Artikel aus funde

  • Worse is manchmal better

    TL;DR: Radikalität ist wichtig, aber Freundlichkeit ist wichtiger.

    Seit einiger Zeit blättere ich öfter mal in Shoshana Zuboffs Age of Surveillence Capitalism und finde es immer wieder nützlich und gleichzeitig verkehrt. Dazu will ich etwas mehr schreiben, wenn ich es ganz gelesen habe, aber jetzt gerade hat mich ihr Generalangriff auf den Behaviorismus – auch der gleichzeitig richtig und falsch – wieder an einen Gedanken aus Bertrand Russells A History of Western Philosophy erinnert, der mich immer wieder beschäftigt – und den ich sehr profund finde. Im Groben: „In politischen Theorien ist Menschlichkeit wichtiger als Stringenz”. Oder: das „worse is better“ der Unix-Philosophie, das mensch trefflich kritisieren kann, ist zumindest fürs politische Denken in der Regel angemessen.

    Was ist eigentlich eine Menge?

    Foto eines Computers

    Gegenstück zu worse is better: Eine LISP-Maschine im MIT-Museum.

    Dabei konnte Russell beeindruckend stringent denken, etwa auf den paar hundert Seiten, die er in den Principia Mathematica füllte, um sich der Richtigkeit von 1+1=2 zu versichern.

    Oder auch in der Russell'schen Antinomie, die ich in meinen Einführungsvorlesungen in die formalen Grundlagen der Linguisitk immer zur Warnung vor der naiven Mengendefinition – eine Menge sei ein Haufen von „Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens“ – gebracht habe. Wäre diese Definition nämlich ok, müsste es auch die Menge aller Mengen geben, die sich nicht selbst enthalten. Nennen wir sie mal Ξ (ich finde, das große Xi ist in Mathematik und Physik deutlich unterverwendet). Die wesentliche Frage, die mensch einer Menge stellen kann ist: Ist irgendwas in dir drin, also: „x ∈ Ξ“?

    Und damit kommt Russells geniale Frage: Ist Ξ ∈ Ξ oder nicht? Schauen wir mal:

    • Wenn Ξ ∈ Ξ gälte, enthält Ξ sich selbst, ist also nicht in der Mengen aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, entgegen der Annahme in diesem Spiegelstrich.
    • Ist aber Ξ ∉ Ξ, so enthält sich Ξ nicht selbst, wäre es also in der Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten und müsste sich also selbst enthalten. Passt wieder nicht.

    Brilliant, oder? Die Lösung dieser „Russell'schen Antinomie“ ist übrigens, sich bei der Definition von „Menge“ etwas mehr Mühe zu geben.

    Wer das nachvollzogen hat, wird wohl die Weisheit von Russells Entscheidung erkennen, nach den Principia Mathematica eher konventionelle Philosophie zu betreiben. In diesem Rahmen hat er 1945 seine überaus lesbare Darstellung der „westlichen“ Philosophie veröffentlicht, in der er sich deutlich als Fan von John Locke outet, den „apostle of the Revolution of 1688, the most moderate and the most successful of all revolutions“, erfolgreichst, denn „no subsequent revolution has hitherto been found necessary in England.“ Über das „found necessary“ könnte mensch angesichts des Elends, das noch in den Werken von George Orwell – geschrieben, während Russell in den 1940ern an seiner History arbeitete – deutlich wird, sicher streiten, aber vielleicht ist das durch „most moderate“ noch hinreichend abgedeckt.

    Vernünftig vs. Widerspruchsfrei in der politischen Doktrin

    Viel wichtiger ist mir aber Russells Beobachtung: „Pragmatically, the theory was useful, however mistaken it may have been theoretically. This is typical of Locke's doctrines.“ Etwas später sagt er: „No one has yet succeeded in inventing a philosophy at once credible and self-consistent. Locke aimed at credibility, and achieved it at the expense of consistency. Most of the great philosophers have done the opposite.“

    Also in etwa: in der Philosophie – und da würde ich etwas hinter Russell zurückgehen wollen und sagen: Politik und Soziologie – gibt es nicht gleichzeitig „glaubwürdig“ (sagen wir lieber: menschlich) und widerspruchsfrei. Ich glaube, Russell kam zu diesem desillusionierten Einsichten aus Enttäuschung mit der russischen Revolution, deren Scheitern, jedenfalls im Sinne von Freiheit, Gleichheit und Solidarität für die Bürger_innen der Sowjetunion, er wahrscheinlich mit übermäßiger ideologischer Strenge erklärte; jedenfalls führte er Lockes gedankliche Geschmeidigkeit zurück auf dessen Erfahrungen des britischen Bürgerkriegs der 1640er Jahre.

    Immer wieder spottet Russell freundlich über Lockes, nun, Liberalität, so etwa, wenn Hume einen schlimmen Irrtum beging, weil er „a better intellect than Locke's, a greater acuteness in analysis, and a smaller capacity for accepting comfortable inconsistencies“ hat. Oder wenn er Lockes Methode so umschreibt:

    [Er ist] always willing to sacrifice logic rather than become paradoxical. He enunciates general principles which, as the reader can hardly fail to perceive, are capable of leading to strange consequences; but whenever the strange consequences seem about to appear, Locke blandly refrains from drawing them. To a logician this is irritating; to a practical man, it is a proof of sound judgement.

