Tag Frieden

  • Nicht schon wieder!

    Ich habe heute an einer Kundgebung, nun, gegen den Krieg in der Ukraine auf dem Heidelberger Uniplatz teilgenommen, und zwar so:

    DemoteilnehmerIn mit Schild: „1914 – 2022 – Nicht schon wieder Kriegskredite”

    Ich kann leider nicht sagen, dass ich mich in der großen Menge – es werden so um die 1000 Menschen gekommen sein – sonderlich wohl gefühlt hätte, schon, weil fast alle, die da waren, es im Januar 2020 nicht für nötig befunden hatten, gegen den unfassbaren, thematisch natheliegenden, jedoch die eigene Regierung angehenden Skandal auf die Straße zu gehen, dass „wir“ Nuklearwaffen einsetzen wollen. Jedenfalls waren wir bei der Demo damals vielleicht 20 Leute. Mir wäre schon etwas wohler, wenn zu beiden Anlässen je 500 gekommen wären.

    Unschön war aber vor allem, dass in den Redebeiträgen durchweg von der „Solidarität mit der Ukraine” die Rede war. „Solidarität” wird, auf Länder gerichtet, ein gefährliches Konzept, ganz genau wie bei einer Mischung mit „Volk“, zu dem Bertolt Brecht (der 1914 selbst noch patriotische, kriegsbegeisterte Gedichte geschrieben hatte – Besinnung ist wichtig) einst ausführte:

    Wer in unserer Zeit [ok, das war 1935] statt Volk Bevölkerung und statt Boden Landbesitz sagt unterstützt schon viele Lügen nicht. Er nimmt den Wörtern ihre faule Mystik. Das Wort Volk besagt eine gewisse Einheitlichkeit und deutet auf gemeinsame Interessen hin, sollte also nur benutzt werden, wenn von mehreren Völkern die Rede ist, da höchstens dann eine Gemeinsamkeit der Interessen vorstellbar ist. Die Bevölkerung eines Landstriches hat verschiedene, auch einander centgegengesetzte Interessen, und dies ist eine Wahrheit, die unterdrückt wird.

    Solidarisch will mensch also sein mit den Menschen in der Ukraine, und diese sollten im Augenblick vernünftigerweise mindestens ein gemeinsames Interesse haben: Der Krieg muss möglichst schnell aufhören. Ein im Wesentlichen unausweichliches Korollar davon ist: die Waffen müssen raus. Wer die Regierung stellt, ist demgegenüber ganz sicher sehr zweitrangig (und zudem Brechts entgegengesetzten Interessen unterworfen). In jedem Fall bleibe ich dabei, dass für eine Regierung kein einziger Mensch sterben sollte.

    Nur zur Klarheit, weil das Dementi des Putinverstehens ja derzeit zum guten Ton gehört: Mein Problem ist nicht das allgemeine Sentiment, dass Putin ein Schurke ist. Das ist er, und beileibe nicht nur, weil er einen Krieg angefangen hat. Um so mehr bleibt übrigens ein Imperativ, Edward Snowden die Rückkehr in eine etwas freiere Gesellschaft zu ermöglichen – dass „wir“ ihn in Russland verrotten lassen, ist niederschmetternde Undankbarkeit. Zum Krieg als Totalausfall der Zivilisation hatte ich mir in Töten und Massenschlachten schon einige Empörung von der Seele geschrieben, die ganz genau so natürlich auch russischen Potentaten und, igitt, Ex-Geheimdienstlern gilt.

    Mit dem durch die gegenwärtigen Medienlandschaft geprägten Gefühl, meine Pappe enthalte nicht genug derartiger Klarstellung, bin ich mit einigen Bedenken zur Kundgebung gegangen. Um so angenehmer war ich überrascht von der durchweg positiven Aufnahme meiner Parole vom „Nicht schon wieder Kriegskredite“: mehrere TeilnehmerInnen sind extra zu mir gekommen, um mir ihre Unterstützung auszusprechen, etliche haben Transpi-Portraits geschossen, einer hat sogar Szenenapplaus gegeben, nicht eineR hat nasegerümpft.

