Dann und wann können Kopfzahlen ziemlich bedrückend sein. So die
50000 Toten (genauer: 48647), die die, na ja, NGO UNITED
for Intercultural Action in ihrer Liste der der Opfer der Festung
Europa aus den Jahren zwischen 1993 und 2022 bestimmt. Das sind nur
die gut dokumentierten Fälle, und da die in die EU Einwandernden vor
allem im Mittelmeer und in den Weiten des Ostens sterben, dürften zu
ihnen zahlreiche undokumentierte Tote kommen. Nimmt mensch sehr
konservativ eine Dunkelziffer in der Größenordnung der dokumentierten
Toten an und teilt durch die 30 Jahre, ergiben sich etwas wie
3000 Tote pro Jahr in direkter Folge der
EU-Migrationskontrolle.
Zum Vergleich: an der Berliner Mauer starben, Unfälle, Grenzsoldaten und
Herzinfrakte eingeschlossen, zwischen 1961 und 1989 ungefähr 400
Menschen (vgl. Wikipedia-Artikel Mauertote). In dem Sinn könnte mensch
sagen, dass das EU-Grenzregime jedes Jahr so viele Menschen umbringt
wie sechs Berliner Mauern während ihrer ganzen
Betriebsdauer.
In meinem Job hatte ich über die letzten Jahre reichlich Gelegenheit,
mich über verschiedene Konferenzplattformen zu ärgern – und dabei gibt
es weit Schlimmeres als indico, das dank CERN die meisten Konferenzen
in meiner fachlichen Umgebung organisiert und auch schon reichlich
Gelegenheit zum Kopfschütteln gibt. Jetzt gerade muss ich mich
mit einer „Plattform“ auseinandersetzen, die mühelos den
Klick-mich-weg-Preis für die grottigste Software ihrer Klasse abräumt:
whova.com
Das fängt dort an, wo die Tagesordnungs-Links nicht etwa auf das
Programm der jeweiligen Session führen, sondern blind zu einem
eingebetteten Zoom-Widget und hört noch lange nicht auf, wo die
ProgrammiererInnen viel Mühe darauf verwenden, dass NutzerInnen die
Zoom-Raumkennung nicht rauskriegen und so sowohl den proprietären
Zoom-Scheiß und die murksigen Browser-Medien (im Gegensatz zum
immerhin halbwegs ordentlich funktionierenden nativen Client) haben. Das
Schlechteste aus allen Welten.
Aber über sowas kann ich mich normalerweise nicht mehr aufregen[1]. Zur Tastatur greifen musste ich erst, als ich
unvorsichtigerweise dem „Leaderboard“-Link in der Sidebar der Plattform
folgte. Dabei zeigte sich folgendes:
Ich habe ein wenig anonymisierend eingegriffen, weil ich
Konferenzplattformen, aber keine Konferenzen oder Personen shamen
will.
Ich wollte meinen Augen nicht trauen: Diese Plattform will die
TeilnehmerInnen mit albernen „Challenges“ und künstlichen Wettbewerben
steuern? Nur der Klarheit halber: Das ist eine Konferenz mit lauter
MoverInnen und ShakerInnen aus dem Wissenschaftsbetrieb, die endlos
„Strategien“, „Nachhaltigkeit“ und, görks, „Innovation“ durchquirlen
können. Solche Leute sollen wegen Fleißbienchen ihr Verhalten ändern?
Tun die das am Ende gar?
Wenn ich das richtig verstanden habe, werden folgende Dinge belohnt:
Add a topic or social group (20000 Punkte)
Suggest meet-ups (20000 Punkte)
Post a question in Session Q&A (10000 Punkte)
Recommend a conference (6000 Punkte)
Post a reply (500+ Punkte – wer entscheidet über das „+“?)
Share an article (500+ – und was ist, wenn die Urherberrechtspolizei
kommt?)
Join a meet-up or share a ride (? Punkte)
Add 3 sessions to personal agenda (300 Punkte)
Beef up your profile (300 Punkte)
Say hi to someone in the attendee list (300 Punkte)
Post an Ice Breaker in the community board (? Punkte)
„Hallo sagen“? Und das wird dann belohnt? Ich will mal hoffen, dass
diese whova.com-Leute weit außerhalb der DSGVO-Jurisdiktion sitzen, denn
mit welchem Buchstaben von Artikel 6 (1) sich so eine Datenverarbeitung
begründen ließe, könnte ich mir auch mit starken
bewusstseinserweiternden Substanzen nicht vorstellen. Und: Hat wirklich
eine reale Person auf die „Congratulate“-Links geklickt? Wenn ja: Was
ging derweil in deren Gehirnen vor? „Es könnte ja auch meine
zweijährige Tochter sein, und mit meinem Lob verbessere ich ihren
Wettbewerbswillen“?
So entsetzt ich insgesamt über diesen Großangriff auf Menschenwürde und
Vernunft bin, eine Frage drängt sich mir schon auf: Wenn die beiden
„Leader“ jeweils zehn Mal mehr Punkte haben als die Person auf Platz
drei: Sind das Beschäftigte, deren Job es ist, auf dieser Zumutung aus
dem Webbrowser rumzuklicken? Oder sind es Leute, die ihren Computern
beigebracht haben, Fleißbienchen für sie zu erklicken? Wenn Letzteres:
Ist das stummer Protest oder demonstrative Selbstaufgabe?
Wobei: Ich habe ja nicht viel mit Jira zu tun, aber doch
genug, um die Testimonials auf https://ifuckinghatejira.com/ mit
grimmer Befriedigung zu lesen. Ganz so entspannt im Hinblick auf
nervige proprietäre Software wie ich gerne wäre bin ich also doch
nicht.
Nicht in meiner DLF-Lieblingssendung Forschung aktuell, sondern im
Freistil vom 5.6.2022 bin ich auf den nächsten Fall meiner kleinen
Sammlung von Fragen an die Ethikkommission bei Tierversuchen gestoßen.
Im Groben: Ist es ok, Tiere bewusst und absichtlich gegeneinander
kämpfen zu lassen? Und gibt es im Hinblick auf diese Frage Unterschiede
zwischen Stieren und Regenwürmern?
Aus meiner Sicht nicht weit von der Mitte der Wurm-Rind-Skala entfernt
befinden sich die Papierwespen, für die die deutsche Wikipedia
enttäuschenderweise auf die ordinäre Wespenseite weiterleitet. Speziell
für die Stars dieses Posts, Polistes fuscatus – die biologische
Normenklatur könnte mich der Physik abspenstig machen – gibt es immerhin
einen Link auf der Feldwespen-Seite, doch hat sich noch niemand
gefunden, der/die die zugehörige Seite angefangen hätte.
Fast noch spannender als die Frage, ob Wespen die Gesichtszeichnungen
von Individuen auseinanderhalten können, finde ich ja die Frage, ob
sie auch mal gut gelaunt aussehen können. Bildrechte:
doi:10.1016/j.cub.2008.07.032 (bearbeitet).
Bei Freistil klang es nun so, als habe jemand jeweils zwei Königinnen
dieser Wespen miteinander bekannt gemacht; dass sie sich erkennen
können, und zwar ziemlich sicher am Gesicht, ist offenbar spätestens
seit den Arbeiten von Michael Sheehan und Elizabeth Tibbetts
wohlbekannt. Unter den einschlägigen Artikeln, die ab den 2000er Jahren
an der Uni von Michigan in Ann Arbor entstanden sind, ist viel zitiert
„Specialized Face Learning Is Associated with Individual Recognition in
Paper Wasps“ (viel zitiert vermutlich weil: Science 334 (2011), 1272,
doi:10.1126/science.1211334). Das darin beschriebene Experiment ist
erkennbar nicht das, von dem im Freistil die Rede war, wirft aber selbst
eine ethische Frage auf:
Darf mensch Königinnen elektroschocken?
Sheehan und Tibbet gaben den Wespen nämlich eine T-förmige Flugzone, die
überall Elektroschocks verabreichte, bis auf eine Stelle, die dann mit
einem von einem paar von Bildern markiert war. Mithin war der Reiz, den
die Leute zum Training der Wespen nutzten, die Abwesenheit von
Elektroschocks, wenn es die Wespen richtig machten. Hm. Hrrmmmmmmmm!
Wäre das nicht auch etwas freundlicher gegangen?
Ausgangspunkt der Arbeit war die Vermutung, dass fuscatus-Wespen,
die staatenbildend sind und deren Königinnen sich vor Gründung ihres
Staates mit einem ganzen Haufen anderer Wespen raufen, zwei verschiedene
Wespengesichter besser auseinanderhalten können („habe ich gegen die
schon mal verloren?“) als metricus-Wespen, die meist allein leben und
sich wenig prügeln. Um ein wenig sicherer zu sein bei der Frage, was da
eigentlich beobachtet wird, haben Sheehan und Tibbetts auch
Versuchstiere („healthy wild-caught adult female[s]“) auf Raupen (die
die Wespen gerne essen), geometrische Zeichen (Kreuze, Dreiecke und
sowas) und Wespenköpfe ohne Antennen trainiert.
Das Ergebnis: Wespengesichter mit Antennen haben ausgelernte
fuscatus-Wespen in 80% der Fälle vorm Elektroschock bewahrt (wobei der
Nulleffekt 50% wäre), und sie haben die Gesichter schneller gelernt als
die an sich viel einfacheren Zeichen. Waren die Antennen
rausretuschiert, hat das Lernen länger gedauert, und bei 70% richtiger
Wahl war Schluss.
Wie viel Ausdauer braucht es für 10'000 Versuchsläufe?
Und von wegen „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“:
Wenn der Hinweis aus verschiedenen Raupensorten bestand, haben die
Wespen nur in 60% der Fälle die trainierte Raupe gefunden, also fast
nicht häufiger als durch Zufall zu erwarten. Und etwa genauso gut wie
die einsiedlerischen metricus-Wespen, die mit den Gesichtern ihrer
Artgenossinnen gar nichts anfangen konnten.
Fleißbienchen am Rande: grob überschlagen müssen Sheehan und Tebitt die
Wespen gegen 10'000 Mal haben fliegen lassen. Ich mag mir gar nicht
vorstellen, wie viel Ausdauer es dafür gebraucht haben mag. Auf
beiden Seiten. Aufgrund vorheriger Interaktionen mit Wespen vermute
ich jedoch fast, dass für diese der repetetive Charakter der
Unternehmung weniger problematisch gewesen sein dürfte. Ach ja, und ich
würde gerne wissen, wie viele Stiche sich die beiden Menschen während
der Arbeiten eingefangen haben.
Wie ist es mit Kämpfen?
Sheehan, der inzwischen an die Cornell-Universität in New York
gewechselt ist, hatte schon zuvor (und hat noch weiter) mit den Wespen
gearbeitet und berichtet darüber zum Beispiel in Current Biology 18
(2008), Nr. 18, R851 (doi:10.1016/j.cub.2008.07.032), „Robust
long-term social memories in a paper wasp“. Für diese Studie haben die
Leute ebenfalls einen Haufen fuscatus-Papierwespen gefangen, dieses Mal
aber gezielt Begegnungen herbeigeführt. Dabei haben sie an Tag 0, 6 und
8 jeweils Wespen zusammengeführt, die sich nicht kannten, am siebten Tag
dagegen nochmal die von Tag 0 vorbeigeschickt. Das fand ich schon mal
ein recht cleveres Design: Wenn sich die Rauflustigkeit der Wespen generell
geändert hätte, wäre das durch die Kontrollen an den Tagen sechs und
acht aufgefallen.
Aber das führt auf die Eingangsfrage: Ist diese Sorte Experiment nicht
ziemlich eng verwandt mit Hahnenkämpfen, bei denen zwei Tiere, die,
wären sie nicht in menschlicher Gefangenschaft, vermutlich friedlich vor
sich hingelebt hätten, künstlich dazu gebracht werden, aufeinander
einzuhacken? Wäre ich in einer Ethikkommission, müsste ich zumindest
mal etwas nachdenken, ob ich Königinnenkämpfe eigentlich absegnen
möchte, auch wenn es hier nicht um das Gaudium einer blutrünstigen
Menge, sondern um die Förderung der Wissenschaft geht.
Unter Bekannten doppelt so viele Begegnungen ohne Gewalt
Immerhin scheinen die Kämpfe der Wespen relativ zivilisiert abzulaufen.
Zumindest berichten Sheehan et al nicht davon, dass die Begegnungen an
Tag 7 mal hätten ausfallen müssen, weil die Besucherinnen von Tag 0
inzwischen vielleicht totgestochen worden wären (Disclaimer: ich habe
die Zusatzdaten nicht auf solche Vorkommnisse hin durchgesehen, denn ich
war ja eigentlich auf der Suche nach etwas anderem).
Das Ergebnis ist wieder recht beeindruckend; kannte sich ein
Wespenpaar, gingen offenbar doppelt so viele Begegnungen ohne Gewalt aus
wie andernfalls.
Meine eingestandenermaßen oberflächliche Literaturrecherche hat aber
leider kein Paper geliefert, bei dem jemand Wespen geschminkt hätte; ich
hatte ich die Geschichte aus dem Freistil nämlich so verstanden, dass
jemand zwei Wespen bekannt gemacht hat und dann das Gesicht einer
der beiden verändert, um zu prüfen, ob es wirklich das ist, an das sich
die Wespen erinnern und nicht etwa, sagen wir, der Geruch oder die
Melodie des Summens. Auch wenn das Elektroschockexperiment das sehr
nahelegt: Ich finde es völlig plausibel, so ein Schminkexperiment zu
machen. Wer die dazugehörige Studie findet: das Antwortfomular gehört
völlig euch.
Empathietraining
Wer die ganze Sendung hört, dürfte auf ein anderes ethisches Problem
stoßen, eines, das mir, der ich nicht in einer Ethikkommission sitze,
deutlich mehr Sorgen macht: Im O-Ton wird eingespielt, wie jemand eine
Drosophile erst mit Wachs festklebt und dann immer weiter fesselt.
„Drosophile“: Ihr merkt, ich habe rein emotional ein spezielles
Verhaltnis zu Fruchtfliegen, weil ich in ihnen, die wie ich Obst nicht
widerstehen können – je süßer, je besser – ganz entfernt
Geistesverwandte sehe.
Andererseits: Wenn ich den Kompostmüll leere, nehme ich, ehrlich gesagt,
keine Rücksicht darauf, wie viele von ihnen ich dabei wohl zerquetsche.
Die insgesamt vergleichbar menschenähnlichen Mücken und Zecken töte ich
sogar gezielt, wenn ich kann. Und nun habe ich diesen Bericht gehört
und musste mich sehr beherrschen, um mich nicht zu empören. Das mag ein
wenig zu tun haben mit dem völlig überflüssigen Gag, Enrico Caruso durch
das Drosophilenohr aufzunehmen, denn Folter[1] ist nochmal
schlimmer, wenn irgendeine Sorte, ach ja, „Humor“ mitschwingt.
Aber auch ohne das: Ist es verlogen, wenn ich mich über die Misshandlung
von Lebewesen empöre, die ich andererseits ohne große Reue und ganz
nebenbei – oder gar gezielt – töte?. Auf der anderen Seite will
mensch, so glaube ich, diese Anflüge von Empathie auch nicht wirklich
bekämpfen. Die Charakterisierung der Feinde als Ratten und
Schmeißfliegen (der Namenspate des Münchner Flughafens, Franz Josef
Strauß, war Meister dieses Genres), als Tiere also, mit denen Empathie
zu haben wirklich schwerfällt, wenn sie sich erstmal ordentlich vermehrt
haben, ist ein recht konstantes Feature so gut wie aller Kriege und
anderer Massenmorde der Geschichte.
Mit diesem Gedanken bin ich nach der Freistil-Sendung auf folgendes
Fazit gekommen: Selbst wenn es nicht der Tiere selbst wegen geboten sein
sollte, schon ganz speziezistische Humanität gebietet es, diese Sorte
von Mitleid mit jeder Kreatur zu hegen und nicht zu kritisieren. Und
vor den Feldzügen gegen die Nacktschnecken wenigstens noch ein wenig mit
sich zu ringen.
Ja, ich behaupte, es ist Folter, wenn mensch so ein
Lebewesen bei lebendigem Leibe immer weiter eingießt, bis es (nehme
ich an) erstickt, weil die Tracheen alle dicht sind.
Die ziemlich hörenswerte Miniserie über Pilze und Menschen in der
Deutschlandfunk-Sendung Wissenschaft im Brennpunkt (Teil
1, Teil 2) endet mit folgenden Worten von (ich glaube) Oliver Kurzai
von der Uni Würzburg:
Deswegen müssen wir glaub ich nicht damit rechnen, dass wir in
absehbarer Zeit tasächlich, ich sag mal, eine Killerpilz-Pandemie
kriegen, die auch den normalen, gesunden Menschen bedroht.
Wenn unsere Realität irgendeine Ähnlichkeit hat mit einem zünftigen
Katastrophenfilm, wisst ihr, was als Nächstes passieren wird.
Vielleicht sind die vielen Einflussfaktoren ein Grund, warum auf
diesem Gebiet überhaupt wenig geforscht wird. Die Bessi-Collaboration
zur Erforschung sozialer, Umwelt- und Verhaltens-Pandemiemaßnahmen
zählt aktuell nur 18 veröffentlichte Studien aus diesem Bereich, aber
974 zu Impfstoffen oder Medikamenten.
Das hat mich daran erinnert, dass ich spätestens seit Oktober 2021
eine ziemlich grundsätzliche Lücke bei unserem Verständnis der
Epidemiologie von SARS-2 gewittert habe, und zwar ganz unabhängig von
meinen misslungenen Vorhersagen im letzten Herbst. Ich habe
nämlich bis genau heute aufgrund von, Fanfare, Unabhängigkeitsargumenten
für sehr unplausibel gehalten, dass sich die Varianten gegenseitig
verdrängen. Lasst mich spoilern: Mein Instinkt, dass da was nicht
stimmen kann, war falsch, Mensch soll einfach nie die
Exponentialfunktion unterschätzen.
