Ich bin auch Hanna

Seit ein paar Wochen schreiben zahlreiche Uni-Beschäftigte auf befristeten Verträgen über ihren alltäglichen Wahnsinn unter dem Twitter-Hashtag #ichbinhanna. Nun ist mir zwar ein offenes Netz wichtiger als diese eingestandenermaßen erfolgreiche Mobilisierung, und so werde ich nicht mittwittern. Aber ich finde es natürlich klasse, dass ein Thema, das mich seit Jahrzehnten umtreibt, mal wieder etwas Öffentlichkeit bekommt. Deshalb will ich hier ein paar vielleicht nicht ganz offensichtliche Aspekte beisteuern.

Comic eines Beratungsgesprächs

So stellt sich das BMBF den Umgang mit Befristungen vor. Links die „Hanna“, die im Befristungs-Werbevideo aus dem Hause Karliczek froh ihre „Karriere“ plant.

Zunächst bin auch ich Hanna: meinen ersten Vertrag mit der Universität Heidelberg hatte ich 1993, damals als studentische Hilfskraft. Seit ich 2001 von meinen akademischen Wanderjahren zurückgekehrt bin, habe ich dort ununterbrochen jeweils dreijährige Arbeitsverträge als das, was heute in Baden-Württemberg akademischer Mitarbeiter heißt; zusammen komme ich auf ein gutes Vierteljahrhundert befristeter Verträge mit der Uni.

Und auch wenn ich in all den Jahren mit wechselnder Intensität anstank dagegen, dass weniger als jedeR fünfte MitarbeiterIn in Forschung und Lehre an deutschen Unis einen ordentlichen (also unbefristeten) Arbeitsvertrag hat, versuche ich derzeit mit einiger Intensität, nicht verdauert zu werden. Klingt komisch, ist aber so, und Schuld hat: Der Rechnungshof von Baden-Württemberg, eine Festung von durch keinerlei Sachargumente zu erschütternden festen Glauben an das ganze Spektrum marktradikalen Unsinns.

Dieser Rechnungshof hat nämlich vor Jahren festgestellt, dass an den Unis im Land viele akademische MitarbeiterInnen mit geringen Lehrverpflichtungen (oder, Gottseibeiuns, gar keinen) beschäftigt waren, während gleichzeitig Hilfskräfte aus den Reihen der Studierenden für Geld rekrutiert wurden, um Teile der Lehre – in Physik und Mathematik vor allem Übungsgruppen – abzudecken. Was ein gestandener Rechnungshöfer ist, kann da nicht zusehen, selbst wenn es nach Maßstäben der deutschen Akademia eigentlich ein prima System war: Die Übungsgruppen waren entspannte (weil normalerweise durch „Peers“ gehaltene) und produktive (weil die Leute, die den Kram erklärt haben, ihre eigenen Schwierigkeiten noch gut vor Augen hatten) Veranstaltungen, die engagierten Studis gleichzeitig die Möglichkeit gaben, erste Erfahrungen in der Lehre zu sammeln und ihr Studium fachnah zu finanzieren. Derweil konnten WissenschaftlerInnen auch an Unis relativ konzentriert forschen, wenn sie das wollten und es ansonsten mit der Lehre reichte (was in Heidelberg mit all den Forschungsinstitutionen in der Umgebung in vielen Fachbereichen nie ein Problem war).

All das interessierte den Rechnungshof wenig, zumal ungefähr zu dieser Zeit die Urkatastrophe über die Unis hinwegrollte: Die autoritäre Umgestaltung, die reaktionäre WissenschaftspolitikerInnen gemeinsam mit den „Think Tanks“ diverser Content-Hersteller (allen voran natürlich Bertelsmann) unter dem Label „Bologna-Prozess“ vermarktet und durchgesetzt haben – ich habe damals so vergeblich wie eifrig dagegen gepredigt. Damit einher ging ein intensives Kontroll- und Prüfungsregime, dem auch die Übungsgruppen zum Opfer fielen: Was Studis darin tun, beeinflusst jetzt direkt ihre Abschlussnote (während es früher in der Praxis egal war; den Schein hat jedeR bekommen, der/die ihn wirklich wollte). Das hat die Veranstaltungen komplett umgedreht: Von realer und oft hocheffektiver Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten zu einem Instrument schulhafter Büttelei und intensiven Feilschens um halbe Punkte.

In dieser Situation hat der Rechnungshof dem Wissenschaftministerium sehr nahegelegt, doch all die Leute, die es (also: aus Landesmitteln) bezahlt, für die Büttelei einzusetzen, für die Studis – es geht ja um, wow, Noten! – nicht mehr gut genug waren. Weil ich aber nicht bütteln will, nicht umsetzen, was ich jahrelang bekämpft habe, muss ich sehen, dass ich von Bundes- oder Europamitteln lebe, und weil aus solchen immer noch niemand feste Verträge machen will, heißt das: ich muss die Verdauerung dringend vermeiden. Irre? Klar. Nur, finde ich, nicht von meiner Seite.