    Es ist beruhigend zu wissen, dass die Erinnerung an die Geschichte der Kriegskredite von 1914 noch vielfach wach ist, Und daran, wie sich SozialdemokratInnen (zu denen sich in der heutigen Wiederholung offenbar auch ziemlich viele LinksparteigängerInnen gesellt haben) diese damals durchaus nicht nur rein patriotisch zurechtlogen: „aber wir müssen uns doch wehren gegen das finstere, reaktionäre Zarenreich“, „…die Liberalen aus England, die uns unsere Sozialversicherungen wegnehmen wollen“. Das ist wieder ein Gesicht der autoritären Versuchung: „Wenns schon keine gute Lösung gibt, dann lasst uns wenigstens Gewalt versuchen“.

    Das ist, so viel lehrt die Geschichte, eigentlich immer falsch – Ausnahmen von dieser Regel sind so rar, dass sie wahrscheinlich niemand, der_die das hier liest, je erleben wird.

    [1]Ich kann der Beobachtung nicht widerstehen, dass sich „unsere“ und „ihre“ Operationen selbst im Timing ähneln. Wir: Separation des Kosovo mit dubiosen „Freiheitskämpfern“ 1999, diplomatische Anerkennung gegen den Willen der Gegenseite nach neun Jahren im Jahr 2008. Sie: Separation des Donbas mit dubiosen „Freiheitskämpfern“ 2014, diplomatische Anerkennung gegen den Willen der Gegenseite nach acht Jahren 2022.
  • Stahlhelmdiplomatie

    Was früher Kanonenbootdiplomatie war, hat sich heute offenbar zu Stahlhelmdiplomatie entwickelt. Einerseits, weil „wir“ welche in die Ukraine liefern, statt den Mist, den wir mit unserer Zündelei dort angerichtet haben, etwas zu entspannen. Andererseits, weil die Außenministerin – die „Chefdiplomatin“ also – sich ernsthaft martialisch in den Abendnachrichten zeigt, und zwar sozusagen vor der Haustür des aktuellen Erbfeinds Russland:

    Annalena Baerbock mit Stahlhelm in der Ukraine

    Beschnittener Screenshot aus der Tagesschau vom 8.2.2022: Außenministerin Baerbock beim Staatsbesuch in der Ukraine. Rechte bei der ARD.

    Wer das für Diplomatie hält, glaubt auch an die These von den Schlafwandlern. Was niemand tun sollte. Der erste Weltkrieg ist nicht ausgebrochen, er wurde gemacht. Von einer Öffentlichkeit (ich definiere das jetzt mal nicht näher; weite Teile der Presse gehörten und gehören da auf jeden Fall mal dazu), die Härte, Treue und Verlässlichkeit gefordert hat. Und von einer Regierung, die sich auch auch irgendwas wie vier Jahre in das Gemetzel hinein nicht geschämt hat, die Kriegsrhetorik vom August 1914 auf Wachstrommel zu bellen:

    Na ja, und so sieht es jetzt halt wieder aus. Leider oder zum Glück, so stelle ich gerade fest, depubliziert der DLF seine Presseschauen nach sieben Tagen (trotz allem: Buh!), so dass die übelsten Ausfälle jetzt schon wieder hinter Paywalls verschwunden sind, aber all das Gerede von „nicht zurückweichen“, „klare Kante gegen Russland zeigen“, „der Provokation entgegentreten“, Waffen liefern, Truppen schicken, härter drohen: So schnell kann es gehen zwischen dem zerknirscht-geschichtsklitternden Erinnerungsjahr 2014 und patriotischem Taumel nach der Mode von 1914.

