Big Brother Award: Wieder nicht cleverreach

Ich will nicht ganz verhehlen, dass mich die diesjährigen Big Brother Awards ein klein wenig enttäuscht haben. Gewiss waren das alles verdiente Empfänger, aber mein Favorit war wieder mal nicht dabei. Dabei gebe ich den Leuten vom FoeBuD (ich verweigere mich der Umbenennung in digitalcourage aus reiner Nostalgie), dass dessen Verfehlungen überschaubarer sind als die Bewegungsprofile von Lieferando und die garstigen Fintech-Teufeleien von Klarna.

Dennoch sollte, so finde ich, cleverreach gelegentlich bedacht werden, idealerweise in einer Kategorie „Ausschnüffeln per DSGVO-FUD“. Diese wäre Einrichtungen vorbehalten, die anderen Einrichtungen Überwachungstechnik unterschieben, indem sie die von weiten Teilen der freien Presse geschürten Ängste vor der DSGVO ausnutzen.

Dieses Thema wird schon durch das augenblickliche Cookie-Banner dieser Leute gesetzt, das modal (also: nichts geht, solange mensch nicht klickt) zunächst von „Privatsphäre respektieren“ redet und dann über allzu bekannte Dark Patterns versucht, den Leuten hart am Rande der Legalität Daten abzupressen:

Gestauchter Screenshot des cleverreach-cookiebanners: Der Zustimmen-Button ist sehr einladend.

(ich habe das Legalesisch rausgeschnitten, da es nichts zur Sache tut). Zum Mitschreiben: Ein Laden, der Datenschutz ernstnimmt, braucht keine Cookie-Banner und schon gar keine Dark Patterns. Immerhin, das will ich den Leuten lassen, funktionieren weite Bereiche der Webseite inzwischen (das war vor zwei Jahren noch anders) ohne Javascript. Tatsächlich werden ohne Javascript nicht mal Cookie-Banner ausgespielt (Disclaimer: ich habe nicht nachgesehen, ob dann auch wirklich keine unnötigen Cookies[1] verschickt werden).

Etwas ungehaltener bin ich schon über die Sirenentöne zur DSGVO, mit denen cleverreach Unternehmen und, noch schlimmer, andere Einrichtungen verunsichert: „eine Mailingliste ist datenschutzmäßig total kompliziert, und wenn du eine betreibst, bist du schon halb im Knast“. Das ist natürlich Unfug, solange beim Abonnieren klar ist, was die Leute kriegen und der dazugehörige Dialog transparent gestaltet ist. Aber welcheR „EntscheiderIn“ – Technik- und Sachkenntnisse sind in solchen Positionen ja eher optional – könnte Sirenentönen schon widerstehen?

Nun könnte ich mit so ein wenig DSGVO-FUD zur Not noch leben, selbst wenn er zu einer – nur in seltenen Fällen dem Datenschutz wirklich helfenden – Zentralisierung von EDV führt, hier nämlich von jeweils ein paar lokalen Mailinglisten auf jeder Menge voneinander isolierter Server zu einer Firma mit „310.000 Kunden“ mit entsprechend vielen Listen.

Diese Kunden sind zum Beispiel die Bundesorganisation der GEW, die Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg und das Landesmuseum für Arbeit und Technik in Mannheim (dessen aktuellen Namen „Technoseum“ verweigere ich mit gleicher Sturheit wie die „digitalcourage“). Stellt euch vor, ihr wisst, dass jemand von allen drei Läden Info-Mails abonniert hat, notabene freiwillig, was schon eine gewisse Identifikation mit den jeweiligen Zwecken vermuten lässt: Entsteht da nicht ganz von selbst ein Profil?

Faustregel: „clever“ heißt im Internet so viel wie „fies”

Aber ist denn die Bildung so eines Profils nicht gegen die DSGVO? Oh, mit hinreichend viel Skrupellosigkeit ist das kein Problem. Und damit komme ich zum wirklich verwerflichen Teil von cleverreachs Geschäft, der meines Erachtens Restzweifel im Hinblick auf die Skrupellosigkeit zuverlässig zerstreut.