Aber langsam. Zunächst habe mir die R-Wert-Schätzungen des RKI
vorgenommen. Zur Erinnerung: Der R-Wert soll sagen, wie viele Leute
einE InfizierteR zu einer bestimmten Zeit im Mittel ansteckt; ist er
konstant größer als eins, wächst die Inzidenz exponentiell, ist er
konstant kleiner als eins, schrumpft sie exponentiell.
Ich möchte auf der Basis der R-Werte den Pandemieverlauf nacherzählen,
um der Variantenverdrängung auf die Spur zu kommen. Dabei nutze dabei
die Kurvenfarbe als Indikator für die geschätzte Inzidenz – beachtet,
dass sowohl die Skalen auf dieser Hilfsachse als auch auf der Ordinate
von Bild zu Bild drastisch verschieden sind.
Plausibler Anfang
Dabei habe ich mir nacheinander ein paar Phasen vorgenommen. Von März
bis Juli 2020 konnte mich mir alles prima zusammenreimen:
Fig 1: R-Werte der ersten Welle
Die unkontrollierte Infektion lief anfangs mit dem geschätzten
R0 (also: wie groß ist das R ganz ohne Maßnahmen und
Immunität?) der Wuhan-Variante (im Winter etwas wie 3) los, dann griffen
die Maßnahmen, und wie sie nacheinander so griffen, fiel auch der
R-Wert.
Ich war damals mit dieser Interpretation soweit glücklich, auch wenn
Leute immer mal wieder an den Zeitskalen rumgemäkelt haben: Reagiert das
nicht schon vor den Maßnahmen? Hätte das nicht schneller auf Schul- und
Betriebsschließungen reagieren müssen? Zu letzterem Punkt zumindest ist
einzuwenden, dass es einerseits zwei, drei Wochen gedauert hat, bis
die Leute wirklich im Coronamodus waren. Andererseits sind für die
Mehrzahl der Fälle auch nur Melde-, nicht aber Infektionszeitpunkte
bekannt. Da diese ohne Weiteres um ein oder zwei Wochen
auseinanderliegen können, wäre selbst eine scharfe Stufe in R in
den RKI-Schätzungen weich ausgeschmiert; ein weiteres Beispiel übrigens
für die Gefahren von Big Data.
Ein merkwürdiger Balanceakt
Gegen Ende des ersten Coronasommers kam mir aber schon komisch vor, wie
sehr sich das effektive R immer ziemlich genau um die Eins herum hielt.
Bei sowas Kitzligem wie einem Infektionsprozess, der davon lebt, dass
sich immer mal wieder ein ganzer Haufen Leute ansteckt, ist es alles
andere als einfach, diese Sorte von Gleichgewicht (es stecken sich
in jeder Zeiteinheit ungefähr genauso viele Leute an wie gesund werden)
zu halten – die Überdispersion der Wuhan-Variante soll was wie 0.1
gewesen sein, so dass vermutlich überhaupt nur ein oder zwei von zehn
Infizierten zur Ausbreitung der Krankheit beitrugen (dann aber auch
gleich richtig, also mit mehreren Angesteckten).
Unter diesen Umständen einen R-Wert von um die eins zu haben, ist ein
Balanceakt ganz ähnlich der Steuerung eines AKW (das zudem nicht mit der
Überdispersion zu kämpfen hat): mach ein bisschen zu wenig und die
Infektion stirbt rapide aus (der Reaktor wird kalt); mach ein bisschen
zu viel und du bist gleich wieder bei enormen Zahlen (der Reaktor geht
durch). Dennoch hat sich der R-Wert (abgesehen vom Tönnies-Zacken Mitte
Juni, der ganz gut demonstriert, was ich mit „kitzlig“ meine) im Sommer
doch recht gut rund um 1 bewegt:
Fig 2: R-Werte im Sommer 2022
Was hat R so (relativ) fein geregelt? Sind die Leute in Zeiten
ansteigender R-Werte wirklich vorsichtiger geworden? Und waren sie
unvorsichtiger, wenn die R-Werte niedrig waren? Erschwerend im Hinblick
auf so eine Regelung kamen zumindest im Juli und August nennenswert
viele Infektionen nicht durch Reproduktion im Land zustande, sondern
kamen mit Rückreisenden aus Gegenden mit höheren Inzidenzen. Wie das
genau lief, ist aber wieder schwierig zu quantifizieren.
Mein erstes kleines Rätsel wäre also, warum die Inzidenz im Sommer 2020
über ein paar Monate hinweg im Wesentlichen konstant war. Im Herbst
2020 schien mir das eher wie eine Anekdote, zumal es recht erwartbar
weiterging:
Fig 3: R-Werte der zweiten und dritten Wellen
Die hohen R-Werte im Oktober sind überaus zwanglos durch Schulen,
Betriebe und ganz kurz auch Unis mit allenfalls lockeren Maßnahmen bei
lausig werdendem Wetter zu erklären. Der Abfall zum November hin wäre
dann der „Lockdown Light“. Wieder mag mensch sich fragen, warum der
Abstieg schon Mitte Oktober einsetzte, während der Lockdown Light ja
erst Anfang November in Kraft trat, aber seis drum. Der nächste
Buckel, hier schon in rot, weil mit für damalige Zeiten enormen
Inzidenzen einhergehend, dürfte ganz grob Weihnachtsmärkte (Aufstieg)
und deren Schließung (Abstieg; ok, es hat auch noch einige weitere
Lockdown-Verstärkungen gegeben) im Dezember 2020 reflektieren.
Verdrängt oder nicht verdrängt?
Dass bei gleichbleibenden Maßnahmen der R-Wert ab Mitte Februar stieg,
habe auch ich mir damals dadurch erklärt, dass die Alpha-Variante
infektöser ist. Richtig schöne Grafiken dazu gibt es erst später, so
etwa hier aus dem RKI-Wochenbericht vom 7.10 (der gerade nicht im
RKI-Archiv zu finden ist):
Fig 4: Anteile der verschiedenen Varianten vom Oktober 2021 (Rechte:
RKI)
Während der, sagen wir, ersten 13 Kalenderwochen des Jahres 2021 hat
also Alpha den Wuhan-Typ im Wesentlichen kompett, nun ja, verdrängt.
Und das schien mir bis jezt sehr unplausibel. Anschaulich gesprochen
nämlich kann Alpha den Wuhan-Typ nur dann verdrängen, wenn die Varianten
„sich sehen“, also überhaupt nennenswert viele Menschen, die der
Wuhan-Typ infizieren möchte, schon zuvor Alpha gehabt hätten[1].
Das war im Frühling 2021 ganz klar nicht so. Der RKI-Bericht vom
16.4.2021 (in dem sich übrigens auch die damaligen Gedanken zu den
Varianten spiegeln) spricht von rund 3 Millionen Infizierten. Plausible
Dunkelziffern werden den Anteil der bereits mit SARS-2 (in der Regel noch
nicht mal Alpha) Infizierten kaum über 10% heben. Die Wuhan-Variante
kann also im Wesentlichen nichts von Alpha gesehen haben, und damit kann
sie auch nicht verdrängt worden sein[2].
Mit einem zweiten Blick stellt sich heraus, dass es das auch nicht
brauchte, denn unter den recht drakonischen Maßnahmen vom Januar 2021 –
wir reden hier von der Zeit nächtlicher Ausgangssperren – hatte der
Wuhan-Typ so in etwa einen R-Wert von 0.9 (das lese ich jedenfalls aus
Fig. 3). Nun rechnet(e) das RKI den R-Wert in etwa so, dass er
das Verhältnis der Infektionen in einem Viertageszeitraum zum vorherigen
Viertageszeitraum angibt; der Gedanke ist, dass es (die „Serienlänge”)
von einer Infektion bis zur Ansteckung in der nächsten Generation bei
SARS-2-Wuhan sowas wie eben die vier Tage dauern sollte[3].
Unter der angesichts konstanter Maßnahmen wenigstens plausiblen Annahme
eines konstanten R-Werts (gegen Ende des Zeitraums mag er wegen Wetter
sogar noch weiter gefallen sein), kann mensch ausrechnen, dass nach 13
Wochen vom Wuhan-Typ nur noch
0.913⋅7 ⁄ 4 ≈ 10%
übrig waren, und weil bei hinreichend niedrigen Inzidenzen der Bestand
eines im Wesentlichen ausbruchsgetriebenen Erregers wie der
Wuhan-Variante eh schon prekär ist: Eigentlich reicht das schon, um das
praktische Verschwinden der Wuhan-Variante ganz ohne Verdrängung durch
Alpha zu erklären.
Zero Covid vs. die vierte Welle
Wenn das die Erklärung ist, wäre das in gewisser Weise eine gute
Nachricht für die Zero Covid-Fraktion: Wir haben Corona schon mal
ausgerottet, inzwischen sogar drei Mal, nämlich den Wuhan-Typ, Alpha und
(wahrscheinlich) Delta. Die „Maßnahmen“ für die jeweils infektiösere
Variante haben offenbar ausgereicht, ihre Vorgänger (praktisch)
vollständig auszurotten. Damit wäre zwar immer noch nicht das
Langfrist-Problem gelöst – denn global wird SARS-2 sicher nicht
verschwinden –, so dass ich nach wie vor eifrig gegen Zero Covid
argumentieren würde, aber ein lokales Ende von Corona haben wir offenbar
schon mehrfach hinbekommen.
Gehen wir weiter in der Zeit:
Fig 5: R-Werte während des Anlaufs zur vierten Welle.
Im Anlauf zur vierten Welle wird es unübersichtlich, weil nennenswert
viele Menschen geimpft waren. Es mag sein, dass der Wuhan-Typ etwas
empfindlicher auf die Impfung reagiert als Alpha, so dass es vielleicht
glaubhaft ist, dass der R-Wert des Wuhan-Typs nicht wieder auf das „gut
1“ aus dem Sommer 2020 zurückgeschnappt ist, nachdem die Beschränkungen
aus dem Winter 20/21 nach und nach wegfielen; dann wäre zumindest klar,
warum der Wuhan-Typ nicht wiederkam.
Bei Alpha und Delta liegen die Verhältnisse wahrscheinlich
komplizierter. Der Umschlag von Alpha auf Delta war noch schneller als
der von Wuhan auf Alpha; abgeschätzt aus Fig. 4 vielleicht zwischen den
Kalenderwochen 21 und 27. Davor, also im Juni, lag der R-Wert um 0.8,
angesichts relativ entspannter Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt
vermutlich bereits eher durch Impfung als durch nichtpharamzeutische
Maßnahmen bedingt. Sechs Wochen R = 0.8 bringen die Inzidenzen,
immer noch unter der Annahme der Unabhängigkeit der konkurrierenden
Infektionsprozesse, wiederum runter auf
0.86⋅7 ⁄ 4 ≈ 10%
– das Aussterben von Alpha kommt also erneut so in etwa hin, wenn …
Selten hat mir jemand so aus der Seele gesprochen wie Susanne Fischer in
ihrer Glosse 9-Euro-Reporter in der taz von gestern, in der sie nach
etwas Spott über die verbreitete Berichterstattung in Sachen
9-Euro-Ticket – anscheinend größtenteils geschrieben von Menschen, die
schon lange keine Züge mehr von innen gesehen haben – ihre eigene
Situation beschreibt:
Der größte Mehrwert für mich ist, dass ich neuerdings in fremden
Städten den ÖPNV nutzen kann, ohne vorher ein mehrstündiges
Tarifstudium zu absolvieren – mit praktischer Prüfung an Automaten,
deren Software vom sadistischen Andi-Scheuer-Fanclub programmiert
wurde.
Ja! Ja! Ja! Ich kann mich nicht erinnern, wann ein Satz zuletzt so in
Resonanz mit meinen eigenen Gedanken stand.
Kommentar 1 am 2022-06-11 von Thomas
Hallo, ich lese den transatlantischen Anzeiger aus Prinzip nicht. Die
einzige Wahrheit in dieser Kriegstreiber-Postille ist die Überschrift
der einschlägigen Kolumne.
Und mit der Bahn fahre ich nicht mehr, weil mir das zu blöd wurde.
Beispiel: eine Freundin fährt von Dresden in die Thüringische Pampa,
habe nachgesehen, wie lange sie unterwegs ist, das waren drei Stunden,
die man mit dem Auto in 70 Minuten fährt. Ohne Maske und ohne piepende
Türen und ohne eine Stunde rumstehen auf zwei Umsteigebahnhöfen.
Kommentar 2 am 2022-07-06 von Anselm
Tjaja, der Niedergang der taz… Nun, ich mag das Kreuzworträtsel zum
Wochenende ganz gerne, muss ich sagen. Politisch ist versteht sie
sich, das gestehe ich ein, wie schon Anfang der Nullerjahre, im
Wesentlichen Verlautbarungsorgan der flippigeren Teile der
Regierung, und das ist überhaupt nicht schön, wenn „Ausflippen“
Krieg oder mildere Sorten von Wettbewerb bedeutet.
Aber Auto statt Bahn: das führt halt leider auch nirgends hin und
macht das Leben nur für alle anderen schlechter. Nein, es hilft
nichts, wir müssen uns alle um die Vergesellschaftung der Bahn
kümmern (und dann noch weiter aufpassen, denn die alte Bundesbahn
hat zwar deutlich besser funktioniert, aber eben auch tausende
Kilometer Schiene stillgelegt).
Über absurd komplexe Captive Portals in öffentlichen WLANs, die
insbesondere die Ausführung von Unmengen von Javascript erfordern – was
besonders kitzlig ist, da in der Situation der Accesspunkt der
ultimative Man-in-the-middle ist –, habe ich mich hier schon öfter
geärgert. Was wäre so verkehrt an einer einfachen HTML-Seite, die
kurz die Regeln erläutert, wenns dringend sein muss, noch ein Häkchen
verlangt und sich ansonsten auf <input type="submit"value="Connect"/> (für Interoperabilität; ich selbst hätte auch nichts
gegen ein <button>Connect</button>) beschränkt? Nebennutzen: Sowas
abzuschicken wäre leicht automatisierbar[1].
Stellt sich heraus: Wer auch immer diesen Mist bastelt, könnte auch
anders. Jetzt gerade fahre ich – zum ersten Mal mit 9-Euro-Ticket[2] – in einem S-Bahn-Zug der Bahn und bin mit einem WIFI@DB-Netz
verbunden. Beim Versuch, die nötigen Beschwörungen fürs Internet zu
vollführen, kam eine ganz schlichte Meldung: „We are offline“, so
schlicht, dass ich mir gleich den Quelltext angucken musste, und siehe
da (ich habe ein paar Leerzeilen gekürzt):
Gut: Das Übertöten bei der Cache-Kontrolle ist nicht optimal, und auch
nicht, dass englischer Text als Deutsch ausgezeichnet ist; generell wäre
ich zwecks einfacher Parsbarkeit auch immer für XHTML zu haben, und wenn
sie schon UTF-8 als Zeichensatz haben, sollten sie aus typografischen
Gründen statt ... lieber … (alias U+2026) schreiben – aber anonsten:
So kann modernes HTML („modern“ wg. des dämlichen viewport-metas)
auch aussehen.
Ach so: Das stylesheet gibt natürlich ein 404, und würde ich die
Kennung meiner Netzwerkkarte nicht ohnehin auswürfeln, wäre nicht
amüsiert, dass die URL, unter der der Kram ausgeliefert wird, genau
diese Kennung enthält, aber verglichen mit den üblichen
Javascript-Wüsten wäre das wirklich ein Fortschritt. Warum gehen
Captive Portals nicht immer so?
Wobei: ganz so einfach ist das natürlich auch nicht. Zieht mensch
nämlich einfach irgendeine Webseite, kommt als Request Body des
Redirects auf die obige schlichte Seite sowas hier:
<HTML><BODY><H2>Browser error!</H2>Browser does not support redirects!</BODY>
<!--
<?xml version="1.0" encoding="UTF-8"?>
<WISPAccessGatewayParam
xmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance"
xsi:noNamespaceSchemaLocation="http://www.wballiance.net/wispr_2_0.xsd">
<Redirect>
<MessageType>100</MessageType>
<ResponseCode>0</ResponseCode>
<VersionHigh>2.0</VersionHigh>
<VersionLow>1.0</VersionLow>
<AccessProcedure>1.0</AccessProcedure>
<AccessLocation>CDATA[[isocc=,cc=,ac=,network=HOTSPLOTS,]]</AccessLocation>
<LocationName>CDATA[[94800463058]]</LocationName>
<LoginURL>https://www.hotsplots.de/auth/login.php?res=wispr&uamip=192.168.44.1&uamport=80&challenge=7e9b9ebbcbaa23dcee39cd94b42695fd</LoginURL>
<AbortLoginURL>http://192.168.44.1:80/abort</AbortLoginURL>
<EAPMsg>AQEABQE=</EAPMsg>
</Redirect>
</WISPAccessGatewayParam>
-->
</HTML>
Heilige Scheiße – HTML-Tags in Großbuchstaben und in einen
HTML-Kommentar eingebettetes XML: da waren klare SpezialexpertInnen am
Werk. Wenn die Leute, die sich das ausgedacht haben, das hier lesen:
Ich mache zum Sonderpreis von 9 Euro eine Fortbildung in XML Namespaces
und wie sie für so Zeug einzusetzen wären.
Ansonsten sollte ich wahrscheinlich mal bei http://www.wballiance.net
vorbeischauen; vielleicht lässt sich mit diesem Zeug ja irgendwas
basteln, das die lästigen Vorschaltseiten, die sowas ausliefern,
ganz ohne Javascript webzaubert?