    Dabei ist mir ja schon völlig unklar, was sich all die Russland-EntgegentreterInnen eigentlich als Ausgang der ganzen Angelegenheit vorstellen. Versteht mich nicht falsch: Es ist bestimmt kein Fehler, wenn ein augenscheinlich wirklich an Zauber, Auferstehung und heiligen Krieg glaubender Christ wie Achim Schönbach lieber nicht mehr die Marine befehligt. Aber wer Russland die Krim wieder abnehmen will, wird sich zwischen einer der folgenden Alternativen entscheiden müssen:

    1. Irgendeine russische Regierung gibt sie freiwillig ab. Die Frage beiseite, was sie dazu bewegen könnte, es wäre wohl das letzte, was sie täte. Weder das Militär noch große Teile der Bevölkerung würden das hinnehmen – das wäre nach übereinstimmenden Angaben von osteuropäischen KollegInnen und Ex-Studis in etwa so, als würde die BRD Mallorca, Helgoland und Sylt an Serbien übergeben. Also, so richtig, mit: Kein Urlaub mehr dort für Deutsche. Diese Alternative existiert mithin eigentlich nicht, und es bleiben realistisch nur die beiden anderen.
    2. Irgendwie zwingen „wir“ Russland ohne Krieg zur Aufgabe der Krim. Die Folge wäre ein Revanchismus in Russland, der garantiert die Größenordnung des Revanchismus in der Weimarer Republik angesichts von Versailles erreichen würde. Das wäre nicht nur für Russland furchtbar; mit Sicherheit wären damit alle Hoffnungen auf Ausgleich für die nächsten 30 Jahre futsch. Es gäbe auch praktisch sicher eine wild drehende Aufrüstungsspirale. Wer könnte es einer Bevölkerung, die mindestens ebenso patriotisch betaumelt ist wie „unsere“ verdenken, Russland nach so einer Nummer so stärken zu wollen, dass es eine solche Schmach nicht nochmal hinnehmen müsste? Gut, ich kann das, weil es klar durchgeknallt ist. Aber es ist nicht durchgeknallter das das, was „wir“ im Augenblick aufführen.
    3. Wir machen mal wieder einen Krimkrieg, weil der letzte so ein Höhepunkt der Zivilisation war. Tut euch den Gefallen und blättert ein wenig im verlinkten Wikipedia-Artikel. Wer sowas ernsthaft will, möge erstmal die wunderbaren Thursday Next-Bücher von Japer Fforde lesen – Hauptperson ist eine Veteranin eines in einer Alternate History eingefrorenen Krimkriegs – und sich danach bitte schleunigst auf den Weg zurück in Kreise zivilisierter Menschen begeben.

    Alle drei Alternativen sind offensichtlich Quatsch. Nichts davon ist auch nur im Entferntesten wünschbar. Mit welchen Gedanken im Kopf kann sich also irgendwer darüber erregen, wenn irgendwer anders – und sei es auch ein frömmelnder Marinechef – das Offensichtliche feststellt: Chruschtschows Laune von 1954, als er die Krim an die Ukraine übergab, war nie mehr als das, eine Laune (eines Diktators, Autokraten, oder wie immer das heute heißt, zumal) nämlich, und gewiss nichts, für das irgendwer sterben sollte.

  • Patriotische Raison

    Die heutige Presseschau im Deutschlandfunk war mal wieder niederschmetternd.

    Zum Afghanistan-„Zapfenstreich“ gestern fällt der taz gerade noch ein, es sei „eher“ ein „Kuriosum“, während die anderen Blätter sich noch fester hinter ihrer Armee versammeln:

    • Es wäre in Afghanistan ja sonst noch viel schlimmer gewesen (Volksstimme); angesichts der tatsächlichen Verhältnisse ist das nur schwer vorstellbar: Geringer als in Afghanistan, 51.3 Jahre laut CIA World Factbook von 2016, ist die Lebenserwartung derzeit nur noch in zwei Staaten.
    • Soldaten – und nicht etwa ihre Opfer – seien „traumatisiert und physisch verletzt“ (Mitteldeutsche; den naheliegenden Schluss, die Bundeswehr, die dafür ja verantwortlich ist, aufzulösen, zieht sie natürlich nicht).
    • „gut gemeint“ (Nürnberger Nachrichten).
    • „Außen- und Sicherheitspolitik den nötigen Raum“ geben (Märkische Oderzeitung).
    Strammstehende und taktstockschwingene Soldaten

    Screenshots vom Zapfenstreich, Rechte fürs Rohmaterial hat die ARD.

