• Aus der Geschichte lernen: Chios

    Landschaftsfoto: Felsen mit einzelnen Bäumen drin

    Für diese Landschaft haben sich Menschen 1822 in großen Mengen massakriert: Das Innere von Chios. CC-BY-SA FrontierNG

    Am 11. April gedachte das DLF-Kalenderblatt dem Massaker von Chios, das vor 200 Jahren den Höhe- oder eher Tiefpunkt einer jedenfalls rückblickend betrachtet völlig durchgeknallten Verkettung von Gewalttaten und Vergeltungsaktionen markierte.

    Ich muss gestehen, dass mir die ganze Geschichte völlig neu war; in der Kürze beim DLF klang es für mich zunächst so, als habe der osmanische Sultan die Bevölkerung der reichen Ägaisinsel Chios ausradieren lassen, weil sie gegen ihre manifesten (ökonomischen) Interessen mit Aufständischen paktiert hatte, die wiederum zuvor andere Untertanen des Sultans massakriert hatten.

    Mir klang das nach einem guten Beispiel, wie das allseite Nachgeben gegenüber der autoritären Versuchung zu einer Spirale von Bestialität führt, bei der jede Seite die moralische Berechtigung, wenn nicht gar Verpflichtung fühlt, den Feind zu töten. Da der Abstand den Blick schärfen mag, der bei analogen Ereignissen in der Nähe derzeit ganz offenbar vielfach getrübt ist, habe ich mir heute den zugehörigen Wikipedia-Artikel zu Gemüte geführt.

    Die Vorgeschichte

    Sehr bemerkenswert fand ich schon mal, dass die Wikipedia für die Vorgeschichte auf den Frieden von Küçük Kaynarca verweist, den 1774 das osmanische Reich und Russland geschlossen hatten. Bemerkenswert ist das einerseits, weil es damals schon um die jetzt gerade wieder umstrittenen Gebiete ging: Russland hat sich in diesem Vertrag den Süden der späteren Ukraine einverleibt, die Krim – die für zehn Jahre noch als autonomes Khanat weiterexistierte – folgte 1783. Nach allem, was danach kam, von Krimkrieg über die Verheerungen des zweiten Weltkriegs bis zum jetzigen Stellvertreterkrieg: Was für eine geschundene Gegend.

    Andererseits war diese Niederlage des osmanischen Sultans offenbar ein Segen für jedenfalls nennenswerte Teile seiner Untertanenschaft. In den Worten der Wikipedia:

    Wie im Rest Griechenlands wuchs nach dem Friedensvertrag von Kutchuk-Kaïnardji 1774 der Wohlstand auf Chios.

    Das bezieht sich, wie gesagt, auf die Verliererseite des Russisch-Türkischen Krieges von 1768-1774. Erneut zeigt sich die alte Weisheit, dass es weit schlimmer ist, einen Krieg zu führen als einen zu verlieren.

    Das Verhängnis von Chios begann indes, auch recht typisch, mit Patrioten, und zwar in diesem Fall mit griechischen. Diese nämlich legten 1821 einen zünftigen Aufstand auf der Peloponnes hin, als viele der dortigen (osmanischen) Besatzungssoldaten andernorts gebraucht wurden, nämlich für Kämpfe innerhalb der osmanischen Elite und weil, ganz modern, russische Truppen in das noch osmanische Moldawien eingefallen waren.

    Der zünftige Aufstand schlug erwartungsgemäß schnell in Barbarei um. Die tapferen und frommen Freiheitskämpfer eroberten^Wbefreiten im Oktober 1821 die Provinzhauptstadt Tripoli (nicht zu verwechseln mit dem zuerst durch unsere Flugverbotszone befreiten und dann seit inzwischen einem Jahrzehnt glühend umkämpften libyschen Tripolis) und metzelten gegen 8000 der verbliebenen BewohnerInnen nieder – schon während der Belagerung hatte sich die Bevölkerung auf etwa 15000 halbiert. Immerhin sind wohl nicht alle anderen 15000 dem Krieg zum Opfer gefallen, einige haben rechtzeitig fliehen können.

    Eine weitere Weisheit: Wenn es nach Krieg riecht, verpiss dich rechtzeitig. In der jungen Welt gab es am Wochenende eine Geschichte, wie es ganz aktuell zugeht, wenn du das mit dem „rechtzeitig“ nicht hinbekommst.

    In Chios

    Aber dies ist ja eine Geschichte über Chios, eine vor 1821 in weitgehender christlicher Autonomie von achtzehn, großartiger Titel, Demogeronten für den Sultan regierten Insel nicht weit vor der Küste der heutigen Türkei.

    Die DLF-Erzählung einer durch Mastix-Produkion und -Handel reich gewordenen Gemeinde trägt wohl; jedenfalls hatten die Demogeronten schon im April 1821 klar angesagt, dass sie lieber Wohlstand als (nationalen) Aufstand haben wollen. Für solche Anliegen hatten die Patrioten von der Peloponnes wenig Verständnis. Ein „Admiral“ Iakovos Tombazis – bei einem derart jungen Aufstand dürfte so ein „Admiral“ ungefähr drei Jollen befehligt haben – landete auf Chios, zog mit seinen Leuten ein wenig herum, um die satt & glücklich-Bevölkerung dort zum Abfall vom Sultan und zur Unterwerfung unter die neue christlich-griechische Regierung zu bewegen. Chios ist die zehntgrößte Insel im ganzen Mittelmeer, so dass er dafür elf Tage brauchte. Dann verschwanden er und seine Leute wieder.

    Bekannte von Bekannten berichten von ähnlichen Stunts der aktuellen PKK im türkischen Kurdistan. Zumindest diese Bekannten von Bekannten hat das nicht zu Fans der PKK gemacht, denn die Reaktion der derzeitigen türkischen Regierung ist in etwa so wie die der damaligen. In den Worten der Wikipedia:

    Der Dīwān entsandte den Gouverneur Vehid-Pacha. Er richtete sich in der Festung von Chora ein. Um sicherzustellen, dass die Chioten sich ruhig halten, forderte er 40 Geiseln an (darunter den Erzbischof Platon Franghiadi, die Demogeronten und Mitglieder der wichtigsten Familien der Insel [...]).

    Klar: Das war auch völlig überflüssiger Terror. Anständige Leute tun sowas nicht. Aber wer könnte es, „denkt an Tripoli!“, dem armen Dīwān verübeln, wenn er den Aggressor in die Schranken weist? Dazu gehören natürlich auch Soldaten. Erwartbarerweise sorgten diese Soldaten mitnichten dafür, dass irgendwas besser wurde:

    Es handelte sich um wenig disziplinierte Soldaten, die von der Plünderungsmöglichkeit angezogen wurden. Sie kontrollierten die ländlichen Gebiete der Insel und verbreiteten dort Schrecken.

    So wurden die ChiotInnen, die sich anfangs aus guten Gründen aus der ganzen für sie völlig nutzlosen Frage raushalten wollten, ob sie nun aus dem fernen Konstantinopel oder aus dem noch ferneren Athen regiert werden sollten, allmählich doch zu PatriotInnen.

    Wirklich schlimm wurde es allerdings erst, als bewaffnete Patrioten aus Samos im März 1822 versuchten, die inzwischen wieder etwas menschlicher gewordene Militärherrschaft auf Chios durch Rumballern zu beenden. Fast 3000 christliche Soldaten landeten auf der Insel und zwangen die osmanischen Truppen zum Rückzug in die Burg der Hauptstadt Chora.

    Das Verhängnis patriotischer Erhebung

    An diesem Punkt wurden auch die BäuerInnen aus dem Inselinneren vom nationalen Taumel erfasst und bewaffneten sich, übrigens gegen das Flehen ihrer alten Lokalregierung, die ja immer noch in osmanischer Geiselhaft saß:

    Sie zogen mit Kreuzen und Ikonen durch die Straßen und sangen patriotische Lieder.

    Das konnte sich nun wiederum der Sultan nicht bieten lassen und schickte weitere Verstärkung nach Çeşme, gleich gegenüber von Chios. Am 11. April 1822 landeten ungefähr 7000 osmanische Soldaten auf der Insel – ihr merkt, wie sich auch die Zahlen immer weiter aufschaukeln –, und machen mit christlichen Soldaten wie BäuerInnen recht kurzen Prozess, zumal ersteren zwischendurch die Munition ausgegangen war.

    Es entfaltete sich ein Massaker, das das von Tripoli nochmal weit überbot. Die Bilanz der Wikipedia ist ähnlich düster wie die des DLF:

    Die Bevölkerung der Insel betrug Anfang 1822 zwischen 100.000 und 120.000 Menschen, davon 30.000 Einwohner in Chora. Es waren auch etwa 2.000 Muslime auf der Insel. Für die Zeit nach den Massakern wird meist die Einwohnerzahl von 20.000 genannt. [...] Die häufigsten Schätzungen nennen 25.000 Tote und 45.000 versklavte Menschen. 10.000 bis 20.000 sei die Flucht gelungen.

    Zwar hat so schnell niemand den Griechen Panzerhaubitzen geliefert, und so hatten sie rein materiell keine Möglichkeit zur weiteren Eskalation. Sie brachten aber in der nächsten Runde immer noch 2000 osmanische Soldaten um, als sie am 6. Juni 1822 – die Besatzung war wegen Zuckerfest vermutlich nicht gut beieinander – das osmaische Flaggschiff in der Bucht von Chora abfackelten. Die türkischen Truppen haben zur Vergeltung eine weitere, letzte Zerstörungstour über die Insel unternahmen, konnten da aber auch nicht mehr eskalieren, weil ja schon fast alle BewohnerInnen tot oder verschleppt waren.

    Alles umsonst

    Wofür sind die Leute alle gestorben? Aus heutiger Sicht wird wahrscheinlich niemand bestreiten, dass das alles Quatsch war. Für die Griechen bestand ihre „Freiheit“ aus einem bayrischen König, der „Griechenland“ zwar exzessiv „liebte“, 1862 aber von einem britischen Schiff evakuiert werden musste, weil seine Machtbasis komplett erodiert war und schon wieder Aufstand herrschte. Sein letzter Nachfolger schließlich ging 1968 unter, als er selbst einen Militärputsch plante, ihm andere Militärs aber zuvorkamen (die Ereignisse in der Wikipedia). Diese Militärs waren wiederum die, über die ich in meinem Filmtipp von neulich geschäumt habe.

    Für die Osmanen hat sich das auch nicht gelohnt, denn die Griechen gingen mit Chios im Westen ähnlich wie heute die aktuelle ukrainische Regierung mit russischen Massakern hausieren. Sie konnten viel Sympathie für diese Sorte „Freiheitskampf“ wecken und bekamen viel politische Unterstützung für ihre Sezession, die 1830 auch stattfand. Sicher weniger dramatisch für die Hohe Pforte: Leute wie Lord Byron[1] zogen „für Griechenland” in den Krieg und starben dabei. Chios selbst ging 1912 doch an Griechenland, noch bevor das osmanische System zum Ende des ersten Weltkriegs gänzlich implodierte.

    Und die Leute auf Chios? Also: die, die übrig geblieben sind? Nun, von den gut 100'000 BewohnerInnen aus dem Wikipedia-Zitat von oben ist Chios immer noch weit entfernt; gegenwärtig wohnen rund 50'000 Menschen auf der Insel.

    Ach weh. Wer aus der Geschichte nicht lernen will, wird immer wieder zehntausende Menschen in irgendwelchen mehr oder minder romantischen Anwandlungen von Patriotismus umbringen und, wenns ganz schlimm läuft, auch noch den Rest der Welt davon überzeugen wollen, dass das groß, wichtig und gut ist. Den Akteuren von 1822, die noch keine Wikipedia hatten, möchte ich das nicht vorwerfen, auch wenn sie mit etwas mehr Mühe bereits hinreichend viel Anschauungsmaterial aus der Geschichte hätten gewinnen können.

    Uns Heutigen – tja, wir haben die Wikipedia.

    [1]

    Zu Byron will ich euch die Worte von Bertrand …

  • Quick RST Previews for Posts in Pelican

    In January, I described how I use this blog's engine, pelican, and how I have a “development” and a “production” site (where I will concede any time that it's exceedingly silly to talk about “production” in this context). Part of that was a trivial script, remake.sh, that I would run while writing and revising a post to format it without doing too much unnecessary work. This script was running between a couple and a couple of dozen times until I was happy with an article.

    What the script did was call pelican asking to only write the document being processed. When pelican was instructed to cache work on the other articles, that was enough to keep build times around a second on my box; but as the number of posts on this blog approaches 200, build times ended up on the totally wrong side of that second, and I thought: “Well, why don't I run, perhaps, rst2html for formatting while revising?” That would be, essentially, instantaneous.

    But pelican does a lot more than rst2html. Especially, having the plugins and the templating available is a good thing when inspecting a post. So, I got to work and figured out how pelican builds a document. The result is a script build-one that only looks at a single (ReStructuredText) article – which it gets from its command line – and ignores everything else.

    This is fast enough to be run whenever I save the current file. Therefore, in my pelican directory I now have, together with the script, the following .vimrc enabling just that (% expands to the file currently edited in vim):

    augroup local
      au!
      autocmd BufWritePost *.rst !python build-one %
    augroup END
    

    I've briefly considered whether I should also add some trick to automatically reload a browser window when saving but then figured that's probably overdoing things: In all likelihood I want to scroll around in the rendered document, and hence I will have to focus it anyway. If I do that, then effort spent on saving pressing r after focusing feels misplaced.

    The script does have an actual drawback, though: Since pelican does not get to scan the file system with build-one, it cannot do file name substitution (as in {filename}2022-05-26.rst) and will instead warn whenever seeing one of these. Since, as described in January, my static files are not managed by pelican, that is not a serious problem in my setup, except I have to watch out for broken substitutions when doing a final make html (or the make install).

    Insights into Pelican

    It took me a bit to figure out how the various parts of pelican fit together at least to the extent of letting me format a ReStructuredText document with the jinja templates. Let me therefore briefly discuss what the script does.

    First, to make pelican do anything remotely resembling what it will do on make html, you have to load its settings; since I assume I am running in pelican's directory and this is building a “draft” version, I can simply do:

    settings = pelican.read_settings("pelicanconf.py")
    

    With that, I already now where to write to, which lets me construct a writer object; that will later arrange for actually placing the files. I can also construct a reader for my ReStructuredText files (and you would have to change that if you are writing in Markdown); these readers decouple the Article class from input formats:

    writer = writers.Writer(settings["OUTPUT_PATH"], settings)
    reader = readers.RstReader(settings)
    

    With that, I have to delve deep into pelican's transformation machinery, which consists of various generators – for articles, static files, pages, whatever. The constructors of these generator classes (which are totally unrelated to Python generators) take a lot of arguments, and I cannot say I investigated why they insist on having them passed in when I fill them with data from settings anyway (as does pelican itself); but then I suspect these extra arguments are important for non-Article generators. I only need to generate a single article, and so stereotypically writing:

    artgen = generators.ArticlesGenerator(
        settings.copy(), settings,
        settings["PATH"], settings["THEME"], settings["OUTPUT_PATH"])
    

    does the trick for me.

    Article generators will usually collect the articles to generate by looking at the file system. I don't want that; instead, I want to construct an Article instance myself and then restrict the generator's action to that.

    The Article class needs to be constructed with content and metadata, which happen to be what readers return. So, to construct an Article from the RST file passed in in source_path, I need to say:

    content, metadata = reader.read(source_path)
    art = contents.Article(content, metadata,
        source_path=source_path, settings=settings)
    

    After all that preparation, all that is left to do is overwrite any misguided ideas the article generator might have on what I would like to have processed and then let it run:

    artgen.translations = []
    artgen.articles = [art]
    artgen.generate_articles(
        functools.partial(writer.write_file, relative_urls=True))
    

    (the currying of the writer's write_file method to make sure it creates relative URLs you can probably do without, but I'm a fan of relative URLs and of almost anything in functools).

  • Hirsche im Zoo

    Foto: Hirsch, im Hintergrund radelnde PassantInnen

    Nicht weit vom Edersee – praktisch schon im Kellerwald-Nationalpark – laufen Hirsche auch mal bei Tageslicht über herbstliche Felder und bezaubern radelnde TouristInnen. Aber: was machen sie im Zoo?

    „Bikeshedding“ bezeichnet das in vielen Entscheidungsgremien zu beobachtende Phänomen, dass große und tiefgreifende Entscheidungen ohne große Kontroverse durchgewunken, Nebensächlichkeiten[1] jedoch in großer Breite diskutiert werden.

    Als ich heute morgen die DLF-Sendung Wissenschaft im Brennpunkt vom 15.5. hörte, hatte ich eine Art intellektuelles Bikeshedding. In der Sendung geht es um höchst raffinierte Verfahren der Metagenomik, bei der durch Sequenzierung von DNS in mehr oder minder blind aus der Natur entnommenen Proben tiefe Einsichten in Ökologie und Biologie gewonnen werden. Dass sowas geht, dass dabei etwas rauskommt, und teils schon, was dabei rauskommt: Das ist alles sehr beeindruckend.

    Doch mein Wow-Moment kam erst bei folgender Passage (bei ca. Minute 23; der Text auf der DLF-Seite ist leider nicht das Transskript der Sendung):

    Elizabeth Clair [...] berichtete in einer Vorveröffentlichung von einer DNA-Analyse der Luft in einem englischen Zoo. [...] DNA von 25 Arten konnte das Team aufspüren, darunter 17 Zootierarten [...], einige davon bis zu 300 m von der Untersuchungsstelle entfernt. Außerdem ein paar Wildtiere wie Igel und Hirsch.

    Ein wilder Hirsch? Im Zoo? Wie bitteschön soll das denn zugehen? Setzen die elegant über den Zaun des Zoos? Um den gefangenen Tieren vielleicht eine lange Nase zu drehen? Ich gebe zu, dass das verglichen mit den Wundern von Massensequenzierungen doch eher trivial wirkt. Aber ich wüsste wirklich gerne, was der Hirsch dort wollte.

    Aufbauend auf dieser Erfahrung würde ich „behirschen“ als neues Verb vorschlagen, mit der Bedeutung „sich an einer (scheinbaren) Nebensächlichkeit in einer Forschungsarbeit aufhängen und damit deren AutorInnen auf die Nerven gehen“? Nur nebenbei: Ich vermute, wir behirschen in der modernen Wissenschaft fast alle deutlich zu wenig.