    Was ich daraus mache: Wenn du über die Gesellschaft nachdenkst und du kommst auf Menschenfresserei, müssen deine Ausgangsgedanken nicht unbedingt Quatsch sein – das kann schon mal passieren, wenn ein Haufen Leute sich streiten. Du solltest aber trotzdem nicht Menschenfresser_in werden.

    Freundlichkeit vs. Radikalität in der politischen Praxis

    Eine derzeit ganz naheliegende Anwendung: So sehr es scheiße ist, wenn Leute an eigentlich vermeidbaren Krankheiten sterben: Die autoritäre Fantasie, einfach alle einzusperren, bis die SARS-2-Pandemie vorbei ist, ist schon deshalb nicht menschenfreundlich, weil so ein Präzedenzfall zu inflationären Forderungen nach ähnlich autoritären Maßnahmen führen wird (alles andere mal beiseitegelassen). Umgekehrt führt das unbedingte Bestehen auf Grundrechten wie Freizügigkeit, die Zurückweisung staatlicher Autorität, auch wo diese nicht immer so richtig wissenschaftlich unterfüttert ist, zu einem schlimmen Gemetzel. Es bleibt, sich da irgendwie durchzumogeln (und das, ich gebs immer noch nicht gerne zu, hat die Regierung recht ordentlich gemacht), und das ist wohl, was was Russell an Locke mag.

    Also: Im realen Umgang mit Menschen ist Freundlichkeit oft wichtiger als Konsequenz. Dass Russell, obwohl er fast jeden Gedanken von Locke widerlegt, seine gesamte Lehre sehr wohlwollend betrachtet, ist eine sozusagen rekursive Anwendung dieses Prinzips.

    Leider, und da kommen wir beinahe auf die Russell'sche Antinomie zurück, bin ich aber überzeugt, dass auch die Mahnung, es mit den Prinzipien nicht zu weit zu treiben, dieser Mahnung selbst unterliegt. Folterverbot oder Ausschluss der Todesstrafe etwa würde ich gerne unverhandelbar sehen.

    Locke hätte mit dieser fast-paradoxen Selbstanwendung von Nicht-Doktrinen auf Nicht-Doktrinen bestimmt keine Probleme gehabt. Bei mir bin ich mir noch nicht ganz sicher.

    Aber ich versuche, Zuboff mit der Sorte von Wohlwollen zu lesen, die Russell für Locke hatte.

    Nachtrag (2021-04-10)

    Weil ich gerade über irgendeinen Twitter-Aktivismus nachdenken musste (bei dem jedenfalls für mein Verständnis allzu oft gute Absichten zu böser Tat werden), ist mir aufgefallen, dass meine Russell-Interpretation eigentlich zusammenzufassen ist mit: „Radikalität ist wichtig, aber Freundlichkeit ist wichtiger“. Das hat mir auf Anhieb gefallen, weshalb ich es auch gleich als TL;DR über den Artikel gesetzt habe.

    Dann habe ich geschaut, ob duckduckgo diesen Satz kennt. Erstaunlicherweise nein. Auch bei google: Fehlanzeige. Ha!

    Und je mehr ich darüber nachdenke, gerade auch im Hinblick auf ein paar Jahrzehnte linker Politik: RiwaFiw hätte vieles besser gemacht, und, soweit ich sehen kann, fast nichts schlechter.

  • Tintenfische und der Erfolg im Leben

    Ein Oktopus im Porträt

    Gut: Es ist keine Sepie. Aber dieser Oktopus ist bestimmt noch viel schlauer.

    Mal wieder gab es in Forschung aktuell ein Verhaltensexperiment, das mich interessiert hat. Anders als neulich mit den Weißbüschelaffen sind dieses Mal glücklicherweise keine Primaten im Spiel, sondern Tintenfische, genauer Sepien – die mir aber auch nahegehen, schon, weil das „leerer Tab“-Bild in meinem Browser eine ausgesprochen putzige Sepie ist. Den Beitrag, der mich drauf gebraucht hat, gibt es nur als Audio (1:48 bis 2:28; Fluch auf die Zeitungsverleger), aber dafür ist die Original-Publikation von Alexandra Schnell et al (DOI 10.1098/rspb.2020.3161) offen.

    Grober Hintergrund ist der Marshmallow-Test. Bemerkenswerterweise zitiert der Wikipedia-Artikel bereits die Sepien-Publikation, nicht jedoch kritischere Studien wie etwa die auf den ersten Blick ganz gut gemachte von Watts et al (2018) (DOI: 10.1177/0956797618761661). Schon dessen Abstract nimmt etwas die Luft aus dem reaktionären Narrativ der undisziplinierten Unterschichten, die selbst an ihrem Elend Schuld sind:

    an additional minute waited at age 4 predicted a gain of approximately one tenth of a standard deviation in achievement at age 15. But this bivariate correlation was only half the size of those reported in the original studies and was reduced by two thirds in the presence of controls for family background, early cognitive ability, and the home environment. Most of the variation in adolescent achievement came from being able to wait at least 20 s. Associations between delay time and measures of behavioral outcomes at age 15 were much smaller and rarely statistically significant.