    Au weia. Niemand möchte sich durch Stellen der offensichtlichen Frage als vaterlandsloser Geselle outen: „Was war denn das für ein bizarres Spektakel?“

    Strammstehen, Tschingdarassabum, bunte Kappen, Orden? Für Leute, die für die Regierung töten? Leute, es ist 2021. Es hat zwischendurch ein 20. Jahrhundert gegeben. Erinnert ihr euch?

    Den Auweia-Preis für den fürchterlichsten Kommentar räumt aber erneut die FAZ ab, wenn sie fordert:

    Nie wieder darf die ‚Parlamentsarmee‘ in eine Mission geschickt werden, in der sie mit ihrem Blut für die Unschärfe des Mandats und die Inkonsequenz, um nicht zu sagen: Feigheit der politischen Entscheider büßen muss.

    Das ist nur noch ein paar Millimeter von „im Felde ungeschlagen“ und dem Narrativ hinter der Dolchstoßlegende („die tapferen Jungs hätten den Feind schon platt gemacht, aber die Politiker...!“) entfernt. Wenn in dieser Umgebung dann noch Testosteron-Vokabeln wie „feige“ und „Entscheider“ auftauchen, schlägt mein persönliches Jetzt-Flucht-planen-o-Meter schon ziemlich deutlich aus.

  • Vom Töten und Massenschlachten

    Heute morgen hat der Deutschlandfunk das IMI-Urgestein Tobias Pflüger interviewt (Informationen am Morgen, 14.9.), und die Art, in der der Interviewende versucht hat, Tobias dazu zu bringen, sich für einen „Mangel“ an Bellizismus zu entschuldigen, war erwartbar empörend. Umgekehrt aber war Tobias schon sehr zahm, verglichen jedenfalls mit dem militanten Pazifismus, den ich von ihm eigentlich kenne; nun ja, er trat auch als stellvertretender Vorsitzender der Linken auf, und die will erkennbar regieren[1].

    Das – wie natürlich auch das ultrazynische Rührstück um die „Ortskräfte“, die die Bundeswehr aus dem gleichen Afghanistan „rettete“, in das die Regierung in den Vormonaten noch mindestens 167 Menschen abschieben hat lassen – wiederum gibt mir den Vorwarnd, endlich ein paar politische Gegenstücke zum Tucholsky-Klassiker „Soldaten sind [meinethalben potenzielle] Mörder“ zu formulieren, die ich schon lang irgendwo unterbringen wollte (auch wenn ich anerkenne, dass sie vermutlich nicht sehr originell sind und bestimmt schon oft ganz ähnlich von PazifistInnen, AnarchistInnen und anarchistischen PazifistInnen formuliert wurden; ich sollte vermutlich mehr von solchen Leuten lesen).

    Erste Behauptung: Eine Regierung, die sich ein Militär hält, will für die eigene Macht Menschen töten.

    Für den Fall, dass jemand das nicht unmittelbar offensichtlich findet, will ich ein paar Ableitungsschritte nennen. Erstens ist nämlich Militär schicht dafür da, Krieg zu führen oder Aufstände zu unterdrücken. Ich gebe zu, dass die Bundeswehr auch schon Dämme ausgebessert, Brunnen gebohrt, und in Impfzentren ausgeholfen hat. Sie war dabei aber immer ausnehmend schlecht, bis hin zur Unfähigkeit, die Impfunterlagen korrekt und halbwegs gestapelt zusammenzutackern. Das ist soweit erwartbar, denn sowohl das Rumgeballer als auch die Gehorcherei sind bei nichttödlichen Einsätzen klar störend. Wer Personal für „humanitäre“ Einsätze vorhalten will, würde selbstverständlich keine Gewehre und Waffen kaufen und viel Geld dafür ausgeben, den Leuten den Umgang damit (statt mit Baggern, Bohrern und Büroklammern) beizubringen.