Dazu braucht es einen Blick in die von cleverreach verschickten Mails. Dies sehen typischerweise so aus:

I     1        [multipa/alternativ, 7bit, 79K]
I     2 ├─>    [text/plain, quoted, utf-8, 0.7K]
I     3 └─>    [text/html, quoted, utf-8, 78K]

– sie gibt also vor, dass mensch alternativ ordentlichen Text oder ein HTML-Dokument haben kann. Das Problem ist noch nicht mal, dass es da überhaupt HTML gibt (auch wenn anständige Menschen kein HTML in Mails packen). Das Problem deutet sich an darin, dass der Plain Text nur ein Hundertstel der Länge des HTML-Teils hat. Das ist auch beim Einrechnen des HTML-typischen Fluffs nicht mehr glaubhaft, und in der Tat ist der Plain-Text-Teil nur ein Köder, um Menschen zu cleverreachs Schnüffelseiten zu bringen:

Ihr E-Mail Programm unterstützt leider keine HTML E-Mails.

Hier finden Sie diesen Newsletter online:
https://213989.seu2.cleverreach.com/m/dddddddd/dddddd-hhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh
hhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh

(wo d Dezimalziffern und h Sedezimalziffern sind; mit Code im Umfang dieser URL könnten DemoprogrammiererInnen Bälle über den Bildschirm hüpfen lassen). Wer dieser ganz klar personalisierten URL folgt, bekommt immerhin keinen Cookie-Banner, und erstaunlicherweise wird auch kein Javascript ausgeliefert. In der Tat setzen die verschiedenen Ressourcen auch keine nennenswerten Cookies. Allein die URL:

https://stats-eu2.crsend.com/stats/mc_dddddd_dddddddd_hhhhhhhhhhh-cccccc.gif

(c steht jetzt für Kleinbuchstaben) setzt einen PHP-Session-Cookie – aber das ist vermutlich nur Gedankenlosigkeit. Das wirkliche Problem an dieser Ressource: das ist ein Tracking-Pixel, in schlechter Tradition als leeres GIF von 40 Bytes, das aber (was passiert da wohl im Hintergrund?) jetzt gerade 5 Sekunden für die Auslieferung gebraucht hat.

Hiermit nimmt cleverreach auf, wer ihre Mails liest und wann sie das tun. Nennt mich paranoid, aber ob und wann ich Werbepost lese, das geht wirklich nur mich etwas an. Ich will auf keinen Fall, dass jemand merkt, wenn ich auf Clickbait hereinfalle.

Wenig überraschenderweise findet sich dieser Trackversuch auch am Ende der ganz klassisch als Tabelle ausgezeichneten HTML-Alternative in der Mail:

  </center>
  <img src="https://stats-eu2.crsend.com/stats/<wie oben>"
    border="0" alt="" height="1" width="1"></body>
</html>

Bei HTML dieser Art (und überhaupt: GIFs) werde ich wieder jung: so haben wir Mitte der 1990er Webseiten geschrieben.

Trotz dieses Schnüffelversuchts wäre es übrigens (wenn es jetzt schon HTML sein muss) datenschützerisch besser, wenn cleverreach den Plain Text-Teil nicht einbasteln würde, denn dann würde mein datensparsames eigenes HTML-Rendering aktiv werden und ich könne die Mail lesen, ohne (wie im normalen Browser fast unvermeidlich) getrackt zu werden. Wie das alles mit meinem Mail-Client zusammengeht, beschreibe ich demnächst mal; ich bestehe jedenfalls darauf, dass Plain Text-Alternativen, die nur Clickbait enthalten, unethischer sind als gar kein Plain Text.

Entweder Internet-Normalbetrieb oder DSGVO.

Zugegeben: das verschlagene Unterschieben von Trackingpixeln, um mitzukriegen, wann wer was liest und das dann den eigenen KundInnen als total wichtige Marketingmetrik verkaufen zu können: Das könnte in Zeiten von Google Analytics schon fast als lässliche Sünde durchgehen. Wer sich auf Schurkereien dieser Art einlässt, darf jedoch im Gegenzug nicht Gewerkschaften und SPD-nahe Stiftungen (samt ihrer im Datenschutz eher unbeholfenen HauspolitiologInnen für antisoziale Medien) mit Datenschutzraunen und -drohen von datensparsamen Verfahren in das eigene überwachungskapitalistische Geschäftsmodell ziehen.

[1]Ich lasse die Frage, ob es wohl „notwendige Cookies“ überhaupt gibt, mal beiseite, denn Antworten auf diese bräuchten jede Menge Platz für haarige technische und soziale Betrachtungen sowie eine Großpackung Wenns und Abers.

Zitiert in: Magie im Spam HTML and Word in mutt

Kategorie: edv

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