Brahms war ein Schurke

Im Kalenderblatt zum 18.1.2021 heißt es (möglicherweise in erster Linie zur Rechtfertigung eines Musikteppichs): »Johannes Brahms komponierte nach den Siegen preußisch-deutscher Truppen über das französische Heer im Jahr 1870 das „Triumphlied“ opus 55.«

Mag sein, dass ich mich als Banause oute, weil mir das neu war, aber für mich war das die zentrale Nachricht des Beitrags: Brahms hat sich in Kriegsverherrlichung betätigt, in chauvinistischem Tschingdarassabumm. Will mensch Musik von so einem Schuft eigentlich noch hören?

Und damit gehts direkt zur Frage der Relation zwischen Werk und Schöpfer_in, die ja letztlich hinter den sinnvolleren Teilen der „Cancel Culture“-Debatte steht. Darf ich Dinge mögen, obwohl sie von Leuten gemacht wurden, deren Handlungen jetzt mal wirklich unakzeptabel sind?

Da hängt leider viel dran. Während mir Brahms' Schmachtfetzen vielleicht nicht so fehlen würden, wäre es für mich um die Gedanken von John Searle schon sehr schade (auch wenn ich sie zu guten Stücken für... unrichtig halte); allein der Chinese Room stellt ganz viele richtige Fragen, und seine beißende Kritik des Dualismus ist zumindest mal gut geschrieben.

Nun: Searle hat offenbar recht routinemäßig zumindest im Graubereich der Vergewaltigung gehandelt, um das mal maximal freundlich für Searle zu formulieren.

Kann ich mich jetzt nicht mehr am Chinese Room reiben? Ich würde sehr hoffen, dass die Abwägungen, die dahin führen, nicht zwingend sind. Umgekehrt gehts nun auch nicht, dass „wir“ (oder „die Gesellschaft“) einfach achselzuckend drüber hinweggehen, im üblichen „große Männer haben halt auch ihre Schwächen“-Duktus, schon, weil Militarismus, Chauvinismus und Vergewaltigung durch regelmäßige gesellschaftliche Ächtung tatsächlich bekämpft werden können, wie trotz aller Barbarei der Gegenwart der Vergleich zwischen heute und Brahms' Zeiten klar zeigt.

Ich fürchte, das ist ein wenig wie oft in Fragen der Ethik: es gibt nichts, das immer „richtig“ wäre, und mensch muss in jedem Einzelfall wieder rauskriegen, wie weit Werk und Schöpfer_in zusammengehen (ich sag mal Leni Riefenstahl) oder halt nicht. Klingt nach Mesoteslehre. Und wer klingt wie Aristoteles hat ja meistens Unrecht... Ach Mist.

Letzte Ergänzungen