Ich würde gerne sagen, dass ich extra zu dessen Erwerb zum
Bahnhof Mainz Römisches Theater gefahren bin, denn das ist schon einer
der schönsten Bahnhofsnamen der Republik, aber das wäre eine Lüge.
This is what this post is about: being able to type PILE OF POO
(a.k.a. U+1f4a9) in vim in…tuitively. For certain notions of
intuition.
As a veteran of writing texts in TeX, I've long tended to not bother
with “interesting” characters (like the quotes I've just used, or the
plethora of funny characters one has for writing math) in non-TeX texts.
That is, until I started writing a lot of material not (directly)
formatted using TeX, as for instance this post. And until reasonably
robust Unicode tooling was widely available.[1]
I enter most of my text in vim, and once I decided I wanted the exotic
unicode characters I experimented with various ways to marry unicode and
vim. What I ended up doing is somewhat inspired by TeX, where one
enters funny characters through macros: a backslash and a few reasonably
suggestive letters, as perhaps \sigma for σ or \heartsuite for
❤.
What lets me do a similar thing in vim are interactive mode
abbreviations and unicode escapes. I've found the abbreviations do not
inconvenience me otherwise if I conclude them with a slash. And so I
now have quite a few definitions like:
iab <expr> scissors/ "\u2702"
in my ~/.vimrc. This lets me type scissors/␣ to get ✂ (and
blank/␣ to get the visible blank after the scissors). This works
reasonably well for me; it's only when the abbreviation is not bounded
by blanks that I have have to briefly leave the insert mode to make sure
that vim recognises the abbreviation. For instance y▶y – where the
abbreviation needs to directly abut the letter – I have to type as
y<ESC>aarrleft/ <BACKSPACE>y. I don't know about people who didn't
grow up with TeX, but in my world such a thing passes as really natural,
and for me it easily beats the multibyte keymaps that, I think, the vim
authors would recommend here.
And how do I figure out the unicode code points (i.e., the stuff after
the \u)? Well, there is the unicode(1) command (Debian package
unicode), which sounds cool but in reality only points me to what I'm
looking for every other time or so: It's hard to come up with good words
to look for characters the name of which one doesn't know.
In practice, most of the time I look at the various code blocks linked
from the Wikipedia unicode page. Going by their titles in my
experience is a good way to optically hunt for glyphs I'm looking for.
The result is the following abbreviations – if you make interesting new
ones, do send them in and I will update this list:
One last thing one should know: quite a few interesting unicode
characters are outside of what's known as the „Basic Multilingual
Plane“, which is a pompous way to say: within the first 65536 code
points. That in particular includes all the emoijs (please don't
torture me with those), but also the timeless PILE OF POO character, the
rendering of which in the Hack font is shown in the opening image.
Addressing codepoints above 65536 needs more than four hex characters,
and to make vim grok those, you need to say \U rather than \u.
Am 11. April gedachte das DLF-Kalenderblatt dem Massaker von Chios, das
vor 200 Jahren den Höhe- oder eher Tiefpunkt einer jedenfalls
rückblickend betrachtet völlig durchgeknallten Verkettung von
Gewalttaten und Vergeltungsaktionen markierte.
Ich muss gestehen, dass mir die ganze Geschichte völlig neu war; in
der Kürze beim DLF klang es für mich zunächst so, als habe der
osmanische Sultan die Bevölkerung der reichen Ägaisinsel Chios
ausradieren lassen, weil sie gegen ihre manifesten (ökonomischen)
Interessen mit Aufständischen paktiert hatte, die wiederum zuvor andere
Untertanen des Sultans massakriert hatten.
Mir klang das nach einem guten Beispiel, wie das allseite Nachgeben
gegenüber der autoritären Versuchung zu einer Spirale von Bestialität
führt, bei der jede Seite die moralische Berechtigung, wenn nicht gar
Verpflichtung fühlt, den Feind zu töten. Da der Abstand den Blick
schärfen mag, der bei analogen Ereignissen in der Nähe derzeit ganz
offenbar vielfach getrübt ist, habe ich mir heute den zugehörigen
Wikipedia-Artikel zu Gemüte geführt.
Die Vorgeschichte
Sehr bemerkenswert fand ich schon mal, dass die Wikipedia für die
Vorgeschichte auf den Frieden von Küçük Kaynarca verweist, den 1774 das
osmanische Reich und Russland geschlossen hatten. Bemerkenswert ist das
einerseits, weil es damals schon um die jetzt gerade wieder umstrittenen
Gebiete ging: Russland hat sich in diesem Vertrag den Süden der späteren
Ukraine einverleibt, die Krim – die für zehn Jahre noch als autonomes
Khanat weiterexistierte – folgte 1783. Nach allem, was danach kam, von
Krimkrieg über die Verheerungen des zweiten Weltkriegs bis zum jetzigen
Stellvertreterkrieg: Was für eine geschundene Gegend.
Andererseits war diese Niederlage des osmanischen Sultans offenbar ein
Segen für jedenfalls nennenswerte Teile seiner Untertanenschaft. In den
Worten der Wikipedia:
Wie im Rest Griechenlands wuchs nach dem Friedensvertrag von
Kutchuk-Kaïnardji 1774 der Wohlstand auf Chios.
Das bezieht sich, wie gesagt, auf die Verliererseite des
Russisch-Türkischen Krieges von 1768-1774. Erneut zeigt sich die alte
Weisheit, dass es weit schlimmer ist, einen Krieg zu führen als einen zu
verlieren.
Das Verhängnis von Chios begann indes, auch recht typisch, mit
Patrioten, und zwar in diesem Fall mit griechischen. Diese nämlich
legten 1821 einen zünftigen Aufstand auf der Peloponnes hin, als viele
der dortigen (osmanischen) Besatzungssoldaten andernorts gebraucht
wurden, nämlich für Kämpfe innerhalb der osmanischen Elite und weil,
ganz modern, russische Truppen in das noch osmanische Moldawien
eingefallen waren.
Der zünftige Aufstand schlug erwartungsgemäß schnell in Barbarei um.
Die tapferen und frommen Freiheitskämpfer eroberten^Wbefreiten im
Oktober 1821 die Provinzhauptstadt Tripoli (nicht zu verwechseln mit
dem zuerst durch unsere Flugverbotszone befreiten und dann seit
inzwischen einem Jahrzehnt glühend umkämpften libyschen Tripolis) und
metzelten gegen 8000 der verbliebenen BewohnerInnen nieder – schon
während der Belagerung hatte sich die Bevölkerung auf etwa 15000
halbiert. Immerhin sind wohl nicht alle anderen 15000 dem Krieg zum
Opfer gefallen, einige haben rechtzeitig fliehen können.
Eine weitere Weisheit: Wenn es nach Krieg riecht, verpiss dich
rechtzeitig. In der jungen Welt gab es am Wochenende eine
Geschichte, wie es ganz aktuell zugeht, wenn du das mit dem
„rechtzeitig“ nicht hinbekommst.
In Chios
Aber dies ist ja eine Geschichte über Chios, eine vor 1821 in
weitgehender christlicher Autonomie von achtzehn, großartiger Titel,
Demogeronten für den Sultan regierten Insel nicht weit vor der Küste der
heutigen Türkei.
Die DLF-Erzählung einer durch Mastix-Produkion und -Handel reich
gewordenen Gemeinde trägt wohl; jedenfalls hatten die Demogeronten
schon im April 1821 klar angesagt, dass sie lieber Wohlstand als
(nationalen) Aufstand haben wollen. Für solche Anliegen hatten die
Patrioten von der Peloponnes wenig Verständnis. Ein „Admiral“ Iakovos
Tombazis – bei einem derart jungen Aufstand dürfte so ein „Admiral“
ungefähr drei Jollen befehligt haben – landete auf Chios, zog mit seinen
Leuten ein wenig herum, um die satt & glücklich-Bevölkerung dort zum
Abfall vom Sultan und zur Unterwerfung unter die neue
christlich-griechische Regierung zu bewegen. Chios ist die zehntgrößte
Insel im ganzen Mittelmeer, so dass er dafür elf Tage brauchte. Dann
verschwanden er und seine Leute wieder.
Bekannte von Bekannten berichten von ähnlichen Stunts der aktuellen PKK
im türkischen Kurdistan. Zumindest diese Bekannten von Bekannten hat
das nicht zu Fans der PKK gemacht, denn die Reaktion der derzeitigen
türkischen Regierung ist in etwa so wie die der damaligen. In den
Worten der Wikipedia:
Der Dīwān entsandte den Gouverneur Vehid-Pacha. Er richtete sich in
der Festung von Chora ein. Um sicherzustellen, dass die Chioten sich
ruhig halten, forderte er 40 Geiseln an (darunter den Erzbischof
Platon Franghiadi, die Demogeronten und Mitglieder der wichtigsten
Familien der Insel [...]).
Klar: Das war auch völlig überflüssiger Terror. Anständige Leute tun
sowas nicht. Aber wer könnte es, „denkt an Tripoli!“, dem armen Dīwān
verübeln, wenn er den Aggressor in die Schranken weist? Dazu gehören
natürlich auch Soldaten. Erwartbarerweise sorgten diese Soldaten
mitnichten dafür, dass irgendwas besser wurde:
Es handelte sich um wenig disziplinierte Soldaten, die von der
Plünderungsmöglichkeit angezogen wurden. Sie kontrollierten die
ländlichen Gebiete der Insel und verbreiteten dort Schrecken.
So wurden die ChiotInnen, die sich anfangs aus guten Gründen aus der
ganzen für sie völlig nutzlosen Frage raushalten wollten, ob sie
nun aus dem fernen Konstantinopel oder aus dem noch ferneren Athen
regiert werden sollten, allmählich doch zu PatriotInnen.
Wirklich schlimm wurde es allerdings erst, als bewaffnete Patrioten
aus Samos im März 1822 versuchten, die inzwischen wieder etwas
menschlicher gewordene Militärherrschaft auf Chios durch Rumballern zu
beenden. Fast 3000 christliche Soldaten landeten auf der Insel und
zwangen die osmanischen Truppen zum Rückzug in die Burg der
Hauptstadt Chora.
Das Verhängnis patriotischer Erhebung
An diesem Punkt wurden auch die BäuerInnen aus dem Inselinneren vom
nationalen Taumel erfasst und bewaffneten sich, übrigens gegen das
Flehen ihrer alten Lokalregierung, die ja immer noch in osmanischer
Geiselhaft saß:
Sie zogen mit Kreuzen und Ikonen durch die Straßen und sangen
patriotische Lieder.
Das konnte sich nun wiederum der Sultan nicht bieten lassen und
schickte weitere Verstärkung nach Çeşme, gleich gegenüber von Chios.
Am 11. April 1822 landeten ungefähr 7000 osmanische Soldaten auf der
Insel – ihr merkt, wie sich auch die Zahlen immer weiter aufschaukeln –,
und machen mit christlichen Soldaten wie BäuerInnen recht kurzen
Prozess, zumal ersteren zwischendurch die Munition ausgegangen war.
Es entfaltete sich ein Massaker, das das von Tripoli nochmal weit
überbot. Die Bilanz der Wikipedia ist ähnlich düster wie die
des DLF:
Die Bevölkerung der Insel betrug Anfang 1822 zwischen 100.000 und
120.000 Menschen, davon 30.000 Einwohner in Chora. Es waren auch etwa
2.000 Muslime auf der Insel. Für die Zeit nach den Massakern wird
meist die Einwohnerzahl von 20.000 genannt. [...] Die häufigsten
Schätzungen nennen 25.000 Tote und 45.000 versklavte Menschen. 10.000
bis 20.000 sei die Flucht gelungen.
Zwar hat so schnell niemand den Griechen Panzerhaubitzen geliefert, und
so hatten sie rein materiell keine Möglichkeit zur weiteren Eskalation.
Sie brachten aber in der nächsten Runde immer noch 2000 osmanische
Soldaten um, als sie am 6. Juni 1822 – die Besatzung war wegen
Zuckerfest vermutlich nicht gut beieinander – das osmaische Flaggschiff
in der Bucht von Chora abfackelten. Die türkischen Truppen haben zur
Vergeltung eine weitere, letzte Zerstörungstour über die Insel
unternahmen, konnten da aber auch nicht mehr eskalieren, weil ja schon
fast alle BewohnerInnen tot oder verschleppt waren.
Alles umsonst
Wofür sind die Leute alle gestorben? Aus heutiger Sicht wird
wahrscheinlich niemand bestreiten, dass das alles Quatsch war. Für die
Griechen bestand ihre „Freiheit“ aus einem bayrischen König, der
„Griechenland“ zwar exzessiv „liebte“, 1862 aber von einem britischen
Schiff evakuiert werden musste, weil seine Machtbasis komplett erodiert
war und schon wieder Aufstand herrschte. Sein letzter Nachfolger
schließlich ging 1968 unter, als er selbst einen Militärputsch plante,
ihm andere Militärs aber zuvorkamen (die Ereignisse in der
Wikipedia). Diese Militärs waren wiederum die, über die ich in meinem
Filmtipp von neulich geschäumt habe.
Für die Osmanen hat sich das auch nicht gelohnt, denn die Griechen
gingen mit Chios im Westen ähnlich wie heute die aktuelle ukrainische
Regierung mit russischen Massakern hausieren. Sie konnten viel
Sympathie für diese Sorte „Freiheitskampf“ wecken und bekamen viel
politische Unterstützung für ihre Sezession, die 1830 auch stattfand.
Sicher weniger dramatisch für die Hohe Pforte: Leute wie Lord Byron[1] zogen „für Griechenland” in den Krieg und starben dabei. Chios
selbst ging 1912 doch an Griechenland, noch bevor das osmanische System
zum Ende des ersten Weltkriegs gänzlich implodierte.
Und die Leute auf Chios? Also: die, die übrig geblieben sind? Nun, von
den gut 100'000 BewohnerInnen aus dem Wikipedia-Zitat von oben ist Chios
immer noch weit entfernt; gegenwärtig wohnen rund 50'000 Menschen auf
der Insel.
Ach weh. Wer aus der Geschichte nicht lernen will, wird immer wieder
zehntausende Menschen in irgendwelchen mehr oder minder romantischen
Anwandlungen von Patriotismus umbringen und, wenns ganz schlimm läuft,
auch noch den Rest der Welt davon überzeugen wollen, dass das groß,
wichtig und gut ist. Den Akteuren von 1822, die noch keine Wikipedia
hatten, möchte ich das nicht vorwerfen, auch wenn sie mit etwas mehr
Mühe bereits hinreichend viel Anschauungsmaterial aus der Geschichte
hätten gewinnen können.
In January, I described how I use this blog's engine, pelican, and
how I have a “development” and a “production” site (where I will concede
any time that it's exceedingly silly to talk about “production” in this
context). Part of that was a trivial script, remake.sh, that I
would run while writing and revising a post to format it without doing
too much unnecessary work. This script was running between a couple
and a couple of dozen times until I was happy with an article.
What the script did was call pelican asking to only write the document
being processed. When pelican was instructed to cache work on the other
articles, that was enough to keep build times around a second on my box;
but as the number of posts on this blog approaches 200, build times
ended up on the totally wrong side of that second, and I thought: “Well,
why don't I run, perhaps, rst2html for formatting while revising?” That
would be, essentially, instantaneous.
But pelican does a lot more than rst2html. Especially, having the
plugins and the templating available is a good thing when inspecting a
post. So, I got to work and figured out how pelican builds a document.
The result is a script build-one that only looks at a single
(ReStructuredText) article – which it gets from its command line – and
ignores everything else.
This is fast enough to be run whenever I save the current file.
Therefore, in my pelican directory I now have, together with the script,
the following .vimrc enabling just that (% expands to the file
currently edited in vim):
augroup local
au!
autocmd BufWritePost *.rst !python build-one %
augroup END
I've briefly considered whether I should also add some trick to
automatically reload a browser window when saving but then figured
that's probably overdoing things: In all likelihood I want to scroll
around in the rendered document, and hence I will have to focus it
anyway. If I do that, then effort spent on saving pressing r after
focusing feels misplaced.
The script does have an actual drawback, though: Since pelican does not
get to scan the file system with build-one, it cannot do file name
substitution (as in {filename}2022-05-26.rst) and will instead warn
whenever seeing one of these. Since, as described in January, my
static files are not managed by pelican, that is not a serious problem
in my setup, except I have to watch out for broken substitutions when
doing a final make html (or the make install).
Insights into Pelican
It took me a bit to figure out how the various parts of pelican fit
together at least to the extent of letting me format a ReStructuredText
document with the jinja templates. Let me therefore briefly discuss
what the script does.
First, to make pelican do anything remotely resembling what it will do
on make html, you have to load its settings; since I assume I am
running in pelican's directory and this is building a “draft” version, I
can simply do:
With that, I already now where to write to, which lets me construct a
writer object; that will later arrange for actually placing the files.
I can also construct a reader for my ReStructuredText files (and you
would have to change that if you are writing in Markdown); these readers
decouple the Article class from input formats:
With that, I have to delve deep into pelican's transformation machinery,
which consists of various generators – for articles, static files,
pages, whatever. The constructors of these generator classes (which are
totally unrelated to Python generators) take a lot of arguments, and I
cannot say I investigated why they insist on having them passed in when
I fill them with data from settings anyway (as does pelican itself); but
then I suspect these extra arguments are important for non-Article
generators. I only need to generate a single article, and so
stereotypically writing:
Article generators will usually collect the articles to generate by
looking at the file system. I don't want that; instead, I want to
construct an Article instance myself and then restrict the generator's
action to that.
