Artikel aus funde

  • Das letzte Bild

    Pale Blue Dot, hochgezoomt

    Das Pale Blue Dot-Bild, mit Gimps Lens Distortion ordentlich verhackstückt, damit es auch wirklich blassblau wird.

    In meinem asynchronen Radio habe ich heute Voyager 3 gehört, ein Feature über... na ja, alles mögliche, insbesondere aber die kulturellen Implikationen der Golden Records an Bord der Voyagers. Streckenweise wars großartig; manchmal sind diese freistil-Features ja offensiv langweilig, aber dann lassen mich solche Highlights doch immer an meiner (na ja, der meines Computers) Mitschneideroutine am Sonntagabend festhalten.

    In dieser Sendung gab es erstmal ein paar Genau-mein-Humor-Witze zu den Platten, etwa:

    Warum ist da nicht mehr Bach drauf? – Wir wollten nicht so angeben.

    Gefakte Durchsage der (vielleicht der NASA): Es ist nicht viel, aber es ist die erste Nachricht einer fremden Zivilisation. Vier Worte: Send more Chuck Berry.

    Natürlich sind die Golden Records selbst schon zutiefst anrührend und romatisch. Aber dann kam gegen Ende der Sendung noch etwas, das ich, nennt mich einen irren Nerd, besonders anrührend fand. Sie haben nämlich die Geschichte vom Pale Blue Dot (PBD) erzählt, nach dem Voyager 1, bevor die Kamera endgültig abgeschaltet wurde, umgedreht wurde und aus gut 40 Astronmischen Einheiten Entfernung die Erde portraitiert hat.

    Diese Geschichte kannte ich als Carl-Sagan-Fan natürlich schon, aber in dieser Darstellung klang es so, als sei der PBD das letzte Bild der Kamera gewesen, und dabei kam mir der ergreifende Gedanke: oh wow, da haben sie das Bild der Erde sozusagen in die Netzhaut der sterbenden Kamera (ihr Band) eingebrannt, und wenn dann dermaleinst Aliens die Sonde bergen, würden sie das eben diese Erinnerung an die Ursprungswelt dort noch finden.

    Leider ist das natürlich alles Quatsch. Erstens war das PBD-Bild gar nicht das letzte, das die Kamera geschossen hat, schon, weil die Kamera (wie eigentlich immer noch alle wissenschaftlichen Kameras in der Astronomie) monochrom war und es drum schon mal drei Aufnahmen gewesen wäre, aber auch, weil Voyager als Teil der Rückschau einen ganzen Haufen anderer Aufnahmen machte und so zuletzt vielleicht die Sonne oder Neptun angeschaut hat, aber nicht die Erde.

    Aber selbst wenn die Erd-Bilder die letzten gewesen wären, wären sie wahrscheinlich nicht auf dem Bandlaufwerk geblieben, denn die Voyagers nehmen ja immer noch Daten, und ich habe bis eben angenommen, dass die immer noch auf dem Bandlaufwerk zwischengespeichert werden. Allerdings berichtet hackaday, dass zumindest Voyager 1 inzwischen offenbar kein übers RAM funktioniert (beeindruckend, denn alle drei Rechner an Bord kommen zusammen gerade so über 64kB).

    Leider würde es auch nichts helfen, wenn es das PBD-Bild irgendwie geschafft hätte, trotz der weiteren Aktivitäen von Voyager 1 auf dem Band zu bleiben: Selbst bei den tiefen Temperaturen dort draußen wird die Magnetisierung des Bandes allein schon wegen der kosmischen Strahlung bald verschwunden sein. Die Aliens werden eben leider doch nicht die Erde als letztes Bild der sterbenden Kamera verewigt sehen. Schade.

    Ach übrigens: Voyager 1 steht übrigens gerade im Schlangenträger. Ganz einsam. Was auch eine gewisse Romantik hat, denn im Schlangenträger steht auch der einsamste Stern am Himmel.

  • Ein Jahr ohne Terry Jones

    Heute vor einem Jahr ist Terry Jones gestorben (habe ich auf sofo-hd erfahren). Allein für die Regie beim ewigen Klassiker Life of Brian gedenke ich seiner gerne. Wofür ich ja jetzt dieses Blog habe.

