässig sind: Noch nicht mal die verbohrtesten
Marktpriester wollten das rechtfertigen, wenn ich sie darauf
angesprochen habe.
Und dabei fange ich noch nicht mal beim Kulturverlust an. Vor der
Privatisierung konnte das Postamt als Ausspielstelle des Staates
fungieren, praktisch wie die Bürgerämter unserer Zeit, nur dichter
gespannt. Heute korrelieren die Außenposten der Post im Wesentlichen
mit Branchen wie Glücksspiel oder Restposten.
Kurz: Wäre ich Marktpriester, der Postdienst wäre das letzte, über das
ich reden wollte.
Um so mehr hat mich der DLF-Hintergrund vom 4.8. überrascht, in dem
Mischa Ehrhardt versucht, ein Problem auszumachen, weil „die Deutsche
Post den Markt dominiert“, natürlich ohne zu sagen, wie ausgerechnet mehr
Markt irgendeines der angesprochenen Probleme lösen könnte – und genau
keine Stimme den offensichtlichen Weg nach vorne, nämlich die
Rückverstaatlichung des Postdienstes, auch nur anspricht.
Stattdessen wird Walther Otremba – nach einer Karriere als CDU-Mann,
Staatsekretär im Finanz- und Militärministerium und Bahn-Aufsichtsrat
jetzt Frühstücksdirektor und Lobbyist für die nichtpostigen
Postklitschen, also die, die ihre AusträgerInnen im Schnitt noch mieser
behandeln als die privatisierte Post – zitiert mit:
Ich kann ja eigentlich die Deutsche Post AG nicht kritisieren. Die tut
halt, was sie machen muss, nämlich versuchen, möglichst hohe Gewinne
zu erzielen.
Öhm… Warum genau soll die Post möglichst hohe Gewinne machen müssen?
Ist nicht eigentlich völlig offensichtlich, dass Aufgabe der Post ist,
möglichst flott und mit wenig gesellschaftlichem Aufwand Briefe zu
transportieren (und dann vielleicht noch Postsparbücher zu betreiben und
ggf. mit Postämtern in der Fläche auch ein paar staatliche Aufgaben in
die Hand zu nehmen)? Wer, außer ein paar AnlegerInnen, hätte umgekehrt
etwas davon, wenn sie möglichst hohe Gewinne machen würde? Wer also
könnte das wollen oder die Post gar dazu zwingen?
Wohlgemerkt, der Otremba, der da solche Klopfer durchs Radio schickt,
war in seinen großen Zeiten (z.B. im „Finanzmarktstabilisierungsfonds“)
einer der ganz großen Mover und Shaker. Bei derart verwirrten Gedanken
muss wohl nicht mehr verwundern, was für eine Lachnummer (zuletzt bei
Cum-Ex und Wirecard) die BaFin zumindest in Wirtschaftskreisen ist.
Immerhin haben er und seine KollegInnen die ja erfunden.
Es gäbe noch einige weitere komplett auf dem Kopf stehende Argumente in
dem DLF-Beitrag zu korrigieren, so etwa die abseitige Kritik an der
Quersubventionierung; natürlich will mensch z.B. Briefe durch Telefon
quersubventionieren, wenn das gesellschaftlich geboten ist, was es
zumindest früher mal war. Aber wichtiger wäre mir, noch Otrembas
nächsten Satz zu prüfen, denn der spiegelt einen verbreiteten Irrglauben
wider:
Es sind die Rahmenbedingungen, die nicht geliefert wurden rechtzeitig,
um im Briefgeschäft ähnliche Erfolge, wie zum Beispiel in der
Telekommunikation, die ja parallel liberalisiert wurde, zu erzeugen
„Erfolge“? In der Telekommunikation, in der halb-betrügerische
Verträge mehr die Regel sind als die Ausnahme und die
Verbraucherzentralen gar nicht mehr aus dem Klagen rauskommen? In der
drei (oder sind es wieder vier?) Mobilfunknetze konkurrieren, so dass es
die gleiche Infrastruktur in den Metropolen dreifach und dafür gar keine
am Land gibt?
„Aber es ist doch alles viel billiger geworden,“ höre ich euch
einwenden. Nun – das ist es bereits vor der Privatisierung.
Es gibt dazu eine ganz interessante Untersuchung von A. Michael Noll, in
Telecommunications Policy 18 (5), 255f (1994): „A study of long
distance rates. Divestiture revisted“ (DOI
10.1016/0308-5961(94)90051-5; sorry, ist Elsevier). Wohlgemerkt: das
ist 1994 erschienen; wir hätten also in der BRD vor der Zerschlagung
der Bundespost davon lernen können. Jaja, die Auflösung von AT&T in den
USA, die Noll da untersucht, war nicht exakt eine Privatisierung, aber
sie war in Anlage und Ziel nicht wesentlich anders, und sie war auch die
Blaupause für all die anderen marktradikalen Kreuzzüge gegen staatliche
Daseinsvorsorge im Kommunikationsbereich.
Ein Ergebnis seiner Arbeit: Die Preise für Ferngespräche folgten über
fast 100 Jahre einem Abwärtstrend, nur kurz unterbrochen von einer
Panikphase vor der Öffnung des Wettbewerbs im Jahr 1984:
Wenn ihr in anderen Papern seht, dass nach der Zulassung von Konkurrenz
die Preise ganz schnell gefallen sind: hier ist der Hintergrund. Dazu
kommt übrigens noch, wie die Wikipedia zum Ende des Bell-Systems
schreibt:
One consequence of the breakup was that local residential service
rates, which were formerly subsidized by long-distance revenues, began
to rise faster than the rate of inflation.
Also: Nicht nur sind die Ferngespräche nicht schneller billiger geworden
als vorher – Überschüsse aus ihnen sind auch nicht mehr in die
Grundversorgung geflossen, so dass diese teuerer wurde. Statt dieser
(ebenfalls sinnvollen) Quersubventionierung ging das Geld stattdessen an
InvestorInnen (also: „die Reichen“) und öffentliche Belästigung
(also: „Werbung“). Bei Noll sieht das so aus:
Die Geschichte von den fallenden Preisen durch Privatisierung kehrt sich
also in ihr Gegenteil.
Nein: Was dafür gesorgt hat, dass Leute jetzt für in etwa das gleiche
Geld viel mehr telefonieren können als, sagen wir, 1995, nennt sich
technischer Fortschritt, in diesem Fall insbesondere die (von öffentlich
finanzierten Unis und Instituten aufs Gleis gesetzte) stürmische
Entwicklung paketvermittelter Netze – was nicht nur das Internet war.
Ja, kann sein, dass deren Einführung mit der alten Bundespost etwas
länger gedauert hätte, zumal, wenn Leute wie Otrembas Parteifreund
Christian Schwarz-Schilling sie als Selbstbedienungsladen nutzten.
Aber wärs wirklich so schlimm gewesen, wenn wir das Klingelton-Zeitalter
übersprungen hätten und stattdessen nicht Öko- und Sozialkatastrophen
(die Mobiltelefone nun mal sind) als Werbegeschenke windiger
Knebelvertraghöker abwehren müssten?