The Article class needs to be constructed with content and
metadata, which happen to be what readers return. So, to construct
an Article from the RST file passed in in source_path, I need to
say:
content, metadata = reader.read(source_path)
art = contents.Article(content, metadata,
source_path=source_path, settings=settings)
After all that preparation, all that is left to do is overwrite any
misguided ideas the article generator might have on what I would like to
have processed and then let it run:
(the currying of the writer's write_file method to make sure it
creates relative URLs you can probably do without, but I'm a fan of
relative URLs and of almost anything in functools).
Nicht weit vom Edersee – praktisch schon im Kellerwald-Nationalpark –
laufen Hirsche auch mal bei Tageslicht über herbstliche Felder und
bezaubern radelnde TouristInnen. Aber: was machen sie im Zoo?
„Bikeshedding“ bezeichnet das in vielen Entscheidungsgremien zu
beobachtende Phänomen, dass große und tiefgreifende Entscheidungen ohne
große Kontroverse durchgewunken, Nebensächlichkeiten[1] jedoch in
großer Breite diskutiert werden.
Als ich heute morgen die DLF-Sendung Wissenschaft im Brennpunkt vom
15.5. hörte, hatte ich eine Art intellektuelles Bikeshedding. In der
Sendung geht es um höchst raffinierte Verfahren der Metagenomik, bei der
durch Sequenzierung von DNS in mehr oder minder blind aus der Natur
entnommenen Proben tiefe Einsichten in Ökologie und Biologie gewonnen
werden. Dass sowas geht, dass dabei etwas rauskommt, und teils schon,
was dabei rauskommt: Das ist alles sehr beeindruckend.
Doch mein Wow-Moment kam erst bei folgender Passage (bei ca. Minute 23;
der Text auf der DLF-Seite ist leider nicht das Transskript der
Sendung):
Elizabeth Clair [...] berichtete in einer Vorveröffentlichung von
einer DNA-Analyse der Luft in einem englischen Zoo. [...] DNA von 25
Arten konnte das Team aufspüren, darunter 17 Zootierarten [...],
einige davon bis zu 300 m von der Untersuchungsstelle entfernt.
Außerdem ein paar Wildtiere wie Igel und Hirsch.
Ein wilder Hirsch? Im Zoo? Wie bitteschön soll das denn zugehen?
Setzen die elegant über den Zaun des Zoos? Um den gefangenen Tieren
vielleicht eine lange Nase zu drehen? Ich gebe zu, dass das verglichen
mit den Wundern von Massensequenzierungen doch eher trivial wirkt. Aber
ich wüsste wirklich gerne, was der Hirsch dort wollte.
Aufbauend auf dieser Erfahrung würde ich „behirschen“ als neues Verb
vorschlagen, mit der Bedeutung „sich an einer (scheinbaren)
Nebensächlichkeit in einer Forschungsarbeit aufhängen und damit deren
AutorInnen auf die Nerven gehen“? Nur nebenbei: Ich vermute, wir
behirschen in der modernen Wissenschaft fast alle deutlich zu wenig.
Nachtrag (2022-07-01)
Auf eine Nachfrage von @StephanMatthiesen hin hat mich die Sache doch
nicht losgelassen, und ich musste mal nach dem Paper sehen, von dem im
DLF-Zitat die Rede ist. Es scheint, als sei es bereits Anfang 2021
erschienen, und zwar als „Measuring biodiversity from DNA in the air“
von Elizabeth Clare et al, Current Biology (2021),
doi:10.1016/j.cub.2021.11.064. Darin heißt es:
Of special interest was the detection of the European hedgehog
(Erinaceus europaeus) in three samples [...] As of 2020, the hedgehog
was listed as vulnerable to extinction in the United Kingdom
(https://www.mammal.org.uk/science-research/red-list/), making it
vital to develop additional methods to monitor and protect existing
populations. [...] One commonly cited application of eDNA approaches
is the detection of invasive species. We detected muntjac deer
(Muntiacus reevesi) in five samples. These muntjacs are native to
China but became locally invasive after multiple releases in England
in the 19th century. They are now well established in eastern
England, the location of the zoological park, and are frequently seen
on site. They are also provided in food for several species; thus, the
detection of muntjacs may reflect either food or wildlife.
(Hervorhebung von mir, um die Verbindung zu den Igeln und Hirschen
aus der DLF-Sendung zu belegen). Mithin: Wir reden hier von keinem
stattlichen Zwölfender, der majestitisch an den Gittern
entlangschreitet. Wir reden von Muntjaks, die, so die Wikipedia,
„zwischen 14 und 33 Kilogramm“ wiegen und offenbar nur mit Mühe die
Größe von Damhirschen erreichen. Und obendrauf kann es gut sein, dass
die DNS dadurch in die Luft kam, dass andere Tiere die Muntjaks vertilgt
haben und dabei eher ruppig vorgegangen sind.
Selbst wenn die DNS nicht von Futter, sondern von einem Wildtier
abgesondert worden wäre, wäre ihr Vorkommen kaum erstaunlich, wenn
mensch die Lage des Tierparks bedenkt. Manchmal (aber selten)
verlieren die Dinge doch ein wenig von ihrem Zauber, wenn mensch näher
nachsieht.
Der Begriff „Bikeshedding“ bezieht sich tatsächlich auf
überdachte Fahrradstellplätze; dass gerade so eine zentrale und
wichtige Einrichtung als Prototyp des Nebensächlichen herhalten muss,
sagt natürlich schon einiges aus über unsere Gesellschaft und den
weiten Weg, den wir bis zur Befreiung vom Auto noch vor uns haben.
Am ersten Mai hatte ich mich an dieser Stelle gefragt, wann wohl die
„Dauerbeflimmerung“ – also: leuchtende Werbedisplays am Straßenrand – an
der Heidelberger Jahnstraße dazu führen wird, dass Leute einander
kaputtfahren. Fünf Tage später lief in Forschung aktuell ein
Beitrag, der einen ganz speziellen Blick auf Gefahren durch Beflimmerung
vom Straßenrand warf.
Grundlage des Beitrags ist der Artikel „Can behavioral interventions be
too salient? Evidence from traffic safety messages“ der Wirtschafts-
hrm -wissenschaftler Jonathan Hall und Joshua Madsen aus Toronto und
Madison, WI, erschienen in Science vom 22.4.2022
(doi:10.1126/science.abm3427)[1].
Bevor ich den Blick nachvollziehen konnte, musste ich mich zunächst
ärgern, denn alles, was ich beim Folgen des DOI gesehen habe, war das
hier:
Der Fairness halber will ich einräumen, dass die drei Punkte animiert
waren, und dann und wann hat die Seite, als ich ihr erstmal Javascript
erlaubt hatte, einen Reload geworfen und dann eine neue „Ray ID“
angeboten. Dennoch ist das gleich in mehreren Richtungen Mist,
verschärft hier dadurch, dass Landing Pages von DOIs statisch sein
können und sollen. Es lässt sich kein Szenario denken, in dem mensch
für statische Seiten auf einem ordentlichen Webserver einen
„DDoS-Schutz“ (was immer das sein mag) braucht, und schon gar keinen,
der ohne Javascript, Referrer und weiß ich noch was nicht funktioniert.
Ich muss gestehen: ich war es müde, den Mist zu debuggen. Da der
Artikel leider noch nicht bei libgen (die – Science, horche auf! –
diese Sorte Unfug nicht nötig haben) war, habe ich in den sauren Apfel
gebissen und statt meines Standardbrowsers einen überpermissiv
konfigurierten Firefox genommen, der der Cloudflare-Scharlatanerie
schließlich akzeptabel schien. Auch eine Art, das Web kaputtzumachen.
Zur Sache
In Texas hat das Verkehrsministerium über viele Jahre hinweg „Campaign
Weeks“ gemacht, während derer auf den elektronischen Großanzeigen an
vielbefahrenen Straßen – wer Falling Down gesehen hat, weiß, wovon
die Rede ist – unbequeme Wahrheiten („Für Menschen zwischen 5 und 45 ist
der Straßenverkehr die führende Todesursache“) angezeigt wurden.
Der Effekt: Offenbar fahren die Leute nach so einer Mahnung nicht
vorsichtiger, sondern abgelenkter. Jedenfalls gehen die Unfallraten
hinter solchen Nachrichten merklich nach oben. In Abbildung eins des
Papers sieht das so aus:
Das „DMS” in der Beschriftung heißt „dynamic message signs“ – zumindest
im Untersuchungszeitraum zwischen 2012 und 2017 war das aber sicher
richtig fades Zeug im Vergleich zu moderner Werbebeflimmerung. Bei den
roten Punkten kamen nach der ersten Tafel für 10 km keine weiteren mehr,
so dass das das sauberere Signal ist.
Auch wenn der Effekt im Vergleich zu den Fehlerbalken nicht sehr groß
ist und es allerlei versteckte Confounder geben mag – die Autoren gehen
aber erfreulich vielen nach und können viele glaubhaft kontrollieren –,
überzeugt mich das Paper davon, dass mindestens auf dem Kilometer nach
der Tafel die von alarmierenden Zahlen beunruhigten Menschen ein paar
Prozent mehr Unfälle bauen.
Ein Grund für meine Einschätzung der Zuverlässigkeit des Effekts ist,
dass offenbar die Zunahme der Unfälle mit der Drastik der Nachrichten
korrelierte: Spät im Jahr, wenn texanische Autos schon tausende Menschen
zermalmt haben und also entsprechend große Zahlen auf den Tafeln zu
sehen sind, sind die Effekte deutlich stärker als früh im Jahr:
Zwar ist die Null auch hier überall innerhalb von „zwei sigma“, also
der doppelten Fehlerbalken, so dass ich das nicht völlig überbewerten
würde. Ich könnte insbesondere nicht erklären, woher ein negativer
Achsenabschnitt der Ausgleichsgerade kommen könnte, warum Leute also
besser fahren sollten, wenn die Zahlen klein (oder ihre Neujahrsvorsätze
noch frisch?) sind. Dennoch entsteht, nimmt mensch alle Evidenz
zusammen, durchaus ein recht robustes Signal, das wiederum nur schwer
durch Confounder zu erklären ist.
Und auch wenn was wie 5% nicht nach viel klingen: Der Straßenverkehr ist
mörderisch (in den USA gibt es, Kopfzahl, in jedem Jahr so um die
50000 direkte Verkehrstote), und es gibt einen Haufen dieser
Displays. Hall und Madsen schätzen, dass ihr Effekt in den 28 Staaten,
die das ähnlich wie Texas machen, 17000 Unfälle mit 100 Toten
verursachen dürfte.
Verblüffung am Rande: Für ein Kontrollexperiment haben Hall und Madsen
nach Tafeln gesucht, die mindestens 10 km vor sich keine andere Tafel
haben (damit sich die Effekte der Vortafel hoffentlich bereits gelegt
haben). Das hat die Samplegröße um 75% reduziert. 75%! Dass diese
DMSe so sehr clustern – denn es sich sicherlich undenkbar, dass über das
ganze riesige Straßennetz von Texas hinweg alle paar Kilometer Tafeln
stehen –, hätte ich nicht erwartet. Warum planen Leute sowas?
Und Werbetafeln?
Nun gebe ich zu, dass Hall und Madsen über ganz andere Dinge reden als
die Werbe-Displays von Ströer und JCDecaux, sie ja sogar auf die
Wichtigkeit der Natur der Nachricht abheben und so das Medium eher aus
dem Blick nehmen.
Sie zitieren aber auch Literatur, die sich allgemeiner um die Frage der
Ablenkung durch Beflimmerung kümmert. Davon gibts einiges, und offenbar
ist umstritten, wie tödlich Werbetafeln wirklich sind. Vermutlich wäre
es ein wertvolles Projekt, die Drittmittelgeber der entlastenden Studien
zu ermitteln.
Was Hall und Madsen zitieren, ist leider nichts in dieser Richtung.
Dennoch habe ich mir ihre Quelle „Driving simulator study on the
influence of digital illuminated billboards near pedestrian“ von Kirstof
Mollu (aus dem Dunstkreis der Wiwis an der Universiteit Hasselt,
Belgien) et al, Transportation Research Part F 59 (2018), S. 45
(doi:10.1016/j.trf.2018.08.013) kurz angesehen. Das braucht immerhin
keine Beschwörungen von Cloudflare, ist aber wieder kein Open Access und
zwingt NutzerInnen erstmal den "Elsevier Enhanced Reader" auf, der ohne
Javascript gar nichts tut – eine sehr aufwändige Art, ein PDF
runterzuladen.
Nun: Mollu et al haben sieben Handvoll Führerscheinhabende rekrutiert
und in einen einfachen Fahrsimulator (zwar force-feedback, aber keine
Beschleunigungssimulation) gesetzt, in das Szenerio verschieden hektisch
flimmernde Displays integriert und dann gesehen, wo die Leute hingucken
und wie oft sie übersehen, dass FußgängerInnen über die Straße wollen.
Wenig überraschende Einsicht: Die Leute gucken mehr, wenn die Bilder nur
3 Sekunden (statt 6 Sekunden) stehen bleiben. Was Filmchen (bei denen
Bilder ja nur was wie 1/25stel Sekunde stehenbleiben) anrichten,
untersuchen sie nicht. Überhaupt macht der Artikel quantitativ
nicht viel her. Oh, abgesehen von Zahlen, die sie selbst nur zitieren:
In den Fahrradländern Niederlande und Dänemark sterben nur
drei bis vier FußgängerInnen pro Million Einwohner und Jahr.
In den jüngst wild motorisierten Lettland und Litauen ist es ein
Faktor 10 mehr, also etwas wie 35 pro Million und Jahr.
Zur Einordnung will ich nicht verschweigen, dass ausweislich der
aktuellen RKI-Zahlen SARS-2 in der BRD 1500 Menschen auf eine Million
EinwohnerInnen umgebracht hat und das auch schlimmer hätte kommen können
(aber: Caveat bezüglich dieser Sorte Zahlen). Andererseits: Wollte
mensch den gesamten Blutzoll des Autos bestimmen, Verkehrstote, durch
Verkehrsverletzungen verfrühte Tode, Opfer von Lärm und
Luftverschmutzung, vielleicht gar von Bewegungsmangel, wäre es wohl
nicht schwer, für die BRD auf 700 Autoopfer pro Million und Jahr zu kommen
und damit ziemlich genau in den Bereich des durch Maßnahmen und Impfung
gezähmten SARS-2. Aber diese Rechnung braucht mal einen anderen Post.
Leider hat Science den Artikel, dessen AutorInnen fast
sicher aus öffentlichem Geld bezahlt wurden und die jedenfalls
öffentliche Infrastruktur (U Toronto, Vrije Uni Amsterdam, U
Minnesota) nutzten, weggesperrt, und er ist im Augenblick auch noch
nicht auf libgen. Hmpf.
Die Staudte-Verfilmung von Klaus Manns Untertan (DDR 1951) illustriert
die militarisierte Gesellschaft durch eine Revuenummer, in der Frauen
mit Pickelhauben zu uniformiertem Gesang von der „Elite der Nation“
halb tanzen, halb marschieren. Olivindex: 1. (Rechte bei… na ja, wer
immer den DEFA-Kram halt gekauft hat.)
Wer in den frühen 1990er Jahren Filme wie Der Untertan oder, etwas
leichtherziger, den Hauptmann von Köpenick gesehen hat, wird die
Verehrung des Militärischen, die dort gezeigt wurde, für eine unfassbare
historische Verirrung gehalten haben, eine Art kollektive Psychose,
lächerlich und zugleich gruselig, aber jedenfalls vom anderen Ende der
Geschichte.
Dann kam die Zeitenwende; nicht etwa jetzt, sondern im Laufe der
1990er, in denen sich die Bundeswehr zurückrobbte an diverse Plätze an der
Sonne, angefangen mit Jagdbombern, die im Januar 1991 US-Jets in der
Türkei ersetzten, damit diese für die Wiedereinsetzung des Emirs von
Kuwait töten konnten. Es folgten die ersten Truppen außerhalb des
NATO-Gebiets in Kambodscha im Mai 1992, wo im Oktober 1993 auch der
erste Held anfiel (for the record: Alexander Arndt), dann mit
AWACS-Flügen über Jugoslawien und so weiter und so fort. Langsam, aber
bestimmt überschritt das Militär immer wieder zuvor sicher geglaubte
Grenzen. Der große Zusammenbruch, oder wegen mir die Zeitenwende, kam
aber erst ganz am Ende der 1990er Jahre: Militärminister Rühe hatte
noch 1997 verkündet, nie wieder dürfe ein Stiefel eines deutschen
Soldaten in Jugoslawien auftreten. 1999 griff die Bundeswehr Serbien an
und marschierte im Kosovo ein, geschmackloserweise gerade unter Verweis
auf die Verbrechen der deutschen Großväter (die damals ja noch in großer
Zahl lebten).
Nach diesem Tabubruch schlichen sich Reden von Helden, Tapferkeit und
Vaterland in immer mehr Salons, kehrte der Glaube zurück, Militär an
sich und schon gar deutsches Militär könne irgendwo und schon gar im
Ausland Zustände verbessern. Mit der schon aus fünf Schritt Entfernung
offensichtlich dystopischen Erzählung vom R2P wurde ab 2005 aus dem
„Können“ allmählich ein „Müssen“ – also: dort, wo es bequem war und
gegen die richtigen Feinde ging.
„Rohrkrepierer“ ist eine Diagnose – von Sprache
Die Militarisierung des Diskurses fand nicht nur nach außen statt.
Eines der exteremen Beispiele: 2005 sollte die Bundeswehr für die
Polizei Zivilflugzeuge abschießen dürfen – was das Verfassungsgericht
2006 zum Glück nochmal einfangen konnte (vgl. Luftsicherheitsgesetz in
der Wikipedia). Dass der Corona-Krisenstab einen General als
Vorsitzenden bekam, war kurzfristig ein neuer Höhepunkt der
Preußen-Renaissance. Wieder half das Glück der Zivilgesellschaft, denn
dieses Gremium stellte sich schnell als Rohrkrepierer (um mich auch kurz
an Militärsprache zu versuchen) heraus.