    Nachtrag (2022-07-01)

    Auf eine Nachfrage von @StephanMatthiesen hin hat mich die Sache doch nicht losgelassen, und ich musste mal nach dem Paper sehen, von dem im DLF-Zitat die Rede ist. Es scheint, als sei es bereits Anfang 2021 erschienen, und zwar als „Measuring biodiversity from DNA in the air“ von Elizabeth Clare et al, Current Biology (2021), doi:10.1016/j.cub.2021.11.064. Darin heißt es:

    Of special interest was the detection of the European hedgehog (Erinaceus europaeus) in three samples [...] As of 2020, the hedgehog was listed as vulnerable to extinction in the United Kingdom (https://www.mammal.org.uk/science-research/red-list/), making it vital to develop additional methods to monitor and protect existing populations. [...] One commonly cited application of eDNA approaches is the detection of invasive species. We detected muntjac deer (Muntiacus reevesi) in five samples. These muntjacs are native to China but became locally invasive after multiple releases in England in the 19th century. They are now well established in eastern England, the location of the zoological park, and are frequently seen on site. They are also provided in food for several species; thus, the detection of muntjacs may reflect either food or wildlife.

    (Hervorhebung von mir, um die Verbindung zu den Igeln und Hirschen aus der DLF-Sendung zu belegen). Mithin: Wir reden hier von keinem stattlichen Zwölfender, der majestitisch an den Gittern entlangschreitet. Wir reden von Muntjaks, die, so die Wikipedia, „zwischen 14 und 33 Kilogramm“ wiegen und offenbar nur mit Mühe die Größe von Damhirschen erreichen. Und obendrauf kann es gut sein, dass die DNS dadurch in die Luft kam, dass andere Tiere die Muntjaks vertilgt haben und dabei eher ruppig vorgegangen sind.

    Selbst wenn die DNS nicht von Futter, sondern von einem Wildtier abgesondert worden wäre, wäre ihr Vorkommen kaum erstaunlich, wenn mensch die Lage des Tierparks bedenkt. Manchmal (aber selten) verlieren die Dinge doch ein wenig von ihrem Zauber, wenn mensch näher nachsieht.

    [1]Der Begriff „Bikeshedding“ bezieht sich tatsächlich auf überdachte Fahrradstellplätze; dass gerade so eine zentrale und wichtige Einrichtung als Prototyp des Nebensächlichen herhalten muss, sagt natürlich schon einiges aus über unsere Gesellschaft und den weiten Weg, den wir bis zur Befreiung vom Auto noch vor uns haben.
  • Angst ist eine schlechte Beifahrerin

    Am ersten Mai hatte ich mich an dieser Stelle gefragt, wann wohl die „Dauerbeflimmerung“ – also: leuchtende Werbedisplays am Straßenrand – an der Heidelberger Jahnstraße dazu führen wird, dass Leute einander kaputtfahren. Fünf Tage später lief in Forschung aktuell ein Beitrag, der einen ganz speziellen Blick auf Gefahren durch Beflimmerung vom Straßenrand warf.

    Grundlage des Beitrags ist der Artikel „Can behavioral interventions be too salient? Evidence from traffic safety messages“ der Wirtschafts- hrm -wissenschaftler Jonathan Hall und Joshua Madsen aus Toronto und Madison, WI, erschienen in Science vom 22.4.2022 (doi:10.1126/science.abm3427)[1].

    Bevor ich den Blick nachvollziehen konnte, musste ich mich zunächst ärgern, denn alles, was ich beim Folgen des DOI gesehen habe, war das hier:

    Screenshot einer Cloudflare-Verzögerungsseite

    Der Fairness halber will ich einräumen, dass die drei Punkte animiert waren, und dann und wann hat die Seite, als ich ihr erstmal Javascript erlaubt hatte, einen Reload geworfen und dann eine neue „Ray ID“ angeboten. Dennoch ist das gleich in mehreren Richtungen Mist, verschärft hier dadurch, dass Landing Pages von DOIs statisch sein können und sollen. Es lässt sich kein Szenario denken, in dem mensch für statische Seiten auf einem ordentlichen Webserver einen „DDoS-Schutz“ (was immer das sein mag) braucht, und schon gar keinen, der ohne Javascript, Referrer und weiß ich noch was nicht funktioniert.

    Ich muss gestehen: ich war es müde, den Mist zu debuggen. Da der Artikel leider noch nicht bei libgen (die – Science, horche auf! – diese Sorte Unfug nicht nötig haben) war, habe ich in den sauren Apfel gebissen und statt meines Standardbrowsers einen überpermissiv konfigurierten Firefox genommen, der der Cloudflare-Scharlatanerie schließlich akzeptabel schien. Auch eine Art, das Web kaputtzumachen.

    Zur Sache

    In Texas hat das Verkehrsministerium über viele Jahre hinweg „Campaign Weeks“ gemacht, während derer auf den elektronischen Großanzeigen an vielbefahrenen Straßen – wer Falling Down gesehen hat, weiß, wovon die Rede ist – unbequeme Wahrheiten („Für Menschen zwischen 5 und 45 ist der Straßenverkehr die führende Todesursache“) angezeigt wurden.

    Der Effekt: Offenbar fahren die Leute nach so einer Mahnung nicht vorsichtiger, sondern abgelenkter. Jedenfalls gehen die Unfallraten hinter solchen Nachrichten merklich nach oben. In Abbildung eins des Papers sieht das so aus:

    Scatterplot -- Punktpaare gehen allmählich gegen Null

    Rechte: AAAS, Science

    Das „DMS” in der Beschriftung heißt „dynamic message signs“ – zumindest im Untersuchungszeitraum zwischen 2012 und 2017 war das aber sicher richtig fades Zeug im Vergleich zu moderner Werbebeflimmerung. Bei den roten Punkten kamen nach der ersten Tafel für 10 km keine weiteren mehr, so dass das das sauberere Signal ist.

    Auch wenn der Effekt im Vergleich zu den Fehlerbalken nicht sehr groß ist und es allerlei versteckte Confounder geben mag – die Autoren gehen aber erfreulich vielen nach und können viele glaubhaft kontrollieren –, überzeugt mich das Paper davon, dass mindestens auf dem Kilometer nach der Tafel die von alarmierenden Zahlen beunruhigten Menschen ein paar Prozent mehr Unfälle bauen.

    Ein Grund für meine Einschätzung der Zuverlässigkeit des Effekts ist, dass offenbar die Zunahme der Unfälle mit der Drastik der Nachrichten korrelierte: Spät im Jahr, wenn texanische Autos schon tausende Menschen zermalmt haben und also entsprechend große Zahlen auf den Tafeln zu sehen sind, sind die Effekte deutlich stärker als früh im Jahr:

    Scatterplot mit abnehmenden Punkten

    Rechte: AAAS, Science

    Zwar ist die Null auch hier überall innerhalb von „zwei sigma“, also der doppelten Fehlerbalken, so dass ich das nicht völlig überbewerten würde. Ich könnte insbesondere nicht erklären, woher ein negativer Achsenabschnitt der Ausgleichsgerade kommen könnte, warum Leute also besser fahren sollten, wenn die Zahlen klein (oder ihre Neujahrsvorsätze noch frisch?) sind. Dennoch entsteht, nimmt mensch alle Evidenz zusammen, durchaus ein recht robustes Signal, das wiederum nur schwer durch Confounder zu erklären ist.

    Und auch wenn was wie 5% nicht nach viel klingen: Der Straßenverkehr ist mörderisch (in den USA gibt es, Kopfzahl, in jedem Jahr so um die 50000 direkte Verkehrstote), und es gibt einen Haufen dieser Displays. Hall und Madsen schätzen, dass ihr Effekt in den 28 Staaten, die das ähnlich wie Texas machen, 17000 Unfälle mit 100 Toten verursachen dürfte.

    Verblüffung am Rande: Für ein Kontrollexperiment haben Hall und Madsen nach Tafeln gesucht, die mindestens 10 km vor sich keine andere Tafel haben (damit sich die Effekte der Vortafel hoffentlich bereits gelegt haben). Das hat die Samplegröße um 75% reduziert. 75%! Dass diese DMSe so sehr clustern – denn es sich sicherlich undenkbar, dass über das ganze riesige Straßennetz von Texas hinweg alle paar Kilometer Tafeln stehen –, hätte ich nicht erwartet. Warum planen Leute sowas?

    Und Werbetafeln?

    Nun gebe ich zu, dass Hall und Madsen über ganz andere Dinge reden als die Werbe-Displays von Ströer und JCDecaux, sie ja sogar auf die Wichtigkeit der Natur der Nachricht abheben und so das Medium eher aus dem Blick nehmen.

    Sie zitieren aber auch Literatur, die sich allgemeiner um die Frage der Ablenkung durch Beflimmerung kümmert. Davon gibts einiges, und offenbar ist umstritten, wie tödlich Werbetafeln wirklich sind. Vermutlich wäre es ein wertvolles Projekt, die Drittmittelgeber der entlastenden Studien zu ermitteln.

    Was Hall und Madsen zitieren, ist leider nichts in dieser Richtung. Dennoch habe ich mir ihre Quelle „Driving simulator study on the influence of digital illuminated billboards near pedestrian“ von Kirstof Mollu (aus dem Dunstkreis der Wiwis an der Universiteit Hasselt, Belgien) et al, Transportation Research Part F 59 (2018), S. 45 (doi:10.1016/j.trf.2018.08.013) kurz angesehen. Das braucht immerhin keine Beschwörungen von Cloudflare, ist aber wieder kein Open Access und zwingt NutzerInnen erstmal den "Elsevier Enhanced Reader" auf, der ohne Javascript gar nichts tut – eine sehr aufwändige Art, ein PDF runterzuladen.

    Nun: Mollu et al haben sieben Handvoll Führerscheinhabende rekrutiert und in einen einfachen Fahrsimulator (zwar force-feedback, aber keine Beschleunigungssimulation) gesetzt, in das Szenerio verschieden hektisch flimmernde Displays integriert und dann gesehen, wo die Leute hingucken und wie oft sie übersehen, dass FußgängerInnen über die Straße wollen.

    Wenig überraschende Einsicht: Die Leute gucken mehr, wenn die Bilder nur 3 Sekunden (statt 6 Sekunden) stehen bleiben. Was Filmchen (bei denen Bilder ja nur was wie 1/25stel Sekunde stehenbleiben) anrichten, untersuchen sie nicht. Überhaupt macht der Artikel quantitativ nicht viel her. Oh, abgesehen von Zahlen, die sie selbst nur zitieren: In den Fahrradländern Niederlande und Dänemark sterben nur drei bis vier FußgängerInnen pro Million Einwohner und Jahr. In den jüngst wild motorisierten Lettland und Litauen ist es ein Faktor 10 mehr, also etwas wie 35 pro Million und Jahr.

    Zur Einordnung will ich nicht verschweigen, dass ausweislich der aktuellen RKI-Zahlen SARS-2 in der BRD 1500 Menschen auf eine Million EinwohnerInnen umgebracht hat und das auch schlimmer hätte kommen können (aber: Caveat bezüglich dieser Sorte Zahlen). Andererseits: Wollte mensch den gesamten Blutzoll des Autos bestimmen, Verkehrstote, durch Verkehrsverletzungen verfrühte Tode, Opfer von Lärm und Luftverschmutzung, vielleicht gar von Bewegungsmangel, wäre es wohl nicht schwer, für die BRD auf 700 Autoopfer pro Million und Jahr zu kommen und damit ziemlich genau in den Bereich des durch Maßnahmen und Impfung gezähmten SARS-2. Aber diese Rechnung braucht mal einen anderen Post.

    [1]Leider hat Science den Artikel, dessen AutorInnen fast sicher aus öffentlichem Geld bezahlt wurden und die jedenfalls öffentliche Infrastruktur (U Toronto, Vrije Uni Amsterdam, U Minnesota) nutzten, weggesperrt, und er ist im Augenblick auch noch nicht auf libgen. Hmpf.
  • Der Oliv-Index

    Filmszene: Revue-Bühne mit Tänzerinnen und Sänger in Uniform und Monokel

    Die Staudte-Verfilmung von Klaus Manns Untertan (DDR 1951) illustriert die militarisierte Gesellschaft durch eine Revuenummer, in der Frauen mit Pickelhauben zu uniformiertem Gesang von der „Elite der Nation“ halb tanzen, halb marschieren. Olivindex: 1. (Rechte bei… na ja, wer immer den DEFA-Kram halt gekauft hat.)

    Wer in den frühen 1990er Jahren Filme wie Der Untertan oder, etwas leichtherziger, den Hauptmann von Köpenick gesehen hat, wird die Verehrung des Militärischen, die dort gezeigt wurde, für eine unfassbare historische Verirrung gehalten haben, eine Art kollektive Psychose, lächerlich und zugleich gruselig, aber jedenfalls vom anderen Ende der Geschichte.

    Dann kam die Zeitenwende; nicht etwa jetzt, sondern im Laufe der 1990er, in denen sich die Bundeswehr zurückrobbte an diverse Plätze an der Sonne, angefangen mit Jagdbombern, die im Januar 1991 US-Jets in der Türkei ersetzten, damit diese für die Wiedereinsetzung des Emirs von Kuwait töten konnten. Es folgten die ersten Truppen außerhalb des NATO-Gebiets in Kambodscha im Mai 1992, wo im Oktober 1993 auch der erste Held anfiel (for the record: Alexander Arndt), dann mit AWACS-Flügen über Jugoslawien und so weiter und so fort. Langsam, aber bestimmt überschritt das Militär immer wieder zuvor sicher geglaubte Grenzen. Der große Zusammenbruch, oder wegen mir die Zeitenwende, kam aber erst ganz am Ende der 1990er Jahre: Militärminister Rühe hatte noch 1997 verkündet, nie wieder dürfe ein Stiefel eines deutschen Soldaten in Jugoslawien auftreten. 1999 griff die Bundeswehr Serbien an und marschierte im Kosovo ein, geschmackloserweise gerade unter Verweis auf die Verbrechen der deutschen Großväter (die damals ja noch in großer Zahl lebten).

    Nach diesem Tabubruch schlichen sich Reden von Helden, Tapferkeit und Vaterland in immer mehr Salons, kehrte der Glaube zurück, Militär an sich und schon gar deutsches Militär könne irgendwo und schon gar im Ausland Zustände verbessern. Mit der schon aus fünf Schritt Entfernung offensichtlich dystopischen Erzählung vom R2P wurde ab 2005 aus dem „Können“ allmählich ein „Müssen“ – also: dort, wo es bequem war und gegen die richtigen Feinde ging.

    „Rohrkrepierer“ ist eine Diagnose – von Sprache

    Die Militarisierung des Diskurses fand nicht nur nach außen statt. Eines der exteremen Beispiele: 2005 sollte die Bundeswehr für die Polizei Zivilflugzeuge abschießen dürfen – was das Verfassungsgericht 2006 zum Glück nochmal einfangen konnte (vgl. Luftsicherheitsgesetz in der Wikipedia). Dass der Corona-Krisenstab einen General als Vorsitzenden bekam, war kurzfristig ein neuer Höhepunkt der Preußen-Renaissance. Wieder half das Glück der Zivilgesellschaft, denn dieses Gremium stellte sich schnell als Rohrkrepierer (um mich auch kurz an Militärsprache zu versuchen) heraus.

    Nach dem Umschlagen der jüngsten Aufrüstungsrunde (das verlinkte PDF ist von 2019; der Kram ist also nicht neu) in einen weiteren Krieg hat eine giftige Mischung aus Patriotismus und Militarismus wenigstens vorläufig die… unbestrittene Lufthoheit. Zeitweise waren und sind Kommentare, die sich positiv auf deutsche Eingriffe in Kriege bezogen, in der Presseschau im Deutschlandfunk in der breiten Mehrheit, während in der Tagesschau oft kaum ein Beitrag ohne Olivgrün daherkommt.

    Ein Thermometer fürs Kriegsfieber

    Auch ein erklärter Feind von Metriken wie ich kann an dieser Stelle nicht widerstehen. Es braucht eine Zahl zur Charakterisierung des gesellschaftlichen Kriegsfiebers[1]. Nun, hier ist meine Zahl: Der Oliv-Index. Der von heute ist 0.55, wobei 0 „alles zivil oder unpatriotisch“ und 1 „der Kaiser schickt seine Soldaten aus“ bedeutet. Etwas weniger blumig ist der Oliv-Index ist das Verhältnis der Zahl der patriotisch-militaristischen Kommentarauszüge zu allen, die an einem Tag in der Morgen-Presseschau des DLF zitiert werden.

    Balken in verschiedenen Schattierungen von oliv

    Der Olivgrün-Index zwischen siebtem und 21. Mai: Je oliver, desto höher das patriotisch-militärische Fieber im Blätterwald der Republik.

    Nachtrag (2022-06-09)

    Ich führe den Olivindex tatsächlich fort, und für eine Weile ist die aktuelle Lage jeweils am Fuß der Blogseiten. Und, jeweils aktuell, solange ich das Elend auswerte, hier:

    Viel mehr Balken in verschiedenen Schattierungen von oliv

    Ich habe das in den vergangenen zwei Wochen ausprobiert, schon, um zu sehen wie viele Zweifelsfälle es geben würde. Tatsächlich war es beispielsweise nicht immer einfach, die Kommentare zur Entthronung von Gerhard Schröder korrekt einzuordnen: Was davon war allgemeine patriotische Empörung, was davon Empörung über Vaterlandsverrat im Krieg? Und – nicht, dass das für den Oliv-Index eine Rolle spielen würde: Was war Abwiegelung aus Staatsraison, was Abwiegelung aus kühlem Kopf? Die naheliegende Position „wenn ihr ihn wegen Kosovo und Hartz IV, wegen Afghanistan und Riesterrente, wegen BamS und lupenreinen Demokraten nicht abgesägt habt, müsst ihr es jetzt auch nicht mehr machen“ kam leider nicht vor.

    Dennoch sind Zweifelsfälle nach meinem ersten Eindruck nicht furchtbar dramatisch. Ich würde vermuten, dass andere Menschen meine Scores innerhalb von vielleicht 10% reproduzieren würden.

    Wer das probieren will, ist herzlich eingeladen. Dazu könnt ihr meine codes.txt inspizieren und sehen, ob ihr meine Einschätzungen teilt, solange die Presseschauen nicht depubliziert sind (was derzeit leider sehr schnell geht). In so einem Code steht von links nach rechts jedes Zeichen für einen Kommentarauszug, von oben nach unten gelesen. Ein o steht für einen oliven, also patriotisch-militaristischen Artikel, ein Punkt für einen anderen.

    Ihr könnt auch das Programm, das die Plots macht, ziehen: olivin. Da dürfte sich in der nächsten Zeit noch das eine oder andere ändern, denn, das gebe ich gleich mal zu, ich hoffe, am Schluss etwas Ähnliches zu produzieren wie die längst zu Popkultur gewordenen Climate Stripes von Ed Hawkins. Nur eben, ich bin ja Optimist, als Illustration einer vielleicht wieder allmählich sinkenden Begeisterung für Militär und Vaterland.