    Aber klar: „achievement“ in Zahlen fassen, aus denen mensch eine Standardabweichung ableiten kann, ist für Metrikskeptiker wie mich auch dann haarig, wenn mich die Ergebnisse nicht überraschen. Insofern würde ich die Watts-Studie jetzt auch nicht überwerten. Dennoch fühle ich mich angesichts der anderen, wahrscheinlich eher noch schwächeren, zitierten Quellen eigentlich schon aufgerufen, die Wikipedia an dieser Stelle etwas zu verbessern.

    Egal, die Tintenfische: Alexandra Schnell hat mit ein paar Kolleg_innen in Cambridge also festgestellt, dass Tintenfische bis zu zwei Minuten eine Beute ignorieren können, wenn sie damit rechnen, später etwas zu kriegen, das sie lieber haben – und wie üblich bei der Sorte Experimente ist der interessanteste Teil, wie sie es angestellt haben, die Tiere zu irgendeinem Handeln in ihrem Sinn zu bewegen.

    Süß ist erstmal, dass ihre ProbandInnen sechs Tintenfisch-Jugendliche im Alter von neun Monaten waren. Die haben sie vor einen Mechanismus (ebenfalls süß: Die Autor_innen finden den Umstand, dass sie den 3D-gedruckt haben, erwähnenswert genug für ihr Paper) mit zwei durchsichtigen Türen gesetzt, hinter denen die Sepien jeweils ihre Lieblingsspeise und eine Nicht-so-Lieblingsspeise (in beiden Fällen irgendwelche ziemlich ekligen Krebstiere) sehen konnten. Durch irgendwelche Sepien-erkennbaren Symbole wussten die Tiere, wie lange sie würden warten müssen, bis sie zur Leibspeise kommen würden, zum langweiligen Essen konnten sie gleich, und sie wussten auch, dass sie nur einen von beiden Ködern würden essen können; dazu gabs ein recht durchdachtes Trainingsprotokoll.

    Na ja, in Wirklichkeit wars schon etwas komplizierter mit dem Training, und ahnt mensch schon, dass nicht immer alles optimal lief:

    Preliminary trials in the control condition showed that Asian shore crabs were not a sufficiently tempting immediate reward as latencies to approach the crab, which was baited in the immediate-release chamber, were excessive (greater than 3 min) and some subjects refused to eat the crab altogether.

    Ich kann mir richtig vorstellen, wie die Gruppe vor dem Aquarium stand und fluchte, weil die doofen Viecher ihre Köder nicht schlucken wollten: „Wie zum Henker schreiben wir das nachher ins Paper?“ – um so mehr, als alle Sepien konsequent die gleichen Präferenzen hatten (was ich ja auch schon für ein bemerkenswertes Resultat halte, das bei n=6 und drei Auswahlmöglichkeiten kaum durch Zufall zu erklären ist – vielleicht aber natürlich durch das, was die Sepien sonst so essen).

    Und dann wieder Dinge in der Abteilung „was alles schiefgehen kann, wenn mensch mit Tieren arbeitet“:

    Subjects received one session of 6 trials per day at a specific delay. This number of trials was chosen to minimize satiety and its effects on eating behaviour.

    Schon die Abbildung 2 des Artikels finde ich wirklich erstaunlich: Alle Sepien bekommen es hin, 30 Sekunden auf ihre Lieblingsspeise zu warten – wow. Ok, kann natürlich sein, dass sie so lange brauchen, um sich zu orientieren, aber Schnell und Co scheinen mir schon viel getan zu haben, um das unwahrscheinlich zu machen.

    Was jedenfalls rauskommen sollte, war eine Korrelation der Wartezeit mit, na ja, der „Intelligenz“ (ich halte mich raus bei der genaueren Bestimmung, was das wohl sei), und um die zu messen, mussten die Sepien in ihren Aquarien zunächst lernen, das „richtige“ unter einem dunklen und einem hellen Stück Plastik aussuchen. Anschließend, das war der Intelligenztest, mussten sie mitbekommen, wenn die Versuchsleitung die Definition von „richtig“ verändert hat. Dazu haben sie laut Artikel im Mittel 46 Versuche gebraucht – gegenüber 27 Versuchen beim ersten Lernen. Nicht selbstverständlich auch: Sepien, die beim ersten Lernen schneller waren, waren auch schneller beim Begreifen der Regeländerung. Da ist Abbildung 3 schon ziemlich eindrücklich: einer der Tintenfische hat das Umkehrlernen in gut 20 Schritten bewältigt, ein anderer hat fast 70 Schritte gebraucht. Uiuiui – entweder haben die ziemlich schwankende Tagesform, oder die Gerissenheit von Sepien variiert ganz dramatisch zwischen Individuen.