Nach dem Umschlagen der jüngsten Aufrüstungsrunde (das verlinkte PDF
ist von 2019; der Kram ist also nicht neu) in einen weiteren Krieg hat
eine giftige Mischung aus Patriotismus und Militarismus wenigstens
vorläufig die… unbestrittene Lufthoheit. Zeitweise waren und sind
Kommentare, die sich positiv auf deutsche Eingriffe in Kriege bezogen,
in der Presseschau im Deutschlandfunk in der breiten Mehrheit,
während in der Tagesschau oft kaum ein Beitrag ohne Olivgrün daherkommt.
Ein Thermometer fürs Kriegsfieber
Auch ein erklärter Feind von Metriken wie ich kann an dieser Stelle
nicht widerstehen. Es braucht eine Zahl zur Charakterisierung des
gesellschaftlichen Kriegsfiebers[1]. Nun, hier ist meine Zahl:
Der Oliv-Index. Der von heute ist 0.55, wobei 0 „alles zivil oder
unpatriotisch“ und 1 „der Kaiser schickt seine Soldaten aus“ bedeutet.
Etwas weniger blumig ist der Oliv-Index ist das Verhältnis der Zahl der
patriotisch-militaristischen Kommentarauszüge zu allen, die an einem
Tag in der Morgen-Presseschau des DLF zitiert werden.
Der Olivgrün-Index zwischen siebtem und 21. Mai: Je oliver, desto
höher das patriotisch-militärische Fieber im Blätterwald der Republik.
Nachtrag (2022-06-09)
Ich führe den Olivindex tatsächlich fort, und für eine Weile ist die
aktuelle Lage jeweils am Fuß der Blogseiten. Und, jeweils aktuell,
solange ich das Elend auswerte, hier:
Ich habe das in den vergangenen zwei Wochen ausprobiert, schon, um zu
sehen wie viele Zweifelsfälle es geben würde. Tatsächlich war es
beispielsweise nicht immer einfach, die Kommentare zur Entthronung von
Gerhard Schröder korrekt einzuordnen: Was davon war allgemeine
patriotische Empörung, was davon Empörung über Vaterlandsverrat im
Krieg? Und – nicht, dass das für den Oliv-Index eine Rolle spielen
würde: Was war Abwiegelung aus Staatsraison, was Abwiegelung aus kühlem
Kopf? Die naheliegende Position „wenn ihr ihn wegen Kosovo und Hartz
IV, wegen Afghanistan und Riesterrente, wegen BamS und lupenreinen
Demokraten nicht abgesägt habt, müsst ihr es jetzt auch nicht mehr
machen“ kam leider nicht vor.
Dennoch sind Zweifelsfälle nach meinem ersten Eindruck nicht furchtbar
dramatisch. Ich würde vermuten, dass andere Menschen meine Scores
innerhalb von vielleicht 10% reproduzieren würden.
Wer das probieren will, ist herzlich eingeladen. Dazu könnt ihr meine
codes.txt inspizieren und sehen, ob ihr meine Einschätzungen teilt,
solange die Presseschauen nicht depubliziert sind (was derzeit leider
sehr schnell geht). In so einem Code steht von links nach rechts jedes
Zeichen für einen Kommentarauszug, von oben nach unten gelesen. Ein o
steht für einen oliven, also patriotisch-militaristischen Artikel, ein
Punkt für einen anderen.
Ihr könnt auch das Programm, das die Plots macht, ziehen: olivin. Da
dürfte sich in der nächsten Zeit noch das eine oder andere ändern, denn,
das gebe ich gleich mal zu, ich hoffe, am Schluss etwas Ähnliches zu
produzieren wie die längst zu Popkultur gewordenen Climate Stripes
von Ed Hawkins. Nur eben, ich bin ja Optimist, als Illustration
einer vielleicht wieder allmählich sinkenden Begeisterung für Militär
und Vaterland.
Nachtrag (2023-06-17)
Nach über einem Jahr mit der DLF-Presseschau hat mich jetzt die Lust
verlassen; die letzte Presseschau, die ich verdaut habe, ist die vom
20.5.2023. Hier sind die military stripes von damals:
Verschiedene braune Bänder lassen sich den Ereignissen der Zeit
zuordnen; so entspricht das starke Feature rechts von 2023-01-16
der Großaufregung für die Lieferung von Kampfpanzern aus der
Produktion der Rüstungsschmieden Krupp^W Krauss-Maffei-Wegmann und
Rheinmetall an die Regierung der Ukraine; die darauf folgende
weiße Beruhigung illustriert, dass der militärisch-patriotische
Komplex durchaus auch mal für ein paar Tage zufrieden sein kann.
Aber erstens war die militärisch-patriotische Begeisterung schon im
letzten Sommer insgesamt überschaubar, und zweitens artet das alles in
Arbeit aus. Wenn aber wer mal mit inzwischen über einem Jahr
DLF-Presseschauen spielen will (ich könnte mir z.B. vorstellen, dass ein
darauf nachtrainiertes LLM ausgesprochen bizarre Sachen sagen
würde), möge sich bei mir rühren.
Nun ja: Für die Leute, die die Metriken definieren, sind sie
ja schon nützlich, denn natürlich wird mensch die so definieren, dass
sie den eigenen Interessen dienlich sind. Insofern bin ich natürlich
kein Feind von Metriken, die ich definiere.
Schon seit anderthalb Monaten müssen die Fahrgäste am Stuttgarter
Hauptbahnhof den hier grün eingezeichneten Weg nehmen, um den Bahnhof
Richtung Innenstadt und Nahverkehr zu verlassen, nach (realistischer)
Bahn-Einschätzung ein Weg von fünf Minuten. Ich bin erstaunt, dass
das bisher noch keinen Aufstand gegeben hat.
Frage an Radio Eriwan: „Steht die Einundzwanzig in Stuttgart 21 für die
Zahl der Jahre, die der Stuttgarter Hauptbahnhof kaputt sein wird oder
für die Zahl der Minuten, die mensch braucht, um vom Bahnsteig an den
Bahnhofsausgang zu kommen?“ Die Antwort: „Im Prinzip ja, aber in
Wahrheit haben wir die Gesamtkosten für die öffentliche Hand in
Milliarden Euro gemeint.“
Ok: Die S21-Katastrophe ist zur Abwechslung nicht der Fehler der Bahn
alleine. Das historische Faktum der Volksabstimmung, die das
Immobilienspekulationsprojekt rund um den Stuttgarter Bahnhof abgesegnet
hat, illustriert gewiss über die DB hinaus einige Grundprobleme der
Abstimmungsvariante direkter Demokratie (die, nebenbei, die
Entropieprobleme ihres repräsentativen Cousins teilt). Solange
Menschen ein Wahnsinns„argument“ wie „wir haben schon zwei Millarden
ausgegeben, jetzt müssen wir da auch durch“ kaufen, wird es mit so einer
Abstimmerei nicht besser.
Demokratietheoretisch noch kniffliger ist, dass hier in breiter Mehrheit
Menschen, die selbst praktisch nie einen Bahnhof betreten („Autofahrer“)
den NutzerInnen des Stuttgarter Bahnhofs mehr als ein Jahrzehnt auch
nach Bahnmaßstäben allenfalls hinkenden Notfallbetriebs eingebrockt
haben. Alle Auswege aus Problemen dieses Typs, die mir so einfallen,
schweben irgendwo zwischen Ablismus und Aristokratie oder sprengen alle
vernünftigen Konzepte von Gesellschaft; vermutlich ist das ein Zeichen,
dass es echte Partizipation nur im Gespräch, nicht aber in der
Abstimmung geben kann (was ich ja schon lange vermute).
Mai 2022: Über ein Jahrzehnt nach der blutigen Räumung des
Schlossgartens, damit es „endlich“ losgehen konnte mit dem Abbau des
Stuttgarter Hauptbahnhofs, markiert die Bahn: Wanderer, betrittst du
den Bonatzbau, kehre einfach wieder um.
Durchaus ein Fehler der Bahn ist aber, wenn zunächst für zehn Jahre die
Gleise nur über zwei Brücken von vielleicht 200 Metern Länge mit dem
Bahnhofsgebäude verbunden sind – war in dieser Grube wirklich so lange
so viel zu machen? – und dann selbst diese beiden Brücken gleichzeitig
abgerissen werden. Genau das ist aktueller Stand der Dinge, und der Weg
Richtung Innenstadt verläuft jetzt über eine riesige Schleife von
vielleicht einem halben Kilometer. Damit braucht es mindestens fünf
Minuten von Bahnsteig zu Vorplatz und ÖPNV – was solide in der
Größenordnung der Wege liegt, die ich überhaupt zurückzulegen habe, wenn
mich ein gehässiges Schnicksal nach Stuttgart verschlägt. Das hätte mit
etwas kundInnenfreundlicher Planung nicht sein müssen.
Updates zu meinen übrigen Sorgen mit der Bahn: Keine. Ich weiß immer
noch nicht, welche „Angriffe“ eigentlich durch hcaptcha abgewehrt werden
sollen, habe keine Hinweise, wie ich nicht bei jeder Buchung wieder ein
Captcha lösen muss (heute habe ich ca. 15 Flugzeuge angeklickt), und es
gibt immer noch kein Signal der Bahn zur doch eigentlich sehr
naheliegenden Forderung, entweder die Bahn-Bonus-App oder zumindest ihre
API offenzulegen.
I read my mail using mutt, and even though I was severely tempted by
astroid, mutt just works too nicely for me to make moving away an
attractive proposition. And it is a fine piece of software. If
you're still stuck with Thunderbird (let alone some webmail interface in
the browser) and wonder what text-based software you might adopt, right
after vim I'd point you to mutt.
I'm saying all that because the other day I complained about a snooping
mail marketing firm (in German) abusing MIME's multipart/alternative
type to clickbait people reading plain text mails into their
tracker-infested web pages, and I promised to give an account on how I
configured my mutt to cope with HTML mails and similar calamities.
The basic mechanism is ~/.mutt/mailcap. That's a file analogous to
/etc/mailcap, for which there's a man page, mailcap (5)[1].
That explains how, in general, software uses this file to figure out
which program to use to display (or print or compose) files of which
types.
Mutt reads system-wide mailcaps, too, but I've found I generally want to
handle a solid number of media differently in mails than, say, in
browsers or from the shell[2], and hence I'm keeping most of this
configuration in mutt's private mailcap. For HTML mail, I've put into
that file:
This uses w3m to format HTML rather than te lynx that the mutt docs
give. Lynx these days really is too basic for my taste (I'm not even
sure whether it has learned utf-8). Still, this will not execute
javascript or retrieve images, so most of the ugly aspects of HTML mails
are sidestepped. The copiousoutput option makes mutt use its
standard pager when showing the program's output, and thus HTML mail
will look almost like sane mail.
To make that really seamless, you need an extra setting in your
~/.mutt/muttrc:
auto_view text/html
This makes mutt automatically render HTML (which, contrary to the
behaviour of gmail or thunderbird I consider relatively safe if it's
parsimonious w3m that does the rendering). In addition, since I still
believe in the good in humans, I believe that when there is both HTML
and plain text in a mail, the plain text will be better suited for my
text terminal, and so I tell mutt to prefer text/plain, which, again in
the muttrc, translates into:
alternative_order text/plain
And that's it: If the villains at cleverreach (the marketing firm I
complained about) didn't have their treacherous text/plain alternative,
my w3m would render their snooping HTML without retrieving their
tracking pixel and I could read whatever they send me without them ever
knowng if and when. I'm still not sure if that's the reason they have
the nasty clickbait text/plain alternative. In general, I support the
principle that you should never explain with malice what you can just as
well explain with stupidity. But then we're dealing with a marketing
firm here…
Anyway: The best part of this setup is that you can quote-reply to HTML
mails, giving your replies inline as $DEITY wanted e-mail to work. That
is something that also is nice when folks send around MS office files (I
get the impression that still happens quite a lot outside of my bubble).
To cater for that, I have in my mailcap:
I admit I actually enjoy commenting inline when replying to office
documents, and I trust antiword (though perhaps docx2txt a bit less) to
not do too many funny things, so that I think I can run the risk of
auto-rendering MS office files. I've not had to regret this for the,
what, 15 years that I've been doing this for (in the antiword case;
according to my git history, I've only given in to autorendering nasty
docx in 2019).
I mention in passing that I have similar rules for libreoffice, but
there I have a few lines of python to do the text rendering, and that is
material for another post (also, folks decent enough to use libreoffice
are usually decent enough to not send around office files, and hence
auto-displaying ODT is much less of a use case).
Two more remarks: This actually cooperates nicely with rules not using
copiousoutput. So, for instance, I also have in my mailcap:
text/html; x-www-browser file://%s
With that, if need by I can still navigate to an HTML file in the
attachments menu and then fire up a “normal” browser (with all the
privacy implications).
And: people indecent enough to mail around MS office files often are not
even decent enough to configure their mail clients to produce proper
media types. Therefore, mutt lets you edit these to sanity. Just hit
v, go to the misdeclared attachment and then press ^E. Since the
“Office Open XML“ (i.e., modern Microsoft Office) media types are so
insanely long and unmemoralisable, I have made up a profane media type
that I can quickly type and remember for that particular purpose:
In case you're not so at home in Unix, writing “mailcap (5)”
means you should type man 5 mailcap (for “show me the man page for
mailcap in the man section 5”) to read or skim the documentation on
that particular thing. Explicitly specifying a section has a lot of
sense for things like getopt (which exists in sections 1 and 3) and
otherwise is just an indication that folks ought to have a look at
the man page.
Manche glauben, dass sie gewisse gewalttätige Aktionen nach dem Motto
rechtfertigen können, der Zweck heilige die Mittel: „Unsere Gewalt ist
in Ordnung, denn es ist doch gute Gewalt.“ Aber solche Aktionen sind
durch nichts zu rechtfertigen.
Das ist eine lobenswerte Position. Mal sehen, ob sie mit dieser
Verurteilung von Gewalt unabhängig vom verfolgten Zweck in ihrer Partei
auch dann durchkommt, wenn es nicht um Eier, sondern um Granaten
geht.
Ich will nicht ganz verhehlen, dass mich die diesjährigen Big Brother
Awards ein klein wenig enttäuscht haben. Gewiss waren das alles
verdiente Empfänger, aber mein Favorit war wieder mal nicht dabei.
Dabei gebe ich den Leuten vom FoeBuD (ich verweigere mich der
Umbenennung in digitalcourage aus reiner Nostalgie), dass dessen
Verfehlungen überschaubarer sind als die Bewegungsprofile von Lieferando
und die garstigen Fintech-Teufeleien von Klarna.
Dennoch sollte, so finde ich, cleverreach gelegentlich bedacht werden,
idealerweise in einer Kategorie „Ausschnüffeln per DSGVO-FUD“. Diese
wäre Einrichtungen vorbehalten, die anderen Einrichtungen
Überwachungstechnik unterschieben, indem sie die von weiten Teilen der
freien Presse geschürten Ängste vor der DSGVO ausnutzen.
Dieses Thema wird schon durch das augenblickliche Cookie-Banner dieser
Leute gesetzt, das modal (also: nichts geht, solange mensch nicht
klickt) zunächst von „Privatsphäre respektieren“ redet und dann über
allzu bekannte Dark Patterns versucht, den Leuten hart am Rande der
Legalität Daten abzupressen:
(ich habe das Legalesisch rausgeschnitten, da es nichts zur Sache tut).
Zum Mitschreiben: Ein Laden, der Datenschutz ernstnimmt, braucht keine
Cookie-Banner und schon gar keine Dark Patterns. Immerhin, das will ich
den Leuten lassen, funktionieren weite Bereiche der Webseite inzwischen
(das war vor zwei Jahren noch anders) ohne Javascript. Tatsächlich
werden ohne Javascript nicht mal Cookie-Banner ausgespielt (Disclaimer:
ich habe nicht nachgesehen, ob dann auch wirklich keine unnötigen
Cookies[1] verschickt werden).
Etwas ungehaltener bin ich schon über die Sirenentöne zur DSGVO,
mit denen cleverreach Unternehmen und, noch schlimmer, andere
Einrichtungen verunsichert: „eine Mailingliste ist datenschutzmäßig
total kompliziert, und wenn du eine betreibst, bist du schon halb im
Knast“. Das ist natürlich Unfug, solange beim Abonnieren klar ist, was
die Leute kriegen und der dazugehörige Dialog transparent gestaltet ist.
Aber welcheR „EntscheiderIn“ – Technik- und Sachkenntnisse sind in
solchen Positionen ja eher optional – könnte Sirenentönen schon
widerstehen?
Nun könnte ich mit so ein wenig DSGVO-FUD zur Not noch leben, selbst
wenn er zu einer – nur in seltenen Fällen dem Datenschutz wirklich
helfenden – Zentralisierung von EDV führt, hier nämlich von jeweils ein
paar lokalen Mailinglisten auf jeder Menge voneinander isolierter Server
zu einer Firma mit „310.000 Kunden“ mit entsprechend vielen Listen.
Diese Kunden sind zum Beispiel die Bundesorganisation der GEW, die
Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg und das Landesmuseum für Arbeit und
Technik in Mannheim (dessen aktuellen Namen „Technoseum“ verweigere
ich mit gleicher Sturheit wie die „digitalcourage“). Stellt euch vor,
ihr wisst, dass jemand von allen drei Läden Info-Mails abonniert hat,
notabene freiwillig, was schon eine gewisse Identifikation mit den
jeweiligen Zwecken vermuten lässt: Entsteht da nicht ganz von selbst ein
Profil?