    Mithin geht es beim Militär um Personal zum Bedienen von Kriegswaffen, und das heißt zum Führen von Krieg (bei der Aufstandsbekämpfung ist das der Sonderfall des Bürgerkriegs).

    Was aber ist Krieg? Krieg ist auf der einen Seite der Versuch einer Regierung, eine andere Regierung zu ersetzen, entweder durch sich selbst („Eroberungskrieg“) oder durch eine der eigenen Machtausübung weniger hinderliche („Nation Building“). Und entweder komplett oder nur in einem Teil des Machtbereichs der anderen Regierung.

    Auf der anderen Seite ist Krieg der Versuch einer Regierung, die eigene Macht gegen eine andere Regierung oder Teile der Bevölkerung (beim Bürgerkrieg) zu halten. Wie herum es im Einzelfall auch sein mag: Es geht allein darum, Macht auszuweiten oder zu erhalten.

    Selbst wenn mensch der eigenen Regierung wider jede Evidenz (die Bundeswehr hat derzeit in, wievielen?, zwanzig oder so, anderen Ländern Waffen) unterstellt, sie sei dabei in der Rolle der machterhaltenden, quasi verteidigenden Regierung: Sie könnte jede Menge Blutvergießen verhindern, wenn sie einfach zurücktreten würde und sagen, die „angreifende“ Regierung könne ja gerne versuchen, ob sie es besser kann. Es gäbe dann keinen Krieg, und ob die Regierungsführung am Boden wirklich wesentlich schlechter wäre, ist überhaupt nicht ausgemacht. Ich z.B. würde es wahrscheinlich begrüßen, wenn die Schweiz die Regierung in Baden übernehmen würde. Oder Luxemburg: soweit es mich betrifft, könnten die mich schon erobern, denn sooo viel unethischer und steuerparadiesiger als meine gegenwärtige Regierung sind die auch nicht, aber ich glaube, deren Sozialsystem macht schon ein wenig mehr her.

    Ach, wenn nicht gerade Macron regiert, würde jetzt auch ein Überfall aus Frankreich nicht offensichtlich zu einem Rückschritt führen, wenn die Machtübergabe hinreichend friedlich passiert. Ich versuche ohnehin im Augenblick, ein wenig Französisch zu lernen.

    Also: Regierungen, die ein Militär unterhalten, sagen damit klar an, dass sie für ihre Macht töten wollen. Auf jeden Fall mal die Soldaten der anderen Regierungen.

    Es kommt aber noch schlimmer: Wie ich in meinem Furor über die Weigerung der deutschen Regierung, dem Atomwaffenverbotsvertrag TPNW beizutreten, argumentiert habe, sind Kernwaffen nur einsetzbar, um Hunderttausende oder Millionen von Untertanen einer (na ja: in der Regel) anderen Regierung zu töten. Es gibt schlicht keine anderen glaubhaften Einsatzszenarien.

    Mithin ist, wer die Bombe werfen will, gewillt, für die eigene Macht Städte in Schlachthäuser zu verwandeln. Alle deutschen Regierungen meiner Lebenszeit waren ganz wild auf die „nukleare Teilhabe“ und hatten damit diesen Willen. Die zweite Behauptung, die ich hier machen will, ergibt sich damit unmittelbar: Wer in der BRD lebt, wird regiert von Menschen, die für ihre Macht Städte ausradieren werden.

    Es wäre also schon ein großer zivilisatorischer Fortschritt, wenn sich die nächste Regierung durchringen könnte zum Statement, sie könne sich schon vorstellen, zwecks Machterhalt ein paar hundert, tausend, oder zehntausend Menschen zu töten (also: sie löst die Bundeswehr nicht einfach auf, was natürlich der erfreulichste Ausgang wäre); der eigene Machterhalt würde aber doch nicht rechtfertigen, dutzendweise Städte einzuäschern (weshalb sie den Spuk der nuklearen Teilhabe beenden und dem TPNW beitreten würde).

    Ich wette dagegen.