    Die erwartete Korrelation kam selbstverständlich auch raus (Abbildung 4), und zwar in einer Klarheit, die mich schon etwas erschreckt angesichts der vielen Dinge, die beim Arbeiten mit Tieren schief gehen können; der Bayes-Faktor, den sie im Absatz drüber angeben („es ist 8.83-mal wahrscheinlicher, dass Intelligenz und Wartenkönnen korreliert sind als das Gegenteil“) ist bei diesem Bild ganz offensichtlich nur wegen der kleinen Zahl der ProbandInnen nicht gigantisch groß. Hm.

    Schön fand ich noch eine eher anekdotische Beobachtung:

    [Andere Tiere] have been shown to employ behavioural strategies such as looking away, closing their eyes or distracting themselves with other objects while waiting for a better reward. Interestingly, in our study, cuttlefish were observed turning their body away from the immediately available prey item, as if to distract themselves when they needed to delay immediate gratification.

    Ich bin vielleicht nach der Lektüre des Artikels nicht viel überzeugter von den verschiedenen Erzählungen rund um den Marshmallow-Test.

    Aber ich will auch mit Sepien spielen dürfen.

  • Nerd des Monats: Friedrich Schmiedel

    Titel: Der einzige Artikel von Schmiedel im Internet

    Als großer Fan von der Deutschlandfunk-Sendung Forschung aktuell höre ich natürlich auch (wenn auch mit Verzögerung) jeden Tag die sehr empfehlenswerte Sternzeit.

    In der vom 2. Februar hat (denke ich mal) Dirk Lorenzen daran erinnert, dass vor 90 Jahren, am 2.2.1931, Friedrich Schmiedl die erste Postrakete hat fliegen lassen, und die Geschichte klang so irre, dass ich das mal genauer wissen wollte:

    Die erste Postrakete brachte rund hundert Briefe vom Schöckel, einem Berg bei Graz, ins nur wenige Kilometer entfernte Sankt Radegund. Die Raketen waren ferngesteuert und landeten sanft am Fallschirm – eine Meisterleistung des Ingenieurs.

    [...] Nach dem erfolgreichen Erstflug begann ein regelmäßiger Postraketendienst in der Umgebung von Graz.

    und vor allem:

    Nach dem Raketen-Aus vernichtete Friedrich Schmiedl seine Unterlagen, damit sie nicht für Rüstungszwecke genutzt werden konnten – und er lehnte etliche Stellenangebote von Militärs aus verschiedenen Ländern ab.
    Eingang des Instituts für Weltraumwissenschaften

    Das Grazer Institut für Weltraumwissenschaften ist leider nicht nach Schmiedel, sondern nach dem Entdecker der kosmischen Strahlung, Victor Hess, benannt. Immerhin hat auch er nicht mit den Nazis kollaboriert, ist nach dem Übergang vom Austrofaschismus zur Naziherrschaft in Österreich in die USA geflohen – und er war Lehrer von Schmiedel.

    Der Wikipedia-Artikel zur Raketenpost ist zwar bezüglich des „regelmäßigen Postraketendiestes“ doch etwas skeptischer, und klar ist das aus heutiger Sicht eine ziemlich irre Idee. Aber wahrscheinlich war sie in ihrer Zeit nicht viel irrer als die Idee eines globalen paketvermittelten Computer-Netzwerks in den Anfängen des ARPANet.

    Nach etwas Schmökern im Netz kann ich jedenfalls bestätigen: Schmiedl war ganz klar ein großer Bastler; allein die Raketen so zu starten bzw. zu steuern, dass sie die Briefe tatsächlich so grob dorthin brachten, wo sie hinsollten, ist mit der damaligen Technologie ein halbes Wunder. Und er war bewegt von Interesse an der Sache und natürlich dem Plan, irgendwann mal in den Weltraum zu kommen. Ein Nerd, kein Zweifel.

    Dass er jede Verwicklung in staatliches Töten („Militär“) konsequent und unter erheblichen zumindest materiellen Einbußen abgelehnt hat, macht ihn, so finde ich, noch dazu zu einem Vorbild. Und drum verleihe ich Schmiedl hiermit feierlich den Titel Nerd des Monats.

    Während ich im Netz rumgestöbert habe, um etwas etwas mehr über Schmiedel rauszukriegen (und viel scheint nicht online zu sein), ist mir irgendwann klar geworden, dass ich eine großartige Gelegenheit verpasst habe, Schmiedl näher zu kommen: Ich war nämlich vor ein paar Jahren mal Referent bei einer Konferenz im Institut für Weltraumwissenschaften der österreichischen Akademie der Wissenschaften, das bestimmt nicht ganz zufällig in Graz ist. Leider wusste ich nichts von der Geschichte und habe deshalb nicht im Institut nach Erinnerungen geforscht – er ist ja erst 1994 gestorben, es könnten also durchaus noch Leute dort arbeiten, die ihn gekannt haben – und auch sein Grab nicht besucht. Schade.

    Was mich beim Stöbern noch überrascht hat: Der Wikipedia-Artikel zur Raketenpost schreibt, erst nach einem Unfall, bei dem 1964 zwei Menschen gestorben waren, seien in der Bundesrepublik Experimente mit ernsthafteren Raketen für Privatpersonen verboten worden. So ein Verbot hätte ich genau angesichts der militärischen Interessen, die Schmiedel aus dem Gebiet gedrängt haben, viel früher erwartet.