Faustregel: „clever“ heißt im Internet so viel wie
„fies”
Aber ist denn die Bildung so eines Profils nicht gegen die DSGVO?
Oh, mit hinreichend viel Skrupellosigkeit ist das kein Problem. Und
damit komme ich zum wirklich verwerflichen Teil von cleverreachs
Geschäft, der meines Erachtens Restzweifel im Hinblick auf die
Skrupellosigkeit zuverlässig zerstreut.
Dazu braucht es einen Blick in die von cleverreach verschickten Mails.
Dies sehen typischerweise so aus:
I 1 [multipa/alternativ, 7bit, 79K]
I 2 ├─> [text/plain, quoted, utf-8, 0.7K]
I 3 └─> [text/html, quoted, utf-8, 78K]
– sie gibt also vor, dass mensch alternativ ordentlichen Text oder
ein HTML-Dokument haben kann. Das Problem ist noch nicht mal, dass es
da überhaupt HTML gibt (auch wenn anständige Menschen kein HTML in Mails
packen). Das Problem deutet sich an darin, dass der Plain Text nur ein
Hundertstel der Länge des HTML-Teils hat. Das ist auch beim Einrechnen
des HTML-typischen Fluffs nicht mehr glaubhaft, und in der Tat ist der
Plain-Text-Teil nur ein Köder, um Menschen zu cleverreachs
Schnüffelseiten zu bringen:
Ihr E-Mail Programm unterstützt leider keine HTML E-Mails.
Hier finden Sie diesen Newsletter online:
https://213989.seu2.cleverreach.com/m/dddddddd/dddddd-hhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh
hhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh
(wo d Dezimalziffern und h Sedezimalziffern sind; mit Code im Umfang
dieser URL könnten DemoprogrammiererInnen Bälle über den Bildschirm
hüpfen lassen). Wer dieser ganz klar personalisierten URL folgt,
bekommt immerhin keinen Cookie-Banner, und erstaunlicherweise wird auch
kein Javascript ausgeliefert. In der Tat setzen die verschiedenen
Ressourcen auch keine nennenswerten Cookies. Allein die URL:
(c steht jetzt für Kleinbuchstaben) setzt einen PHP-Session-Cookie –
aber das ist vermutlich nur Gedankenlosigkeit. Das wirkliche Problem an
dieser Ressource: das ist ein Tracking-Pixel, in schlechter Tradition
als leeres GIF von 40 Bytes, das aber (was passiert da wohl im
Hintergrund?) jetzt gerade 5 Sekunden für die Auslieferung gebraucht
hat.
Hiermit nimmt cleverreach auf, wer ihre Mails liest und wann sie das
tun. Nennt mich paranoid, aber ob und wann ich Werbepost lese, das geht
wirklich nur mich etwas an. Ich will auf keinen Fall, dass jemand
merkt, wenn ich auf Clickbait hereinfalle.
Wenig überraschenderweise findet sich dieser Trackversuch auch am Ende
der ganz klassisch als Tabelle ausgezeichneten HTML-Alternative in der
Mail:
Bei HTML dieser Art (und überhaupt: GIFs) werde ich wieder jung: so
haben wir Mitte der 1990er Webseiten geschrieben.
Trotz dieses Schnüffelversuchts wäre es übrigens (wenn es jetzt schon
HTML sein muss) datenschützerisch besser, wenn cleverreach den Plain
Text-Teil nicht einbasteln würde, denn dann würde mein datensparsames
eigenes HTML-Rendering aktiv werden und ich könne die Mail lesen, ohne
(wie im normalen Browser fast unvermeidlich) getrackt zu werden. Wie
das alles mit meinem Mail-Client zusammengeht, beschreibe ich demnächst
mal; ich bestehe jedenfalls darauf, dass Plain Text-Alternativen, die
nur Clickbait enthalten, unethischer sind als gar kein Plain Text.
Entweder Internet-Normalbetrieb oder DSGVO.
Zugegeben: das verschlagene Unterschieben von Trackingpixeln, um
mitzukriegen, wann wer was liest und das dann den eigenen KundInnen als
total wichtige Marketingmetrik verkaufen zu können: Das könnte in Zeiten
von Google Analytics schon fast als lässliche Sünde durchgehen. Wer
sich auf Schurkereien dieser Art einlässt, darf jedoch im Gegenzug nicht
Gewerkschaften und SPD-nahe Stiftungen (samt ihrer im Datenschutz eher
unbeholfenen HauspolitiologInnen für antisoziale Medien) mit
Datenschutzraunen und -drohen von datensparsamen Verfahren in das eigene
überwachungskapitalistische Geschäftsmodell ziehen.
Ich lasse die Frage, ob es wohl „notwendige Cookies“ überhaupt
gibt, mal beiseite, denn Antworten auf diese bräuchten jede Menge Platz
für haarige technische und soziale Betrachtungen sowie eine
Großpackung Wenns und Abers.
About the lamest component of my current machine, a Lenovo XP 240, is
the touchpad. Well, it's actually a clickpad, i.e., a thing without
real buttons that you can press to make mouse button clicks.
Yes, this machine was designed at a time when everyone thought they had
to follow Apple's lead in abolishing the mouse buttons. What they had
not considered: while OS X is built around the (IMHO somewhat foolish)
notion that there's just one mouse button, in conventional X11 (roughly,
left: mark, middle: paste, right: context menu), having just one button
really is no fun.
Fortunately, one can define the button areas rather liberally by
X11-configurung the synaptics driver (and prototype things using the
synclient program, once one gets used to it quirks[1]) Some
duct tape one will even give add some tactile feedback to the pad so you
can feel the buttons without having to look:
This still stinks, because every time one clicks, the mouse pointer
moves. Fortunately, thinkpads also have a stick for pointer motions,
and so I could switch off pointer motion through the touchpad entirely.
I did that by setting AreaTopEdge to 0 (the default) and AreaBottomEdge
to 10 (or something similarly small). Hardware clicks and the detection
of the finger's location is unaffected by that setting.
That has worked fine (within reason), for all the, what, eight years
that I've used this box. But my stint into the fediverse made me
revisit my clickpad hack. This is because the mastodon client Tootle
does not have useful key bindings (like: space bar scrolls a page).
I have considered adding them but lost all motivation when I noticed
that the current vala source does not build on Debian stable, and
apparently by a large margin (ah, hipsterware!). I then briefly
considered writing mastodon reader myself in a bit of Tkinter but
got sidetracked when I noticed I'd have to render at least some subset
of HTML (which is an interesting problem in itself, and
tk_html_widgets looks fairly promising; but I still let it go).
And so I've finally implanted a scroll wheel into the stupid synaptics
clickpad by enabling two-finger scroll. However, one cannot just switch
on two-finger scroll without also switching on pointer motion, too
(or can one?). After quite a bit of fiddling, I figured having a little
patch in the middle of the touchpad sensitive keeps the number of
inadvertent pointer movements to a minimum; once you have a finger
there, you can use the entire pad for scrolling with the other finger.
In sum, this gives the following piece of xorg.conf material, to be
dumped to /etc/X11/xorg.conf.d/50-synaptics.conf:
Section "InputClass"
Identifier "touchpad"
MatchProduct "SynPS/2 Synaptics TouchPad"
Driver "synaptics"
Option "ClickPad" "True"
# Three buttons of equal size, stretching the whole way vertically
Option "SoftButtonAreas" "67% 100% 0 0 30% 67% 0 0"
# Turn off motion altogether: AreaBottomEdge 10 AreaTopEdge 0
# Motion only detected betwee A.T.E. and A.B.E.
# Here, use an aread in the middle of the pad:
Option "AreaTopEdge" "2400"
Option "AreaBottomEdge" "3200"
# Now enable scrolling with one finger on the sensitive area, the
# other finger moving to scroll. Raising FingerHigh can help
# reducing accidental moves. VertScrollDelta lets you
Option "VertTwoFingerScroll" "True"
Option "VertScrollDelta" "60"
Option "FingerHigh" "60"
# Our Buttons are on the full area anyway, so:
Option "HasSecondarySoftButtons" "False"
# A bit of config spam that I'm too lazy to regression test out.
# I'd expect they're rather safe to drop, though.
Option "VertResolution" "1000"
Option "HorizResolution" "650"
Option "MinSpeed" "1"
Option "MaxSpeed" "1"
Option "AccelerationProfile" "1"
Option "AdaptiveDecelration" "16"
Option "ConstantDecelration" "16"
Option "VelocityScale" "1"
EndSection
Have a look at the comments; on another box, I expect you'd need to
fiddle with AreaTopEdge and AreaBottomEdge to find values convenient for
you and your specific pad (the coordinates of the limits are most easily
found in /var/log/Xorg.0.log). You may also want to play with
FingerHigh, the pressure above which the device counts a click; on a
clickpad, though, even for reasonable values you will click before you
touch.
Synclient's quirks may not be its fault at all, but it is
somewhat annoying that it lets you play with settings for circular
pads (CircularScrolling, say) on devices that have no idea what these
settings are, that you can set pressure sensitivity parameters
(PressureMotionMinZ, PressureMotionMaxZ, PressureMotionMinFactor,
PressureMotionMaxFactor) on pads that are, as I'm sure mine is after
experimenting a lot, not pressure sensitive, or that it lets you set
PalmDetect, PalmMinWidth, and PalmMinZ to absolutely no discernable
effect. Ok, on the latter setting the synaptics man page does state
that that needs firmware support. But really, if that's so, couldn't
the non-supporting firmware be smart enough to not offer the setting
in the first place if it does nothing?
Auch die Stadt Heidelberg – die in der Altstadt noch nicht mal
Dachfenster erlaubt, damit vom Schloss aus alles ordentich aussieht –
lässt die Werbefritzen von Ströer Dauerbeflimmerung ausrollen, hier an
der Kreuzung Berliner-Jahnstraße, wo es wirklich nur eine Frage der
Zeit ist, bis das Gezappel auf dem Bildschirm mal wen so ablenkt, dass
er/sie sich oder wen anders kaputtfährt.
Während die Bahn papiergewordene Cookiebanner verschickt, gibt es an
vielen anderen Stellen offenbar durchaus Hoffnung, zumindest ein
bisschen weniger menschliche Kreativität und Zeit (von Energie und
Rohstoffen ganz zu schweigen) in die Belästigung der Allgemeinheit
(etwas beschönigend auch „Werbung“ genannt) fließen zu lassen. So
berichtet der DLF-Hintergrund vom 13.4.2022 aus Genf, die dortige
Stadtverwaltung wolle ab 2025 alle Plakatwände und vor allem ihre
besonders aufdringlichen elektronischen Geschwister abbauen lassen.
Das Radiofeature gibt Beispiele für gelungenes, wenn auch weniger
ambitioniertes, Zurückdrängen von Außenwerbung: die Stadtverwaltung von
São Paulo hat bereits 2007 15'000 Plakatwände demontieren lassen, in
Grenoble wurden 2014 immerhin 300 davon durch Bäume ersetzt.
„Werbefrei für die Freiheit“
—nicht J. Gauck
Der DLF lässt weiter Menschen von der Initiative Hamburg Werbefrei zu
Wort kommen, über deren Kampf speziell gegen die die leuchtenden und
zappelnden Groß- und Riesenbildschirme auch die taz berichtet.
Obszöne 45000 kWh Strom im Jahr verpulvert so ein Ding, also etwas wie 5
Kilowatt. Während ich das als „etwa so viel wie ein dauernd fahrendes
kleines Auto“ (oder auch: 50 ordentlich reintretende RadlerInnen)
umschreiben würde[2], übersetzt es der Aktivist im DLF-Interview das
als „fast so viel wie 30 Einpersonenhaushalte“. Die taz hingegen
schreibt „wie 15 Zweipersonenhaushalte“[1]. Angesichts solcher
Zahlen wäre ich fast versucht, mich des grassierenden Patriotismus
ausnahmsweise mal für gute Zwecke zu bedienen: „Werbefrei für die
Freiheit“.
Der taz-Artikel zitiert den Vorsitzenden der Grünen-Fraktion in Hamburg,
Dominik Lorenzen, mit den Worten: „Es gibt in der Stadt [sc. Hamburg]
eine gute Balance zwischen Werbeflächen und Platz für die Menschen“, was
ich schon bemerkenswert finde; der Mann erkennt zwar an, dass Werbung
schlecht für die Menschen ist, räumt ihr aber dennoch irgendeine Art von
Rechten ein, die mit den Interessen der BewohnerInnen seiner Stadt
auszubalancieren sei. Könnte ich ausgeschrieben haben, welcher Natur
diese Rechte wohl sein könnten? Ich hoffe nur, dass mein Spamfilter
legal bleibt…
Dieses Plakat-Ensemble (gleich neben dem Display von oben in der
Heidelberger Jahnstraße) wäre nach den versprochenen Genfer Regeln
noch ok: A0-Plakate, meist für Kultur oder, na ja,
Bildungsveranstaltungen.
Üblicher ist demgegenüber die Argumentation von Verkehrssenator Tjarks,
die die Belästigung der Öffentlichkeit mit städtischen Einnahmen von 27
Millionen Euro (im Jahr 2020) rechtfertigt. Im DLF-Beitrag wird, im
Gegensatz zum taz-Artikel, allerdings darauf hingewiesen, dass gerade
neue Verträge geschlossen wurden, die den öffentlichen Raum billiger
verhökern. In Genf soll die Stadt durch die Planungen viereinhalb
Millionen Euro weniger einnehmen. Gegengerechnet: beide Kommunen
verkloppen Stadtbild und Nerven der BewohnerInnen für recht einheitlich
um die 20 Euro pro Nase und Jahr.
Zahlen dieser Art dürften auch hinter der sehr schmallippigen
Kommunikation stecken, mit der der werbeindustrielle Komplex
AktivistInnen in Hannover gerade auflaufen lässt. Dort liegen
offenbar 50 Bauanträge vor zur Ausweitung der Dauerwerbe-Beflimmerung
(großartiger Begriff aus dem verlinkten Post) durch den Werbekonzern
Ströer, Stadt wie Firma (die seit einem Jahr oder so übrigens auch
t-online.de betreibt) mauern bezüglich der Details.
Eine Schote bei der ganzen Geschichte: Nachdem die Aktivistis auf die
Ströer-Übersicht zu Werbeanlagen in Hannover gelinkt hatten, um das
Ausmaß des Problems zu illustrieren, wurde es Ströer selbst zu peinlich;
jetzt ist da nur noch ein 404 („Sie haben womöglich eine falsche oder
alte URL aufgerufen“), und leider hilft auch die Wayback-Maschine
nicht. Indes ist allzu viel Fantasie nicht nötig, sich 4600 Werbeträger
von Ströer in einer Stadt mit 540'000 EinwohnerInnen vorzustellen. In
der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung müssen damit je rund 100
Menschen eines von diesen Teilen bezahlen.
Auch in Genf schlägt die Reaktion zurück. Ein „ideologischer Bulldozer“
sei es, die öffentliche Belästigung reduzieren zu wollen, „Zensur in
Sowjetmanier“, die, und mit derart verdrehten Argumenten wollen
allerlei Rechtsparteien und -verbände eine Volksabstimmung gewinnen,
auch zu „weniger Umsatz“ in den Geschäften führen wird, weshalb
„Arbeitsplätze verloren“ gehen werden.
Ich bin immer ganz fassungslos, wenn ich solche Argumentoide höre. An
sich ist die Situation nach dem Genfer Modell doch ganz klar: Wir
belästigen die Leute weniger, was ja ein großer Vorteil ist. Und dafür
müssen wir weniger arbeiten, was ja auch ein großer Vorteil ist. Wie
könnte da jemand was dagegen haben?
Die deutschen Werbefritzen sagen, sie hätten einen Anteil am BIP von
1.3% (sie sprechen von „Marktvolumen“). Rechnen wir die Arbeit ein, die
es fürs Aufräumen hinter diesen Leuten braucht, und noch weitere Mühe im
näheren Umfeld dieses Geschäfts, sind 2% weniger Arbeit ohne Werbung
durchaus realistisch. Das wäre, wenn das auf alle Menschen gleichmäßig
verteilt wird, ungefähr eine Stunde weniger Lohnarbeit.
Wäre das nicht klasse? Kein doofen Blinketafeln mehr und am Freitag
eine Stunde früher heimgehen?
Wer auch immer da gerechnet hat, hat ohnehin falsch gerechnet,
denn zwei Leute, die einen Haushalt teilen, werden in aller Regel
weit weniger Strom verbrauchen als zwei, die jeweils alleine wohnen.
Das ist schon deshalb praktisch unausweichlich, weil die
Dauerverbraucher Router und Kühlschrank einfach bzw. doppelt vorhanden
sind. Da die 1500 kWh pro Einpersonenhaushalt so in etwa auch bei den
EWS-Leuten auf ihren Rechnungen stehen, wird das wohl schon so in
etwa hinkommen. Allerdings: In meinem Zweipersonenhaushalt wird sogar
Essen und Wasser mit Strom erhitzt, und trotzdem kommen wir insgesamt
bei 1300 kWh/Jahr raus. Insofern frage ich mich immer ein wenig: Was
machen die Leute alle mit ihrem Strom?
Die Wikipedia sieht in einem Mitsubishi-Kleinwagen
einen Elektromotor mit etwa 50 kW Leistung, aber das ist ganz
offensichtlich eine Überdimensionierung. Mit 50000 Joule kann mensch
gemäß E = mgh (die potentielle Energie ist Masse mal
Erdbeschleunigung mal Höhe), ausrechnen, dass so ein Motor eine Tonne
50000 J ⁄ (1000 kg⋅9.81 m/s2) ≈ 5 m
in die Höhe bringen kann – und das jede Sekunde ein Mal.