    Nachtrag (2023-06-17)

    Nach über einem Jahr mit der DLF-Presseschau hat mich jetzt die Lust verlassen; die letzte Presseschau, die ich verdaut habe, ist die vom 20.5.2023. Hier sind die military stripes von damals:

    Viel mehr Balken in verschiedenen Schattierungen von oliv

    Verschiedene braune Bänder lassen sich den Ereignissen der Zeit zuordnen; so entspricht das starke Feature rechts von 2023-01-16 der Großaufregung für die Lieferung von Kampfpanzern aus der Produktion der Rüstungsschmieden Krupp^W Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall an die Regierung der Ukraine; die darauf folgende weiße Beruhigung illustriert, dass der militärisch-patriotische Komplex durchaus auch mal für ein paar Tage zufrieden sein kann.

    Aber erstens war die militärisch-patriotische Begeisterung schon im letzten Sommer insgesamt überschaubar, und zweitens artet das alles in Arbeit aus. Wenn aber wer mal mit inzwischen über einem Jahr DLF-Presseschauen spielen will (ich könnte mir z.B. vorstellen, dass ein darauf nachtrainiertes LLM ausgesprochen bizarre Sachen sagen würde), möge sich bei mir rühren.

    [1]Nun ja: Für die Leute, die die Metriken definieren, sind sie ja schon nützlich, denn natürlich wird mensch die so definieren, dass sie den eigenen Interessen dienlich sind. Insofern bin ich natürlich kein Feind von Metriken, die ich definiere.
  • Ach Bahn, Teil 5: Stuttgart 21

    Foto: Bahnaushang mit fast schon sarkastischer Umwegkennzeichnung

    Schon seit anderthalb Monaten müssen die Fahrgäste am Stuttgarter Hauptbahnhof den hier grün eingezeichneten Weg nehmen, um den Bahnhof Richtung Innenstadt und Nahverkehr zu verlassen, nach (realistischer) Bahn-Einschätzung ein Weg von fünf Minuten. Ich bin erstaunt, dass das bisher noch keinen Aufstand gegeben hat.

    Frage an Radio Eriwan: „Steht die Einundzwanzig in Stuttgart 21 für die Zahl der Jahre, die der Stuttgarter Hauptbahnhof kaputt sein wird oder für die Zahl der Minuten, die mensch braucht, um vom Bahnsteig an den Bahnhofsausgang zu kommen?“ Die Antwort: „Im Prinzip ja, aber in Wahrheit haben wir die Gesamtkosten für die öffentliche Hand in Milliarden Euro gemeint.“

    Ok: Die S21-Katastrophe ist zur Abwechslung nicht der Fehler der Bahn alleine. Das historische Faktum der Volksabstimmung, die das Immobilienspekulationsprojekt rund um den Stuttgarter Bahnhof abgesegnet hat, illustriert gewiss über die DB hinaus einige Grundprobleme der Abstimmungsvariante direkter Demokratie (die, nebenbei, die Entropieprobleme ihres repräsentativen Cousins teilt). Solange Menschen ein Wahnsinns„argument“ wie „wir haben schon zwei Millarden ausgegeben, jetzt müssen wir da auch durch“ kaufen, wird es mit so einer Abstimmerei nicht besser.

    Demokratietheoretisch noch kniffliger ist, dass hier in breiter Mehrheit Menschen, die selbst praktisch nie einen Bahnhof betreten („Autofahrer“) den NutzerInnen des Stuttgarter Bahnhofs mehr als ein Jahrzehnt auch nach Bahnmaßstäben allenfalls hinkenden Notfallbetriebs eingebrockt haben. Alle Auswege aus Problemen dieses Typs, die mir so einfallen, schweben irgendwo zwischen Ablismus und Aristokratie oder sprengen alle vernünftigen Konzepte von Gesellschaft; vermutlich ist das ein Zeichen, dass es echte Partizipation nur im Gespräch, nicht aber in der Abstimmung geben kann (was ich ja schon lange vermute).

    Baustellenaushang: "Zu den Zügen bitte die Halle verlassen"

    Mai 2022: Über ein Jahrzehnt nach der blutigen Räumung des Schlossgartens, damit es „endlich“ losgehen konnte mit dem Abbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, markiert die Bahn: Wanderer, betrittst du den Bonatzbau, kehre einfach wieder um.

    Durchaus ein Fehler der Bahn ist aber, wenn zunächst für zehn Jahre die Gleise nur über zwei Brücken von vielleicht 200 Metern Länge mit dem Bahnhofsgebäude verbunden sind – war in dieser Grube wirklich so lange so viel zu machen? – und dann selbst diese beiden Brücken gleichzeitig abgerissen werden. Genau das ist aktueller Stand der Dinge, und der Weg Richtung Innenstadt verläuft jetzt über eine riesige Schleife von vielleicht einem halben Kilometer. Damit braucht es mindestens fünf Minuten von Bahnsteig zu Vorplatz und ÖPNV – was solide in der Größenordnung der Wege liegt, die ich überhaupt zurückzulegen habe, wenn mich ein gehässiges Schnicksal nach Stuttgart verschlägt. Das hätte mit etwas kundInnenfreundlicher Planung nicht sein müssen.

    Updates zu meinen übrigen Sorgen mit der Bahn: Keine. Ich weiß immer noch nicht, welche „Angriffe“ eigentlich durch hcaptcha abgewehrt werden sollen, habe keine Hinweise, wie ich nicht bei jeder Buchung wieder ein Captcha lösen muss (heute habe ich ca. 15 Flugzeuge angeklickt), und es gibt immer noch kein Signal der Bahn zur doch eigentlich sehr naheliegenden Forderung, entweder die Bahn-Bonus-App oder zumindest ihre API offenzulegen.

  • HTML and Word in mutt

    I read my mail using mutt, and even though I was severely tempted by astroid, mutt just works too nicely for me to make moving away an attractive proposition. And it is a fine piece of software. If you're still stuck with Thunderbird (let alone some webmail interface in the browser) and wonder what text-based software you might adopt, right after vim I'd point you to mutt.

    I'm saying all that because the other day I complained about a snooping mail marketing firm (in German) abusing MIME's multipart/alternative type to clickbait people reading plain text mails into their tracker-infested web pages, and I promised to give an account on how I configured my mutt to cope with HTML mails and similar calamities.

    The basic mechanism is ~/.mutt/mailcap. That's a file analogous to /etc/mailcap, for which there's a man page, mailcap (5)[1]. That explains how, in general, software uses this file to figure out which program to use to display (or print or compose) files of which types.

    Mutt reads system-wide mailcaps, too, but I've found I generally want to handle a solid number of media differently in mails than, say, in browsers or from the shell[2], and hence I'm keeping most of this configuration in mutt's private mailcap. For HTML mail, I've put into that file:

    text/html; w3m -dump -T %t -I utf-8 -cols 72 -o display_link_number=1 %s; copiousoutput
    

    This uses w3m to format HTML rather than te lynx that the mutt docs give. Lynx these days really is too basic for my taste (I'm not even sure whether it has learned utf-8). Still, this will not execute javascript or retrieve images, so most of the ugly aspects of HTML mails are sidestepped. The copiousoutput option makes mutt use its standard pager when showing the program's output, and thus HTML mail will look almost like sane mail.

    To make that really seamless, you need an extra setting in your ~/.mutt/muttrc:

    auto_view text/html
    

    This makes mutt automatically render HTML (which, contrary to the behaviour of gmail or thunderbird I consider relatively safe if it's parsimonious w3m that does the rendering). In addition, since I still believe in the good in humans, I believe that when there is both HTML and plain text in a mail, the plain text will be better suited for my text terminal, and so I tell mutt to prefer text/plain, which, again in the muttrc, translates into:

    alternative_order text/plain
    

    And that's it: If the villains at cleverreach (the marketing firm I complained about) didn't have their treacherous text/plain alternative, my w3m would render their snooping HTML without retrieving their tracking pixel and I could read whatever they send me without them ever knowng if and when. I'm still not sure if that's the reason they have the nasty clickbait text/plain alternative. In general, I support the principle that you should never explain with malice what you can just as well explain with stupidity. But then we're dealing with a marketing firm here…

    Anyway: The best part of this setup is that you can quote-reply to HTML mails, giving your replies inline as $DEITY wanted e-mail to work. That is something that also is nice when folks send around MS office files (I get the impression that still happens quite a lot outside of my bubble). To cater for that, I have in my mailcap:

    application/msword; antiword %s; copiousoutput
    application/vnd.openxmlformats-officedocument.wordprocessingml.document; docx2txt %s - ; copiousoutput
    

    and consequently in the muttrc:

    auto_view application/msword
    auto_view application/vnd.openxmlformats-officedocument.wordprocessingml.document
    

    I admit I actually enjoy commenting inline when replying to office documents, and I trust antiword (though perhaps docx2txt a bit less) to not do too many funny things, so that I think I can run the risk of auto-rendering MS office files. I've not had to regret this for the, what, 15 years that I've been doing this for (in the antiword case; according to my git history, I've only given in to autorendering nasty docx in 2019).

    I mention in passing that I have similar rules for libreoffice, but there I have a few lines of python to do the text rendering, and that is material for another post (also, folks decent enough to use libreoffice are usually decent enough to not send around office files, and hence auto-displaying ODT is much less of a use case).

    Two more remarks: This actually cooperates nicely with rules not using copiousoutput. So, for instance, I also have in my mailcap:

    text/html; x-www-browser file://%s
    

    With that, if need by I can still navigate to an HTML file in the attachments menu and then fire up a “normal” browser (with all the privacy implications).

    And: people indecent enough to mail around MS office files often are not even decent enough to configure their mail clients to produce proper media types. Therefore, mutt lets you edit these to sanity. Just hit v, go to the misdeclared attachment and then press ^E. Since the “Office Open XML“ (i.e., modern Microsoft Office) media types are so insanely long and unmemoralisable, I have made up a profane media type that I can quickly type and remember for that particular purpose:

    application/x-shit; libreoffice %s
    
    [1]In case you're not so at home in Unix, writing “mailcap (5)” means you should type man 5 mailcap (for “show me the man page for mailcap in the man section 5”) to read or skim the documentation on that particular thing. Explicitly specifying a section has a lot of sense for things like getopt (which exists in sections 1 and 3) and otherwise is just an indication that folks ought to have a look at the man page.
    [2]You can use programs like see (1) or even compose (1) to use the information in your non-mutt mailcaps.
  • Über die Gute Gewalt

    In der taz vom vergangenen Wochenende fand sich ein Interview mit Franziska Giffey, in dem sie sagt:

    Manche glauben, dass sie gewisse gewalttätige Aktionen nach dem Motto rechtfertigen können, der Zweck heilige die Mittel: „Unsere Gewalt ist in Ordnung, denn es ist doch gute Gewalt.“ Aber solche Aktionen sind durch nichts zu rechtfertigen.

    Das ist eine lobenswerte Position. Mal sehen, ob sie mit dieser Verurteilung von Gewalt unabhängig vom verfolgten Zweck in ihrer Partei auch dann durchkommt, wenn es nicht um Eier, sondern um Granaten geht.

  • Big Brother Award: Wieder nicht cleverreach

    Ich will nicht ganz verhehlen, dass mich die diesjährigen Big Brother Awards ein klein wenig enttäuscht haben. Gewiss waren das alles verdiente Empfänger, aber mein Favorit war wieder mal nicht dabei. Dabei gebe ich den Leuten vom FoeBuD (ich verweigere mich der Umbenennung in digitalcourage aus reiner Nostalgie), dass dessen Verfehlungen überschaubarer sind als die Bewegungsprofile von Lieferando und die garstigen Fintech-Teufeleien von Klarna.

    Dennoch sollte, so finde ich, cleverreach gelegentlich bedacht werden, idealerweise in einer Kategorie „Ausschnüffeln per DSGVO-FUD“. Diese wäre Einrichtungen vorbehalten, die anderen Einrichtungen Überwachungstechnik unterschieben, indem sie die von weiten Teilen der freien Presse geschürten Ängste vor der DSGVO ausnutzen.

    Dieses Thema wird schon durch das augenblickliche Cookie-Banner dieser Leute gesetzt, das modal (also: nichts geht, solange mensch nicht klickt) zunächst von „Privatsphäre respektieren“ redet und dann über allzu bekannte Dark Patterns versucht, den Leuten hart am Rande der Legalität Daten abzupressen:

    Gestauchter Screenshot des cleverreach-cookiebanners: Der Zustimmen-Button ist sehr einladend.

    (ich habe das Legalesisch rausgeschnitten, da es nichts zur Sache tut). Zum Mitschreiben: Ein Laden, der Datenschutz ernstnimmt, braucht keine Cookie-Banner und schon gar keine Dark Patterns. Immerhin, das will ich den Leuten lassen, funktionieren weite Bereiche der Webseite inzwischen (das war vor zwei Jahren noch anders) ohne Javascript. Tatsächlich werden ohne Javascript nicht mal Cookie-Banner ausgespielt (Disclaimer: ich habe nicht nachgesehen, ob dann auch wirklich keine unnötigen Cookies[1] verschickt werden).

    Etwas ungehaltener bin ich schon über die Sirenentöne zur DSGVO, mit denen cleverreach Unternehmen und, noch schlimmer, andere Einrichtungen verunsichert: „eine Mailingliste ist datenschutzmäßig total kompliziert, und wenn du eine betreibst, bist du schon halb im Knast“. Das ist natürlich Unfug, solange beim Abonnieren klar ist, was die Leute kriegen und der dazugehörige Dialog transparent gestaltet ist. Aber welcheR „EntscheiderIn“ – Technik- und Sachkenntnisse sind in solchen Positionen ja eher optional – könnte Sirenentönen schon widerstehen?

    Nun könnte ich mit so ein wenig DSGVO-FUD zur Not noch leben, selbst wenn er zu einer – nur in seltenen Fällen dem Datenschutz wirklich helfenden – Zentralisierung von EDV führt, hier nämlich von jeweils ein paar lokalen Mailinglisten auf jeder Menge voneinander isolierter Server zu einer Firma mit „310.000 Kunden“ mit entsprechend vielen Listen.

    Diese Kunden sind zum Beispiel die Bundesorganisation der GEW, die Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg und das Landesmuseum für Arbeit und Technik in Mannheim (dessen aktuellen Namen „Technoseum“ verweigere ich mit gleicher Sturheit wie die „digitalcourage“). Stellt euch vor, ihr wisst, dass jemand von allen drei Läden Info-Mails abonniert hat, notabene freiwillig, was schon eine gewisse Identifikation mit den jeweiligen Zwecken vermuten lässt: Entsteht da nicht ganz von selbst ein Profil?

    Faustregel: „clever“ heißt im Internet so viel wie „fies”

    Aber ist denn die Bildung so eines Profils nicht gegen die DSGVO? Oh, mit hinreichend viel Skrupellosigkeit ist das kein Problem. Und damit komme ich zum wirklich verwerflichen Teil von cleverreachs Geschäft, der meines Erachtens Restzweifel im Hinblick auf die Skrupellosigkeit zuverlässig zerstreut.

    Dazu braucht es einen Blick in die von cleverreach verschickten Mails. Dies sehen typischerweise so aus:

    I     1        [multipa/alternativ, 7bit, 79K]
    I     2 ├─>    [text/plain, quoted, utf-8, 0.7K]
    I     3 └─>    [text/html, quoted, utf-8, 78K]
    

    – sie gibt also vor, dass mensch alternativ ordentlichen Text oder ein HTML-Dokument haben kann. Das Problem ist noch nicht mal, dass es da überhaupt HTML gibt (auch wenn anständige Menschen kein HTML in Mails packen). Das Problem deutet sich an darin, dass der Plain Text nur ein Hundertstel der Länge des HTML-Teils hat. Das ist auch beim Einrechnen des HTML-typischen Fluffs nicht mehr glaubhaft, und in der Tat ist der Plain-Text-Teil nur ein Köder, um Menschen zu cleverreachs Schnüffelseiten zu bringen:

    Ihr E-Mail Programm unterstützt leider keine HTML E-Mails.
    
    Hier finden Sie diesen Newsletter online:
    https://213989.seu2.cleverreach.com/m/dddddddd/dddddd-hhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh
    hhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh
    

    (wo d Dezimalziffern und h Sedezimalziffern sind; mit Code im Umfang dieser URL könnten DemoprogrammiererInnen Bälle über den Bildschirm hüpfen lassen). Wer dieser ganz klar personalisierten URL folgt, bekommt immerhin keinen Cookie-Banner, und erstaunlicherweise wird auch kein Javascript ausgeliefert. In der Tat setzen die verschiedenen Ressourcen auch keine nennenswerten Cookies. Allein die URL:

    https://stats-eu2.crsend.com/stats/mc_dddddd_dddddddd_hhhhhhhhhhh-cccccc.gif
    

    (c steht jetzt für Kleinbuchstaben) setzt einen PHP-Session-Cookie – aber das ist vermutlich nur Gedankenlosigkeit. Das wirkliche Problem an dieser Ressource: das ist ein Tracking-Pixel, in schlechter Tradition als leeres GIF von 40 Bytes, das aber (was passiert da wohl im Hintergrund?) jetzt gerade 5 Sekunden für die Auslieferung gebraucht hat.

    Hiermit nimmt cleverreach auf, wer ihre Mails liest und wann sie das tun. Nennt mich paranoid, aber ob und wann ich Werbepost lese, das geht wirklich nur mich etwas an. Ich will auf keinen Fall, dass jemand merkt, wenn ich auf Clickbait hereinfalle.

    Wenig überraschenderweise findet sich dieser Trackversuch auch am Ende der ganz klassisch als Tabelle ausgezeichneten HTML-Alternative in der Mail:

      </center>
      <img src="https://stats-eu2.crsend.com/stats/<wie oben>"
        border="0" alt="" height="1" width="1"></body>
    </html>
    

    Bei HTML dieser Art (und überhaupt: GIFs) werde ich wieder jung: so haben wir Mitte der 1990er Webseiten geschrieben.

    Trotz dieses Schnüffelversuchts wäre es übrigens (wenn es jetzt schon HTML sein muss) datenschützerisch besser, wenn cleverreach den Plain Text-Teil nicht einbasteln würde, denn dann würde mein datensparsames eigenes HTML-Rendering aktiv werden und ich könne die Mail lesen, ohne (wie im normalen Browser fast unvermeidlich) getrackt zu werden. Wie das alles mit meinem Mail-Client zusammengeht, beschreibe ich demnächst mal; ich bestehe jedenfalls darauf, dass Plain Text-Alternativen, die nur Clickbait enthalten, unethischer sind als gar kein Plain Text.

    Entweder Internet-Normalbetrieb oder DSGVO.

    Zugegeben: das verschlagene Unterschieben von Trackingpixeln, um mitzukriegen, wann wer was liest und das dann den eigenen KundInnen als total wichtige Marketingmetrik verkaufen zu können: Das könnte in Zeiten von Google Analytics schon fast als lässliche Sünde durchgehen. Wer sich auf Schurkereien dieser Art einlässt, darf jedoch im Gegenzug nicht Gewerkschaften und SPD-nahe Stiftungen (samt ihrer im Datenschutz eher unbeholfenen HauspolitiologInnen für antisoziale Medien) mit Datenschutzraunen und -drohen von datensparsamen Verfahren in das eigene überwachungskapitalistische Geschäftsmodell ziehen.