    Schmiedels Geschichte finde ich jedenfalls inspirierend. Und siehe da: das ADS weist immerhin einen Artikel von ihm nach: Early postal rockets in Austria. Und siehe noch weiter: Das Web Archive hat einen Scan des Artikels (ganzer Band von archive.org; original kommt das vom NASA NRTS, aber deren Interface ist Mist), der vielleicht, wenn du das liest, schon am ADS verlinkt ist.

    Der Artikel ist alles, was ich von Schmiedel selbst have finden können. Daher hier noch ein paar Ausschnitte, die, finde ich, seine Art, visionären Ideenreichtum mit konkreten technischen Lösungen zu verbinden, ganz gut illustrieren:

    [Die hübsche und gar nicht tödliche Passage von P1/Halley im Jahr 1910] marked a new phase in human thought after it became evident that space was not that hostile; one could dare to explore it. [...]

    In the 1920s I started some preliminary rocket experiments towards space flight. But first of all I had to convince my professors, who considered my ideas on space flight as a scientific illusion because of my youthful eagerness to assume that space flight was possible. [...] under the hood of a vaccum pump I fired tiny rockets and tested their efficiency while the air was evacuated.

    [...Mein Stratosphärenballon] was furnished with magnetized steel wires to hold it in a predetermined east-west position [...] Furthermore, the steel wires had to hold an aluminum flag (300 cm x 7 cm) in a certain position relative to the Sun so that it could reflect the Sun's rays to an observation post on Earth. Thus one could pursue the position of the balloon despite its height.

    [...] my stratoballoon carried some silveracide which would explode at a high altitude [...so that] dispersed matter could be moved out of the Earth's gravitational field by solar light pressure.

    [Meine Test-Postrakete] V-5 carried letters where I stated “...it is theoretically possible to deliver mail from Europe to America via rockets within 40 minutes” [...]

    In April 1931 I launched three sounding rockets with home-made recording equipment: a spectrograph with Zeiss prisms, and instruments to record the pressure, height, and vibrations [...] One rocket was constructed like a Greek column with parallel grooves along the longitudinal axis that had been worked into the aluminum casing to prevent rotation during the flight [...] The second rocket, on the other hand, I provided with diagonal grooves in its casing for fast rotation. My purpose was to improve guiding accuracy [...]

    I launched the [V-8] rocket with a selen cell as an optical control which should have set its course toward a lighted balloon [...]

    Later, I destroyed nearly all of my research notes and photographs of rocket launches and proceedings, for fear they might be used by the military.

    Nee, wirklich: der Krieg ist mal ganz definitiv nicht der Vater aller Dinge.

  • Solidarität ist... charmant

    Ein Weißbüschelaffe

    Sucht nach netten Genoss_innen: ein Weißbüschelaffe – Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

    An sich halte ich ja Soziobiologie für irgendwas zwischen Mumpitz und reaktionärer Zumutung, jedenfalls soweit sie verstanden wird als Versuch, menschliches Verhalten oder gar gesellschaftliche Verhältnisse durch biologische Befunde (oder das, was die jeweiligen Autor_innen dafür halten) zu erklären und in der Folge zu rechtfertigen.

    Hier ist aber eine Geschichte (DOI 10.1126/sciadv.abc8790), die so putzig ist, dass ich mir in der Beziehung etwas mehr Toleranz von mir wünschen würde. Und zwar hat eine Gruppe von Anthropolog_innen um Rahel Brügger aus Zürich das Kommunikationsverhalten von Weißbüschelaffen untersucht (Disclaimer: Nee, ich finde eigentlich nicht, dass mensch Affen in Gefangenschaft halten darf, aber in diesem Fall scheint zumindest das expermimentelle Protokoll halbwegs vertretbar).

    Dabei haben sie zunächst zwei Dialoge zwischen (den Proband_innen unbekannten) Affen aufgenommen: Ein Affenkind hat einen erwachsenen Affen um Futter angebettelt. Im einen Fall hat der erwachsene Affe abgelehnt, im anderen Fall wohl etwas wie „schon recht“ gemurmelt.

    Dann haben sie die Aufnahmen anderen Affen vorgespielt und haben dann geschaut, ob diese lieber weggehen oder lieber nachsehen, wer da geplaudert hat. Und siehe da: Die Tiere wollten viel lieber die netten Affen sehen als die doofen. Bei den netten Affen haben nach gut 10 Sekunden schon die Hälfte der Proband_innen nachgesehen, wer das wohl war, bei den doofen war das mehr so 30 Sekunden. Und bis zum Ende der jeweiligen Versuche nach zwei Minuten wollten immerhin ein Viertel der Proband_innen nichts von den doofen Affen sehen, aben nur ein Zehntel nichts von den netten.

    Moral: Seid nett, und die Leute mögen euch.

    Ja, ok, kann sein, dass die Äffchen nur gehofft haben, dass sie auch Essen kriegen, wenn schon das Kind was bekommen hat. Pfft. Ich sag ja, Soziobiologie stinkt.