    [1]Da ich wild entschlossen bin, niemals mit meiner Zustimmung regiert zu werden und also nie der künftigen Regierung meine Stimme geben will – das ist mir bisher auch nicht schwer gefallen –, konnte ich daher leider den Linken nicht meine Stimme geben. Repräsentative Demokratie ist schon manchmal kompliziert, denn im Parlament will ich die Linke selbstverständlich schon haben: Wo wären wir heute ohne ihre parlamentarischen Anfragen?
  • Wenn LektorInnen schlafen

    Als jemand, dem es schon in der BRD zu frömmelnd zugeht, bin ich ziemlich sicher nicht in Gefahr, allzu große Sympathien für die neue afghanische Regierung („Taliban“) zu hegen. Und trotzdem schmerzt so gut wie die gesamte Berichterstattung über das Regime, gerade im Vergleich zum doch recht gemäßigten Umgang mit Saudi-Arabien. Dort nämlich geht es nach innen hin wohl ziemlich ähnlich zu, doch die Taliban führen immerhin keinen Krieg nach außen, schon gar nicht einen in der Liga des Gemetzels im Jemen.

    Aber selbst wenn sich JournalistInnen in patriotischer[1] Botmäßigkeit verpflichtet fühlen, den Krieg zu rechtfertigen, den unsere Regierungen mit breiter publizistischer Unterstütztung in den letzten zwanzig Jahren „am Hindukusch“ geführt haben: Wenigstens etwas Sorgfalt sollten sie walten lassen. Auf Seite 9 der taz vom 24.8.2021 ist das ganz offenbar nicht passiert. Während Finn Mayer-Kuckuk vierspaltig einen „Rückfall in den Handel mit Drogen“ drohen sieht, stellt der Agenturartikel in der fünften Spalte klar, dass bereits das von „uns“ befreite Afghanistan 85% des Weltbedarfs an Opiaten gedeckt hat:

    Oben: „Es droht ein Rückfall in den Handel mit Drogen“.  Unten: „Afghanistan produziert UN-Angaben zufolge rund 85 Prozent des weltweit hergestellten Opiums“

    Rechte bei der taz; hier verwendet unter… Satireprivileg?

    EinE gutE LektorIn hätte es gemerkt.

    Wo ich schon über Afghanistan spreche, möchte ich noch kurz ein Standbild aus der Tagesschau vom 28.8.2021 zeigen:

    Eingang zum „Hamid Karzai International Airport“

    Rechte wahrscheinlich bei der Tagesschau.

    Das entscheidende Detail hier ist: Das alte Regime war unbescheiden genug, den Flughafen nach dem immerhin noch lebenden und (z.B. nach der Lebenserwartung der Untertanen bemessen) gewiss nicht sehr erfolgreichen Ex-Präsidenten Hamid Karzai zu benennen. Nur mal so als ein Datenpunkt zur Erklärung, warum die Regierung, die „wir“ dort 20 Jahre lang installiert hatten, noch vor „unserem“ Abzug so ostentativ kollabiert ist.

    Zum Abschluss hätte ich einen Buchtipp in dem Zusammenhang: Cockburn, A. und St. Clair, J., 1998: „Whiteout: The CIA, Drugs, and the Press“, London, New York: Verso (verfügbar in der Imperial Library of Trantor). Der Guardian hat es damals rezensiert mit:

    A history of hypocrisy and political interference the like of which only Frederick Forsyth in a dangerous caffeine frenzy could make up.

    Dem kann ich zustimmen.

    [1]Wo ich es schon von Patriotismus habe, will ich einen Aufkleber lobend erwähnen, den ich neulich in Hamburg-Wilhelmsburg gesehen habe: „Wer als Patriot*in losläuft, kommt als Faschist*in an“. Wenn nur das Wetter nicht so lausig wäre in der Gegend – mensch könnte da fast hinziehen wollen.
  • Monströse Drohungen

    Titelseite des TPNW

    Heute ist ein historischer Tag. Denn endlich – nach über drei Jahren Ratifizierungsprozessen in verschiedenen Ländern – tritt der Atomwaffenverbotsvertrag TPNW in Kraft. Ab heute bricht Völkerrecht, wer Nuklearwaffen baut, besitzt oder mit ihrem Einsatz droht.