    [1]Ich lasse die Frage, ob es wohl „notwendige Cookies“ überhaupt gibt, mal beiseite, denn Antworten auf diese bräuchten jede Menge Platz für haarige technische und soziale Betrachtungen sowie eine Großpackung Wenns und Abers.
  • Taming a Synaptics Clickpad

    About the lamest component of my current machine, a Lenovo XP 240, is the touchpad. Well, it's actually a clickpad, i.e., a thing without real buttons that you can press to make mouse button clicks.

    Yes, this machine was designed at a time when everyone thought they had to follow Apple's lead in abolishing the mouse buttons. What they had not considered: while OS X is built around the (IMHO somewhat foolish) notion that there's just one mouse button, in conventional X11 (roughly, left: mark, middle: paste, right: context menu), having just one button really is no fun.

    Fortunately, one can define the button areas rather liberally by X11-configurung the synaptics driver (and prototype things using the synclient program, once one gets used to it quirks[1]) Some duct tape one will even give add some tactile feedback to the pad so you can feel the buttons without having to look:

    Photo: a touchpad with separators with duct tape stuck on it.

    This still stinks, because every time one clicks, the mouse pointer moves. Fortunately, thinkpads also have a stick for pointer motions, and so I could switch off pointer motion through the touchpad entirely. I did that by setting AreaTopEdge to 0 (the default) and AreaBottomEdge to 10 (or something similarly small). Hardware clicks and the detection of the finger's location is unaffected by that setting.

    That has worked fine (within reason), for all the, what, eight years that I've used this box. But my stint into the fediverse made me revisit my clickpad hack. This is because the mastodon client Tootle does not have useful key bindings (like: space bar scrolls a page).

    I have considered adding them but lost all motivation when I noticed that the current vala source does not build on Debian stable, and apparently by a large margin (ah, hipsterware!). I then briefly considered writing mastodon reader myself in a bit of Tkinter but got sidetracked when I noticed I'd have to render at least some subset of HTML (which is an interesting problem in itself, and tk_html_widgets looks fairly promising; but I still let it go).

    And so I've finally implanted a scroll wheel into the stupid synaptics clickpad by enabling two-finger scroll. However, one cannot just switch on two-finger scroll without also switching on pointer motion, too (or can one?). After quite a bit of fiddling, I figured having a little patch in the middle of the touchpad sensitive keeps the number of inadvertent pointer movements to a minimum; once you have a finger there, you can use the entire pad for scrolling with the other finger.

    In sum, this gives the following piece of xorg.conf material, to be dumped to /etc/X11/xorg.conf.d/50-synaptics.conf:

    Section "InputClass"
      Identifier "touchpad"
      MatchProduct "SynPS/2 Synaptics TouchPad"
      Driver "synaptics"
      Option "ClickPad" "True"
    
      # Three buttons of equal size, stretching the whole way vertically
      Option "SoftButtonAreas" "67% 100% 0 0 30% 67% 0 0"
      # Turn off motion altogether: AreaBottomEdge 10 AreaTopEdge 0
      # Motion only detected betwee A.T.E. and A.B.E.
      # Here, use an aread in the middle of the pad:
      Option "AreaTopEdge" "2400"
      Option "AreaBottomEdge" "3200"
    
      # Now enable scrolling with one finger on the sensitive area, the
      # other finger moving to scroll.  Raising FingerHigh can help
      # reducing accidental moves.  VertScrollDelta lets you
      Option "VertTwoFingerScroll" "True"
      Option "VertScrollDelta" "60"
      Option "FingerHigh" "60"
    
      # Our Buttons are on the full area anyway, so:
      Option "HasSecondarySoftButtons" "False"
    
      # A bit of config spam that I'm too lazy to regression test out.
      # I'd expect they're rather safe to drop, though.
      Option "VertResolution" "1000"
      Option "HorizResolution" "650"
      Option "MinSpeed" "1"
      Option "MaxSpeed" "1"
      Option "AccelerationProfile" "1"
      Option "AdaptiveDecelration" "16"
      Option "ConstantDecelration" "16"
      Option "VelocityScale" "1"
    EndSection
    

    Have a look at the comments; on another box, I expect you'd need to fiddle with AreaTopEdge and AreaBottomEdge to find values convenient for you and your specific pad (the coordinates of the limits are most easily found in /var/log/Xorg.0.log). You may also want to play with FingerHigh, the pressure above which the device counts a click; on a clickpad, though, even for reasonable values you will click before you touch.

    [1]Synclient's quirks may not be its fault at all, but it is somewhat annoying that it lets you play with settings for circular pads (CircularScrolling, say) on devices that have no idea what these settings are, that you can set pressure sensitivity parameters (PressureMotionMinZ, PressureMotionMaxZ, PressureMotionMinFactor, PressureMotionMaxFactor) on pads that are, as I'm sure mine is after experimenting a lot, not pressure sensitive, or that it lets you set PalmDetect, PalmMinWidth, and PalmMinZ to absolutely no discernable effect. Ok, on the latter setting the synaptics man page does state that that needs firmware support. But really, if that's so, couldn't the non-supporting firmware be smart enough to not offer the setting in the first place if it does nothing?
  • Genf vs. die Dauerbeflimmerung

    Foto: Werbedisplay über großer Autostraße

    Auch die Stadt Heidelberg – die in der Altstadt noch nicht mal Dachfenster erlaubt, damit vom Schloss aus alles ordentich aussieht – lässt die Werbefritzen von Ströer Dauerbeflimmerung ausrollen, hier an der Kreuzung Berliner-Jahnstraße, wo es wirklich nur eine Frage der Zeit ist, bis das Gezappel auf dem Bildschirm mal wen so ablenkt, dass er/sie sich oder wen anders kaputtfährt.

    Während die Bahn papiergewordene Cookiebanner verschickt, gibt es an vielen anderen Stellen offenbar durchaus Hoffnung, zumindest ein bisschen weniger menschliche Kreativität und Zeit (von Energie und Rohstoffen ganz zu schweigen) in die Belästigung der Allgemeinheit (etwas beschönigend auch „Werbung“ genannt) fließen zu lassen. So berichtet der DLF-Hintergrund vom 13.4.2022 aus Genf, die dortige Stadtverwaltung wolle ab 2025 alle Plakatwände und vor allem ihre besonders aufdringlichen elektronischen Geschwister abbauen lassen. Das Radiofeature gibt Beispiele für gelungenes, wenn auch weniger ambitioniertes, Zurückdrängen von Außenwerbung: die Stadtverwaltung von São Paulo hat bereits 2007 15'000 Plakatwände demontieren lassen, in Grenoble wurden 2014 immerhin 300 davon durch Bäume ersetzt.

    „Werbefrei für die Freiheit“

    —nicht J. Gauck

    Der DLF lässt weiter Menschen von der Initiative Hamburg Werbefrei zu Wort kommen, über deren Kampf speziell gegen die die leuchtenden und zappelnden Groß- und Riesenbildschirme auch die taz berichtet. Obszöne 45000 kWh Strom im Jahr verpulvert so ein Ding, also etwas wie 5 Kilowatt. Während ich das als „etwa so viel wie ein dauernd fahrendes kleines Auto“ (oder auch: 50 ordentlich reintretende RadlerInnen) umschreiben würde[2], übersetzt es der Aktivist im DLF-Interview das als „fast so viel wie 30 Einpersonenhaushalte“. Die taz hingegen schreibt „wie 15 Zweipersonenhaushalte“[1]. Angesichts solcher Zahlen wäre ich fast versucht, mich des grassierenden Patriotismus ausnahmsweise mal für gute Zwecke zu bedienen: „Werbefrei für die Freiheit“.

    Der taz-Artikel zitiert den Vorsitzenden der Grünen-Fraktion in Hamburg, Dominik Lorenzen, mit den Worten: „Es gibt in der Stadt [sc. Hamburg] eine gute Balance zwischen Werbeflächen und Platz für die Menschen“, was ich schon bemerkenswert finde; der Mann erkennt zwar an, dass Werbung schlecht für die Menschen ist, räumt ihr aber dennoch irgendeine Art von Rechten ein, die mit den Interessen der BewohnerInnen seiner Stadt auszubalancieren sei. Könnte ich ausgeschrieben haben, welcher Natur diese Rechte wohl sein könnten? Ich hoffe nur, dass mein Spamfilter legal bleibt…

    Foto: ein halbes Dutzend Plakatständer auf einem Haufen.

    Dieses Plakat-Ensemble (gleich neben dem Display von oben in der Heidelberger Jahnstraße) wäre nach den versprochenen Genfer Regeln noch ok: A0-Plakate, meist für Kultur oder, na ja, Bildungsveranstaltungen.

    Üblicher ist demgegenüber die Argumentation von Verkehrssenator Tjarks, die die Belästigung der Öffentlichkeit mit städtischen Einnahmen von 27 Millionen Euro (im Jahr 2020) rechtfertigt. Im DLF-Beitrag wird, im Gegensatz zum taz-Artikel, allerdings darauf hingewiesen, dass gerade neue Verträge geschlossen wurden, die den öffentlichen Raum billiger verhökern. In Genf soll die Stadt durch die Planungen viereinhalb Millionen Euro weniger einnehmen. Gegengerechnet: beide Kommunen verkloppen Stadtbild und Nerven der BewohnerInnen für recht einheitlich um die 20 Euro pro Nase und Jahr.

    Zahlen dieser Art dürften auch hinter der sehr schmallippigen Kommunikation stecken, mit der der werbeindustrielle Komplex AktivistInnen in Hannover gerade auflaufen lässt. Dort liegen offenbar 50 Bauanträge vor zur Ausweitung der Dauerwerbe-Beflimmerung (großartiger Begriff aus dem verlinkten Post) durch den Werbekonzern Ströer, Stadt wie Firma (die seit einem Jahr oder so übrigens auch t-online.de betreibt) mauern bezüglich der Details.

    Eine Schote bei der ganzen Geschichte: Nachdem die Aktivistis auf die Ströer-Übersicht zu Werbeanlagen in Hannover gelinkt hatten, um das Ausmaß des Problems zu illustrieren, wurde es Ströer selbst zu peinlich; jetzt ist da nur noch ein 404 („Sie haben womöglich eine falsche oder alte URL aufgerufen“), und leider hilft auch die Wayback-Maschine nicht. Indes ist allzu viel Fantasie nicht nötig, sich 4600 Werbeträger von Ströer in einer Stadt mit 540'000 EinwohnerInnen vorzustellen. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung müssen damit je rund 100 Menschen eines von diesen Teilen bezahlen.

    Auch in Genf schlägt die Reaktion zurück. Ein „ideologischer Bulldozer“ sei es, die öffentliche Belästigung reduzieren zu wollen, „Zensur in Sowjetmanier“, die, und mit derart verdrehten Argumenten wollen allerlei Rechtsparteien und -verbände eine Volksabstimmung gewinnen, auch zu „weniger Umsatz“ in den Geschäften führen wird, weshalb „Arbeitsplätze verloren“ gehen werden.

    Ich bin immer ganz fassungslos, wenn ich solche Argumentoide höre. An sich ist die Situation nach dem Genfer Modell doch ganz klar: Wir belästigen die Leute weniger, was ja ein großer Vorteil ist. Und dafür müssen wir weniger arbeiten, was ja auch ein großer Vorteil ist. Wie könnte da jemand was dagegen haben?

    Die deutschen Werbefritzen sagen, sie hätten einen Anteil am BIP von 1.3% (sie sprechen von „Marktvolumen“). Rechnen wir die Arbeit ein, die es fürs Aufräumen hinter diesen Leuten braucht, und noch weitere Mühe im näheren Umfeld dieses Geschäfts, sind 2% weniger Arbeit ohne Werbung durchaus realistisch. Das wäre, wenn das auf alle Menschen gleichmäßig verteilt wird, ungefähr eine Stunde weniger Lohnarbeit.

    Wäre das nicht klasse? Kein doofen Blinketafeln mehr und am Freitag eine Stunde früher heimgehen?

    [1]Wer auch immer da gerechnet hat, hat ohnehin falsch gerechnet, denn zwei Leute, die einen Haushalt teilen, werden in aller Regel weit weniger Strom verbrauchen als zwei, die jeweils alleine wohnen. Das ist schon deshalb praktisch unausweichlich, weil die Dauerverbraucher Router und Kühlschrank einfach bzw. doppelt vorhanden sind. Da die 1500 kWh pro Einpersonenhaushalt so in etwa auch bei den EWS-Leuten auf ihren Rechnungen stehen, wird das wohl schon so in etwa hinkommen. Allerdings: In meinem Zweipersonenhaushalt wird sogar Essen und Wasser mit Strom erhitzt, und trotzdem kommen wir insgesamt bei 1300 kWh/Jahr raus. Insofern frage ich mich immer ein wenig: Was machen die Leute alle mit ihrem Strom?
    [2]

    Die Wikipedia sieht in einem Mitsubishi-Kleinwagen einen Elektromotor mit etwa 50 kW Leistung, aber das ist ganz offensichtlich eine Überdimensionierung. Mit 50000 Joule kann mensch gemäß E = mgh (die potentielle Energie ist Masse mal Erdbeschleunigung mal Höhe), ausrechnen, dass so ein Motor eine Tonne

    50000  J ⁄ (1000  kg⋅9.81  m/s2) ≈ 5  m

    in die Höhe bringen kann – und das jede Sekunde ein Mal.

    Stellt euch mal kurz eine Tonne irgendwas vor, und dann, was passiert, wenn mensch die fünf Meter runterfallen lässt. Ihr ahnt, was das für Urgewalten wären. Umgekehrt wird als Reichweite für die Kiste 160 Kilometer genannt, was ich für Zwecke der Überschlagsrechnung in eine Betriebsdauer von drei Stunden übersetze. Bei einer Batteriekapazität von ungefähr 15 kWh ergeben sich dann zwanglos die 5 kW mittlere Leistung bei einem Kleinwagen ohne Klimaanlage.

  • Ach Bahn, Teil 4: Werbschleicher

    Foto: Werbepost von der Bahn in rot, etwas größer als DIN C7.

    Das aktuelle „Einwilligungsmanagement“ der Bahn.

    Gestern habe ich Brief-Spam von der Bahn bekommen. Während meine Fragen zu frechen Captchas (Oktober 2021) und einer öffentlichen Entwicklung ihrer „BahnBonus App“ (neulich) immer noch auf sinnvolle Antworten warten und die Mails von der Support-Adresse immer noch einen komplett kaputten text/plain-Teil haben, schreibt die Bahn:

    Sie sind noch nicht zu unserer E-Mail-Kommunikation angemeldet.

    Äh… Was? Ihr habt mir doch euer Schreiben, nach der künftig Menschen, die den root-Account auf ihren Rechnern weder Apple noch Google geben wollen (nicht-technisch: „nicht smartphonieren“), auch per Mail geschickt? Nun, lesen wir weiter:

    Aber nicht nur mit der BahnBonus-App, sondern auch durch unsere E-Mail-Kommunikation bekommen Sie unsere Angebote immer und überall direkt auf ihr Smartphone.

    Ah ja. „Angebote” also. Dass die Bahn Werbung über ihre App ausspielen will, habe ich mir schon gedacht, denn, abgesehen vom (Meta-) Datensammeln: Was soll sonst schon der Vorteil der App-Infrastruktur sein gegenüber der alten Karte, die als Werbeträger, das gebe ich der Bahn gerne, nur recht eingeschränkt taugt?

    Was die Bahn hier probiert, heißt, so höre ich, in der Branche „Consent Management“, also das Erschleichen von Einwilligungen zu allerlei Datenverarbeitungen, die klar denkende Menschen ohne solches „Management“ durchweg ablehnen.

    Die Werbepost von der Bahn ist mithin eine materielle Manifestation eines Cookiebanners. Liebe Bahn: Der aktuelle Kurs für das Erschleichen solcher Einwilligungen ist mindestens ein iPad-Gewinnspiel. Oder in meinem Fall: dass ich mit meiner Plastikkarte weiter einen warmen Ort mit sauberem Klo finde, wenn ich mal wieder auf einem größeren Bahnhof auf einen Zug warte, der grob in meine Richtung fährt.

    Aber all das hat auch eine positive Seite: offenbar gibts im Bahn-Werbecomputer kein Feld „angepisster Kunde, vorsichtige Ansprache“ – oder die Prozesse, es zu füllen, funktionieren nicht. Und das ist aus Datenschutzsicht auch schon was.

    Exkurs: Datenschutzaufklärung auch kaputt

    Oh, habe ich gerade „Datenschutz“ in einem Bahn-Zusammenhang gesagt? Dann kann ich nicht widerstehen, kurz von zwei Highlights meines Ausflugs auf die Datenschutzseite der Bahn zu berichten. Da stimmt nämlich schon im Hinblick auf die Rechtsgrundlagen ziemlich wenig (Stand April 2022). Ich will kurz zwei Beispiele geben.

    Die Bahn setzt ein bizarres Konglomerat von Tracking-Software ein (was den beruhigenden Schluss zulässt, dass sie wahrscheinlich sehr wenig mit den Ergebnissen machen, denn das Gesamtbild hinterlässt nicht den Eindruck, dass da wer weiß, was er_sie tut) und erklärt dazu:

    Die im Folgenden aufgeführten und von uns eingesetzten Tracking-Maßnahmen werden auf Grundlage des Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO durchgeführt und dienen der bedarfsgerechten Gestaltung und fortlaufenden Optimierung unserer Webseite.

    Buchstabe b in DSGVO Art. 6 (1) ist „Abwicklung eines Vertrages“. Wer mir erzählt, er könne mir nur dann ein Ticket verkaufen, wenn er Tealium, Adobe Analytics, Optimizely, Qualtrics, m-pathy und CrossEngage alle zusammen auf mich loslässt, hat allenfalls mein bitteres Lachen, anonsten aber die Nadel des Glaubwürdigkeits-o-meters am Nullanschlag verbogen.

    Nur zur Klarheit: eine Datenverabeitung, die sich auf Buchstabe b beruft, muss notwendig sein, der Kram muss also kaputt gehen, wenn sie nicht stattfindet. Das ist bei all den Trackern augenscheinlich unzutreffend, denn auf meiner Maschine zeigen fast alle zugehörigen Servernamen auf meine eigene Maschine oder die „Dienste“ sind anderweitig „geblockt“. Ich kann aber trotzdem buchen, von den Captcha-Belästigungen mal abgesehen.

    Allerdings: Schon der vorgeschobene Grund, „bedarfsgerechte Gestaltung“ (von der ohnehin keine Rede sein kann) hat ja mit der Vertragsabwicklung nichts zu tun. Vielleicht könnten in dem Zusammenhang „berechtigte Interessen“ (Buchstabe f) angeführt werden, mit der Vertragsabwicklung hat das jedenfalls nichts zu tun.