    Nachbemerkung 1: Ich habe das auch nicht gleich in Science Advances gefunden (da gäbs andere Journals, die ich im Auge haben sollte), sondern in den Meldungen vom 4.2. des sehr empfehlenswerten Forschung aktuell im Deutschlandfunk.

    Nachbemerkung 2: Ich weiß, Literatur soll mensch nicht erklären, aber die Überschrift ist natürlich ein Einwand gegen einen der Wahlsprüche der Roten Hilfe: „Solidarität ist eine Waffe“. So klasse ich die Rote Hilfe finde, der entschlossene Pazifist in mir hat die Parole nie so recht gemocht. Mensch will ja eigentlich weniger Waffen haben, aber ganz bestimmt mehr Solidarität.

  • Vielleicht doch ein wertvolles Experiment

    Noch vor einem Jahr hatte sich kaum jemand vorstellen können, wie schnell die Staaten die Grenzen im März 2020 geschlossen haben – aber, das lässt sich hier leider wirklich nicht wegdiskutieren, im Prinzip können Bewegungseinschränkungen bei so einer Pandemie je nach Verteilung und Entwicklung schon mal nicht einfach nur atavistische Reflexe sein, und so will ich einmal nicht allzu sehr die Zähne fletschen.

    Das nun „je nach Verteilung und Entwicklung“ hat das RKI im Epidemiologischen Bulletin 8/2021 (DOI 10.25646/7955) für die Folgen der Sommerferien etwas genauer betrachtet.

    Die Ergebnisse in der zentralen Frage – letztlich: Wärs besser gewesen, wir wären alle daheim geblieten? – sind wenig überraschend, wie auch das Fazit zur Frage der Massentests für Heimkehrer_innen:

    Ein längeres Angebot zur freiwilligen, kostenlosen Testung für Reiserückkehrer hätte vielleicht die Eintragungen vor und während der Herbstferien besser erfasst, die zweite Infektionswelle aber nicht verhindert.

    Richtig bemerkenswert fand ich hingegen folgende Abbildung in dem Artikel:

    Verlauf der Inzidenzen über relative Ferientage

    Sie entstand, indem die RKI-Leute erstmal als Zeiteinheit „Tage vor oder nach dem Beginn der Sommerferien im jeweiligen Bundesland“ gewählt haben. An der Ordinate stehen die üblichen Wocheninzidenzen pro 100000 Einwohner_innen, und zwar für Fälle, für die eine Exposition im Ausland bekannt ist. Insofern ist es kein Wunder, dass die Zahlen im Laufe der Zeit hochgehen. Das muss schon allein aufgrund der gestiegenen Reisetätigkeit so sein.

    Wertvoll wird die Abbildung aber als Mahnung, bei allen Metriken immer zu bedenken, was wie gemessen wurde. Denn richtig auffallend verhalten sich hier Bayern und Baden-Württemberg scheinbar anders als alle anderen: Ihre Kurven steigen erhebnlich früher und steiler als die der anderen Bundesländer.

    Es wäre jedoch unvernünftig, anzunehmen, die Dinge hätten sich in den anderen Bundesländern in der Realität wesentlich anders verhalten (jedenfalls, soweit es die westlichen Bundesländer betrifft). Und in der Tat liefert schon das RKI die Erklärung für den Unterschied: Die Südländer hatten einfach so spät Ferien, dass ihre Reiserückkehrenden in die allgemeine Testpflicht fielen sind und mithin die Erfassung Infizierter früher in deren Krankheitsverlauf und darüber hinaus bereits bei den Indexfällen passierte.

    Ob das jetzt eine weise Verwendung von Ressourcen war oder nicht, muss ich glücklicherweise nicht entscheiden. Zumindest für die nächsten Jahre aber – solange sich die Menschen noch an die Diskussion um die Massentests im Sommer 2020 erinnern – ist diese Grafik aber, glaube ich, eine wunderbare Art, den Einfluss von Messung (und in diesem Fall von Politik) auf scheinbar unumstößliche Grafiken und Metriken zu illustrieren.

    Ich werde das beim nächsten Mensen-Ranking auspacken. Oder, wenn wieder mal das Bruttoinlandsprodukt verkündet wird.

  • Brahms war ein Schurke

    Im Kalenderblatt zum 18.1.2021 heißt es (möglicherweise in erster Linie zur Rechtfertigung eines Musikteppichs): »Johannes Brahms komponierte nach den Siegen preußisch-deutscher Truppen über das französische Heer im Jahr 1870 das „Triumphlied“ opus 55.«

    Mag sein, dass ich mich als Banause oute, weil mir das neu war, aber für mich war das die zentrale Nachricht des Beitrags: Brahms hat sich in Kriegsverherrlichung betätigt, in chauvinistischem Tschingdarassabumm. Will mensch Musik von so einem Schuft eigentlich noch hören?

    Und damit gehts direkt zur Frage der Relation zwischen Werk und Schöpfer_in, die ja letztlich hinter den sinnvolleren Teilen der „Cancel Culture“-Debatte steht. Darf ich Dinge mögen, obwohl sie von Leuten gemacht wurden, deren Handlungen jetzt mal wirklich unakzeptabel sind?