Andererseits bilde ich mir ein, dass ich als Computer-Zauberer mit Rücklagen auch dann keine materiellen Probleme haben werde, wenn das mit den Drittmitteln mal nicht klappen sollte. Das ist für viele andere anders, insbesondere, wenn plötzlich weitere Menschen materiell von ihnen abhängen. Diese Leute werden nicht lange in meinen Projekten arbeiten. Das, zusammen mit wild fluktuierenden Mitteln, die mich immer wieder zwingen würden, Leute, die dennoch bleiben wollen, gerade dann zu feuern, wenn sie gerade richtig angekommen sind (was ich eigentlich nicht kann – und so muss ich aufpassen, dass ich immer gerade genug Drittmittel nur für mich bekomme), ist das eigentliche Problem, das ich mit der Befristeritis habe: Mensch arbeitet fast permanent mit AnfängerInnen, und das tut keinem Projekt im Wissenschaftsumfeld gut.

Ich wünsche also den #ichbinhanna-Leuten alles Gute. Auf ein paar großväterliche Feststellungen kann ich aber dennoch nicht verzichten:

  • Ohne eine entscheidende Rückverlagerung von wettbewerblich vergebenen Mitteln in verlässliche Etats der Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen wirds nicht gehen. Aus nur temporär verfügbaren Mitteln entstehen auch nach TzBfG keine Dauerstellen; dieses Gift ist längst aus den Hochschulen in die Restgesellschaft durchgesickert.
  • Würde diese Grundfinanzierung einfach nur an „die Unis“ gehen wie sie jetzt sind, würde sie genau an die Profen gehen, die die derzeitige Misere recht weitgehend zu verantworten haben und das Gewäsch aus dem Hanna-Video in ihrer breiten Mehrheit exakt so vertreten. Mit anderen Worten: um die Befristeritis zurückzudrängen, braucht es auch eine grundlegende Hochschulreform, die insbesondere Profen aus den Leitungsfunktionen nimmt und durch Menschen ersetzt, die wenigstens basale arbeitsrechtliche Instinkte haben. Extrapunkte, wenn dabei auch etwas Demokratisierung (also: Abbau von Leitungsfunktionen an sich) rauskommt.
  • KeineR der OrganisatorInnen des bestehenden Systems dürfte sich viele Illusionen gemacht haben darüber, wie beschissen das für die Betroffenen aussieht und wie kontraproduktiv für die Wissenschaft das alles ist. Wenn sich etwas ändern soll, wird es also mit freundlichen Petitionen und Hinweisen über Twitter nicht getan sein.

Dieser letzte Punkt verdient noch eine Handvoll Worte mehr: Die klassische Aktionsform abhängig Beschäftigter ist der Streik, und ich behaupte kühn, dass es auch für uns Uni-Prekariat kaum ohne gehen wird. Sage keineR, es merke sowieso niemand, wenn er/sie streike: Allein das entschiedene Nein, das eine organisierte Arbeitsverweigerung den Hochschulen vorhält, wird diese – und in der Folge auch die Ministerien – bereits in Gang setzen. Sicher nicht beim ersten Mal, aber wenn so eine Mobilisierung über ein paar Jahre nicht verschwindet, wird die Hierarchie das nicht ignorieren – es geht ja schließlich um relevante Teile ihres eigenen Nachwuchses.

Ein Streik gegen das WissZeitVG, gegen die Drittmittelisierung der Wissenschaft, gegen die autoritär geführte Profenhochschule: Das wäre ein politischer Streik, der in Deutschland verboten ist (kein Scheiß). So ein Verbot (mit der Folge u.a. fehlender gewerkschaftlicher Unterstützung) muss natürlich kein Hindernis sein, aber angesichts der totalen politischen Agonie des Uni-Mittelbaus in den letzten dreißig Jahren wäre es schon ein ziemlich großer Sprung von Null auf wilden Streik („accountancy to lion taming“).

Vielleicht wäre ein vernünftiger erster Schritt doch erstmal der Beitritt zur GEW (auch wenn die manchmal nervt) und dann ein ganz ordentlicher, amtlicher Streik in Tarifangelegenheiten. Schon seit Jahrzehnten gibt es den Gedanken, für befristet Beschäftigte eine tarifliche Risikozulage von 10% herauszuverhandeln, was verglichen mit Hochschulreform, Bologna-Ende und Umsturz der Wissenschaftsförderung ein ganz realistisches Ziel ist – und vermutlich die Zahl allzu obszöner Befristungen schon ein wenig reduzieren würde. Das einzige, was es dafür braucht: Hinreichend viele streikbereite Mitglieder an den Hochschulen. Ohne die lachen die TVL-VerhandlerInnen der Gegenseite unsere TarifunterhändlerInnen nur aus.

Also: Unsere Kraft ist die Gewerkschaft. Ganz klassisch.

Zitiert in: Von Verblindung und fachbedinger Blindheit

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