Stellt euch mal kurz eine Tonne irgendwas vor, und dann, was passiert,
wenn mensch die fünf Meter runterfallen lässt. Ihr ahnt, was das für
Urgewalten wären. Umgekehrt wird als Reichweite für die Kiste 160
Kilometer genannt, was ich für Zwecke der Überschlagsrechnung in
eine Betriebsdauer von drei Stunden übersetze. Bei einer
Batteriekapazität von ungefähr 15 kWh ergeben sich dann zwanglos die 5
kW mittlere Leistung bei einem Kleinwagen ohne Klimaanlage.
Gestern habe ich Brief-Spam von der Bahn bekommen. Während meine Fragen
zu frechen Captchas (Oktober 2021) und einer öffentlichen
Entwicklung ihrer „BahnBonus App“ (neulich) immer noch auf sinnvolle
Antworten warten und die Mails von der Support-Adresse immer noch einen
komplett kaputten text/plain-Teil haben, schreibt die Bahn:
Sie sind noch nicht zu unserer E-Mail-Kommunikation angemeldet.
Äh… Was? Ihr habt mir doch euer Schreiben, nach der künftig Menschen,
die den root-Account auf ihren Rechnern weder Apple noch Google geben
wollen (nicht-technisch: „nicht smartphonieren“), auch per Mail
geschickt? Nun, lesen wir weiter:
Aber nicht nur mit der BahnBonus-App, sondern auch durch unsere
E-Mail-Kommunikation bekommen Sie unsere Angebote immer und überall
direkt auf ihr Smartphone.
Ah ja. „Angebote” also. Dass die Bahn Werbung über ihre App ausspielen
will, habe ich mir schon gedacht, denn, abgesehen vom (Meta-)
Datensammeln: Was soll sonst schon der Vorteil der App-Infrastruktur
sein gegenüber der alten Karte, die als Werbeträger, das gebe ich der
Bahn gerne, nur recht eingeschränkt taugt?
Was die Bahn hier probiert, heißt, so höre ich, in der Branche „Consent
Management“, also das Erschleichen von Einwilligungen zu allerlei
Datenverarbeitungen, die klar denkende Menschen ohne solches
„Management“ durchweg ablehnen.
Die Werbepost von der Bahn ist mithin eine materielle Manifestation
eines Cookiebanners. Liebe Bahn: Der aktuelle Kurs für das Erschleichen
solcher Einwilligungen ist mindestens ein iPad-Gewinnspiel. Oder in
meinem Fall: dass ich mit meiner Plastikkarte weiter einen warmen Ort
mit sauberem Klo finde, wenn ich mal wieder auf einem größeren Bahnhof
auf einen Zug warte, der grob in meine Richtung fährt.
Aber all das hat auch eine positive Seite: offenbar gibts im
Bahn-Werbecomputer kein Feld „angepisster Kunde, vorsichtige Ansprache“
– oder die Prozesse, es zu füllen, funktionieren nicht. Und das ist
aus Datenschutzsicht auch schon was.
Exkurs: Datenschutzaufklärung auch kaputt
Oh, habe ich gerade „Datenschutz“ in einem Bahn-Zusammenhang gesagt?
Dann kann ich nicht widerstehen, kurz von zwei Highlights meines
Ausflugs auf die Datenschutzseite der Bahn zu berichten. Da stimmt
nämlich schon im Hinblick auf die Rechtsgrundlagen ziemlich wenig (Stand
April 2022). Ich will kurz zwei Beispiele geben.
Die Bahn setzt ein bizarres Konglomerat von Tracking-Software ein (was
den beruhigenden Schluss zulässt, dass sie wahrscheinlich sehr wenig mit
den Ergebnissen machen, denn das Gesamtbild hinterlässt nicht den
Eindruck, dass da wer weiß, was er_sie tut) und erklärt dazu:
Die im Folgenden aufgeführten und von uns eingesetzten
Tracking-Maßnahmen werden auf Grundlage des Art. 6 Abs. 1 lit. b)
DSGVO durchgeführt und dienen der bedarfsgerechten Gestaltung und
fortlaufenden Optimierung unserer Webseite.
Buchstabe b in DSGVO Art. 6 (1) ist „Abwicklung eines Vertrages“. Wer
mir erzählt, er könne mir nur dann ein Ticket verkaufen, wenn er
Tealium, Adobe Analytics, Optimizely, Qualtrics, m-pathy und
CrossEngage alle zusammen auf mich loslässt, hat allenfalls mein
bitteres Lachen, anonsten aber die Nadel des Glaubwürdigkeits-o-meters
am Nullanschlag verbogen.
Nur zur Klarheit: eine Datenverabeitung, die sich auf Buchstabe b
beruft, muss notwendig sein, der Kram muss also kaputt gehen, wenn sie
nicht stattfindet. Das ist bei all den Trackern augenscheinlich
unzutreffend, denn auf meiner Maschine zeigen fast alle zugehörigen
Servernamen auf meine eigene Maschine oder die „Dienste“ sind
anderweitig „geblockt“. Ich kann aber trotzdem buchen, von den
Captcha-Belästigungen mal abgesehen.
Allerdings: Schon der vorgeschobene Grund, „bedarfsgerechte
Gestaltung“ (von der ohnehin keine Rede sein kann) hat ja mit der
Vertragsabwicklung nichts zu tun. Vielleicht könnten in dem
Zusammenhang „berechtigte Interessen“ (Buchstabe f) angeführt werden,
mit der Vertragsabwicklung hat das jedenfalls nichts zu tun.
Mit diesen berechtigten Interessen versucht es die Bahn ein wenig
später, nämlich bei den Captchas (wo das nicht komplett abzustreiten
wäre, auch wenn im konkreten Fall jede Verhältnismäßigkeit fehlt) und:
Für Zwecke der Betrugsprävention verwenden wir die Technologie
JSC-Tools der Risk.Ident GmbH (Am Sandtorkai 50, 20457 Hamburg). Dies
dient Ihrem und unserem Schutz, um der missbräuchlichen Verwendung
Ihres Zahlungsmittels zur Zahlung bei bahn.de/bahn.com vorbeugen zu
können. Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO.
Bei diesem Passus wollen Zweck – nämlich Schutz meines Zahlungsmittels
– und Verarbeitungsgrund – Interessen der Bahn – recht offensichtlich
nicht zusammengehen. Hier wäre ein Berufen auf Buchstabe b eventuell
denkbar, weil im wilden Internet Zahlungen ohne Schutzzauber
komplizierte Compliance-Probleme bereiten könnten. Das kann ich nicht
beurteilen, denn weder weiß ich, welche Sorte Schutzzauber diese
JSC-Leute machen noch muss ich – und dafür danke ich allen Gottheiten,
die gerne Dankbarkeit hätten – Geld übers Internet eintreiben.
Aber gut: Wer hätte schon erwartet, dass die Bahn im Datenschutz besser
ist als im Zugbetrieb. Auch dort ist es ja gegenwärtig die Regel, dass,
wenn ein Zug kommt, es fast immer ein anderer ist als angekündigt und
auch dieser andere Zug irgendwie kaputt ist.
All diese Leute warteten 2014 im Karlsruher ZKM auf einen Vortrag von
Noam Chomsky. In diesem Post geht es um etwas, wo er ziemlich klar
falsch lag.
Nachdem ich gestern so empört war über Computerlinguistinnen, denen
der ethische Kompass klar abhanden gekommen ist, möchte ich gerne ein
paar Worte über eine wunderbare linguistische Arbeit nachschieben, die
mir neulich auf den Rechner kam. Um es gleich zu gestehen: Auch in
der steckt schmutziges Geld, in diesem Fall vom US Department of Defense
– aber wenn damit schöne Wissenschaft gemacht wird, will ich nicht
mit Steinen werfen.
Ausgangspunkt war die Sendung Äh, ähm, genau – Wozu gibt es
Füllwörter?, die am 15.3. in SWR2 Wissen lief (großes Lob übrigens an
die Redaktion, die noch das Manuskript zur Sendung auf die Webseite
legt, etwas, das beim DLF inzwischen leider Seltenheitswert hat). Meine
Aufmerksamkeit angezogen hat die Geschichte vom „Powerpoint-Genau“,
jenem „Genau“, das tatsächlich viele Menschen entweder kurz vor oder
kurz nach dem Umblättern bei Programmen wie… na ja, impressive sagen.
Jetzt, wo ich mal darauf hingewiesen wurde, fällt mir auch auf, was für
eine verbreitete und, ganz streng genommen, etwas alberne Sitte das doch
ist.
Eine kleine Revolution in der Linguistik (gegen König Noam) aus dem
Jahr 2002.
Von dort bin ich auf die Arbeiten von Joan Fox Tree von der
staatlichen Universität in Santa Cruz, CA gekommen, die im SWR2-Beitrag
als Auslöserin einer kleinen Revolution in der Linguistik bezeichnet
wird, weil sie Ähs und Ähms nicht nur als nützlich – weil
verständnisfördernd – sondern sozusagen als Wörter erster Klasse
identifizierte. Beim Artikel zu Teil zwei firmiert Fox Trees
Stanford-Kollege Herbert Clark als Erstautor, und er erschien 2002, just,
als ich für ein paar Jahre selbst in Computerlingustik dilett^Wlehrte:
„Using uh and um in spontaneous speaking“ (ist leider bei Elsevier
erschienen, so dass ich die dorthin führende DOI
10.1016/S0010-0277(02)00017-3 nur widerstrebend gebe).
Das Paper argumentiert wie gesagt ziemlich stringent, dass Äh und Ähm
ganz normale Wörter sind. Das geht gegen einen Ukas des Gottvaters der
moderneren Lingustik, Noam Chomsky, der sie (in etwa) als
vorprachliche Oberflächenform von Verhakungen bei der Sprachproduktion
angesehen hat. So sehr ich Chomsky als großen Vereinheitlicher der
Theorie formaler Sprachen und klarsichtigen Beobachter „unserer“
Weltpolitik schätze: Ich schließe mich, glaube ich, dem modernen
computerlinugistischen Mainstream an, wenn ich vermute, dass er sich bei
der Untersuchung natürlicher Sprache meist vertan hat.
Ein sehr starkes Argument für die Worthypothese von Clark und Fox Tree
ist zum Beispiel, dass verschiedene Sprachen verschiedene, na ja, Laute
verwenden anstelle unseres Äh. Tabelle eins aus dem Paper gibt folgende
Aufstellung:
Deutsch
äh, ähm
Niederländisch
uh, um
Schwedisch
eh, äh, ääh, m, mm, hmm, ööh, a, ööh
Norwegisch
e, e=, e==, eh, eh=, m, m=, […], øhø, aj
Spanisch
eh, em, este, pues
Französisch
eu, euh, em, eh, oe, n, hein
Hebräisch
eh, e-h, em, e-m, ah, a-m
Japanisch
eeto, etto, ano, anoo, uun, uunto, konoo, sonoo, jaa
(für Referenzen siehe die Arbeit selbst). Es heißt darin weiter:
Speakers of English as a second language often import the fillers from
their first language – we have heard examples from native French,
Hebrew, Turkish, and Spanish speakers – and that is one reason they
continue to be heard as non-native speakers.
Während ich die langen eueueueu-s von FranzösInnen, die Englisch sprechen,
bestätigen kann, ist mir leider noch niemand Spanischsprechendes
begegnet, der/die mit „este“ verzögert hätte. Aber ich werde jetzt
besser aufpassen. Jedenfalls: dass Ähms zwischen verschiedenen Sprachen
verschieden, innerhalb der Sprachen aber recht konstant sind, schließt,
soweit es mich betrifft, aus, dass Äh und Ähm vorsprachliche
Fehlermarker sind.
Die anderen Argumente für die Worthypothese von Clark und Fox Tree sind
vielleicht nicht durchweg vergleichbar stark. Aber die AutorInnen wollten
erkennbar einmal alle konventionellen Sprachebenen durchgehen und
argumentieren deshalb auch phonologisch (sie sind normale englische
Silben), mofphologisch (sie funktionieren auch als Klitika, können sich
also an andere Wörter anlehnen: „und-äh”), mit Prosodie (sie fallen aus
der Satzmelodie heraus, wie das etwa auch Einschübe wie diese Klammer
machen), über die Syntax (hier folgen sie einfach anderen
Interjektionen: Heissa!), über die Semantik (sie haben eine definierte
Bedeutung, nämlich: jetzt kommt gleich eine kleinere oder größere
Verzögerung im Sprechen) und über die Pragmatik, also die Frage: was
wollen die Leute mit einem Äh bewirken?
Einen Eindruck von der Relevanz dieser letzten Frage mag gewinnen, wer
im SWR2-Beitrag Mark Zuckerberg hört, wie er auf die Frage eines
Kongressabgeordneten antwortet, ob er mitteilen wolle, in welchem Hotel
er heute geschlafen habe:
Der Artikel untersucht diese pragmatischen Aspekte, speziell, was seit
Grice Implikatur heißt, und bietet dazu alles Mögliche zwischen „ich
habe noch was zu sagen, rede noch nicht rein“ bis „hilf mir und rede du
weiter“. Im Fall von Zuckerberg – Facebook war 2002 übrigens noch
dystopische Science Fiction – wäre das wohl „Ich tu wenigstens so, als
müsste ich über diese Zumutung noch nachdenken“.
Methodisch ist das alles wirklich schön gemacht. Ich wünschte, mir wäre
das Paper schon in meiner Coli-Zeit aufgefallen. Zumindest meine Studis
hätten viel Spaß haben können[1].
Drei mal Öhm sind allein schon hier im Blog zu finden.
Ein weiterer Punkt aus der Arbeit, den ich für recht überzeugend halte:
Äh und Ähm kommen durchaus gerne in geschriebener Sprache, gerade etwa
in Chats, vor, was bei einer Art zerebralen Notsignal wirklich nicht zu
erwarten wäre. Ein schnelles grep Öhm *.rst im content-Folder
dieses Blogs liefert bereits drei Belege (a, b, c) – ich suche mal
nicht weiter nach anderen graphische Repräsentationen von Ähm, denn der
Punkt ist gemacht: Ich selbst öhme auch, wenn ich sicher keine
Wortfindungsprobleme oder Sackgassen in meinem Textplan habe, und ich
weiß dabei ziemlich genau, was meine Öhms bedeuten sollen.
Angesichts so leicht greifbarer Belege ist schon eher seltsam, dass ein
so heller Kopf wie Chomsky seinen Irrtum offenbar lange vertreten
hat. Andererseits: Wenn ich an die Gelegenheiten denke, zu denen ich
ihn live have reden hören… Nun, ich glaube, er äht selbst schon arg
wenig, und die Sorte informeller (und vielleicht ja comicinspirierter?)
Schreibe, an die wir uns weit über die Blogosphäre hinaus gewöhnt haben,
war in den 60er und 70er Jahren vielleicht wirklich noch eher
Underground. Clark und Fox Tree führen in diesem Zusammenhang aus,
warum Menschen in formaleren, vielleicht hierarchiedominierteren
Situationen weniger ähen werden:
On the minus side, whenever speakers use fillers, they are announcing
that they are having preparedness problems, something they may not
want to admit in public. Speakers on the radio, on television, and in
formal speeches are expected to be knowledgeable and competent, so it
might undermine their authority to admit to preparedness problems.
– eine Einsicht, die sie einer Arbeit über „Radio Talk“ von einem
Herrn Goffman aus dem Jahr 1981 zuschreiben. Und in der Tat:
If speakers have control of uh and um, they should use them less often in
formal than in informal registers, and there is much evidence that they
do.
Ich bin ganz sicher, dass ich das so mache. Den Eindruck, ich würde um
so weniger ähen, je öffentlicher ich spreche, hatte ich bisher eher mit
mehr oder weniger Konzentration in verschiedenen Dia- oder
Monologsituationen erklärt, ganz im Sinne von Chomskys Äh-Theorie.
Jetzt hingegen neige ich auch stark zur These, dass die Ähs in etwa so
verschwinden wie, sagen wir, kräftige Flüche, die ich auf, sagen wir,
Konferenzen normalerweise auch vermeide.
Äh… Scheiße, was für ein fetzengeiles Paper.
Wenn das DoD für sowas zahlen kann: Muss es dann für die Bundewehr
wirklich dieser Großschnüffel-Mist von gestern sein?
Wie prioritär die Auflösung der Bundeswehr ist, zeigt derzeit nicht nur
die allabendliche Berichterstattung zu den Folgen von Krieg[1].
Nein, eine von der Gesellschaft getragene Armee macht diese – die
Gesellschaft – auch furchtbar anfällig für anderweitige autoritäre
Versuchungen. So ist schon Existenz einer Armee das Nachgeben
gegenüber der maximalen autoritären Versuchung, denn ihr zugrunde liegt
ja die Überzeugung, eine große Klasse von Problemen ließe sich lösen,
indem mensch hinreichend viele der richtigen Menschen tötet – und dieses
Töten sei auch gerechtfertigt, wenn nicht gar geboten.
Außerhalb des engeren Tötungsgeschäfts fallen militärisch insprierte
Antworten normalerweise etwas weniger final aus, doch bleibt auch dort
ethisch kaum ein Stein auf dem anderen, wenn die Armee interveniert.
Ein gutes und aktuelles Beispiel ist das Projekt, von dem die
Computerlinguistin Michaela Geierhos von der Universität der
Bundeswehr in Computer und Kommunikation vom 9.4.2022 berichtet.
Im Groben will die ihre Gruppe statistische und vielleicht linguistische
Werkzeuge („künstliche Intelligenz“) zur – immerhin noch polizeilichen
und nicht militärischen – Massenüberwachung von Telekommunikation
nutzen. In den Geierhos' Worten:
…den Ermittler zu unterstützen, überhaupt mal zu erkennen, was es in
Millionen von Zeilen, wo kommen da überhaupt Namen vor von Personen,
was ist ne Adressangabe, gehts jetzt hier um Drogen oder gehts
vielleicht um ganz was anderes.