    Mit diesen berechtigten Interessen versucht es die Bahn ein wenig später, nämlich bei den Captchas (wo das nicht komplett abzustreiten wäre, auch wenn im konkreten Fall jede Verhältnismäßigkeit fehlt) und:

    Für Zwecke der Betrugsprävention verwenden wir die Technologie JSC-Tools der Risk.Ident GmbH (Am Sandtorkai 50, 20457 Hamburg). Dies dient Ihrem und unserem Schutz, um der missbräuchlichen Verwendung Ihres Zahlungsmittels zur Zahlung bei bahn.de/bahn.com vorbeugen zu können. Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO.

    Bei diesem Passus wollen Zweck – nämlich Schutz meines Zahlungsmittels – und Verarbeitungsgrund – Interessen der Bahn – recht offensichtlich nicht zusammengehen. Hier wäre ein Berufen auf Buchstabe b eventuell denkbar, weil im wilden Internet Zahlungen ohne Schutzzauber komplizierte Compliance-Probleme bereiten könnten. Das kann ich nicht beurteilen, denn weder weiß ich, welche Sorte Schutzzauber diese JSC-Leute machen noch muss ich – und dafür danke ich allen Gottheiten, die gerne Dankbarkeit hätten – Geld übers Internet eintreiben.

    Aber gut: Wer hätte schon erwartet, dass die Bahn im Datenschutz besser ist als im Zugbetrieb. Auch dort ist es ja gegenwärtig die Regel, dass, wenn ein Zug kommt, es fast immer ein anderer ist als angekündigt und auch dieser andere Zug irgendwie kaputt ist.

  • Ähm – ist das ein Wort?

    Foto: Viele Menschen warten auf einen Vortrag

    All diese Leute warteten 2014 im Karlsruher ZKM auf einen Vortrag von Noam Chomsky. In diesem Post geht es um etwas, wo er ziemlich klar falsch lag.

    Nachdem ich gestern so empört war über Computerlinguistinnen, denen der ethische Kompass klar abhanden gekommen ist, möchte ich gerne ein paar Worte über eine wunderbare linguistische Arbeit nachschieben, die mir neulich auf den Rechner kam. Um es gleich zu gestehen: Auch in der steckt schmutziges Geld, in diesem Fall vom US Department of Defense – aber wenn damit schöne Wissenschaft gemacht wird, will ich nicht mit Steinen werfen.

    Ausgangspunkt war die Sendung Äh, ähm, genau – Wozu gibt es Füllwörter?, die am 15.3. in SWR2 Wissen lief (großes Lob übrigens an die Redaktion, die noch das Manuskript zur Sendung auf die Webseite legt, etwas, das beim DLF inzwischen leider Seltenheitswert hat). Meine Aufmerksamkeit angezogen hat die Geschichte vom „Powerpoint-Genau“, jenem „Genau“, das tatsächlich viele Menschen entweder kurz vor oder kurz nach dem Umblättern bei Programmen wie… na ja, impressive sagen. Jetzt, wo ich mal darauf hingewiesen wurde, fällt mir auch auf, was für eine verbreitete und, ganz streng genommen, etwas alberne Sitte das doch ist.

    Eine kleine Revolution in der Linguistik (gegen König Noam) aus dem Jahr 2002.

    Von dort bin ich auf die Arbeiten von Joan Fox Tree von der staatlichen Universität in Santa Cruz, CA gekommen, die im SWR2-Beitrag als Auslöserin einer kleinen Revolution in der Linguistik bezeichnet wird, weil sie Ähs und Ähms nicht nur als nützlich – weil verständnisfördernd – sondern sozusagen als Wörter erster Klasse identifizierte. Beim Artikel zu Teil zwei firmiert Fox Trees Stanford-Kollege Herbert Clark als Erstautor, und er erschien 2002, just, als ich für ein paar Jahre selbst in Computerlingustik dilett^Wlehrte: „Using uh and um in spontaneous speaking“ (ist leider bei Elsevier erschienen, so dass ich die dorthin führende DOI 10.1016/S0010-0277(02)00017-3 nur widerstrebend gebe).

    Das Paper argumentiert wie gesagt ziemlich stringent, dass Äh und Ähm ganz normale Wörter sind. Das geht gegen einen Ukas des Gottvaters der moderneren Lingustik, Noam Chomsky, der sie (in etwa) als vorprachliche Oberflächenform von Verhakungen bei der Sprachproduktion angesehen hat. So sehr ich Chomsky als großen Vereinheitlicher der Theorie formaler Sprachen und klarsichtigen Beobachter „unserer“ Weltpolitik schätze: Ich schließe mich, glaube ich, dem modernen computerlinugistischen Mainstream an, wenn ich vermute, dass er sich bei der Untersuchung natürlicher Sprache meist vertan hat.

    Ein sehr starkes Argument für die Worthypothese von Clark und Fox Tree ist zum Beispiel, dass verschiedene Sprachen verschiedene, na ja, Laute verwenden anstelle unseres Äh. Tabelle eins aus dem Paper gibt folgende Aufstellung:

    Deutsch äh, ähm
    Niederländisch uh, um
    Schwedisch eh, äh, ääh, m, mm, hmm, ööh, a, ööh
    Norwegisch e, e=, e==, eh, eh=, m, m=, […], øhø, aj
    Spanisch eh, em, este, pues
    Französisch eu, euh, em, eh, oe, n, hein
    Hebräisch eh, e-h, em, e-m, ah, a-m
    Japanisch eeto, etto, ano, anoo, uun, uunto, konoo, sonoo, jaa

    (für Referenzen siehe die Arbeit selbst). Es heißt darin weiter:

    Speakers of English as a second language often import the fillers from their first language – we have heard examples from native French, Hebrew, Turkish, and Spanish speakers – and that is one reason they continue to be heard as non-native speakers.

    Während ich die langen eueueueu-s von FranzösInnen, die Englisch sprechen, bestätigen kann, ist mir leider noch niemand Spanischsprechendes begegnet, der/die mit „este“ verzögert hätte. Aber ich werde jetzt besser aufpassen. Jedenfalls: dass Ähms zwischen verschiedenen Sprachen verschieden, innerhalb der Sprachen aber recht konstant sind, schließt, soweit es mich betrifft, aus, dass Äh und Ähm vorsprachliche Fehlermarker sind.

    Die anderen Argumente für die Worthypothese von Clark und Fox Tree sind vielleicht nicht durchweg vergleichbar stark. Aber die AutorInnen wollten erkennbar einmal alle konventionellen Sprachebenen durchgehen und argumentieren deshalb auch phonologisch (sie sind normale englische Silben), mofphologisch (sie funktionieren auch als Klitika, können sich also an andere Wörter anlehnen: „und-äh”), mit Prosodie (sie fallen aus der Satzmelodie heraus, wie das etwa auch Einschübe wie diese Klammer machen), über die Syntax (hier folgen sie einfach anderen Interjektionen: Heissa!), über die Semantik (sie haben eine definierte Bedeutung, nämlich: jetzt kommt gleich eine kleinere oder größere Verzögerung im Sprechen) und über die Pragmatik, also die Frage: was wollen die Leute mit einem Äh bewirken?

    Einen Eindruck von der Relevanz dieser letzten Frage mag gewinnen, wer im SWR2-Beitrag Mark Zuckerberg hört, wie er auf die Frage eines Kongressabgeordneten antwortet, ob er mitteilen wolle, in welchem Hotel er heute geschlafen habe:

    Der Artikel untersucht diese pragmatischen Aspekte, speziell, was seit Grice Implikatur heißt, und bietet dazu alles Mögliche zwischen „ich habe noch was zu sagen, rede noch nicht rein“ bis „hilf mir und rede du weiter“. Im Fall von Zuckerberg – Facebook war 2002 übrigens noch dystopische Science Fiction – wäre das wohl „Ich tu wenigstens so, als müsste ich über diese Zumutung noch nachdenken“.

    Methodisch ist das alles wirklich schön gemacht. Ich wünschte, mir wäre das Paper schon in meiner Coli-Zeit aufgefallen. Zumindest meine Studis hätten viel Spaß haben können[1].

    Drei mal Öhm sind allein schon hier im Blog zu finden.

    Ein weiterer Punkt aus der Arbeit, den ich für recht überzeugend halte: Äh und Ähm kommen durchaus gerne in geschriebener Sprache, gerade etwa in Chats, vor, was bei einer Art zerebralen Notsignal wirklich nicht zu erwarten wäre. Ein schnelles grep Öhm *.rst im content-Folder dieses Blogs liefert bereits drei Belege (a, b, c) – ich suche mal nicht weiter nach anderen graphische Repräsentationen von Ähm, denn der Punkt ist gemacht: Ich selbst öhme auch, wenn ich sicher keine Wortfindungsprobleme oder Sackgassen in meinem Textplan habe, und ich weiß dabei ziemlich genau, was meine Öhms bedeuten sollen.

    Angesichts so leicht greifbarer Belege ist schon eher seltsam, dass ein so heller Kopf wie Chomsky seinen Irrtum offenbar lange vertreten hat. Andererseits: Wenn ich an die Gelegenheiten denke, zu denen ich ihn live have reden hören… Nun, ich glaube, er äht selbst schon arg wenig, und die Sorte informeller (und vielleicht ja comicinspirierter?) Schreibe, an die wir uns weit über die Blogosphäre hinaus gewöhnt haben, war in den 60er und 70er Jahren vielleicht wirklich noch eher Underground. Clark und Fox Tree führen in diesem Zusammenhang aus, warum Menschen in formaleren, vielleicht hierarchiedominierteren Situationen weniger ähen werden:

    On the minus side, whenever speakers use fillers, they are announcing that they are having preparedness problems, something they may not want to admit in public. Speakers on the radio, on television, and in formal speeches are expected to be knowledgeable and competent, so it might undermine their authority to admit to preparedness problems.

    – eine Einsicht, die sie einer Arbeit über „Radio Talk“ von einem Herrn Goffman aus dem Jahr 1981 zuschreiben. Und in der Tat:

    If speakers have control of uh and um, they should use them less often in formal than in informal registers, and there is much evidence that they do.

    Ich bin ganz sicher, dass ich das so mache. Den Eindruck, ich würde um so weniger ähen, je öffentlicher ich spreche, hatte ich bisher eher mit mehr oder weniger Konzentration in verschiedenen Dia- oder Monologsituationen erklärt, ganz im Sinne von Chomskys Äh-Theorie. Jetzt hingegen neige ich auch stark zur These, dass die Ähs in etwa so verschwinden wie, sagen wir, kräftige Flüche, die ich auf, sagen wir, Konferenzen normalerweise auch vermeide.

    Äh… Scheiße, was für ein fetzengeiles Paper.

    Wenn das DoD für sowas zahlen kann: Muss es dann für die Bundewehr wirklich dieser Großschnüffel-Mist von gestern sein?

    [1]Was DozentInnen halt so glauben…
  • Computerlinguistik ethisch abgerutscht

    Wie prioritär die Auflösung der Bundeswehr ist, zeigt derzeit nicht nur die allabendliche Berichterstattung zu den Folgen von Krieg[1]. Nein, eine von der Gesellschaft getragene Armee macht diese – die Gesellschaft – auch furchtbar anfällig für anderweitige autoritäre Versuchungen. So ist schon Existenz einer Armee das Nachgeben gegenüber der maximalen autoritären Versuchung, denn ihr zugrunde liegt ja die Überzeugung, eine große Klasse von Problemen ließe sich lösen, indem mensch hinreichend viele der richtigen Menschen tötet – und dieses Töten sei auch gerechtfertigt, wenn nicht gar geboten.

    Außerhalb des engeren Tötungsgeschäfts fallen militärisch insprierte Antworten normalerweise etwas weniger final aus, doch bleibt auch dort ethisch kaum ein Stein auf dem anderen, wenn die Armee interveniert. Ein gutes und aktuelles Beispiel ist das Projekt, von dem die Computerlinguistin Michaela Geierhos von der Universität der Bundeswehr in Computer und Kommunikation vom 9.4.2022 berichtet.

    Im Groben will die ihre Gruppe statistische und vielleicht linguistische Werkzeuge („künstliche Intelligenz“) zur – immerhin noch polizeilichen und nicht militärischen – Massenüberwachung von Telekommunikation nutzen. In den Geierhos' Worten:

    …den Ermittler zu unterstützen, überhaupt mal zu erkennen, was es in Millionen von Zeilen, wo kommen da überhaupt Namen vor von Personen, was ist ne Adressangabe, gehts jetzt hier um Drogen oder gehts vielleicht um ganz was anderes.

    Mit anderen Worten: Die Polizei soll richtig viele Menschen abschnorcheln – denn sonst kommen ja keine „Millionen von Zeilen“ zusammen – und dann per Computer rausbekommen, welche der Überwachten die bösen Buben sind. Das ist der gute, alte Generalverdacht, und Menschen mit einem Mindestmaß an menschenrechtlichem Instinkt werden so etwas ganz unabhängig von den verfolgten Zwecken ablehnen. Grundfeste des Rechtsstaats ist nun mal der Gedanke, dass allenfalls dann in deine Grundrechte eingegriffen wird, wenn es einen begründbaren Verdacht gibt, du habest gegen Gesetze verstoßen – und auch dann können nur sehr konkrete Hinweise auf schwere Verstöße so schwere Eingriffe wie die „TKÜ“ rechtfertigen (vgl. §100a StPO).

    Transparent: Wer nichts zu verbergen hat ist langweilig

    2008 zierte dieses Transparent das Berliner bcc, während der CCC dort tagte.

    In den Beispielen von Geierhos hingegen geht es um ein von vorneherein zweckloses Unterfangen wie die repressive Bekämpfung des illegalen Handels mit und Gebrauchs von Rauschmitteln. Das völlige Scheitern dieses Ansatzes ist ein besonders schönes Beispiel dafür, wie trügerisch die autoritäre Versuchung ist. Wie so oft mögen die (staats-) gewalttätigen Lösungsansätze naheliegend sein. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie tatsächlich funktionieren, schon gar nicht auf Dauer. Und da habe ich noch nicht mit den schweren Nebenwirkungen angefangen.

    Leider ist auch der Moderator Manfred Kloiber – versteht mich nicht falsch: das ist, soweit ich das nach Plaudereien mit ihm im DLF-Studio beim Chaos Communication Congress beurteilen kann, ein sehr netter Mensch – schon der autoritären Versuchung erlegen, wenn er fragt:

    Auf der anderen Seite würde man sich ja wünschen, dass man genau davon [z.B. von Drogengeschichten] ein unabhängiges System findet, was eben halt über die Bereiche hinweg Kriminalität oder anormale Vorgänge feststellen kann.

    Ich weiß nicht, ob ihm klar war, was er sich da wünscht, und die eher stolpernden Worte mögen andeuten, dass die Frage so nicht geplant war. Jedenfalls: Eine universelle Verhaltensüberwachung, die nonkonformes Verhalten (nichts anderes sind ja „anormale Vorgänge“ im sozialen Kontext) polizeilicher Intervention zugänglich machen soll? Wer könnte sich sowas unter welchen Umständen zur Lösung welcher Probleme wünschen?

    Zum „wer“ kann mensch immerhin schon mal antworten: Wissenschaftlerinnen der Universität der Bundeswehr, denn Geierhos antwortet ungerührt:

    Ja, das ist eine sehr große Vision, aber von dieser Vision sind wir leider noch weit entfernt.

    (Hervorhebung von mir).

    Zu weiteren „Kriminalitätsbereichen“, in denen Geierhos ihr digitales Stahlnetz gerne auswerfen würde, sagt sie:

    Also, Wirtschaftskriminalität, wie gesagt, schwieriger, dass wir das synthetisch herstellen können […] Aber so Chatprotokolle, Telegram und wie sie alle heißen, da kann man definitiv ansetzen, wir gucken uns aber auch an, Hasskriminalität beispielsweise, Mobbing, dass es in die Richtung geht.

    Klar, das sind Probleme, deren autoritäre Behandlung (in Wahrheit wohl: Verschlimmerung) das Aushebeln selbst noch basalster Menschenrechtsstandards rechtfertigt.

    Oh je. Wie genau haben Costa Rica und Island es geschafft, ihr Militär loszuwerden? Können wir das bitte auch ganz schnell haben?

    [1]Bei den Bildern vom Krieg bleibt, nebenbei, zu bedenken, dass an ihnen im Gegensatz zum offenbar noch verbreiteten Eindruck nichts neu ist: Armeen, auch „unsere“ Armeen und die „unserer“ Verbündeten, haben seit jeher und auch in den letzten Jahren ganz ähnliche und noch schlimmere Gräuel angerichtet. Dass nennenswert viele sogar halbwegs gutwillige Menschen die aktuellen Gräuel zum Anlass nehmen, „unsere“ Fähigkeiten zum Anrichten von Gräueln verbessern zu wollen: Das wird künftige HistorikerInnen wohl ebenso verwundern wie uns heute die Freude, mit der nennenswerte Teile der kaiserlichen Untertanen in den ersten Weltkrieg gezogen sind. Mich verwundert schon heute beides in gleichem Maße. Aber das ist nun wirklich nicht Thema dieses Artikels.
  • Affen zählen ist schwer

    Nachdem mich gestern die Publikationen der Gruppe von Kathelijne Koops so gelockt haben, habe ich gleich eine durchgeblättert, und zwar „How to measure chimpanzee party size? A methodological comparison“ von Kelly van Leeuwen und KollegInnen (doi:10.1007/s10329-019-00783-4, Preprint).

    Bevor ich das lobe, muss ich etwas mosern. Erstens, weil das Ganze von unfreier Software nur so strotzt – die statistische Auswertung ist mit SPSS gemacht (geht ja auch anders), und das Paper wurde wohl in Word geschrieben, auch wenn die Metadaten des Preprints etwas verwirred aussehen (leicht redigiert):

    $ pdftk ZORA198831.pdf dump_data
    InfoKey: ModDate
    InfoValue: D:20220128142734+01&apos;00&apos;
    InfoKey: Creator
    InfoValue: Acrobat PDFMaker 17 f&#252;r Word
    InfoKey: CreationDate
    InfoValue: D:20220128142734+01&apos;00&apos;
    InfoKey: Producer
    InfoValue: GPL Ghostscript 9.25
    

    Warum da nacheinander ein „PDFMaker für Word“ und dann (?) nochmal ein Ghostscript drübergelaufen sind? Hm. Das PDF vom Verlag ist übrigens nochmal anders gemacht und meldet „Acrobat Distiller 10.1.8 (Windows)“ als die Software, die das PDF geschrieben hat. Uh. Ein wenig neugierig wäre ich nun schon, woraus das destilliert wurde.