    Da sich die Bundesregierung nicht nehmen lässt, Atombomen werfen zu können („Nukleare Teilhabe“), denkt sie natürlich nicht dran, das auch zu unterschreiben. Der viel beschworene „Multilateralismus“ bedeutet aber, dass der Deutschlandfunk gerade nicht recht hat, wenn er heute meldet der TPNW sei in Kraft, „aber nicht in Deutschland“. Klar gilt er. Der Regierung ist nur der Bruch des Völkerrechts opportun.

    Wie furchtbar das wirklich ist, ist mir neulich wieder klar geworden, als ich nämlich „The Doomsday Machine“ von Daniel Ellsberg gelesen habe. Ellsberg, der mit den Pentagon Papers Anfang der 70er das dichte Propagandagebäude rund um den Vietnamkrieg zum Einsturz gebracht hat, hat in den 1950er und 1960er Jahren bei der RAND Corporation (quasi der originale „Think Tank“) für die US-Luftwaffe Atomkriegsplanung gemacht, und allein die Einblicke in die Ränke rund ums Pentagon lassen es wie ein Wunder erscheinen, dass der Atomkrieg noch nicht stattgefunden hat. Andererseits macht die Charakterisierung des damaligen Ministers Robert McNamara als zumindest im Vergleich eher besonnen Hoffnung, dass die politische Kontrolle des Militärs vielleicht nicht ganz so kaputt ist, wie mensch seit Eisenhowers Warnung vor dem militärisch-industriellen Komplex hätte meinen können.

    Was Ellsberg aber auch sehr gut macht: Er zeichnet nach, wie es überhaupt zu der selbst für Militärverhältnisse monströsen Idee gekommen ist, Städte des Kriegsgegners mitsamt all den dort wohnenden Leuten zu zerstören – einerseits aus der Kriegsführung verschiedener faschistischer Mächte, angefangen von italienischen Kolonialkriegen über Guernica bis Coventry. Und andererseits aus kühlen Sachzwängen, denen sich im Groben niemand mit auch nur ein wenig Herz oder Ethik entgegengestellt hat, denn auch im zweiten Weltkrieg stellte sich schon bald heraus, dass Präzisionsschläge eine Mär sind.

    Klar, es ist nicht viel netter, im Machtkampf (und was anderes sind Kriege halt ganz schlicht nicht) Soldat_innen zu töten. Aber von denen gibts schon mal viel weniger als vom Rest der Menschen, und die Soldat_innen könnten ja immerhin davonlaufen (was übrigens das Problem von Kriegen auf die denkbar eleganteste Weise lösen würde). Jedenfalls: Die Bombardierung gegnerischer Städte gehört schon so zu den ganz großen Widerlichkeiten (und nein, ich bin da nicht sehr über Dresden besorgt; speziell dazu empfehle ich aber Slaughterhouse Five des großartigen Kurt Vonnegut).

    Nuklearwaffen haben nun keinen plausiblen anderen Zweck als das Plätten von Städten und das Töten von deren Bevölkerungen – selbst in der verqueren Logik der Militärs gibt es kein militärisches Ziel, das Sprengkräfte im Megatonnenbereich brauchen würde. Der einzige ernsthafte Vorschlag, der da jemals vorgebracht wurde, war das Stoppen einer vorrückenden Armee, und das ist ganz offensichtlich etwas, das zuletzt so um die 1815 in den napoleonischen Kriegen ernstzunehmen war.

    Nein: Wer Atomwaffen hat, droht mit der Einäscherung gegnerischer Städte. So einfach ist das. Unsere Regierung tut das. Das ist ein Skandal. Und drum bin ich dankbar, dass der unermüdliche Friedensratschlag Heidelberg heute eine Demo für die Ratifizierung des TPNW in Heidelberg angemeldet hat. Ich war, trotz Regen, gerne dabei.

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