    Da hängt leider viel dran. Während mir Brahms' Schmachtfetzen vielleicht nicht so fehlen würden, wäre es für mich um die Gedanken von John Searle schon sehr schade (auch wenn ich sie zu guten Stücken für... unrichtig halte); allein der Chinese Room stellt ganz viele richtige Fragen, und seine beißende Kritik des Dualismus ist zumindest mal gut geschrieben.

    Nun: Searle hat offenbar recht routinemäßig zumindest im Graubereich der Vergewaltigung gehandelt, um das mal maximal freundlich für Searle zu formulieren.

    Kann ich mich jetzt nicht mehr am Chinese Room reiben? Ich würde sehr hoffen, dass die Abwägungen, die dahin führen, nicht zwingend sind. Umgekehrt gehts nun auch nicht, dass „wir“ (oder „die Gesellschaft“) einfach achselzuckend drüber hinweggehen, im üblichen „große Männer haben halt auch ihre Schwächen“-Duktus, schon, weil Militarismus, Chauvinismus und Vergewaltigung durch regelmäßige gesellschaftliche Ächtung tatsächlich bekämpft werden können, wie trotz aller Barbarei der Gegenwart der Vergleich zwischen heute und Brahms' Zeiten klar zeigt.

    Ich fürchte, das ist ein wenig wie oft in Fragen der Ethik: es gibt nichts, das immer „richtig“ wäre, und mensch muss in jedem Einzelfall wieder rauskriegen, wie weit Werk und Schöpfer_in zusammengehen (ich sag mal Leni Riefenstahl) oder halt nicht. Klingt nach Mesoteslehre. Und wer klingt wie Aristoteles hat ja meistens Unrecht... Ach Mist.

  • Das letzte Bild

    Pale Blue Dot, hochgezoomt

    Das Pale Blue Dot-Bild, mit Gimps Lens Distortion ordentlich verhackstückt, damit es auch wirklich blassblau wird.

    In meinem asynchronen Radio habe ich heute Voyager 3 gehört, ein Feature über... na ja, alles mögliche, insbesondere aber die kulturellen Implikationen der Golden Records an Bord der Voyagers. Streckenweise wars großartig; manchmal sind diese freistil-Features ja offensiv langweilig, aber dann lassen mich solche Highlights doch immer an meiner (na ja, der meines Computers) Mitschneideroutine am Sonntagabend festhalten.

    In dieser Sendung gab es erstmal ein paar Genau-mein-Humor-Witze zu den Platten, etwa:

    Warum ist da nicht mehr Bach drauf? – Wir wollten nicht so angeben.

    Gefakte Durchsage der (vielleicht der NASA): Es ist nicht viel, aber es ist die erste Nachricht einer fremden Zivilisation. Vier Worte: Send more Chuck Berry.

    Natürlich sind die Golden Records selbst schon zutiefst anrührend und romatisch. Aber dann kam gegen Ende der Sendung noch etwas, das ich, nennt mich einen irren Nerd, besonders anrührend fand. Sie haben nämlich die Geschichte vom Pale Blue Dot (PBD) erzählt, nach dem Voyager 1, bevor die Kamera endgültig abgeschaltet wurde, umgedreht wurde und aus gut 40 Astronmischen Einheiten Entfernung die Erde portraitiert hat.

    Diese Geschichte kannte ich als Carl-Sagan-Fan natürlich schon, aber in dieser Darstellung klang es so, als sei der PBD das letzte Bild der Kamera gewesen, und dabei kam mir der ergreifende Gedanke: oh wow, da haben sie das Bild der Erde sozusagen in die Netzhaut der sterbenden Kamera (ihr Band) eingebrannt, und wenn dann dermaleinst Aliens die Sonde bergen, würden sie das eben diese Erinnerung an die Ursprungswelt dort noch finden.

    Leider ist das natürlich alles Quatsch. Erstens war das PBD-Bild gar nicht das letzte, das die Kamera geschossen hat, schon, weil die Kamera (wie eigentlich immer noch alle wissenschaftlichen Kameras in der Astronomie) monochrom war und es drum schon mal drei Aufnahmen gewesen wäre, aber auch, weil Voyager als Teil der Rückschau einen ganzen Haufen anderer Aufnahmen machte und so zuletzt vielleicht die Sonne oder Neptun angeschaut hat, aber nicht die Erde.

    Aber selbst wenn die Erd-Bilder die letzten gewesen wären, wären sie wahrscheinlich nicht auf dem Bandlaufwerk geblieben, denn die Voyagers nehmen ja immer noch Daten, und ich habe bis eben angenommen, dass die immer noch auf dem Bandlaufwerk zwischengespeichert werden. Allerdings berichtet hackaday, dass zumindest Voyager 1 inzwischen offenbar kein übers RAM funktioniert (beeindruckend, denn alle drei Rechner an Bord kommen zusammen gerade so über 64kB).

    Leider würde es auch nichts helfen, wenn es das PBD-Bild irgendwie geschafft hätte, trotz der weiteren Aktivitäen von Voyager 1 auf dem Band zu bleiben: Selbst bei den tiefen Temperaturen dort draußen wird die Magnetisierung des Bandes allein schon wegen der kosmischen Strahlung bald verschwunden sein. Die Aliens werden eben leider doch nicht die Erde als letztes Bild der sterbenden Kamera verewigt sehen. Schade.