    Zweitens ist nicht schön, dass die Open-Access-Webseite der Uni Zürich „You need to enable JavaScript to run this app.“ sagt. Das ist in diesem Fall um so weniger angebracht, als sie auch ohne Javascript eine ganz brauchbare Seite ausliefert. Allerdings fehlen in dem Word-generierten PDF die Abbildungen und Tabellen, und sie sind auch nicht erkennbar verlinkt. Immerhin sind beim Verlag (Springer) „Online Resources“ offen (während sie von Leuten, die nicht für hinreichend reiche Unis arbeiten, absurde 37.40 Euro fürs formatierte PDF haben wollen). Zumindest im Falle der ziemlich sinnlos gestapelten Ergebnisse der verschiedenen Methoden in Abbildung 1 ist das Fehlen der Abbildungen aber hier vielleicht sogar verschmerzbar.

    Ich würde noch nicht mal auf die Tests, die die AutorInnen so durchgeklickt haben, furchtbar viel geben, auch wenn sie immerhin ein wenig statistsiche Abbitte geleistet haben (das ist die realweltliche Bedeutung des dann und wann angerufenen hl. Bonferroni).

    Screenshot von Tabelle 1 aus dem bespreochenen Artikel

    Mein persönliches Highlight aus dem Artikel: Eine qualitative Betrachtung einiger systematischer Effekte. Rechte beim Japan Monkey Centre und Springer Japan KK (aus doi:10.1007/s10329-019-00783-4).

    Wirklich schade ist es aber um die Tabelle 1 (wenn die Abbildung hier nicht reicht: Libgen kann helfen). Sie liefert eine schöne Quintessenz der qualitativen Betrachtungen zu möglichen systematischen Fehlern, und die geben gute – und vor allem im Vergleich zu entsprechenden Betrachtungen in der Physik auch recht greifbare – Beispiele für das, von dem ich in meinem Lob von small data geredet habe. Van Leeuwen et al schätzen nämlich die Größe von umherziehenden Schimpansengruppen. Weil die Tiere nun in den Baumkronen umherturnen und noch dazu vielleicht nicht so gern gezählt werden, ist das nicht ganz einfach, und die Leute probieren vier verschiedene Verfahren:

    • Hingehen und Affen zählen
    • Eine Fotofalle aufstellen und sehen, wie viele Schimpansen auf den Bildern sind
    • Anrücken, wenn die Tiere weg sind und zählen, wie viele Tagesnester – leichte Konstrukte aus Blättern und Zweigen, in denen Schimpansen kleine Nickerchen halten – in den Bäumen sind
    • Anrücken, wenn die Tiere weg sind und zählen, wie viele Schlafnester – elaborierte Konstruktionen, in denen ein Schimpanse die Nacht (aber immer nur eine) verbringt – in den Bäumen sind.

    In einer idealen Welt würde für eine gegebene Gruppe immer die gleiche (kleine natürliche) Zahl rauskommen, also vielleicht 5. Und ich finde die erste wertvolle Einsicht schon mal: Selbst einer 5 kann mensch in vielen Bereichen der Wissenschaft nicht vertrauen. Na gut: Als Astronom sollte ich da nicht mit Steinen werfen, denn wir kommen ja auch mit acht, neun oder zehn (Planeten im Sonnensystem) ins Schleudern.

    Wenig überraschenderweise lieferten verschiedene Methoden tatsächlich verschiedene Ergebnisse, und zwar systematisch. Zur Erklärung schlagen die AutorInnen unter anderem vor:

    • Direkte Beobachtungen werden vermutlich große Gruppengrößen bevorzugen, da sich kleinere Gruppen noch scheuer gegenüber Menschen verhalten werden als große – und umgekehrt die Menschen größere Gruppen wegen mehr Geschrei auch leichter finden.
    • Umgekehrt werden direkte Beobachtungen eher einzelne Tiere übersehen, wenn diese besonders scheu sind, was zu einer systematischen Unterschätzung speziell bei besonders wenig an Menschen gewöhnten Gruppen führen wird.
    • Die Fotofallen könnten ähnliche Probleme haben, wenn die Schimpansen ihre Existenz spitzkriegen. Offenbar gibt es da Vermeidungsverhalten. Und natürlich haben Fotofallen nur ein endliches Gesichtsfeld, so dass sie bei realen Schimpansengrupen recht wahrscheinlich einzelne Tiere nicht erfassen werden.
    • Bei den Tagesnestern werden eher Tiere übersehen, weil einige sich gar keine Tagesnester bauen, etwa, weil sie gar kein Nickerchen halten. Und außerdem sind diese Nester häufig so locker gezimmert, dass Menschen sie übersehen. Das kann aber durchaus auch zu einer Überschätzung der mittleren Gruppengröße führen, weil kleinere Tageslager gar nicht auffallen; ähnlich würde es sich auswirken, wenn sich ein Tier zwei oder gar mehr Tagesnester baut.
    • Bei Nachtnestern könnte die Gruppengröße überschätzt werden, weil sich vielleicht mehrere Gruppen zur Übernachtung zusammentun (was dann den Übergang von systematischen Fehlern in interessante Ergebnisse markiert). Demgegenüber dürften die Probleme mit übersehenen kleinen Nachtlagern wie auch mit übersehenen Nestern bei Nachtnestern weniger ins Gewicht fallen als bei Tagnestern, einfach weil sie viel aufwändiger gebaut sind.

    Nun reichen die Daten von van Leeuwen et al nicht, diese Systematiken ordentlich zu quantifizieren, zumal sie sehr wahrscheinlich auch von allerlei Umweltbedingungen abhängig sind – im Paper geht es in der Hinsicht vor allem um die Verfügbarkeit von Obst (mit der die Gruppengröße wachsen könnte, weil mehr Tiere gleichzeitig essen können, ohne sich in die Quere zu kommen) und um die Anwesenheit fortpflanzungsbereiter Schimpansinnen.

    Dass systematische Fehler sehr wohl qualitative Ergebnisse ändern können, zeigt die Studie schön. So werden Gruppen laut Fotofallenmethode größer, wenn sie fortpflanzungsbereite Frauen umfassen; dieses Ergebnis verschwindet aber, wenn die Gruppengrößen durch direkte Beobachtungen geschätzt werden. Durch Nestzählung ist zu dieser Frage keine Aussage möglich, weil jedenfalls ohne viel Kletterei nicht herauszubekommen ist, wie es mit Geschlecht und Zykluslage der NestbauerInnen ausgesehen haben mag.

    Und auch wenn die Arbeit nicht auseinanderhalten kann, wie weit die größeren Gruppen, die sich bei Betrachtung der Nachtnester ergeben, Folge systematischer Fehler bei der Erfassung sind oder durch das Verhalten der Tiere verursacht werden: Klar ist jedenfalls, dass mensch bis auf Weiteres lieber keine Schlüsse von Nachtzählungen aufs Tagesverhalten zieht.

    Was ja auch ein schönes Ergebnis ist.

  • Steinzeit bei Schimpansen

    Foto: Krähe sitzt auf Wildschwein

    Ob diese Krähe überlegt, wie sie das Schwein lenken kann? Und wenn sie rauskriegt, wie das geht, könnte sie es ihren Kindern sagen? (Das ist übrigens im Käfertaler Wildpark)

    Auf meinem Mal-genauer-ansehen-Stapel lag schon seit der Forschung aktuell-Sendung vom 25. Januar die Geschichte von den Schimpansen und den Steinen. In aller Kürze: Irgendwo in Guinea leben zwei Schimpansengruppen (-stämme?), deren eine seit vielen Jahren mit großer Selbstverständlichkeit Nüsse mit Steinen knackt, deren andere aber das noch nicht mal tut, wenn mensch ihnen Steine und Nüsse frei Haus liefert. Der Clou: die beiden Gruppen wohnen nur ein paar Kilometer voneinander entfernt.

    Ich fand diese Geschichte sehr bemerkenswert, und zwar einerseits, weil ich Schimpansen grundsätzlich für kreativ genug gehalten hätte, um bei so viel Nachhilfe schnell selbst aufs Nüsseknacken zu kommen. Krähen zum Beispiel – jedenfalls die im Handschuhsheimer Feld – werfen Nüsse aus großer Höhe auf Teerstraßen, nicht aber auf normale Erde. Na gut, das mag auch soziales Lernen gewesen sein, aber ich will eigentlich schon glauben, dass so eine Krähe da auch selbst draufkommt. Und a propos „sozial“: Wer Möwen kennt, wird wohl wie ich sicher sein, dass deren Muschelknacktechniken, wenn überhaupt, nur durch antisoziales Lernen vermittelt werden könnten.

    Wenn jedoch die Schimpansen zu vernagelt sein sollten, um rasch selbst auf die Nutzung eines Steins zum Nüsseknacken zu kommen, finde ich es andererseits fast unglaublich, dass Gruppen, die nur ein paar Kilometer voneinander entfernt leben, so wenig Austausch haben, dass sich so eine Kultur innerhalb von Jahrzehnten nicht sozusagen intertribal verbreitet. Es gehen doch immer wieder einzelne Tiere auf Wanderschaft, oder nicht?

    Ein Gedanke, der mich beim Hören ein wenig beschäftigt hat, war: Was, wenn das nicht ganz ordinäre Dummheit ist, sondern dessen verschärfte Form, nämlich Patriotismus? In seinem Buch „Collapse – how societies choose to fail or succeed“ (gibts in der Imperial Library) spekuliert Jared Diamond, die mittelalterliche Wikingerkultur auf Grönland sei untergegangen, weil ihre Mitglieder darauf bestanden haben, wie „in der Heimat“, also von Getreide und Viehzucht, zu leben und nicht, wie die Inuit, die sie garantiert beobachtet haben werden, von Fisch. Das Bauernmodell habe die gegen Ende des mittelalterlichen Klimaoptimums sinkende Temperatur einfach nicht mitgemacht.

    That [the Greenland Norse] did not hunt the ringed seals, fish, and whales which they must have seen the Inuit hunting was their own decision. The Norse starved in the presence of abundant unutilized food resources. Why did they make that decision, which from our perspective of hindsight seems suicidal?

    Actually, from the perspective of their own observations, values, and previous experience, Norse decision-making was no more suicidal than is ours today.

    Schon, weil dieser Artikel mit Wissenschaft getaggt ist, muss ich anmerken, dass Diamonds Argumente vielleicht nicht immer die stichhaltigsten sind und auch die Sache mit der Kälte zwar naheliegend, aber nicht alternativlos ist (vgl. Wissenschaft im Brennpunkt vom 14.11.2019) und wenigstens nach Zhao et al (2022), doi:10.1126/sciadv.abm4346, wegen Nicht-kälter-werden inzwischen regelrecht unplausibel wird. Und doch: Dass Kulturen Dinge aus völlig albernen Gründen tun (ich sage mal: Autos fahren und, schlimmer noch, parken) und noch mehr nicht tun (ich sage mal: Alltagsradeln), ist wahrlich nichts Neues. Was also, wenn sich die nichtknackenden Affen die Nüsse quasi vom Mund absparen, um nur sich nur ja nicht gemein zu machen mit den knackenden Affen von nebenan? Ich würde das Experiment ja gerne mal mit anderen, weiter entfernten Gruppen probieren.

    Mit solchen Gedanken habe ich die Webseite der im DLF-Beitrag zitierten Kathelijne Koops von der Uni Zürich besucht. Ein Paper zur Nussgeschichte habe ich nicht gefunden – basierte der Beitrag im Januar auf einem Preprint? einer Pressemitteilung der Uni Zürich? –, aber dafür jede Menge anderer Papers, die es direkt in meinen Mal-genauer-ansehen-Stapel schaffen: „Quantifying gaze conspicuousness: Are humans distinct from chimpanzees and bonobos?“, „Chimpanzee termite fishing etiquette“ oder, im Hinblick auf meinen Dauerbrenner „Was taugen diese Zahlen eigentlich?“ besonders reizvoll: „How to measure chimpanzee party size?“. Ich bin ganz hingerissen.

  • Globaldokumente in Libreoffice zusammenführen

    Ich hatte gerade einer armen Seele zu helfen, die drei Bücher mit Microsoft Word für Windows geschrieben hat und dazu Word-Zentraldokumente verwendet hat, vor allem wohl, weil vor 20 Jahren – als diese Projekte starteten – Word nicht mit mehreren hundert Seiten auf einmal umgehen konnte. Unbenommen, dass mensch mit Office-Software keine richtige Arbeit machen sollte: da die arme Seele auf Linux migrierte, musste der ganze Kram auf Libreoffice. Für eine Migration auf vernünftige Technologien (TeX, ReStructuredText, Docbook oder was auch immer) reichten weder meine Geduld noch der Erlösungswille der armen Seele.

    Erste Ernüchterung: Word-Zentraldokumente (wie auch Libreoffice-Globaldokumente) speichern ihre Pfade absolut: sie können also ohne Tricks nicht bewegt werden, insbesondere nicht von einem Windows-Dateisystem in ein Linux-Dateisystem. Wie so oft stellt sich die Frage, warum das mal ein wie ein gutes Design ausgesehen haben mag.

    Nach einem kurzen Blick auf das Arbeiten mit Globaldokumenten habe ich beschlossen, dass Rechner jetzt wirklich groß genug sind, um 500-seitige Dokumente im Speicher zu halten und dass der ganze Zentral- und Globaldokumentenzauber mit den begleitenden Komplikationen nicht mehr sein muss.

    Nur: Wie kopiert mensch 20, 30 solche Dateien zusammen? Was ich dazu in der verbleibenden Libreoffice-Doku (das Wiki, das das jetzt sein soll, überzeugt mich übrigens nicht) und dem weiteren Netz gefunden habe, fand ich eher… unbefriedigend – Erinnerungen an Windows-Foren („um den Sound-Treiber zu reparieren, musst du den CD-Treiber deinstallieren. Hat bei mir funktioniert“) werden da dann und wann schon wach. Deshalb dachte ich mir, es könnte nützlich sein, wenn ich auch ein paar Rezepte beitrage, auch wenn ich – Disclaimer – selbst keine Office-Software verwende und in dem Sinn selbst höchstens einäugig bin.

    Wie machte ich aus einem Satz von ODTs oder DOCs ein einziges ODT?

    1. Ein Verzeichnis anlegen und alle Filialdateien reinkopieren.

    2. Die Dateien so benennen, dass eine einfache Sortierung sie in die richtige Reihenfolge bringt (ich habe einfach 000_, 001_ usf vor die Namen gesezt).

    3. Libreoffice starten, Neu → Globaldokument.

    4. F5 drücken, um in den Navigator zu kommen, dort aufs Einfügen-Icon klicken; das poppt eine Auwahlbox auf.

    5. In dieser Auswahlbox in das Verzeichnis mit den Filialdateien gehen und diese in die Reihenfolge sortieren lassen, in der sie nachher im Dokument erscheinen sollen.

    6. Alle Dateien im Verzeichnis auswählen, z.B. durch Control-A oder per Shift-Klick, dann den Import bestätigen.

    7. Datei → Exportieren, dabei ODT als Zielformat auswählen; das ist der erste Schritt, um von der Einbettung im Globaldokument wegzukommen. Ich nenne diese Datei jetzt mal joined.odt.

    8. Das so erzeugte ODT ist leider überall schreibgeschützt, und ich habe keinen Weg gefunden, diesen Schreibschutz per Klicken wegzuzaubern, bevor ich die Geduld mit Doku, Menüs und vor allem Foren verloren habe und mit epubedit beigegangen bin (vgl. unten). Mit dem kleinen Skript dort unten könnt ihr Folgendes in einer Shell laufen lassen:

      epubedit joined.odt
      sed -ie 's/text:protected="[^"]*"//g' content.xml
      

      (ihr könnt natürlich auch mit einem Editor oder gar mit dem hervorragenden xmlstarlet die ganzen text:protected-Attribute löschen)[1]. Geht dann aus der Shell vom epubedit wieder raus; das schreibt joined.odt neu.

    9. Das neue joined.odt in libreoffice öffnen.

    10. Bearbeiten → Verknüpfungen, wieder alle Auswählen (^A), und dann den Lösen-Knopf drücken.

    Das Ergebnis dieser Prozedur ist ein zusammenhängendes „Dokument“ (wenn mensch keine großen Ansprüche an Dokumente hat).

    Zumindest in meinem Fall fing damit die Arbeit allerdings erst an, weil jedes Filialdokument eigene und verrückte Absatzvorlagen hatte. Ich schreibe gleich, wie ich das aufgeräumt habe, aber zunächst müsen wir geschwind über das erwähnte epubedit reden.

    epubedit

    Was Open Document-Dateien tatsächlich etwas angenehmer im Umgang macht als einige andere Office-Dateien, die ich hier erwähnen könnte, ist, dass sie eigentlich nur zip-Archive sind, in denen von für sich nicht unvernünftigen Standards (z.B. XML und CSS) beschriebene Textdateien leben. Das hat mir beispielsweise den obigen Trick mit der Ersetzung der text:protected-Attribute erlaubt.

    Diese Architektur haben sie mit Ebooks im epub-Format gemein, und um an denen geschwind mal kleine Korrekturen vorzunehmen, habe ich mir vor Jahren ein kleines Shell-Skript geschrieben:

    #!/bin/bash
    
    if [ $# -ne 1 ]; then
            echo "Usage: $0 <epub> -- unpack an epub, open a shell, pack it again."
            exit 0
    fi
    
    workdir=$(mktemp -d /tmp/workXXXXXX)
    
    cleanup() {
            rm -rf $workdir
    }
    trap cleanup EXIT
    if [ ! -f  "$1".bak ]; then
            cp -a "$1" "$1".bak
    fi
    
    unzip "$1" -d $workdir
    (cd $workdir; bash)
    fullpath=$(pwd)/"$1"
    
    cd $workdir
    zip -r "$fullpath" *
    

    Nehmt das und legt es als – sagen wir – epubedit irgendwo in euren Pfad und macht es ausführbar. Ihr könnt dann für irgendein epub oder odt epubedit datei.odt sagen und landet in einer Shell, die im Wurzelverzeichnis des jeweiligen ZIP-Archivs läuft. Dort könnt ihr nach Herzenslust editieren – bei ODTs ist der Inhalt in content.xml –, und wenn ihr fertig seid, beendet ihr die Shell und habt ein entsprechend verändertes ODT oder epub.

    Weil dabei gerne mal was schief geht, legt das Skript ein Backup der Originaldatei an (es sei denn, es gäbe schon so ein Backup; die Erfahrung zeigt, dass mensch in der Regel lieber das ursprüngliche Backup behalten will…).

    Stilfragen

    Nun ist das vereinte Dokument zwar immerhin nur noch eine einzige Datei, die zudem – wow! – auch bewegt werden kann. Zumindest mit der Genese in meinem Fall, also den vielen Einzel-Word-Dateien, ist sie trotzdem kaum brauchbar, weil Word einige hundert Formatvorlagen erzeugt hat, meist mit so nützlichen Namen wie Formatvorlage_20_16_20_pt_20_Block_20_Erste_20_Zeile_3a__20__20_05_20_cm_20_Zchn oder Fußnotentext1_20_Zchn oder auch apple-converted-space. Dieses Problem ist schlimm, und ich habe schließlich eingesehen, dass es ohne ein kleines Programm und einige Handarbeit nicht lösbar ist.

