Tag Wirtschaft

  • Post-Wettbewerb: Echt jetzt?

    Unter den Branchen, in denen Privatisierung am alleroffensichtlichsten Quatsch ist, sehe nicht nur ich die Post ganz vorne. Denn: Alle sollen die Post nutzen können, aber die Kosten für die Infrastruktur schwanken um Größenordnungen zwischen Metropole und Provinz. Unter solchen Bedingungen eine halbwegs gleichmäßige Abdeckung mit privatwirtschaftlichen Unternehmen herzustellen, wäre ein regulatorischer Kraftakt, der abgesehen von viel Zeitverschwendung am Schluss wieder darin enden würde, dass die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden – wovon nun wirklich niemand[1] was hat.

    Aber auch wer in der Stadt wohnt, muss sich fragen, welchen Zweck es wohl haben könnte, wenn statt des einen zuverlässigen, halbwegs ordentlich bezahlten und beamteten Postboten im Dienst der weiland Bundespost nun fünf arme Schlucker die Viertel abfahren, die alle mehr oder minder am Mindestlohn kratzen, im Akkord arbeiten und entsprechend unzuverlässig sind: Noch nicht mal die verbohrtesten Marktpriester wollten das rechtfertigen, wenn ich sie darauf angesprochen habe.

    Und dabei fange ich noch nicht mal beim Kulturverlust an. Vor der Privatisierung konnte das Postamt als Ausspielstelle des Staates fungieren, praktisch wie die Bürgerämter unserer Zeit, nur dichter gespannt. Heute korrelieren die Außenposten der Post im Wesentlichen mit Branchen wie Glücksspiel oder Restposten.

    Kurz: Wäre ich Marktpriester, der Postdienst wäre das letzte, über das ich reden wollte.

    Um so mehr hat mich der DLF-Hintergrund vom 4.8. überrascht, in dem Mischa Ehrhardt versucht, ein Problem auszumachen, weil „die Deutsche Post den Markt dominiert“, natürlich ohne zu sagen, wie ausgerechnet mehr Markt irgendeines der angesprochenen Probleme lösen könnte – und genau keine Stimme den offensichtlichen Weg nach vorne, nämlich die Rückverstaatlichung des Postdienstes, auch nur anspricht.

    Stattdessen wird Walther Otremba – nach einer Karriere als CDU-Mann, Staatsekretär im Finanz- und Militärministerium und Bahn-Aufsichtsrat jetzt Frühstücksdirektor und Lobbyist für die nichtpostigen Postklitschen, also die, die ihre AusträgerInnen im Schnitt noch mieser behandeln als die privatisierte Post – zitiert mit:

    Ich kann ja eigentlich die Deutsche Post AG nicht kritisieren. Die tut halt, was sie machen muss, nämlich versuchen, möglichst hohe Gewinne zu erzielen.

    Öhm… Warum genau soll die Post möglichst hohe Gewinne machen müssen? Ist nicht eigentlich völlig offensichtlich, dass Aufgabe der Post ist, möglichst flott und mit wenig gesellschaftlichem Aufwand Briefe zu transportieren (und dann vielleicht noch Postsparbücher zu betreiben und ggf. mit Postämtern in der Fläche auch ein paar staatliche Aufgaben in die Hand zu nehmen)? Wer, außer ein paar AnlegerInnen, hätte umgekehrt etwas davon, wenn sie möglichst hohe Gewinne machen würde? Wer also könnte das wollen oder die Post gar dazu zwingen?

    Wohlgemerkt, der Otremba, der da solche Klopfer durchs Radio schickt, war in seinen großen Zeiten (z.B. im „Finanzmarktstabilisierungsfonds“) einer der ganz großen Mover und Shaker. Bei derart verwirrten Gedanken muss wohl nicht mehr verwundern, was für eine Lachnummer (zuletzt bei Cum-Ex und Wirecard) die BaFin zumindest in Wirtschaftskreisen ist. Immerhin haben er und seine KollegInnen die ja erfunden.

    Es gäbe noch einige weitere komplett auf dem Kopf stehende Argumente in dem DLF-Beitrag zu korrigieren, so etwa die abseitige Kritik an der Quersubventionierung; natürlich will mensch z.B. Briefe durch Telefon quersubventionieren, wenn das gesellschaftlich geboten ist, was es zumindest früher mal war. Aber wichtiger wäre mir, noch Otrembas nächsten Satz zu prüfen, denn der spiegelt einen verbreiteten Irrglauben wider:

    Es sind die Rahmenbedingungen, die nicht geliefert wurden rechtzeitig, um im Briefgeschäft ähnliche Erfolge, wie zum Beispiel in der Telekommunikation, die ja parallel liberalisiert wurde, zu erzeugen

    „Erfolge“? In der Telekommunikation, in der halb-betrügerische Verträge mehr die Regel sind als die Ausnahme und die Verbraucherzentralen gar nicht mehr aus dem Klagen rauskommen? In der drei (oder sind es wieder vier?) Mobilfunknetze konkurrieren, so dass es die gleiche Infrastruktur in den Metropolen dreifach und dafür gar keine am Land gibt?