    Die 1a Blasphemie, die Alien-Szene, die scharfsichtige Darstellung OECD-kompatibler Pädagogik („So 'eunt' is...?“ mit einem Schwert am Hals) und die gekonnte Verarbeitung der abgedroschenen Klischees der Historienschiken rund um Ben Hur würde eigentlich schon für eine Aufnahme des Films in den Olymp großer Kunst reichen.

    Vor allem aber sollte der Film Pflichtlektüre linker Aktivist_innen sein. Wer nämlich lange genug in linken Grüppchen unterwegs war, wird in eigentlich jeder Szene Vertrautes erblicken, ohne das wir, glaube ich, alle schon ein ganzes Stück weiter wären. Der blinde Hass zwischen Judean People's Front und People's Front of Judea, das „this calls for... immediate discussion“ statt einfach mal vor die Tür zu gehen (und der folgende Paternalismus), der zumindest mal alberne Versuch, patriotische Gefühle für eine (vielleicht) fortschrittliche Idee einzuspannen („What have the Romans ever done for us?“), das gegenseitige Abmetzeln über Fragen, die sich vernünftige Menschen gar nicht stellen würden („we were here first“ unter Pilatus' Palast), sinnlose Opferbereitschaft aus einem Bedürfnis nach größtmöglicher Reinheit heraus („We are the Judean People's Front. Crack suicide squad.“ vor dem Massenselbstmord), die große (autoritäre) Versuchung, einer „Bewegung“ anzugehören („Yes, we are all different!“) und so fort: Fast alles, was es an Irrsinn gibt, der (glücklicherweise nicht nur) fortschrittliche Kämpfe lähmt, findet sich in diesem Film.

    Mein Tipp: Jeden Karfreitag mal reinschauen.

    Was ich bisher nicht wusste: Den Film gibts überhaupt nur, weil Ex-Beatle George Harrison eingesprungen ist, als die ursprüngliche Produktionsfirma nach dem Lesen des Skripts den Geldhahn zugedreht hatte (vgl. rational wiki, der noch ein paar weitere Geschichten dazu hat).

    Die Welt ist klein.

  • Ausbrüche von Prüderie

    Ich lese gerade Bill Brysons „Mother Tongue“, ein Buch über, nun, die englische Sprache. Darin schreibt er: „Soon after Shakespeare’s death, Britain went through a period of prudery of the sort with which all countries are periodically seized”.

    Buchcover

    Bildrechte beim Verlag

    Nun bin ich jederzeit bei inklusiver Sprache dabei (und kann das belegen, denn der UNiMUT hatte schon 1993 komplett das hohe I), und ich fand es klasse, als 2015 „Geflüchtete“ das Wort wurde, das nette Leute statt „Flüchtling“ sagten. Aber ich muss zugeben, dass ich diese sprachlichen Konventionen immer vor allem als Statement gegen Rechts gesehen habe (und angesichts der Reaktionen der Reaktion funktioniert das ja auch prima). Der fast religöse Furor, mit dem viele durchaus nette Menschen Wörter bekämpfen (oder umgekehrt als konstitutiv für Linke etablieren wollen) allerdings scheint mir oft die Grenze zu überschreiten, an der gute Ideen zu Mitteln von Exklusion und Identitätsbildung werden. Und eben von Sorten von Prüderie, weshalb ich Brysons Beobachtungen von 1989 zumindest bemerkenswert fand.

    So schreibt er etwa: „But the greatest outburst of prudery came in the nineteenth century when it swept through the world like a fever. It was an age when sensibilities grew so delicate that one lady was reported to have dressed her goldfish in miniature suits for the sake of propriety“. Ich weiß, wenn sich Männer über „sensiblities“ von anderen Leuten unterhalten, ist es ein wenig wie wenn Autofahrer_innen Straßenplanung machen. Aber ich vermute trotzdem, dass ich nicht mehr „trigger warning“ werde hören können, ohne an bekleidete Goldfische zu denken.

    Und übrigens: Es ist höchst unfair, den Ausbruch des Prüderie-Fiebers Victoria... Hannover? Saxecoburgotsky? – naja, Königin Viktoria von England halt – anzulasten. Denn: Thomas Bowdler, der mit seiner Reinigung von Shakespeares (in der Hinsicht ohnehin für die Periode recht zahmen) Werken von Kraftausdrücken das Wort „bowdlerise“ geprägt hat, hat sein Hauptwerk 1818 und mithin ein Jahr vor Victorias Geburt vorgelegt.

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