Nachrichten aus dem Polizei-Rechtsstaat

Am 2. Mai 2022 haben zwei Polizisten auf dem Marktplatz in Mannheim den 47-jährigen Ante P. umgebracht. Als Nicht-Schwabo[1] mit einer psychischen Diagnose gehörte ihr Opfer zur gegenüber tödlicher Polizeigewalt in der BRD gefährdesten Gruppe überhaupt; ich darf ein paar Beispiele aus den sofo-hd-Jahrestagen zitieren:

23.12.2023 – in Mannheim-Schönau töten Polizisten den türkischstämmigen Ertekin Ö. mit vier Schüssen. Ö. hatte in einer psychischen Krise und wegen Auseinandersetzungen mit dem Jugendamt wegen seiner Kinder selbst die Polizei gerufen. Die Polizei eröffnete das Feuer aus der Distanz, als sie ihn auf der Straße mit nacktem Oberkörper und einem Messer in der Hand antraf.

12.1.2023 – In Mosbach-Neckarelz erschießt die Polizei einen Mann, der sich mit einem Messer bewaffnet der Wohnung seiner Ex-Partnerin genähert hat. Das Opfer hatte sich in psychiatrischer Behandlung befunden.

17.11.2022 – In Usingen im Taunus stirbt eine 39-jährige in Polizeigewahrsam. Die Polizei gibt an, sie habe ihr Handfesseln angelegt, weil sie randaliert habe. „Kurz darauf verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Frau [...] Die unverzüglich alarmierten Rettungskräfte begannen noch vor Ort mit Wiederbelebungsversuchen“

5.1.2020 – In Gelsenkirchen schlägt der aus der Türkei kommende Mehmet B. mit einem Ast auf ein leeres Polizeiauto ein und soll danach in der Nähe stehende Beamte bedroht haben. Diese eröffnen das Feuer und töten B. mit vier Schüssen. Die erste Sprachregelung der Polizei ist, dass ein Terroranschlag vorlag, doch rudert der Innenminister später auf „psychisch auffälliger Einzeltäter“ zurück. Die Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen gegen den Schützen natürlich ein.

2.11.2019 – Im Hunsrückdorf Hoppstädten-Weiersbach jagt ein größeres Aufgebot Polizei einen Exil-Eritreer, der PassantInnen mit einer Axt bedroht haben soll. Schließlich spüren zwei BeamtInnen den gesuchten „neben einem Geräteschuppen am Boden kauernd“ auf einem Tennisplatz auf und erschießen ihn in seiner, so die das Verfahren gegen den Schützen einstellende Staatsanwaltschaft, „Aufwärtsbewegung“.

12.1.2019 – In Berlin stirbt ein griechischstämmiger Mann an den Folgen von Polizeimaßnahmen („lagebedingter Erstickungstod”). Er war im vorherigen Dezember im Gefolge eines psychotischen Schubes in einer Bäckerei auffällig geworden. In der Gefangenensammelstelle Tempelhof hatten ihn danach Beamte mit Pfefferspray traktiert und anschließend in Bauchlage fixiert, bis er kollabierte.

9.2.2016 – In Hamburg stirbt der einen Monat zuvor wegen des Besitzes von 1.65 Gramm Marihuana in Untersuchungshaft genommene Yaya Jabbi. Die Polizei gibt an, er habe sich an der Gardinenstange in seiner Zelle erhängt, das einen Suizid bestätigende Gutachten kommt ausgerechnet von Klaus Püschel, der zuvor die ebenfalls klar rassistisch eingesetzte Brechmittelfolter in Hamburg verantwortet hat.

13.4.2018 – In Fulda wirft der vor einer Abschiebung nach Afghanistan stehende 19-jährige Matiullah Jabarkhil Steine auf eine Bäckerei, in der seine Bitte um altes Brot rüde zurückgewiesen worden war. Rasch treffen mindestens vier Polizisten ein und verfolgen den fliehenden Jabarkhil. Nach 150 Metern eröffnet ein Polizist das Feuer und tötet Jabarkhil mit zwölf Schüssen. Im Januar und August 2019 stellen Staatsanwaltschaften die Verfahren gegen die Tatbeteiligten ein.

Und so weiter ad nauseam. Wer noch kann, sollte auf deathincustody.info nachlesen; das spart zwar die polizeilichen Tötungen „zur Gefahrenabwehr“ aus, ist aber trotzdem ziemlich bedrückend.

Am ersten März nun fand in Mannheim das erstinstanzliche Strafverfahren gegen die beiden Täter im „Fall“ Ante P. ein Ende. Dabei ist allein die Tatsache des Verfahrens eine gewisse Besonderheit, die wohl nur den zahlreichen Videoaufnahmen zu verdanken ist, die PassantInnen am Marktplatz angefertigt und dann auch veröffentlicht haben. Ein vergleichbarer Vorfall nur acht Tage nach der Tötung von Ante P. im Mannheimer Waldhof ohne entsprechendes Material kam nicht mal vor Gericht.

Dass das Gericht die beiden Angeklagten im aktuellen Prozess im Wesentlichen freigesprochen hat – einer der beiden ist mit 120 Tagessätzen á 50 Euro zwar kurz mal vorbestraft, aber angesichts einer Tötungshandlung darf eine Strafe im unteren Bereich der Urteile beim „Bullenschubsen“ nach §114 StGB als Freispruch gelten[2] –, wird niemand überraschen, der meine kurze Zusammenstellung oben überflogen hat oder anderweitig mit Rechtshilfe zu tun hat. Aber darum geht es mir hier gar nicht, denn als Antiautoritärer bin ich ja froh über jede Strafe, die nicht verhängt wird.

Nein, es sind mehr die Umstände des Verfahrens, die zornig machen. Das Grundrechtekomitee hat dazu gestern eine Pressemitteilung herausgegeben, die Pflichtlektüre sein sollte für Menschen, die finden, ausgerechnet die eigene Regierung sollte Menschenrechte in aller Welt herbeibomben und -waffenliefern oder durch Export von Repressionstechnologie „befördern“: Katastrophales Urteil in Mannheim - unverhohlener Ableismus und institutionelle Nähe von Strafjustiz und Polizei.

Wer es etwas genauer wissen will, sei auf den ebenfalls höchst aufschlussreichen Prozessbericht der Initiative 2. Mai verwiesen, den ich hier spiegele; es wäre wirklich schade, wenn er durch z.B. Bitrot auf seiner Quellseite aus dem Internet verschwände.

[1]Als Schwabo bezeichne(te)n viele BewohnerInnen Jugoslawiens „die Deutschen“; weil ich immer noch schlechtes Gewissen habe, dass ich meiner Regierung Anfang der 1990er nicht genug Widerstand entgegengesetzt habe, als sie Jugoslawien in Mord und Totschlag stürzte, nehme ich ihr Wort gerne, um das Konzept zu bezeichnen, das andernorts (aus meiner Sicht weniger glücklich) „Biodeutsch“ oder „Kartoffel“ heißt.
[2]Zum Vergleich: Wegen trivialster Verstöße gegen Auflagen (im Wesentlichen „Mütze zur Corona-Maske getragen“) bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt kurz nach der, nun, Polizeimaßnahme am 2.5.2022 hat ein Gericht 50 Tagessätze verhängt.

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