    „Aber es ist doch alles viel billiger geworden,“ höre ich euch einwenden. Nun – das ist es bereits vor der Privatisierung.

    Es gibt dazu eine ganz interessante Untersuchung von A. Michael Noll, in Telecommunications Policy 18 (5), 255f (1994): „A study of long distance rates. Divestiture revisted“ (DOI 10.1016/0308-5961(94)90051-5; sorry, ist Elsevier). Wohlgemerkt: das ist 1994 erschienen; wir hätten also in der BRD vor der Zerschlagung der Bundespost davon lernen können. Jaja, die Auflösung von AT&T in den USA, die Noll da untersucht, war nicht exakt eine Privatisierung, aber sie war in Anlage und Ziel nicht wesentlich anders, und sie war auch die Blaupause für all die anderen marktradikalen Kreuzzüge gegen staatliche Daseinsvorsorge im Kommunikationsbereich.

    Ein Ergebnis seiner Arbeit: Die Preise für Ferngespräche folgten über fast 100 Jahre einem Abwärtstrend, nur kurz unterbrochen von einer Panikphase vor der Öffnung des Wettbewerbs im Jahr 1984:

    Fallender Graph

    Fig. 1 aus doi:10.1016/0308-5961(94)90051-5: Kosten für Ferngespräche in den USA, 1910 bis ca. 1995. Der Wettbewerb hat nicht für rascher fallende Preise gesorgt. Rechte leider bei Elsevier.

    Wenn ihr in anderen Papern seht, dass nach der Zulassung von Konkurrenz die Preise ganz schnell gefallen sind: hier ist der Hintergrund. Dazu kommt übrigens noch, wie die Wikipedia zum Ende des Bell-Systems schreibt:

    One consequence of the breakup was that local residential service rates, which were formerly subsidized by long-distance revenues, began to rise faster than the rate of inflation.

    Also: Nicht nur sind die Ferngespräche nicht schneller billiger geworden als vorher – Überschüsse aus ihnen sind auch nicht mehr in die Grundversorgung geflossen, so dass diese teuerer wurde. Statt dieser (ebenfalls sinnvollen) Quersubventionierung ging das Geld stattdessen an InvestorInnen (also: „die Reichen“) und öffentliche Belästigung (also: „Werbung“). Bei Noll sieht das so aus:

    Steigender Graph

    Fig. 4 aus doi:10.1016/0308-5961(94)90051-5: Marketingkosten von AT&T zwischen 1970 und 1993. Mit der Ende staatlicher Regulierung ging Geld statt in die Grundversorgung in die Werbung. Rechte leider bei Elsevier.

    Die Geschichte von den fallenden Preisen durch Privatisierung kehrt sich also in ihr Gegenteil.

    Nein: Was dafür gesorgt hat, dass Leute jetzt für in etwa das gleiche Geld viel mehr telefonieren können als, sagen wir, 1995, nennt sich technischer Fortschritt, in diesem Fall insbesondere die (von öffentlich finanzierten Unis und Instituten aufs Gleis gesetzte) stürmische Entwicklung paketvermittelter Netze – was nicht nur das Internet war. Ja, kann sein, dass deren Einführung mit der alten Bundespost etwas länger gedauert hätte, zumal, wenn Leute wie Otrembas Parteifreund Christian Schwarz-Schilling sie als Selbstbedienungsladen nutzten.

    Aber wärs wirklich so schlimm gewesen, wenn wir das Klingelton-Zeitalter übersprungen hätten und stattdessen nicht Öko- und Sozialkatastrophen (die Mobiltelefone nun mal sind) als Werbegeschenke windiger Knebelvertraghöker abwehren müssten?

    [1]Außer ein paar AnlegerInnen, UnternehmensberaterInnen und GeschäftsführerInnen; aber das darf guten Gewissens als Fehlsteuerung durch Marktkräfte eingeordnet werden.
  • Die Gewinne privatisieren, die Verluste sozialisieren

    Selbst die verbohrtesten Marktradikalen erinnern sich plötzlich an „die Gesellschaft“, wenn irgendwo Verluste drohen; die Privatisierung von Profiten (z.B. Mobiltelefonie oder Postdienst in Städten) bei Sozialisierung von Verlusten (z.B. Mobiltelefonie oder Postdienst auf dem Land) ist Grundpfeiler des „Neoliberalismus“[1].

    Ein schönes und halbwegs aktuelles (November 2019) Beispiel ist die „Mobilfunkstrategie“ des Bundes, der 1.1 Milliarden Euro ins Schließen von Funklöchern stecken will; vernünftig wäre ja, statt dreier löchriger privater ein flächendeckendes öffentliches Netz zu betreiben, bei dem die TelefoniererInnen in den Städten die am Land subventionieren würden. Aber das würde die religiösen Gefühle der Marktgläubigen verletzen. Das geht nicht.