Mit anderen Worten: Die Polizei soll richtig viele Menschen
abschnorcheln – denn sonst kommen ja keine „Millionen von Zeilen“
zusammen – und dann per Computer rausbekommen, welche der Überwachten
die bösen Buben sind. Das ist der gute, alte Generalverdacht, und
Menschen mit einem Mindestmaß an menschenrechtlichem Instinkt werden so
etwas ganz unabhängig von den verfolgten Zwecken ablehnen. Grundfeste
des Rechtsstaats ist nun mal der Gedanke, dass allenfalls dann in deine
Grundrechte eingegriffen wird, wenn es einen begründbaren Verdacht gibt,
du habest gegen Gesetze verstoßen – und auch dann können nur sehr
konkrete Hinweise auf schwere Verstöße so schwere Eingriffe wie die
„TKÜ“ rechtfertigen (vgl. §100a StPO).
2008 zierte dieses Transparent das Berliner bcc, während der CCC dort
tagte.
In den Beispielen von Geierhos hingegen geht es um ein von vorneherein
zweckloses Unterfangen wie die repressive Bekämpfung des illegalen
Handels mit und Gebrauchs von Rauschmitteln. Das völlige Scheitern
dieses Ansatzes ist ein besonders schönes Beispiel dafür, wie trügerisch
die autoritäre Versuchung ist. Wie so oft mögen die (staats-)
gewalttätigen Lösungsansätze naheliegend sein. Das heißt aber noch lange
nicht, dass sie tatsächlich funktionieren, schon gar nicht auf Dauer.
Und da habe ich noch nicht mit den schweren Nebenwirkungen angefangen.
Leider ist auch der Moderator Manfred Kloiber – versteht mich nicht
falsch: das ist, soweit ich das nach Plaudereien mit ihm im DLF-Studio
beim Chaos Communication Congress beurteilen kann, ein sehr netter
Mensch – schon der autoritären Versuchung erlegen, wenn er fragt:
Auf der anderen Seite würde man sich ja wünschen, dass man genau davon
[z.B. von Drogengeschichten] ein unabhängiges System findet, was
eben halt über die Bereiche hinweg Kriminalität oder anormale Vorgänge
feststellen kann.
Ich weiß nicht, ob ihm klar war, was er sich da wünscht, und die eher
stolpernden Worte mögen andeuten, dass die Frage so nicht geplant war.
Jedenfalls: Eine universelle Verhaltensüberwachung, die nonkonformes
Verhalten (nichts anderes sind ja „anormale Vorgänge“ im sozialen
Kontext) polizeilicher Intervention zugänglich machen soll? Wer könnte
sich sowas unter welchen Umständen zur Lösung welcher Probleme wünschen?
Zum „wer“ kann mensch immerhin schon mal antworten: Wissenschaftlerinnen
der Universität der Bundeswehr, denn Geierhos antwortet ungerührt:
Ja, das ist eine sehr große Vision, aber von dieser Vision sind wir
leider noch weit entfernt.
(Hervorhebung von mir).
Zu weiteren „Kriminalitätsbereichen“, in denen Geierhos ihr digitales
Stahlnetz gerne auswerfen würde, sagt sie:
Also, Wirtschaftskriminalität, wie gesagt, schwieriger, dass wir das
synthetisch herstellen können […] Aber so Chatprotokolle, Telegram und
wie sie alle heißen, da kann man definitiv ansetzen, wir gucken uns
aber auch an, Hasskriminalität beispielsweise, Mobbing, dass es in die
Richtung geht.
Klar, das sind Probleme, deren autoritäre Behandlung (in Wahrheit wohl:
Verschlimmerung) das Aushebeln selbst noch basalster
Menschenrechtsstandards rechtfertigt.
Oh je. Wie genau haben Costa Rica und Island es geschafft, ihr Militär
loszuwerden? Können wir das bitte auch ganz schnell haben?
Bei den Bildern vom Krieg bleibt, nebenbei, zu bedenken,
dass an ihnen im Gegensatz zum offenbar noch verbreiteten Eindruck
nichts neu ist: Armeen, auch „unsere“ Armeen und die „unserer“
Verbündeten, haben seit jeher und auch in den letzten Jahren ganz
ähnliche und noch schlimmere Gräuel angerichtet. Dass nennenswert
viele sogar halbwegs gutwillige Menschen die aktuellen Gräuel zum
Anlass nehmen, „unsere“ Fähigkeiten zum Anrichten von Gräueln
verbessern zu wollen: Das wird künftige HistorikerInnen wohl ebenso
verwundern wie uns heute die Freude, mit der nennenswerte Teile der
kaiserlichen Untertanen in den ersten Weltkrieg gezogen sind. Mich
verwundert schon heute beides in gleichem Maße. Aber das ist nun
wirklich nicht Thema dieses Artikels.
Nachdem mich gestern die Publikationen der Gruppe von Kathelijne
Koops so gelockt haben, habe ich gleich eine durchgeblättert, und
zwar „How to measure chimpanzee party size? A methodological comparison“
von Kelly van Leeuwen und KollegInnen
(doi:10.1007/s10329-019-00783-4, Preprint).
Bevor ich das lobe, muss ich etwas mosern. Erstens, weil das
Ganze von unfreier Software nur so strotzt – die statistische Auswertung
ist mit SPSS gemacht (geht ja auch anders), und das Paper wurde wohl in
Word geschrieben, auch wenn die Metadaten des Preprints etwas verwirred
aussehen (leicht redigiert):
Warum da nacheinander ein „PDFMaker für Word“ und dann (?) nochmal ein
Ghostscript drübergelaufen sind? Hm. Das PDF vom Verlag ist übrigens
nochmal anders gemacht und meldet „Acrobat Distiller 10.1.8 (Windows)“
als die Software, die das PDF geschrieben hat. Uh. Ein wenig neugierig
wäre ich nun schon, woraus das destilliert wurde.
Zweitens ist nicht schön, dass die Open-Access-Webseite der Uni Zürich
„You need to enable JavaScript to run this app.“ sagt. Das ist in
diesem Fall um so weniger angebracht, als sie auch ohne Javascript eine
ganz brauchbare Seite ausliefert. Allerdings fehlen in dem
Word-generierten PDF die Abbildungen und Tabellen, und sie sind auch
nicht erkennbar verlinkt. Immerhin sind beim Verlag (Springer) „Online
Resources“ offen (während sie von Leuten, die nicht für hinreichend
reiche Unis arbeiten, absurde 37.40 Euro fürs formatierte PDF haben
wollen). Zumindest im Falle der ziemlich sinnlos gestapelten Ergebnisse
der verschiedenen Methoden in Abbildung 1 ist das Fehlen der Abbildungen
aber hier vielleicht sogar verschmerzbar.
Ich würde noch nicht mal auf die Tests, die die AutorInnen so
durchgeklickt haben, furchtbar viel geben, auch wenn sie immerhin ein
wenig statistsiche Abbitte geleistet haben (das ist die realweltliche
Bedeutung des dann und wann angerufenen hl. Bonferroni).
Mein persönliches Highlight aus dem Artikel: Eine qualitative
Betrachtung einiger systematischer Effekte. Rechte beim Japan Monkey
Centre und Springer Japan KK (aus doi:10.1007/s10329-019-00783-4).
Wirklich schade ist es aber um die Tabelle 1 (wenn die Abbildung hier
nicht reicht: Libgen kann helfen). Sie liefert eine schöne Quintessenz
der qualitativen Betrachtungen zu möglichen systematischen Fehlern, und
die geben gute – und vor allem im Vergleich zu entsprechenden
Betrachtungen in der Physik auch recht greifbare – Beispiele für das,
von dem ich in meinem Lob von small data geredet habe. Van Leeuwen
et al schätzen nämlich die Größe von umherziehenden Schimpansengruppen.
Weil die Tiere nun in den Baumkronen umherturnen und noch dazu
vielleicht nicht so gern gezählt werden, ist das nicht ganz einfach, und
die Leute probieren vier verschiedene Verfahren:
Hingehen und Affen zählen
Eine Fotofalle aufstellen und sehen, wie viele Schimpansen auf den
Bildern sind
Anrücken, wenn die Tiere weg sind und zählen, wie viele Tagesnester –
leichte Konstrukte aus Blättern und Zweigen, in denen Schimpansen
kleine Nickerchen halten – in den Bäumen sind
Anrücken, wenn die Tiere weg sind und zählen, wie viele Schlafnester –
elaborierte Konstruktionen, in denen ein Schimpanse die Nacht
(aber immer nur eine) verbringt – in den Bäumen sind.
In einer idealen Welt würde für eine gegebene Gruppe immer die gleiche
(kleine natürliche) Zahl rauskommen, also vielleicht 5. Und ich finde
die erste wertvolle Einsicht schon mal: Selbst einer 5 kann mensch in
vielen Bereichen der Wissenschaft nicht vertrauen. Na gut: Als Astronom
sollte ich da nicht mit Steinen werfen, denn wir kommen ja auch mit
acht, neun oder zehn (Planeten im Sonnensystem) ins Schleudern.
Wenig überraschenderweise lieferten verschiedene Methoden tatsächlich
verschiedene Ergebnisse, und zwar systematisch. Zur Erklärung schlagen
die AutorInnen unter anderem vor:
Direkte Beobachtungen werden vermutlich große Gruppengrößen
bevorzugen, da sich kleinere Gruppen noch scheuer gegenüber Menschen
verhalten werden als große – und umgekehrt die Menschen größere
Gruppen wegen mehr Geschrei auch leichter finden.
Umgekehrt werden direkte Beobachtungen eher einzelne Tiere übersehen,
wenn diese besonders scheu sind, was zu einer systematischen
Unterschätzung speziell bei besonders wenig an Menschen gewöhnten
Gruppen führen wird.
Die Fotofallen könnten ähnliche Probleme haben, wenn die
Schimpansen ihre Existenz spitzkriegen. Offenbar gibt es da
Vermeidungsverhalten. Und natürlich haben Fotofallen nur ein
endliches Gesichtsfeld, so dass sie bei realen Schimpansengrupen
recht wahrscheinlich einzelne Tiere nicht erfassen werden.
Bei den Tagesnestern werden eher Tiere übersehen, weil einige sich gar
keine Tagesnester bauen, etwa, weil sie gar kein Nickerchen
halten. Und außerdem sind diese Nester häufig so locker gezimmert,
dass Menschen sie übersehen. Das kann aber durchaus auch zu einer
Überschätzung der mittleren Gruppengröße führen, weil kleinere
Tageslager gar nicht auffallen; ähnlich würde es sich auswirken, wenn
sich ein Tier zwei oder gar mehr Tagesnester baut.
Bei Nachtnestern könnte die Gruppengröße überschätzt werden, weil sich
vielleicht mehrere Gruppen zur Übernachtung zusammentun (was dann den
Übergang von systematischen Fehlern in interessante Ergebnisse
markiert). Demgegenüber dürften die Probleme mit übersehenen kleinen
Nachtlagern wie auch mit übersehenen Nestern bei Nachtnestern weniger
ins Gewicht fallen als bei Tagnestern, einfach weil sie viel
aufwändiger gebaut sind.
Nun reichen die Daten von van Leeuwen et al nicht, diese Systematiken
ordentlich zu quantifizieren, zumal sie sehr wahrscheinlich auch von
allerlei Umweltbedingungen abhängig sind – im Paper geht es in der
Hinsicht vor allem um die Verfügbarkeit von Obst (mit der die
Gruppengröße wachsen könnte, weil mehr Tiere gleichzeitig essen können,
ohne sich in die Quere zu kommen) und um die Anwesenheit
fortpflanzungsbereiter Schimpansinnen.
Dass systematische Fehler sehr wohl qualitative Ergebnisse ändern
können, zeigt die Studie schön. So werden Gruppen laut
Fotofallenmethode größer, wenn sie fortpflanzungsbereite Frauen
umfassen; dieses Ergebnis verschwindet aber, wenn die Gruppengrößen durch
direkte Beobachtungen geschätzt werden. Durch Nestzählung ist zu dieser
Frage keine Aussage möglich, weil jedenfalls ohne viel Kletterei nicht
herauszubekommen ist, wie es mit Geschlecht und Zykluslage der
NestbauerInnen ausgesehen haben mag.
Und auch wenn die Arbeit nicht auseinanderhalten kann, wie weit die
größeren Gruppen, die sich bei Betrachtung der Nachtnester ergeben,
Folge systematischer Fehler bei der Erfassung sind oder durch das
Verhalten der Tiere verursacht werden: Klar ist jedenfalls, dass mensch
bis auf Weiteres lieber keine Schlüsse von Nachtzählungen aufs
Tagesverhalten zieht.
Ob diese Krähe überlegt, wie sie das Schwein lenken kann?
Und wenn sie rauskriegt, wie das geht, könnte sie es ihren Kindern
sagen? (Das ist übrigens im Käfertaler Wildpark)
Auf meinem Mal-genauer-ansehen-Stapel lag schon seit der
Forschung aktuell-Sendung vom 25. Januar die Geschichte von den
Schimpansen und den Steinen. In aller Kürze: Irgendwo in Guinea leben
zwei Schimpansengruppen (-stämme?), deren eine seit vielen Jahren mit
großer Selbstverständlichkeit Nüsse mit Steinen knackt, deren andere
aber das noch nicht mal tut, wenn mensch ihnen Steine und Nüsse frei
Haus liefert. Der Clou: die beiden Gruppen wohnen nur ein paar
Kilometer voneinander entfernt.
Ich fand diese Geschichte sehr bemerkenswert, und zwar einerseits, weil
ich Schimpansen grundsätzlich für kreativ genug gehalten hätte, um bei
so viel Nachhilfe schnell selbst aufs Nüsseknacken zu kommen. Krähen
zum Beispiel – jedenfalls die im Handschuhsheimer Feld – werfen Nüsse aus
großer Höhe auf Teerstraßen, nicht aber auf normale Erde. Na gut, das
mag auch soziales Lernen gewesen sein, aber ich will eigentlich schon
glauben, dass so eine Krähe da auch selbst draufkommt. Und a propos
„sozial“: Wer Möwen kennt, wird wohl wie ich sicher sein, dass deren
Muschelknacktechniken, wenn überhaupt, nur durch antisoziales Lernen
vermittelt werden könnten.
Wenn jedoch die Schimpansen zu vernagelt sein sollten, um rasch selbst
auf die Nutzung eines Steins zum Nüsseknacken zu kommen, finde ich es
andererseits fast unglaublich, dass Gruppen, die nur ein paar
Kilometer voneinander entfernt leben, so wenig Austausch haben, dass sich
so eine Kultur innerhalb von Jahrzehnten nicht sozusagen intertribal
verbreitet. Es gehen doch immer wieder einzelne Tiere auf Wanderschaft,
oder nicht?
Ein Gedanke, der mich beim Hören ein wenig beschäftigt hat, war: Was,
wenn das nicht ganz ordinäre Dummheit ist, sondern dessen verschärfte
Form, nämlich Patriotismus? In seinem Buch „Collapse – how societies
choose to fail or succeed“ (gibts in der Imperial Library) spekuliert
Jared Diamond, die mittelalterliche Wikingerkultur auf Grönland sei
untergegangen, weil ihre Mitglieder darauf bestanden haben, wie „in der
Heimat“, also von Getreide und Viehzucht, zu leben und nicht, wie die
Inuit, die sie garantiert beobachtet haben werden, von Fisch. Das
Bauernmodell habe die gegen Ende des mittelalterlichen Klimaoptimums
sinkende Temperatur einfach nicht mitgemacht.
That [the Greenland Norse] did not hunt the ringed seals, fish, and
whales which they must have seen the Inuit hunting was their own
decision. The Norse starved in the presence of abundant unutilized
food resources. Why did they make that decision, which from our
perspective of hindsight seems suicidal?
Actually, from the perspective of their own observations, values, and
previous experience, Norse decision-making was no more suicidal than
is ours today.
Schon, weil dieser Artikel mit Wissenschaft getaggt ist, muss ich
anmerken, dass Diamonds Argumente vielleicht nicht immer die
stichhaltigsten sind und auch die Sache mit der Kälte zwar naheliegend,
aber nicht alternativlos ist (vgl. Wissenschaft im Brennpunkt vom
14.11.2019) und wenigstens nach Zhao et al (2022),
doi:10.1126/sciadv.abm4346, wegen Nicht-kälter-werden inzwischen
regelrecht unplausibel wird. Und doch: Dass Kulturen Dinge aus völlig
albernen Gründen tun (ich sage mal: Autos fahren und, schlimmer noch,
parken) und noch mehr nicht tun (ich sage mal: Alltagsradeln), ist
wahrlich nichts Neues. Was also, wenn sich die nichtknackenden Affen
die Nüsse quasi vom Mund absparen, um nur sich nur ja nicht gemein zu
machen mit den knackenden Affen von nebenan? Ich würde das Experiment
ja gerne mal mit anderen, weiter entfernten Gruppen probieren.
Mit solchen Gedanken habe ich die Webseite der im DLF-Beitrag zitierten
Kathelijne Koops von der Uni Zürich besucht. Ein Paper zur
Nussgeschichte habe ich nicht gefunden – basierte der Beitrag im Januar
auf einem Preprint? einer Pressemitteilung der Uni Zürich? –, aber
dafür jede Menge anderer Papers, die es direkt in meinen
Mal-genauer-ansehen-Stapel schaffen: „Quantifying gaze conspicuousness:
Are humans distinct from chimpanzees and bonobos?“, „Chimpanzee termite
fishing etiquette“ oder, im Hinblick auf meinen Dauerbrenner „Was taugen
diese Zahlen eigentlich?“ besonders reizvoll: „How to measure chimpanzee
party size?“. Ich bin ganz hingerissen.