    Das Programm hat am Anfang nur Stilnamen aus dem Dokument rausgeprökelt und auf die Standardausgabe gelegt. Inzwischen ist das zu einer Basis für eine Abbildungsdatei geworden, und auch für die Abbildung als solche haben reguläre Ausdrücke noch gereicht. Wegen der Abhängigkeiten der Stile untereinander blieb jedoch immer noch jede Menge Mist in der Liste der verwendeten Stile zurück. Deshalb musste ich schließlich doch noch ordentliche XML-Verarbeitung anwerfen, um die styles.xml umzufummeln. Das Ergebnis ist das Programm defuse-libreoffice-style.py. Wenn ihr dieses Programm für die Dauer der Verarbeitung in euer Homeverzeichnis legt, würdet ihr die Stile wie folgt vereinheitlichen:

    1. epubedit joined.odt; alles Weitere passiert in der Shell, die das öffnet.

    2. python3 ~/defuse_libreoffice-style.py > ~/style-map.txt – wenn ihr das Skript nicht in eurem Home lagert, müsst ihr diesen Pfad anpassen. Und ich lege die Stil-Abbildung ins Home und nicht ins aktuelle Verzeichnis, damit die Abbildung (die recht viel Arbeit ist) nicht gleich verloren ist, wenn ihr die Shell verlasst. Ich jedenfalls habe besonders beim ersten Mal ein paar Anläufe gebraucht, bis das Mapping gut gepasst hat.

    3. Editiert die Datei ~/style-map.txt mit einem Texteditor (also auf keinen Fall mit libreoffice selbst). Da drin stehen Zeilen wie:

      Footnote_20_Symbol -> Footnote_20_Symbol
      

      – in meinem Fall ungefähr 200 davon. Die Aufgabe ist jetzt, die rechten Seiten dieser Zeilen auf eine Handvoll Stile runterzubringen (Textkörper, Überschrift_1, Überschrift_2, Zitat, Fußnotenzeichen und Fußnote waren mein Minimum); die Zeile oben habe ich zum Beispiel zu:

      Footnote_20_Symbol -> Fußnotenzeichen
      

      gemacht. Es ist nicht immer einfach, herauszukriegen, was wohl eine Vorlage mal tun sollte; meist hat Word aber doch einen gewissen Hinweis darauf im Namen hinterlassen.

    4. Wenn die Abbildung fertig ist, lasst das Python-Skript nochmal laufen; wenn es nämlich ein Argument bekommt, interpretiert es das als Abbildung und passt sowohl content.xml als auch style.xml entsprechend an:

      python3 ~/defuse_libreoffice-style.py ~/style-map.txt
      
    5. Um zu sehen, welche Stile noch übrig sind, könnt ihr das Skript ein weiteres Mal ohne Argumente laufen lassen; das gibt dann die noch vorhandenen Stile ins Terminal aus:

      python3 ~/defuse_libreoffice-style.py
      

      Wenn noch was dabei ist, das nicht übrig bleiben soll, könnt ihr style-map.txt anpassen und Schritt (4) nochmal laufen lassen (oder nochmal vom Backup des ODT anfangen).

    6. Verlasst zum Abschluss die Shell vom epubedit und guckt im libreoffice nach, ob alles geklappt hat. Libreoffice erzählt wahrscheinlich, dass das Dokument beschädigt sei (aber nicht genauer, was eigentlich; hier rächt sich, dass ich die Open Document-Standards nicht gelesen und stattdessen einfach munter drauflosgehackt habe). Das, was es zur Reparatur unternimmt, hat aber bei mir immer gut funktioniert – insofern: Nur Mut.

    Und für den Fall, dass jemand in den Python-Code reinguckt: Nein, auch wenn der StyleSanitiser immerhin ordentlich XML bearbeitet (im Gegensatz zu dem RE-Hacks von oben), ist das immer noch nicht Open Document-allgemein, denn ich habe die spezifische Wahl des text:-Präfix von Libreoffice darin hart kodiert, was sich für „richtige“ Software nicht gehören würde. Aber SAX mit richtigen Namespaces macht keinen Spaß, und ich rechne erstmal nicht damit, dass dieser Code je mit ODTs laufen wird, die nicht von Libreoffice kommen.

    Und die Stichworte?

    Die Bücher hatten auch je ein Stichwortverzeichnis. Bei einem Dokument hat das gut funktioniert, bei den anderen standen im Verzeichnis ein paar ordentliche Begriffe, ein paar Begriffe mit sinnlosen typografischen Anführungszeichen und ganz viele Einträge für das leere Wort. Ich habe keine Ahnung, wie es dazu kam.

    Bei der Reparatur hilft erneut der Umstand, dass ODT im Kern ein nicht ganz unvernünftiges XML ist. Dabei sieht das Markup für ein Stichwort beispielsweise so aus:

    Karl Valentin …
  • „Sackgasse Aufrüstung“ mit Jürgen Wagner

    Modern anmutendes Plakat: "Gold gab ich zur Wehr, Eisen nahm ich zur Ehr"

    Dass auch avantgardistisch orientierte Menschen im ersten Weltkrieg die große Knochenmühle mit ihrer Kreativität unterstützten, zeigt, so finde ich, dieses im Technischen Museum Wien ausgestellte zeitgenössische Plakat. Aber dazu später.

    Gestern war Jürgen Wagner von der großartigen Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Heidelberg und hat über „Krieg gegen die Ukraine – Russlands Krieg, die westliche Rolle und die Sackgasse Aufrüstung“ referiert (Ankündigung). In einer Zeit, in der praktisch keine öffentliche Äußerung ohne Schaum vorm Mund auskommt, war der im Groben ruhige Verlauf der Veranstaltung eine sehr willkommene Abwechslng. Aber gut, es konnten auch die meisten der (praktisch durchweg grauhaarigen) Anwesenden mit gutem Gewissen sagen: Wir waren gegen die Angriffskriege gegen Serbien, Afghanistan, den Irak, Libyen oder Efrîn auf der Straße – klar sind wir auch gegen den Angriff auf die Ukraine auf der Straße. Wer so viel Routine hat bei der Empörung gegen das staatliche Töten, hat vielleicht wirklich bessere Voraussetzungen, allzu überschäumender Erregung zu entgehen.

    Ich nehme ich an, dass Jürgens Online-Vortrag vom 28.3.2022 ziemlich genau dem entspricht, was er gestern erzählt hat, und so empfehle ich das jetzt mal ungesehen. Lohnend ist das unter anderem, weil Jürgen recht überzeugend eines der hässlicheren Narrative der letzten paar Wochen zerlegt: Dass es nämlich eine Appeasement-Politik gegeben habe und diese gescheitert sei, weshalb nun die Aufrüstung (und in der Konsequenz das Niederringen und -werfen des Feindes) alternativlos sei.

    Es hat seit 1990 keine „Appeasement“-Politik gegeben.

    Beide Teile dieses Narrativs sind Quatsch. Es hat nämlich schon mal keine Appeasement-Politik gegeben. Mal ganz davon abgesehen, dass eine Diffamierung von Entspannungs- und Kompromisspolitik als „Appeasement“ (und damit des Feindes als „Hitler“) an sich schon stark nach übler Demagogie schmeckt: „Der Westen“ hat seit der Niederlage der Sowjetunion konsequent die berühmten „roten Linien“ seiner (nicht nur russischen) Feinde überschritten und hat entsprechende Signale von diesen nonchalant ignoriert. Wer nicht Video gucken will, findet auch auf der Ukraine-Seite der IMI viel Material zu diesem Thema.

    Diese Frage ist durchaus relevant, denn: Zur Abwechslung mal nicht blind die eigenen nationalen Interessen durchsetzen wäre durchaus ein Modell für eine antiapokalyptische Außenpolitik nach dem jüngsten Krieg in Europa, gerade auch im Hinblick auf ein Einbremsen der zahlreichen vergleichbaren Gemetzel im globalen Süden.

    Was im Übrigen vom Appeasement-Narrativ zu halten ist, zeigt die Entwicklung der deutschen Kriegskasse:

    Seit der Eskalation um das Assoziationsabkommen der EU mit der Ukraine stieg das Budget der Bundeswehr von 32,5 Mrd. Euro (2014) auf 46,9 Mrd. (2021) steil an – und das sind nur die offiziellen Zahlen, hinter denen sich noch einmal etliche Milliarden versteckte Militärausgaben verbergen (siehe IMI-Standpunkt 2019/058).

    Jürgen Wagner am 28.2.

    An gleicher Stelle macht Jürgen auch einen weiteren Punkt aus dem Vortrag gestern, und zwar einen, der eigentlich allem Aufrüstungsgerede ohnehin sofort den Boden entziehen sollte:

    Die NATO-Militärausgaben sind also heute bereits rund 18mal höher als die Russlands. Augenscheinlich haben die militärischen Ausgabensteigerungen bislang in keiner Weise zu mehr Sicherheit geführt, wie derzeit leider offensichtlich wird.

    Wer also immer meint, jetzt als Folge der Empörung über Putins Töten die „eigenen“ Fähigkeiten zum Töten ausbauen zu sollen, dürfen oder müssen, sollte besser glaubhafte Geschichten liefern, wie genau der russische Angriff auf die Ukraine nicht stattgefunden hätte, wenn „wir“, sagen wir, 20-mal mehr oder 30-mal mehr oder 100-mal mehr als „die Russen“ fürs Töten ausgegeben hätten. Szenarien, die mehr als 100-mal mehr fürs Militär ausgeben wollen als Russland, gelten nicht, denn das würde wahrscheinlich selbst unsere Volkswirtschaften überlasten, von den verheerenden Wirkungen auf den Rest der Welt ganz zu schweigen.

    Allerdings dreht sich die Spirale logisch und moralisch fragwürdiger Erzählungen im patriotischen Taumel weiter und lässt die behaupteten Sachzwänge der Tötungsmittelspirale inzwischen hinter sich.

    Die Auszeichnungen für das aktuell krummste „Argument“ muss wohl an Dominic Johnson gehen, der gestern in der taz in einem Kommentar mit dem eigenartig selbstbezüglichen Titel „Putins verquere Logik“ ein Aufrüstungsargument versucht, das, nun, verquer ist:

    Vielleicht hofft der russische Präsident, dass im Westen die üblichen Mahner weiter davor warnen, Russland zu „provozieren“ – so als ob Russland nicht schon unprovoziert schlimm genug agiert. Zu befürchten ist aber eher, dass diese Entwicklung gewollt ist. Putin zeichnet gegenüber dem russischen Volk ein Zerrbild des Westens als aggressive Kraft, die die russische Zivilisation im Namen der europäischen Liberalität zerstören will. Mit seiner Gewalt will er jetzt den Westen dazu bringen, diesem Zerrbild zu entsprechen – damit Russland als Führungsnation eines aggressiven „Antiwestens“ auftreten kann. Die Ukraine ist dafür Putins Fußabtreter.

    Gerade deswegen aber ist der Kurs, die Nato zu stärken, richtig und alternativlos.

    Kurz: „Unsere Aufrüstung ist gut für Putin. Lasst uns mehr aufrüsten!“ Und ich dachte, „wir“ sollten „Putin stoppen“?

    Vielleicht missverstehe ich Johnson aber auch. Ich komme ja schon bei der konventionelleren Begeisterung für Waffen und HeldInnen nicht recht mit, etwa wenn heute morgen in der DLF-Presseschau der Vorwurf des Münchner Merkurs wiederholt wurde:

    Schwere Waffen [...] will der Kanzler den heldenhaft gegen Putins Vernichtungsarmee kämpfenden Ukrainern weiterhin nicht liefern.

    Woher kommt so eine Denke, so eine Schreibe bei Leuten, die doch vor gerade mal acht Jahren mit einer Haltung von „bedauernswerte, verwirrte Schlafwandler” dem Kriegsgejubel und -kreditieren von 1914 gedacht haben?

    Wenn wir uns heute empören dürfen, jeden Kompromiss und jede Verhandlung ablehnen, dann durften es die Kaiser, Zaren, Könige und Präsidenten damals auch. Nicht vergessen: Die Zaren, Könige und Präsidenten waren mit Terroristen im Bund, die die geliebte Thronfolgerin für erhebliche Teile der heutigen Ukraine feige und brutal ermordet haben – von den imperialen Politiken überall in der Welt, die uns von unserem verdienten Platz an der Sonne fernhalten, mal ganz zu schweigen.

    Die Kaiser wiederum haben furchtbare Massaker bei ihren eigenen imperialen Abenteuern angerichtet und hielten große Teile ihrer Bevölkerung in bitterer Armut, während sie selbst in Saus und Braus lebten. Klar, dass das die Könige, Präsidenten und Zaren nicht hinnehmen konnten.

    Bullshit? Jaklar. Aber warum hören dann so viele Menschen bis hinein in die Linkspartei – für die ja der Burgfrieden quasi der Gründungsmythos ist – den heutigen Varianten solcher Erzählungen zu?

  • Von Geburtstagen und /etc/papersize

    Ich bin ein stiller Fan des Debian-Pakets installation-birthday. Das hat mir vorhin eine Mail geschrieben:

    Date: Mon, 11 Apr 2022 11:04:11 +0200
    From: Anacron <root@hostname-withheld>
    To: root@hostname-withheld
    Subject: Anacron job 'cron.daily' on hostname-withheld
    
    /etc/cron.daily/installation-birthday:
    
                      0   0
                      |   |
                  ____|___|____
               0  |~ ~ ~ ~ ~ ~|   0
               |  |           |   |
            ___|__|___________|___|__
            |/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/|
        0   |       H a p p y       |   0
        |   |/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/|   |
       _|___|_______________________|___|__
      |/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/\/|
      |                                   |
      |         B i r t h d a y! ! !      |
      | ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ |
      |___________________________________|
    
    
    Congratulations, your Debian system "hostname-withheld" was installed
    15 year(s) ago today!
    
    
    Best wishes,
    
    Your local system administrator
    

    Oh wow. So ein glatter Geburtstag ist doch eigentlich ein Grund zu feiern.

    Er ist aber auch ein Grund zum Nachdenken. Irgendwas kann da nicht stimmen. Bevor meine Haupt-Arbeitsmaschine (deren Filesystem so etwa aus dem Jahr 1996 stammt) ein Debian-System wurde, habe ich das selbst gestrickt und gebaut. Das habe ich mir 2007 ganz sicher nicht mehr angetan, denn die Zahl der auf einem durchschnittlichen Desktop-Linux verbauten Zeilen und irgendwie zusammenzufummelnden Komponenten war schon ein paar Jahre vorher deutlich jenseits meiner persönlichen Schmerzgrenze. Was aber ist dann 2007 passiert?

    Nun: wozu gibt es die Quellen? Im Fall von installation-birthday führt ein schneller Blick in die cron-Datei, die in der Mail erwähnt ist, auf ein Python-Skript, das das Installations-Datum berechnet als:

    for candidate in self.gen_installation_datetimes():
      # Use the oldest mtime we can find
      if dt is None or candidate < dt:
        self.log.debug("Preferring %s over %s", candidate, dt)
        dt = candidate
    

    gen_installation_datetime nun geht durch die Timestamps des Root-Filesystems, von /var/log/installer (gibts bei mir nicht), /var/log/bootstrap.log (auch nicht), /var/lib/vim (da kommt das Datum her und reflektiert so wohl eher irgendein Datum in der Entwicklung des Pakets, wahrscheinlich die Einführung formaler Addons), /root und /etc/machine-id (diese Datei ist von 2014, und eine kurze Recherche zeigt: Da habe ich zum ersten Mal versucht, mich mit systemd anzufreunden).

    So romatisch es ist, mein Systemalter anhand von vi-Hilfsdateien zu schätzen: Das will ich schon anders haben. Wie aber bekomme ich das Migrationsdatum raus?

    In meinem Dateisystem sind noch viele Dateien, die auf das selbstgestrickte Linux zurückgehen (und weitere, die von noch älteren Maschinen stammen, aber die beschränken sich auf /home), ich kann also nicht einfach nur die älteste Datei suchen. Es gibt aber eine interessante Häufung von Timestamps in /etc/ am 7. Juli 2005, darunter adduser.conf und papersize, die sehr nach etwas klingen, das Debian beim Überbügeln des Selbstbausystems angelegt haben könnte.

    Umgekehrt gibts davor eigentlich nichts, das irgendwie nach Debian aussieht; der Timestamp von /etc/papersize wird es dann wohl sein.

    Jetzt wollte ich es genauer wissen, und weil ich zu faul bin, aus der ls-Manpage oder sonstwoher rauszupopeln, wie ich ohne Code an die Uhrzeit der letzten Änderung herankomme, muss es ein Python-Einzeiler tun (ja, sowas gibts):

    $ python -c "import os, datetime; print(datetime.datetime.utcfromtimestamp(os.path.getmtime('papersize')))
    2005-07-07 12:48:37
    

    Also: am Donnerstag, 7.7.2005, so gegen drei am Nachmittag, habe ich offenbar meine Arbeitsmaschine auf Debian umgestelt. Uiuiui. Dass ich das Selbstbauen doch so lange durchgehalten habe, hatte ich gar nicht mehr in Erinnerung.

    Damit in Zukunft installation-birthday das richtige Datum nimmt, habe ich gerade noch:

    $ sudo touch -r /etc/papersize /var/log/installer
    

    gesagt. Damit gibt es ein /var/log/installer mit dem Timestamp von /etc/papersize, das jetzt installation-birthday das richtige Signal gibt:

    $ installation-birthday --verbosity 1
    I: Installation date: 2005-07-07
    

    Ich freue mich schon auf den 7.7. Das ist übrigens in diesem Jahr, wie schon 2005, wieder ein Donnerstag.

  • A Feedback Form in Pelican

    I realise that the great days of discussions on blogs are over, as Sam Hartman blogged the other day – at least for now. Still, I'd like to make it somewhat more straightforward to send me feedback on the posts here than having to get the contact address and dropping me a mail. Hence, I've written a little Python script, feedback, that lets people comment from within their web browsers.

    Nachtrag (2022-10-07)

    Don't take it from here; rather, see https://codeberg.org/AnselmF/pelican-ext

    While the script itself is perfectly general and ought to work with any static blog engine, the form template I give in the module docstring is geared towards pelican and jinja, although only in very few places.

    To make it work, this needs to become a CGI (the template assumes it will show up in /bin/feedback according to the server configuration). The notes on deployment from my post on the search engine apply here, too, except that in addition the host has to be able to deliver mail. Most Unix boxes do locally, but whether anyone reads such mail is a different question.

    Is it ethical to check “ok to publish” by default?

    To configure where it sends mail to (by default, that's root, which may make sense if you have your own VM), you can set the CONTACT_ADDRESS environment variable (see the search engine post in case you're unsure how to do that for a web context). If your machine is set up to deliver mail to remote addresses – be it with a full mail server or using a package like nullmailer –, you could use your “normal” mail address here. In that case, you probably should inform people in your privacy policy that their comments will be sent by unencrypted mail, in particular if that “normal“ e-mail is handled by one of the usual rogues (Google still gets about a half of the mail I send – sigh).