    Das Prinzip der Sozialisierung von Verlusten hat heute morgen ein Jörg Asmussen, seines Zeichens „Hauptgeschäftsführer beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft” (was tut eigentlich ein Hauptgeschäftsführer, das ein Geschäftsführer nicht tut?), in entwaffnender Ehrlichkeit illustriert, als er in einem Deutschlandfunk-Interview erklärte:

    Um von hinten anzufangen: Ein Prozent der Gebäude ist in der Tat nicht versicherbar gegen Elementarschäden. Da muss man sicher eine gesamtgesellschaftliche Lösung finden. 99 Prozent sind versicherbar und, ich glaube, auch zu akzeptablen Kosten. [...] Das Ein-prozent-Problem ist in der Tat existent.

    Im Klartext: Mit 99% der Häuser können wir ein Geschäft machen – zumal wir bei denen ohnehin nur sehr selten bezahlen müssen –, das restliche Prozent – die nämlich, bei denen erwartbar Schäden eintreten, die Einzelpersonen regelmäßig überfordern – lohnt sich nicht für uns, die soll der Staat übernehmen. Klingt das nur in meinen Ohren so dreist?

    Wobei Versicherungen natürlich insgesamt so ein Thema sind. Das Land Baden-Württemberg zum Beispiel hat sich, als ich das letzte Mal damit zu tun hatte, grundsätzlich nicht versichert, und die Argumentation ging etwa so: Wir sind so groß, dass jede Sorte Schadensfall fast sicher auftritt. Damit kann uns aber eine Versicherung gar keine Wette gegen dessen Eintreten[2] anbieten, die für uns vorteilhaft ist. Daher gleichen wir solche Schäden lieber gleich intern aus. Das spart Geld, weil zwischen Geldquelle (Land BaWü) und Geldsenke (Land BaWü) nicht noch die Versicherung ihre Kosten und ihren Profit abschöpft.

    Das ist (modulo Bürokratiedefizite) exakt richtig: Versicherungen sind ganz schlicht eine kostspielige Art, Mängel im gesellschaftlichen Solidarsystem auszugleichen. Wenn das Land den Solidargedanken von seinem Apparat auf alle BügerInnen ausweiten würde, könnten wir einen Haufen Arbeitsplätze einsparen: Die von VersicherungsvertreterInnen, von den Leuten, die deren Werbung designen, die vieler der Leute, die die „Schadensregulation“ behandeln, die der Leute, die die hässlichen Versicherungs-Hochhäuser bauen und so fort.

    Zugegeben: Dieser klare Gedanke wird bei, sagen wir, Haftpflicht-Versicherungen in der Realität an sinnlosen, aber bis zum Ausbau des Bildungswesens wahrscheinlich unvermeidlichen Neid- und Missgunstdebatten („was muss der Typ auch heimwerken?“) scheitern. Speziell bei Naturkatastrophen ist das jedoch ersichtlich kein (großes) Problem: Die generelle Hilfsbereitschaft ist eigentlich immer so groß, dass der Staat in diesen Fällen weit besser und billiger arbeiten wird als Versicherungen, während zwischen Katastrophen keine Grundkosten für den Verkauf und die Verwaltung von Policen anfallen.

    Tatsächlich ist aber die Ablehnung, die 1% zu versichern, die es wirklich bräuchten, nicht nur frech, sondern auch ganz realistisch. Denn angenommen, wir haben die Fluten der letzten Wochen und noch einen Faktor 10 drauf – sowas kommt ganz sicher irgendwann, und wenn es ein explodierendes Eifelmaar ist: Selbst eine Allianz würde damit nicht fertig. Das kann nur eine Gesellschaft als Ganzes schultern, und das Aufräumen und Wiederaufbauen ist nicht durch Sparen und Kapitalanlage hinzubekommen. Sowas geht nur durch aktuelle Arbeitskraft und mithin dem, was bei der Rente „Umlageverfahren“ heißt.

    Die Versicherer können also mit größeren Naturkatastrophen gar nicht wirklich umgehen. Verlangt ja auch niemand, der/die ganz bei Trost ist. Nur sollen sie dann bitte auch nicht daran (und der Angst vor ihnen) verdienen wollen.

    [1]Das steht hier in Anführungszeichen, weil der – ganz nebenbei von sehr autoritären HerrscherInnen wie Pinochet, Thatcher und Reagan durchgesetzte „Neoliberalismus“ dem zwar schon etwas ramponierten, aber an sich doch ganz akzeptablen „liberal“ einen wirklich hässlichen Klang gibt. Das ist übrigens eine interessante Sorte von missglückter Antisprache, die auch mal einer Untersuchung harrt.
    [2]Ja, eine Versicherungspolice kann sehr gut als Wette analysiert werden: Die Versicherung wettet, dass ein Ereignis nicht eintritt (z.B. ein Unfall bei einer Unfallversicherung; oder ein später Tod bei einer Rentenversicherung). Wenn sie gewinnt, streicht sie die Prämien ein. Verliert sie die Wette, muss sie die Versicherungssumme zahlen. In diesem Sinne wären Versicherungen, die einen großen Zirkus bei der Schadensregulierung machen, einfach schlechte Verlierer…

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