    Ach übrigens: Voyager 1 steht übrigens gerade im Schlangenträger. Ganz einsam. Was auch eine gewisse Romantik hat, denn im Schlangenträger steht auch der einsamste Stern am Himmel.

  • Ein Jahr ohne Terry Jones

    Heute vor einem Jahr ist Terry Jones gestorben (habe ich auf sofo-hd erfahren). Allein für die Regie beim ewigen Klassiker Life of Brian gedenke ich seiner gerne. Wofür ich ja jetzt dieses Blog habe.

    Die 1a Blasphemie, die Alien-Szene, die scharfsichtige Darstellung OECD-kompatibler Pädagogik („So 'eunt' is...?“ mit einem Schwert am Hals) und die gekonnte Verarbeitung der abgedroschenen Klischees der Historienschiken rund um Ben Hur würde eigentlich schon für eine Aufnahme des Films in den Olymp großer Kunst reichen.

    Vor allem aber sollte der Film Pflichtlektüre linker Aktivist_innen sein. Wer nämlich lange genug in linken Grüppchen unterwegs war, wird in eigentlich jeder Szene Vertrautes erblicken, ohne das wir, glaube ich, alle schon ein ganzes Stück weiter wären. Der blinde Hass zwischen Judean People's Front und People's Front of Judea, das „this calls for... immediate discussion“ statt einfach mal vor die Tür zu gehen (und der folgende Paternalismus), der zumindest mal alberne Versuch, patriotische Gefühle für eine (vielleicht) fortschrittliche Idee einzuspannen („What have the Romans ever done for us?“), das gegenseitige Abmetzeln über Fragen, die sich vernünftige Menschen gar nicht stellen würden („we were here first“ unter Pilatus' Palast), sinnlose Opferbereitschaft aus einem Bedürfnis nach größtmöglicher Reinheit heraus („We are the Judean People's Front. Crack suicide squad.“ vor dem Massenselbstmord), die große (autoritäre) Versuchung, einer „Bewegung“ anzugehören („Yes, we are all different!“) und so fort: Fast alles, was es an Irrsinn gibt, der (glücklicherweise nicht nur) fortschrittliche Kämpfe lähmt, findet sich in diesem Film.

    Mein Tipp: Jeden Karfreitag mal reinschauen.

    Was ich bisher nicht wusste: Den Film gibts überhaupt nur, weil Ex-Beatle George Harrison eingesprungen ist, als die ursprüngliche Produktionsfirma nach dem Lesen des Skripts den Geldhahn zugedreht hatte (vgl. rational wiki, der noch ein paar weitere Geschichten dazu hat).

    Die Welt ist klein.

  • Ausbrüche von Prüderie

    Ich lese gerade Bill Brysons „Mother Tongue“, ein Buch über, nun, die englische Sprache. Darin schreibt er: „Soon after Shakespeare’s death, Britain went through a period of prudery of the sort with which all countries are periodically seized”.

    Buchcover

    Bildrechte beim Verlag

    Nun bin ich jederzeit bei inklusiver Sprache dabei (und kann das belegen, denn der UNiMUT hatte schon 1993 komplett das hohe I), und ich fand es klasse, als 2015 „Geflüchtete“ das Wort wurde, das nette Leute statt „Flüchtling“ sagten. Aber ich muss zugeben, dass ich diese sprachlichen Konventionen immer vor allem als Statement gegen Rechts gesehen habe (und angesichts der Reaktionen der Reaktion funktioniert das ja auch prima). Der fast religöse Furor, mit dem viele durchaus nette Menschen Wörter bekämpfen (oder umgekehrt als konstitutiv für Linke etablieren wollen) allerdings scheint mir oft die Grenze zu überschreiten, an der gute Ideen zu Mitteln von Exklusion und Identitätsbildung werden. Und eben von Sorten von Prüderie, weshalb ich Brysons Beobachtungen von 1989 zumindest bemerkenswert fand.

    So schreibt er etwa: „But the greatest outburst of prudery came in the nineteenth century when it swept through the world like a fever. It was an age when sensibilities grew so delicate that one lady was reported to have dressed her goldfish in miniature suits for the sake of propriety“. Ich weiß, wenn sich Männer über „sensiblities“ von anderen Leuten unterhalten, ist es ein wenig wie wenn Autofahrer_innen Straßenplanung machen. Aber ich vermute trotzdem, dass ich nicht mehr „trigger warning“ werde hören können, ohne an bekleidete Goldfische zu denken.

    Und übrigens: Es ist höchst unfair, den Ausbruch des Prüderie-Fiebers Victoria... Hannover? Saxecoburgotsky? – naja, Königin Viktoria von England halt – anzulasten. Denn: Thomas Bowdler, der mit seiner Reinigung von Shakespeares (in der Hinsicht ohnehin für die Periode recht zahmen) Werken von Kraftausdrücken das Wort „bowdlerise“ geprägt hat, hat sein Hauptwerk 1818 und mithin ein Jahr vor Victorias Geburt vorgelegt.

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