
Ich habe neulich schon gebeichtet, dass ich mal wieder in die USA geflogen bin (for the record: Einreise war wie immer).
Wo das nun mal draußen ist: hier ist heute Memorial Day, der Feiertag für VeteranInnen und SoldatInnen in Not[1]. Das ist schon immer ein patriotisches Fahnenmeer von fußballweltmeisterschaftdermännerösen Ausmaßen gewesen. In Zeiten, in denen die deutsche Regierung ihren UntertanInnen Kriegstüchtigkeit verschreiben will, finde ich es dennoch hochinteressant, wie so etwas jenseits von Fahnenschwingerei in unbestritten kriegstüchtigen Nationen aussieht.
Und so ist mir in Newton, MA, die Tafel im Bild oben aufgefallen, die ich nach Maßstäben des Genres „patriotische Schilder“ eigentlich recht hellsichtig finde:
- „All gave some, alle haben etwas gegeben“ – wie wahr: Manchmal ist das „etwas“ ziemlich gigantisch, wie sich etwa an Emil Julius' Gumbels Kohlrübe illustrieren lässt, die angesichts der Hungersnöte während des ersten Weltkriegs in der Tat besser als Kriegerdenkmal taugt als leicht bekleidete Frauen mit Lorbeerkränzen wie hier in Luxemburg:
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Manchmal – wie jetzt gerade in der BRD – ist das „etwas“ nur ein wenig mehr Armut als normal und viel Rumgenerve durch schießwütige PatriotInnen. Aber notabene: Der Schildermaler und ich stimmen in der Einschätzung überein, dass Krieg immer mindestens lästig ist.
- „Some gave all, manche haben alles gegeben“ – auch wahr: Wer meint, für die Nation den Heldentod sterben zu müssen, ist danach tot und insofern nichts mehr. Auf so einer kleinen Tafel ist eingestandenermaßen nicht genug Platz, um wenigstens anzudeuten, dass unter diesen AllesgeberInnen die Armen, die nun am wenigsten von der Regierung profitieren, für die sie töten, weit überrepräsentiert sind. „It would not do to mention,“ ist die schöne englische Einführung zu solchen Gedanken.
- „God bless America“ – als Agnostiker kann ich mit Wünschen dieser Art grundsätzlich nicht viel anfangen. Aber ich will nochmal betonen, dass dieser Post nicht versucht, irgendwen in den USA anzupissen. Mit ihrer Kriegstüchtigkeit ihres Regierungapparats müssen die Leute hier schon selbst fertig werden. Meine Sorge ist die deutsche Kriegstüchtigkeit. Ich gehe bei Bedarf hohe Wetten ein, dass angesichts der Geschichte der letzten paar Jahrhunderte sehr viele Menschen jenseits der Grenzen von 1990 diese Sorge teilen.
Was auf der Installation auf der Brücke in Newton dagegen wirklich fehlt, ist eine Betrachtung, wofür all die Leute denn da „gaben“. Mensch muss aber nicht weit fahren, um eine Antwort zu bekommen. Ein paar Kilometer (oder, if in Rome, do like the Romans do, Meilen) weiter nordöstlich, in Everett, MA, steht dieses Denkmal an der State Route 99:

Diese Ehrlichkeit schätze ich: Bei dieser Aufzählung, wo die HeldInnen so „gegeben“ haben, sollten sich alle Zweifel auflösen, es könne um „Freiheit“ oder „Selbstbestimmung“ gegangen sein. Was immer die US-Regierungen um die vorletzte Jahrhundertwende (davon handelt das Standbild) in Kuba, China (vgl. Boxeraufstand) oder den Philippinen gesucht haben mögen: Freiheit und Selbstbestimmung „der USA“ (was ohnehin Quatsch ist) war es nicht[2].
Abstrahiert von der konkreten Situation: Wie bei allen Kriegen haben die Soldaten jenseits der diversen Meere geschossen für Erhalt oder Ausweitung der Herrschaft ihrer Obrigkeit. Wenn wir nur einen Weg fänden, Menschen davon abzubringen, dieser ihr Leben und ihr ethisches Empfinden zu „geben“, wären wir ein ganzes Stück weiter im lang- und mühsamen Prozess der Zivilisation.
In diesem Sinne schöpfe ich etwas Hoffnung daraus, dass heute, am Memorial Day, der Parkplatz an der Nachbildung Henry David Thoreaus Hütte (dort entstand dieser Text) wegen Überfüllung geschlossen war. Und nein, das ist keine Beichte: ich war mit dem Fahrrad da. Von Boston aus kommt mensch prima auf dem Minuteman Commuter Bikeway und dann dem Reformatory Branch Trail dorthin.
[1] | „Prisoner of War – Missing in Action“ steht abgekürzt auf kleinen schwarzen Wimpeln, die derzeit die Stars and Stripes vor öffentlichen Gebäuden ergänzen. |
[2] | Nur, um nicht missverstanden zu werden: Natürlich ist Militär mit seinen mörderischen Strukturen von Befehl und Gehorsam als bis zum Abmurksen entschlossenes Mittel zur Durchsetzung der Interessen der Obrigkeit immer Antithese von Freiheit. |