    If you look below (or perhaps right if you run your browser full-screen), you will see that there is a checkbox “feel free to publish“ that, right now, I have checked by default. I had some doubts about that in terms of creepy antipatterns. Of course I am as annoyed by most contemporary cookie banners as anyone else, which in violation of the GDPR usually have practical defaults – sure: not what you get when you say “configure” – set at the maximum creep level the operators believe they can get away with. On the other hand, defaults should also be expectable, and I'd guess the expectation when someone fills out a reply form on a blog is that the response will be published with the article. If you disagree: well, the comment form is there for you.

    In terms of spam protection, I do an incredibly dumb textcha. Even if this script got deployed to a few dozen sites (which of course would be charming), I cannot see some spam engine bothering to figure it out; since it just sends a mail to the operator, there is basically nothing to be gained from spamming using the CGI. I fully expect this will be enough to keep out the dumb spambots that blindly send whatever forms they can find – it has worked on many similar services.

    Security Considerations

    The feedback script does at least two things that could be exploited:

    1. It enters remotely controlled values into rendered HTML and
    2. It calls a local binary with content controlled by the remote user.

    In case (1) – that's when I put the URI of the originating article into the reply message to send people back to where they came from –, this can potentially be exploited in cross-site attacks. Suppose you trust my site on only execute benign javascript (I give you that's close to an oxymoron these days), someone could trick you into clicking on a link that goes to my site but executes their, presumably adversarial, javascript.

    Bugs aside, the script is resilient against that, as it properly escapes any user input that gets copied into the output. That is thanks to my “micro templating“ that I keep around to paste into such one-script wonders. Have a look into the code if you're interested in how that works. And totally feel free to paste that into any Python code producing HTML or XML templated in any way – sure, it's not jinja or stan, but it has covered 80% of my templating needs at much less than 20% of the effort (counted in code lines of whatever dependency you'd pull in otherwise), which is a good deal in my book.

    Case (2) is probably a lot more interesting. In the evaluate_form function, I am doing:

    mail_text = MAIL_TEMPLATE.format(**locals())
    

    Code like this usually is reason for alarm, as far too many text formats can be used to execute code or cause other havoc – the cross-site thing I've discussed for HTML above being one example, the totally bizarre Excel CSV import exploit another (where I really cannot see how this doesn't immediately bring every Windows machine on this planet to a grinding halt). In this case, people could for example insert \ncc: victim@address into anything that gets into headers naively and turn the form into a spam engine.

    There are exactly 10000 lines if Python's email module in version 3.9.

    In addition, there is a concrete risk creating some way of locally executing code, as the template being filled out is then used as an input for a local program – in this case, whatever you use as sendmail. In theory, I'm pretty sure this is not a problem here, as no user-controlled input goes into the headers. If you change this, either sanitise the input, probably by clamping everything down to printable ASCII and normalising whitespace, or by parsing them yourself. The message content, on the other hand, gets properly MIME-encapsulated. In practice, I can't say I trust Python's email package too much, as by Python stdlib standards, it feels not terribly mature and is probably less widely used than one may think.

    But that's a risk I'm willing to take; even if someone spots a problem in the email module, shodan or a similar service still has no way to automatically figure out that it is in use in this form, and my page's insignificance makes it extremely unlikely that someone will do a targeted attack on day 0. Or even day 10.

    But then, perhaps this is a good occasion to read through email's source code? Fun fact: in python 3.9, a find . -name "*.py" | xargs wc -l gives exactly 10000 lines. And my instinct that headers are the trickiest part is probably right, too: 3003 of those are in _header_value_parser.py.

  • Ach Bahn, Teil 3: Ade, du schöne Lounge

    Heute morgen habe ich eine Mail bekommen, die ich zunächst für einen besonders dreisten 419 scam gehalten habe. Doch nein, der Absender und die Received-Header sahen alle glaubhaft aus. Die Bahn hat mir wirklich mitgeteilt:

    Um Ihre BahnBonus Statusvorteile nutzen zu können, ist ab dem 13.06.2022 die BahnBonus App erforderlich.

    und in den „FAQ“ (ich wette, dass einen ganzen Haufen davon nie ein realer Mensch gefragt hat, mal ganz zu schweigen von „frequently“) steht tatsächlich:

    Warum gibt es ab Einführung der Statuslevel die meisten Statusvorteile nur in der BahnBonus App?

    Der Wunsch nach digitalen Lösungen ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Die Änderungen ab 13.06.2022 werden diesem Wunsch gerecht, weswegen die Prozesse alle rein digital umgesetzt werden.

    Wie? Weil der „Wunsch nach digitalen Lösungen“ (vgl. Antisprache Digitalisierung) zugenommen hat, zwingt die Bahn Leuten „Smartphones“ auf? Leute haben gewünscht, dass sie noch mehr Zirkus machen müssen an den Lounge-Eingangskontrollen? Ich glaube kein Wort und rufe die Antisprache Innovation auf.

    Und, natürlich:

    Mit welchen Betriebssystemen kann die BahnBonus App genutzt werden?

    Bei iOS erfordert die BahnBonus App Version 14.0 oder höher. Bei Android erfordert die BahnBonus App aktuell Version 8.0 oder höher und ab Einführung der BahnBonus Statuslevel im Juni Version 9.0 oder höher.

    Nun ist die Teilnahme an Kundenbindungsprogrammen nichts, dessen mensch sich gerne bezichtigt und das vielleicht auch nicht ganz verträglich ist mit Bedenken bezüglich informationeller Selbstbestimmung. Bahn-Bonus, das will ich hier ganz schnell betonen, war meine einzige Sünde in dem Bereich[1]. Und ja, es ist ohnehin nicht sonderlich nett, in Lounges Kakao zu schlürfen, während die ungewaschenen Massen draußen am Bahnsteig frieren. Insofern will ich hier keine große Moral aufmachen.

    I like both kinds of operating systems: the one where Apple is root and the one where Google is root.

    Dennoch war ich immer gerne in den Lounges, schon, weil ich in keiner anderen Kategorie von Raum so oft zufällig auf Bekannte gestoßen bin. Auch wenn das wegen der kompromittierenden Natur des Eingeständnisses, dass mensch bei der Datensammelei Bahn-Comfort mitmacht, nicht immer ganz unbeschwert war, weine ich diesen Dingern schon eine Träne oder zwei nach. Und drum habe ich, auch wenn ich immer noch auf eine sinnvolle Antwort zu meiner Anfrage zu Captchas an die Bahn vom letzten Jahr warte, nochmal eine Mail an die Bahn-Kundenbetreuung geschickt:

    Date: Tue, 5 Apr 2022 08:31:05 +0200
    Subject: Charmeoffensive

    Hallo,

    Ich denke mal, Sie werden heute viele Mails dieser Art bekommen, aber ich denke, es kann nicht oft genug gesagt werden: Dass in Zukunft der Deal "Daten gegen Dienste" mit entweder Apple oder Google nötig sein soll, um in die Lounges zu kommen, ist sicher keine Charmeoffensive der Bahn, zumal im Hinblick darauf, dass VielfahrerInnen wahrscheinlich eher datenschutzbewusster sind als die Durchschnittsbevölkerung.

    Können Sie nicht wenigstens den Quellcode der "App" veröffentlichen, so dass Leute den Kram auch auf normale Rechner portieren können? Oder, wenn das eh nur eine dünner Lack über eine API sein sollte, das Zeug auch als normale Webseite anbieten?

    Schon etwas fassungslos,

    Ich weiß nicht, was die Bahn antworten wird (aber schon, was nicht: den tatsächlichen Grund dieses Stunts – während Corona waren die Lounges doch immer leer?), aber nach meinen bisherigen Erfahrungen kann ich zuversichtlich vorhersagen, mit was die text/plain-Alternative der Mail anfangen wird. Nämlich:

    -webkit-box-shadow: 0px 4px 8px #828282; /*webkit browser
    */-moz-box-shadow: 0px 4px 8px #828282; /*firefox */box-shadow: 0px 4px
    8px #828282;line-height:1.15;width:467.700pt; padding:0pt 42.550pt 0pt
    85.050pt ; background-color: #FFFFFF; margin:auto.header{
    padding-top:36.000pt ;}.footer{ padding-bottom:31.200pt ;}.page-content{
    position:relative;padding-top: 62.650pt ;padding-bottom: 70.900pt
    ;min-height:708.350pt; ;}del {text-decoration:line-through;color:red;}
    ins {text-decoration:none;} .Hyperlink-H{color:#0000FF;}
    

    Und noch viele Zeilen weiter so. Das ist übrigens schon seit Jahren in dieser Weise kaputt. Besonders mysteriös finde ich dabei ja, warum in diesem CSS-dump ausgerechnet eine Regel für das del-Element enthalten ist, dem ich, so glaube ich, in der Wildnis noch nie begegnet bin. Rätsel über Rätsel bei der Bahn.

    Nachtrag (2022-04-06)

    Ha! Ich hatte recht. Zur Illustration des Ausmaßes an Murks empfehle ich einen Blick auf den ganzen text/plain-Anhang des Bahn-Supports (scrollt ein Stück nach unten, da kommt wirklich auch etwas Nicht-CSS, wenn auch sehr kreativ geklebt).

    Ich habe kurz überlegt, ob ich das vielleicht nicht öffentlich machen sollte, weil es ja erstmal eine private Mail ist. Aber dann ist mir aufgefallen, dass da überhaupt nichts Privates drinsteht. Die Bahn ist ja auf keinen meiner Punkte eingegangen und hat nur „F“AQ-Punkte zusammengeklickt. Und eine Urheberrechtsverletzung kommt schon wegen mangelnder Schöpfungshöhe nicht in Frage.

    Hinweis an der Stelle: Haufenweise Plastik ließe sich wunderbar vermeiden, wenn der Quellcode offen wäre und damit die Menschen nicht unbedingt Betriebssysteme bräuchten, die auf ihrer aktuellen Hardware gar nicht laufen. Aber wem predige ich das?

    Die Antwort: 030 2970, wie in der Mail empfohlen. Oder eher: ich habe das gerade versucht, mitsamt einer Erörterung meines Captcha-Problems. Tatsächlich habe ich nach etwas Interaktion mit einem Computer und nur zwei Minuten Warteschleifenmusik einen Menschen am Telefon gehabt. Dieser war hörbar glücklich, „Ich schicke Sie mal kurz in die Mobilitätsabteilung“ seufzen zu können. Mit der Mitarbeiterin dort hatte ich dann jede Menge Mitleid, weil sie mir in keinem meiner Anliegen auch nur einen Millimeter weit helfen konnte, während ich mit ihrem mehrfachen Angebot, mich im Umgang mit dem DB-Navigator zu schulen, schon deshalb nichts anfangen konnte, weil dieser auf keinem meiner Rechner läuft (von meiner Abneigung gegen unpaketierte Software mal ganz abgesehen).

    Überrascht war ich über diesen Ausgang natürlich nicht. Aber wenn ich hier schon so wohlfeiles wie berechtigtes Bahn-Bashing betreibe, wollte ich es wenigstens versucht haben.

    [1]Also gut, wenn ich schon beichte, dann gleich richtig: ich habe auch mal versucht, hinreichend Schnipsel von Samba-Deckeln zu sammeln, um ein Schneidbrett mit Rapunzel-Logo zu bekommen. Das hat aber leider nicht geklappt.
  • Erfolgskriterien

    Eine regelmäßige Leserin dieser Seiten hat mir zur Frage, wie sich im Augenblick Menschenleben gegen nationale Größe vergleichen eine Collage aus der taz vom 22. März geschickt. Da sie die sich aus dieser Abwägung ergebenden Maßstäbe für Erfolg schön beleuchtet, gebe ich das Dokument hier gerne weiter

  • View with Netsurf

    A screenshot of a browser window

    An early version of this post rendered in netsurf.

    I believe about the worst threat to software freedom these days is web browsers. That is not only because they already are, for many people out there, a more relevant applications platform than their primary operating system, and that almost everything that gets run in them is extremely non-Free software. I've been linking to a discussion of this problem from these pages since this blog's day one as part of my quip on “best viewed with javascript disabled“.

    No, they are also a threat because the “major” browser engines are so humunguous that they are in effect locking out most platforms (which simply don't have enough power to run them). And they are because the sheer size and complexity of their code bases make it essentially impossible for an individual to fix almost any relevant bug in them related to rendering, javascript execution, or network interactions.

    That is why I am so grateful to the authors and maintainers of both dillo (Debian: dillo) and netsurf (Debian: netsurf-gtk, mainly), small browsers with maintainable code bases. While dillo is really basic and is missing so much of CSS and modern HTML that on today's web even many non-adversarial sites become barely usable, netsurf is usually just fine for websites respecting user rights.

    Flex layouts and the article elements: The good part of 20 years of web development after the Web 1.0.

    I have to admit I nevertheless only use it in very specific contexts, mostly because luakit with its vi-like key bindings and lua extensiblity in the end usually wins out even though I don't trust the webkit rendering engine for two cents[1]. And that is why I hadn't noticed that this blog has rendered a lot worse than it should have in netsurf. This is particularly shameful because that was mostly because I have taken liberties with web standards that I should not have taken. Apologies: Netsurf was right and I was wrong.

    I have improved that quite a bit this morning. Given I am using flex layouts quite liberally here, and these don't work in Debian stable's netsurf, the rendered pages do look quite a bit different in netsurf than on the “major” browsers. But the fallbacks are ok as far as I am concerned. Since flex layouts are among the few “innovations“ in the post-Web 1.0 ecosystem that are actually a good idea, I gladly accept these fallbacks. Let me stress again that it is a feature of a friendly web rather than a bug that pages look different in different user agents.

    Dillo, regrettably, is another matter because of the stupid^Wunderconsidered colour games I'm playing here. As things are right now, the light background below text like this one sits on an HTML5 article element, which dillo ignores. Hence, the text is black on dark green, which, well, may be barely readable but really is deeply sub-optimal. Since I consider the article element and its brethren real progress in terms of markup (the other positive “innovation” post Web-1.0), I will not change that markup just to make this render better in dillo. I may finally re-think the silly dark green background soon-ish, though.

    [1]If you feel like this, too, let's team up and massage luakit's front end to work with netsurf's rendering engine. Given the close entanglement of luakit with the webkitgtk API, this certainly will result in a very different program, and almost certainly there would be no way to re-use luakit extensions. Still, I could very well see such a thing become my main browser.
  • Filmtipp: Z

    Filmstill: Französischer Text vor Fernschreiber

    Spoiler: Am Schluss des verbietet das Militär all diese Dinge: Die Beatles und Beckett ebenso wie „Gorki (und alle Russen)“ und „die Friedensbewegung“. Rechte: Valoria Films und andere.

    Als diverse Innenminister neulich verkündeten, den Buchstaben Z jenen verbieten zu wollen, die die falsche Geschmacksrichtung des Patriotismus bevorzugen, ging im Fediverse der Film Z – Anatomie eines politischen Mordes herum. Nun muss ich sagen, dass Patriotismus jeder Geschmacksrichtung mein entschlossenes Eintreten für die Redefreiheit schon etwas herausfordert, um so mehr, wenn er sich auf kriegsführende Parteien bezieht. Andererseits ist der Gedanke, Buchstaben in Abhängigkeit der Gesinnung der Schreibenden verbieten zu wollen, schon besonders wüst, und drum bin ich dem Filmtipp gefolgt (via dem youtube-Anonymisierer invidious).

    Und was soll ich sagen: Ich war hingerissen. Der Film entstand unter dem Eindruck der griechischen Militärregierung (1967-1974) im Wesentlichen unter exilgriechischen KünstlerInnen in Frankreich (die Musik etwa hat der kürzlich verstorbene Mikis Theodorakis beigesteuert), unterstützt von Großkulturellen wie Jorge Semprún und Superstars wie Yves Montand. Es ging – „Eventuelle Ähnlichkeiten zu wirklichen Ereignissen oder lebenden oder toten Personen sind nicht rein zufällig. Sie sind Absicht.“ – um die Genese einer offen autoritären Regierung im freien Westen, unter Beteiligung einer stramm autoritären Polizei, einer Stay-behind-Organisation und natürlich des Militärs.

    Und so wirkt nicht nur der abschließende Satz „Gleichzeitig verboten die Militärs […] den Buchstaben Z“ eigenartig prophetisch. Es gibt zum Beispiel bemerkenswerte Schnitte vom Bolschoi-Ballett für die Würdenträger gegen Einsätze von Prügelpolizei, die geradezu visionär die Bilder des G20-Gipfels von 2017 vorwegnehmen, als nämlich die Polizei rund ums Schanzenviertel und und die „rote Zone“ wasserwerferte, pfefferte und prügelte, während sich Putin, Trump, Xi, Temer, Macri, Peña Nieto, Zuma, Abe, Erdoğan, Juncker, Widodo und all die anderen „Verantwortungsträger“ in der Elbphilharmonie beschallen ließen.

    Auch der Kontrast zwischen äußerster Indifferenz der Polizei gegenüber rechter Gewalt und raschem Einsatz von „unmittelbarem Zwang“ gegen Linke kennt jedeR, der/die in der Vor-Lübcke-Bundesrepublik im weiteren Antifa-Umfeld unterwegs war (zugegeben hat der Lübcke-Mord da zumindest vorübergehend etwas bewegt). Die dauernden Behinderungen der Ermittlungsarbeit im Film durch Verfahrenshindernisse oder überraschend verscheidende ZeugInnen geben wiederum ein Bild ab, das stark an die NSU-Aufklärung (oder ihr Unterbleiben) erinnert. Ebenfalls vertraut sind die rechten Netzwerke in Polizei und Justiz (vgl. Hannibal und Uniter), die sich unter Schlagwörtern wie „Abendland“ (das A in Pegida) versammeln .

    Ich spoilere noch etwas mehr: Der unerschrockene, wenn auch vielleicht etwas schmierige Journalist, der viel zur Aufklärung der Geschehnisse beiträgt, bekommt am Ende „drei Jahre Gefängnis wegen Besitz offizieller Dokumente“. Das zumindest ist, verglichen mit unserer Realität, eher milde. Julian Assange sitzt bereits deutlich länger, und für Edward Snowden sieht es nach lebenslänglich Russland aus, was – nein, ich bin ganz gewiss kein Putin-Fan – zumindest noch im gleichen Stadion spielt wie equadorianische Botschaften und britische Knäste.

    Schließlich will ich noch ganz kurz den Gender-Aspekt einbringen: Während damals auf der autoritären Seite ausschließlich Männer zu sehen und vor allem zu hören sind, sprechen auf der liberalen Seite immerhin vereinzelnt auch Frauen, und zwar nicht nur als für oder über ihre Männer; zumindest insofern haben wir die Welt schon etwas geändert.

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